Arthur Schurig
Tristan und Isolde
Die Geschichte jenes berühmten Liebespaares, dessen Schicksal bis in den Tod durch einen Zaubertrank bestimmt wird.
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Anhänge
Impressum neobooks
Der Roman von Tristan und Isolde
In der bretonischen Urgestalt erneuert von
Arthur Schurig
Alfred und Gertrud Vogel
Lieben Freunden
Vernehmt, Damen und ritterliche Herren, die älteste Liebesmar des Abendlandes,
gesponnen um die Namen Tristan und Isolde. Wer kennte sie nicht von Jugend auf? Ein
Bretone hat ihr Schicksal zuerst besungen, vor nun tausend Jahren. Sie haben leibhaft
gelebt, die beiden herrlichen Gestalten, Kelte er, Germanin sie, drei Jahrhunderte ehe der
Sänger sie erhob zur Unsterblichkeit. Ihnen wie allen großen Liebenden ward die Lust
verklärt vom Leid, das Leid durchsonnt von Lust. Trennung war das Los ihres
Erdenganges, Geheimnis der Dämon ihrer Schuld. Früher Tod am gleichen Tage einte sie
ewiglich. In immer sich wandelnder Form schreitet das göttliche Paar durch die Nachwelt,
Wagenden zum Vorbild, Siegenden zur Labung, Geschlagenen zum Trost.
In grauen Zeiten herrschte im Herzogtum Leonnois, im Nordwesten von Aremorika – so
hieß die Bretagne unter dem trotz aller Großartigkeit untergegangenen Römischen
Imperium – ein streitbarer junger Fürst, König Riwal. Seiner keltischen Vorväter einer war
aus Britannia über das Meer gekommen, verdrängt von den dort immer stärker
eindringenden Sachsen, wohl aus dem Lande der Pikten, die im nordöstlichen Zipfel des
späteren Schottlands wohnten. Über den Granitklippen des Festlandes hatte er das Kastell
Kanohel erbaut, die älteste Burg auf der bretonischen Halbinsel, fortan der Sitz der Herren
von Leonnois. Das war nun mehrere Jahrhunderte her, in welchem Zeitlaufe ganz Europa
schweres Schicksal erduldete. Die Völker waren in Bewegung. Sie schwärmten heran aus
unbekannten Fernen, vergewaltigten
die Ureinwohner, raubten, mordeten, brannten Höfe und Häuser nieder, um im eroberten
Gebiete zu verbleiben oder zumeist ruhelos weiter zu wandern.
Menschenarm waren alle Lande und arm die Menschen. Auch in den drei oder vier
Herzogtümern der Bretagne, ehedem friedvollen glücklichen Gauen, machte es längst
kaum mehr Freude zu leben. Schwermut lag über den Weiden und Wäldern ebenso wie auf
den Mienen der Leute. Rauh war deren Tun und Denken geworden. Wer Herr war, mußte
stark und gewaltsam sein, und wer Knecht, stark und duldsam. Keiner griff zaghaft zu, und
niemand ward zart behandelt. Aller Herzen waren steinhart, wie der bretonische Boden,
und, wenn sie erglühten, heiß und überheiß, und ihr Schlag vernehmlich. Mitleid kannten
sie nicht, wohl aber Haß, Leidenschaft und Treue.
Die Bauern blieben ihren Fürsten und Führern ergeben, denn wenn diese auch
ursprünglich fremde Gewalthaber gewesen, so waren sie ihnen doch tapfere Verteidiger
wider die räuberischen Seefahrer, die immer wieder vor den felsigen Küsten erschienen,
um mehr oder minder weit ins Land einzufallen.
In den letzten hundert Jahren waren es jene verwegenen Nordmänner, die Wikinger, die
am Ostgestade der Grünen Insel, Irland genannt, eine Reihe von Reichen gegründet hatten,
das mächtigste mit seinem Königssitz in der festen Stadt Dowelin. Jahr um Jahr wagten sie
von dort in ihren flinken Langschiffen kühne Fahrten nach dem Festlande, aus zielloser
Lust am Abenteuer, aus Drang nach Eroberungen, aus Gier nach fremdländischen jungen
Weibern, schließlich aus gemeinem Durst nach Gold und allerlei Dingen, die sie für
kostbar schätzten.
Schon das armselige Land Leonnois litt unter diesen schrecklichen Germanen; hundertmal
mehr zu fürchten hatte das reichere Herzogtum Cornouaille, das im Osten an König Riwals
Gebiet grenzte. Man konnte von einem Herzogtum ins andre sowohl zu Schiff, an der
Felsenküste hin, wie zu Fuß oder zu Pferd über die Waldberge gelangen.
