Spiritualität - ein unlösbares Dilemma

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Anton Weiß

Spiritualität - ein unlösbares Dilemma

Warum so wenige Sucher zur Erleuchtung kommen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Warum so wenige Sucher Erleuchtung finden

Erschütternde Grunderfahrung

Das Ich will beruhigt werden

Die Erfahrung der eigenen Nichtigkeit

Das Ich als Illusion

Der massive Block des Ichs

Das Denken

Denken und Vorstellungen

Die Angst

Die Subjekt-Objekt-Spaltung

Das Paradox: Ich kann es nicht und nur ich kann es

Unser Verstand ist unzureichend

Der lange, oft sinnlos erscheinende Weg der Suche ist notwendig

Der große Block der Verzweiflung

Das Bewusstseinsfünklein

Das Höhere Ich

Und dann kommt die Wut

Noch ein Grund, warum das Ziel nicht erreicht wird

Wo ich stehe?

Warum es so schwer ist, über Spiritualität zu reden und paradoxe Ausdrucksweise unvermeidlich ist

Literatur

Impressum neobooks

Vorwort

Eigentlich wäre es gar nicht notwendig, diese Abhandlung zu schreiben, denn bei Jed McKenna kann man schon das Wesentliche erfahren. Warum ich dennoch darüber schreibe, hat den Grund, dass ich glaube, den entscheidenden Punkt – den Anteil des Ichs – noch deutlicher herausarbeiten zu können.

Meine Absicht ist es, mit dieser Schrift denjenigen Suchern auf dem spirituellen Weg, die in Verzweiflung geraten, zu vermitteln, dass diese Verzweiflung ein notwendiges Durchgangsstadium ist, auch wenn man das in dieser Situation überhaupt nicht sehen kann und eben nur verzweifelt ist.

Warum so wenige Sucher Erleuchtung finden

Es scheint gar nicht so wenig Menschen zu geben, die spirituell auf der Suche sind. Wahrscheinlich haben viele von ihnen mehr spirituelle Literatur gelesen als ich, sind in Indien gewesen und haben in Ashrams gelebt, haben jahrelang Meditationsübungen in den verschiedensten Formen gemacht und haben immer noch nicht das erreicht, was man mit Befreiung, Erwachen oder Erleuchtung bezeichnet, sondern sind vielleicht allmählich ratlos geworden.

Natürlich ist schwer abzuschätzen, wie viele von denen, die sich je auf die Suche gemacht haben, wirklich von sich sagen können, dass sie das Ziel erreicht haben. Wenn ich von den Schätzungen McKennas ausgehe, dann kommt auf 100 Millionen einer, d. h. weltweit eine Handvoll, sicher außerordentlich wenig im Vergleich zu der Zahl, die nach Erleuchtung streben. Warum ist das so? Warum gelingt es so wenigen, trotz jahrelangen Bemühens, Erleuchtung zu finden?

Das hat einen ganz klaren Grund: Er liegt in der Struktur unseres Ich-Seins. Ich möchte hier nicht die gesamte Bandbreite der Ich-Struktur aufzeigen - das habe ich schon in verschiedenen Schriften ausführlich dargelegt (z. B. in „Sackgasse ‚Ich’“ oder „Der ganz normale Wahnsinn eines Lebens in der Ego-Haltung“) -, sondern mich auf die Aspekte beschränken, die der spirituellen Suche im Wege sind.

Ich denke, dass ein spiritueller Sucher vorwiegend zu dem Teil der Menschheit zu rechnen ist, der mit seinem Ich Probleme hat, d. h. der immer schon das Gefühl hatte, dass das Problem des Menschseins ein Problem des Ich-Seins ist. Ich habe diese Gruppe als Menschen mit einem gebrochenen Ich bezeichnet, im Gegensatz zu denen, die ihr Ich fraglos leben, also ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrem Ich haben und nur durch den Zusammenstoß mit anderen ungebro- chenen Ichs in Konflikt geraten.

Ein Mensch in der gebrochenen Ich-Struktur hat in der Regel das Empfinden, in sich eingeschlossen zu sein, er fühlt sich eingeengt in sich selber und will aus diesem Gefängnis ausbrechen. Alle Religionen und spirituellen Richtungen fordern dazu auf und legen Zeugnis davon ab, dass es möglich ist, dieses Gefängnis zu sprengen und sich daraus zu befreien. Es geht um die Große Befreiung aus dem Kerker des eigenen Ichs.

