Tristan und Isolde

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Das Glöcklein der Burgkapelle begann zu läuten. Drei Mönche kamen und segneten den

jungen Rittersmann.

Sodann trabten Kurwenal und Tristan guten Mutes zum Tor hinaus.

Gegenüber der Einfahrt in die tief ins Land stoßende Bucht La Rance lag die kleine Insel

Sankt Samson. Wo das

Kirchlein des Heiligen stand, verriet ein Riesenstein den späteren Geschlechtern, daß

ehedem hier Odin verehrt ward.

Die beiden Reiter stiegen bei der Burg Dinan in die bereit gehaltene Barke. Hoch überm

Mastbaum flatterte die Löwenstandarte. Kurwenal gab dem Schiffer die Pferde und nahm

selber das Ruder. Die eben beginnende Ebbe erleichterte ihm die Arbeit. Vorbei an der Bucht,

wo die Wikingerschiffe lagen, gelangten sie zur Insel, an der im gleichen Augenblick Herzog

Morold nebst einem Gefolgsmanne einer großen prächtigen purpurbesegelten Barke entstieg.

Alter Kämpfersitte gemäß begrüßten sich die feindlichen Ritter. Und ehe Tristan zum

erhöhten Felsenstrand emporstieg, stieß er mit kräftigem Fußtritt seinen Nachen zurück in

die abbrodelnde Brandung.

Der Wikingerfürst sah es, lachte ingrimmig und sprach:

Junger Freund, was tut Ihr da? Gebt Ihr die Rückkehr auf?

Mit Nichten, Herr Herzog! entgegnete hochmütig der Leonnois. Nur Einer von uns beiden

bedarf einer Barke. Euer Prunkschiff wird des Siegers würdiger sein als dort mein armseliger

Kahn.

Das herzlose Wortgefecht spann sich nach alter Sitte noch eine Weile aus, während die

Kämpfer sich zur Mitte der Insel begaben. Die Begleiter blieben am Strande zurück.

Als der bitteren Spottreden genug war, begann der einsame Zweikampf.

Lange ging des Waffenglück hin und her, aber keiner bezwang ernstlich den andern. Beide

Fechter bluteten aus geringen Wunden.

Morold ward hitziger. Ein mächtiger Schlag seines Schwertes gegen Tristans Brust warf

ihn in die Knie. Hurtig aber sprang der Unverletzte wieder auf, holte aus und schlug mit

wuchtigem Streich des Gegners rechte Hand ab.

Der Schwergetroffene wandte sich zur Flucht.

Der Kampf sei entschieden! rief er dem jungen Sieger zu. Cornouaille sei seines Tributs fortan

frei.

Rache für König Riwal! schrie Tristan im Taumel des Kampfes, rann von neuem wider den

Herzog und hieb ihm das Schwert durch Helm und Schädel.

Tot sank Morold zu Boden.

Tristan zog seine blutige Waffe aus des Erschlagenen Haupt und besah sie sich. Ein

Splitter war aus der einen Schneide gebrochen und in der Schädeldecke des Besiegten

stecken geblieben.

Unter dem weithin prunkenden Purpursegel landete Tristan, ehrfürchtig begrüßt von der

Schar Leute, die sich inzwischen in banger Erwartung am Strand eingefunden hatten.

Gar bald darnach stachen die Drachenschiffe lautlos in die graue See.

Im Schlosse Tintagol brach Jubel und Freude aus, als der Späher vom Turm Tristans

Wiederkehr verkündete.

Keiner hatte einen ihm glückhaften Verlauf des Holmganges erwartet.

König Marke empfing den glorreichen Sieger vor seinem Thron und küßte ihn angesichts aller

dreimal auf die Stirn.

Ich werde dich lieben solange ich lebe! gelobte er in inniger Dankbarkeit dem Neffen, den er

schon verloren geglaubt. Fluch jedem, der dir feindselig ist!

Von Stund an gab es zwei Parteien am Hofe

König Markes, die eine für Herrn Tristan, der ihr als künftiger König von Cornouaille galt,

die andre wider ihn. Ihm zugetan war und blieb insbesondre Ritter Tynas, der Seneschall

des Landes. Übelgesinnt hingegen war Herr Audret sowie dessen Freunde, die Barone

Ganelun, Godwin und Denowal.

Wie sie sahen, daß König Marke seinen wiedergefundenen Neffen als Thronerben zu

behandeln begann, nicht nur von rechtswegen, vor allem, weil er sein so lange Jahre

liebeleeres Herz gewonnen hatte, da schwoll ihr böser Neid, und sie wendeten jede List und

Lüge an, um die Edeln des Landes wider den Eindringling aufzubringen. Im Volk aber ward

Herr Tristan gepriesen als Retter des Vaterlandes.

