Die Kunst des Loslassens

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In der ersten meditativen Vertiefung kann sich das äußerst entzückende Gefühl auch als Ausdehnung bemerkbar machen, das heißt, dass die Körperbegrenzung nicht mehr deutlich zu spüren ist. In diesem Fall gibt es keinen Bereich mehr, von dem wir sagen könnten: „Das bin ich“, sondern wir spüren eine gewisse Auflösung. Dieses Gefühl unterscheidet sich stark von unserem alltäglichen Körpergefühl. Dabei entsteht dann die Einsicht, dass wir etwas in uns tragen, das unabhängig von jedem Berührungskontakt ist und einzig und allein von unserer Konzentration abhängt. Im Allgemeinen sind angenehme Körpergefühle abhängig von angenehmen Berührungskontakten. Diese Unabhängigkeit von Berührungskontakten ist auch ein erster Schritt in die Freiheit von der Abhängigkeit von äußeren Dingen. In dem Fall der meditativen Vertiefung sind wir nur abhängig von unserer eigenen Konzentration, und je mehr wir sie üben, desto leichter fällt sie uns mit der Zeit.

Das Wissen, dass wir nur auf uns selbst angewiesen sind, gibt uns auch schon ein Gefühl dafür, dass wir uns auf dem Weg in die Freiheit befinden. Der Buddha hat versprochen, dass wir zur vollen Freiheit von allem Leid, zur vollen Freiheit von jeglicher Abhängigkeit, zur vollen Freiheit von allen Wünschen, zur vollen Freiheit von allem, was uns bedrückt, gelangen, wenn wir diesen Weg bis zu Ende gehen. Daraus können wir schließen, dass schon die Einsichten aus der ersten meditativen Vertiefung bedeutsam sind. Deshalb sollten wir niemals die Meditation beenden, ohne uns über diese Einsichten klar zu werden. Aber es ist nicht sinnvoll, sie nur im Geist zu wiederholen, sondern wir müssen sie wirklich erleben. Wir müssen den Geschmack der Mango selbst kennen lernen, damit wir spüren, wie sie schmeckt.

An dieser Stelle können wir noch einmal auf die Bedürfnisebene des Gemüts zurückkommen, die ich bereits angesprochen habe, dass wir nämlich eine Sehnsucht in uns tragen. Jeder Meditierende trägt eine Sehnsucht in sich nach etwas Höherem, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, ob erkannt oder nicht. Häufig wird sie die Sehnsucht nach der Gottesbegegnung genannt, aber das sind nur Worte. Diese Sehnsucht soll uns aus der Marktplatzebene herausheben auf eine Ebene, in der wir nicht nur sehr angenehme Empfindungen haben, sondern auch uns selbst ganz anders spüren. Diese Sehnsucht wird durch die meditativen Vertiefungen gestillt. Wir empfinden uns selbst als ganz anders als sonst im Alltag. Dieses Anderssein beantwortet die Sehnsucht nach dem Höheren. Auch wenn in der ersten meditativen Vertiefung die höheren Ideale noch nicht angesprochen werden, so ist es dennoch der Auftakt zu dem Wissen, dass es in uns vorhanden ist. Dadurch entsteht die Glückseligkeit, eine Begleiterscheinung der ersten meditativen Vertiefung. Die Verzückung oder das Entzücken heißt auf Pāli pīti und die Glückseligkeit sukha. Wir haben vier notwendige Schritte, um dahin zu gelangen: das anfängliche Hinwenden, das fortwährende oder anhaltende Hinwenden des Geistes, dann kommt das Entzücken, das von der Glückseligkeit begleitet wird.