Und da gibt es viele Anleitungen, wie es zu bewerkstelligen ist, sich aus diesem Kerker zu befreien: durch Meditationsübungen, durch Konzentrationsübungen, durch Atemübungen, durch Yogapraktiken aller Art usw. Nun stellen viele fest, dass sie trotz jahrelangen Übens und trotz vieler befreiender und mystischer Erfahrungen es aber immer noch nicht geschafft haben, wirklich befreit zu sein.

Der Grund liegt in einem ganz einfachen Vorgang: Es ist immer ein Ich, das sich befreien, das Erleuchtung finden will, das mystische Erlebnisse sucht, den Sinn seines Lebens, die Einswerdung mit dem universalen Urgrund oder wie auch immer man das beschreiben will. Und genau dieses Ich, das sucht, verhindert, dass gefunden wird. Wer nach Erleuchtung sucht, „möchte aus einem Loch herauskommen, in dem er nie war – vielmehr ist dieses Bemühen selbst das Loch (Balsekar, Kein Weg, ... S. 182). Ich sage es etwas freundlicher und damit vielleicht annehmbarer: Man muss unendlich mit sich ringen, um zu erkennen, dass es nichts zu erringen gibt.

Im Grunde genommen gibt es nämlich gar nichts zu suchen und es gibt nichts zu finden; es ist nichts verloren gegangen, es ist immer schon da. Nur das suchende Ich ist getrennt von dem, was es sucht und was immer schon ist. Darin liegt das Dilemma und die Tragik. Denn ein Suchender ist immer geneigt zu fragen, was er denn tun muss, um zu finden, und die Antwort ist ganz einfach: Gar nichts, denn es gibt nichts zu suchen und zu finden, du brauchst nur der zu sein, der du bist. Und dann kommt die unvermeidliche Frage: „Wie mache ich das, der zu sein, der ich immer schon bin?“ Und dann zeigt sich das unlösbare Problem, denn der, der sucht, kann nichts dazu tun, der zu sein, der er im Grunde immer schon ist. Darin besteht das absolute Dilemma, aus dem es kein Entrinnen gibt. Der Mensch in der Situation des Ich-Seins kann zwar erkennen, dass er das Ich transzendieren muss, er hat aber keine Möglichkeit, dies von seinem Ich her zu bewerkstelligen. Und jeder Versuch, durch Übungen, Meditation, Yoga und alle anderen Methoden sich zu befreien, ist zum Scheitern verurteilt, weil immer der die Übungen macht, von dem er sich befreien müsste. Mir ist als junger Mensch immer schon klar gewesen, dass bei jeder Meditation ständig einer über die Ausführung der Meditation wacht, dass einer da ist, der mich zur Konzentration antreibt, und dass dieser Aufpasser genau der ist, der außerhalb des Vorganges bleibt, weshalb es nie zu einer vollkommenen Meditation oder Konzentration kommen konnte, denn ein Splitter des Geistes stand immer außerhalb. Und der ist es, den ich heute als Ich bezeichne, der die Fäden immer in der Hand halten will, der mich antreibt, Erleuchtung zu finden und der der Grund ist, dass sie nicht gefunden wird. Denn Erleuchtung setzt die Überwindung der Spaltung voraus – davon wird noch die Rede sein –, aber diese Spaltung ist die grundlegende Struktur des Ichs, ist der Mensch in seiner Gegebenheit.

Erschütternde Grunderfahrung

„Wie viele Jahre habe ich damit verbracht, Kerzen und Räucherstäbchen abzubrennen? Zu meditieren? Gurus und Lehrern hinterher zu jagen, diesen ganzen Schrott zu lesen, jedes dämliche neue Buch zu lesen? Aber jetzt erkenne ich klar, vollkommen klar, dass alles, was ich tat und warum ich es tat, nur dazu diente, dem hier aus dem Weg zu gehen! Mir aus dem Weg zu gehen, ... um diese eine Sache nicht tun zu müssen“ (Julie in SuE S. 67).

