Wonnen der Wollust

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Aus der Reihe: Cupitora #32
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Wonnen der Wollust
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Wonnen der Wollust

»Wie schön und lieblich bist du,

Du Liebe in Wollüsten«

Ein unverkrampfter Roman

nach einem zensierten Typoskript von 1924,

versehen mit vielen unzweideutigen Zeichnungen

eISBN 978-3-95841-762-5

© by Cupitora in der BEBUG mbH, Berlin

I. Kapitel

Warum muss ich denn Tag und Nacht an Edvard denken? Sucht mich denn seine Seele mit dem gleichen Verlangen? – Ach, ich habe ihn nie vergessen, für den ich in allen Wollüsten jubelnd geschwärmt und geglüht habe! Gibt es wohl einen Himmel der heiteren Liebeswonne, den wir beide nicht Hand in Hand mit selig beflügelten Füßen durchschritten haben, o Edvard? Gibt es wohl eine Hölle der heißen, perversen, extremen und exzentrischen Lüste, in die wir uns nicht mit Wonne gestürzt haben, o Edvard?!


Ich war jung, als ich Edvard liebte, und mein Herz brannte beständig in mir, wie eine lodernde Fackel. Mein Leib war liebeshungrig, und mein Schoß war wie ein Kelch und sehnte sich, bis an den Rand mit dem edlen Feuerwein des Genusses angefüllt zu werden. Ich war jung und geil, und Edvard war reif und geistreich.

Unsere Wünsche klangen wie zwei Glocken zusammen: die meinen fiebernd, hell, gierig und voll Ungestüm, die seinen tief, gewaltsam, triumphierend und allmächtig … O, Edvard, die zwei Glocken unserer Sehnsucht gaben einen guten Klang!

Wir haben uns nie gelangweilt, nie. Später habe ich die Langeweile doch kennengelernt, als ich nämlich verheiratet war. Es ist betrübend, es sagen zu müssen: der hübsche und amüsante Roman meiner blühenden Liebe schloss ganz hausbacken, regelrecht und romanmäßig, aber nicht romantisch mit – einer legitimen Heirat. Mit einem anderen, versteht sich, mit einem anderen! nicht mit meinem geliebten Edvard!

Eine solche Geschmacklosigkeit, wie die Heirat, darf man weder mir, noch Edvard zutrauen. Geschmack be­saßen wir immer, und wir hätten es nie über uns gewonnen, unsere Liebe unter der breiten, bordeauxroten Steppdecke eines legalen Ehebettes langweilig dahin zu morden. Jeden anderen Mord hätten wir natürlich, je nachdem, mit kühler Grausamkeit oder mit überlegter und überlegener Wollust begangen. Aber den Mord an unserer Liebe? – Niemals! – –

Unsere Liebe, meine und Edvards glühende Liebe, erlosch, als ich heiratete. Oder sie ging schlafen.

Ich habe – – – meinen Gatten – – nie – – – betrogen. –

Diesen schrecklichen und unnatürlichen Satz schreibe ich mit ruhigen Händen und zur Ruhe gebändigten Nerven nieder. Ich hasse alle Halbheiten. Ich habe den Becher der Lust bis zum letzten Tropfen ausgeleert. Aber dann kredenzte mir das Leben auf den süßen Wein einen schweren, herben. Das war der klare Kelch, in dem die Wollust der Entsagung funkelt, der Kelch, aus dem ich die hysterischen Wonnen der Keuschheit sog. –

Aber nun, aber nun – –!

O! diese Sehnsucht, die wieder, wie vor jenen vier Jahren, in meinem Schoße wühlt! Diese Sehnsucht, die wie Gift und Feuer mein Blut durchrast! O! – – diese – – – Sehnsucht – – –!

O! alle meine schmerzhaften Begierden! Alle diese geilen Wünsche! Bei Tage umkreisen sie mich, umlauern und umschleichen sie mich, wie hungrige Wölfe, bereit, sich bei dem ersten Zeichen von Schwäche, das ich gebe, heulend auf mich zu stürzen.

