Grundzüge des Rechts

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In dem Schülerbeispiel fehlen für eine systematische Überlegung weitere Informationen. Das Auslegungsproblem stellt sich z. B. im Hinblick auf die Studenten nur dann, wenn diese nicht an anderer Stelle besonders erwähnt werden. Gäbe es in der kommunalen Satzung in einem anderen Zusammenhang (z. B. Zuschuss für den öffentlichen Nahverkehr) eine Regelung, die ausdrücklich auch Studierende oder Arbeitslose berücksichtigt, so läge systematisch der („Umkehr“)Schluss (s. u.) nahe, dass diese im Hinblick auf die Eintrittspreise nicht gleichzeitig auch mit dem Begriff Schüler gemeint sein sollen.


Umstritten ist die Reichweite der Berichts- und Aufsichtspflichten eines Betreuungshelfers gegenüber dem Jugendgericht nach § 38 Abs. 2 JGG, auf den § 52 Abs. 1 SGB VIII im Rahmen der Aufgabenbeschreibung des JA verweist: Mit Rücksicht auf die Gewaltenteilung (Justiz vs. Verwaltung, s. 2.1) und die vom Staat unabhängige kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) kommt die h. M. zu der Auffassung, dass die Betreuungshelfer der Jugendhilfe gegenüber der Justiz nur insoweit berichts- und aufsichtspflichtig sind, wie sich dies mit ihren im SGB VIII rechtlich normierten fachlichen Handlungsmaximen vereinbaren lässt.

historische Auslegung

Die historisch-genetische Interpretation berücksichtigt die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Rechtsnorm. Hierzu werden etwa die Sitzungsberichte des Parlaments und Begründungen zu Gesetzesentwürfen herangezogen, um den Willen des (historischen) Gesetzgebers zu ermitteln. Es ist dabei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch unter der Bedingung gewandelter Verhältnisse eine zweckmäßige und vernünftige Regelung getroffen hätte.


Die Begründung zum KJHG (BT-Ds 11 / 5948) ist z. B. eine inhaltsreiche und gewichtige Stütze für den besonderen sozialleistungsorientierten Charakter des Jugendhilferechts. Sie weist auf den besonderen Charakter des Kinder- und Jugendhilferechts als pädagogisch intendiertes Sozialleistungsrecht hin. Es müsse vermieden werden, straf- und ordnungsrechtliche Gesichtspunkte in das Kinder- und Jugendhilferecht hineinzutragen, die dessen Charakter zwangsläufig verändern müssten (BT-Ds 11 / 5948, 117). Diese Aussage ist auch für die Auslegung des Umfangs der Berichtspflicht der Jugendhilfe von erheblicher Bedeutung und stützt die oben vorgenommene Interpretation zum Verhältnis von § 52 SGB VIII und 38 JGG.

class="marginalie">teleologische Auslegung

Normen haben stets eine Funktion, sie sind Verhaltensregeln, die das gegenwärtige oder das zukünftige Handeln der Menschen in bestimmten Situationen verbindlich bestimmen sollen (vgl. 1.1.1). Die teleologische Auslegung (telos = Sinn, Zweck) bestimmt die Rechtsbegriffe nach Ziel und Zweck (ratio legis) der Norm. Anders als bei der historischen Auslegung geht es hier nicht darum, welchen Sinn der „damalige“ Gesetzgeber ursprünglich mit der Norm bezweckt hatte, sondern welchen aktuellen Zweck die Norm erfüllen soll. Dies setzt voraus, dass der Zweck der Norm erkannt bzw. ermittelt wird, was nicht immer ganz einfach ist, zumal es dazu durchaus widersprechende Ansichten gibt. In modernen Gesetzen wird der Gesetzeszweck deshalb oft an zentraler Stelle genannt, im Kinder- und Jugendhilferecht z. B. in § 1 SGB VIII. Unter mehreren möglichen Auslegungen einer Rechtsnorm ist dann diejenige vorzuziehen, die den Gesetzeszweck optimal verwirklicht.


Welche Personen in der kommunalen Satzung mit dem Begriff „Schüler“ gemeint und durch die Preisregelung privilegiert sind, hängt maßgeblich von dem Zweck der Regelung ab. Es ging dem Satzungsgeber aber erkennbar nicht darum, nur Personen einer bestimmten Altersgruppe zu privilegieren, denn das hätte man klar mit einer Altersangabe oder durch gesetzlich definierte Begriffe wie „Kinder und Jugendliche“ (vgl. z. B. § 7 Abs. 1 SGB VIII; § 1 Abs. 1 JSchuG) regeln können. Sollen durch die Regelung alle Personen begünstigt werden, die sich in einer Ausbildungssituation befinden und deshalb kein Einkommen erhalten, dann träfe dies auf Studierende ebenso zu, nicht aber auf Berufsschüler, die eine Ausbildungsvergütung erhalten. Im Hinblick auf die Studenten könnte aber der natürliche Wortsinn einer solchen Auslegung entgegenstehen, da Schüler und Student im normalen Sprachgebrauch voneinander verschieden sind. Sollte der Satzungsgeber diesen Fall, „die Studierenden“, tatsächlich versehentlich nicht bedacht und geregelt haben, so kann man eine planwidrige Gesetzeslücke feststellen.


