Die Dunwich-Pforte

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Die Dunwich-Pforte
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Arthur Gordon Wolf

Die Dunwich-Pforte

Eine UMC-Novelle

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

„Die Dunwich – Pforte“

Impressum

Kapitel 1

Vorwort zur E-Book-Ausgabe

Die vorliegende Erzählung erschien erstmals 2010 in der Anthologie „DUNWICH – EIN REISEFÜHRER“ im Basilisk Verlag. Da die Sammler-Edition allerdings auf eine Auflage von nur 99 Exemplaren beschränkt wurde, waren die Bände bereits Monate vor ihrem Erscheinen vergriffen.

2011 wurde „Die Dunwich-Pforte“ mit dem ersten Platz in der Kategorie „Beste Deutschsprachige Kurzgeschichte“ mit dem VINCENT PREIS 2010 ausgezeichnet. (http://vincent-preis.blogspot.de/2011/06/die-gewinner-des-vincent-preis-2010.html)

Diese Erzählung, die von ihrem Umfang her schon eher als Kurz-Novelle bezeichnet werden kann, ist Teil eines umfangreichen Zyklus’, den ich einfach ‚UMC’ genannte habe. Es handelt sich dabei um verschiedenste Kurzgeschichten, Novellen und Romane, die sich alle mit einer alles andere als erfreulichen Zukunft auseinandersetzen. Am ehesten könnte man ‚UMC’ mit dem Begriff ‚Cyberpunk’ beschreiben. Anders als gewöhnliche Dystopien verknüpfe ich in meinen Erzählungen allerdings auch uralte Mythen, die nicht zufällig an die eines gewissen Herrn Lovecraft erinnern. Bei Neobooks ist auch noch meine UMC-Erzählung „DAS FEST DER GRAUEN MONDIN“ erschienen.

2011 habe ich „Die Dunwich-Pforte“ dann in einen umfangreichen Roman integriert (Arbeitstitel „GRENZEN AUS NEBEL UND TAU“); da allerdings unsicher bleibt, ob und wann dieser Roman erscheint, habe ich mich zur Wieder-Veröffentlichung der ‚Dunwich-Pforte’ auf elektronischem Wege entschieden.

In diesem Herbst erscheint eine erste Solo-UMC-Novelle im Verlag VOODOO-PRESS – „DIE WEISSEN MÄNNER“ und aktuell arbeite ich an einem Nachfolger in Romanlänge. (Arbeitstitel „MADENJÄGER“)

Wie man sieht, bin ich emsig bemüht, die Saga weiter und weiter zu ‚spinnen’. Nähere Infos zum UMC-Projekt und der ungefähren zeitlichen Einordnung der einzelnen Erzählungen im Gesamt-Zyklus finden sich auf meiner HP an dieser Stelle: (http://www.arthur-gordon-wolf.de/U.M.C.1.html) und aktuelle NEWS natürlich immer auf der Hauptseite.

Über Fragen oder Feedback zum UMC-Projekt und „Die Dunwich-Pforte“ würde ich mich sehr freuen. Denn: Je mehr Leser sich für meine krude Mischung aus Fantasy, SF, Horror und Crime interessieren, umso eher werden sicher auch die Verlage ihr Schubladen-Denken überwinden können und auch eine Publikation längerer Werke ins Auge fassen.

Ich bedanke mich jetzt erst einmal für das in mich gesetzte Vertrauen und wünsche spannende, unheimliche Unterhaltung!

Arthur Gordon Wolf, im August 2012

(http://www.arthur-gordon-wolf.de)

P.S.: Und Entschuldigung dafür, dass ich alle Fußnoten entfernen und als Erläuterungen hintenan stellen musste, doch leider sieht das E-Book-System bislang keine Fußnoten vor.