Das ist eine der erschütternden Grunderfahrungen auf dem spirituellen Weg: Dass man nach vielen Jahren eifrigen Bemühens erkennen muss, dass alles nur dazu gedient hat, den entscheidenden Schritt eben nicht zu tun. Dass man alles tut, jede Marter, jede Qual, jede noch so anstrengende Übung auf sich nimmt, nur um das Eine nicht tun zu müssen: nämlich sich selbst zu geben. Unsere ganze spirituelle Suche ist letztlich ein Selbstbetrug, dient dazu, das eine nicht tun zu müssen, was das einzige ist, was wirklich befreien würde: Sich selbst zu geben. Wahrscheinlich fragt man sich, was es heißt, „sich selbst zu geben“. Aber da stößt man sprachlich schon an eine Grenze. Da muss man die Erfahrung haben, wie sie das obige Zitat zum Ausdruck bringt, dass man alles tut, nur um dem Eigentlichen aus dem Weg zu gehen. Dieses Eigentliche ist das ganz einfache Tun, ist das Leben aus der Einheit, die man immer schon ist. Nur im Ich weigert man sich, eben der zu sein, der man ist. Denn als Ich will man bedeutend sein, will Geltung haben, braucht Anerkennung.

 

Ich möchte es an einem Beispiel verdeutlichen: In einem Interview in der Südd. Zeitung vom 6./7. März 2010 erzählt der Regisseur Michael Haneke von einer Fehlbesetzung in Hebbels „Maria Magdalena“. „Der Schauspieler, der den Leonhard spielte, sollte reinkommen, seinen Hut an die Wand hängen und grüßen. Wir haben einen ganzen Vormittag nur geprobt, wie er rein kommt, seinen Hut an die Wand hängt und grüßt. Es war unmöglich, dass er einfach rein kommt, seinen Hut an die Wand hängt und grüßt. Er hat mir die ganze Zeit vorgespielt, dass er rein kommt, den Hut an die Wand hängt und grüßt.“ Wer das versteht, müsste auch das oben Gesagte verstehen: Es zeigt den Unterschied zwischen Handeln des Ichs und dem einfachen Handeln, den Unterschied zwischen Bemühen und „einfach zu sein“.

Ich kann es noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen: Wenn ich sage: „Seien sie einfach“, dann fragen Sie, wie Sie das machen sollen. Wenn ich zu Ihnen sage: „Heben Sie den Arm“, dann heben Sie den Arm. Sie haben nicht gefragt, wie Sie das machen sollen, Sie haben einfach den Arm gehoben. Es ist aber beides das gleiche: Sie wissen nicht, wie Sie es machen sollen, „einfach zu sein“; Sie wissen aber auch nicht, wie Sie den Arm heben: Man tut es einfach, ohne nachzudenken, ganz spontan, ohne die Frage, wie man es macht.

Noch ein Gedanke zum „Bemühen“. Es ist ganz klar, dass Erleuchtung nicht durch Bemühen zustande kommen kann, denn Bemühen setzt ein Ich voraus, und genau das soll ja überwunden werden. Mir stellt sich das Problem so dar: Ohne willentliches Bemühen ist die Erleuchtung nicht zu erlangen, aber Erleuchtung wird nicht durch willentliches Bemühen erreicht. Das scheint eine sehr widersprüchliche Aussage zu sein, trifft die Sachlage aber exakt. Ich glaube es an dem Chemiker Kekulé zeigen zu können: Hätte Kekulé sich nicht darum bemüht, die Formel des Benzols zu entdecken, wäre ihm das sicher nicht gelungen. Die Entdeckung war aber nicht die direkte Frucht seines Bemühens, sondern sie war eine Eingebung, ein Geschenk: Er starrte ins Kaminfeuer und vor seinem geistigen Auge fassten sich Schlangen am Schwanz und bildeten einen Kreis: Das erweckte in ihm die Formel des Benzolrings.

Ein Leben aus sich selbst heraus ist überhaupt nichts Besonderes, ist das ganz Einfache, das Normale. Es ist das, was der Mensch im Ich möchte, aber nicht leisten kann und paradoxerweise nicht leisten will. Denn dieses Höhere Ich werden bedeutet den Tod des Ichs. Und davor schreckt man zurück und deshalb ist letztlich alles, was man tut, auch in der spirituellen Suche, eine Flucht vor sich selbst.

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