Tossed Into Love

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Aus der Reihe: Fluke My Life #3
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Tossed Into Love
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Tossed into Love


Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2018 unter dem

Titel TOSSED INTO LOVE von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht. Diese Ausgabe wird im Rahmen einer Lizenzvereinbarung ermöglicht, die von Amazon Publishing, www.apub.com, in Zusammenarbeit mit der Agentur Hoffmann stammt.

© 2021 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8712 Niklasdorf, Austria

Aus dem Amerikanischen von Friederike Bruhn

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © Sara Eirew

Redaktion: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903278-53-0

ISBN-EPUB: 978-3-903278-54-7

www.romance-edition.com

Für all die Mädchen,

die noch an Märchen glauben

1. Kapitel

Ich wünschte, ich könnte zaubern

Libby

Obwohl sie versucht, leise zu sein, höre ich, wie Mackenzie nach Hause kommt. Das Quietschen der Türscharniere kündigt ihr Hereinschleichen lautstark an.

Ich rolle mich im Bett herum und werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist früh, noch nicht einmal fünf Uhr morgens. Keine Ahnung, wo sie letzte Nacht gewesen ist, hier jedenfalls nicht. Selbst wenn ich sie fragen würde, in letzter Zeit weicht sie mir ständig aus, was mir tierisch auf den Zeiger geht. Ich vermisse die Zeit, in der wir einander alles erzählt haben; als meine Schwestern, Mac und Fawn, ihre Geheimnisse noch mit mir teilten. Doch seit Halloween ist nichts, wie es mal war. Seit Fawn mit ihrem Freund Levi zusammen ist, sind die Dinge anders zwischen uns. Ich weiß nicht, warum, ich kann nur sagen, dass es sich verändert hat. Mich wieder auf den Rücken drehend, schließe ich die Augen und ignoriere Mac, die ins Schlafzimmer kommt und sich durch den dunklen Raum tastet.

»Lib, bist du wach?«, flüstert sie, und ich verbeiße mir ein frustriertes Seufzen. Ich hatte schon immer Probleme damit, wieder einzuschlafen, wenn ich nachts durch irgendwas geweckt werde.

»Vielleicht«, antworte ich, ebenfalls im Flüsterton.

»Tony hatte einen Herzinfarkt.«

»Was?« Ruckartig setze ich mich auf, schalte meine Nachttischlampe ein und blinzle, weil sich meine Augen erst an die Helligkeit gewöhnen müssen.

Mein Herz zieht sich zusammen. Tony ist der Besitzer vom Tony’s, das nur wenige Blocks von unserer Wohnung entfernt ist. Als ich vor sechs Jahren für meinen weiteren Bildungsweg nach New York City gezogen bin, war seine Pizzeria das Erste, was sich ein klein wenig nach zu Hause angefühlt hat. Als ich das erste Mal dort war, hat er mich mit offenen Armen empfangen. Seitdem begrüßt er mich, als würde er mich schon mein ganzes Leben lang kennen und als wäre ich Teil seiner Familie. Er hat immer ein warmes Lächeln und eine freundliche Umarmung parat.

Das Tony’s ist zu dem Ort geworden, an den ich gehe, wenn ich etwas Zeit zum Nachdenken oder jemanden zum Reden brauche – dieser jemand ist Tonys Ehefrau, Martina, die mir unglaublich ans Herz gewachsen ist. Sie nimmt sich wirklich immer Zeit für mich, hört mir zu und gibt mir gute Ratschläge. Sie und ihr Ehemann sind zwei der nettesten Menschen, die ich je getroffen habe. In vielerlei Hinsicht erinnern sie mich an meine Eltern. Tony ist ein sehr warmherziger Mensch, und Martina ist einfach nur lieb, hat immer einen Rat auf Lager – selbst wenn man gerade keinen sucht.

»Wann ...? Geht ... Geht es ihm gut? Ist mit Martina alles in Ordnung?«

»Vor ein paar Tagen. Ihm geht es so weit gut. Er wurde operiert und Antonio meinte, dass er in Kürze mit der Reha beginnt. Martina ist bei ihm.«

Natürlich ist sie das. Martina ist immer an der Seite ihres Ehemannes; wo auch immer er ist, ist auch sie.

»Oh Gott«, flüstere ich. »Wer führt jetzt den Laden?« Wenn Tony eben erst einen Herzinfarkt hatte, kann er ihn für den Moment unmöglich leiten. Martina fällt auch weg, weil sie bei ihrem Mann ist. Und Antonio? Tja, er ist ihr einziger Sohn und hat bereits einen Vollzeitjob als Feuerwehrmann – außerdem hasst er die Pizzeria. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Pflichten seiner Eltern übernehmen möchte.