Arthur Gordon Wolf

„Die Dunwich – Pforte“

-1-

Die Sonne strahlte von einem beinahe wolkenlosen Himmel, als der Gleiter sanft im Park von Highgate IV landete. ‚Highgate IV’ war die euphemistische Bezeichnung für eine hässliche Vorstadt aus riesigen grauen Betonblöcken, die wie mutierte Kristalle aus den Tiefen der Erde ans Tageslicht gebrochen zu sein schienen. ‚Kaum anders als bei uns in Nagoya“, dachte Jaron Hatamura. Der junge Mann verließ das Taxi und beschirmte mit der Hand seine Augen. Auch die Sonne konnte das monotone Geflecht aus Stahl und Beton nicht wohnlicher erscheinen lassen. Langsam wanderte sein Blick hinauf bis zum Dach des Gebäudes. Irgendwo dort oben war es geschehen. In der 28. Etage von Block 104. „Irgendwie passend“, murmelte Hatamura und zog sich den Trenchcoat enger um die Schultern. In seinem Beruf fiel es schwer, nicht zynisch zu werden, doch der Name „TOD“ schien hier an jedes Haus mit blutroten Lettern geschrieben zu sein. Wie ein unsichtbares Graffiti. Es gehörte wirklich keine große Fantasie dazu, sich diese farblosen Stalagmiten als die Überreste eines äonenalten Friedhofs gigantischer Gottwesen vorzustellen.

Bevor er zum Haupteingang des Blocks ging, blickte sich Hatamura ein letztes Mal um. Er stand auf einem staubgrünen anämischen Flecken Gras an dessen Rändern niedrige, halb verdorrte Büsche ehrfurchtsvoll im Schatten der Betonriesen kauerten. Wie er im Anflug beobachtet hatte, war dieses winzige Areal das einzige in ganz ‚Highgate IV’. Die Bezeichnung „Park“ hätte es aber auch dann nicht verdient, wenn der Boden aus englischem Rasen und doppelt so groß gewesen wäre. ‚Willkommen in ‚Manchaku- City’’, dachte Hatamura. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen. Er war kaum zwei Jahre alt gewesen, als seine Eltern Honshu verlassen hatten, um dem Ruf der allmächtigen U.M.C. in den Westen zu folgen. Zu spät hatte sein Vater erkennen müssen, dass der Welt umspannende Multi- Konzern die Wirklichkeit hinter einer bunt- schillernden Fassade versteckt hielt. Wagte man einen Blick dahinter, so erkannte man Verfall, Armut, Monotonie und Hässlichkeit. Hinter den leuchtenden Holo- Video- Wänden mit karibischen Stränden und den Werbeplakaten mit glücklich lächelnden Models verbarg sich ein Abgrund, der selbst den der Slums von Nagoya bei weitem übertraf. Seit er denken konnte, waren für ihn die Vereinigten Staaten der Nördlichen Föderation „Manchaku- City“ gewesen. Das Land der Täuschung und des Betruges.

Hatamura zeigte einem am Eingang postierten Polizisten seine Marke und folgte dann einem Hinweisschild mit dem Aufdruck ‚AUFZÜGE’. Der schlecht beleuchtete Korridor war mit Abfällen übersät. Behutsam wie ein Reiher stakste er über diverse Hindernisse hinweg. Der junge Mann war ganz froh darüber, dass ihm ein Großteil des Bodens verborgen blieb; der Gestank ließ in seinem Kopf ohnehin die widerlichsten Bilder entstehen.

Die Lift-Türen sahen aus, als wenn sie ein ‚Hummer’ mehrmals gerammt hätte. Die Konsole mit dem Rufknopf war an einer Seite gewaltsam aufgehebelt worden und entblößte einen wirren Strang bunter Drähte. Hatamura spielte kurz mit dem Gedanken, das Treppenhaus zu nehmen, entschied sich dann aber dagegen. Er trug maßgeschneiderte Schuhe aus echtem Kalbsleder. 28 Etagen waren dafür einfach eine Zumutung.