Hier möchten wir wieder an die Auslegung von § 38 JGG i. V. m. § 52 SGB VIII anknüpfen: Um überhaupt mit jungen Menschen und ihren Familien im Sinne des §§ 1 f. SGB VIII arbeiten zu können, muss die Jugendhilfe von Weisungen der Justiz unabhängig sein und ein Vertrauensverhältnis zu ihren Klienten aufbauen. Mit diesem sozialanwaltlichen Handlungsauftrag (hierzu III-3.2.1) verträgt es sich nicht, wenn Betreuungshelfer Überwachungs- und Sanktionsaufgaben der Jugendgerichte übernehmen.

Abwägung

Das Gebot der Rechtssicherheit erfordert es, dass der Normadressat weiß, was von ihm erwartet wird. Deshalb muss nach der funktionalen Logik der Rechtsnorm am Ende des Auslegungsprozesses nur ein Ergebnis als rechtlich relevant und verbindlich, also als „richtig“ anerkannt werden. Natürlich wird es häufig unterschiedliche Auffassungen darüber geben, welches nun die richtige Auslegung in einem konkreten Fall ist. Entscheidend ist die angemessene Abwägung aller Auslegungsgesichtspunkte, wobei Sinn und Zweck der Rechtsnorm am gewichtigsten sind. Abwägung bedeutet, die Argumente und Gegenargumente aufeinander zu beziehen, die Vor- und Nachteile jeder Entscheidung im Hinblick auf die zugrunde liegenden Interessen sorgfältig zu prüfen und zu wiegen. Für den Konfliktfall widerstreitender Auslegungsergebnisse hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik auf folgende Grundregeln hingewiesen. Die Entstehungsgeschichte einer Norm und damit die „subjektiv-historische“ Auslegung der „damals“ am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe ist letztlich nicht maßgebend, da sich der Inhalt einer Norm aufgrund der politischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse ändern kann. Wesentlich ist der aktuell relevante im Wortlaut der Rechtsnorm und in dem Sinnzusammenhang zum Ausdruck kommende „objektivierte“ Sinn und Zweck einer Regelung (vgl. BVerfGE 1, 299 ff.). Dessen Erfassung ist freilich ebenso wenig „objektiv“ wie die historische Interpretation. Andererseits müssen die „historische“ und teleologische Auslegung bei allen neueren, aktuellen Gesetzen zu den gleichen Ergebnissen führen, da nach dem Demokratieprinzip der Gesetzgeber und nicht die Rechtsprechung für die Normsetzung verantwortlich ist. Allerdings wendet die Rechtsprechung die Rechtsnormen nicht nur an, sondern wird auch rechtsfortbildend tätig, nämlich dann, wenn Inhalt und Grenzen von Rechtsnormen nicht durch Auslegung bestimmt werden können, sondern planwidrige Lücken des Gesetzes festgestellt wurden und geschlossen werden müssen.

Analogie

Eine Analogie ist eine Rechtsfortbildung. Sie wird gebildet, wenn festgestellt wird, dass eine Rechtsnorm im konkreten Fall nicht passt, eine andere, passende Rechtsnorm aber ebenso wenig vorhanden ist und damit offenkundig wird, dass der Gesetzgeber diesen Fall nicht bedacht hat. Bei der Analogie geht es also um die Schließung einer planwidrigen Gesetzeslücke durch die entsprechende Anwendung einer Norm. Eine Analogie ist nicht leichtfertig bei jeder auf den ersten Blick nicht geregelten Sachfrage zu formulieren. Vielmehr muss genau geprüft werden, welche Fälle der Gesetzgeber geregelt haben wollte und welche er versehentlich nicht geregelt hat. Nur im letzten Fall dürfen (planwidrige) Gesetzeslücken durch eine Analogie ausgefüllt werden. Im Fall der kommunalen Satzung, nach der Schüler nur einen ermäßigten Eintritt bezahlen müssen, spricht viel dafür, die nicht genannten Studenten, die ebenso wie Schüler aufgrund ihrer Ausbildung i. d. R. über kein Einkommen verfügen, wie diese zu behandeln und deshalb die Norm auf sie analog anzuwenden.