Voll Trauer erreichten Morolds Gefährten den Hafen von Dowelin. Den in eine Hirschhaut

genähten Leichnam des

gefallenen Recken trugen sie zur hohen Burg König Hangwins.

Dumpf ächzte das Volk.

Rachegierig murmelten die Häuptlinge.

Entsetzt stöhnte die Königin.

Stumm stand der König an der Bahre seines Sohnes. Neben ihm Isolde, sein nun einziges

Kind, die goldblonde Achtzehnjährige. Keines der beiden hatte Tränen im Auge. Nicht zu

Unrecht hieß es in der damaligen Welt: Weder über ihre Sünden noch um ihre Toten

vermögen Wikinger zu weinen.

Weit und breit war die Königstochter berühmt als klügste Ärztin auf der Grünen Insel.

Niemanden gab es im Lande, unter Herren wie Knechten, der je, wundenbedeckt

zurückgekehrt, nicht alsbald Heilung gefunden hätte durch das Wunder ihrer Kunst. Aber

was nützte ihr heute dies heilige Wissen?

Der geliebte Bruder war nicht zu retten. Droben in Walhall hatten ihn die Helden der

Vorzeit begrüßt.

Isolde untersuchte die gräßliche Schädelwunde, und da fand sie einen Splitter vom Schwerte

des fernen Feindes.

Wie heißt er, fragte sie einen der Führer der heimgekehrten Schiffe, wer war es, der Irlands

Eiche gefällt hat?

Herr Tristan, Herzog von Leonnois! berichtete der Seemann.

Tristan von Leonnois! wiederholte die blonde Jungfrau, ergriffen von einer heimlichen

Gewalt, die sie fühlte und nicht verstand. Der bretonische Löwe hat mir das Herz zerrissen.

Wahrlich, bisher war ich Freundin aller Menschen. Hart bin ich geworden und böse. Du,

Tristan, du bist es, der mich wandelt! Mit Haß hast du mir die Seele gefüllt. Wehe dir!

Unrast

sei dein Los, Kampfgefilde deine Heimat!

Trompetenschall leitete die Totenfeier ein.

Racheschwüre, Verwünschungen und Flüche umbrandeten Isolden. Hochmütig verachtete sie,

was sie nicht allein empfinden durfte. Nichts teilte sie mit anderen.

Den blutumronnenen Schwertsplitter in der Hand, eilte sie hinauf in ihre Kemnate und schloß

ihn in den elfenbeinernen Schrein, der ihre Juwelen barg.

Während man am Felsenstrande den Grabhügel türmte, ließ König Hangwin im Reiche

verkünden: Wer je es wagt, von Cornouailles Küste kommend, unser Eiland zu betreten, soll

ergriffen und gehenkt werden oder schmählich erschlagen!

Abermals vergingen drei Jahre. Der Kampf mit Morold hatte des jungen Helden Leben

umgestaltet. Seitdem fühlte er sich

als Ritter und Mann, und der Drang nach kühnen Abenteuern wuchs in ihm von Tag zu

Tag. Die Ruhe der Seele war ihm verloren gegangen.

Stundenlang verweilte er, auf seinen weiten einsamen Ritten auf Grani, seinem

Lieblingshengst, nur von seinen Hunden begleitet, nahe dem Meeresgestade, auf dem Doler

Berge. Dort träumte er von seinen Plänen.

Welche Tat muß ich vollenden, fragte er sich, damit der Name Tristan von Leonnois über dies

grüne Land, über die weißen Wogen dort, durch alle Welt klingt als der herrlichsten einer noch

in Tausenden von Jahren?

Freund Kurwenal weiß zu erzählen, daß irgendwo in der Ferne, über dem grauen Weltmeere

das Eiland Avalun leuchtet. Wer es erreicht, ist unsterblich.

Werde ich auf meiner großen Wanderfahrt diese göttliche Insel der Ewigkeit finden?

Feindselig lauerte Herzog Audret auf eine Gelegenheit, die seinen Vetter vom Hof

entfernen könnte. War der Verhaßte einmal fort, wer weiß, ob er dann jemals

wiederkehrte.

Mit viel Geschick hatten Audrets Parteigänger es zuwege gebracht, daß es unter den

Würdenträgern des Reiches nur wenige gab, die König Markes Vorliebe für Tristan billigten.

Niemand freilich zweifelte daran, daß des Herrschers Wille, seinem bevorzugten Neffen den

Thron zu hinterlassen, unbeugsam war, es sei denn ein leiblicher Erbe mit natürlichem

Vorrechte verdrängte den Erkorenen.

Marke war ein echter Hagestolz, und wahrlich, nichts war schwieriger als den schon zum

Einzelgänger gewordenen zu später Ehe zu bereden.