In der ersten meditativen Vertiefung ist das entzückende Empfinden unser Meditationsobjekt und die Glückseligkeit eine emotionale Begleiterscheinung, die erst in der zweiten meditativen Vertiefung angesprochen wird. Aber sie ist in der ersten meditativen Vertiefung bereits deutlich spürbar. Daher wissen wir, dass das Entzücken keine reine Körperlichkeit ist, denn angenehme körperliche Empfindungen sind vollkommen vergänglich, wohingegen die entzückende Empfindung zusammen mit der Glückseligkeit so lange bleibt, wie wir uns konzentrieren können. Können wir uns gut konzentrieren, dann können wir beispielsweise zwei Stunden da verbleiben. Können wir uns weniger gut konzentrieren, dann bleiben wir etwa zwei Minuten dabei. Um den Weg der Meditation zu gehen, ist es jedoch nicht nötig, zwei Stunden in der ersten meditativen Vertiefung zu bleiben. Aber wenn wir die Konzentration gelernt und gefestigt haben, so haben wir die Sicherheit, dass hier etwas anderes als in der Welt geschieht und wir auf dem Weg sind, unseren Geist anderen Bewusstseinsebenen zuzuwenden. Die Glückseligkeit, die da hochkommt und die wir dann in der zweiten meditativen Vertiefung als Meditationsobjekt verwenden, ist ein anderes Gefühl als die Freude oder das Vergnügen, das wir in der Welt erleben.

Dazu ist auch noch zu sagen, dass die ersten vier meditativen Vertiefungen die feinkörperlichen Vertiefungen heißen, weil sie auf einer feineren Ebene das wiederholen, was wir im Alltag kennen: Wir kennen entzückende Empfindungen und ebenso das Gefühl des Glücklichseins. Hier wird aber eine ganz andere Ebene als die alltägliche angesprochen und auch die Unabhängigkeit. Diese beiden Punkte sind die Hauptsache.

Die Glückseligkeit wird oft damit verglichen, eine innere Süße zu empfinden, was sich natürlich ganz reizend anfühlt. In der zweiten meditativen Vertiefung gibt es auch noch eine andere Verbindung, nämlich ein Gefühl der weit ausgedehnten Liebe, die sich jedoch nicht auf eine Person bezieht. Genau das wird in der Liebenden-Güte-Meditation angesprochen. Es fühlt sich so an, als ob wir die Welt mit ihren Menschen und allen Wesen tatsächlich umarmen könnten. Wenn uns das in der Meditation durch starke Konzentration möglich ist, dann ist es natürlich ein ganz wichtiges Erleben.

Um von der ersten meditativen Vertiefung in die zweite zu gelangen, müssen wir das entzückende Empfinden in den Hintergrund der Achtsamkeit ziehen lassen und die Glückseligkeit, die zu der Zeit spürbar ist, in den Vordergrund bringen. Manchmal erleben wir sie stärker, manchmal schwächer, was einzig und allein von unserer Konzentration abhängt. Das Gefühl der Liebe in der zweiten meditativen Vertiefung, das dabei entstehen kann aber nicht muss, kann sich auf verschiedene Weisen ausdrücken: Wir können dieses Gefühl als Süße spüren, als sprudelnde Freude, als sehr ruhige Freude, als ein inneres Sich-der-Freude-Hingeben oder auch als allumfassende Liebe.

Bei dem allumfassenden Liebesgefühl ist die eindringliche Einsicht möglich, dass es uns tatsächlich gelingen kann, unpersönlich und bedingungslos zu lieben. Unpersönliche Liebe ist eine Herzensqualität, es muss nicht jemand vorhanden sein, der liebenswert ist. Das Ausdehnen des Liebesgefühls ist ein äußerst wichtiger Moment, denn dadurch erlernen wir, dass ein liebendes Herz unbegrenzt lieben kann. Diese Grenzenlosigkeit spricht natürlich unser Gemüt stark an. Diesen Eindruck verlieren wir auch nicht mehr.

Selbstverständlich ist es ganz klar, dass diese Zustände in der Meditation, die ich zu beschreiben versuche, in einer gewissen Stärke vorhanden sind, aber sie müssen einen Niederschlag im täglichen Leben haben. Das geschieht bei der zweiten meditativen Vertiefung sogar automatisch. Daher wissen wir, dass diese Meditation uns und auch anderen zum Heil gereicht. Dieser Punkt wird häufig vergessen oder falsch verstanden. Entweder wird geglaubt, dass die eigene Methode besser sei als eine andere oder dass wir auf dem Kissen sitzen und vollkommen selbstsüchtig nur für uns meditieren. Äußerlich sitzt natürlich jeder auf seinem eigenen Kissen und meditiert für sich. Nur so können wir die Meditation auch erlernen, aber der Niederschlag, der daraus erwächst, ist weltbedeutend. Doch das wird immer wieder vergessen oder falsch verstanden. Ein Mensch, der in der zweiten meditativen Vertiefung eine allumfassende, unbegrenzte Liebe erlebt, wird das nicht vergessen können. Er wird sich bemühen, das auch immer wieder bei jeder Gelegenheit im täglichen Leben hochzubringen. Davon profitiert natürlich jeder, der mit diesem Menschen in Berührung kommt.