Des Nachts verwandelt sich dies Rudel knurrender Wölfe in eine Schar gefräßiger Geier. Ach! sie trachten nach meinem Leben, sie dürsten nach meinem Blut! Sie sitzen auf meinem zuckenden, schauernden Leibe – ich fühle ihre scharfen Krallen – und hacken nach mir mit den unbarmherzigen Schnäbeln. Sie fressen an mir, wie sie den Prometheus angefressen haben. Denn wie Prometheus bin ich ihnen wehrlos preisgegeben, und ich bin angeschmiedet an die Kissen meines ehelichen Bettes … Sie hacken, wie Raubvögel, mit ihren scharfen, mitleidlosen Schnäbeln nach meinem zitternden Schoße …

Manchmal ändert sich die Marder. Manchmal erfasst mich jäh und scheinbar grundlos eine unerträgliche Sehnsucht nach einer bestimmten, geilen Situation. Seit einer Woche oder länger befinde ich mich in Gedanken fast beständig in einer prachtvoll wollüstigen, schmerzhaften Stellung. Ich muss oftmals am Tage die Augen schließen, so gewaltsam und lebhaft empfinde ich Folgendes:

Mein Freund liegt nackt und lang ausgestreckt auf meinem breiten, niederen Bette. Keine Muskel seines schlanken, kräftigen Körpers regt sich, aber das entzückende Wahrzeichen seiner Männlichkeit ragt straff und schlank und steil zum Himmel. Der Atem vergeht mir vor Lust, kaum kann ich der Versuchung widerstehen, die rot und weiße Blüte mit durstigen Lippen zu umfangen … Aber ich verzichte auf das kleinere Vergnügen, um das größere zu genießen. Ich schiebe mich, auf dem Rücken liegend, langsam abwärts, bis mein Kopf etwa an seiner Hüfte ruht. Dann schwinge ich meine Beine geschickt über seinen Körper, dass ich schräg über meinen Freund zu liegen komme. Welche Wonne, welche Überraschung: so hart ist sein elfenbeinerner Turm, dass er die Last meines Körpers aufrecht trägt!! Solche Kraft muss gut aufgenommen werden; sie verdient es! Rasch und geschickt biege ich mich ein wenig, um dem schönen schlanken Gaste den Eintritt in meinen ­begehrlichen Leib zu erleichtern. Ich tue ihm nicht die weite, purpurne Pforte auf, die bequem und mit weichem Vergnügen den an­mutigen Gast empfängt, sondern die enge, kleine Pforte zwischen den beiden weißen Hügeln, die siebenmal stärkere Wollust zu geben und zu empfangen hat. Langsam lasse ich meinen Körper hernieder, langsam gleite ich herab auf das steile, weiße, starrende Schwert, das schmerzbringend mit prachtvoller Kraft eindringt, eindringt … Der süße, rasende Schmerz droht mich zu zerreißen, aber ich beiße die Vorderzähne fest in meine Unterlippe und drehe mich langsam, langsam – – um die Wonne ganz auszukosten – – auf dem lebendigen Pfahl, bis ich fühle, dass er ganz in mir steckt … ganz …

– Ach, alle meine Schmerzen! ach, alle meine Wollust! Ach, ihr, all meine geliebten, feurigen Wollustschmerzen der Begierde! – Meine heißen, zitternden Knie zerren sich, während ich diese Zeilen schreibe, unwillkürlich auseinander und mein Schoß möchte sich schmachtend und gierig auftun, um zu genießen!

Wo bist du, Edvard! – dass du mich überflutest mit deiner Lust?

Wo weilest du, Edvard, dass deine harten, eisenfesten Schenkel meine Knie noch breiter, immer weiter üppig auseinanderdrängen, bis mein Leib in allen Gelenken kracht und alle meine Glieder sich gleichsam auflösen, um ganz zu zerfließen und dahinzuschmelzen in tödlicher Wollust?

Ah! – – – –

– – Aber in den geilen, nächtlichen Ekstasen meiner Sehnsucht höre ich plötzlich an meiner Seite das ruhige Atmen meines schlummernden Gatten. – –

– – Edvard, wo bist du? Du musst mich wieder durchdringen und durchbohren. Du musst mir wieder deine Wonnen schenken. Wir müssen wieder, o, immer wieder! unter der geliebten Peitsche der Göttin Wollust stöhnen und bluten, verbluten und zu neuen Genüssen auferstehen!