»Antonio kümmert sich seitdem um alles.«

Ich schüttle den Kopf. Martina war es, die mir auf meine Frage hin, warum ihr Sohn nicht bei ihnen arbeitet, gestand, dass Antonio die Pizzeria nicht ausstehen kann. Außerdem soll er der Überzeugung sein, dass die Arbeit dort seinen Vater langsam, aber sicher ins Grab bringe. Der Herzinfarkt seines Vaters wird an dieser Meinung schwerlich etwas ändern. Vermutlich verabscheut Antonio die Pizzeria nun noch mehr.

»Er hat eindeutig damit zu kämpfen, also werde ich versuchen, ihm zu helfen, wenn ich kann.« Mackenzies Worte reißen mich aus meinen Gedanken und ich sehe wieder zu ihr.

»Ich werde ebenfalls mitanpacken«, sage ich sofort, auch wenn das vielleicht unangenehm werden könnte. Seit drei Jahren bin ich heimlich in Antonio verknallt, er scheint mich aber nicht sonderlich zu mögen. Sobald ich in seiner Nähe bin, knurrt er mich wegen irgendwas an oder wirft mir finstere Blicke zu. Ich persönlich denke, dass er ein Idiot ist – ein überaus heißer Idiot, aber immer noch ein Idiot. Nichtsdestotrotz liegen mir seine Eltern am Herzen, und ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich nicht wenigstens versuchen würde, ihnen in dieser schwierigen Situation unter die Arme zu greifen.

»Das wird Martina definitiv zu schätzen wissen«, meint Mac, und mir fällt auf, wie müde sie wirkt und dass ihre Augen gerötet sind, als hätte sie geweint. Ich möchte fragen, was los ist, bekämpfe diesen Drang jedoch, schalte das Licht aus und lege mich wieder hin. Ich bin keine herzlose Kuh; nur habe ich mir bei dem Versuch, Mackenzie dazu zu bewegen, sich mir zu öffnen, schon den Mund fusselig geredet. Ganz egal, was ich sage oder tue, sie hält dicht.

Als Jüngste in der Familie bin ich es gewohnt, dass mich die Leute ... nun ja, wie ein Kind behandeln. Das macht es aber nicht weniger frustrierend. Ich bin dennoch eine erwachsene Frau und könnte ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn sie mich nur ließen.

Zwanzig Minuten später, begleitet von Macs Schnarchen, stehe ich auf, weil ich nicht länger schlafen kann, und mache mich fertig für die Arbeit. Sobald ich aus der Dusche komme, schlüpfe ich in meinen Bademantel und folge meiner allmorgendlichen Routine. Ich drehe mir Locken in mein dunkelbraunes Haar, ziehe die oberen Strähnen zurück und befestige sie dort mit Haarnadeln, ehe ich genug Haarspray hinaufsprühe, dass meine Frisur den Rest des Tages halten sollte. Anschließend trage ich mein Make-up auf, inklusive eines dunkelroten Lippenstiftes, bevor ich leise ins Wohnzimmer gehe, wo ich meine Klamotten aufbewahre, um mich anzuziehen.

Unsere Wohnung ist winzig; das Schlafzimmer gerade groß genug für unsere zwei Betten, Macs Kommode und den Nachttisch, den wir uns teilen. Das Wohnzimmer und die Küche sind durch eine Wand mit einer Durchreiche voneinander getrennt. Unsere Couch steht unter dieser Öffnung und unser Fernseher hängt an der gegenüberliegenden Wand über einem kleinen schwarzen TV-Schrank. Mein Kleiderschrank befindet sich dort, wo ein Esstisch Platz fände, wenn wir einen hätten. Gott sei Dank haben wir keinen, und das sage ich, weil ich leidenschaftlich gern Kleidung, Schuhe und Taschen kaufe. Deswegen steht mein Bett auch erhöht, damit ich Platz habe, meine saisonalen Klamotten in drei großen Plastiktüten darunter zu verstauen.