Bei dem Erleben der meditativen Vertiefungen ist noch ein weiterer Punkt von großer Bedeutung, der das universelle Bewusstsein betrifft. Wenn wir zum Beispiel Ärger, Ablehnung, Zorn, Neid, Eifersucht, Furcht und so weiter in uns fühlen, so fließt und strahlt das sozusagen aus uns heraus in das universelle Bewusstsein. Wenn Liebe aus uns herausströmt, so wird das universelle Bewusstsein mit mehr Liebe gefüllt ist und die Menschen um uns herum spüren eine Wärme oder fühlen sich vielleicht etwas besser, nachdem sie mit uns zusammen waren. Das bedeutet, dass es unmöglich ist, nur für sich alleine zu meditieren, was trotzdem sehr oft erwähnt wird. Jeder, der schon die beiden ersten meditativen Vertiefungen erlebt hat, kann diesen Niederschlag auch selbst bestätigen.

Auch die innere Freude der zweiten meditativen Vertiefung, die vielleicht nicht dieses Liebesgefühl in sich trägt, bleibt natürlich unvergesslich. Wer täglich meditiert, erlebt es ja jeden Tag wieder. Wenn ein Mensch die innere Glückseligkeit in der Meditation erlebt hat, dann wird er bestimmt nicht so sehr negativ wie Menschen, die das noch nicht erlebt haben. Wir könnten sogar annehmen, dass solch ein Mensch die Negativitäten in sich schon zu einem großen Teil vermindert hat, obwohl es dafür natürlich keinen genauen Maßstab gibt. Wenn wir uns jedoch jeden Tag frühmorgens vor den Alltagsaktivitäten in die Glückseligkeit der zweiten meditativen Vertiefung begeben, so wird der Tag damit durchdrungen, weil unser Bewusstsein damit angefüllt ist. Es fällt uns alles viel leichter, und die Umwelt profitiert davon.

Auch das entzückende Empfinden aus der ersten meditativen Vertiefung ist bereits ein solches Erlebnis mit einem Niederschlag im täglichen Leben, weil es ja auch mit Glückseligkeit verbunden ist. Es betrifft nicht nur die körperliche Ebene, obwohl es das Körpergefühl vollkommen verändert, denn es schließt die Glückseligkeit mit ein. Das entzückende Empfinden erleichtert uns das tägliche Leben enorm, besonders die unangenehmen Konfrontationen, auf die wir dann weniger negativ reagieren. Wir fühlen uns nicht nur beschützt von der eigenen Fähigkeit der Konzentration, sondern wir wissen auch, dass wir zwar im Alltag Verantwortung tragen und Verpflichtungen haben, dass aber in uns noch etwas anderes existiert. Dieses Wissen darum lässt die Dinge des Alltags nicht mehr ganz so wichtig erscheinen, denn sie haben sich auf eine andere Ebene verlagert. Sie kommen zwar immer wieder vor, woran überhaupt nicht zu rütteln ist, auch müssen sie immer wieder bearbeitet werden, aber sie liegen auf einer anderen Ebene. Sie befinden sich nämlich auf der Ebene des Marktplatzes, an der wir uns nicht beteiligen müssen. Die Marktplatzebene bedeutet, dass wir nur das Angenehme haben und das Unangenehme so schnell wie möglich loswerden wollen. Auf dieser Ebene herrschen ewige Unruhe und die Angst, ob wir das Gewünschte auch bekommen und dann behalten können. Dort kann kein Glück entstehen, weil wir unterschwellig wissen, dass wir nichts behalten können.

