Der Kirschgarten

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LUNATA

Der Kirschgarten

Der Kirschgarten

Komödie in vier Aufzügen

© 1903 Anton Tschechow

Originaltitel Višnavyj

Aus dem Georg Macco Kirschblüte

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Über den Autor

Personen

Ranewskaja, Ljubow Andrejewna, Gutsbesitzerin

Anja, ihre Tochter, 17 Jahre alt

Warja, ihre Pflegetochter, 22 Jahre alt

Gajew, Leonid Andrejewitsch, ihr Bruder

Lopachin, Jermolaj Alexejewitsch, Kaufmann

Trofimow, Peter Sergejewitsch, Student

Simeon-Pischtschik, Boris Borissowitsch, Gutsbesitzer

Scharlotta Iwanowna, Gouvernante

Epichodow, Semjon Pantelejewitsch, Buchhalter

Dunjascha, Stubenmädchen

Firs, ein alter Lakai, 87 Jahre alt

Jascha, ein junger Lakai

Ein Landstreicher

Der Stationsvorsteher

Der Posthalter

Gäste, Musikanten, Dienerschaft

Ort der Handlung: Das Gut der Ranewskaja

Erster Aufzug

Das »Kinderzimmer«, nach seiner einstmaligen Bestimmung noch immer so benannt. Eine der Türen führt nach Anjas Zimmer. Morgendämmerung, kurz vor Sonnenaufgang. Monat Mai, die Bäume blühen, im Garten ist es jedoch kühl, der Morgenwind weht. Die Fensterläden sind noch geschlossen, der junge Tag schimmert durch die Spalten. Dunjascha kommt mit einem Licht und Lopachin mit einem Buch in der Hand.

Lopachin. Der Zug ist da, Gott sei Dank! Wie spät ist's denn?

Dunjascha. Bald zwei. Löscht das Licht aus. Es ist schon hell draußen.

Lopachin. Wieder einmal Verspätung. Wenigstens um zwei Stunden. Gähnt und reckt die Glieder. Ich bin auch ein rechter Tölpel. Komme her, um sie auf dem Bahnhofe zu empfangen und verschlafe die Zeit. Im Sitzen bin ich eingeschlafen. Zu ärgerlich. Du hättest mich doch wecken sollen!

Dunjascha Öffnet die Fensterläden. Ich dachte, sie seien längst fort. Horcht. Da – ich glaube, sie kommen schon.

Lopachin horcht. Nein … Ehe sie das Gepäck besorgt haben, und dies und das, vergeht eine ganze Weile. Pause. Fünf Jahre hat sie nun im Ausland zugebracht, unsere Ljubow Andrejewna – ob sie sich sehr verändert hat? Eine prächtige Frau, so umgänglich, so einfach. Ich erinnere mich noch einer Geschichte aus meiner Jugendzeit, wie ich so fünfzehn Jahre alt war. Ich hatte von meinem Vater selig eine Ohrfeige bekommen, daß mir die Nase blutete – war wohl nicht ganz nüchtern gewesen, mein Alter. Er hatte hier im Dorfe einen Kramladen, und wir waren geschäftlich auf dem Gutshof. Na, kurz und gut, Ljubow Andrejewna, die damals noch ganz jung war, ganz schlank und schmächtig, nahm mich bei der Hand und führte mich hier in dieses Kinderzimmer, ans Waschbecken. »Weine nicht, kleiner Bauernjunge,« sagte sie, »bis du Hochzeit machst, ist's wieder gut.« Pause. Bauernjunge, ja … Mein Vater war ein Bauer, und ich trage eine weiße Weste und gelbe Schuhe. Eine Krähe, die sich mit fremden Federn schmückt … Geld hab ich wie Heu, aber wenn ich's recht bedenke, bin ich doch ein richtiger Bauer geblieben. Blättert in dem Buche. Da lese ich nun, lese und versteh' nichts … Eingeschlafen bin ich über dem Buche. Pause.

Dunjascha. Die Hunde haben die ganze Nacht gebellt – die witterten wohl, daß die Herrschaft kommt.