Unzulässig ist eine Analogie im Strafrecht (s. IV.1.3) zur Strafbegründung oder Strafverschärfung aufgrund der Garantiefunktion des Strafgesetzes (Art. 103 Abs. 2 GG). Wie schwierig die Abgrenzung von noch zulässiger Auslegung und nicht mehr zulässiger Strafbarkeitsbegründung durch die Rspr. z. T. ist, zeigt sich z. B. bei der strafrechtlichen Definition des Gewaltbegriffs im Rahmen der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB (vgl. Schönke / Schröder et al. 2010, § 240 Rz. 4 ff.).

Juristische Logik

Bei der teleologischen Reduktion geht es um den entgegengesetzten Fall, d. h. eine Norm wird nicht angewendet, obwohl sie nach dem reinen Wortsinn passen würde (z. B. eine versuchte Selbsttötung ist kein versuchter Mord i. S. d. § 211 StGB). Auch beim Umkehrschluss (argumentum e contrario) soll eine Regelung gerade nicht angewendet werden, weil der Normzweck einer „entsprechenden“ Rechtsanwendung entgegensteht (z. B. folgt aus § 248b StGB, dass der unbefugte Gebrauch einer Kutsche straflos ist, weil es sich nicht um ein Kraftfahrzeug oder Fahrrad handelt; damit ist aber nichts gesagt über die zivilrechtliche Haftung!). Darüber hinaus spielen in der juristischen Logik eine Reihe weiterer Schlussfolgerungen eine Rolle (z. B. „a majore ad minus“ – vom Größeren auf das Kleinere: bspw. wenn ein Verbot zulässig ist, dann ist auch die Genehmigung unter angemessenen Bedingungen zulässig), wobei sich freilich manche Anwender verheddern (z. B. Zirkelschluss) und / oder Logik vortäuschen, wo keine ist (vgl. hierzu 3.5).

 

3.3.3 Beurteilungsspielraum

Die Rechtsprechung ist Aufgabe der Gerichte (Art. 92 GG; hierzu I-5). Ihnen obliegt es, die richtige Anwendung der Gesetze durch die Verwaltung zu überprüfen. Deshalb wird von den (Verwaltungs-)Gerichten auch überprüft, ob die von der Verwaltung vorgenommene Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe mit dem Gesetz im Einklang steht, also „richtig“ ist. Diese Überprüfung ist grds. allumfassend, nur ausnahmsweise wird der Verwaltung von der Rechtsprechung bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer „Beurteilungsspielraum“ oder eine sog. Einschätzungsprärogative im Rahmen der Abwägung zuerkannt. Den Ausnahmefällen ist gemeinsam, dass es sich um Wertentscheidungen der Verwaltung handelt, die das Gericht aufgrund der besonderen, einmaligen Konstellation der Entscheidungsfindung oder aus sonstigen Gründen nicht nachholen kann, z. B.:

■ von pädagogisch-wissenschaftlichen Wertungen gekennzeichnete Prüfungsentscheidungen im Schul- und Hochschulbereich (Versetzung, Abitur, Abschlussprüfung im Studium), da sie auf der vom Gericht nicht nachvollziehbaren längeren Beobachtung des Schülers / Studenten bzw. auf der Einmaligkeit der nicht rekonstruierbaren Prüfungssituation beruhen (BVerwGE 57, 130).

■ der dienstlichen Beurteilung von Beamten, Richtern und Soldaten, da es sich hier um sog. unvertretbare persönlichkeitsbezogene Werturteile handelt (z. B. dienstliche Eignung, Bewährung, Verfassungstreue eines Beamten; vgl. BVerfG DVBl. 1981, 1053 f.; BVerwG NVwZ–RR 1989, 420 f.).

■ bei planerischen und prognostischen Entscheidungen (BVerwGE 64, 238 ff.; 80, 270 ff.).

■ Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie, mit Sachverständigen oder Interessenvertretern besetzte Ausschüsse, z. B. Personalgutachterausschuss (BVerwGE 12, 20 ff.), im Bereich des Jugendschutzes die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BVerfG NJW 1991, 1471; BVerwG NJW 1993, 1491; vgl. III-6.2.7).

In diesen Fällen beschränkt sich das VG darauf zu überprüfen, ob bei der Rechtsanwendung im konkreten Fall

■ die Verwaltung von falschen Tatsachen oder einem unvollständigen Sachverhalt (z. B. wenn im Rahmen einer schriftlichen Prüfung nicht alle Seiten der Lösung bewertet worden sind, vgl. BVerwG DVBl 1998, 474) ausgegangen ist,

■ die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind (beachte z. B. die besonderen Verfahrensvorschriften im Rahmen der Risikoabschätzung und der Hilfeplanung im Jugendhilferecht, insb. §§ 8a, 36 f. SGB VIII),

■ sachfremde Erwägungen maßgebend waren oder der Gleichheitsgrundsatz verletzt wurde,

■ allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe (insb. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, s. 2.1.2.2) oder Beurteilungsrichtlinien nicht beachtet worden sind.