 

Der Durchbruch zur ersten meditativen Vertiefung bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten, weil der Geist noch nicht ganz genau weiß, wohin er soll. Wer jedoch die erste meditative Vertiefung erlebt hat, kann ohne Weiteres weitergehen zur zweiten und dritten, und kann mit der Einsicht am Ende, dass diese meditative Vertiefung flüchtig und vergänglich ist, die Bedeutungslosigkeit der Marktplatzebene durchschauen. Auch wenn wir gewinnen oder gelobt werden oder Ruhm erlangen, so fragen wir uns, wie lange das andauert und wie viel innere Sicherheit und inneren Frieden es uns bereitet. Es ist anzunehmen, dass wir unseren inneren Frieden verlieren, wenn wir berühmt werden. Wir kennen den weltlichen Weg ganz genau, denn wir haben ihn alle schon ausprobiert. Natürlich engagieren wir uns in unserem Alltag, denn sonst gibt es keine Achtsamkeit. Hier wird immer wieder derselbe Fehler gemacht, den ich schon öfter angesprochen habe. Wir meinen nämlich, dass, weil es in den meditativen Vertiefungen so schön ist, alles andere nichts mehr bedeutet, aber das ist Unsinn. Sobald wir denken, dass irgendetwas nichts wert sei, sind wir negativ.

Es gibt verschiedene Ebenen des Lebens: Auf der weltlichen Ebene engagieren wir uns, und wir sollten dort genauso achtsam sein wie bei der Meditation. Wir sollten uns da genauso hingeben und genauso lieben wie in der Meditation. Auf der anderen Ebene verlagern wir unser Bewusstsein, sodass uns die erste Ebene nicht mehr ganz so wichtig erscheint und wir daher nicht mehr so negativ darauf reagieren, wenn etwas nicht so funktioniert, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir alle haben Vorstellungen und Ideen davon, wie die Dinge sein sollten, und diese sind interessanterweise höchst individuell. Es ist sehr schwer, jemanden zu finden, der genau dieselben Vorstellungen hat wie wir selbst. Wenn jemand ähnliche Vorstellungen hat wie wir selbst, dann ist dieser Mensch unser Freund. Hat er aber andere Vorstellungen, dann ist er vielleicht nicht unser Feind, aber jedenfalls uninteressant. Vielleicht betrachten wir diesen Menschen sogar als dumm, weil er andere Vorstellungen hat. Aber so zu denken, wäre dumm, nicht wahr? Wir alle haben individuelle Vorstellungen davon, wie die Dinge sein sollten. Das Interessante daran ist jedoch, dass es sich meistens anders verhält. Wir haben uns das alles selbst ausgedacht, und wir haben in Gedanken viele Bände eines Märchenbuches geschrieben, die nicht die Möglichkeit zur Verwirklichung haben. Je länger wir uns damit abgeben, desto mehr verlieren wir natürlich den Zugang zur Wirklichkeit.

Durch das Verlagern der Bewusstseinsebene kennen wir also bis hierher zwei Ebenen: die Ebene des Alltags, der Welt und des Marktplatzes, die wir schon immer gekannt haben, aber nun sozusagen aus der Vogelperspektive kennen lernen. Ohne überheblich zu sein, können wir auf die Alltagsebene herunterschauen und sagen: „Ach ja, so läuft das ja immer ab“, und: „Ich will mein Bestes geben“, und: „Das ist nicht alles, was es gibt, sondern es gibt auch noch etwas anderes.“ Sehr häufig sagt der Geist dann auch noch: „Ich habe es ja immer geahnt, dass es noch etwas anderes gibt.“ Möglicherweise meint er sogar: „Ich habe es ja immer gewusst und nicht nur geahnt.“

Auf jeden Fall sind die meditativen Vertiefungen unsere Fähigkeit und Möglichkeit, einmal zu erkennen, welch enormes Potenzial uns Menschen innewohnt. Wir müssen uns nicht ständig mit weltlichen Dingen abgeben, sondern können diese aus einer anderen Sicht betrachten, bei der diese Dinge einfach notwendig sind, um am Leben zu bleiben. Dann geben wir uns genauso hin wie immer, aber der Alltag läuft einfach ab und verändert sich ständig. Mit diesem uns innewohnenden Potenzial macht unser Bewusstsein sozusagen einen Sprung und verändert sich vollkommen. Dieser Sprung ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, aber es findet eine wirkliche Veränderung statt. Wenn wir die meditativen Vertiefungen oft wiederholen, werden sie selbstverständlich, und wir sind vielleicht auch gar nicht mehr dankbar dafür. Deshalb ist es gut, sich immer wieder daran zu erinnern, für das Erleben der meditativen Vertiefungen dankbar zu sein. Mein Lehrer, der Ehrwürdige Ñāṇarāma Mahāthera, hat immer gesagt, dass die meditativen Vertiefungen eine verloren gegangene Kunst seien. Deshalb hat er mich gebeten, sie wiederzuerwecken und den Menschen im Westen beizubringen. Das Interessante daran ist, dass sehr viele Menschen, die zu meinen Kursen kommen, sie auch können, was für mich höchst erstaunlich ist. Ich habe nämlich gedacht, dass dies nur wenige Menschen könnten, aber das ist gar nicht der Fall. Der menschliche Geist will und kann dahin. Und jeder Mensch, der die meditativen Vertiefungen kann und immer wieder übt, verändert sich.

