Buch lesen: «Flüchtlinge im Handwerk integrieren und beschäftigen», Seite 2

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Aber wir brauchen die Leute auch: Einer von uns geht in drei Jahren in Rente, ich in sieben oder acht Jahren, irgendjemand soll die Werkstatt weiterführen. Wir sind mit dem Selbstausbilden bisher am besten gefahren. Bei den Leuten, die sich hier bei uns ein neues Leben aufbauen, ist die Chance groß, dass sie bleiben. <<

1.3 Migration bereichert unsere Arbeitswelt und Ihr Unternehmen

Es ist nicht das erste Mal, dass Migranten und Flüchtende in diesem Land in die Arbeitswelt integriert werden. Vertriebene in Nachkriegsdeutschland, Gastarbeiter aus Italien und der Türkei – heute sind sie alle ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft und tragen diese mit. Aus diesen wie auch aus den weltweiten Migrations- und Integrationserfahrungen lässt sich lernen.

Das bringen Flüchtlinge und Zuwandernde mit sich:

 Migration hat eine positive Langzeitwirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Firmen: Besonders die zweite und dritte Generation von Migranten sind verantwortlich für ein Anwachsen wirtschaftlicher Kontakte zum jeweiligen Herkunftsland. Das besagt eine aktuelle Studie der University of Chicago Booth School of Business [7], die anhand historischer Daten den Zusammenhang zwischen der Herkunftsstruktur der Bevölkerung bestimmter USA-Counties und ausländischer Direktinvestitionen, die von den lokalen Unternehmen erhalten oder getätigt wurden, untersucht hat. So lässt etwa die Verdopplung der Anzahl von Einwohnern aus einem bestimmten Herkunftsland die Anzahl lokaler Arbeitsplätze von Unternehmen, die Investitionen aus diesem Land erhalten, um fast 30 % steigen. Je weiter das Land entfernt ist, desto größer der positive Effekt.

 Zuwanderung kann einen Einfluss auf die Alterstruktur im Land haben: Weit über 50 % der Asylsuchenden waren 2015 unter 24 Jahren alt, weitere über 25 % zwischen 25 und 34 Jahren alt. [3] Während die Zahl der 15- bis 25-Jährigen mit deutscher Staatsangehörigkeit zwischen 2014 und 2015 um 117.000 abnahm, nahm die Zahl der 15- bis 25-jährigen Bevölkerung aus den Asylzugangsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien um 147.168 Personen zu. [8]

 Wer flüchten musste, greift in der Regel auf mehrsprachige Konzepte zurück und muss Fähigkeiten wie Flexibilität und interkulturelle Kompetenz entwickeln. Das kann sich direkt auf das Investitionspotenzial des Unternehmens auswirken oder auch indirekt auf die Aufgeschlossenheit und Flexibilität des Unternehmens im Markt und den verschiedenen Kundenstämmen gegenüber.

 Die Motivation von vielen Geflüchteten ist oft überdurchschnittlich hoch: Sie erkennen die Chance auf ihrem bisher schwierigen Lebensweg, sie wissen, wie es sich anfühlt, keine Handlungsmöglichkeiten zu haben. Oft fühlen sie auch große Verantwortung ihren Familien gegenüber, weil sie diese unterstützen möchten oder weil die Flucht von diesen finanziert wurde. Diese Art der Motivation kann überdurchschnittliche Lern- und Leistungsbereitschaft auslösen, die Mängel bei den Sprachkenntnissen oder fehlende Zeugnisse wettmacht. In einer aktuellen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung [9] zeigten nahezu alle Befragten starke Erwerbsorientierung und hohe Arbeitsmotivation. Auf einer Skala von eins bis zehn wählten fast alle, Frauen wie Männer, was die Bedeutung von Erwerbsarbeit für ihr Leben betrifft, hohe Werte.