Nachdem ich ein wenig in meinem Schrank gewühlt habe, entscheide ich mich für eine dunkelblaue, taillenhohe Wollhose mit weitem Bein und eine Bluse in derselben Farbe, aber mit weißen Pünktchen darauf. Dazu trage ich Mary Janes im gleichen Ton mit breiten, etwa acht Zentimeter hohen Absätzen, auf denen ich in die Küche schreite. Ich mache mir eine Schale mit Frosted Flakes und esse sie an der Anrichte lehnend, während ich mit meinem Handy nach einem Blumenladen in der Nähe meiner Arbeitsstelle suche. Die leere Schale spüle ich anschließend ab aus und wische über die Anrichten, ehe ich in meinen schwarzen Wollmantel schlüpfe und meine Coach-Tasche – ein Geschenk meiner Eltern zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag – sowie meine Schlüssel schnappe. Da ich nicht in der Stimmung für eine Fahrt mit der Bahn bin, nehme ich mir ein Taxi zur Arbeit.

Kurz vor acht betrete ich den an der Madison Avenue gelegenen Beautysalon und schließe die Tür hinter mir ab. Palo, der Besitzer, wird erst in ein bis zwei Stunden hier sein, je nachdem, wie sein Terminkalender aussieht. Alle anderen kommen ebenfalls erst, kurz bevor wir öffnen. Vor zwei Monaten hat Palo mich zur Assistent Managerin befördert und jetzt ist es mein Job, morgens alles vorzubereiten; dazu gehört, die Waxing-Utensilien bereitzustellen, sicherzugehen, dass alle Produkte aufgefüllt sind, und die Reinigungsleute reinzulassen. Palos Salon ist einer der bestbewerteten in der Stadt und das nicht nur, weil hier einige der talentiertesten Leute unserer Branche arbeiten, sondern auch, weil der ganze Laden unglaublichen Luxus ausstrahlt. Noch ehe man den Salon betritt, weiß man, dass man einen erstklassigen Service geboten bekommt ... Allein schon wegen der Lage an der Madison Avenue. Er besticht auch durch die offene Gestaltung, wodurch die Kundinnen von den schwarzen Ledersofas im Eingangsbereich aus dabei zusehen können, wie andere ihre Haare und ihr Make-up gemacht bekommen.

 

Für den Make-up-Bereich bin ich zuständig, daneben gibt es noch sechs Stylingbereiche. Alle sind mit weißen Lederstühlen ausgestattet, die vor gläsernen Wandregalen und einer Reihe schwarz gerahmter Standspiegel stehen. An den Wänden hängen keine Gemälde. Wer braucht schon Kunstwerke, wenn man selbst welche erschafft? Das ist zumindest Palos Motto. Ich wiederum fände es toll, hier und da ein paar Farbakzente zu haben.

Gleich nach meinem Abschluss an der Aveda – die meiner Meinung nach eine der besten Kosmetikschulen der Welt ist – habe ich bei Palo angefangen. Das war vor drei Jahren. Eigentlich war es mein Ziel, als Theatervisagistin am Broadway zu arbeiten oder bei einer der Morgenshows, die in New York City aufgezeichnet werden. Doch seit ich hier im Beautysalon angefangen habe, habe ich nicht einmal versucht, einen meiner beiden Träume in die Tat umzusetzen; ehrlich gesagt, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich den Rest meines Lebens Make-up und Haare machen möchte. Lange war ich davon überzeugt, es ewig zu lieben, Stylistin zu sein, weil ich mich supergern mit Make-up und Haaren beschäftige. Aber jetzt ... jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich mag meinen Job. Ich bin gut darin, verdiene gutes Geld und habe im Laufe der Zeit einige tolle Freundschaften geschlossen, aber ich fühle mich nicht mehr erfüllt. Irgendetwas vermisse ich, habe aber zu viel Angst, herauszufinden, was es ist.

Diese deprimierende Erkenntnis beiseiteschiebend, gehe ich über den Marmorboden ins Büro, ziehe meinen Mantel aus und verstaue meine Handtasche, ehe ich mich einstemple und an die Arbeit mache.


Neun Stunden später habe ich müde Füße, mir tut mein Kopf weh wegen der Haarprodukte, die ich den ganzen Tag eingeatmet habe, und mir knurrt der Magen, weil ich noch keine Zeit hatte, etwas zu essen.

Das Krankenhaus betretend, versuche ich mich darauf zu konzentrieren, eine Nachricht an Fawn zu verfassen, um unser Treffen nachher zu bestätigen. Meine Schwestern und ich wollen zu einer Kunstausstellung in SoHo, wo eines der Werke von einem ihrer Freunde ausgestellt wird. Nicht gerade etwas, worauf ich mich nach einem so langen Tag freue, aber ich vermisse die zwei. Wieder einmal Zeit mit ihnen verbringen zu können, ist dieses kleine Übel wert.

