Grundzüge des Rechts

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Neben der Rechts- und Fachaufsicht gibt es noch die Rechnungsprüfung, die Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung der öffentlichen Hand durch sog. Rechnungshöfe.

Welche Form der Aufsicht eingreift, richtet sich nach dem jeweiligen Verwaltungsaufbau (vgl. 4.1.2.1). Die Rechtsaufsicht des Staates ist unabhängig von der Verwaltungsorganisation stets zulässig und notwendig – es gibt also keinen rechtsfreien Raum. Die Fach- und Dienstaufsicht ist aber nur in einem hierarchischen Gefüge zulässig.


Das ist z. B. im Verhältnis des LJA (staatliche Behörde) zu den kommunalen JÄ nicht der Fall. In Selbstverwaltungsangelegenheiten, wie z. B. im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, gibt es keine Fachaufsicht über die Kommunen. Die Aufgaben des LJA sind ausdrücklich in § 85 Abs. 2 SGB VIII geregelt und beschränken sich mit Blick auf die kommunalen JÄ im Wesentlichen auf beratende und fördernde Tätigkeiten. Den LJÄ steht aber auch keine Rechtsaufsicht über die JÄ zu. Diese richtet sich nach den jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen (i. d. R. Kommunal- oder Gemeindeordnungen). Die Funktion der Kommunal- oder Rechtsaufsichtsbehörde über die kreisfreien Städte und Landkreise wird in den Ländern zumeist durch eine Landesmittelbehörde (z. B. Bezirksregierung, Regierungspräsidien, Landesverwaltungsamt, z. B. in Thüringen § 118 Abs. 2 ThürKO) wahrgenommen (sonst Innenministerium, § 171 NKomVG), die Rechtsaufsicht über kreisangehörige Gemeinden liegt in den meisten Bundesländern beim Landrat / Landkreis. Es gibt wie in den anderen Selbstverwaltungsangelegenheiten (z. B. Sozialhilfe) keine davon getrennte Rechtsaufsicht über die kommunalen (Jugend-) Ämter / Behörden. Das LJA kann gegenüber den JÄ lediglich Empfehlungen aussprechen und durch gezielte Beratung und (v. a. Ressourcen steuernde) Förderung diese zu einem bestimmten Verhalten veranlassen. Soweit das LJA in den staatlichen Behördenaufbau eingegliedert ist, unterliegt es selbst den Weisungen der nächsthöheren Behörde und der Fachaufsicht des Innenministeriums (z. B. § 15 NRW AGKJHG).

Im internen Verwaltungsaufbau der JÄ unterliegen deren Mitarbeiter grds. der Dienst- und Fachaufsicht ihrer Vorgesetzten, insb. der Jugendamtsleiter, der Sozialdezernenten und Bürgermeister. Wird das JA allerdings Amtspfleger oder -vormund, so überträgt es die Erledigung der Aufgabe einzelnen seiner Beamten oder Angestellten (§ 55 Abs. 2 S. 1 SGB VIII).Diese sind insoweit allein den Interessen des von ihnen vertretenen Mündels verpflichtet und unterstehen dabei nicht der Fachaufsicht durch eine staatliche Verwaltungsbehörde, sondern der Aufsicht des Familiengerichts (§ 1837 BGB; Münder et al. 2013b, § 55 Rz. 18 f.)