Gleichwohl, man mußte es versuchen. Darum hörte Audret nicht auf zu sagen: Verehrter

Herr

Oheim, Ihr müßt Euch ein Weib nehmen, denn es ziemt keinem Fürsten, Herrschaft und

Untertanen kinderlos zu hinterlassen. Wählt unter den Königstöchtern der Nachbarländer!

Sorgt für einen Leibeserben! Ihr seid es Eurem Volke schuldig.

Ganelun, Godwin und Denowal und alle andern Feinde Tristans bestürmten den König mit

dem gleichen Rate. Mitunter flochten sie verblümte Drohungen in ihre Reden, sprachen von

Überdruß, Kränkung und Hofflucht.

Der König wußte sich nicht mehr zu helfen. Obgleich er entschlossen war, solcher Bitte und

Nötigung immerdar Widerstand zu leisten, wollte er doch auch in Frieden mit seinen Baronen

verbleiben und sich seine Liebe zu Tristan nicht vergällen lassen.

Als aber selbst dieser eines Tages ernstlich in ihn drang, dem Wunsche der Ritter zu

willfahren,

da ihm sonst das Bleiben am Hofe verleidet sei, da versammelte König Marke seine

Edelleute und hörte sie einzeln an. Und da er vernahm, daß die Mehrheit mit seinem

Vorhaben unzufrieden war, bedingte er sich Bedenkzeit aus und befahl den Baronen, nach

vierzig Nächten nochmals vor ihm zu erscheinen.

Zwischen dem König und seinem Neffen herrschte das Schweigen der Erwartung. Keiner

sah einen guten Ausweg. In seinen Gedanken und Träumen sehnte sich Tristan weit weg

vom Haß und Neid seiner feigen Feinde, während Marke in seinem früheren Willen zu

schwanken begann. Allmählich machte er sich mit der Notwendigkeit vertraut, seinen

 

vornehmsten Wunsch und zugleich sein behagliches Hagestolztum zu opfern. Und wenn er

seinen hämischen Untertanen zuliebe auch einer Frau Venusin die Hälfte seines Thrones

einräumte, war damit der leibliche Erbe verbürgt?

Gleich einem Faun laut lachend, bedachte er dies, als er am vierzigsten Tage zu früher Stunde

sein fürstliches Himmelbett verließ und sich ans offene Fenster begab, um sich am

Maienmorgen zu erfrischen.

Da verflog sich im Eifer neckischen Streites ein sich jagendes Schwalbenpaar in Markes

Gemach. Es hatte wohl droben im Turm sein noch unfertiges Nest. Und wie die beiden Vögel

erschrocken sahen, wohin sie geraten waren, schwirrten sie durch das weite Fenster hurtig

wieder hinaus und entschwanden mit fröhlichem Schrei im Blau der Lüfte. Ihren Schnäbeln

war der Gegenstand ihres Spieles entfallen, ein langes Frauenhaar, blonder als Dukatengold

und feiner als feinste Seide aus dem Morgenlande.

König Marke hob das Haar auf.

Wiederum lachte er wie ein Faun:

Das senden mir die Götter!

Meine verehrten Ritter und Räte, sprach König Marke, als er gegen Mittag in die hohe Halle

vor die harrenden Herren trat. Vorausgesetzt, daß der Brautwerber, den ich aussenden werde,

seines Auftrages gerecht wird, ist es mein königlicher Wille, Eurem Wunsche zu willfahren.

Ich habe meine Wahl unter den Töchtern der Erde getroffen.

Man murmelte Beifall, wennschon sich keiner der Höflinge klar ward, ob der Fürst im Spott

oder im Ernst redete.

Darum stellte Herzog Audret die Frage: Sagt, König Marke, wer ist die Erkorene?

Marke erzählte die kleine Geschichte vom Schwalbenpaar und fügte hinzu: Die dieses

wundersame Goldhaar ihr eigen nennt, die habe ich erkoren. Wisset, nie und nimmer

werde

ich einer Andern die Krone des Landes anbieten. An Euch aber, meine Herren, ist es, die

Königsbraut nach Tintagol zu geleiten. Ich ahne es nicht, woher die Schwalben ihren

Schatz mitgebracht haben. Gewiß aus weiter Ferne, denn unter den Bretoninnen habe ich

solch Goldhaar niemals gesehen.

Audret vermochte des Argwohns nicht ledig zu werden, sein königlicher Oheim treibe argen

Scherz mit ihm und seinen Genossen, um sich ihrer Forderung listenreich zu entziehen.

Mit bösem Blick auf Tristan fragte er: Wir freuen uns Eures Entschlusses, König Marke. Doch

sagt, wer soll Euer Brautwerber sein?