Lopachin. Was ist denn mit dir, Dunjascha?

Dunjascha. Meine Hände zittern so … ich glaube, ich fall' in Ohnmacht …

Lopachin. Hast dich schon gar zu sehr … kleidest dich wie ein Fräulein, und auch die Frisur … Das schickt sich nicht, man darf nie vergessen, wer man ist.

Epichodow tritt ein, mit einem Blumenstrauß, er trägt ein Jackett und blitzblanke hohe Stiefel, die beim Auftreten laut knarren; läßt beim Eintreten den Blumenstrauß fallen.

Epichodow. hebt den Blumenstrauß auf. Der Gärtner schickt das Bukett, nach dem Esszimmer soll's kommen. Gibt den Strauß an Dunjascha.

Lopachin zu Dunjascha. Bring mir ein Glas Sauerbier mit.

Dunjascha. Sehr gern. Ab.

Epichodow. 's ist mächtig kalt draußen, drei Grad Frost! Und die Kirschen sind gerade in der Blüte! Kann mich nicht erwärmen für unser Klima. Seufzt. Nee doch! 's ist nicht viel los damit … Sagen Sie mal, bitte, Jermolaj Alexeïtsch, ich hab mir vorgestern ein Paar Stiefel gekauft, und die knarren so eklig – womit könnt' ich sie wohl einschmieren? Raten Sie mir!

Lopachin. Bleib mir vom Leibe mit deinem Geschwätz.

Epichodow. Jeden Tag muß mir auch was passieren. Aber ich mach' mir nichts draus, hab mich dran gewöhnt und lach' einfach drüber.

Dunjascha tritt ein und reicht Lopachin das Bier.

Epichodow. Ich geh' nun. Stößt an einen Stuhl an, der hinfällt. Da. … Triumphierend. Hab' ich's nicht gesagt? Einfach nicht zu glauben … Merkwürdig geradezu … entschuldigen Sie den harten Ausdruck! Ab.

Dunjascha. Ich kann's Ihnen ja sagen, Jermolaj Alexeïtsch: Epichodow hat mir einen Antrag gemacht …

Lopachin. Ah!

Dunjascha. Ja, und ich weiß nur nicht … er ist so weit ganz brav, aber er red't so komisches Zeug zusammen, daß man ihn manchmal gar nicht versteht. Sonst gefällt er mir ganz gut. Er liebt mich wahnsinnig. Ein Pechvogel ist er ja, jeden Tag passiert ihm was. Wir nennen ihn alle nur den Unglücksraben …

Lopachin horcht. Jetzt kommen sie, glaub' ich …

Dunjascha. Ja, jetzt kommen sie! Was ist nur mit mir? Ganz eiskalt bin ich …

Lopachin. Jetzt kommen sie wirklich. Wir wollen ihnen entgegengehen. Ob sie mich erkennt? Fünf Jahre haben wir uns nicht gesehen …

Dunjascha erregt. Ich fall' gleich hin – ach, ich falle!

Man hört zwei Kutschen vorfahren. Lopachin und Dunjascha rasch ab. Die Bühne bleibt einen Augenblick leer. Im anstoßenden Zimmer wird es laut. Der alte Lakai Firs, der seine Herrin vom Bahnhof abgeholt hat, humpelt in seiner altmodischen Livree, den hohen Hut auf dem Kopfe, hastig an einem Stock über die Bühne; er murmelt etwas Unverständliches vor sich hin. Hinter der Bühne wird es immer lauter. Man hört eine Stimme: »Hier durch, Herrschaften, hier durch!« Es erscheinen im Zimmer Ljubow Andrejewna, Anja und Scharlotta Iwanowna, die ein Hündchen an der Leine führt, alle drei im Reisekostüm. Dann Warja in Mantel und Kopftuch, Gajew, Simeonow-Pischtschik. Lopachin, Dunjascha mit Reisetasche und Schirm und andere Dienstboten; alle gehen durch das Kinderzimmer.

Anja. Wir wollen hier durchgehen. Weißt du noch, Mama, was für ein Zimmer das ist?