Die Tür, von der ich immer spreche, in deren Schlüsselloch wir den Schlüssel stecken müssen, ist verschüttet von unseren Wünschen und Hoffnungen in der Welt, von unseren Anhaftungen, von unseren Begierden, von unseren Reaktionen und von unseren Ablehnungen. Deshalb ist es die verloren gegangene Kunst. Von all diesen Begierden und Ablehnungen wird die Tür verdeckt, und dennoch haben wir eine Ahnung, dass da doch noch irgendetwas sein muss, was wir schon einmal irgendwie gefühlt haben. Das Wegräumen des Unrates, was natürlich immer wieder geschehen muss, damit wir in die meditative Vertiefung kommen können, ist dann eines Tages so weit gediehen, dass entweder nur noch wenig Unrat vorhanden ist oder wir ihn überhaupt nicht mehr anhäufen, weil wir ja immer wieder in die meditativen Vertiefungen gehen. Jeder Mensch, der regelmäßig die meditativen Vertiefungen erlebt, verändert sich innerlich vollkommen und wird ein ganz anderer Mensch.

Deshalb heißt es auch in der Lehrrede: „abgeschieden von Sinnesvergnügen und unheilsamen Geisteszuständen.“ Wenn wir uns Sinnesvergnügen hingeben, schwächen wir den Geist. Gerade wenn wir die Meditation erlernen, sie verbessern und festigen wollen, sollten wir vorsichtig mit den Sinnesvergnügen umgehen. Das bedeutet nicht, dass wir unsere schöpferische Kraft nicht verwenden, im Gegenteil, denn auch die meditativen Vertiefungen benötigen schöpferische Kraft. Ich habe schon oft festgestellt, dass Menschen, die schöpferisch tätig sind, leichter hineinkommen, wobei das Schöpferische nichts Bestimmtes sein muss. Es kann geistig sein, auf dem Gebiet der Worte, auf dem Gebiet der Bilder oder auch in anderen Bereichen. Diese Menschen haben sehr häufig einen einfacheren Zugang. Auch Menschen, die sich bei ihrer Arbeit sehr konzentrieren müssen, tun sich sehr häufig leichter damit, in die meditativen Vertiefungen zu kommen. Interessanterweise habe ich festgestellt, was wir vielleicht nicht erwartet hätten, dass Computerprogrammierer sehr häufig leicht hineinkommen, denn sie müssen sich sehr konzentrieren bei ihrer Tätigkeit. Hier kann die Technik sogar eine Hilfe darstellen.

Die erste und zweite meditative Vertiefung
Teil 2

Zuerst lese ich wieder vor, was in dieser Lehrrede über die zweite meditative Vertiefung steht, über die wir bereits gesprochen haben, über die es aber noch mehr zu sagen gibt: „Wiederum tritt ein Mensch mit der Stillung der anfänglichen und anhaltenden Hinwendung des Geistes (zum Meditationsobjekt) in die zweite meditative Vertiefung ein, die Selbstvertrauen und Einspitzigkeit des Geistes ohne anfängliche und anhaltende Hinwendung des Geistes enthält, und verweilt darin, mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Konzentration entstanden sind. Brahmane, auch dies nennt man einen Fußabdruck des Tathāgata, etwas, woran der Tathāgata gekratzt hat, etwas, das den Abdruck des Tathāgata trägt, aber ein edler Schüler kommt noch nicht zu dem Schluss: ,Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, das Dhamma ist vom Erhabenen wohl verkündet, die Sangha praktiziert gut.‘“