Ich dachte zuvörderst an Euch, lieber Neffe, erwiderte der Herr der Bretonen, offenbar

belustigt, denn Ihr wart doch wohl der Vater des Gedankens.

Audret verbeugte sich geschmeichelt, um seine Ratlosigkeit zu verbergen. Empört über die

Wendung der Dinge schaute er sich um. Es dünkte ihn, über die Gesichter seiner besten

Freunde husche unverkennbare Schadenfreude. Er, der das gemächliche Leben über alles

liebte, er sollte sich urplötzlich aufmachen und in die weite Welt fahren – mit dem

lächerlichen Auftrage, zu einem ausgekämmten Frauenhaar die wer weiß wo weilende

Besitzerin aufzuspüren!

Zu seiner Überraschung trat Tristan vor den Oheim und sagte: Verstattet mir in Gnaden,

König Marke, daß ich mit etlichen Eurer Ritter und Mannen ausziehe, auf einem Eurer

Schiffe, um die Eine zu suchen, der dies schöne goldene Haar zu eigen ist! Ich zweifle

nicht, daß die Schwalben Boten des Schicksals waren. Irgendwo über Land und Meer harrt

eine herrliche

Königstochter Eurer Werbung. Verlaßt Euch auf mich! Ich werde die Königsbraut gen

Tintagol geleiten.

Möge er nimmer wiederkehren, der Narr! frohlockte Herzog Audret insgeheim; laut aber

sprach er: Wie soll dies Euch gelingen, Herr Tristan? Fürwahr, Ihr habt den Mund gehörig

voll. Hierbei werdet Ihr wohl andre Gefahren zu bestehen haben als auf der Insel des Heiligen

Samson, durch dessen Zauber Ihr den Wikinger erschlugt. Schon sehe ich Euch wieder in

unsrer hohen Halle, ohne die goldene Braut mit der verlegenen Nachricht: Einer Fee gehört

das Goldhaar, fern in einem Märchenlande, doch dies Paradies habe ich leider nicht betreten.

Hochmütiger denn je rief Tristan aus: König Marke, achtet des albernen Geschwätzes so

wenig wie ich! Aus Dankbarkeit, Liebe und Treue zu Euch, meinem edlen Oheim und

gütigen Schutzherrn, fahre ich über das Weltmeer, bis ich finde, was ich suche,

meinetwegen nach Avalun. Leib und Leben will ich unverzagt einsetzen. Und nie kehre

ich zurück nach Tintagol, es sei denn, ich bringe Euch die Königin mit dem Goldhaar. Das

schwöre ich Euch bei meiner Ritterehre!

König Marke ließ sein bestes Schiff rüsten und es reichlich mit Korn, Wein, Honig und

anderm Unterhalt versehen. Zwölf tatenlustige junge Ritter wählte sich Herr Tristan und

dreißig wackere kühne Männer. Allen befahl er, sich wie Kaufleute zu kleiden. Die Waffen

aber und die Panzerhemden verbarg man im Unterraume; dazu prächtige Gewänder, schöne

Schuhe, kostbare Pelze und köstliche Scharlachmäntel, wie sie würdigen Brautwerbern eines

mächtigen Fürsten geziemen.

Er selber sowie Freund Kurwenal gingen

gekleidet als vornehme Spielleute, in roten Röcken und gelben Mützen.

So fuhren sie in das hohe Meer, auf ihrem Drachenschiffe, das Segel dem Winde bietend, der

glückhaft wehte.

Schon am dritten Tage erblickte man Land.

Der Steuermann erkannte die langen Felsen. Das Schiff flog König Hangwins grünem Eilande

zu. Er vermeldete es Herrn Tristan.

Ihr wißt, Herr Tristan, setzte er bedachtsam hinzu, seit Morolds Tod sind wir Bretonen

dortzulande vogelfrei. Wer gefaßt wird, hängt alsobald am Galgen. Es ist gar manchem schon

so ergangen. Befehlt Ihr den Kurs zu ändern? Ich denke nicht daran! lachte Tristan. Der

göttliche Zufall hat unsern Kiel hierher geführt. Es ist unser Los, in König Hangwins Land zu

Ehren oder zu Schanden zu kommen.

Frohgemut landeten die bretonischen Werber im Hafen von Dowelin.

Tristan ließ nur die Wenigen in die Stadt, die andrer Sprachen als bloß der bretonischen

mächtig waren, und so glaubten die Hafenleute, das Schiff sei ein Kaufmannsschiff aus dem

Angellande. Nur fiel es ihnen auf, daß die Fremdlinge sich um Handel und Schacher wenig

kümmerten. Die meisten von ihnen vertrieben sich den lieben langen Tag mit Brettspiel oder

bei den Würfeln und verblieben an Bord.

