Erzählungen aus 1001 Nacht - 5. Band

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Die Geschichte Hatims vom Stamme Taij



Man erzählt, daß Hatim vom Stamme Taij nach seinem Tode begraben wurde auf einem Bergesgipfel, und man stellte über seinem Grabe zwei Tröge auf, die aus zwei Felsen gemeißelt waren, sowie zwei steinerne Mädchenbilder mit gelöstem Haar. Am Fuße des Berges aber strömte ein Wasser, und wenn die Wanderer dort lagerten, so hörten sie nachts vom Einbruch des Dunkels bis zum Tagesgrauen lautes Weinen und Klagen; wenn sie sich aber morgens erhoben, so fanden sie nichts als die aus Stein gemeißelten Mädchen. Als nun Zu'l-Kura'a, der König von Himjar, seinen Stamm verließ und in jenes Tal kam, machte er Halt, um dort die Nacht zu verbringen. – –«



Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die

Zweihundertundsiebenzigste Nacht

 da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, als Zu'l-Kura'a durch das Tal kam, habe er dort genächtigt; und als er sich dem Berge näherte, da hörte er das Klagen und sprach: ›Welches Klagen klingt von jenem Berg herab?‹ Und man erwiderte ihm: ›Wahrlich, dies ist das Grab Hatim al-Taijis, über dem sich zwei steinerne Tröge und zwei steinerne Mädchengestalten mit gelöstem Haar befinden; und alle, die nachts an dieser Stelle lagern, hören dies Weinen und Klagen.‹ Da sprach er scherzend: ›O Hatim von Taij, heute abend sind wir deine Gäste, und wir sind schwach vor Hunger.‹ Dann kam der Schlaf über ihn, aber bald darauf erwachte er voller Schrecken, schrie auf und rief: ›Zu Hilfe, ihr Araber! Seht nach meinem Tier!‹ Und als seine Leute herbeieilten, fanden sie seine Kamelstute am Boden liegend, wo sie sich wälzte, denn sie war niedergeschlagen worden; da stachen sie sie in die Kehle, brieten ihr Fleisch und aßen. Und sie fragten ihn, was geschehen sei, und er erwiderte: ›Als ich die Augen schloß, sah ich im Schlafe Hatim von Taij; das Schwert in der Hand trat er auf mich zu und sprach: Du kamest zu uns, wir aber haben nichts hier. Und er traf meine Kamelstute mit dem Schwerte, und sie wäre sicherlich gestorben, wäret ihr auch nicht gekommen, sie zu schlachten.‹ Als nun der Morgen dämmerte, stieg der König auf das Tier eines seiner Begleiter, und indem er den Besitzer hinter sich nahm, brach er auf und ritt bis Mittag dahin. Da sahen sie einen Mann auf sich zukommen, der auf einem Kamel saß und ein zweites am Halfter führte; und der König sprach zu ihm: ›Wer bist du?‹ Versetzte er: ›Ich bin Adi, der Sohn Hatims vom Stamme Taij; wo ist Zu'l-Kura'a, der Emir von Himjar?‹ Versetzten sie: ›Es ist dieser‹; und er sprach zu dem Fürsten: ›Nimm diese Kamelstute an Stelle deines Tieres, das mein Vater für dich schlachtete.‹ Fragte Zu'l-Kura'a: ›Wer hat dir davon gesagt?‹ Und Adi erwiderte: ›Mein Vater erschien mir im Traum letzte Nacht und sprach: Höre, Adi; Zu'l-Kura'a ersuchte mich um das Gastrecht, und da ich ihm nichts zu bieten hatte, so schlachtete ich seine Kamelstute, damit er essen konnte; also bringe du ihm eine Kamelstute, auf der er reite, denn ich habe nichts.‹ Und Zu'l-Kura'a nahm sie und staunte ob des Edelmutes Hatims vom Stamme Taij im Leben und im Tode.