Wir müssen sie endlich wieder genießen, die Liebe in Wollüsten!

– – Und wenn mein Gatte um unserer Wollust willen sterben müsste. – –

Hörst du es, Edvard? – Sterben. – O, das Wort klingt dir und mir nicht fremd, noch grausig, sondern süß vertraut. Wir sind selbst nicht bange vor dem Sterben, aber unsere Hände sind auch nicht zu feige, den Tod zu geben. Wir haben es einmal gehört, das leise Röcheln der Agonie. O, es war uns Musik, es war uns Gesang!

Fürchten wir unseren Tod? Nein, o nein! Das ist die feinste, höchste Wollust: das wir einmal sterben müssen. Dass wir zu Asche werden, wenn das heilige Feuer der Lust uns gänzlich aufgezehrt hat. Dass wir mit der »last rose of summer« zur kühlen Erde zurückkehren. Sterben ist für den wahrhaft Liebenden gleich dem Einschlafen auf blühenden Mohnfelde, wo die roten, weichen Blumenköpfe sich lässig schmeichelnd auf den Schläfer niederbeugen, während die silbernen Sterne leuchtend hoch darüber wachen. – – Meine Lippen flüstern es voll Zärtlichkeit, lieblich gleitet es mir aus der Feder: Sterben.

Wir lieben das Leben und wir spielen lüstern mit dem Tode. Nur wer den Tod kennt, nur wem der Tod ein Freund in Wollüsten war, vermag das heilige Leben ganz auszukosten. Leben und Tod, Schnee und Rosen, Süßigkeiten und Bitternisse, Küsse, Peitschen, Stricke, Dolch und Feuer, alles ist uns nur Mittel zum Zwecke, in Wollust zu lieben. – –

In den folgenden Kapiteln erzähle ich den reizenden, kurzweiligen Roman meiner sonnigen Liebe.

Dieses Buch gehört den Männern und den Frauen gleicherweise. Es soll gelesen werden zwischen Wachen und Einschlafen, des Abends, wenn alle Nerven in fieberiger Spannung sind und die Hand, halb wissend, halb unbewusst, sich tastend ausstreckt, um an die Pforte der Wollust zu rühren.

Ihr, liebe Schwestern! ihr sollt dieses kleine Buch lesen, wenn ihr den Freund eures Herzens zum verliebten Tête-à-Tête erwartet, damit die Lektüre alle falsche Scham und alle Prüderie von euren feinen Seelchen abstreift und euch fröhlich macht, den Geliebten in klarer, liebeswacher Sehnsucht zu empfangen. In der Liebe ist es schade um jede versäumte Minute. Nur aus Wollust sollen sich eure Brüste sträuben, sollen eure Augen und Lippen lächeln, flehen, drohen, verweigernd gewähren, versagend hingeben … Die Liebe ist ein süßes Spiel, aber sie erfordert den Einsatz einer ganzen Seele, einer vollen Intelligenz, einer zähen Energie, um auch ihren wollüstigen Martern selig guckend standzuhalten. –


Ihr aber, meine Freunde! ihr sollt dies Büchlein euren reizenden Freundinnen vorlesen, die ein wenig kühl und spröde und unerfahren im Liebesgenusse sind. Von eurem Munde sollen den zarten, liebenden Frauen die weichen Worte träufeln, bis ein ungestümes Verlangen im Schoße der Schönen erwacht; sie zittern, sie erbleichen und werden rot, sie wissen ihre Ungeduld nicht mehr zu verbergen; sie stürzen zu euren Füßen, sie suchen mit zärtlichen Lippen den schwellenden Gegenstand ihrer Begierde, nehmen das hübsche Spielzeug in die Hände … es steigt, es regt sich … Das Buch wird beiseite gelegt, da es einen amüsanteren Zeitvertreib gibt, um erst in den Pausen der Lust wieder aufgenommen zu werden.