Beurteilungen und Stellungnahmen in der Sozialen Arbeit

In der Sozialen Arbeit sind häufig auf einer Anamnese und Diagnose bzw. Prognose beruhende Entscheidungen zu treffen, die ihrer Art nach auf einer besonders sorgfältigen Abwägung beruhen, z. B. welche Leistungen oder Maßnahmen im Hinblick auf das Kindeswohl geeignet und erforderlich sind und ihm am besten gerecht werden. Insoweit war es umstritten, ob der Jugendhilfe bei psychosozialen Diagnosen und Bewertungen ein Beurteilungsspielraum zusteht oder nicht. Teilweise wurde dies bejaht (VGH Mannheim NDV-RD 1997, 133 ff.; BVerwG ZfJ 2000, 31, 35 f.; OVG Koblenz ZfJ 2001, 23 ff.) mit Hinweis auf den Prognosecharakter der Entscheidung des JA. Zudem könne eine gerichtliche Entscheidung dem in § 36 SGB VIII verankerten kooperativen Interaktionsprozess zur Entscheidungsfindung unter Beteiligung aller Betroffenen und dem Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte nicht Rechnung tragen (VGH BW NDV-RD 1997, 133, 134).

Die Einräumung von – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren – Beurteilungsspielräumen ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber auf Ausnahmefälle beschränkt worden. Nicht jede diagnostische, prognostische oder aus anderen Gründen spezifisch-fachliche Kompetenzen erfordernde Entscheidung führt zu einem Beurteilungsspielraum. Eine zu weitgehende Gewährung gerichtsfreier Beurteilungsspielräume wäre rechtsstaatlich bedenklich, da sie die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unterliefe. Die Rechtsprechung des BVerfG (E 84, 34 ff.; 84, 59 ff.; 88, 40 ff.; BVerfG NVwZ 1992, 55; NJW 1993, 917) hat die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen erheblich eingeschränkt und klargemacht, dass der Verwaltung auch bei besonderer fachlicher Kompetenz und bei komplexen fachlichen Einschätzungen grds. kein Beurteilungsspielraum zusteht (das sieht auch der EGMR – 13.07.2000 – 25735 / 94 – NJW 2001, 2315 nicht anders, vielmehr verweist auch dieser auf eine genaue Überprüfung durch das Gericht). Das BVerfG stellt den Grundrechtsschutz über die Erfordernisse der Verwaltungspraxis und gesteht der Fachverwaltung aufgrund ihrer Sachkunde keine Letztentscheidungskompetenz zu. Auch ein Gericht kann sich ggf. durch einen Sachverständigen die erforderliche Sachkunde aneignen. Für die Anerkennung eines Bewertungsvorrechts wäre Voraussetzung, dass es sich um eine derart komplexe Einschätzung handelt und eine gerichtliche Überprüfung an ihre Funktionsgrenzen stoßen würde (BVerfGE 84, 34 ff., 59 ff.). Dies ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 27 SGB VIII nicht der Fall. Zudem würde es dem Sinn des Verfahrens nach § 36 SGB VIII, den Beteiligten möglichst umfangreiche Rechte einzuräumen, zuwiderlaufen, ihnen unter Berufung auf eben diese Verfahrensvorschriften den effektiven Rechtsschutz zu verkürzen. Das bedeutet im Ergebnis, dass auch bei den Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 SGB VIII nicht von einem Beurteilungsspielraum des JA ausgegangen werden kann, sondern dessen Auslegung von den VG voll überprüft wird (s. III-3.3.4.1; ausführlich Münder et al. 2013b, § 27 Rz. 56 f.; a. A. OVG NW 11.10.2013 – 12 A 1590 – JAmt 2014, 90).