Und unter den Beispielen der Großmut ist auch





Die Geschichte Ma'ans, des Sohnes Saidahs



Man erzählt von Ma'an bin Saidah, als er eines Tages zu Jagd und Hatz ausgeritten wäre, da sei er durstig geworden, doch seine Leute hätten kein Wasser bei sich gehabt. Und während er also litt, siehe, da kamen ihm drei Mädchen entgegen, die drei Wasserschläuche trugen. – –«



Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die

Zweihundertundeinundsiebenzigste Nacht

 da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß ihm drei Mädchen entgegen kamen, die drei Wasserschläuche trugen; und er bat sie um einen Trunk, und sie gaben ihm zu trinken. Dann verlangte er von seinen Leuten etwas, was er den Mädchen geben könnte; doch sie hatten kein Geld; so schenkte er denn einem jeden der Mädchen zehn Pfeile aus seinem Köcher, deren Spitzen aus reinem Golde waren. Sprach eine von ihnen zu ihrer Freundin: ›Seht da! Solche Lebensart findet sich bei keinem als Ma'an bin Saidah! Also möge eine jede von uns zu seinem Preise ein paar Verse sprechen.‹ Sprach die erste:



Seine Pfeile versieht er mit Spitzen aus Gold – Und erweist sich dem Feind, den er schießt, noch hold:



Verwundeten gibt er die Mittel zur Kur – Und den Toten des Leichenbestatters Sold!



Und die zweite sprach:



Als Krieger zeigt er die offenste Hand – Seine Huld so Freunde wie Feinde umschließt:



Die Pfeile versieht er mit Spitzen aus Gold – So daß aus der Schlacht seine Güte noch sprießt!



Und die dritte:



Goldspitzige Pfeile streute er über die Feinde – Und siehe, es zahlten alle, in denen sie staken:



Die er verwundet, den Wundarzt damit – Und die er getötet, das Totenlaken.



Und man erzählt auch













 Die Geschichte von Ma'an, dem Sohn Saidahs, und dem Badawi



Eines Tages zog Ma'an bin Saidah mit seiner Gesellschaft auf die Jagd hinaus, und sie trafen eine Herde Gazellen; bei der Verfolgung trennten sie sich, und Ma'an blieb allein, während er eine von ihnen jagte. Als er sie erbeutet hatte, stieg er ab und schlachtete sie; und während er noch damit beschäftigt war, erspähte er jemanden, der auf einem Esel aus der Wüste kam. Er saß wieder auf, ritt auf den Ankömmling zu, grüßte ihn und fragte: ›Woher kommst du?‹ Sprach der: ›Ich komme aus dem Lande Kusa'ah, wo wir zwei Jahre lang Dürre hatten; aber dieses Jahr war ein Jahr der Fülle, und ich säte frühe Gurken. Sie sind früh gereift, daher habe ich die geerntet, die mir die besten schienen, und jetzt bin ich auf dem Wege, sie dem Emir Ma'an bin Saidah zu bringen, denn er ist bekannt ob seiner Großmut und seiner unbestrittenen Freigebigkeit.‹ Fragte Ma'an: ›Wieviel hoffst du von ihm zu erhalten?‹ Versetzte der Badawi: ›Tausend Dinare.‹ Sprach der Emir: ›Und was, wenn er sagt, das sei zu viel?‹ Erwiderte der Badawi: ›Dann werde ich fünfhundert fordern.‹ ›Und wenn er sagt, zu teuer?‹ ›Dreihundert dann.‹ ›Und wenn er wieder sagt, zu teuer?‹ ›Zweihundert dann.‹ ›Und wenn er nochmals sagt, zu teuer?‹ ›Einhundert dann.‹ ›Und wenn er wiederum sagt, zu teuer?‹ ›Fünfzig.‹ ›Und wenn er noch einmal sagt, zu teuer?‹ ›Dreißig.‹ ›Und wenn er immer noch sagt, zu teuer?‹ fragte Ma'an bin Saidah. Versetzte der Badawi: ›So will ich meines Esels vier Füße in seiner Ehren Haus hineinsetzen und enttäuscht und mit leeren Händen zu meinem Volke zurückkehren.‹ Da lachte Ma'an über ihn und trieb sein Roß weiter, bis er sein Gefolge erreichte und in seinen Palast heimkehrte, wo er zu seinem Kämmerling sprach: ›Wenn ein Mann mit Gurken kommt, der auf einem Esel reitet, so laß ihn zu mir herein.‹