formlose Rechtsbehelfe

Aufsichtsverfahren werden entweder von Amts wegen durch die Aufsicht führende Behörde in Gang gesetzt oder durch die Beschwerde eines Bürgers ausgelöst. Sie sind Ausfluss des sog. Petitionsrechts nach Art. 17 GG. Mit der sog. Gegenvorstellung kann der Bürger ganz allgemein die nochmalige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch die Ausgangsbehörde anregen (z. B. weil ihm aufgefallen ist, dass offensichtlich ein Versehen oder Tippfehler vorliegt oder wichtige Unterlagen nicht eingegangen oder berücksichtigt worden sind). An die nächsthöhere Stelle richtet sich die Fachaufsichtsbeschwerde, mit der die inhaltliche Überprüfung eines Vorgangs oder einer Entscheidung angeregt wird, während man sich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde über das persönliche Verhalten eines Mitarbeiters (z. B. Beleidigung) einer Verwaltung beklagt. Gegenvorstellungen und Beschwerden ist gemein, dass sie – wie eine Petition, „Eingabe“ oder ein Gesuch und damit anders als der Widerspruch (hierzu 5.2.2) – formlos, ohne Einhaltung einer bestimmten Frist und selbst dann zulässig sind, wenn der Beschwerdeführer als Person überhaupt nicht betroffen ist und für einen anderen handeln will. Ihr Nachteil ist allerdings, dass der Bürger keinen Rechtsanspruch auf eine Entscheidung hat, sondern die Bearbeitung im Ermessen der Behörde steht. Das veranlasst manche zu der Bemerkung, diese Rechtsbehelfe seien „formlos, fristlos, … aber auch fruchtlos“. Allerdings kann man dies so pauschal für die Praxis nicht bestätigen. Insb. (in Form und Inhalt) angemessene (und nicht querulierende) Gegenvorstellungen veranlassen die Verwaltung durchaus dazu, Fehler zu korrigieren, ohne dass ihr „ein Zacken aus der Krone bricht“. Vor Dienstaufsichtsbeschwerden wird gelegentlich gewarnt, weil sich die Sachbearbeiter persönlich getroffen und angeschwärzt fühlen könnten und man sich gerade in Abhängigkeitsverhältnissen keine Feinde machen sollte. Allerdings sollte man auch dies nicht so pauschal stehen lassen, zumal gerade in diesem Bereich auch Rechts- und Sozialanwälte stellvertretend aktiv werden können. In modern geführten und zunehmend bürgerfreundlicher organisierten Verwaltungen kann es sich kein Mitarbeiter erlauben, mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden einfach auszusitzen. Zumindest die Furcht vor einer negativen Presse wird die Amtsleitungen veranlassen, intern ein transparentes Berichtswesen zur Qualitätssicherung zu implementieren und sich ebenso ernsthaft mit „Kritik von außen“ zu beschäftigen.

Neben diesen allgemeinen Beschwerdemöglichkeiten gibt es eine Reihe spezifischer Kontroll- und Beschwerdestellen, insb. sog. Bundesbeauftragte, mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen, die sich der Anliegen der Bürger annehmen können, z. B.

■ Landes- und Bundesdatenschutzbeauftragte (vgl. III-1.2.3),

■ Beauftragte des Bundes für die Belange behinderter Menschen,

■ Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,

■ Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten,

■ die Kinderschutzkommission des Bundestages,

■ Kinderbeauftragte der Kommunen,

■ Gleichstellungsbeauftragte des Bundes, der Länder und Kommunen.

5.2.2 Widerspruchsverfahren

Widerspruch

§ 62 SGB X ➝ § 51 SGG

Im Rahmen der verwaltungsinternen Rechtskontrolle steht dem Bürger neben den nicht förmlichen Rechtsbehelfen mit dem sog. Widerspruch noch ein weiter gehender förmlicher Rechtsbehelf zur Verfügung. Für das förmliche Rechtsbehelfsverfahren gegen Verwaltungsakte (hierzu III-1.3.1) verweist § 62 SGB X entweder auf die Möglichkeiten des SGG oder der VwGO, soweit nicht ausdrücklich durch ein Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Zunächst muss also auch im Hinblick auf das verwaltungsinterne Widerspruchverfahren der (letztlich vor Gericht zu bestreitende) Rechtsweg geklärt werden, weil sich daraus auch die Regelungen für das sog. Vorverfahren ergeben. Nach § 51 SGG ist für Angelegenheiten der Sozialversicherung wie auch der Arbeitsförderung, der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Nr. 4a) sowie der Sozialhilfe nach dem SGB XII und des Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 6a) grds. der Sozialgerichtsweg einzuschlagen. Angelegenheiten nach dem BAföG, dem Heimrecht, dem WoGG und Zuwanderungsrecht (hierzu III-7) sowie der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII (hierzu III-3) sind in § 51 SGG nicht aufgeführt, weshalb es i. d. R. bei dem in § 40 VwGO vorgesehenen Verwaltungsrechtsweg bleibt. Eine Ausnahme hiervon bildet die gesetzliche Sonderrechtswegzuweisung z. B. für den Widerspruch der Personen- oder Erziehungsberechtigten nach § 42 Abs. 3 SGB VIII bei einer (noch andauernden) Inobhutnahme, über den im Hinblick auf den Personensorgerechtseingriff das FamG zu entscheiden hat (s. III-3.5.4). Demgegenüber handelt es sich bei einem Widerspruch gegen einen VA, der aufgrund einer Inobhutnahme ergeht (z. B. Kostenbescheid) und mit dem die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme immanent geprüft werden muss, um eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit, die von den Verwaltungsgerichten geklärt wird.