 Es besteht grundsätzlich eine hohe Loyalität dem Betrieb und den Menschen des Betriebes gegenüber. Arbeitgeber und Kollegen werden oft wahrgenommen als diejenigen, die die Chance geben.

 Flüchtlinge folgen nicht dem aktuellen Deutschland-Trend, wenn nur irgendwie möglich, ein Studium abzuleisten. Es befinden sich deswegen einige unter ihnen, die große Kompetenzen mit sich bringen, aber im Handwerk bleiben wollen. Damit kommen sie auch für eine Unternehmensnachfolge infrage.

 Menschen aus anderen Ländern können unsere Betriebe mit den beruflichen und sozialen Kompetenzen aus ihren Herkunftsländern bereichern. Die Klassiker: Kontaktfreudigkeit und Improvisationsvermögen. Wer bereits schulische und berufliche Bildungsabschlüsse oder Arbeitserfahrungen mitbringt, kann neue Ideen und Lösungswege in ein Unternehmen einbringen. Innovationen leben ist Anspruch und Notwendigkeit im Handwerk – das galt zu allen Zeiten und auch heute.

1.4 Diversity – Unterschiede als Ressource erkennen!

Unterschiede anerkennen, Individualität wertschätzen, Potenziale nutzen und die Teilhabe aller ermöglichen: Diversity Management ist ein Begriff, der für die Gestaltung von Vielfalt steht. Er wird heute unter vielen Aspekten diskutiert. Im Kern geht es darum, die Unterschiede zwischen Menschen als positiv wahrzunehmen und sie aktiv zur Erreichung von Zielen zu nutzen. Denn dass andere Menschen „anders“ sind, lässt sich eben auch als Ressource betrachten.

Unter dieser Prämisse ist es aber weder selbstverständlich noch sinnvoll, davon auszugehen, dass sich Menschen, die nach Deutschland kommen, der bestehenden Gesellschaft in allen Aspekten anpassen müssen, dass sie sich sozusagen aller kultureller Wurzeln entledigen und in der Mehrheitsgesellschaft „unsichtbar“ werden. Wissenschaftlich fällt das übrigens unter den Begriff „Assimilation“.

Anhaltspunkte, worum es bei Integration geht, können diese Kategorien bieten:

 kulturelle Aspekte (Spricht er die Sprache, wurden kulturelle Traditionen beibehalten oder neue übernommen?),

 soziale Aspekte (Hat die Person Kontakte zur Nachbarschaft, in Vereinen, im Arbeitsumfeld?),

 strukturelle Aspekte (Wie sehen die Jobchancen aus, in welchem Viertel werden Wohnungen gefunden, kommt ein Studium infrage?) und

 emotional-identifikative Aspekte (Fühlt sich die Person hier zu Hause?).

Dass wir kulturelle Unterschiede als Unterschiede und nicht als kulturelle Vielfalt wahrnehmen, liegt auch daran, dass wir in unserem Selbstverständnis Deutschland immer noch nicht als Einwanderungsland begreifen – obwohl es das bereits seit Jahrzehnten ist. [10]

„Diversity“ spielt übrigens nicht nur im interkulturellen Miteinander eine große Rolle: Neben der Herkunft gelten auch andere Eigenschaften einer Person wie z. B. Alter, Geschlecht, Religion, Bildungsstand und Aussehen sowie nicht sichtbare Eigenschaften wie kultureller Hintergrund oder gesellschaftliche Position als relevante Merkmale, aufgrund derer Diskriminierung entstehen kann.

Diversity Management im Betrieb bedeutet, die Unterschiedlichkeiten, die in der Belegschaft vorhanden sind, so zu organisieren und den Umgang damit so zu gestalten, dass potenzielle Vorteile maximiert und Nachteile minimiert werden. So gesehen ist Diversity Management ein konstruktiv gestaltendes Werkzeug in der Mitarbeiterführung: Die individuellen Merkmale eines Einzelnen werden nicht nur toleriert, sondern möglichst für die Ziele des Unternehmens eingesetzt. Die Gleichstellung und Teilhabe des Einzelnen im Unternehmen und der Abbau von Diskriminierung werden damit zu einem selbstverständlichen und notwendigen Schritt auf dem Weg zur Erreichung der Unternehmensziele.