Die Überprüfung bezieht sich sowohl auf den erzieherischen Bedarf als auch auf die geeignete und erforderliche Hilfe. Das Gleiche gilt für die Definition und Feststellung der Kindeswohlgefahr, z. B. im Hinblick auf die Interventionen nach § 8a Abs. 1 S. 1 SGB VIII oder die Voraussetzungen und damit Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII. Etwas anderes ist die dem JA in § 8a Abs. 1 S. 3 SGB VIII ausdrücklich zugewiesene Einschätzungsbefugnis (Beurteilungsspielraum), ob es bei Vorliegen einer kindeswohlgefährdenden Situation erforderlich ist, das FamG anzurufen. Aufgrund der Überlegenheit des dialogischen Prozesses unter Einbeziehung insb. der Eltern für einen nachhaltigen Schutz von Kindern hat der Gesetzgeber es den Fachkräften (§ 72 SGB VIII) des JA übertragen, zunächst mit ihren Mitteln die Bereitschaft und / oder Fähigkeit der Eltern zur Abwendung der kindeswohlgefährdenden Situation zu wecken und zu fördern. Nur wenn dies nicht ausreicht, das JA keinen Zugang zu den Eltern gewinnen kann, diese keine Bereitschaft oder Fähigkeit zur Mitwirkung erkennen lassen und sämtliche geeigneten und erforderlichen Angebote ablehnen, so dass die kindeswohlgefährdende Situation des Kindes nicht abgewendet werden kann, muss das JA das FamG anrufen, damit dieses die ggf. notwendigen personenrechtlichen Entscheidungen treffen kann. Diese Klarstellung ist wegen der den Mitarbeitern des JA drohenden zivil- wie strafrechtlichen Haftung (vgl. I-4 u. IV-2.2.2) bei einer fehlerhaften Einschätzung erforderlich. Im Übrigen ist zu beachten, dass es sich bei der Anrufung des FamG wie auch bei den sonstigen Stellungnahmen des JA im Rahmen seiner Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren nicht um einen Antrag (z. B. auf Entzug der elterlichen Sorge oder auf Verhängung einer Maßnahme) oder um eine selbstständig anfechtbare Entscheidung (Verwaltungsakt; hierzu III-1.3.1) handelt (s. III-3.2.2). Diese nimmt erst das FamG aufgrund einer von ihm selbst vorgenommenen Prüfung der Voraussetzungen, z. B. des § 1666 BGB, vor. Die uneingeschränkte Überprüfung der (ggf. fehlerhaften) Auslegung des JA findet aber im Rahmen der verwaltungsinternen Kontrolle durch Vorgesetzte bzw. übergeordnete Verwaltungsinstanzen (z. B. im Rahmen des Widerspruchverfahrens, s. u. 5.2.1) statt (BVerwG DVBI 1979, 424 ff.; DÖV 1979, 791 ff.).

3.4 Rechtsfolgenentscheidung

3.4.1 Gebundene Verwaltung und Ermessensspielräume

gebundene Verwaltung

Sind die Voraussetzungen der Rechtsnorm auf der Tatbestandsseite erfüllt („Wenn …“), so sehen sog. vollständige Rechtsnormen eine Rechtsfolge („dann …“) vor. In manchen Fällen wird der Verwaltung die Rechtsfolge konkret vorgeschrieben. In diesen Fällen spricht man von gebundener Verwaltung:

■ es ergibt sich aus §§ 62, 66 EStG, dass Eltern Anspruch auf Kindergeld in Höhe von 184 € monatlich für ihr erstes Kind haben;

■ aus § 27 Abs. 1 SGB VIII folgt, dass Personensorgeberechtigte einen Anspruch auf die geeignete und erforderliche Erziehungshilfe haben;

■ nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII ist das JA zur Inobhutnahme verpflichtet;

■ nach § 19 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, wenn …

Man spricht in diesen Fällen davon, dass der Bürger ein subjektiv-öffentliches Recht, d. h. einen Anspruch gegen den öffentlichen Träger auf die begehrte Leistung hat. Wenn die im Tatbestand genannten Leistungsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen, muss die Leistung in diesen Fällen gewährt werden. Ein Fall gebundener Verwaltungsentscheidung liegt aber auch in den Fällen vor, in denen die Behörden eine Maßnahme ggf. auch zulasten des Bürgers ergreifen müssen, z. B. muss die Führerscheinbehörde im Fall des § 4 Abs. 1 StVG die Fahrerlaubnis entziehen. Nach § 87 Abs. 1 SGB XII ist der Einsatz eigenen, über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens im angemessenen Umfang zuzumuten.

Muss-Regelung

Im Hinblick auf den Grad der Verwaltungsbindung unterscheidet man zwischen „Muss“- und „Soll“-Bestimmungen. Bei „Muss-Bestimmungen“ hat die Verwaltung keinen Entscheidungsspielraum, die angegebene Rechtsfolge ist zwingend. Dieser Verpflichtungsgrad ergibt sich aus den Formulierungen der Rechtsnorm, wie „die Behörde muss …“, „es ist zu …“, „hat zu erfolgen“, „darf nicht“. Auch die Formulierung, dass jemand „einen Anspruch auf“ ein bestimmtes Handeln hat, ist ein Fall der zwingend-gebundenen Verwaltung. Beispiele für „Muss“-Bestimmungen: §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1, 24 Abs. 1 – 3, 27 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 SGB VIII; §§ 11 Abs. 5 S. 1, 17 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII.