 

II. Kapitel

Mit einundzwanzig Jahren war ich ein munteres Ding, nicht eben, was man eine beaute nennt, aber keck, immer lustig und niemals um eine kräftige Antwort oder einen lockeren Streich verlegen. Dabei war ich zu Zeiten ein wenig elegisch und sentimental: kurz, ein Mädel, wie es die Männer liebhaben. Ich wusste mich auch chic und kleidsam anzuziehen und zog einen gut sitzenden Schuh von jeher einer dummen Spielerei oder einem neuen Musikstück vor. Es konnte mir also nicht an Verehrern fehlen, für die ich indessen wenig verspürte; denn ich schwärmte für die »Freuden der Einsamkeit«, denen ich mich mit Maß und Verstand hingab.

In meinem Bette pflegte ich mich niemals zu erhitzen. Ich liebe es, in einem kühlen Bette zu schlafen. Meine mädchenhaften Amüsements verlegte ich regelmäßig auf den Nachmittag, wenn alles sich zur Mittagsruhe zurückgezogen hatte. Ich kleidete mich dann so leger wie möglich an – oder vielmehr aus, legte Jupon, Korsett und Beinkleid ab und warf einen leichten, hellen Morgenrock über, der vorn nach Art der japanischen Kimonos offen war. Ich setzte mich dann behaglich in ein niederes Sesselchen, eine Art Faulenzer, stemmte meine Füße rechts und links auf das Untergestell meines Toilettentrumeaus und hockte nun mit gespreizten Beinchen vor dem Spiegel. Rasch war das Hemd zurückgeschlagen, und mit großem Vergnügen ging ich schnell an meine angenehme Arbeit.

Meist wurde die kleine, verliebte Knospe unter meinen streichelnden Fingern rasch groß und straff. Dann befiel mich eine seltsame Müdigkeit, ich bekam Lust, das Spiel abzubrechen und auf den Höhepunkt des Vergnügens zu verzichten. Aber ich habe dieser Laune nie nachgegeben, sondern höchstens einige Minuten pausiert, um gleich wieder mit frischer Lust zu beginnen. Mit klarer, ungetrübter Empfindung genoss ich nun nacheinander alle Phasen der Wonne. Ich sah, wie mein Gesicht sich purpurn färbte, wie im Glanze der Abendsonne, und ich sah, wie meine rehbraunen Augen einen tiefen, fieberischen, schwarzen Glanz annahmen. Dann wurden mir die Beine so müde, so müde, fast gefühllos … und dann kam eine Art leichten Krampfes, der die ermattenden Muskeln schmerzhaft wieder belebte. Nun kam eine tolle Ungeduld über mich, den Moment der Wollust zu beschleunigen; bebend, hastig glitten meine Fingerspitzen auf der Klaviatur des Vergnügens auf und nieder, die spitzen, glänzenden Nägel halfen wie kleine, unruhige Krallen nach. Plötzlich wurde mein ganzer Körper von ­einer furchtbaren Unruhe erfasst, einer wahren Wut der Begierde; ein Krampf, ein Schütteln, eine Sehnsucht, dass ich hätte aufheulen mögen; hastiger, eiliger tanzten die Finger; es war ein Aufruhr des ganzen Organismus – – – und dann, ah, dann! in der beseligenden Sekunde kamen Ruhe, Wonne und Entzücken flutend über mich hergeströmt, gleich einer großen, rosigen Woge; die Knospe brach brennend auf und füllte sich mit einigen heißen, glänzenden, runden Tauperlen … Meine Augen wurden von erlösenden Tränen für die kurze Frist einiger Sekunden überschwemmt; die Lippen wurden bleich – ich sank zurück, warf die Arme in exaltierter Ergriffenheit ins Genick und ließ, während meine Schenkel leise, wie ein verendendes Tier, zuckten, die ungeheure Lust verebben, während ich mich still hielt und an nichts dachte … Manchmal kam noch ein zweiter Ansturm der Lust, ganz ohne mein Zutun. Dann musste ich aufspringen und durch irgendeine leidenschaftliche Handlung meiner innerer Enttäuschung Ausdruck geben. Ich warf mich dann wohl vor den niederen Divan aus geblümten Seidenstoff auf die Knie, legte das Gesicht auf die nackten Arme, von denen der Ärmel zurückgeglitten war, und ein süßes, tränenloses Schluchzen fuhr, wie Windstöße durch den Wald fahren, durch meinen Körper. Oder ich schleuderte den Morgenrock von mir, öffnete die Achselspangen meines Hemdes und sank atemlos vornüber auf den Teppich nieder, indem ich das Gesicht fest auf den Boden drückte. Ich hatte gleichzeitig den Instinkt, mich zu verbergen, und wiederum den Wunsch, mich noch mehr zu enthüllen … nackter als nackt dazuliegen … Süßer Wahnsinn der Leidenschaft! –