Statthaftigkeit

Das Widerspruchsverfahren dient nicht nur dem Rechtsschutz des Bürgers und der Selbstkontrolle der Verwaltung, sondern auch der Entlastung der Gerichte (vgl. hierzu Sodan / Ziekow – Geis 2014, § 68 Rz. 1 ff.). Es handelt sich um ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren, das bislang i. d. R. erforderlich (und deshalb – wie man entsprechend der juristischen Terminologie sagt – „statthaft“) ist, bevor vor den Sozial- bzw. Verwaltungsgerichten Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erhoben werden kann. Ohne vorherigen Widerspruch ist eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage also grds. nicht zulässig (sog. Prozessvoraussetzung; § 78 Abs. 1 SGG/§ 68 Abs. 1 VwGO – mit den dort geregelten Ausnahmen; kommt es nicht zu einem Gerichtsverfahren, z. B. weil der Widerspruch Erfolg hatte, spricht man mitunter vom sog. „isolierten Vorverfahren“). Ausdrücklich ausgeschlossen ist ein Widerspruch teilweise im Zuwanderungs- und Asylrecht (§§ 15a Abs. 2 u. 4, 24 Abs. 4 AufenthG; § 11 AsylG). Mittlerweile haben auch mehrere Bundesländer aufgrund § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO bzw. § 78 Abs. 1 S. 1 SGG das Widerspruchsverfahren durch Landesgesetze in einigen Rechtsgebieten als nicht mehr „statthaft“ abgeschafft (in Nds zunächst durch § 8a Nds AGVwGO/§ 4a Nds AGSGG, seit 16.12.2014 §§ 80, 86 NJG; vgl. § 16a HE AGVwGO; § 110 JustG NRW; in Bayern besteht nach Art. 15 Abs. 1 Nr. 4 Bay AGVwGO ein fakultatives Widerspruchs- bzw. Klagerecht; hierzu Sodan / Ziekow – Geis 2014, § 68 Rz. 131 ff.). In Nds betrifft dies auch die im Verwaltungsrechtsweg zu behandelnden Streitigkeiten nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (§ 80 NJG), andererseits sind z. B. Widersprüche gegen VAe aufgrund des UhVorschG weiterhin zulässig (§ 80 Abs. 3 Nr. 4i NJG; seit 01.07.2017: § 80 Abs. 2 Nr. 4i NJG); im SGG-Bereich ist der Widerspruch beim Blindengeld abgeschafft worden (§ 86 NJG), während in NRW neben dem UhVorschG ausdrücklich auch das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Wohngeldrecht vom Wegfall des Widerspruchsverfahrens ausgenommen wurde (§ 110 Abs. 2 Nr. 9 und 11 JustG NRW). In Thüringen wurde das Vorverfahren bislang nur in einigen Randbereichen abgeschafft (§§ 8a ff. Thür AGVwGO, z. B. bei einigen VAe des Landesverwaltungsamtes). Die Regelungen der Bundesländer sind also selbst dort, wo das Widerspruchsverfahren grds. weggefallen ist, sehr unterschiedlich; häufig finden sich Ausnahmeregelungen vom Wegfall des Widerspruchverfahrens im Bereich des Prüfungs- und Schulrechts sowie im Bau- und Immissionsschutzrecht (vgl. z. B. § 80 Abs. 2 NJG n.F.). Nach der neuen (seit 01.07.2017 geltenden) Regelung in § 80 Abs. 3 NJG können die niedersächsischen Behörden VAe in einigen Rechtsbereichen, in denen der Gesetzgeber das Widerspruchsverfahren grds. abgeschafft hat (z. B. bzgl. kommunaler Abgaben und im Bereich der Landwirtschaft), mit der Anordnung versehen, dass vor Erhebung der Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit des VA in einem Vorverfahren zu prüfen ist.

 

Die Abschaffung des Widerspruchverfahrens und damit die Zulässigkeit bzw. die Notwendigkeit zur direkten Klageerhebung ist nicht zum Vorteil des rechtsuchenden Bürgers (Schwellenerhöhung; ggf. Kostenlast nach § 154 VwGO) und hat in der Fachöffentlichkeit und bei Bürgerbeauftragten heftige Kritik ausgelöst (vgl. Nieuwland 2007, 38).