In Cornouaille herrschte König Marke. Seine weithin berühmte Burg, ehedem ein
Römerkastell, hieß Tintagol. Hoch ragte sie über Hügel und Haide, sechs Wegstunden
landeinwärts, an einem kleinen Flusse. Wo dieser in eine lange schmale Bucht des Meeres
strömte, ein wenig unterhalb der Stadt und Burg Dinan, da war der Haupthafen des kleinen
Reiches. Im Wechsel des Krieges hatten die Cornouailler das Mißgeschick, den Wikingern
zinspflichtig zu werden. Seitdem holte sich der
Feind alle Jahre den Tribut: Reichtümer, Sklaven und Jungfrauen. Wohl versuchte man
jedesmal, sich der Schmach zu wehren. Vergebens. Die Übermacht war zu groß.
Da verschworen sich die beiden Nachbarn zu einem Bunde, und im kommenden Frühjahr, ehe
der böse Feind erschien und eindrang, sandte König Marke hinüber nach Kanohel und rief den
Herzog von Leonnois zur gemeinsamen Abwehr.
Riwal brach alsbald auf mit den Rittern seines Landes und einem stattlichen Gefolge von
Mannen. In Tintagol auf das Beste empfangen, vergnügte sich Edelmann wie Knecht bei
Wettspiel, Sang und Becherklang, bis die Kunde vom Nahen der in aller Welt gefürchteten
Wikingerschiffe einlief. Da ergriff man die Waffen und zog unter König Markes
wehendem Banner nach Dinan. Gar schwer fiel Herrn Riwal der Abschied
von Tintagol, denn die schöne Blankeflor, die älteste von des Königs beiden Schwestern,
hatte es ihm angetan.
In der Schlacht gewannen die Bretonen den Sieg, aber im Zweikampf mit dem Führer der
Wikinger, dem Herzog Morold, einem weitberühmten Kämpfer und Seefahrer, dem Sohne des
Königs von Dowelin, trug Riwal von Leonnois eine schlimme Lanzenwunde davon.
Blankeflor pflegte den Helden, dessen junges Blut für Cornouaille geflossen. Ohne Bedenken
hätte sie ihr eigenes Leben gelassen, wäre ihm dafür Genesung geworden.
Eines Abends, als Blankeflor sorglich an Riwals Lager saß, dünkte es sie, ihm weiche das
Fieber. Überglücklich beugte sie sich über den Erwachenden und küßte ihn auf die Stirn. Da
zog Riwal die Geliebte an sich und machte sie zur Seinen. In der Nacht mußte er sterben.
Und auch Blankeflor starb, als sie Riwals Sohne das Leben gab.
Ehe Herr Riwal nach Tintagol in den Krieg zog, da hatte er sein geliebtes Land seinem
Seneschall anvertraut, dem Grafen Rual, einem alten Edelmanne, dem sein streitbares
Leben neben Würden und Zipperlein den Beinamen
der Treue
verliehen hatte.
Ihm und seiner ebenso trefflichen Frau Floräte brachte die Amme Riwals kleinen Sohn. Dies
geschah sonderbar heimlich, und das kluge Ehepaar vermeinte in diesem Umstand einen Wink
des Schicksals erblicken zu sollen. Abergläubisch sind die Bretonen wie bekannt seid
uraltersher.
Rual und seine Frau beschlossen, des Knaben Herkunft zunächst niemandem zu verraten.
Sie gaben ihn für ein verwaistes Schwesterkind aus, und man glaubte es ihnen, denn in
jenen endlosen
Kriegszeiten hatten die Leute wahrlich andre Sorgen als sich um einen Jungen zu
kümmern, der nun einmal da war. Er bekam den Namen Tristan, den sein Urgroßvater und
vor ihm schon manch andrer seiner Ahnherren mit Ehr und Ruhm getragen hatten.
Wie weise Rual gehandelt, zeigte sich bald. Ein Jahr nach Tristans Ankunft fiel Herzog
Morold auf neuer Fahrt beutelustig in den Gau von Leonnois ein. Widerstand wäre vergeblich
gewesen, denn es waren am Strand von Cornouaille zu viele der Besten unter dem hohen
Heldenhügel verblieben. Darum, wenn auch schweren Herzens, schloß der Seneschall
Waffenstillstand mit dem Normannenfürsten und fügte sich seiner Oberherrschaft.
Hätte Morold gewußt, daß unter Ruals drei Knaben, denen er leutselig auf die braunen
Locken klopfte, einer der Sohn Riwals war, so hätte
er ihn kalten Herzens als den rechtmäßigen Erben des Landes umbringen lassen. Man
verfuhr nicht anders in jener harten Zeit.