Solches ward dem Könige Hangwin nach seiner Burg, die weithin über Meer und Land lugte,

berichtet, worauf der Befehl kam, bei erster bester Gelegenheit seien etliche der Fremdlinge zu

ergreifen und ihm vorzuführen.

Andern Vormittags nahm man den Steuermann und zwei der Leute gefangen, wie sie auf

dem Markt einen feisten Hammel für die Schiffsküche

kauften. Die Verhafteten wurden in den Wachtturm gesperrt, um sie nach Mittag hinauf

zur Burg zu schleppen.

Tristan erfuhr das Geschehnis. Sofort übergab er den Oberbefehl seinem ältesten Ritter und

eilte nach dem Kerker, bei ihm Kurwenal, beide als Spielleute mit ihren Geigen, aber mit

Schwert und Dolch versehen.

Wie der Stadthauptmann der beiden Kavaliere in ihrem unverhohlenen Zorn ansichtig ward,

empfing er sie ungemein ehrerbietig. Das war bei aller seiner Rauheit so seine Art; er hatte

nicht ohne Gewinn seine drei Dutzend Wikingerfahrten hinter sich. Es war ihm nicht recht

klar, was er machen sollte, in welchem Falle er übertriebene Höflichkeit für das Schlaueste

hielt. Und mit Recht, denn Herrn Tristans Ingrimm legte sich flugs. Vor Weltmannstum, so

hatte ihn Kurwenal gelehrt, bleiben nur Landsknechte wütend.

Artig und gelassen sprach er: Herr Hauptmann, ich bitte Euch, laßt diese drei Leute unsers

Schiffes gütigst frei!

Herr Spielmann, erwiderte der Normanne, ich habe König Hangwins Befehl, etliche von Euch

Fremdlingen vor ihn zu führen. Meinem Herrn gehorche ich.

Das sah Tristan ein, und er sagte: So führt uns beide vor Euren König, laßt aber die Andern

ihres Weges ziehn. Es ist bald Mittag, und Ihr wißt, die Seeluft macht hungrig. Überdies

sprechen wir Spielleute Eure Normannensprache, und diese Leute nicht.

Dem Stadthauptmann war der Tausch recht, denn es dünkte ihn, die beiden seien vornehmer

als jene drei. So entließ er sie mit ihrem Hammel.

Oben im Normannenschlosse, wohin man sie in ritterlicher Weise zu Pferd gebracht,

standen Tristan und Kurwenal alsbald

vor König Hangwin und seinen Hofleuten. Seinem Sessel zur Seite saß seine Tochter

Isolde.

Kapitel 2

Als Herr Tristan ihr wunderbar goldblondes Haar schaute, da lächelte er glückselig, denn er

hatte gefunden, was er gesucht.

Was lächelt der fremde Spielmann? fragte die Wikingerin den Ritter Paranis, der hinter ihr

ihrer Befehle harrte. Es war ihr Kämmerer, aus dem Frankenlande gebürtig, ihr treu ergeben

wie kein andrer.

Paranis wußte keine bessere Antwort als ihr kurz zu berichten, daß sich diese zwei Herren

freiwillig hatten herführen lassen für drei gemeine Leute, deren man gewaltsam habhaft

geworden war.

Also keine Feiglinge! dachte Isolde und sagte nichts weiter. Kühne Männer gefielen ihr

immer.

König Hangwin begann ein Verhör.

Woher sie kämen? Was sie im Lande begehrten?

Tristan lächelte zum zweiten Male.

Wir sind bescheidene Spielmänner, erwiderte er, kommend von König Markes Hof. Ich nenne

mich Tantris, und der da ist mein Freund Kurwenal. Wollt Ihr gnädig uns hören?

Hangwin fuhr zornig auf.

Ist es Euch nicht bekannt, Herr Tantris, daß jedermann, wer es auch sei, der sich aus

Cornouaille auf unsre Insel wagt, sein Leben verwirkt hat?

Nehmt ihnen die Schwerter! fügte er hart hinzu, zu den Knechten gewandt, die an der Tür der

Halle Wacht hielten.

Ohne seine glückliche Laune zu verlieren, entgegnete Herr Tristan: König und Herr, wie

ich Euch bereits berichtet, sind wir harmlose Spielleute, sakrosankti sozusagen an jedem

Ort, wo höfische Sitte ihr Heim hat. Oder ist die Grüne

Insel Barbarenland geworden? Wir hatten nichts davon vernommen.

Isolde glaubte ihren Augen nicht mehr trauen zu dürfen: der seltsame Fremdling lächelte zum

dritten Male, und mehr noch, er warf ihr einen Freundschaft heischenden Blick zu.