Ljubow Andrejewna in freudiger Rührung, unter Tränen. Das Kinderzimmer!

Warja. Wie kalt es ist, meine Hände sind ganz steif gefroren. Zu Ljubow Andrejewna. Ihre Zimmer, das weiße und das veilchenblaue, sind ganz unverändert geblieben.

Ljubow Andrejewna. Das Kinderzimmer, mein liebes, reizendes Zimmerchen … Hier hab' ich als kleines Mädchen geschlafen … Küßt ihren Bruder, dann Warja, dann wieder ihren Bruder. Und unsere Warja ist immer noch die Alte, wie eine Nonne. Auch Dunjascha hab ich erkannt … Küßt Dunjascha.

Gajew. Zwei Stunden Verspätung hat der Zug. Nette Zustände, wie?

Scharlotta zu Pischtschik. Mein Hündchen ißt sogar Nüsse.

Pischtschik erstaunt. Was Sie sagen!

Alle ab, außer Anja und Dunjascha.

Dunjascha. Wir haben gewartet und gewartet …

Nimmt Anja Mantel und Hut ab.

Anja. Vier Nächte war ich unterwegs, ohne Schlaf … Ganz erstarrt bin ich.

Dunjascha. Wie Sie damals wegfuhren, lag draußen Schnee, und so kalt war es! Mitten in der Fastenzeit war's. Und jetzt … Ach, mein liebes Fräulein! Lacht und küßt sie. Wie hab' ich mich nach Ihnen gesehnt, mein Herzblättchen, mein Augentrost … Ich hab' Ihnen was zu sagen … ein Geheimnis …

Anja müde Kann's mir schon denken!

Dunjascha. Der Buchhalter Epichodow hat mir zu Ostern einen Antrag gemacht.

Anja. Immer die alten Geschichten. Streicht ihr Haar glatt. Alle Haarnadeln hab' ich verloren. Sie schwankt vor Müdigkeit.

Dunjascha. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Er liebt mich so sehr, so sehr.

Anja blickt nach der Tür ihres Zimmerchens, weich. Mein Zimmer, meine Fenster! Als ob ich gar nicht weggewesen wäre! Ich bin zu Hause! Morgen früh steh' ich auf und lauf gleich in den Garten. Wenn ich nur einschlafen könnte! Ich war unterwegs in solcher Unruhe, nicht ein Auge konnt ich zumachen.

 

Dunjascha. Vorgestern ist auch Peter Ssergjeïtsch angekommen.

Anja freudig. Petja!

Dunjascha. Er hat sich im Badehaus eingerichtet und schläft dort auch. Er will nicht lästig fallen, sagt er. Sieht auf ihre Taschenuhr. Ich müßte ihn eigentlich wecken, aber Fräulein Warja meinte, ich solle ihn nur schlafen lassen.

Warja kommt herein, mit einem Schlüsselbund an der Seite. Dunjascha, Mama wünscht Kaffee … mach rasch!

Dunjascha. Sofort, sofort. Ab.

Warja. Nun, Gott sei Dank, mein Herzchen, da hätt' ich dich wieder. Liebkost Anja. Mein Schwesterchen! Es war wohl keine Kleinigkeit, die Mama wieder heimzubringen, wie?

Anja. Die reine Qual war es. Und diese Scharlotta – während der ganzen Fahrt hat sie geschwatzt und ihre Faxen gemacht. Warum du mir die eigentlich aufgepackt hast? …

Warja. Ich konnte dich doch nicht allein fahren lassen, Kind, mit deinen siebzehn Jahren!

Anja. Wir kommen in Paris an – eine Kälte. Der Schnee lag noch auf den Dächern. Mein Französisch hat mich natürlich im Stich gelassen. Mama wohnt oben im fünften Stockwerk, und wie ich hinkomme, sitzt sie da unter lauter Franzosen, ein paar Damen sind bei ihr und ein alter Pater mit einem Gebetbuch, und vollgequalmt hatten sie – ganz abscheulich! Sie tat mir auf einmal so leid, die arme Mama, so leid, und ich umarmte sie und konnte sie gar nicht loslassen. Sie wurde so weich, so zärtlich, und begann zu weinen …

Warja unter Tränen. Still, still, erzähl' nicht ...