Elemente des betrieblichen Diversity Managements können sein:

 deutliche Positionierung der Unternehmensführung zur Wertschätzung individueller Unterschiedlichkeiten

 Einführung bzw. Stärkung von Mitbestimmungsstrukturen

 alters- und kulturell gemischte Teams

 bereichsübergreifende Teams und Schulungen

 Patensysteme zur Förderung von Potenzialen

 gemeinsame Pausen und Freizeitaktivitäten

 organisatorische und inhaltliche Verbesserung der Kommunikationsstrukturen, sodass alle Mitarbeiter einbezogen sind und sich möglichst auch selbst äußern.

Die Firma Andymen gibt es seit 2005. Sie beschäftigt etwa zehn Mitarbeiter, darunter zwei Flüchtlinge.

Andreas Berg, Inhaber des Malerbetriebs Andymen in Butzbach

>> Mitarbeiter brauchen heute eine ganz andere Plattform, da haben sich die Zeiten einfach verändert. Ich bin ein ganz anderer Chef, als meiner es war: Ich habe mehr Vertrauen, und ich übertrage mehr Verantwortung. Ich bin dann aber auch mit dem Kontrollschlüssel hinterher und fordere die Leute. Wir legen Umsatz und Gewinn zusammen fest, wir bestimmen gemeinsam, wie die Werkstatt aussehen soll und mit welchem Material wir arbeiten. Und dann wird mit allen abgestimmt, und alle unterschreiben das Protokoll.

Man muss den Handwerksbetrieben die Angst davor nehmen, dass die Flüchtlinge Böses tun oder schlecht arbeiten oder keine Arbeitserlaubnis haben. Die Handwerker handeln nicht klug, wenn sie das Potenzial, das in den Flüchtlingen steckt, nicht wahrnehmen. Das Handwerk wird in zehn Jahren nicht mehr das gleiche sein, was es jetzt ist. Und nicht die Schnellen werden die Langsamen fressen, sondern die Klugen werden die Dummen überholen. <<

Diversity Management – so kommt es Ihren Unternehmenszielen entgegen:

Mehr Produktivität: Wertgeschätzte und selbstbewusste Mitarbeiter sind motiviert, arbeiten produktiv und bringen sich persönlich in die arbeitsrelevanten und sozialen Prozesse des Betriebes voll ein – und wirken damit wieder positiv verstärkend auf die Gesamtbelegschaft ein.

Geringere Unkosten: Zufriedene Mitarbeiter sind seltener krank, gehen achtsam und kostensparend mit den materiellen Ressourcen des Betriebes um und haben keinen Grund, das Unternehmen zu wechseln. Reibungsverluste durch innerbetriebliche Konflikte, die durch mangelnde Wertschätzung entstehen, werden deutlich geringer.

Mehr Flexibilität und Innovationsfähigkeit: Wer gewohnt ist, mit Andersartigkeit umzugehen, steht Neuem und Unbekanntem offener gegenüber – die Mitarbeiter lassen sich, wenn es um die Entwicklung oder die Umsetzung von Ideen geht, leichter auf Neues ein. Außerdem erhöht die Vielfalt von Sichtweisen und Wahrnehmungen die Kreativität.

Bessere Kundenbindung: Wer im betrieblichen Alltag ganz selbstverständlich mit den Unterschiedlichkeiten von Menschen konfrontiert ist, wird diese Flexibilität auch auf Kunden und Kooperationspartner übertragen. Unterschiedliche Bedürfnisse erscheinen nicht als Affront, und individuellen Merkmalen eines Menschen wird nicht mit Vorurteilen begegnet.