Gelassen fuhr er fort: Wir waren an vieler hoher Herren Hofe. Nirgends hat man uns Schaden

oder Leid angetan. So nehmt auch Ihr uns huldvoll auf. Laßt uns vor Euch und der Prinzessin

spielen! Zeigt Euch uns als Gönner und Freund!

König Hangwin sah seine Tochter fragend an. Ihre hochmütige Miene regte sich nicht.

Es sei! sprach Hangwin, um sich in aller Ruhe zu überlegen, was des Weiteren schicklich zu

tun sei. Spielt ein gut Lied!

Tristan nahm seine Rotta und präludierte. Darnach trug er in der Sprache der Normannen

aus dem alten Gedichte von Hagbard und Signe vor:

Sage mir, Signe

Du meine Sonne,

Liebste und Licht mir,

Sag mir das Eine!

Seit heute Nacht

Bist Du die Meine,

Bin ich der Deine.

Ohn daß wir fragten Vater und Sippe

Wurden wir Eines, Du,

Königstochter, Ich, Königssohn.

Sag mir das Eine:

Wenn mich Dein Vater

Fängt, und er führt mich

Zur Schädelstätte,

Als Rächer der Söhne,

Die ich ihm erschlagen.

Sage mir, Signe:

Wenn ich, verfallen

Dem Tode, da stehe,

Was wirst du fühlen?

Wahrst Du die Treue,

Weib, Deinem Manne?

Während er spielte und sprach, reichte Paranis seiner Gebieterin, der nachdenklich

lauschenden, das Schwert, das man Tristan abgenommen hatte.

Wie Isolde den kalten Stahl in den Händen spürte, richtete sie unwillkürlich ihren versonnenen

Blick darauf.

Als berühre sie der Tod, so gräßlich erschrak sie. An den Zacken der Scharte erkannte sie das

Schwert dessen, der ihr den geliebten Bruder dereinst im Kampfe gemordet hatte.

Leichenblaß saß sie da, wie versteinert. Sie

hätte aufspringen mögen, hinaufrasen zur Kemnate, den Splitter zu vergleichen mit der

Scharte dieses Schwertes.

Narrte ein Wahngedanke ihre erregten Sinne? Und sonderbar, wie Hagbards Sang sie

berückte!

Isolde kannte das alte nordische Lied seit ihrer Kindheit. Sie liebte, aus Wahlverwandtschaft,

 

diese gewaltigen Gestalten vergangener großer Zeit. Aber noch nie hatte das Lied sie ergriffen

so stark wie zu dieser Stunde.

Sie vermochte ihren heißen Blick nicht abzuwenden von dem merkwürdigen Fremdling vor

ihr. Wie edel, unbefangen, Gefahr vergessend, fast kindlich er da stand.

Der Gedanke, er sei Hagbard, verwirrte sie urplötzlich.

Er Hagbard! Ich Signe?

Jetzt sprang sie auf. Tristan hielt ein.

Hastig befahl sie dem Kämmerer, ihr den Schwertsplitter aus dem elfenbeinernen Schrein

ihres Gemaches zu bringen.

Beeilt Euch, Herr Paranis!

Schon war er fort.

Tristan begann Signes Gegenstrophen aufzusagen. Leidenschaftliche kurze Klänge griff er

dazu:

Leid war es und Last nur,

Länger zu leben,

Wenn Erde umarmt,

Den ich umschlungen.

Wann es auch sei,

Ob heut oder morgen,

In Ruhm und Ehre,

In Schmach oder Not:

Dir folg ich in Treue

In jeden Tod!

Geknüpft ward das Band,

Das keiner zerreißt,

Auf immerdar;

Und keiner entwirrt je

Die Fäden des Schicksals

Dir und mir,

Seit Sigars Tochter

In Liebe und Lust

Das Lager geteilt

Mit Hagbard dem Helden.

Qual und namenlose Bange, ein seltsames Hin und Her gleichsam zwischen Himmel und

Hölle marterte die Wartende, während das alte Liebeslied ihr Herz durchflutete.

Als Tristan geendet, reichte Paranis ihr den Splitter zur Scharte.

Kein Zweifel mehr!

Sich aufreckend rief die Königstochter dem Spielmanne zu:

Ihr seid Tristan von Leonnois, Morolds Mörder!

Sturmgeheul brauste durch die hohe Halle. Hundert blanke Schwerter zuckten.

Tristan sah sich von zwanzig Händen gepackt. Da trat Isolde zwischen die Männer, gebot den

Rittern zu weichen, näherte sich dem umdrohten Fremdling und küßte ihn auf den Mund.

Dies Symbol erklärte ihn zu ihrem Freunde.