Soll-Regelung

Bei „Soll-Bestimmungen“ (Formulierungen wie „die Behörde soll …“, „hat in der Regel“, „grds. ist“) ist die Verwaltung im Regelfall an die vorgesehene Rechtsfolge gebunden (z. B. §§ 5 Abs. 2 S. 1, 16 Abs. 1, 19 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 3 SGB VIII; §§ 9 Abs. 2, 12 S. 1, 15 Abs. 1 SGB XII).Abweichungen sind nur im Ausnahmefall zulässig, d. h. bei Vorliegen besonderer atypischer Umstände. Diese atypischen Umstände müssen sich auf den Zweck der Regelung beziehen. Ausgeschlossen sind hier finanzielle Überlegungen, insb. ist die Finanzknappheit der Haushalte kommunaler oder sonstiger Sozialleistungsträger kein atypischer Grund, der einem Leistungsanspruch entgegenstehen könnte.

Ansprüche auf Sozialleistungen entstehen nach § 40 SGB I, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Nach § 38 SGB I besteht auf Sozialleistungen ein Anspruch, soweit nicht nach den besonderen Teilen des SGB die Leistungsträger ermächtigt sind, bei der Entscheidung über die Leistung nach ihrem Ermessen zu handeln.

Ermessen

Der Gesetzgeber kann die Verwaltung – anstatt ihr zwingend eine Rechtsfolge vorzuschreiben – auch ermächtigen (berechtigen und verpflichten), bei Erfüllung des Tatbestands innerhalb eines gewissen Handlungsspielraums die zweckmäßigste Regelung zu treffen. Diesen Entscheidungsspielraum nennt man Ermessen, das entsprechende Behördenhandeln Ermessensverwaltung. Der Grund für die Einräumung solcher Handlungsspielräume ist, dass der Gesetzgeber angesichts der Kompliziertheit und Unvorhersehbarkeit der Lebensverhältnisse nicht alle erforderlichen und angemessenen Rechtsfolgen vorherbestimmen kann und daher der Verwaltung die Möglichkeit einräumt, innerhalb bestimmter Grenzen flexibel auf die konkrete Situation zu reagieren. Zu unterscheiden ist dieses Verwaltungsermessen von den (politischen) Entscheidungsspielräumen der Exekutive beim Erlass von Rechtsverordnungen und Satzungen.

 

Das Ermessen kann sich darauf beziehen, ob die Verwaltung überhaupt tätig werden soll (Entschließungsermessen), oder auch darauf, welche von mehreren rechtlich zulässigen Maßnahmen sie ergreifen und wer Adressat einer Verfügung sein soll (Auswahlermessen hinsichtlich des Mittels und des Adressaten). Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsaktes nach §§ 45 Abs. 1, 46 SGB X sind Fälle reinen Entschließungsermessens; bei der Festsetzung von Gebühren handelt es sich häufig um Auswahlermessen hinsichtlich der Höhe des Betrages innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Rahmens; die Erteilung von Auflagen, z. B. im Hinblick auf eine Betriebserlaubnis (§ 45 Abs. 2 SGB VIII), ist ein Fall der Ausübung von Entschließungsermessen und gleichzeitig von Auswahlermessen hinsichtlich der konkreten Auflagen.

Das der Verwaltung eingeräumte Ermessen betrifft immer nur die Rechtsfolge einer Rechtsnorm und ist daher stets nur Rechtsfolgeermessen (sog. volitives Ermessen); es kann und darf sich nie auf die Tatbestandsseite der Vorschrift beziehen. Ein Ermessen auf der Tatbestandsseite (sog. kognitives Ermessen) würde die verfassungsrechtlich gebotene Schutz- und Garantiefunktion des gesetzlichen Tatbestandes zerstören. Vom Ermessen zu unterscheiden ist der äußerst selten eingeräumte Beurteilungsspielraum der Verwaltung im Rahmen der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. 3.3.3 sowie Übersicht 14). Rechtsmethodisch folgt daraus, dass bei der Anwendung einer Vorschrift das Ermessen erst dann ausgeübt werden darf, wenn alle Tatbestandsmerkmale der betreffenden Vorschrift geprüft und bejaht worden sind. Es ist z. B. falsch, bei der Anwendung von § 42 SGB VIII zu prüfen, ob die Unterbringung eines Kindes in einer Einrichtung unverhältnismäßig ist, bevor man nicht festgestellt hat, ob überhaupt ein Rechtsgrund für eine solche Schutzmaßnahme (z. B. Gefahr für das Wohl des Kindes) vorliegt.