Wie Tristan sieben Jahre alt war, schaute sich der Graf Rual, den der Eroberer als Verweser
von Leonnois belassen hatte, unter den Baronen des Landes nach einem guten Hofmeister für
den wohlgeratenen Knaben um. Er selber dünkte sich so schwerem Amte nicht mehr
gewachsen. Helden, so meinte er, müssen von jungen, nicht von alten Männern erzogen
werden.
Seine bedachtsame Wahl fiel auf den Herrn Kurwenal als einen Meister aller ritterlichen
Künste. Ihn ernannte er zum Guvernator des künftigen Fürsten, wobei er ihm das Geheimnis
seiner Geburt anvertraute.
Kurwenal war ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein echter Bretone, von tapferem Sinn und
tiefem Gemüt, schwer zugänglich, dafür umso beharrlicher, dreimal älter als sein Zögling.
Er hatte lange Zeit die Welt durchfahren, manches Herrn Land kennengelernt und die
Sprache dreier Völker zu der seiner Heimat hinzugelernt. Sieben Jahre hatte er zu Paris am
fränkischen Königshofe verweilt. Dort war es vor allem, wo er sich die waschechte
Urbanität des guten Europäers erworben hatte.
Aber nicht nur als Hofmann war Kurwenal Muster und Meister. Er war ebenso erfahren im
Gebrauch von Schwert und Lanze. Einen Reiter und Waidmann kannte man nicht seines
gleichen. Und in den schönen Wissenschaften, in der edlen Musika wie im gelehrten
Schachspiel galt er mit Fug und Recht für wohlbeschlagen.
Zur Stunde, da er vom Seneschall die wichtigste Aufgabe des Vaterlandes empfing,
gelobte er dem
jungen Fürsten insgeheim Treue bis in den Tod und weihte ihm sein ganzes Leben.
Feierlich bot er dem Knaben die Rechte, und Tristan umarmte ihn in namenloser Freude;
er hatte ihn so oft als hochgemuten Mann preisen hören. Vom ersten Augenblick an liebte
er die wunderbar klugen klaren Augen seines älteren Freundes.
Unter Kurwenals Vorbild wuchs Tristan von Leonnois zu einem wahren Ritter heran. Wie im
Spiel erlernte er alles, was ihm sein Hofmeister als gut, schön und edel lobte, und er kannte
kein anderes Streben als dies: seinem Führer zu gleichen.
Wie er sechzehn Jahre alt war, da sprach er eines Tages zu Kurwenal:
Herr Kurwenal, mich drängt mein Sinn, erprobt zu werden in der weiten Welt, von der Ihr
mir so viel Herrliches und Erhabenes erzählt. Nicht länger möchte ich damit warten.
Das Leben eines Mannes, so sagt Ihr oft, ist kürzer denn er denkt. Ich will das meine nicht
unnütz verfliegen lassen. Was vollbringe ich hier? Keiner außer Euch und meinem
Pflegevater weiß, wer ich in Wahrheit bin. Ihr meint, es sei gut so. Aber wenn ich einmal
als berühmter Ritter zurückkehre, dann sollen es alle wissen.
Kurwenal lachte.
Lieber junger Freund, sagte er, du hast es eilig, ein Mann und ein berühmter Mann zu werden.
Und um was im besten Falle? Weißt du nicht, daß sich in die große Welt begeben, Kämpfer
werden heißt? Daß wir da draußen jede Lust mit dreimal so vielem Leid bezahlen müssen?
Daß wir nimmermehr eine so friedsame Heimat wiederfinden?
Bin ich nicht heimatlos geboren? fragte Tristan versonnen.
Wohlan, sprach Kurwenal, wir wollen zuvörderst deinem Oheim, dem König Marke von
Cornouaille, in seiner Burg Tintagol den ihm geziemenden Besuch abstatten. So lange es
dir gefällt, verweilen wir bei ihm. Du wirst dort manches dir Neue sehen und lernen.
Wie Herr Rual und Frau Floräte von Tristans Weltsehnsucht vernahmen, waren sie gar traurig,
denn ihr Pflegekind war ihnen ans Herz gewachsen gleich wie ihre eigenen beiden Söhne; aber
sie sahen ein, daß es wohl sein müsse.
Und so sagte der alte Seneschall: Lieber Sohn und Freund, gern und ungern erfülle ich dir
deinen Wunsch. Zieh hin und erfülle dein ritterlich Schicksal! Bringe deinem edlen Vater
droben in Walhall und unserm teuren Vaterlande Ruhm und Ehre! Erkämpfe uns die alte
Freiheit! Räche König Riwals Tod! Dein hoher Sinn wird dich zum Helden machen.