Niemand mehr wagte dem eben noch dem Tode Geweihten das geringste Leid anzutun.

Tristan aber erklärte mit feierlicher Stimme: König Hangwin, hört mich in Gnaden an!

Fürwahr, ich bin Herzog Tristan von Leonnois, gekommen zu Euch und Eurem Volke, um

ewigen Frieden zwischen den Bretonen und Normannen zu schließen. König Marke, der

Herr von Cornouaille, mein Oheim, schickt

mich zu Euch an der Spitze von zwölf Rittern. Gestattet mir, König Hangwin, die

Gesandten in würdigem Gewande morgen um die nämliche Stunde vor Euren Thron zu

fuhren!

Ehrerbietig knieten Tristan und Kurwenal vor dem fremden Fürsten nieder. Mit gütiger

Gebärde forderte dieser sie auf, sich zu erheben, bot ihnen die Rechte und sprach:

Laßt morgen hören, was König Marke uns verkündet!

Jubelnd empfingen die Ritter im Hafen die Zurückkehrenden. Schon glaubte man sie verloren,

denn König Hangwin galt als ein harter Herrscher, der niemandem das Leben schenkte, der es

verwirkt hatte. Und auch sich selber hielten alle dem Tode verfallen, da sie den Ausgang des

Hafens durch eine Unzahl von Wikingerschiffen gesperrt sahen.

Am andern Morgen kleideten und schmückten

sich die Ritter aufs allerprächtigste. Herr Tristan aber legte einen fürstlichen Rock an von

feinem rostbraunem Tuch mit goldverbrämtem Saum und hellschimmernden

Bernsteinknöpfen, dazu eine lange goldene Halskette mit einem Stern aus Rubinen und

Perlen. Sein braunes Haupthaar umschlang die golddurchwirkte purpurne Binde, das

Zeichen seiner Herrscherwürde.

So stattlich und vornehm erschienen die bretonischen Herren vor König Hangwin und seinem

versammelten Hofstaate. Festlich empfangen mit Hörner- und Trompetenschall schritten sie

vor den Thron.

Hangwin begrüßte die Gesandtschaft voller Huld und forderte ihren Führer freundlich auf, sich

seines königlichen Auftrages zu entledigen.

Da hob Herr Tristan an:

König Hangwin, ich komme als Brautwerber meines hohen Herrn und lieben Oheims, des

Königs Marke von Cornouaille. Der über ein Jahrhundert langen blutigen Fehde müde,

will er ewigen Frieden den feindlichen Völkern sichern, indem er Euch fortan ein treuer

Eidam zu sein gelobt und Eurer Tochter Isolde als der Königin seines Landes alle ihr

gebührenden Würden und Ehren bietet. In sicherem Geleit werden wir sie übers Meer nach

Schloß Tintagol führen, wo Glück und Freude ihrer harren. König Hangwin, Ihr habt

meinen ritterlichen Auftrag gehört. Gebt mir nun Euren königlichen Bescheid!

Der alte Wikingerfürst wandte den Blick stumm seiner Tochter zu.

Sie bedachte sich kurz und gab ihm mit hochmütiger Geste ihre Zustimmung.

Keiner im weiten Königssaal ahnte, was blitzschnell in ihrer hochmütigen und hochgemuten

Seele vorgegangen war.

Es ist mein Los, sprach sie entschlossen bei sich, diesem herrlichen Helden zu folgen,

wenn auch als die Braut eines Andern.

Im nächsten Augenblick ergriff König Hangwin ihre Rechte und legte sie feierlich in die des

Werbers, der die schmale, leise zuckende Hand inbrünstig küßte.

Isolde zitterte vor Lust und Leid. Es war ihr zu Mut, als solle sie laut aufjubeln und zugleich in

bittere Tränen ausbrechen. Überirdisches ergriff sie. Und wunderbare Zuversicht raunte ihr zu:

Noch in Jahrtausenden beneiden dich die Töchter der Erde um dein Glück!

Jede Bangnis schwand ihr.

Mutigen Herzens schritt sie über die Schwelle ihres neuen Lebens.

Ysabel, Isoldens Mutter, war in banger Sorge um das künftige Geschick ihres geliebten

letzten Kindes. Die Einundzwanzigjährige

sollte die Gattin eines Mannes werden, der längst kein Jüngling mehr. Marke war etwa

zehn Jahre jünger als Hangwin, also noch sein Altersgenosse. Und überdies, so hatte man

ihr berichtet, war der König von Cornouaille ein Mann, der nur lachte, wenn ihn die Welt

und ihr Treiben zu Spott und Hohn reizten. Vor allem aber mißfiel der Königin der

dunkeläugige Brautwerber, dessen schreckliches Schwert ewiglich vom Blut ihres teuren

Sohnes gerötet blieb.