Höhere Attraktivität für Mitarbeiter: Finanzielle Anreize sind motivationssteigernd, aber nicht immer nachhaltig. Attraktiv wird ein Unternehmen durch ein gutes Betriebsklima, in dem sich der einzelne Mitarbeiter wertgeschätzt fühlt und über das er sich identifizieren kann. Das hält die guten Mitarbeiter im Unternehmen und strahlt natürlich auch bei der Mitarbeitersuche nach außen.

Auslandsgeschäfte: Wer den Ausbau von Auslandskontakten anstrebt, kann auf die kulturelle Flexibilität oder die sprachlichen Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zurückgreifen.Häufig auch dann, wenn es nicht um das konkrete Herkunftsland geht. Möglich ist auch, sich gezielt Mitarbeiter zu suchen, die aus dem Land kommen, mit dem Kontakte aufgebaut werden sollen. Dann gilt: Je höher die integrativen Fähigkeiten des Unternehmens sind und je deutlicher Diversity gelebt wird, desto attraktiver ist das Unternehmen für die ausländischen Kräfte.

Sichtbarkeit des neuen Unternehmensziels herstellen!

Um sich sichtbar zu den Inhalten und Zielen des Diversity Managements zu positionieren, können Qualitätssiegel oder die Zugehörigkeit zu entsprechenden Initiativen Signale setzen. Die Charta der Vielfalt ist ein Zusammenschluss von 2.300 Unternehmen und Institutionen deutschlandweit mit insgesamt über 7,5 Millionen Beschäftigten. Sie setzen sich seit dem Jahr 2006 dafür ein, wertschätzende und vorurteilsfreie Arbeitsumfelder zu schaffen, in denen sich alle Talente optimal entwickeln können, unabhängig von Diversity-Dimensionen wie Geschlecht, kultureller oder nationaler Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexueller Orientierung und Identität.

www.charta-der-vielfalt.de

1.5 Was spricht aus unternehmerischer Sicht für die Beschäftigung von Flüchtlingen im eigenen Betrieb?

Natürlich spielt die spezielle betriebliche Situation bei den Überlegungen, ob ein Geflüchteter beschäftigt werden kann, eine wichtige Rolle. Ein Check kann helfen: Einige der Fragen der nachfolgenden Checkliste zielen auf die Überlegung, Geflüchtete als Aushilfskräfte mit der Perspektive einer langfristigen Beschäftigung in Betracht zu ziehen, andere auf die Besetzung von Ausbildungsstellen mit jungen Geflüchteten. Nutzen Sie die Checkliste, um die Situation im eigenen Unternehmen näher zu betrachten und um in Gesprächen Argumente zur Hand zur haben.


trifft auf unseren Betrieb zutrifft auf unseren Betrieb nicht zu
In unserer Branche haben wir Schwierigkeiten, offene Stellen mit geeigneten Mitarbeitern zu besetzen. Wir sollten versuchen, geeignete Arbeitskräfte für die Branche unter den Geflüchteten zu finden bzw. sie entsprechend auszubilden.
In unserer Branche bzw. Region gibt es Ausbildungsstellen, die nicht besetzt werden.
In unserem Betrieb gibt es offene Stellen, die nicht unbedingt eine formale Qualifikation erfordern.
In unserem Betrieb gibt es offene Stellen, die leichtere Tätigkeiten mit sich bringen und keine lange Einarbeitungszeit erfordern.
Unser Betrieb kann die Win-win-Chance im Interesse aller nutzen und den Mehraufwand in der Betreuung mit Fördergeldern decken.
Unsere Geschäftspartner kommen teilweise aus Ländern aus den Herkunftsregionen der Geflüchteten.
Ein Mehr an menschlichen und beruflichen Erfahrungen und Sichtweisen wird unser innovatives Potenzial stärken.
Wenn wir die gemeinsame Aufgabe, die hinter der Idee steckt, richtig angehen, wird das die Kooperation in unserer Belegschaft stärken und Motivationsfaktor für alle sein.
Unsere innerbetrieblichen Strukturen und Instrumente der Mitarbeiterführung sind gut ausgebaut und durchsichtig, sodass Integration und Teilhabe gefördert werden (Oder: Wir möchten die Gelegenheit nutzen, unsere innerbetrieblichen Strukturen und Instrumente der Mitarbeiterführung weiter auszubauen, sodass Integration und Teilhabe gefördert werden).