Als er widerwillig den Knopf drückte, erwachte zu seiner Überraschung irgendwo in den Eingeweiden des Hauses ein Motor.

„Ah, sieh’ an: Noch ein ‚Bug’“, begrüßte ihn der Mann an der Tür zu Appartement 12 E. Er war untersetzt und trug ein zerschlissenes Jackett über ausgebeulten Hosen. Seine letzte Rasur musste drei oder vier Tage zurück liegen. Hatamura fragte sich ernsthaft, warum der Mann seine Schuhe, die sich in einem ähnlich bemitleidenswerten Zustand wie die ganze Erscheinung befanden, in Schutzhüllen aus Plastik gesteckt hatte. Noch ehe er eine passende Antwort formulieren konnte, erschien ein weiterer Polizist hinter dem Rücken des Türstehers.

„Ist heute hier ’n ‚BUG’- Treffen?“, witzelte er. „Wusste gar nicht, dass ihr von der ‚Unit- R’ so ein feines Näschen habt. Kaum gibt’s Aas, schon stürzt ihr euch auf die Reste.“ Der Mann überragte seinen Kollegen um mindestens einen Kopf und war damit fast so groß wie Hatamura. Sein militärisch kurz geschnittenes Haar und die kantigen Gesichtszüge verliehen ihm ein aggressives Äußeres. Der Neuankömmling ließ sich von dem Imponiergehabe allerdings nicht beeindrucken. „Auch ich wünsche Ihnen beiden einen wunderschönen Guten Tag“, grinste er. Hatamura nickte nacheinander dem Kurzhaarigen und dem Dicken zu. „Lieutenant MacMonahan – Sergeant Crow.“

MacMonahan erwiderte das Grinsen mit einer wenig überzeugenden Imitation. „Wenn Sie hier rein wollen, dann ziehen sie sich `n paar Präser über ihre Treter. Und für die Hände…“

„Immer am Mann“, unterbrach ihn Hatamura und zog zwei hauchdünne Latex- Handschuhe aus seinem Mantel. Er zwängte sich an Crow vorbei in den Flur der Wohnung und entnahm einem Karton die bläulichen Plastik- Gamaschen der Spurensicherung. Bevor MacMonahan in einem der Nebenräume verschwand, drehte er sich nochmals zu Hatamura um.

„Und außerdem heißt es seit drei Wochen ‚Captain’ und nicht ‚Lieutenant.“

„Na wenn das kein Grund zur Freude ist!“, sagte der junge Mann, dessen linker Schuh teurer als das gesamte Outfit seiner beiden Kollegen war. „Meine Glückwünsche, MacMonahan. Auch an die holde Gattin!“

Wenn der glücklich Beförderte die letzte Bemerkung gehört hatte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Jeder im Department wusste, dass MacMonahan seit einem halben Jahr geschieden war.

 

Crow schloss die Tür und drehte sich zu Hatamura um. „`n echt feinfühligen ‚Bug’ haben wir ja hier. Einen echten Skarabäus.“ Betont langsam schlurfte er an ihm vorbei. Als sich der Dicke zu ihm herüber beugte, konnte er ein Gemisch aus Zwiebeln und Pfefferminz riechen. „Wie nennt man die Biester noch gleich? Ach ja, Mistkäfer!“

Mit einem tiefen Seufzer beobachtete der Mann von ‚Unit- R’ wie der Sergeant behäbig den Flur entlang trottete. Hatamura war eigentlich ein Sonderermittler der DEA. Im CFT- Dezernat hatte er jahrelang nach den Herstellern und Händlern jener teuflischen Transmitter gefahndet, die das Opiat Carfentanyl in die Blutbahn des Süchtigen freisetzten. Als ‚gewisse Vorfälle’ bei Replikanten jedoch Überhand nahmen, war er für unbestimmte Zeit den ‚Bugs’ unterstellt worden. ‚Bug’ war der Slang- Ausdruck für die ‚Unit- R(eplikant)’, da sich dieses Spezial- Team ausschließlich um besonders drastische Fehlfunktionen von Replikanten und VR- Spielen kümmerte.