Er befahl seinem Schaffner, die Reise bestens vorzubereiten. Zwei junge Edelleute und
fünf Knappen wurden ausgesucht, daß sie mitfahren sollten. Gold und Silber ward auf ein
Maultier geladen; auf ein anderes reiche Gewänder, Leinenzeug und Gastgeschenke. Und
zwei der schönsten Pferde wurden ausgerüstet.
Als sich Tristan und Kurwenal vom Seneschall und vom Hofe verabschiedeten, da reichte
Herr Rual dem jungen Weltfahrer das alte Feldschwert Riwals und sprach:
Führe es und hüte es und sei immer ein Ritter!
Herrn Kurwenal aber händigte Rual einen goldenen Fingerreif mit einem Rubin ein.
Blankeflor hatte ihn dereinst getragen.
Sodann fuhr die Schar aus dem Hafen um die sieben Felseninseln nach Cornouaille.
Bei der Einfahrt in die tiefe Bucht von Dinan
bat Tristan seinen Hofmeister: Herr Ritter, ich bitte Euch, haltet an König Markes Hof
geheim, welcher Herkunft ich bin, bis die Umstände meine Offenbarung erheischen!
Kurwenal willigte ein.
Bisher entschlossen, vor der Burg Dinan zu landen, ließ er nunmehr das Schiff zwei
Wegstunden weit vorher linker Hand in den Sand laufen. Tristan und Kurwenal samt einem
Knappen stiegen aus, schlichte Jägertracht angetan. Die Übrigen fuhren gemächlich weiter,
mit dem Befehl, regelrecht im Hafen die Reise zu vollenden und daselbst des Weiteren zu
warten.
Wie die drei zu Fuß landein wanderten, auf einem einsamen Wege durch hohen tiefen Wald,
hörten sie plötzlich Hörnerklang und Jagdgeschrei.
Tristans Jägerherz begann zu klopfen.
Und siehe! Von der einen Seite her, wo eine schmale Blöße den Wald unterbrach, sprang
ein
prächtiger Zwölfender auf den Weg und brach erschöpft zusammen. Zwölf braun und
weiße Bracken hingen ihm am Halse wie eine schwere Traube. Weiß vom Schweiße
glänzte dem zu Tod gehetzten Tiere das nasse Fell.
Mit Hallo und Halli kam das Feld der Jäger angaloppiert.
Alle Reiter schwangen sich behend aus den Sätteln. Die Hörner der nachkommenden Knechte
ertönten.
Alsbald durchschnitt der Jägermeister dem Hirsch die Kehle.
Verwundert sah Tristan, daß er wie ein Barbar verfuhr. Er hatte von Kurwenal den fränkischen
Waidmannsbrauch erlernt.
Indem er unter die Jäger trat, die im Kreise um die Jagdbeute standen, rief er dem
Jägermeister, der sich anschickte, den toten Hirsch mit seinem Dolche zu zerstückeln, laut zu:
Was tut Ihr, Herr Jägermeister? Ist es hierzulande Brauch, ein edel Stück Wild wie ein
Schwein zu schlachten?
Macht Ihr es anders? fragte der Andere und hielt ein in seinem Handwerk. Ich will den Kopf
dieses Hirsches abschneiden. Sodann zieh ich ihm die Haut ab und teile ihn der Länge nach in
zwei Teile, und jeden Teil der Breite nach abermals in zwei Teile. Jedes Viertel muß das
gleiche Gewicht haben. Mehr erfordert mein Amt nicht.
Es mag sein, hub Tristan von neuem an, daß Ihr damit Eures Landes Brauch erfüllt. Wir sind
andre Art gewöhnt.
Ich lerne gern, meinte der Jägermeister in behaglicher Jagdlaune. Zeigt uns Eure Art!
Tristan streifte die Ärmel seines Rockes auf, zog seinen Hirschfänger, kniete nieder und
enthäutete den Hirsch. Alsdann zerlegte er das Tier fein und säuberlich.
Bald lagen die Kleinteile, der Ziemer, die Keulen, die Vorderblätter, die Rippenstücke und
so weiter auf dem Rasen.
Zuletzt bereitete er das Curée, indem er Lunge, Milz und Gescheide in kleine Stücke schnitt,
und warf es der schwanzwedelnden Meute mit fröhlichem Rufe zu.
Die Jagdgesellschaft fand kaum Worte genug des Lobes, und der vornehmste der Jäger, ein
rüstiger Sechziger, der Seneschall Tynas von Dinan, fragte den jungen Fremdling, der sein
Wohlgefallen gewonnen hatte: Gestattet mir zu fragen! Wer seid Ihr, junger Herr? Aus
welchem Lande kommt Ihr? Wo habt Ihr Eure höfische Kunst erlernt? Nennt mir Euren
Namen und Eure Heimat!