Bei der zweiten meditativen Vertiefung benötigen wir weder die anfängliche noch die anhaltende Hinwendung des Geistes, denn zu dieser Zeit ist der Geist bereits konzentriert. Wir befinden uns dann also schon im Fluss der meditativen Vertiefungen. Mit dem anfänglichen Hinwenden gelangen wir in die erste meditative Vertiefung, und mit dem anhaltenden Hinwenden können wir darin verweilen. Hier sollte es so sein, dass der Geist nicht mehr herausfällt, was jedoch in der Praxis nicht geschieht, denn er fällt ja heraus. Auch wenn wir darin noch nicht sehr geübt sind, so genügt es im Allgemeinen doch, dass wir uns wieder auf die Glückseligkeit konzentrieren und so gleich wieder die meditative Vertiefung erleben können. Sollte das nicht möglich sein, müssen wir noch einmal mit der anfänglichen und anhaltenden Hinwendung des Geistes beginnen. Das Meditationsobjekt, dem sich der Geist zuwendet, um in die meditative Vertiefung zu kommen, ist nicht ausschlaggebend, denn es ist nur der Schlüssel beziehungsweise die Methode.

Hier wird erwähnt, dass die zweite meditative Vertiefung die Einspitzigkeit des Geistes enthält. In jeder Meditation, sei sie auch noch so unkonzentriert, sind der erste, zweite und fünfte Faktor der Meditation vorhanden, es sei denn, dass wir nur dasitzen und die ganze Zeit denken. Die ersten beiden Faktoren, das anfängliche und das anhaltende Hinwenden zum Meditationsobjekt, sind ausnahmslos immer nötig bei jeder Meditation. Das gilt nicht nur für die meditativen Vertiefungen, sondern auch für die momentane Konzentration auf den Atem. Um in die meditative Vertiefung zu gelangen, muss die anhaltende Hinwendung intensiviert werden.

Wie ich bereits erklärt habe, dienen sowohl die anfängliche als auch die anhaltende Hinwendung als automatische Gegenmittel gegen unsere Hindernisse. Die anfängliche Hinwendung arbeitet gegen die Lässigkeit und Trägheit des Geistes, die anhaltende Hinwendung gegen den skeptischen Zweifel oder die Zweifelsucht. Dem können wir vielleicht entnehmen, dass der Weg der buddhistischen Meditation nicht darin besteht, die Gedanken einfach kommen und gehen zu lassen, denn das wird immer wieder falsch verstanden. Es ist nicht unangenehm, und wir kennen es, weil wir es ständig machen. Wir lassen die Gedanken kommen und gehen. Wir können sie gar nicht festhalten, weil es uns unmöglich ist. Immerzu sind wir damit beschäftigt, was bedeutet, dass wir darin schon sehr geübt sind. Deshalb müssen wir dieses ständige Denken nicht neu erlernen. Stattdessen jedoch die anfängliche und anhaltende Hinwendung des Geistes, wozu wir uns etwas bemühen müssen. Dies sind die ersten beiden Faktoren der zweiten meditativen Vertiefung und jeglicher Meditation.

Jetzt folgt noch der fünfte Faktor – die Einspitzigkeit. Auch sie betrifft jede Meditation, ist aber bei den meditativen Vertiefungen noch stärker ausgeprägt. Die Einspitzigkeit des Geistes bedeutet, dass wir auf einem Punkt bleiben, was wir erlernen müssen, weil es nicht so einfach ist. Wenn wir in der Meditation auf dem Punkt des Atems oder auf dem Punkt der Bewegung des Fußes bleiben, dann ist Einspitzigkeit vorhanden, solange kein Gedanke hochkommt. In dem Moment, da ein Gedanke dazwischen kommt, geht die Einspitzigkeit verloren. Dann haben wir nicht nur Zweispitzigkeit, sondern wahrscheinlich Fünf-, Sechs-, Sieben-, Acht-, Neun- oder sogar Zehnspitzigkeit. Ich kann gar nicht genug betonen, wie äußerst wichtig die Einspitzigkeit für die Meditation ist.

Es ist interessant, dass das, was ich aus dieser Lehrrede über die meditativen Vertiefungen vorlese, bereits alles ist, was der Buddha darüber gesagt hat. In den Kommentaren, die nicht vom Buddha stammen, werden sie ausführlicher erklärt. Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, wieso der Buddha nur so wenig zu den meditativen Vertiefungen erklärt hat. Daraufhin bin ich zu der Annahme gekommen, dass die meditativen Vertiefungen zur Zeit des Buddha nicht eine verloren gegangene Kunst waren, sondern überall praktiziert wurden. Deshalb musste er nur wenig darüber sagen, um seine Zuhörer darauf aufmerksam zu machen, sie zu praktizieren. Weiterhin nehme ich an, dass vielleicht zu seiner Zeit das spirituelle und religiöse Leben einen viel größeren Raum in der Gedankenwelt der damaligen Menschen einnahm, als es heute der Fall ist. Von daher hatte auch die Meditation eine viel größere Verbreitung als heute.