Wenn ich aus dem tiefen Schlafe, der meinen hübschen, einsamen Orgien folgte, erwachte, waren meine Augen wieder hell, mein Gesicht war frisch, keusch und unbewegt und nach der Glut der fröhlich verrauschten Stunde fühlte ich mich kühl und gestärkt, wie nach einem Seebade. Da ich also nach außenhin mir nichts vergab und meine süßen, kleinen Laster weder meine körperliche, noch meine geistige ­Frische irgendwie berührten, galt ich für ein enorm tugendhaftes, junges Mädchen und genoss den Ruf einer bewun­derungswürdigen Unnahbarkeit. – Mein Papa, ein Professor der Geographie, erklärte mir eines Nachmittags in seiner gewöhnlichen Güte, dass wir am Abend einen Gast haben würden; es sei dies der berühmte Botaniker R … Das war bei uns nichts seltenes. Papa brachte öfter Bekannte mit, die zu irgendeinem wissenschaftlichen Kongress oder dergleichen in unsere kleine Stadt gekommen waren. Mir fiel indessen auf, dass Papa mit eigentümlicher Wärme im Ton sprach, als er mir diesen Gast ankündigte. Ich fragte:

»Es ist wohl ein guter Bekannter von dir?«

»Er ist sehr berühmt, außerdem sehr reich«, sagte Papa.

Über »reich« und »arm« hatte ich mir niemals den Kopf zerbrochen, ich musste lächeln und sagte:

»Was geht das uns und vor allem mich an, Papachen?«

»Oh!«, antwortete Papa nachdenklich, »es ist doch ein wichtiger Faktor … Reichtum sichert uns ohne weiteres das Interesse der Mitmenschen … ihre Beachtung …«

»Meine aber nicht!«, rief ich lachend.

Papa sah mich an, sagte aber nichts und ging hinaus. –

Als der Professor am Abend kam, wusste ich sofort, dass ich ihn nicht mochte und dass er mir niemals sympathisch werden würde. Ich hatte damals und habe bis zum heutigen Tage nichts gegen ihn vorzubringen, als den einen, bei mir allerdings ausschlaggebenden Grund: ich konnte ihn nicht leiden, ich kann ihn nicht leiden. Seine Haltung, sein Gang, seine Gesten, alles ist mir von jeher unsympathisch gewesen. Indessen möchte ich nicht leugnen, dass es Menschen geben kann, denen dieses ruhige, eigentümlich glatte, kluge Gesicht mit dem fast kahlen Schädel, dem runden, bartlosen Kinn und den scharfen Augen hinter den randlosen, funkelnden Brillengläsern gefallen mag. Auch die helle, leidenschaftslose Stimme, die so entsetzlich nüchtern, kalt und prononciert spricht, muss manchen Menschen angenehm klingen; wenigstens ist dies wohl bei meinem Vater der Fall gewesen, der den nach meinem Geschmack ungenießbaren Salbadereien des Professors mit Wohlgefallen zuzuhören schien.

Mir war unser Besuch hauptsächlich darum so unangenehm, weil er sich fast ausschließlich an mich wendete. Ich erzeigte ihm zwar die Achtung, die man einem Besuch schuldig ist, aber ich lehnte seine deutlichen Huldigungen mit ebenso großer Deutlichkeit ab. Wie sehr war ich erstaunt, als mein Vater mir nach wenigen Tagen mitteilte, dass Geheimrat R … ihn um die Erlaubnis gebeten habe, sich um meine Hand zu bewerben!