Bald darauf kam der Badawi, und er wurde vor Ma'an geführt. Aber er erkannte in dem Emir nicht den Mann, dem er in der Wüste begegnet war, denn er war würdig und majestätisch anzuschauen, viele Eunuchen und Diener umgaben ihn, und er saß auf seinem Staatssessel, während seine Würdenträger in Reihen vor ihm und zu seinen Seiten standen. Er begrüßte ihn, und Ma'an sprach: ›Was führt dich her, o Bruder der Araber?‹ Versetzte der Badawi: ›Ich hoffte auf den Emir, und ich habe ihm vor der Zeit krause Gurken gebracht.‹ Fragte Ma'an: ›Und wieviel erwartest du von uns?‹ ›Tausend Dinare,‹ erwiderte der Badawi. ›Das ist viel zu viel,‹ sprach Ma'an.‹ Sprach er: ›Fünfhundert.‹ ›Zu viel.‹ ›Dann dreihundert.‹ ›Zu viel.‹ ›Zweihundert.‹ ›Zu viel.‹ ›Hundert.‹ ›Zu viel.‹ ›Fünfzig.‹ ›Zu viel.‹ Und schließlich ging der Badawi auf dreißig herab; aber wiederum sagte Ma'an: ›Zu viel!‹ Rief der Badawi: ›Bei Allah, der Mann, der mir in der Wüste begegnete, brachte mir Unglück! Aber unter dreißig Dinare will ich nicht gehen.‹ Der Emir lachte und sagte nichts; da erkannte der wilde Araber, daß er der war, den er getroffen hatte, und sprach: ›O mein Herr, wenn du mir nicht die dreißig Dinare gibst, so siehe, dort steht der Esel an die Tür gebunden, und hier sitzt Ma'an, seine Ehren, in seinem Hause. Da lachte Ma'an, bis er auf den Rücken fiel; und er rief seinen Verwalter und sprach: ›Gib ihm tausend Dinare und fünfhundert und dreihundert und zweihundert und hundert und fünfzig und dreißig; und der Esel soll angebunden bleiben, wo er steht.‹ So erhielt der Badawi zu seinem Staunen zweitausendeinhundertundachtzig Dinare, und Allah erbarme sich ihrer wie aller großmütigen Männer! Und ich vernahm auch, o glücklicher König,














          Die Geschichte der Stadt Labtait




Es war einst im Lande Roum eine Königsstadt, die da die Stadt Labtait geheißen wurde; und in ihr stand ein Turm, der war stets geschlossen. Und so oft ein König starb und ein anderer Griechenkönig nach ihm das Zepter ergriff, tat er vor den Turm ein neues kräftiges Schloß, bis vierundzwanzig Schlösser vor dem Tore lagen, der Zahl der Könige gemäß. Nach dieser Zeit aber kam ein Mann auf den Thron, der nicht aus dem alten Königshause war, und ihn kam die Lust an, diese Schlösser zu öffnen, um zu sehn, was in dem Turme wäre. Die Großen seines Königreiches warnten ihn davor und drängten ihn, abzustehen, und sie schalten und tadelten ihn; er aber sagte beharrlich: ›Der Turm muß geöffnet werden.‹ Da boten sie ihm alles, was ihre Hände besaßen an Geld und Schätzen und wertvollen Dingen, wenn er von seinem Vorhaben abstehen wollte; er aber wollte sich immer noch nicht seinen Willen durchkreuzen lassen. – –«



Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die

Zweihundertundzweiundsiebenzigste Nacht

 da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß die Großen dem König alles boten, was ihre Hände besaßen an Geld und Schätzen, wenn er von seinem Vorhaben abstehen wollte; aber er wollte sich nicht hindern lassen und sprach: ›Es hilft nichts, ich muß diesen Turm öffnen.‹ Und er riß die Schlösser herab, trat ein und fand in dem Turm Bildnisse reitender Araber auf ihren Rossen und Kamelen in ihren an den Enden lang herabhängenden Turbanen, mit Schwertern, die ihnen in Gehenken über den Schultern hingen, und mit langen Lanzen in den Händen. Er fand auch eine Schrift, die er gierig ergriff und las; und diese Worte standen darin geschrieben: ›So oft diese Tür geöffnet wird, wird eine Araberschar dies Land erobern, derengleichen hier geschildert ist; also hütet euch, und wiederum hütet euch, sie zu öffnen.‹ Nun lag diese Stadt in Andalusien; und in eben diesem Jahre eroberte sie Tarik ibn Sijad, und zwar unter dem Kalifat al-Walids, des Sohnes Abd al-Maliks von den Söhnen Umajjas; und er erschlug diesen König in traurigster Weise, plünderte die Stadt, nahm die Frauen und Knaben gefangen und erbeutete großen Raub. Ferner fand er dort unermeßliche Schätze, unter anderem mehr als einhundertundsiebenzig Kronen aus Perlen und Hyazinthen und anderen wertvollen Edelsteinen; und er fand einen Saal, in dem Reiter ihre Speere schleudern konnten, der war ganz voll silberner und goldener Gefäße, wie sie keine Schilderung beschreiben kann. Ferner den Speisetisch des Propheten Allahs, Salomos, des Sohnes Davids (mit beiden sei Friede!), der noch jetzt vorhanden ist in einer Stadt der Griechen; man erzählt, er sei aus grasgrünem Smaragd gewesen, besetzt mit Gefäßen aus Gold und Tellern aus Jaspis. Und ebenso fand er die Psalmen, geschrieben in altionischen Lettern auf goldenen, edelsteinbesetzten Blättern, sowie ein Buch, das die Eigenschaften der Steine und Kräuter und Mineralien behandelte, und den Gebrauch der Zauberformeln und Talismane und die Regeln der alchimistischen Kunst; und noch einen dritten Band fand er, der von der Kunst handelte, Rubinen und andere Edelsteine zu schneiden und zu fassen, und von der Bereitung der Gifte und Gegengifte. Und auch eine Karte der Welt fand er dort, darauf die Erde und die Meere und die verschiedenen Städte und Länder und Dörfer der Welt verzeichnet waren. Und er fand einen ungeheuren Saal voll Scheidepulver, einem Elixier, von dem eine Drachme tausend Drachmen Silbers in feines Gold verwandelt hätte; desgleichen einen großen, runden, wunderbaren Spiegel aus gemischten Metallen, der für Salomo gemacht worden war, den Sohn Davids (mit beiden sei Friede!); wer in den hineinsah, der erblickte die genaue Nachbildung der sieben Klimen der Welt; und schließlich fand er noch eine Kammer voll brahmanischer Hyazinthen, für die keine Worte genügen. Und all diese Dinge sandte er Wali bin Abd al-Malik, und die Araber breiteten sich aus über alle Städte Andalusiens, das eines der schönsten Länder ist. Dies ist der Schluß der Geschichte der Stadt Labtait.

 