Kann-Bestimmung

Ob der Verwaltung Ermessen eingeräumt ist, kann man an den Formulierungen auf der Rechtsfolgenseite der Norm erkennen. Nicht immer wird der Begriff „Ermessen“ gebraucht (so aber z. B. in § 2 Abs. 2 SGB I; § 74 Abs. 3 S. 1 SGB VIII; §§ 17 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Ausdrücke wie „die Behörde kann …“, „darf …“, „ist befugt …“ oder „ist ermächtigt …“ sind ebenso Anzeichen für die Einräumung von Ermessen. Das Gleiche gilt, wenn Maßnahmen für „zulässig“ erklärt werden. Man spricht hier auch von sog. Kann-Bestimmungen, Beispiele: §§ 15 Abs. 2, 16 Abs. 1 S. 2 SGBII; §§ 11 Abs. 5 S. 4, 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII; §§ 13 Abs. 3 S. 1, 19 Abs. 1 S. 3, 32 S. 2 SGB VIII.

Gelegentlich werden Muss- und Kann-Regelungen innerhalb einer Vorschrift kombiniert. So regelt z. B. § 21 SGB VIII den Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung und räumt der Verwaltung im Hinblick auf die Übernahme der Kosten der Unterbringung in einer geeigneten Wohnform ein Ermessen ein.

3.4.2 Die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung

Während bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe rechtsdogmatisch nur eine Definition maßgebend sein darf (s. 3.3.2) und es in den Fällen der gebundenen Verwaltung immer nur eine zulässige Entscheidung geben kann und dies von den Gerichten unbeschränkt geprüft wird, ist das in den Fällen der Ermessensverwaltung anders. Hier können grds. mehrere im Rahmen des Ermessensspielraumes liegende Handlungsalternativen rechtmäßig sein (z. B. bei einer Gebühr im gesetzlich vorgegebenen Rahmen von 100 € bis 500 € jeder innerhalb dieser Grenze liegende Betrag). Aus diesem Kreis der rechtmäßigen Alternativen hat die Verwaltung die im Einzelfall zweckmäßigste Rechtsfolge auszuwählen. Das Ermessen darf nicht beliebig, „frei“ und willkürlich ausgeübt werden. Vielmehr muss es stets pflichtgemäß vorgenommen werden; hierauf hat der Bürger einen Rechtsanspruch (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB I).

pflichtgemäßes Ermessen

Das bedeutet zunächst im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit, dass nicht die persönliche Meinung desjenigen, der die Norm anzuwenden hat, relevant ist, sondern es allein auf den gesetzlich mit der Rechtsnorm verfolgten Zweck ankommt (vgl. § 39 Abs. 1 S. 1 SGB I, § 40 VwVfG). Wie dieser gesetzliche Zweck erfüllt werden kann, darf wiederum nicht von den individuellen Kompetenzen des Einzelnen abhängen, maßgebend sind die jeweiligen fachlichen Kriterien. Fachliche Standards (vgl. Jordan, ZfJ 2001, 48 ff.; Merchel 1998) sind deshalb nicht erst im Zusammenhang von Haftungsfragen (zur sog. Garantenstellung von Sozialarbeitern s. IV-2.2) zu entwickeln, sondern Orientierung und Richtschnur bei der alltäglichen Ermessensentscheidung (vgl. auch das sog. Fachkräfteprivileg, § 72 SGB VIII, § 6 Abs. 1 SGB XII).

Im Übrigen müssen bei Ermessensentscheidungen die allgemeinen Rechtsgrundsätze und Grundsätze des Verwaltungshandelns auf Grundlage der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen beachtet werden, im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Ermessensverwaltung insb. die Grundrechte, das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG (s. 2.1.2.4), das Verhältnismäßigkeitsprinzip (s. 2.1.2.2) und das Gebot der sachgerechten Abwägung widerstreitender Interessen. Die Pflichtgebundenheit der Ermessensausübung kommt als allgemeiner Grundsatz des Verwaltungshandelns ausdrücklich in § 39 SGB I, § 40 VwVfG zum Ausdruck, nach denen die Behörden nicht nur verpflichtet sind, das Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung auszuüben, sondern auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Im Rahmen der Rechtskontrolle überprüfen die Gerichte nur die Einhaltung dieser Schranken (vgl. § 114 VwGO). Man unterscheidet rechtsmethodisch folgende Fehler, die zur Rechtswidrigkeit der Ermessensausübung führen:

Ermessensfehler

■ Ermessensüberschreitung: Die Ermessensentscheidung liegt nicht mehr innerhalb des gesetzlich eingeräumten Rahmens, die Grenzen des Ermessens sind überschritten.

Bsp.: Eine Verwaltung kann aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung eine Gebühr in Höhe von 30 € bis 60 € festsetzen, sie setzt aber 20 € oder 70 € fest. In beiden Fällen ist der Ermessensrahmen überschritten, einmal nach unten, einmal nach oben hin.