Ein Mann, auf dessen blauem Overall das große „U-R“- Emblem der Sonderabteilung prangte, trat in den Flur und winkte Hatamura zu.

„Grüß’ dich, Jar“, sagte er. „Die anderen Räume kannst du vernachlässigen. Da wuselt’s ohnehin vor ‚Nasenbären’ und ‚Plattwürmern’. Das wirklich Interessante gibt’s hier zu sehen.“

„Hi, Marv!“ Trotz des Ambientes konnte sich Hatamura ein Lächeln nicht verkneifen. „Hast du schön gehört? Einer der ‚Plattwürmer’ hat es sogar zum Captain geschafft.“ Für ‚U-R- Agenten’ waren alle normalen Polizisten ‚Plattwürmer’, die Leute von der Spurensicherung „Nasenbären“. Er herrschte ein wirklich herzhafter Ton zwischen den einzelnen Abteilungen.

Als Special Agent Jaron Katsuro Hatamura das hintere Zimmer betrat, verwandelte sich sein Lächeln schlagartig in einen stummen Schrei.

Der Raum war ein schmales Rechteck von etwa fünf Metern Länge und zwei Metern Breite. Er war mit einem Bett, einem Schrank und einem Schreibtisch mit Computer- Terminal und obligatorischem Steady- Ground möbliert; es gab nichts, was dieses Zimmer von dem hunderttausend anderer Jugendlicher unterschieden hätte. Bis auf das Blut.

Die Außenwand wurde durch die Holo- Projektion eines düsteren Friedhofs aufgelöst. Unzählige senkrecht und diagonal verlaufende Blutspritzer zerstörten jedoch die räumliche Illusion. Hatamura atmete keuchend aus. Erst jetzt bemerkte er, dass er bislang die Luft angehalten hatte. Als er erneut einatmete, musste er mit aller Kraft einen Würgereflex unterdrücken. Die Luft hatte eine fast greifbare Qualität angenommen, so sehr stank sie nach süßlichem Kupfer. Der Beamte zog sofort ein Taschentuch aus dem Trenchcoat und hielt es sich vor die Nase. Er war kein Neuling in dem Geschäft. Bei der Drogenfahndung hatte er zuweilen die Opfer brutalster Verbrechen gesehen, an DAS jedoch würde er sich nie gewöhnen können. Der Raum sah aus, als sei in seiner Mitte ein riesiger Farbbeutel explodiert. Ein tachistisches Environment in Purpur, Karmin, Zinnober, Violett, Schwarzbraun und Magenta. Erst als er in einer der bunt schillernden Lachen einen kleinen fleischlichen Klumpen entdeckte, rief er sich in Erinnerung, dass er sich nicht inmitten einer künstlerischen Inszenierung befand. Tatsächlich starrte Hatamura auf die Überreste eines menschlichen Körpers.

„Was…was zum Teufel ist hier geschehen?“, presste er mühsam hervor.

„Eigentlich dasselbe wie bei den letzten sieben Fällen auch“, antwortete sein Kollege. Special Agent Marvin Goodwin war seit sechs Monaten Hatamuras Partner. Der hagere kleine Mann mit dem schütteren roten Haar galt unter den Kollegen als ‚Urgestein’. Gerüchten zufolge hatte er schon Replikanten gejagt, lange bevor ein Schriftsteller wie Philip K. Dick die Träume eines Androiden erfand.

„Das Opfer ist ein 14jähriger Junge“, fügte Goodwin hinzu. Er blätterte einige Seiten seines verknickten Notizblocks um. Trotz seines Berufs hasste Goodwin jegliche Art von modernem elektronischen ‚Schnickschnack’. Er war der einzige Beamte im gesamten Department, der für seine Notizen kein Voice-Data-Pad verwendete. „Myron Bronowski“, las er vor. „Spielte gerade ein VR- Adventure, als er von seinem Mörder überrascht wurde. Derselbe MO wie zuvor auch. Bis auf…“ Er stockte.