Anja. Ihre Villa bei Mentone hatte sie schon verkauft, nichts ist ihr geblieben, nicht ein Pfennig. Auch ich bin ganz blank, kaum daß wir die Rückreise bezahlen konnten. Und dabei ist Mama ganz ahnungslos – wir sitzen auf dem Bahnhof und wollen etwas essen: natürlich bestellt sie gleich das Teuerste und gibt dem Kellner einen Rubel Trinkgeld. Auch Scharlotta wirft das Geld mit vollen Händen fort, und sogar Jascha läßt sich seine Portion geben – einfach schrecklich. Mama hält sich nämlich jetzt einen Lakaien, Jascha heißt er, wir haben ihn mit hergebracht …

Warja. Ich habe den Halunken gesehen.

Anja. Nun, wie steht es hier? Sind die Zinsen bezahlt?

Warja. Bewahre!

Anja. Mein Gott, mein Gott!

Warja. Im August kommt das Gut unter den Hammer …

Lopachin sieht zur Tür herein, brummt etwas vor sich hin und zieht sich sogleich wieder zurück.

Warja unter Tränen, droht mit der Faust hinter Lopachin her. Ich könnte den Menschen prügeln ...

Anja umarmt Warja, leise. Wie steht's? Hat er sich dir erklärt? Warja schüttelt den Kopf. Er liebt dich doch – warum sprecht ihr euch nicht aus, worauf wartet ihr?

Warja Ich glaube nicht, daß aus der Sache was wird. Er hat nur das Geschäft im Kopfe und denkt gar nicht an mich. Mir soll's gleich sein. Ich will ihn überhaupt nicht mehr sehen. Alles schwatzt: Lopachin wird dich heiraten, alle gratulieren mir, und in Wirklichkeit liegt gar nichts vor, alles leere Einbildung. Mit veränderter Stimme. Was für eine Brosche hast du da? Was soll das sein? Eine Biene?

Anja traurig. Mama hat sie mir gekauft. Geht in ihr Zimmer. Mit kindlicher Fröhlichkeit. In Paris bin ich im Luftballon gefahren!

Warja. Nicht möglich … Vor allem hab ich' dich wieder – mein liebes, schönes Kind!

Dunjascha ist mit der Kaffeemaschine zurückgekehrt und bereitet den Kaffee.

Warja steht an der Tür. Ich geh' den ganzen Tag im Hause herum und simuliere: ob man nicht einen reichen Mann für dich suchen sollte? Dann wäre ich beruhigt und könnte ins Kloster gehen oder auf die Wallfahrt … Nach Kiew würde ich pilgern, nach Moskau … nach all den heiligen Orten … Das wäre herrlich, immer so zu wandern, zu wandern!

Anja Die Vögel singen im Garten. Wie spät ist's eigentlich?

Warja Drei Uhr wird's sein. Es ist Zeit, daß du schlafen gehst, Herzchen. Geht in Anjas Zimmer. Herrlich wäre das! ...

Jascha tritt ein mit Plaid und Reisetasche. Geht über die Bühne, geziert. Ist's gestattet, hier durchzugehen?

Dunjascha. Jascha! Beinah' hätt' ich Sie nicht wiedererkannt. Wie Sie sich im Ausland verändert haben!

Jascha Hm, wer sind Sie denn?

Dunjascha Wie Sie hier wegreisten, war ich noch so klein. Zeigt, wie klein sie war. Ich bin doch die Dunjascha, die Tochter von Fjodor Kosojedow – erinnern Sie sich meiner nicht mehr?

Jascha Hm … Ein netter Käfer! Sieht sich um und umarmt sie. Sie kreischt auf und läßt eine Untertasse fallen. Jascha entfernt sich rasch.

Warja in der Tür, unwillig. Was gibt's da?

Dunjascha weinerlich. Ich hab' eine Untertasse zerschlagen …

Warja. Scherben bedeuten Glück.