■ Ermessensmangel, auch Ermessensnichtgebrauch oder Ermessensunterschreitung genannt: Hierbei findet eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Ausübung des Ermessens (überhaupt) nicht statt. Es mangelt an einer sachgemäßen Ermessensbetätigung.

Übersicht 14: Unbestimmter Rechtsbegriff, Beurteilungsspielraum und Ermessen

Die Begriffe „Ermessen“, „Beurteilungsspielraum“ und „unbestimmter Rechtsbegriff“ werden häufig verwechselt. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass diese Begriffe funktional zwei verschiedenen Gegensatzpaaren angehören. Zu unterscheiden sind:

■ das Gegensatzpaar „bestimmter / unbestimmter Rechtsbegriff“, dem auch die Fälle des Beurteilungsspielraums (als Sonderfälle des unbestimmten Rechtsbegriffs) zuzurechnen sind,

■ das Gegensatzpaar „gebundene Verwaltung / Ermessensverwaltung“.

Bei unbestimmten Rechtsbegriffen stellt sich die Frage nach Inhalt und Grenzen einzelner Tatbestandselemente, die durch Auslegung näher bestimmt werden müssen. Das Ermessen betrifft die Frage, ob die Verwaltung bei Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes im Hinblick auf die Rechtsfolge einen gewissen, gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Handlungsspielraum hat.


Unbestimmter RechtsbegriffErmessen
1. findet sich in fast allen Vorschriften des Öffentlichen und privaten Rechts;wird i.d.R. nur der öffentlichen Verwaltung eingeräumt; der Begriff wird i.d.R. nicht bei Privatpersonen verwendet (Ausnahme: §§ 315, 317 BGB), diese können im Rahmen der Gesetze frei entscheiden;
2. findet sich häufig auf der Tatbestandsseite einer Rechtsnorm, kann aber ggf. auch auf der Rechtsfolgenseite vorkommen;findet sich nur auf der Rechtsfolgenseite; Ermessen auf der Tatbestandsseite wäre mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar (Schutz- und Garantiefunktion des gesetzlichen Tatbestandes);
3. ist erkennbar an Formulierungen mit nicht eindeutigem Inhalt (z.B. Angemessenheit, erforderlich, Zuverlässigkeit, Gemeinwohl, Sicherheit und Ordnung, Gefahr);ist erkennbar an Formulierungen wie „kann“, „darf“, „ist befugt“ (sog. „Kann-Bestimmungen“ im Unterschied zu „Soll- und Muss-Bestimmungen“ bei den Fällen der gebundenen Verwaltung);
4. Unbestimmte Rechtsbegriffe erlauben nur eine richtige (rechtmäßige) Auslegung, die der uneingeschränkten richterlichen Nachprüfung unterliegt; wichtig: Begründung!Ausnahme sind jedoch die unbestimmten Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum (grundsätzlich nur bei Prüfungsentscheidungen, Beamtenbeurteilungen und wertenden Entscheidungen pluralistischer Gremien), die nur einer eingeschränkten richterlichen Überprüfung auf bestimmte Beurteilungsfehler unterliegen (insbesondere wenn von falschen Tatsachen ausgegangen wurde, sachfremde Erwägungen maßgebend waren oder wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes).Die Ermessenseinräumung erlaubt grundsätzlich (unter Beachtung des Gleichheits-, Sozialstaatsund Verhältnismäßigkeitsgebot) mehrere rechtmäßige Handlungsalternativen; wobei die Verwaltung die zweckmäßigste auszuwählen hat. Die Ausübung des Ermessens durch die Verwaltung unterliegt nur der eingeschränkten richterlichen Nachprüfung (§ 114 VwGO) auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensnichtgebrauch, Ermessensmissbrauch), wohl aber der vollständigen Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit durch übergeordnete Verwaltungsinstanzen (deshalb auch hier wichtig: Begründung!).
5. Soweit überhaupt ein Beurteilungsspielraum anerkannt wird, ist dieser sehr eng, wenn besonders wichtige Rechtsgüter (insbes. Leben, Gesundheit) betroffen sind.Sog. „Ermessensschrumpfung“ (-reduzierung) auf Null liegt vor, wenn im Einzelfall im Hinblick auf besonders wichtige Rechtsgüter (insbes. Leben, Gesundheit) nur eine einzige Entscheidung als rechtmäßig angesehen werden kann.

Bsp.: Ein Beamter wägt bei dem oben gegebenen Ermessensspielraum (30 € bis 60 €) entweder überhaupt nicht oder nur teilweise ab, weil er (ggf. aufgrund einer Verwaltungsvorschrift) fälschlicherweise meint, nur Gebühren in Höhe von 45 € auferlegen zu dürfen. Hier fehlt es an einer den Ermessensspielraum ausschöpfenden Pro- und Contra-Abwägung.