Sprache und ihre Wirkung

Worte erzeugen Bilder. Spricht man von einem „Arzt“ (und nicht von „Ärztin“) und fragt dann Kinder nach ihren Vorstellungen, beschreiben sie natürlich einen Mann – schließlich wurde ja von einem Mann gesprochen. Bei Erwachsenen funktioniert das ähnlich, auch wenn hier die Lebenserfahrung die Spannbreite der Bilder (hoffentlich) etwas erweitert hat. Tatsache ist, dass Worte und Vorstellungen in unserem Gehirn eng verquickt sind, den wenigsten Menschen aber bewusst ist, was Sprache bei ihnen auslöst bzw. was sie selbst mit ihrer Wortwahl auslösen.

Worte wie Flüchtlingsströme oder Flüchtlingsflut lösen Angst aus. Der einzelne flüchtende Mensch mit seinem individuellen und berührenden Schicksal wird in dieser Angst nicht mehr wahrgenommen. Im Kopf bleibt das Bild von einem Phänomen, das abgewehrt werden muss – nicht von Menschen, die Schutz suchen oder ein bereichernder Teil unserer Gesellschaft werden können. Solche Bilder prägen Meinungen, gesellschaftliche Diskussionen und politische Entscheidungen. Ein unüberlegtes Aufgreifen von Worten – welche in manchen Fällen auch gezielt in Umlauf gebracht werden – kann (unbeabsichtigt) zu menschenfeindlichen Einstellungen und Entscheidungen beitragen.

 Flüchtling oder Geflüchteter?

Viele Wörter, die nach dem grammatikalischen Muster wie das Wort Flüchtling mit der Endung „ling“ gebildet werden, sind negativ besetzt, z. B. Eindringling, Emporkömmling, Schreiberling, Schädling. Andere Beispiele, wie Impfling, Säugling, Häftling, Schützling, weisen auf Unterlegenheit hin bzw. bringen eine Versächlichung mit sich. Dadurch werden die persönliche Hintergründe der Personen, ihre Geschichte, ihre Interessen und Meinungen unsichtbar, und es besteht die Möglichkeit, dass sich das unbewusste Sprachempfinden auf die Konnotation auswirkt. Da die Bezeichnung Geflüchteter dagegen nach einem Muster gebildet wird, das bei positiv wie negativ besetzten Wörtern Einsatz findet (Gefallene, Geschworene, Gesuchte etc.), ziehen manche Menschen die Bezeichnung Geflüchteter vor.

Eine andere Position nimmt den Begriff Flüchtling vor seinem historischen und seinem rechtlichen Bedeutungshintergrund wahr. Viele aktuell ehrenamtlich Aktive haben mit ihrem Engagement begonnen, weil sie Parallelen von den damaligen Kriegsflüchtlingen zu den heutigen Flüchtlingen ziehen konnten. Außerdem – so auch die Argumentation, die von Pro Asyl [11] publiziert wird – wird Flüchtlingen als solchen über den bestehenden internationalen Rechtsrahmen noch vor Feststellung des „Flüchtlingsstatus“ der Anspruch auf eine individuelle Schutzprüfung zugestanden – dem Flüchtling wird also ein Recht eingeräumt.