Anja tritt aus ihrem Zimmer. Wir müssen Mama vorbereiten ... Petja ist da ...

Warja. Ich hab' ihn absichtlich nicht wecken lassen.

Anja nachdenklich. Sechs Jahre sind seit Papas Tode vergangen, und vier Wochen später ist mein Brüderchen Grischa im Flusse ertrunken – mit sieben Jahren, so ein liebes Kerlchen! Mama hat's nicht verwinden können – fort, fort, um jeden Preis! Erschauernd. Ich kann sie verstehen, wenn sie wüßte … Pause. Petja Trofimow war Grischas Lehrer, sein Anblick würde die Erinnerung in ihr wecken …

Firs in Rock und weißer Weste, tritt ein. Geht zu der Kaffeemaschine, wichtig. Die Gnädigste wird hier den Kaffee einnehmen …. Zieht weiße Handschuhe an. Ist er fertig? Streng zu Dunjascha. Wo ist denn die Sahne? Du!

Dunjascha. Ach Gott, ja … Rasch ab.

Firs macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. So eine Schlafmütze. Brummt vor sich hin. Aus Paris kommen sie … Auch der gnädige Herr ist mal in Paris gewesen … aber noch per Post ... Lacht.

Warja. Was gibt's zu lachen, Firs?

Firs freudig erregt. Wie? Meine Gnädigste ist angekommen! Daß ich das noch erlebt habe! Jetzt kann ich ruhig sterben. Weint vor Freude.

Ljubow Andrejewna, Lopachin, Gajew und Simeonow-Pischtschik treten ein, letzterer trägt ein ärmelloses Wams aus feinem Tuch und Pluderhosen. Gajew macht beim Eintreten mit Rumpf und Armen Bewegungen, als ob er Billard spielte.

Ljubow Andrejewna. Wie war das doch gleich? Wart' mal … Den Gelben in die Ecke! Doublee in die Mitte!

Gajew. Den Roten rechts in die Ecke! ... Hier in diesem Zimmer haben wir beide mal geschlafen, liebe Schwester – und jetzt bin ich ein alter Knabe von einundfünfzig. Ist das nicht drollig?

Lopachin. Ja, die Zeit vergeht.

Gajew. Hä?

Lopachin. Ich sage, die Zeit vergeht.

Gajew. Es riecht hier nach Patschuli.

Anja. Ich geh' zu Bett. Gute Nacht, Mama. Küßt die Mutter.

Ljubow Andrejewna. Mein liebes, herziges Kindchen! Küßt Anjas Hände. Freust du dich, daß du zu Hause bist? Ich kann's noch immer nicht fassen.

Anja. Gute Nacht, Onkel.

Gajew. Küßt ihr Wangen und Hände. Gott schütze dich. Wie ähnlich du deiner Mutter bist! Zu seiner Schwester. Als du in ihrem Alter warst, Ljubow, hast du genau so ausgesehen.

Anja reicht Lopachin und Pischtschik die Hand, geht dann in ihr Zimmer und schließt die Tür hinter sich ab.

Ljubow Andrejewna. Sie ist ganz hin vor Müdigkeit.

Pischtschik. Kein Wunder, die lange Fahrt …

Warja zu Lopachin und Pischtschik. Nun, meine Herren: Es ist gleich drei Uhr. Ich dächte, es ist Zeit …

Ljubow Andrejewna lacht. Du bist immer noch dieselbe, Warja. Zieht sie an sich und küßt sie. Ich trinke nur meinen Kaffee aus, dann brechen wir alle auf. Firs legt ihr ein Kissen unter die Füße. Ich danke dir, mein

Lieber. Ich bin so gewöhnt an den Kaffee, Tag und Nacht trinke ich meinen Mokka. Vielen Dank, lieber Alter. Küßt Firs.

Warja. Ich will rasch mal nach den Sachen sehen, ob auch alles mitgekommen ist … Ab.