Ich nehme den Aufzug in die dritte Etage und folge der Wegbeschreibung, die mir die Rezeptionistin am Empfang genannt hat. Bei jedem Schritt klackern meine Absätze auf dem Boden und das Geräusch wird von den Wänden des Gangs widergehallt. Die richtige Zimmernummer suchend, rücke ich meine Handtasche auf meiner Schulter und den großen Blumenstrauß aus Lilien und Rosen in meinem Arm zurecht, bis ich schließlich endlich die richtige Tür finde. Noch einmal nestle ich an dem Strauß, ehe ich nach der Türklinke greife. Doch just in diesem Moment schwingt die Tür auf. Über die Blumen hinweg blicke ich in ein vertrautes Paar brauner Augen. Mein Herz beginnt sofort zu rasen.

»Prinzessin«, begrüßt mich Antonio, die Stimme rau und sein Spitzname für mich dämlich wie eh und je. Ganz nah an mich herantretend, zwingt er mich, ein Stück zurückzuweichen, um mich nicht an seinen Körper gepresst wiederzufinden – etwas, wovon ich absolut nicht heimlich träume.

Als ich ein paar Schritte zurück in den Korridor gemacht habe, schließt er die Zimmertür hinter sich. Mit verschränkten Armen baut er sich vor mir auf, und ich senke die Blumen ein kleines Stück, damit ich ihn ansehen kann. Nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, ihm mittels magischer Kräfte ein groteskes Aussehen verpassen zu können. Doch leider fehlen mir solche Fähigkeiten, wodurch er weiterhin unverschämt gut aussieht. Und natürlich jedes Mal, wenn ich ihn sehe, noch einen Deut besser als zuvor. Sein dunkles Haar ist leger gestylt und wirkt, als wäre er eben erst mit den Fingern hindurchgefahren, und sein olivfarbener Teint ist nicht das Ergebnis sonnengeküsster Haut, sondern ein Geschenk des italienischen Bluts, das in seinen Adern fließt. Zudem sehen seine Wangenknochen wie gemeißelt aus, er hat ein markantes Kinn, volle Lippen und dunkle Augen, die von einem dichten Wimpernkranz umrahmt werden. Und zu guter Letzt wäre da noch sein Körper – groß, schlank und muskulös. Ich hasse ihn ... zumindest wünschte ich, ihn zu hassen.

»Dad darf keine Blumen bekommen«, sagt Antonio mit Blick auf den Strauß in meinen Armen.

Mein Magen rutscht mir in die Kniekehlen. »W-was?«

»Er darf keine Blumen bekommen. Er wurde gerade erst operiert und die Ärzte wollen nicht, dass er welche im Zimmer hat.«

»Oh.« Ich sehe von ihm zu den Blüten und Enttäuschung macht sich in mir breit. Ich hätte fragen sollen, bevor ich sie gekauft habe, aber ich dachte, dass jeder, der in einem kalten, sterilen Krankenhaus liegt, einen solchen Strauß verdient hat. »Ich ...«

»Ich nehme sie mit nach Hause«, unterbricht er mich. Ein Hauch von Bedauern scheint für einen Moment in seinen Augen aufzublitzen. Aber ich weiß, dass ich mir das nur einbilde. Er ist nie, aber auch wirklich niemals nett zu mir. Warum sollte es ihm also jetzt leidtun, dass er unfreundlich war? »Mom wird sich über den Strauß freuen, wenn sie nach Hause kommt.«

Er hat recht. Martina liebt Blumen jeder Art. Das weiß ich, weil ihr Haus zwar keinen großen Garten hat, sie aber jedes Frühjahr die Hängekästen vor ihren Fenstern und die großen Terrakottatöpfe vor der Haustür bepflanzt. Sogar vor der Pizzeria hat sie große Tongefäße aufgestellt, ganz in der Nähe der Straße, in denen in anderen Gegenden jede Menge Müll von Passanten landen würde, aber nicht bei ihnen.

»Danke.« Ich beiße mir auf die Lippen und strecke ihm den Strauß entgegen. Sein Blick senkt sich auf meinen Mund und ein verärgerter Ausdruck tritt in seine Augen. Seine angepissten Blicke überraschen mich schon lange nicht mehr. Während ich mich nach ihm verzehre und mir wünschte, ihn nicht ausstehen zu können, ist er verdammt gut darin, mich tatsächlich zu hassen. Keine Ahnung, was ich getan habe, dass er mich so wenig leiden kann, aber es lässt sich nicht leugnen, dass ihm aber auch nichts an mir gewogen ist. Als würde er jedes meiner Haare einzeln verabscheuen.