Ich fragte, bebend vor Entrüstung:

»Wie durfte er das wagen, da ich ihm deutlich genug zu verstehen gegeben habe, dass ich ihn nicht will?«

»Du urteilst zu vorschnell, meine liebe Toska!«, sagte Papa mit einem hübschen, überlegenen Lächeln. »Der Geheimrat ist eine sehr angesehene Persönlichkeit … und sehr reich …«

»Reich!«, rief ich, »reich! Wir haben doch selbst alles, was wir uns wünschen … Wir sind selber reich genug!«

Papa redete noch eine Weile an mir herum, aber ich blieb eigensinnig: nichts, nichts auf der Welt sollte mich dazu bewegen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte!

»Hat dein Herz etwa vielleicht schon gesprochen?«, fragte Papa mich sichtlich erschrocken.

»Gott bewahre, Papa! – Wenn du die Herren ausnehmen willst, mit denen ich getanzt habe, so habe ich überhaupt noch keinen Mann recht angesehen!«

»Dann kann noch alles gut werden!«, rief Papa erfreut. »Ich will dich vorerst nicht quälen; ich bin sicher, du wirst selbst das Richtige in dieser Sache finden! Vergiss nur nicht, dass mir dein Lebensglück und deine Versorgung sehr am Herzen liegen!«

»Und das kann mir, nach deiner Meinung, Geheimrat R. geben, Papa?«

»Sicherlich!«, sagte er lebhaft.

»Dann lasse ich lieber vorerst alles beim alten!«, rief ich aus. –

– Aber eines Tages brach mein häusliches Glück, welches ich als einziges Kind meines Vaters in reichem Maße genoss, zusammen. Mein armer Vater erlitt eine Rückenmarkslähmung, verlor teilweise die Sprache und zuerst auch das Bewusstsein, und es ging schnell mit seinen Kräften bergab. In diesen fürchterlichen Wochen war es Adolf R., mein ungeliebter und ungern gesehener Bewerber, der mir mit großer Energie und Ergebenheit beistand. Unter dem Druck dieser schweren Zeit versprach ich dem Geheimrat eines erschütternden Abends, neben dem Bette meines Vaters, seine Frau zu werden. Mein armer Papa war durch diese halberzwungene Verlobung so erfreut und beruhigt, dass ich in Wahrheit sagen kann, dieses für mich so unerfreuliche Ereignis hat seine letzten Tage verschönt.

Als der unvermeidliche traurige Fall eingetreten war, nahm Adolf, mein Bräutigam, mir alle äußeren Sorgen ab. Ich hatte Muße, mich ungestört meinem Kummer hinzugeben. Ich dachte kaum daran, dass durch den Tod meines Vaters eine Änderung meiner Verhältnisse eingetreten sein könnte, und erst nach mehr als zwei Monaten bemerkte ich, dass der Geheimrat zu den Haushaltskosten seit Wochen beisteuerte. Ich fasste sofort den Entschluss, den Geheimrat genau über den Stand meiner Vermögensangelegenheiten zu befragen, und tat dies auch bei seinem nächsten Besuche. Da erfuhr ich mit Schrecken, dass Papa fast nichts hinterlassen hatte und dass ich ganz arm gewesen wäre, wenn mein Bräutigam nicht für mich eingetreten wäre! –


Im ersten Impuls warf ich dem Geheimrat meine Arme um den Hals und dankte ihm leidenschaftlich. Ich merkte, dass ihm unter meiner unerwarteten, stürmischen Liebkosung ein wenig warm ums Herz wurde. Seine natürliche Steifheit und Pedanterie verhinderte ihn indessen, zu tun, was jeder Mann an seiner Stelle ohne Besinnen getan haben würde. Es war dies nämlich das erste Mal, dass ich Adolf freiwillig eine Liebkosung zuwendete, und der Geheimrat hätte umso mehr gut getan, diese bei mir seltene Stimmung zu benutzen, als ich meistens sehr zurückhaltend war, was mir dem Geheimrat gegenüber auch nicht schwer fiel.