Fristen

Auch wenn man das Widerspruchsverfahren im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolle als „Vorverfahren“ bezeichnet, handelt es sich um ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren. Sofern nichts Besonderes geregelt ist (vgl. § 84a SGG), gelten deshalb neben dem SGG bzw. der VwGO auch die allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelungen nach dem SGB I und X (§ 62 HS 2 SGB X; hierzu ausführlich III-1.2). Das Kontrollverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs § 83 SGG/§ 69 VwGO). Der Widerspruch ist nach § 84 Abs. 1 SGG bzw. § 70 Abs. 1 VwGO grds. bei der Behörde zu erheben, die den VA erlassen hat. Dies kann schriftlich (d. h. mit Originalunterschrift vgl. II-1.3.3) oder zur Niederschrift geschehen (d. h. mündlich zu Protokoll) und muss innerhalb eines Monats (nicht vier Wochen!) nach Bekanntgabe des VA (= Zugang) erfolgen. Zur Fristwahrung genügt es im Verwaltungsrechtsweg auch, den Widerspruch innerhalb der Frist bei der Widerspruchsbehörde einzureichen (§ 70 Abs. 1 S. 2 VwGO), im Sozialrechtsweg ist die Frist auch dann gewahrt, wenn der Widerspruch rechtzeitig irgendeiner deutschen Behörde oder einem Sozialversicherungsträger (§ 84 Abs. 2 SGG) zugeht. Im Hinblick auf den ggf. notwendigen Beweis ist es ratsam, den Widerspruch per Einschreiben zu schicken oder zusammen mit einem Zeugen bei der Post abzugeben. Wird der Schriftsatz durch Telefax übermittelt, so ist ein Sendebericht zu erstellen und auf etwaige Übermittlungsfehler, insb. die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer, zu überprüfen (nach BSG 20.10.2009 – B 5 R 84 / 09 B kommt es auf den Empfang der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät des Empfängers an, so auch noch BGH 25.04.2006 – IV ZB 20 / 05; mittlerweile ist nach BGH 19.03.2008 – III ZB 80 / 07 im Zivilrecht ein Sendebericht ausreichend; eine E-Mail ohne qualifizierende Signatur genügt aber nicht, vgl. VGH Kassel NVwZ-RR 2006, 377). Im Sozialrechtsweg beträgt die Frist bei einer Bekanntgabe ins Ausland drei Monate. Die Fristen beginnen nur zu laufen, wenn eine korrekte Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. III-1.3.1.1) schriftlich ergangen ist. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben (z. B. weil sie erlassen oder vergessen wurde oder der VA mündlich erging) oder ist sie fehlerhaft, so verlängert sich die Frist bis auf ein Jahr (§ 66 SGG / § 58 VwGO).

Im Hinblick auf den Zugang des VA ist die 3-Tages-Regel des § 37 Abs. 2 SGB X zu beachten. Ein schriftlicher VA, der durch die Post übermittelt wird, gilt mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (Zugangsfiktion), selbst wenn er an seinem Ziel früher eintreffen sollte. Fällt das Fristende auf ein Wochenende oder einen gesetzlichen Feiertag, so endet die Frist grds. erst mit dem Ablauf des nächsten Werktages (§ 26 Abs. 3 SGB X; für den Widerspruch vgl. § 57 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 2 ZPO). Für die Fristberechnung sind nach §§ 62, 26 Abs. 1 SGB X im Übrigen die Regelungen der §§ 187 – 193 BGB anzuwenden. Will der Adressat des VA sichergehen, dass er den Ablauf der Widerspruchsfrist nicht verpasst, sollte er das (im Schreiben angegebene) Datum beachten, an dem der Bescheid frühestens zur Post gegangen ist, sodass von einer Bekanntgabe am dritten Tag danach auszugehen ist und die Frist gemäß § 187 Abs. 2 BGB mit Beginn des Folgetages zu laufen beginnt. Im Streit um die Rechtzeitigkeit eines Widerspruchs greift die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X aber nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde. Ohne einen solchen sog. Abvermerk muss die Behörde den Zugang beweisen, wenn der Bürger diesen bestreitet (LSG Thür 19.02.2014 – L 1 U 1792 / 13 B ER).