„Bis auf DAS HIER“, beendete Hatamura den Satz.

Goodwin zuckte nur leicht mit den Schultern. „Wie es aussieht, ist der Killer in eine Art Blutrausch verfallen. Er…er muss vollkommen durchgedreht haben.“

Hatamura presste sich das Taschentuch fester gegen die Nase. „Und wie ist der Wahnsinnige in die Wohnung gekommen? Irgendwelche Anhaltspunkte?“

Goodwin blätterte in seinem Notizblock hin und her. „Durch die Eingangstür jedenfalls nicht. Die Mutter des Jungen war zur Tatzeit in der Küche und hatte den Flur ständig im Blick. Sie beschwört, dass kein Fremder die Wohnung betreten hat.“

Hatamura drückte einen Wandschalter und die Szenerie des düsteren Friedhofs machte einer Fensterfront Platz. Die Aussicht auf die Wirklichkeit war keine deutliche Verbesserung. Vorsichtig den Blutlachen ausweichend näherte er sich der Glasfront. ‚Was für eine Gegend’, dachte er. Die kleinen bemoosten Grabsteine wurden nun lediglich von ihren gigantischen Brüdern und Vettern ersetzt. Moos oder jegliche andere Vegetation suchte man hier jedoch vergeblich. Ein graues Leben in einer Welt aus Grau. Kein Wunder, wenn sich die Menschen in virtuelle Welten flüchteten.

Sein Blick fiel nach unten in die Tiefe, wo sich schmale graue Wege und Straßen wie tote Schlangen auf dem Asphalt sonnten.

„Wir sind hier im 28. Stockwerk“, stellte er schließlich fest. „Wenn der Kerl nicht den Haupteingang genommen hat, wie zum Teufel ist er dann in die Wohnung gekommen?“

Goodwins emsig blätternde Finger verharrten untätig. Erneut zuckte er mit den Schultern.

„Keine Ahnung, Jar. Die Sache hat allerdings auch eine positive Seite…“

Hatamura wirbelte zu ihm herum. „Eine positive Seite??? Wo sollte sich in diesem…diesem Wahnsinn hier auch nur die Spur von etwas Positivem finden lassen?“

„Wir haben das Schwein erwischt“, stellte Goodwin trocken fest. „Der Kerl war noch in der Wohnung, als unsere Beamten eintrafen.“

-2-

Gibson Foley war 34 Jahre alt, schlank und 1,80 groß. Sein dünnes braunes Haar hing ihm in langen Spinnweben- Strähnen bis auf die Schultern. Er trug eine Brille mit starken Gläsern, so dass seine braun-grünen Pupillen bizarr vergrößert wurden. Auch wenn man Foley nach der Spurensicherung im Keller des Dezernats gründlich geduscht hatte, meinte Hatamura an dessen Hals noch verkrustete Blutreste entdecken zu können. Lange Zeit über starrte er unbeweglich auf den Monitor der Überwachungskamera. Der Verdächtige sah aus wie ein älterer Philosophie- oder Meta-Kybernetik- Student, nicht aber wie ein blutgieriger Massenmörder. ‚Oder wie ein tollwütiges Tier’, dachte der Unit- R- Agent. „Kanningu“, murmelte er leise. „Alles nur Kanningu.“ In den meisten Fällen verbarg sich das abgrundtief Böse hinter der Maske des freundlichen jungen Mannes von nebenan.

„Bereit?“ Unbemerkt war Goodwin hinter seinen Stuhl getreten.