 

Die Einspitzigkeit des Geistes als fünfter Faktor in den meditativen Vertiefungen sowie als Teil jeglicher Meditation bedeutet, dass wir in der Lage sind, den Geist zu schärfen. Das ist sehr wichtig, denn nur mit einem geschärften Geist können wir zu wahrer Einsicht gelangen. Auch hierbei müssen wir uns daran erinnern, dass die Meditationspraxis des Samādhi (der achte Schritt beim Edlen Achtfachen Pfad) nur ein Mittel zu dem Zweck ist, Einsicht zu erlangen. Das Mittel besteht also darin, den Geist so dirigieren zu können, dass wir von ihm nicht gestört werden, dass er uns gehorcht und sich so benimmt, um eines Tages ganz in die Tiefe gehen zu können.

Die Ruhemeditation (Samādhi) ist ein unumgänglich nötiges Mittel auf dem spirituellen Weg. Dazu müssen wir nicht alle acht meditativen Vertiefungen können, aber die meditative Vertiefung, die wir können, sollten wir perfektionieren. Das bedeutet, dass wir hineingehen können, wann wir wollen, so lange drin bleiben können, wie wir wollen, herauskommen können, wann immer wir wollen, und danach genau wissen, wo wir gewesen sind. Beherrschen wir die jeweilige meditative Vertiefung auf die so beschriebene Weise, so sind wir Meister der Jhānas. Weiterhin hat der Buddha gesagt, was auch in den Kommentaren beschrieben ist, dass wir von jeder meditativen Vertiefung in jede andere gehen können, wenn wir Meister der Jhānas sind. Das heißt, dass wir nicht eine nach der anderen praktizieren mit eins, zwei, drei, vier, sondern wir springen dann von eins zu acht, von sieben zu fünf, von drei zu zwei, wie wir gerade wollen. Das zu können, erachte ich als nicht allzu wichtig, sondern erwähne es nur, weil der Buddha davon gesprochen hat. Für uns ist es wichtig, eine meditative Vertiefung so lange zu üben und uns so damit bekannt zu machen, dass sie ein Teil von uns selbst wird. Das bedeutet, die meditativen Vertiefungen so entwickelt zu haben, dass sie uns sehr nützlich sind.

Einspitzigkeit, die bei den meditativen Vertiefungen hinzukommt, bedeutet, wie das Wort im Deutschen sehr gut ausdrückt, „anspitzen“. Das können wir mit einem Bleistift vergleichen: Mit einem vollkommen stumpfen Bleistift können wir nicht sehr viel anfangen, außer vielleicht ein paar Striche zu ziehen, wohingegen wir mit einem gut angespitzten Bleistift sehr feine Linien ziehen können. Der Buddha hat den Vergleich mit einer Axt gewählt: Mit einer stumpfen Axt können wir nur mit Schwierigkeiten und unter großer Anstrengung Holz spalten. Jedoch mit einer geschärften Axt, die eine ganz scharfe Klinge hat, können wir durch das Holz hindurch, als wäre es Butter. Genauso geschärft ist der einspitzige Geist, den wir trainiert haben. Mit den meditativen Vertiefungen trainieren wir den Geist so, dass er wirklich auf einem Punkt bleiben kann.

Ein solcher Geist kann die Illusionen durchbrechen, die uns umhüllen. Manchmal wird diese Illusion als Schleier bezeichnet. Mir kommt es eher so vor, als sei diese Illusion eine Zementwand. Für einen Schleier benötigen wir ein nicht ganz so scharfes Instrument, denn wir können ihn leicht durchdringen. Jedoch brauchen wir für das Durchdringen einer Zement- oder einer Ziegelwand schon ein scharfes Instrument. Interessanterweise kann unser Geist mit der nötigen Pflege und Entwicklung ein solches Instrument werden. Wenn wir unseren Geist so schärfen und entwickeln, dann ist es möglich, dass dieses Instrument, das uns allen zugänglich ist, die ganzen Ideen, Erklärungen und auch die Gefühle durchdringen kann.