Beschwer

Ein Widerspruch ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer geltend machen kann, durch den VA in seinen eigenen (subjektiv-öffentlichen) Rechten (vgl. 1.1.4) verletzt, d. h. selbst beschwert zu sein. Das ergibt sich aus dem Gesetz zwar unmittelbar nur für die Klage (vgl. § 54 Abs. 1 S. 2 SGG/§ 42 Abs. 2 VwGO), setzt aber die Selbstbetroffenheit für das Vorverfahren durch den „Beschwerten“ logisch voraus (vgl. § 84 SGG/§ 70 VwGO). Für die Beschwerde reicht allein die Möglichkeit einer (Rechts-)Verletzung aus, weshalb Adressaten von belastenden VA grds. immer widerspruchsbefugt sind. Darüber hinaus können jedoch auch Dritte durch einen VA beschwert und somit zum Widerspruch berechtigt sein. Im allgemeinen Verwaltungsrecht ist das z. B. bei Baugenehmigungen der Nachbarn des Adressaten der Fall, da von einem Neu-, An- oder Umbau auch ihr Grundstück faktisch oder in seinem Wert betroffen sein kann. Im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende können z. B. die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft beschwert sein, die bei einer Kürzung des Alg II beim Adressaten wegen einer Sanktion nach § 31a SGB II (III-4.18) mitbetroffen sind, da dadurch das verfügbare Haushaltseinkommen sinkt.

Suspensiveffekt

Der Widerspruch hat – ebenso wie die Anfechtungsklage – bei der Anfechtung eines VA grds. eine aufschiebende Wirkung (sog. Suspensiveffekt; § 86a Abs. 1 SGG, § 80 Abs. 1 VwGO), d. h. der VA wird nicht bestandskräftig (vgl. III-1.3.1.2) und darf deshalb grds. nicht vollstreckt werden. Keine aufschiebende Wirkung tritt dagegen u. a. in folgenden Fällen ein:

■ bei der Anforderung von öffentlichen Beiträgen, Abgaben und Kosten sowie Steuern und Gebühren (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG/§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; zur Frage der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen Kostenbeitragsbescheid im Jugendhilferecht s. III-3.5.4),

■ bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten im Rahmen der Gefahrenabwehr (§ 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO),

■ für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei VA, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen (§ 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG),

■ in den durch Bundes- oder Landesgesetz geregelten Fällen (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), z. B. § 39 SGB II (Aufhebung und Widerruf von Leistungen der Grundsicherung), §§ 77 Abs. 4, 88 Abs. 4 SGB IX (z. B. Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen); §§ 15a, 24 Abs. 4, 84 Abs. 1 AufenthG (insb. Versagung von Aufenthaltstiteln),

■ in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung des VA im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet worden ist (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG/§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Hier besteht aber die Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gerichtlich wieder herstellen zu lassen (§ 86b SGG; § 80 Abs. 5 VwGO; s. u.).

Devolutiveffekt

Wenn die Ausgangsbehörde dem Bürger nicht Recht gibt und damit seinem Widerspruch nicht „abhilft“ (§ 85 Abs. 1 SGG/§ 72 VwGO), erlässt den Widerspruchsbescheid im hierarchischen Behördenaufbau grds. die nächsthöhere Behörde (sog.Devolutiveffekt; § 85 Abs. 2 Nr.1 SGG/§ 73 VwGO), d. h. der Widerspruch muss grds. der nächsthöheren Behörde vorgelegt werden, wodurch eine weitere Stufe verwaltungsinterner Kontrolle hinzukommt. In Angelegenheiten der Sozialversicherung entscheidet die hierzu von der Vertreterversammlung bzw. dem Verwaltungsrat bestimmte Stelle (§ 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG), in sonstigen (insb. kommunalen) Selbstverwaltungsangelegenheiten (Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises, z. B. Jugend- und Sozialhilfe), in denen ja eine nächsthöhere Behörde nicht besteht, entscheidet der Träger grds. selbst (§ 85 Abs. 2 Nr. 4 SGG, § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), es sei denn, durch Landesrecht wird etwas anderes bestimmt (z. B. erlässt den Bescheid über den Widerspruch gegen den VA einer kreisangehörigen Gemeinde in Selbstverwaltungsangelegenheiten nach § 27 Abs. 1 des Sächsischen Justizgesetzes das Landratsamt, dessen Rechtsaufsicht die Gemeinde untersteht, als Rechtsaufsichtsbehörde. Die Nachprüfung des VA unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit bleibt der Gemeinde vorbehalten). Entscheidet der Selbstverwaltungsträger nach § 85 Abs. 2 Nr. 4 SGG, § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO selbst, so wird nach dem jeweiligen Organisationsrecht (Gemeindesatzung; s. 1.1.3.4) eine entsprechende Stelle festgelegt, welche die Widerspruchsentscheidung trifft (z. B. der Jugendhilfeausschuss bei einem Widerspruch gegen einen VA des JA, zum Widerspruchsverfahren im Jugendhilferecht vgl. Münder et al. 2013b, Anhang Verfahren Rz. 57 ff.; im Hinblick auf die Sozialhilfe s. a. § 99 SGB XII). Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, bleibt noch der Klageweg (s. 5.2.3).