Hatamura löste seinen Blick nur widerwillig vom Monitor. „Nein“, antwortete er. „Hat Foley in der Zwischenzeit etwas gesagt?“

„Kein Wort“, entgegnete Goodwin. „Aber schau’ mal, was wir bei ihm gefunden haben.“ Er legte Hatamura ein kleines Plastiktütchen der Spurensicherung auf den Tisch.

Der ehemalige DOA- Agent benötigte nur einen kurzen Blick, um das winzige Objekt zu identifizieren. „Ein CF- Transmitter? Habt ihr mich etwa deswegen zur Unit geholt? Weil Ihr etwas gewusst habt?“

Goodwin schüttelte den Kopf. „Gewusst nicht. Nenne es mal Ahnungen. Bei derart bizarren Tötungsdelikten sind nicht selten Drogen mit im Spiel. Dieser CFT ist jedoch etwas ganz Besonderes.“

Hatamura hob die Augenbrauen. „Inwiefern?“

„Das Labor hat soeben den Befund geschickt. Neben Carfentanyl befinden sich noch mindestens 14 andere Stoffe in diesem sehr komplexen Cocktail. Und bislang hat man nicht den geringsten Schimmer, was das für Stoffe sind. Nur eines kann man mit Gewissheit sagen: Sie wurden alle künstlich hergestellt.“

„Na wunderbar“, stöhnte Hatamura. „Wir wissen, dass wir nichts wissen.“

„Nicht ganz. Eine Sache ist uns schon bekannt.“ Goodwin nickte mit dem Kopf in Richtung Monitor. „Wenn man das Zeug über einen längeren Zeitraum konsumiert, wird man irgendwann zu einer Kreatur wie unser Freund hier.“

Die ‚Kreatur’ trug einen gelben Häftlings- Overall und saß auf einem am Boden fest geschraubten Stuhl. Ihre Arme und Beine waren mit breiten Lederriemen fixiert worden. Sie hatte den Kopf gesenkt, wodurch ein Großteil des Gesichts hinter einer glänzenden Maske aus Haar verborgen blieb. Als Hatamura den Raum betrat, konnte er nicht erkennen, ob der Mann schlief.

Der Agent schob einen kleinen Tisch betont quietschend näher an Foley heran und setzte sich dahinter.

„Merken Sie schon etwas?“, begann er unvermittelt. „Ich meine Entzugserscheinungen.“

Der Gefesselte zeigte keinerlei Regung. Schlief er etwa tatsächlich?

„Es würde uns interessieren, woher Sie den CFT haben“, sagte Hatamura. „Sollten Sie kooperieren, könnte man vor Gericht den fatalen Einfluss der Drogen auf Ihre Urteilsfähigkeit betonen. Ich hoffe, Sie wissen, was das bedeutet.“

Foley verharrte auch weiterhin leblos auf seinem Stuhl.

„Sollten die Bluttaten nachweislich im Zustand geistiger Verwirrung begangen worden sein, so würde sich das Strafmaß erheblich reduzieren.“

Ein unmerkliches Zittern durchlief den Gefangenen. „Bluttaten…“, kicherte er heiser. Auch jetzt änderte sich nichts an seiner Haltung. Es machte den Eindruck, als spielte ein Tonbandgerät im Inneren einer Puppe. „BLUT- TATEN!... Sie wissen gar nicht, wie genau dieses Wort meine Arbeit bezeichnet. Aber ‚geistig verwirrt’? Oh nein. Ich war so klar, mein Geist so hellsichtig, wie Sie Reisfresser es nie im Traum erreichen werden. Sh? zi!“

„’Sh? zi’ ist chinesisch“, entgegnete Hatamura ungerührt. Ich bin jedoch japanischer Herkunft. In meiner Sprache heißt ‚Narr’ Chijin.oder Tonchiki.“

Unendlich langsam hob Foley seinen Kopf. Sein linkes Auge funkelte Hatamura zwischen einer Haarsträhne hindurch an. ‚Wie ein Zyklop’, schoss es dem Ermittler durch den Kopf.