Und freundschaftlich bot er ihm die Rechte.
Tristan heiße ich, erwiderte Tristan. Eine Heimat ward mir nicht zuteil. Will ein Spielmann
werden, der seine Fahrt unterbricht, wo er liebe Leute findet. Und was ich Euch gezeigt,
das lernte ich von meinem Meister, Herrn Kurwenal.
Beide wurden ritterlich bewillkommt.
Reitet mit uns zum Herrn dieses Landes, zu König Marke! Ich bin sein Seneschall. Kommt
und seid seine Gäste! Folgt uns nach Schloß Tintagol! Zwei gute Pferde stehn Euch bereit.
Eure Einladung nehmen wir frohen Herzens an, erwiderte Tristan. Aber zuvor gestattet uns,
daß wir den Jagdzug ordnen, damit er Eures Königs würdig sei.
Er ließ sich Gabeln aus Baumästen schneiden, und jeder Jäger hatte ein Stück der Beute zu
tragen, der eine den Kopf, der andere den Ziemer, ein dritter die Lenden und so fort.
In Rotten zu zweit stellte sich der Zug auf. Zuletzt brach Tristan einen Zweig von einer
alten Eiche und reichte jedem Jäger grünes
Laub. Alle saßen auf und ritten an, die hornblasenden Hundsmänner unter dem Geläut der
lustigen Meute vorweg.
Nach zwei Stunden munteren Trabes erblickte man in der Ferne einen trotzigen Turm, und
alsbald leuchtete den beiden Fremdlingen vom Hang eines waldigen Hügels, hoch über
lachenden Wiesen und Weiden, die berühmte Burg Tintagol entgegen, der Königssitz des
Reiches Cornouaille.
Das ist Tintagol! ließ sich Tristan vom Seneschall berichten. Die ältesten Gebäude des
Schlosses haben zu Cäsars Zeit schon gestanden, und das Herrenhaus birgt Dinge, wie
man sie in keinem Schlosse findet: Wasserläufe, Marmorbäder und Heizröhren, steinerne
Teppiche und Riesenkrüge, und in der Halle werdet Ihr ein prächtiges Bildnis des Kaisers
Mark Aurel finden, aus zweierlei edlem Gestein! Die Stürme
der Zeit sind an diesem glücklichen Winkel vorübergejagt. Hinter der Burg, dort, wo die
alten hohen Wipfel sich wiegen, da ist des Königs Baumgarten, ein köstlicher Ort. Da wird
es Euch gar wohl gefallen.
Tintagol! jubelte der junge Weltfahrer bei sich. Tintagol, Haus meiner Mutter, sei mir gegrüßt!
Tintagol, birg mir mein Glück!
Tristan schwenkte seine Jagdmütze. Keiner außer Kurwenal ahnte den Grund seiner großen
Freude.
Wie der Zug näher kam, gliederte sich die stattliche Burg. Tristan bestaunte die gewaltigen
Umrisse der Wälle, Basteien, Türme und Häuser. Bald erkannte er auch das starke Tor, die
langen weißen Zinnen, das breite hohe Königshaus, merkwürdig bemalt, schachbrettartig,
die Felder blau und grün. Tristan hatte derlei noch nie gesehen. Ebenso farbenfroh hob
sich
hoch darüber das Ziegeldach. Man ward heiter, sah man alle die bunten Dinge.
Kurz vor der Brücke ließ Tynas die Hörner blasen. Das Burgtor öffnete sich. Die Reiterschar
zog feierlich und wohlgeordnet im Schritt ein. So hatte Herr Kurwenal es angeordnet.
Im Schloßhof unter dem Kreise von fünf alten Linden stand König Marke, der Herrscher von
Cornouaille, ein stattlicher Herr von dreiundfünfzig Jahren. Der Turmwart hatte ihm die
Rückkehr der Jagdgesellschaft vermeldet.
Er stand da und staunte.
Wie die Hunnen waren seine Ritter sonst durch die Tore in den Hof gestürmt. Woher die artige
Wandlung?
Aha, meinte er beim Anblick von Tristan und Kurwenal, zwei fremde Herren haben das
Wunder vollbracht. Betrachten wir sie uns näher!
Schon begann der alte Seneschall dem Könige von der Begegnung mit den Fremdlingen zu
erzählen und den Aufzug der Jäger zu erläutern. Marke lobte das geschickt zerlegte
Wildbret. Mehr noch gefiel ihm der fremde junge Waidmann.