Verböserung

Im Rahmen der verwaltungsinternen Rechtskontrolle findet eine uneingeschränkte Überprüfung des Verwaltungshandelns – auch des Ermessens (anders ist dies im gerichtlichen Verfahren, vgl. § 114 VwGO; s. 3.4.2) – statt. Anders als im Klageverfahren vor den Gerichten (§ 88 VwGO) kann im Widerspruchsverfahren der VA unter Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X (hierzu III-1.3.1.3) auch zuungunsten des Bürgers abgeändert werden (sog. „Verböserung“ – reformatio in peius), denn es handelt sich ja noch um eine verwaltungsinterne Prüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Insoweit ist der Vertrauensschutz bei einem noch nicht bestandskräftigen VA geringer als nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist. Die Rechtmäßigkeit der Widerspruchsentscheidung (und damit auch einer möglichen reformatio in peius) beurteilt sich damit stets nach dem materiellen und dem entsprechenden Organisationsrecht der Verwaltung (vgl. Diering / Timme 2016, Vor §§ 44 Rz. 12; Kopp / Schenke 2016, § 68 Rz. 10).

Kosten

Das Widerspruchsverfahren ist als Teil des Sozialverwaltungsverfahrens für den Beschwerdeführer kostenfrei (§§ 62, 64 SGB X). Soweit dem Bürger selbst, z. B. durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts, Kosten entstanden sind, werden diese im Rechtsbehelfsverfahren erstattet, wenn der Widerspruch Erfolg hatte (bzw. nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist) und die Kosten „zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung“ notwendig waren (§ 63 Abs. 1 u. 2 SGB X). Rechtsanwaltskosten werden also nur erstattet, wenn ein vernünftiger Bürger mit durchschnittlichem Bildungs- und Erfahrungsstand in der Sache einen Anwalt zurate gezogen hätte (BSG 24.05.2000 – 7 C 8 / 99 – NJW 2000, 611; BSG 25.02.2010 – B 11 AL 24 / 08). Nach einem Beschluss des BVerfG (1 BvR 1517 / 08 – 11.05.2009) kann es einem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, den Rat derselben Behörde in Anspruch zu nehmen, deren Entscheidung er im Widerspruchsverfahren angreifen will.

 

5.2.3 Gerichtliche Kontrolle

Die Kontrolle der Exekutive durch eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit ist historisch gesehen relativ neu, widersprach sie doch den Herrschaftsinteressen absoluter Monarchen und den früher üblichen feudalen Strukturen. Es war einfach kaum vorstellbar, den Monarchen bzw. den Adel zu verklagen. Soweit die Exekutive überhaupt einer Kontrolle unterlag, wurde diese von Aufsichtsbehörden wahrgenommen, die den Regenten unterstellt waren (sog. Verwaltungsrechtspflege), womit die Verwaltung einer „ordentlichen“ Gerichtsbarkeit entzogen war („Kameraljustiz“); vgl. hierzu die Legende vom Müller und dem König:

Der Müller und der König

Bei der Geschichte vom Streit des Müllers Grävenitz mit Friedrich II. handelte es sich teilweise um eine Legende. Grävenitz betrieb seine Bockwindmühle in unmittelbarer Nähe der Sommerresidenz „Sanssouci“ im heutigen Potsdam. Friedrich II. soll das Geklapper der Mühle so unerträglich geworden sein, dass er den Müller Grävenitz aufforderte, ihm seine Mühle zu verkaufen. Für den Kauferlös sollte er dann an anderer Stelle eine neue Mühle errichten. Als sich der trotzige Müller weigerte, den durch Erbpacht gesicherten Mühlenstandort zu verlassen, habe der König gedroht, ihm die Mühle kraft seiner königlichen Macht „ohne einen Groschen“ wegnehmen zu lassen. Daraufhin habe der mutige Müller geantwortet: „Gewiss, das könnten Eurer Majestät wohl tun, wenn es nicht das Kammergericht in Berlin gäbe.“


Historisch dokumentiert ist der eigentlich zivilrechtliche Streit des Müllers Christian Arnold, der seit 1762 eine Wassermühle im neumärkischen Pommerzig betrieb, mit dem Grafen von Schmettau um Absenkung der Erbpacht. Als der Müller seine Pacht nicht mehr bezahlen konnte, verklagte ihn der Graf und ließ die Wassermühle kurzerhand versteigern. Arnold wehrte sich mit einer Gegenklage und behauptete, Landrat von Gersdorff habe oberhalb seiner Mühle einen Karpfenteich angelegt, ihm somit das Wasser entzogen und ihn unverschuldet in Pachtrückstand getrieben. Als das Obergericht der Provinz Küstrin Arnolds Schadensersatzklage abwies, bat der Müller Arnold Friedrich II. um Rechtsbeistand. Der König nahm sich der Sache an, doch erst nachdem auch das extra einberufene Appellationsgericht das Küstriner Urteil als rechtens bestätigt hatte, griff der König, der vom Recht des Müllers überzeugt war, in das Gerichtsverfahren selbst ein. Im Glauben, die Justiz verweigere seinen Untertanen aus Standesdünkel eine gerechte Behandlung, schrieb er an den Justizminister von Zedlitz: „Der Herr wird mir nichts weiß machen. Ich kenne alle Advokaten-Streiche und lasse mich nicht verblenden. Hier ist ein Exempel nötig, weil die Canaillen enorm von meinem Namen Missbrauch haben, um gewaltige und unerhörte Ungerechtigkeiten auszuüben. Ein Justitiarius, der chicanieren tut, muss härter als ein Straßenräuber bestrafft werden. Denn man vertraut sich am ersten, und vorm letztern kann man sich hüten!“ Friedrich II. schickte einen Oberst und einen Regierungsrat nach Pommerzig, um sich Klarheit zu verschaffen. Erst als diese zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangten, verwies Friedrich den Fall, „um die Sache ganz kurz abzumachen“, zur endgültigen Klärung an das Berliner Kammergericht. Aber auch dieses höchste preußische Gericht wies die Arnold-Klage zurück (vgl. www.kleiekotzer.com/html/sanssouci_2.html, 27.06.2017).

Eine effektive, rechtsgebundene Kontrolle der öffentlichen Verwaltung ist heute Kennzeichen des Rechtsstaates. Allerdings trat die VwGO erst 1960 in Kraft, womit die Verwaltungsgerichtsbarkeit als unabhängiger Zweig der Justiz installiert wurde.

Verwaltungsgerichte

Den auf der Grundlage von Art. 95 GG eingerichteten Verwaltungsgerichten obliegt nach § 40 VwGO die Rechts- und Verwaltungskontrolle nach Art. 19 Abs. 4 GG in sämtlichen öffentlich-rechtlichen Entscheidungen und Maßnahmen, soweit sie nicht gesetzlich anderen Gerichten zugewiesen sind. Den Sozialgerichten obliegt im Wesentlichen die Kontrolle der Sozialversicherungsträger sowie der Sozialhilfeverwaltung (vgl. § 51 SGG). Spezielle Rechtswegzuweisungen zur Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG enthalten u. a. § 13 Abs. 1 BEEG, § 27 Abs. 2 Berufliches RehabilitierungsG, § 11 Abs. 8 BVFG, § 68 Abs. 2 InfektionsschutzG sowie § 5 SchwHG.