Wenn wir morgens früh aufstehen, dann wissen wir ganz genau, dass wir derjenige sind, der sich erhebt. Weder muss uns das jemand sagen, noch brauchen wir uns das selbst vorzusagen, denn es ist selbstverständlich. Deshalb nehmen wir es so an und kümmern uns nicht weiter darum. Es ist interessant, sich beispielsweise einmal zum Essen hinzusetzen und zu fragen: „Wer sitzt jetzt hier?“, und sehen, was als Antwort hochkommt. Dasselbe können wir im Badezimmer oder auf der Toilette tun. Was immer als Antwort kommt, ist weder falsch noch richtig, sondern es ist das, was bis jetzt der Inhalt des Geistes ist. Wenn wir nun die Bücher über die Buddhalehre gelesen oder genug davon gehört haben, dann ist es dennoch sinnlos zu sagen: „Ja, ja, ich weiß schon, da ist keiner. Es geht gar keiner auf die Toilette.“ Es wird immer wieder der Fehler gemacht zu sagen: „Ich weiß es ja schon.“ Aber was nutzt uns das? Vor allem dann, wenn wir von diesem Meditationskurs nach Hause zurückkommen und uns mit unserem Partner zanken.

Wir sollten tatsächlich einmal hinspüren, wenn wir uns fragen: „Wer geht da?“ Oder: „Wer isst da?“ Oder: „Wer steht morgens früh auf?“ Denn dann wissen wir sicher, dass diese Illusion nicht nur ein Gedanke ist, sondern ein so eingefleischter Gedanke, der schon so lange in uns herrscht, dass er zu einem Gefühl geworden ist. Wir haben ein absolut sicheres Gefühl, wer da rumspaziert, und brauchen nichts dazu zu sagen. Daher ist diese Untersuchung ein wichtiger Punkt, damit wir erst einmal dahin kommen zu sagen: „Ja, so ist es bei mir.“ Daran gibt es nichts zu tadeln, denn das ist die Ebene der relativen Wirklichkeit, in der wir leben. Sie ist nicht falsch, sondern relativ. Der Buddha hat sie nicht falsche Wirklichkeit genannt, da das absurd ist. Denn etwas Falsches kann nicht wirklich sein, sondern sie ist relativ. Relativ zu allen anderen sitzt jeder alleine da, und jeder isst, jeder wacht auf, und jeder geht schlafen. Aber auf der absoluten Ebene sieht es anders aus. Und um das zu erleben, brauchen wir einen einspitzigen Geist.

Auf Pāli heißt Meditation Bhāvanā, was Geistes-Training bedeutet. Genau das tun wir: Wir trainieren unseren Geist. Wenn wir unseren Geist trainieren, so könnten wir uns natürlich vornehmen, ihn so zu trainieren, dass er eines Tages gar nicht mehr daran denkt, unglücklich zu werden. Wozu sollte es denn gut sein, unglücklich zu werden? Das ist doch absurd! Wenn er genug trainiert ist, dann wird er einfach nicht mehr unglücklich. Allein daraus können wir schon entnehmen, dass nur ein trainierter Geist Glück und Frieden bereiten kann. Ein untrainierter Geist saust dahin und dorthin, wo immer es ihm gerade Spaß macht, und verliert sich in allen möglichen Dingen.

Natürlich dürfen wir nun auf keinen Fall glauben, dass wir unseren Geist auf die Schnelle trainieren könnten, weil wir es gerne wollen oder weil wir glauben, es sei eine gute Idee. Denn dazu müssen wir uns schon bemühen. Den Geist zu trainieren, ist nichts Besonderes oder Ausgefallenes, und jeder kann es. Im Allgemeinen denkt die Menschheit einfach nicht daran. Training hat weder mit Hass noch mit Gier noch mit Sinnesbefriedigung oder mit Daseinsdrang zu tun, und deshalb wird es einfach nicht beachtet. Als Meditierende haben wir jedoch keine Wahl: Wenn wir meditieren wollen, dann müssen wir unseren Geist trainieren, denn sonst gibt es keine Meditation. Je einspitziger unser Geist wird, desto klarer erkennen wir die Dinge, die uns belasten, bedrücken, und warum sie das tun.