Er hatte ein halbes Dutzend Edelleute um sich, junge und alte; auch ein Neffe, Herzog Audret,
lebte am Hofe. Marke war der reichste Fürst der Bretagne; er knauserte niemals, und oft ging
es hoch her im Schlosse Tintagol. Trotzdem fühlte sich der König einsam, und je älter er
wurde, umsomehr ward er den Anderen fremd. Er war Junggeselle geblieben; warum, das
wußte er eigentlich selber nicht.
Audret war der einzige Sohn von Markes verstorbenen jüngeren Schwester, deren Gatte
ebenfalls nicht mehr lebte. Da der Sohn der älteren Schwester Blankeflor verschollen war,
so fiel Krone und Land dereinst an Audret, der
sich daraufhin gewaltig viel einbildete, ohne daß seinen Dünkel sonstige Vorzüge
wettmachten. Der Oheim schätzte den Neffen wenig, und wenn er der Zukunft seines
Reiches gedachte, bekam er Herzdrücken. Audret eignete sich nie und nimmer zum
Thronerben. Fürstliches Tun und königliches Denken waren nicht von ihm zu erwarten.
Der Zufall fügte es, daß Audret und Tristan nebeneinander standen. Wer keinen von beiden
kannte, hätte glauben müssen, Tristan sei ein Königssohn und Audret von unbedeutender
Herkunft. Unwillkürlich verglich Marke die jungen Männer.
Er seufzte auf. Seltsame Zuneigung erwuchs in ihm. Wahlverwandtschaft zog ihn zu dem
jungen Fremdling hin, von dem er doch nichts weiter wußte als daß er einen Braten nach allen
Regeln der Kunst zu zerlegen verstand.
Er, der einsame Fürst, der seiner Umgebung als Menschenfeind, Zweifler und Sonderling
galt, bot einem hergelaufenen Knaben die sonst steife und stolze Rechte mit
unverkennbarer Huld.
Willkommen, junger Edelmann! sprach er. Meine Burg sei Euer Heim, solange Ihr Euer Glück
darin findet.
Tristan neigte sich tief vor dem König. Ein wundersam Gefühl beseligte ihn. Es war ihm, als
habe er in Tintagol endlich sein Vaterland gefunden.
Am Abend, als die Tafel aufgehoben war, ließ ein fränkischer Spielmann seine Harfe
erklingen, ein Meister seiner Kunst.
Als sein erstes Stück zu Ende war, fragte König Marke den ihm zu Füßen sitzenden Tristan:
Junger Freund, was sagt Ihr zu dieser Melodie? Gefällt sie Euch?
Tristan wandte sich an den Harfner: Meister,
Ihr habt der alten Weise ein neues schönes Kleid umgetan, der alten Weise zu dem Liede
von der Dame, die, ohne daß sie es ahnte, das Herz ihres Liebsten gegessen, des Ritters
Gralant, den ihr eifersüchtiger Gemahl auf der Jagd umgebracht hatte. Ihr habt wohlgetan,
der allbekannten alten Melodie ihre Art zu lassen. Ein Bretone hat sie ersonnen vor langen
Zeiten.
Was wißt Ihr von meiner Kunst? entgegnete der Spielmann ärgerlich. Ihr seid doch ein Kind,
kaum kundig eines Instruments.
Ein wenig spiele ich die Harfe, erwiderte Tristan, ohne seine Worte irgendwie zu betonen,
aber auch die Rotta. Gebt mir eine! Die habe ich am liebsten.
Man brachte ihm die Zupfgeige.
Tristan präludierte. Darauf sang er den bretonischen Text des Liedes von der Herzemäre.
Alle, die es hörten, waren ergriffen. Am meisten
König Marke. Wie das Lied zu Ende war, zog er den Sänger an sich und küßte ihm die
dunkelumlockte Stirn.
Gesegnet sei der Meister, der dich das gelehrt hat, zur Freude der Menschen! rief er aus. Sag
an, wer ist dein Vater? Wo ist deine Heimat? Wer sind deine Lehrer?
Tristan deutete auf Kurwenal.
Der da, mein Freund und Hofmeister, der mag Euch auf Eure Frage Rede und Antwort stehen,
König Marke!
Kurwenal hielt den Augenblick für günstig.
Schweigsam überreichte er dem Fürsten den Reif, den ihm der Seneschall auf die große Fahrt
durch die Welt mitgegeben hatte.
Marke erkannte das Kleinod. Es war der Ring seiner eigenen Mutter, eine Brautgabe seines
Vaters. Blankeflor, Markes Lieblingsschwester, hatte ihn getragen bis zu ihrem letzten
Atemzuge.
Tränen zärtlicher Erinnerung traten ihm in die Augen.