Ljubow Andrejewna. Da sitz' ich nun … lacht und möcht' am liebsten herumspringen und in die Hände klatschen. Bedeckt das Gesicht mit den Händen. Wie im Traume bin ich! O Gott, wie ich die Heimat liebe! Wie ich sie zärtlich liebe! Ich konnte nicht aus dem Coupéfenster sehen, in einem fort mußt' ich weinen. Unter Tränen. Aber nun rasch den Kaffee getrunken. Vielen Dank, lieber Firs, vielen Dank, mein Alter. Wie freue ich mich, daß du noch lebst!

Firs. Vorgestern, ja.

Gajew. Er hört schlecht.

Lopachin. Ich muß jetzt gleich fort, mit dem Fünfuhrzug nach Charkow. Zu ärgerlich. Ich wollte mich so recht an Ihnen sattsehen und mit Ihnen plaudern. … Sie sehen noch genauso stattlich aus wie früher.

Pischtschik schwer atmend. Hübscher ist sie geworden. In dem Pariser Kostüm … Schwernot nochmal, ist das schneidig!

Lopachin. Ihr Bruder, Leonid Andreïtsch, nennt mich einen Knecht, eine Krämerseele, aber daraus mache ich mir nichts. Immer mag er reden, wenn Sie mir nur Ihr altes Vertrauen schenken und Ihre wunderbaren Augen, wie früher, auf mir ruhen lassen. Du lieber Gott, ja doch – mein Vater war mal Leibeigener Ihres Herrn Papas, Sie aber haben für mich einmal etwas getan, was ich nie vergessen habe. Ewig bleib' ich Ihnen dafür zugetan.

Ljubow Andrejewna. Nein, ich kann nicht so dasitzen … Springt auf und geht in lebhafter Erregung auf und ab. Dieses Glück, diese Freude – ich überlebe sie nicht … Ja, lacht nur über mich dumme Liese … Mein liebes Spind … Küßt das Spind. Mein altes, braves Tischchen …

Gajew. Die Kinderfrau ist während deiner Abwesenheit gestorben.

Ljubow Andrejewna setzt sich und trinkt Kaffee. Man hat es mir geschrieben. Gott habe sie selig!

Gajew. Auch Anastassij ist tot. Der schieläugige Peter ist von mir weggezogen, er dient jetzt in der Stadt, beim Kommissar. Nimmt eine Bonbonschachtel aus der Tasche und nascht daraus.

Pischtschik. Meine Tochter Daschenjka läßt sich Ihnen empfehlen.

Lopachin. Ich habe eine angenehme Nachricht für Sie. Sieht auf die Uhr. Ich muß leider abfahren und muß mich ganz kurz fassen. Sie wissen, daß Ihr Kirschgarten unter den Hammer kommt. Am 22. August ist der Subhastationstermin. Machen Sie sich keine Sorgen darum, schlafen Sie ruhig und unbekümmert – es gibt einen Ausweg aus dieser Sache. Hören Sie mein Projekt. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Ihr Gut liegt nur zwanzig Werst von der Stadt ab, und es hat direkte Bahnverbindung: wenn der Kirschgarten samt dem Terrain am Flusse parzelliert und mit Sommerhäuschen bebaut wird, können Sie sich ein Jahreseinkommen von mindestens 25 000 Rubeln sichern.

Gajew. erlauben Sie mal, das ist doch der bare Unsinn.

Ljubow Andrejewna. Ich verstehe Sie nicht recht, Jermolai Alexeïtsch.

Lopachin. Sie nehmen von den Sommerfrischlern, billig gerechnet, 25 Rubel Jahrespacht pro Hektar. Wenn Sie die Sache jetzt gleich in Angriff nehmen, dann gehe ich jede Wette ein, daß Sie bis zu Herbst nicht ein kahles Fleckchen übrig behalten, alles werden Sie los. Sie sind gerettet, mit einem Wort, man kann Ihnen gratulieren. Natürlich muß hier gründlich Ordnung geschaffen werden, alle alten Bauten sind abzutragen, dieses Haus zum Beispiel, das zu nichts mehr taugt. Der alte Kirschgarten müßte abgeholzt werden ...

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