»Gehst du nun rein und besuchst ihn?«

»Ja«, sage ich, bewege mich jedoch keinen Zentimeter. Denn Antonio wirkt müde, wenn nicht sogar erschöpft. Ich kann sehen, dass er versucht, sich zusammenzureißen und für seine Eltern stark zu sein. »Geht es dir gut?«, frage ich leise, einen Schritt auf ihn zu machend. Ohne darüber nachzudenken, berühre ich seinen Oberarm. Sein Blick wandert zu meinen Fingern, ehe er mir wieder in die Augen sieht. Als ich den Ausdruck in ihnen entdecke, lasse ich rasch meine Hand sinken und bereite mich innerlich auf das vor, was er gleich sagen wird. Zum Glück, denn seine nächsten Worte fühlen sich an wie ein Schlag in die Magengrube.

»Mein Dad hatte einen Herzinfarkt, er wurde operiert, er kann nicht arbeiten, ich muss die Pizzeria schmeißen und meine Mom ist völlig durch den Wind. Wie soll es mir da deiner Meinung nach gehen?«, erwidert er aufgebracht.

Ich trete einen Schritt zurück und atme einmal tief durch, damit ich nicht etwas Dummes mache, wie vor ihm zu weinen.

»Warum«, ich atme noch einmal tief durch die Nase ein und kämpfe gegen das Brennen der aufsteigenden Tränen an, »bist du immer so ein Arsch zu mir?« Als er den Mund zur Antwort öffnet, halte ich eine Hand hoch. »Vergiss es. Ist egal.« Ich drehe mich von ihm weg, umfasse die Klinke und drücke sie hinunter. Dann betrete ich, ohne zu klopfen, das Krankenzimmer und lasse die Tür hinter mir leise ins Schloss fallen.

Bei dem Anblick, der sich mir bietet, zieht sich mein Magen zusammen. Tony liegt schlafend in seinem Krankenhausbett und sieht bleich und ausgemergelt aus. Martina sitzt neben seinem Bett, hält mit gesenktem Kopf seine Hand, die Augen geschlossen. Die beiden so zu sehen, zerreißt mir fast das Herz.

»Cara.«

Martinas Stimme reißt mich aus meiner Starre und ich sehe sie an. »Hi«, begrüße ich sie, berühre ihre Schulter und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.

»Cara«, wiederholt sie das italienische Wort für Schatz, und meine Augen fangen wieder an zu brennen. Der Schmerz in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

»Wie geht es dir?«, frage ich und richte mich wieder auf, um sie anzusehen.

Sie schließt die Augen und schüttelt den Kopf. Dann wandert ihr Blick zu Tony, der immer noch schläft.

»Die Ärzte sagen, er wird wieder, von daher halte ich durch.«

Ein schmerzhafter Stich durchfährt meine Brust. Ohne jeden Zweifel liebt sie ihren Mann, und zwar auf eine Weise, dass sein Tod – Gott bewahre! – auch den ihren bedeuten würde. So stark ist ihre Liebe. Ich denke nicht, dass einer der beiden ohne den anderen überleben würde. Unter keinen Umständen.

»Ich wäre schon früher gekommen, aber Mackenzie hat mir erst heute Morgen erzählt, was passiert ist.«

Ein tiefes Seufzen, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Ich ...« Sie atmet zittrig ein und aus, während sich ihre Augen mit Tränen füllen. »Seit er mir erzählte, dass seine Brust schmerzt, und ich ihn zwang, ins Krankenhaus zu fahren, habe ich an nichts anderes mehr gedacht. Tut mir leid, dass ich dich angerufen habe.«

»Bitte entschuldige dich nicht«, flüstere ich, und sie senkt wieder die Lider. Eine einzelne Träne kullert ihre blasse Wange hinab. »Alles wird wieder gut werden.« Ich setze mich auf den leeren Stuhl neben ihrem.