„Baka wa shinanakya naoranai. (1)“, sagte Foley.

Hatamura fühlte, wie ihn ein leichter Schwindel befiel. Er konnte nicht begreifen, was hier vor sich ging. „Baka mo ichi-gei.“ (2)entgegnete er.

Foleys Lippen verzogen sich zu einem dünnen Grinsen. „Ach ja? Bislang haben Sie es aber geschickt vor mir verborgen.“

Der Agent hatte Mühe, sich auf das Verhör zu konzentrieren. Foley hatte nicht einfach nur ein chinesisches Wort oder ein japanisches Sprichwort auswendig gelernt; er verstand die Sprachen offenbar auch. War dies alles nur Zufall?

„Wollen Sie nun mit uns kooperieren?“, fragte er erneut. „Von wem haben sie den Transmitter?“

Foley warf den Kopf ruckhaft zur Seite, so dass Hatamura nun zwei Zyklopen- Augen anstarrten. „Mein lieber Katsuro“, kicherte er. „Es geht nicht darum, ob ich es Ihnen erzähle. Sie würden es ohnehin nicht begreifen.“

Hatamura spürte das mentale Pendant einer schallenden Ohrfeige. Foley hatte ihn mit seinem zweiten Vornamen angesprochen. Woher zum Teufel kannte er ihn? Hatamura war sich sicher, ihn nicht einmal Goodwin gegenüber jemals erwähnt zu haben. Wenn er es recht bedachte, so hatte er im Verlauf des Verhörs nicht einmal seinen Nachnamen genannt. Er gab vor, nach einer Notiz in seinen Akten zu suchen, um sich wieder zu beruhigen. Der Verdächtige begann ihm unheimlich zu werden. Und es lag nicht an seinen schrecklichen Verbrechen.

 

„Versuchen Sie es doch einfach mal“, sagte er nach einer Weile. „Wer weiß, vielleicht überrasche ich Sie.“

Foley nahm die Herausforderung an. Er richtete sich im Stuhl auf, um eine zumindest halbwegs bequeme Position einzunehmen. „Sie, die nicht genannt werden dürfen, haben mir den CFT gegeben.“

„Was soll ich mit einer derart wirren Aussage anfangen?“

Foleys Grinsen wurde breiter. „Habe ich es nicht gesagt?..“

„Okay…okay!“, sagte Hatamura. „Warten Sie! Offenbar stehen Sie auf Rätsel- Spielchen. Kein Problem. Ich bin gar nicht schlecht in solchen Dingen. Und damit meine ich nicht etwa nur ‚Mega- Sodoku’.“ Er überlegte kurz und fixierte dann einen Punkt oberhalb von Foleys Nasenwurzel. „Fangen wir die Sache anders an. Die Fenster ließen sich nicht öffnen. Durch die Eingangstür sind Sie nicht gekommen. Wie haben Sie sich aber dann Zutritt zur Wohnung verschafft?“

Foley stöhnte. „Neko ni koban.(3)Aber gut: Glauben Sie, es war Zufall, dass alle meine Opfer das gleiche VR- Adventure gespielt haben?“

Hatamura stutzte. Worauf wollte der Verrückte nun wieder hinaus? Irgendwo hatte er den Titel des Spiels notiert. Natürlich war aufgefallen, dass alle Jugendlichen ein und dasselbe Spiel in ihren VR- Recordern laufen hatten, als sie ermordet wurden. Irgendein Horror- Mist. Da das Spiel selbst jedoch keinerlei erkennbaren Bugs aufgewiesen hatte, war dieses Indiz schnell ad acta gelegt worden. Ein seltsamer Zufall, weiter nichts. Hatamura war einfach davon ausgegangen, dass es augenblicklich in der Szene als ‚Giga- A’ gehandelt wurde. Jeder Spieler, der etwas auf sich hielt, spielte es.

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