Die Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut (§ 2 SGG/§ 2 VwGO). In erster Instanz sind i. d. R. die Sozial- und Verwaltungsgerichte zuständig (§ 8 SGG/§ 45 VwGO). Berufungs- und Beschwerdeinstanz sind die Landessozial- (§§ 28 f. SGG) bzw. Oberverwaltungsgerichte (OVG) und Verwaltungsgerichtshöfe (VGH) der Bundesländer (§§ 46 ff. VwGO). Diese sind zudem erste Instanz bei Normenkontrollen von Satzungen, landesrechtlichen Vereinsverboten und Genehmigungen von Großprojekten. Revisions- und Rechtsbeschwerdeinstanz ist das BSG in Kassel bzw. das BVerwG mit Sitz in Leipzig. Auch diese können erstinstanzlich entscheiden, z. B. in Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art zwischen Bund und Ländern (§ 39 SGG/§ 50 VwGO).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind Berufung und Revision grds. nur zulässig, wenn sie im Urteil zugelassen worden sind (§ 124 bzw. § 132 VwGO). Im sozialgerichtlichen Verfahren gilt dies immer für die Revision (§ 160 SGG), die Berufung bedarf mitunter der Zulassung (insb. in den sog. Bagatellsachen, vgl. § 144 SGG). Unterbleibt die Zulassung der Überprüfung, kann diese durch eine Beschwerde bei der nächsthöheren Instanz beantragt werden (sog. Nichtzulassungsbeschwerde, §§ 145, 160a SGG / §§ 124a, 133 VwGO).

Klagearten

Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (auf Aufhebung eines belastenden bzw. auf Erlass eines begünstigenden VA gerichtete Gestaltungsklagen, vgl. § 54 SGG/§ 42 VwGO) setzen grds. ein Widerspruchsverfahren voraus (beachte insoweit die Ausnahmeregelung in einigen Bundesländern, s. 5.2.2). Die Erhebung dieser Klagen ist nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheids zulässig (§ 87 SGG/§ 74 VwGO). Bei einer fehlenden oder fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung kann die Klage innerhalb eines Jahres erhoben werden (§ 66 SGG/§ 58 VwGO). Die Klage ist grds. nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein (Klagebefugnis, vgl. § 54 Abs. 1 S. 2 SGG/§ 42 VwGO). Eine sog. Untätigkeitsklage, bei der es ja an einem VA gerade fehlt, weil die Behörde nicht entscheidet, kann nach § 88 Abs. 2 S. 1 SGG/§ 75 S. 2 VwGO nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Einlegung des Widerspruchs bzw. des Antrags auf Erlass eines VA bzw. nach § 88 Abs. 1 S. 1 SGG nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des VA erhoben werden. Ziel der sog. allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG; vgl. § 43 Abs. 2 VwGO, insb. Folgenbeseitigungsanspruch) bzw. Unterlassungsklage ist u. a. die Vornahme bzw. Unterlassung sog. schlicht-hoheitlicher Verwaltungsmaßnahmen bzw. Realakte (also nicht eines VA, wohl aber die Umsetzung eines VA, z. B. die Auszahlung eines bewilligten Zuschusses) oder die Beseitigung der Folgen eines rechtswidrigen Verwaltungshandelns. Ziel einer Feststellungsklage (§ 55 SGG/§ 43 Abs. 1 VwGO) ist die verbindliche Feststellung, dass ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis (z. B. die Staatsangehörigkeit, eine Gesundheitsstörung oder Schwerbehinderung) besteht bzw. nicht besteht (z. B. wegen Nichtigkeit eines VA). Sie ist aber nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung als solcher hat, was i. d. R. nicht der Fall ist, wenn sich das Ziel immanent mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen lässt (§ 43 Abs. 2 VwGO). Obwohl § 55 SGG keine entsprechende Regelung enthält, gilt der Subsidiaritätsgrundsatz grds. auch für die sozialgerichtliche Feststellungsklage (BSG B 10 LW 4 / 05 R – 05.10.2006), es sei denn, es soll eine Feststellung gegenüber einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ergehen, da diese nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist und demzufolge die gerichtliche Feststellung umsetzen wird, ohne dass es eines vollstreckbaren Verpflichtungs- oder Leistungsurteils bedarf (BSG B 1 KR 4 / 09 R – 27.10.2009).

Untersuchungsgrundsatz

Im sozial- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt – anders als im streitigen zivilgerichtlichen Verfahren (hierzu 5.3.1) – der Untersuchungsgrundsatz (Amtsermittlungsgrundsatz, z. T. auch „Inquisitionsmaxime“ genannt), nach dem der Sachverhalt durch das Gericht von Amt wegen ggf. durch Beweiserhebungen festgestellt werden muss (§ 103 SGG/§ 86 VwGO).