Und man erzählt auch





Die Geschichte von dem Kalifen Hischam und dem arabischen Jüngling



Der Kalif Hischam bin Abd al-Malik bin Marwan war eines Tages auf der Jagd, als er eine Antilope zu Gesicht bekam, die er mit seinen Hunden verfolgte. Und als er dem Wild nachsetzte, sah er einen jungen Araber, der Schafe weidete, und sprach zu ihm: ›He, Knabe, auf und jener Antilope nach, denn sie entkommt mir.‹ Der Jüngling hob den Kopf zu ihm und entgegnete: ›O du, der du nicht weißt, was dem Verdienstvollen gebührt, du blickst mich mit Geringschätzung an und sprichst zu mir voll Verachtung; deine Rede ist die eines echten Tyrannen, und dein Handeln das eines Esels.‹ Sprach Hischam: ›Weh dir, kennst du mich nicht?‹ Versetzte der Jüngling: ›Wahrlich, deine schlechte Erziehung hat dich mir bekannt gemacht, denn du sprachest zu mir, ohne mit dem Gruß zu beginnen.‹ Sprach der Kalif: ›Pfui über dich! Ich bin Hischam bin Abd al-Malik.‹ ›Möge Allah deiner Stätte nimmer gnädig sein‹, erwiderte der Jüngling, ›noch auch deinen Wandel schirmen! Wie zahlreich sind deine Worte, und wie wenig zahlreich deine edlen Taten!‹ Kaum aber hatte er ausgeredet, so kamen von allen Seiten die Truppen herbei und umringten den Kalifen, wie das Weiße des Auges das Schwarze umschließt, und einer und alle sprachen: ›Friede sei mit dir, o Beherrscher der Gläubigen!‹ Sprach Hischam: ›Laßt dies Geschwätz und ergreift mir den Knaben dort.‹ Da legten sie Hand an ihn, und als er die Menge der Kämmerlinge und Veziere und der Herren des Staates sah, da war er in keiner Weise betroffen, und er fragte nicht nach ihnen, sondern senkte das Kinn auf die Brust und blickte dahin, wohin seine Füße traten, bis sie ihn vor den Kalifen führten; und als er vor ihm stand, senkte er den Kopf zu Boden und grüßte ihn nicht und sprach ihn nicht an. Sprach einer der Eunuchen zu ihm: ›Du Hund der Araber, was hindert dich, den Beherrscher der Gläubigen zu begrüßen?‹ Da wandte der Jüngling sich ihm zornig zu und erwiderte: ›O du Packsattel eines Esels, die Länge des Weges hinderte mich daran, und die Steilheit der Stufen und mein reichlich fließender Schweiß.‹ Sprach Hischam (und wahrlich, er war aufs höchste ergrimmt): ›O Knabe, wahrlich, deine Tage haben ihre letzte Stunde gesehen; deine Hoffnung ist dahin, und dein Leben hat dich verlassen.‹ Versetzte er: ›Bei Allah, o Hischam, wahrlich, wenn mein Lebensziel verlängert wurde, und wenn das Schicksal nicht befiehlt, es abzubrechen, so kümmern mich deine Worte nicht, ob du ihrer viele machst oder wenig.‹ Da sprach der Oberkämmerling zu ihm: ›Geziemt es deinem Range, gemeinster der Araber, mit dem Beherrscher der Gläubigen zu streiten?‹ Und rasch erwiderte er: ›Möge dich Unglück treffen, und mögen dich Schmerz und Klage nimmer verlassen! Hast du nicht das Wort des allmächtigen Allah vernommen: Eines Tages wird jede Seele sich verteidigen müssen?‹ Und Hischam stand auf in wildem Grimm und sprach: ›Henker, bringe mir den Kopf dieses Burschen; denn wahrlich, er redet zuviel und Dinge, die über alles hinausgehn.‹ Da nahm ihn der Henker und ließ ihn niederknien auf den Blutteppich, zog das Schwert über ihm und sprach zu dem Kalifen: ›O Beherrscher der Gläubigen, dieser dein Sklave ist mißleitet, und er steht auf dem Wege zu seinem Grabe; soll ich ihm das Haupt abschlagen und an seinem Blute schuldlos sein?‹ ›Ja‹, erwiderte Hischam. Er wiederholte seine Frage, und wieder bejahte der Kalif. Dann fragte er zum dritten Male, und der Jüngling, der wohl wußte, daß die dritte Bejahung das Zeichen zu seinem Tode wäre, lachte, bis seine Weisheitszähne zu sehen waren; das schürte Hischams Grimm noch mehr, und er sprach zu ihm: ›O Knabe, mich dünkt, du bist von Sinnen! Siehst du nicht, daß du im Begriffe stehst, aus der Welt zu scheiden? Weshalb also lachst du, dich selbst zu höhnen?‹ Versetzte er: ›O Beherrscher der Gläubigen, wenn mir ein späteres Lebensziel zuteil ward, kann mir niemand ein Leid antun, weder groß noch klein. Aber mir fielen ein paar Verse ein, die höre an, denn mein Tod entgeht dir nicht.‹ Sprach Hischam: ›Sag sie und sei kurz.‹ Und der Araber sprach diese Verse:



Ein Falke stieß auf einen Vogel einst – Einen Sperling, den sein Schicksal trieb;



Und in den Fängen der Sperling sprach – Als der Falke die Luft mit den Flügeln schon hieb:



Des Fleisches so wenig hab ich für dich – Nimmt ein Herr wie du mit mir vorlieb?



Da lächelt' der Falke geschmeichelt, und stolz – Ließ den Sperling er los, dem das Leben blieb.



Und auch Hischam lächelte und sprach: ›So wahr ich verwandt bin mit dem Apostel Allahs (den Allah segne und behüte!), hätte er das gleich gesagt und mich um irgend etwas gebeten außer um das Kalifat, wahrlich, ich hätte es ihm gegeben. Stopf ihm den Mund mit Juwelen, Eunuch, und behandle ihn höflich‹; und sie taten, wie er befahl, und der Araber ging seiner Wege. Und unter den heiteren Geschichten ist auch