König Marke, rief Kurwenal feierlich aus, dies ist Tristan von Leonnois, Euer Neffe, der Sohn
Eurer Schwester Blankeflor und des Königs Riwal, der sein Leben geopfert hat für Euer Land!
Ich habe Euern Neffen erzogen, auf daß er Ritter und Hofmann und vor allem Freund aller
Edlen werde.
Jene geheimnisvolle Stimme in mir hat mich also nicht betrogen, sprach der König. Vom
ersten Augenblick an wußte ich, daß du mein Sohn bist. Der Truchseß bringe uns goldne
Becher! Keiner der Tage, die ich bisher erlebt, war schöner denn dieser Tag.
Es ging ein wunderbares Licht von Tristans jungen Augen aus. Alle, die in der Halle saßen,
waren voller Freude.
Nur einer begann ihm zu grollen, Audret, denn
er sagte sich in bitterer Enttäuschung: Nimmermehr werde ich nun König von Cornouaille!
Fünf Jahre schon weilten Tristan und Kurwenal im Schlosse Tintagol. An König Markes
kurzweiligem Hof flogen die Tage rasch dahin.
Der junge Herr von Leonnois übte sich nach Herzenslust mit Schwert und Lanze, pflog
Waidwerk und Fischfang, ritt schwere und leichte Rosse, richtete Hunde und Falken ab,
warf Ball, schoß mit Pfeil und Bogen, trieb Musik und Schachspiel. Kurwenal
unterrichtete ihn in den Sprachen, die er beherrschte. So lernte Tristan Latein,
Normannisch und Fränkisch in der Pariser Mundart. Alles das kam ihm später gar wohl zu
statten. Und was an alten Liedern im Lande war, auch derlei blieb ihm nicht unbekannt,
dank dem gelehrten alten Kaplan, des Königs Geheimschreiber, dem es Freude machte,
die von den andern Geistlichen verdammten und verfolgten Denkmäler aus heidnischer
Heldenzeit zu sammeln und Liebhabern vorzulesen. Es war ein Lustrum behaglichen
Friedens und stiller Freuden.
Da plötzlich, an einem Frühlingstage, traf schlimme Nachricht ein.
König Hangwin von Dowelin, der schreckliche Wikingerfürst, der vor zweiundzwanzig Jahren
die bretonischen Lande bezwungen und verwüstet hatte, forderte durch eine Gesandtschaft den
Tribut, der ihm als Sieger noch zukam. Das war: hundert Pfund Gold, zweihundert Pfund
Silber, dreihundert Pfund Kupfer und hundert Jungfrauen aus den Bauern und Knechten
ebenso wie aus den Familien der Edelleute.
Nimmermehr konnte sich König Marke dazu verstehen, den schmachvollen Vertrag zu
erfüllen.
Er empfing die Boten. Ihr Führer war der Herzog Morold, wohlbekannt jedem Bretonen.
Damals, als er den König Riwal erschlug und im Lande Leonnois einbrach, war er ein
unlängst mündiger Jüngling. Jetzt ein stattlicher Vierziger in der Blüte seiner Heldenkraft.
Kampf war seine Leidenschaft, Krieg sein Handwerk, Grausamkeit seine Lust. An Gestalt
war er ein Hüne. Auch den größten Bretonen überragte er um Haupteslänge.
Als sich Marke, insgeheim ächzend und seufzend, auf seinen Königssessel gesetzt hatte, in der
hohen Halle von Tintagol, umgeben von seinen Baronen und Räten, da hob Herzog Morold
an:
König Marke, ich bringe Euch und Eurem Volke die letzte Botschaft meines Herrn, des
Königs Hangwin. Er fordert den ihm durch Sieg und Vertrag zukommenden Tribut, der
seit mehr denn zwanzig Jahren aussteht. Zahlt Ihr ihn,
so seid Ihr des Vertrages frei und ledig, und es herrscht Frieden zwischen Euerm und
unserm Volke. Gebt das Gold, Silber und Kupfer bei meinen Schiffen ab! Sie ankern
gegenüber der Insel des Heiligen Samson, wie Eure Kuttenträger den Ort jetzt nennen.
Ebenso die hundert Jungfrauen, wohlausgesucht, ohne Lahme und Bucklige. Laßt durch
das Los im Lande bestimmen, welche es sein sollen, und gebt sie ohne Verzug ab!
Der König von Cornouaille stand erregt auf.
Herr Herzog! rief er. Das Gold und Silber sollt Ihr hinwegführen, nimmermehr aber die
Jugend meines Landes! Ändert diese schmachvolle Bedingung; sie ist unwürdig Eures Königs
und Eures ruhmreichen Volkes!
Morold sann nach.