»Ich weiß, cara, aber ich mache mir nicht nur Sorgen um Tony, sondern auch um Antonio. Er arbeitet wie ein Wahnsinniger, um alles am Laufen zu halten, und geht gleichzeitig noch seinem Job als Feuerwehrmann nach. Das ist zu viel für einen Menschen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Er kommt klar, solange es dir und Tony gut geht«, versichere ich ihr und drücke ihre Finger. »Außerdem habe ich heute meine Arbeitszeiten im Salon so arrangiert, dass ich abends für ein paar Stunden in der Pizzeria mit anpacken kann. Und Mackenzie möchte ebenfalls helfen.«

»Du bist ein gutes Mädchen.« Sie bedeckt meine Hand mit ihrer und drückt sie. »Eines Tages wird Antonio die Augen aufmachen und das ebenfalls erkennen.«

Ihre Aussage überrascht mich nicht. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, dass ihr Sohn und ich zusammengehören. Ich habe ihr jedoch immer gesagt, dass das nicht passieren würde, während ich gleichzeitig das Gegenteil erhoffte. Aber im Moment ist dieser Wunsch in den Hintergrund gerückt.

»Du sieht heute sehr hübsch aus. Hast du irgendwas Schönes gemacht?«

»Nur gearbeitet.«

»Du arbeitest zu viel.« Eine raue, leise Stimme sagt diese Worte und mein Blick fliegt förmlich zum Bett hinüber. Tony ist wach und sieht mich an.

»Hi.« Ich stehe auf und gehe auf die andere Seite des Betts, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. »Wie geht es dir?«

Er verdreht die Augen. »Es geht mir gut. Ich wünschte nur, dass alle aufhören würden, sich so viele Sorgen zu machen.«

Ich lächle ihn liebevoll an.

»Er will hier raus«, wirft Martina ein. »Die ganze Zeit beschwert er sich darüber, wie viele Untersuchungen die Ärzte durchführen lassen, wie viele Medikamente sie ihm verabreichen und wie lange er noch hier sein muss.«

»Ich sollte das Krankenhaus verlassen dürfen, wenn ich das möchte«, grummelt er.

»Ich denke, die Ärzte wissen, was sie tun. Vielleicht solltest du auf sie hören«, schlage ich vor.

Er presst die Lippen zu einem Strich zusammen. »Sie wollen, dass ich in irgendeiner schicken Einrichtung am Arsch der Welt eine Reha mache. Dafür habe ich keine Zeit. Ich habe eine Pizzeria zu leiten.«

»Du wirst diese Reha machen«, entgegnet Martina bestimmt. Tony sieht sie an. »Wenn die Ärzte sagen, dass du sie machen musst, dann wirst du sie auch machen. Ende der Diskussion.« Sie wedelt mit der Hand in der Luft herum, und er seufzt.

»Ein Mann sollte seine eigenen Entscheidungen treffen dürfen.«

»Wie wäre es, wenn du dich stattdessen darauf konzentrierst, wieder gesund zu werden?«, greife ich in einem ruhigen Ton ein, um die Situation etwas zu entschärfen. Aufregung ist für ihn mindestens genauso schlecht wie Blumen.

»Ich glaube nicht, dass ich in dieser Angelegenheit eine andere Wahl habe.«

»Ich denke, da hast du recht.« Ich verbeiße mir ein Lachen, als er seiner Frau einen finsteren Blick zuwirft.

 

Ja, Tony und Martina lieben sich – aber sie zanken sich auch ständig, davon kann ich mittlerweile ein Lied singen.

Als ein Klopfen ertönt, drehe ich mich zur Tür. Ein Mann in einer dunkelblauen Krankenhausuniform kommt herein, einen Rollstuhl vor sich herschiebend. Er begrüßt uns mit einem Lächeln.

»Ich bin hier, um sie zu Ihrer Sonografie zu bringen, Mr Moretti.«

»Na toll, noch mehr Untersuchungen«, brummelt Tony, ehe er sich noch mal an mich wendet. »Danke, dass du hergekommen bist.«

»Jederzeit.« Ich drücke ihm noch einen Kuss auf die Wange und gehe dann zu Martina hinüber, die sich inzwischen am Bettende positioniert hat, um sie zu umarmen.

Als ich mich von ihr lösen will, drückt sie mich enger an sich und flüstert mir ins Ohr: »Pass für mich auf Antonio auf.«

Ich nicke und umarme sie noch fester. »Ich komme bald wieder zu Besuch. Ihr habt ja meine Nummer. Lasst mich wissen, wenn ihr irgendwas brauchen solltet.«

»Mache ich, cara«, gibt sie zurück und lässt mich los.

Einen letzten Blick über meine Schulter werfend, winke ich ihnen zum Abschied und verlasse den Raum. Ich frage mich, wie schwierig es werden wird, mein Versprechen gegenüber Martina zu halten.