Der Geheimrat also, statt zärtlich zu werden, küsste mich bedächtig auf die Stirn. Während ich merkte, wie wohl ihm die Berührung meines Körpers tat, gab er sich gleichwohl ­einen pedantischen, seelischen Rippenstoß und erklärte mir, indem er meine Arme von seinem Halse löste, dass er das, was er täte, für seine Pflicht und sein beneidenswertes Recht hielte. Er wäre glücklich, meinen Fuß auf Rosen schreiten zu sehen! Dieser Auffassung stimmte ich mit rascher Überlegung zu. Dann aber fügte der Geheimrat noch hinzu:

»Ich muss dir gestehen, liebste Toska, dass ich es nicht gar gern sehe, wenn junge Mädchen sich ihren Empfindungen allzu sehr hingeben. Eine Braut muss scheu und herb sein, wie eine geschlossene Knospe. So liebe ich das deutsche Mädchen. Bisher hat es mir an dir gerade imponiert, dass du dich deinen Gefühlen niemals hingibst. Bleibe so, meine teuere Toska, und lasse dich niemals gehen!«

Ich habe dem Geheimrat nie merken lassen, wie tief mich diese schulmeisterliche Prüderie, die er dem naiven Ausdruck meiner einfachen Dankbarkeit gegenüber herauskehrte, erbittert hat. Aber er hat in Zukunft nie Gelegenheit gehabt, auch nur die geringste »Hingebung« von meiner Seite zu spüren! –

In dieser Zeit begannen, wiewohl meine Brautschaft ja, wie man zu sagen pflegt, »kalt wie eine Hundenase« war, zärtliche und zweisame Gefühle in meiner Einsamkeit aufzutauchen. Ich hielt nach Freundinnen Umschau. Aber unter meinen Freundinnen war kaum eine einzige, mit der ich eine Verständigung zu suchen Lust gehabt hätte. Ich langweilte mich also durch meine Tage, und da ich natürlich kein Vergnügen darin fand, mit unserer Wirtschafterin zu plaudern, saß ich den größten Teil des Tages allein, sehnte mich – ziellos und schrankenlos, und empfand ein wirk­liches Grauen vor dem schon in Aussicht stehenden Hochzeitstage.

 

Da trat plötzlich ein für mich sehr erfreuliches Ereignis ein. Schon seit Wochen hatte mein Bräutigam mir in seiner langweiligen Weise von einer auf Regierungskosten ausgerüsteten Expedition zur Erforschung der Flora und Fauna der Südseeinseln erzählt. Ich hatte diese langatmigen Berichte immer mit dem stillen Gedanken angehört: schade, dass der Geheimrat nicht mitgeht!! Und der Himmel hatte wirklich ein Einsehen und ließ den botanischen Mitarbeiter der Expedition zur rechten Stunde erkranken oder sterben, was weiß ich! Jedenfalls wurde dem Geheimrat, der die Teilnahme an der Forschungsreise wegen unserer Verlobung schon vor einigen Monaten abgelehnt hatte, von neuem nahe gelegt, der botanische Leiter der Expedition zu werden. Als Adolf mir das amtliche Schreiben zeigte, hatte ich Mühe, mein Entzücken zu verbergen. Ich war indessen so klug, meinem Gesicht ein ernsthaftes Aussehen zu geben, sonst hätte der Geheimrat doch wohl Verdacht geschöpft … Ich sagte meinem Bräutigam würdevoll:

»Du tust in der Tat unrecht, lieber Adolf, der Wissenschaft deine Kraft zu entziehen.«

»Aber du, meine gute Toska? – Was würdest du tun, wenn ich dich verließe?«

»Ich würde der Wissenschaft zuliebe gern dieses kleine, vorübergehende Opfer bringen«, murmelte ich, während alle Träume aus Tausendundeiner Nacht um mich einen beflügelten Reigen zu schlingen begannen.

»Aber die Reise würde mindestens ein Jahr dauern, wenn nicht länger!«

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