Die Kampflust war stärker in ihm als die Raubgier. Er schaute sich überlegen und
hochmütig
im Kreise um. Alle die Ritter König Markes, in ihren bunten Röcken, mit ihren höfischen
Schwerterchen, dünkten ihn drollig und spaßig. Etliche kamen ihm obendrein unverschämt
und anmaßend vor. Unsagbar gern hätte er mit dem oder jenen auf der Stelle einen kleinen
Waffentanz angestellt. Es lüstete ihn mächtig, einem dieser Maulhelden ein Maß Blut
abzuzapfen.
Wenn Ihr glaubt, König Marke, sagte er in kühlem Tone, daß Euch der rechtliche Tribut
schändet, so gäbe es wohl einen Ausweg. Stellt mir einen aus der Schar Eurer Edlen! Er soll
mir im ehrlichen Zweikampf entgegentreten. Wir werden um den Tribut kämpfen. Fällt er, so
zahlt Ihr den Tribut! Falle ich, dann haben wir unser Recht verloren! Ihr Herren von
Cornouaille, wer von Euch will für die Freiheit Eures Volkes mit mir fechten?
Verstohlen schauten die Ritter des Landes einander
an. Keiner trat vor, und alle senkten sie die wohlgelockten Häupter.
Der Eine sagte zu sich: Sieh ihn dir an; er ist stärker als vier Männer!
Betrachte sein Schwert! meinte der Andre. Es ist verhext und verzaubert. Sowie er ausholt,
fliegt schon der Kopf seines Feindes.
Der Dritte: Wehe um meine schöne junge Tochter! Habe ich sie erzogen, damit sie Magd und
Dirne eines verruchten Wikingers wird?
Aber mein Tod rettet sie doch nicht!
Und keiner trat vor.
Da hielt es den jungen Tristan nicht länger.
Schwer atmend rief er aus:
König und Herr, laßt mich kämpfen mit dem Feinde Eures Landes!
Marke schüttelte sein graues Haupt.
Ihr seid zu jung und noch nicht Ritter!
So schlagt mich zum Ritter!
Morolds finsterer Blick maß den verwegenen Jüngling geringschätzig vom Scheitel bis zur
Zeh. Wer seid Ihr, junger Mann? fragte er in gönnerhaftem Tone. Wißt Ihr, daß der Herzog
Morold nur mit Erkorenen zu kämpfen gewohnt ist? Wer seid Ihr? Wer ist Euer Vater?
Tristan erbebte. Die heiligste Pflicht seines Lebens, die Blutrache, hob ihm das Herz.
Tristan bin ich, Herr von Leonnois, einziger Sohn des Königs Riwal, mit dem Ihr gekämpft
habt wie ich mit Euch kämpfen will, auf Leben oder Tod. Ihr habt ihn erschlagen vor zwei
Jahrzehnten. Aber er ist wiedergeboren in mir, seinem Rächer!
Herzog Morolds Augen wurden heller. Der angehende Ritter gefiel ihm. Er erinnerte sich
jenes Zweikampfes zwischen den Fronten der Wikinger und Cornouailler. Damals war er
ein Jüngling wie dieser da. Und mit
wohlwollender Gebärde erwiderte er ihm: Angenommen! Laßt Euch zum Mann und Ritter
schlagen, und nach drei Nächten kommt zur Mittagszeit nach der Insel des Heiligen
Samson, unweit der Bucht, wo meine Schiffe liegen. Dort soll der Waffengang geschehen.
Einen von uns beiden werden sie zu Grabe tragen!
Er grüßte den König und die Barone und schritt langsam aus der hohen Halle.
Tristan sank vor seines Oheims Thron in die Knie. Kurwenal ließ König Riwals Schwert
herbeibringen. Mit diesem schlug König Marke unter feierlicher Rede den Zwanzigjährigen
zum jüngsten Ritter seines Reiches.
Am bestimmten Tage, als die rote Sonne aufging, legte Tristan sein Panzerhemd an, gürtete
sich und setzte die graue Stahlhaube auf das Haupt. Herr Kurwenal trug ihm das väterliche
Schwert.
Ernsten Gemütes nahmen sie Abschied vom Könige.
Heuchlerisch umringten die Barone den Helden. Fürwitzig seid Ihr! rief ihm Herzog Audret
zu. Hättet Ihr Euch nicht so leichtsinnig preisgegeben, manch andrer von uns hätte den
blutigen Strauß mit mehr Aussieht auf Erfolg gewagt. Jetzt ists gewiß um Euch geschehn. Um
Euch und unser aller Freiheit. Ihr seid zu unerfahren. Wahrlich, Ihr verderbt das glückliche
Land Cornouaille!