Um die Mitte der Nacht, nach deren Ende der fremde Ritter ihr die jungfräuliche Tochter in

die Ferne entführte, braute sie, geheimnisvolle alte Sprüche betend, nach uralter ererbter

Vorschrift, aus allerlei Kräutern, Blüten und Wurzeln, die sie mit eigner Hand gesammelt

hatte, ein wundersames Elixier, das sie einem Krug Wein beimischte.

Frauenherzen sind trügerisch und rätselhaft,

meinte sie seufzend. Weiß ich, ob Isolde so leichten Mutes in die Ferne zieht, wirklich

dem gekrönten Graukopf zuliebe, den sie nie gesehen? Ach, vielleicht weiß sie es selber

nicht.

Isolde hatte eine gleichaltrige Gefährtin, ihre Gespielin von Jugend auf, die ihr die beste und

vertrauteste Freundin war. Man hatte sie als kleines Mädchen von der Mündung der Düna

mitgebracht. Es hieß, sie sei ein lettisches Fürstenkind. Brangäne war ihr Name.

Die Königin nahm sie bei Seite und sagte zu ihr: Liebe Brangäne, du wirst mein einziges

Kind in die Fremde begleiten und nie von ihm gehen. Höre mich an! Nimm dieses

versiegelte Weinkrüglein und verwahre es gut, auf daß es kein Auge sieht und keine Lippe

daraus trinkt! Am Hochzeitsabend aber, ehe du Isolden und ihren Ehegemahl zu ehelicher

Minne allein läßt, gieße ihnen beiden zum Mahle den Liebestrank

in den Becher. Wisse: die zusammen diesen Wein getrunken, sind einander untrennbar

verbunden in Liebe und Leidenschaft, mögen sie es wollen oder nicht, durch alle Lust und

alles Leid des Lebens, in allem Denken und Tun, immerdar bis in den gemeinsamen Tod

und darüber hinaus in die Ewigkeit.

Brangäne nahm das Krüglein und versprach zu tun, wie ihr geheißen.

Und es kam der Tag heran, an dem das Schiff der Bretonen die Grüne Insel verließ. Ein

rosenroter Wimpel wehte Freude kündend hoch über dem schneeweißen Segel.

Nur Paranis und Brangäne begleiteten die Königsbraut in die neue Heimat fern überm Meere.

Gar schwer war Isolden der Abschied gewesen von den lieben Eltern, Gespielinnen und

Freunden, von der stolzen Königsburg und dem trauten Vaterlande, das sie bis in alle

Winkel kannte

und schätzte. Je weiter der hurtige Kiel des Schiffes sie hinwegführte unbekannter Zukunft

entgegen, umso trauriger und trübseliger ward die Wikingerin. Oft in den stillen Nächten

oder wenn sie allein in dem zeltartigen Gemache saß, das man ihr und Brangänen im

Schiffe gezimmert hatte, weinte sie, sie, die noch nie geweint. Warum bin ich dem

fremden Ritter gefolgt, fragte sie sich in banger Reue? Ist er nicht meines Bruders Mörder?

Ein Feind meines Vaterlandes? Ist er mir der ehrliche gute Freund, zu dem ihn meine

Träume erhoben, ich weiß nicht wie? Warum folge ich ihm willenlos, als sei ich die Seine

und er nicht der Werber eines Anderen?

Und wenn sie dann am Morgen in der flammenden Junisonne auf der Bank unter dem

Segel saß, plaudernd mit Tristan, vermochte sie sich nicht satt zu sehen an seinen gütigen

braunen Augen, in deren Tiefe es glühte und glänzte wie

geheimnisvolles Gold. Alle Sehnsucht, alles Weh, alle Reue war verscheucht und

vergessen. Er erzählte ihr vom Schlosse Tintagol und vom Leben in den Burgen der

Bretagne. Er erzählte ihr von seinem ritterlichen Vater Riwal, seiner edlen Mutter

Blankeflor und ihrer Liebe. Er erzählte ihr von der Sehnsucht seiner Jugend, von der

Freundschaft mit Kurwenal, von der weiten Welt, durch die ihn der Vielerfahrene geleiten

wolle. Er erzählte ihr, wie er sich das lebensfreudige Paris und das toternste Rom

vorstellte. Dorthin würden sie wandern, und weiter noch, nach Byzanz und dem Heiligen

Grabe. Manchmal brachte Tristan seine Rotta und trug der still Lauschenden aus dem

Schatze seiner Lieder vor.

Die bretonischen klangen Isoldens Ohr am schönsten. Allein schon die Worte mit ihren

hellen Vokalen umschmeichelten sie wie reine

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?