Beide Argumentationen haben ihre Berechtigung. In diesem Ratgeber greifen wir auf verschiedene Begrifflichkeiten zurück – es geht um Flüchtlinge, Geflüchtete, Schutzsuchende, Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, und Menschen mit Fluchtgeschichte. Dabei werden die Begriffe nicht im juristischen Sinne, sondern als Sammelbegriff verstanden, für alle, die als Schutzsuchende nach Deutschland kommen, unabhängig von ihrem rechtlichen Status. Vor allem soll es aber um Menschen gehen – und in unserem Zusammenhang um mögliche neue Mitarbeiter bzw. neue Kollegen.

 Rassismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?

Rassentheorien gingen davon aus, dass die Menschheit in verschiedene Rassen einteilbar ist – sie gelten heute als wissenschaftlich nicht haltbar, da die Menschheit selbst eine Rasse ist und die Unterschiede innerhalb derselben minimal und so fließend sind, dass keine Grenzen gezogen werden können. Soziologisch gesehen tritt Rassismus auch meist nicht alleinstehend auf: Wer Menschen anderer Herkunft als minderwertig wahrnimmt, geht davon aus, dass Menschen unterschiedlich viel wert sein können und es eine Art von Menschen gibt, die „normal“ und „wertvoll“ ist. Auf dieser Grundlage ist es sozusagen logisch, Minderwertigkeit generell auf Menschengruppen, die über wenig Einfluss und Macht verfügen, zu projizieren – also z. B. auf Homosexuelle, Behinderte, Menschen mit anderer Religion. Deswegen sprechen Soziologen, die sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Erstarken dieses Phänomens in unserer Gesellschaft beschäftigt haben, von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

 Integration oder Inklusion?

Integration unterscheidet zwischen Menschen mit und ohne „Besonderheit“— entsprechend wird unterschieden zwischen Behinderten und Nichtbehinderten oder zwischen Geflüchteten und Deutschen. Mit welcher Beeinträchtigung gilt aber jemand als behindert? Definieren sich Menschen, die bereits vor längerer Zeit nach Deutschland geflüchtet sind, für immer als Flüchtlinge?

Während Integration die Eingliederung der Menschen mit dem besonderen Merkmal in „das Normale“ anstrebt, geht Inklusion von der Besonderheit und den individuellen Merkmalen und Bedürfnissen eines jeden Menschen aus, da jeder Mensch eine einmalige Kombination an Merkmalen in sich vereint: Geflüchtete sind auch Behinderte und Nichtbehinderte, Frauen und Männer, Akademiker und Menschen ohne Schulbildung und so weiter – genauso wie Menschen, die schon lange oder schon immer in Deutschland leben. In diesem Ratgeber liegt der Schwerpunkt auf Integration, da es zunächst um die Eingliederung in einen funktionierenden Arbeitsmarkt geht. Inhaltlich schwingt die Thematik der Inklusion aber an verschiedenen Stellen des Ratgebers mit.

 Warum ist dieser Ratgeber nicht „gegendert“, um alle Geschlechter anzusprechen?

Unter „gendern“ versteht man, einen Text so zu schreiben, dass immer Männer und Frauen angesprochen werden („Leserinnen und Leser“) bzw. alle möglichen Formen von Geschlecht („Leser*innen“). In diesem Ratgeber wird die grammatikalisch männliche Form benutzt, auch wenn alle Geschlechter gemeint sind, da ein Ratgeber leicht zugängliche Inhalte liefern sollte und dieses immer noch die übliche Schreibweise ist. Diese Lösung ist unbefriedigend, aber für den Moment scheint es keine andere zu geben. Unserer Eingangsthese zufolge besteht also die Gefahr, dass der Leser/die Leserin vorrangig an männliche Flüchtlinge denkt, wenn von „dem Geflüchteten“ die Rede ist – achten Sie doch einmal darauf und korrigieren Sie Ihre Gedankenwelt!

Der kostenlose Auszug ist beendet.

Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
22 Dezember 2023
Umfang:
215 S. 10 Illustrationen
ISBN:
9783778311691
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