Die Geschichte von Ibrahim bin al-Mahdi und dem Barbier-Chirurgen



Man erzählt, als das Kalifat auf al-Maamun überging, den Sohn Harun al-Raschids, da habe Ibrahim, der Bruder seines Vaters, sich geweigert, seinen Neffen anzuerkennen und sich nach Raij begeben, wo er Anspruch auf den Thron erhob; er residierte dort ein Jahr, elf Monate und zwölf Tage lang. Derweilen harrte sein Neffe, al-Maamun, daß er sich wieder fügen und eine abhängige Stellung annehmen würde; und als er zuletzt daran zweifelte, saß er mit seinen Reitern und den Kriegern zu Fuß auf und begab sich nach Raij, um ihn zu suchen. Als nun Ibrahim hiervon Kunde erhielt, fand er keinen anderen Ausweg als den, nach Bagdad zu fliehen und sich dort zu verbergen, denn er fürchtete für sein Leben; und al-Maamun setzte auf seinen Kopf einen Preis von hunderttausend Goldstücken, der einem jeden ausgezahlt werden sollte, der ihn verraten würde. Sprach Ibrahim: ›Als ich von diesem Preise hörte, da fürchtete ich für meinen Kopf.‹ – –«



Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die

Zweihundertunddreiundsiebenzigste Nacht

 da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Ibrahim also erzählte: ›Als ich nun von diesem Preise hörte, da fürchtete ich für meinen Kopf, und ich wußte nicht, was ich beginnen sollte. Verkleidet zog ich um Mittag aus meinem Hause aus, ohne zu wissen, wohin ich mich wenden sollte. Und ich kam in eine breite Straße, die keinen Ausgang hatte, und sprach in meiner Seele: ›Wahrlich, wir sind Allahs, und zu ihm kehren wir zurück. Ich habe mein Leben der Vernichtung ausgesetzt. Wenn ich umkehre, werde ich Verdacht erwecken.‹ Dann erspähte ich, immer noch in meiner Verkleidung, am oberen Ende der Straße einen Negersklaven, der an seiner Türe stand; und ich trat zu ihm und sprach: ›Hast du einen Raum, in dem ich eine Stunde des Tages verbringen kann?‹ ›Ja,‹ erwiderte er, und indem er die Tür öffnete, ließ er mich ein in ein sauberes Haus, das mit Teppichen und Matten und Lederkissen versehen war. Und er schloß die Tür hinter mir und ging davon; ich aber argwöhnte, er könnte von der Belohnung vernommen haben, die auf meinen Kopf gesetzt war, und sprach bei mir selber: ›Er ist gegangen, um Anzeige wider mich zu erstatten.‹ Doch als ich noch dasaß und mir meinen Fall überlegte, kochend wie ein Kessel über dem Feuer, siehe, da kam mein Wirt zurück, begleitet von einem Träger, der beladen war mit Brot und Fleisch, neuen Kochtöpfen und Gerät, einem neuen Krug, neuen Bechern und anderen nötigen Dingen. Er hieß den Träger alles niedersetzen, schickte ihn fort und sprach zu mir: ›Ich biete dir mein Leben als Lösegeld! Ich bin Barbier, und ich weiß, es würde dich ekeln, mit mir zu essen, weil ich mir auf solche Weise mein Leben verdiene; also geh abseits und tu mit diesen Dingen, was du willst, denn sie hat noch keine Hand berührt.‹ (Sprach Ibrahim:) Nun war ich der Nahrung sehr bedürftig, und also kochte ich mir einen Topf voll Speise, wie ich mich nicht entsinne, je einen gegessen zu haben; und als ich gesättigt war, sprach er zu mir: ›O mein Herr, Allah mache mich zu deinem Lösegeld! Bist du für Wein? Wahrlich, er erfreut die Seele und tilgt die Sorge.‹ ›Ich habe keine Abneigung gegen ihn,‹ erwiderte ich, denn mich verlangte nach der Gesellschaft des Barbiers; und also brachte er mir neue Glasflaschen, die noch keine Hand berührt hatte, und einen Krug voll ausgezeichneten Weins und sprach: ›Zieh dir selber ab, wie du es magst‹; worauf ich den Wein klärte und mir einen köstlichen Trunk zusammen mischte. Dann brachte er mir einen neuen Becher und Früchte und Blumen in neuen irdenen Gefäßen; und schließlich sprach er: ›Willst du mir erlauben, mich abseits zu setzen und von meinem eigenen Weine zu trinken in meiner Freude an dir und für dich?‹ ›Tu es,‹ versetzte ich. In dieser Weise trank ich und trank er, bis der Wein auf uns zu wirken begann; da aber stand der Bader auf, ging in eine Kammer und holte eine Laute aus poliertem Holz hervor und sprach: ›O mein Herr, es steht meinesgleichen nicht an, deinesgleichen zu bitten, daß er singe, aber es gebührt deiner überschwenglichen Großmut, meiner Ehrfurcht zu lohnen; wenn du es also für angebracht hältst, deinen Sklaven zu ehren, so steht die hohe Entscheidung bei dir.‹ Sprach ich (und wahrlich, ich wußte nicht, daß er mich kannte): ›Woher weißt du, daß ich mich auszeichne im Gesang?‹ Versetzte er: ›Ruhm sei Allah, dafür ist unser Herr allzu bekannt! Du bist mein Herr Ibrahim, der Sohn des al-Mahdi, unsres Kalifen von gestern, der, auf dessen Haupt al-Maamun einen Preis von hunderttausend Dinaren gesetzt hat, zahlbar an den, der dich verrät: aber bei mir bist du in Sicherheit.‹ (Sprach Ibrahim:) Als ich ihn solches sagen hörte, da wuchs er in meinen Augen, und seine Treue und sein edles Wesen wurden mir klar; daher fügte ich mich seinem Wunsche, nahm die Laute, stimmte sie und sang. Dann gedachte ich der Trennung von meinen Kindern und den Meinen und hub an:

 



Der Yusuf einst den Seinen wiedergab – Ihn ehrend, da er lag in Kerkers Nacht,



Erhört auch uns wohl und vereinigt uns. – Der Welten Herr, Allah, hat jede Macht.



Und als der Barbier das hörte, ergriff übermäßige Freude von ihm Besitz, und er war in bester Stimmung; denn man sagt, wenn Ibrahims Nachbarn ihn nur rufen hörten: ›He, Knabe, sattle die Eselin!‹ so habe sie Entzücken erfüllt. Und da ihn seine Heiterkeit fortriß, sprach er zu mir: ›O mein Herr, willst du mir die Erlaubnis geben, zu sagen, was mir in den Sinn gekommen ist, obgleich ich nicht zu den Jüngern dieser Kunst gehöre?‹ Versetzte ich: ›Tu's; es zeugt von deiner großen Höflichkeit und Güte.‹ Da nahm er die Laute und sang diese Verse:



Wir klagten unsren Geliebten die ganze Nacht – Sie sprachen: Wie kurz sind die Nächte uns zugedacht!



Die Augen schließt ihnen die Kappe des Schlafes schnell – Doch unser Aug' flieht der Schlaf mit aller Macht:



Und sinkt die Nacht, ein Schrecken für den, der liebt – Wir trauern; sie jubeln, wenn endlich das Dunkel lacht:



Erführen nur sie den bitter-unheimlichen Schmerz – Er hätt ihrem Bett wie unsrem den Pesthauch gebracht.



(Sprach Ibrahim:) Und ich sprach zu ihm: ›Bei Allah, du hast mir eine Freundlichkeit erwiesen, o mein Freund, und du hast die Pein der Trauer von mir abgetan. Laß mich mehr solcher Kleinigkeiten hören.‹ Und er sang diese Verse:



Wer rein von Flecken die Ehre hält – Den kleidet jeglicher Mantel gut!



Sie höhnte ob unsrer geringen Zahl – Sprach ich: Nicht häufig ist edler Mut!



Sind unser wenig, der Nachbarn viel – So sind die Nachbarn aus niederem Blut:



Für unsren Stamm ist der Tod kein Schimpf – Wie er's war für Amir und Samuls Brut:



Wir lieben den Tod und den raschen Schluß – Doch ihnen scheint jeder Aufschub gut:



Wir strafen Lügen des Nachbars Wort – Doch sprechen wir: so schweigt er hinfort.



(Sprach Ibrahim:) Als ich diese Verse hörte, da erfüllte mich gewaltiges Entzücken, und ich staunte in höchstem Staunen. Dann schlief ich ein, und ich erwachte erst wieder nach dem Einbruch der Nacht; und den Geist erfüllt von dem hohen Werte dieses Baders und von seiner unvergleichlichen Höflichkeit, wusch ich mich; dann weckte ich ihn, zog einen Geldbeutel, den ich bei mir hatte, und der ein paar Goldstücke enthielt, warf ihn ihm zu und sprach: ›Ich empfehle dich Allah, denn ich will dich verlassen, und ich bitte dich, was in diesem Beutel ist, für deine Bedürfnisse auszugeben; und du sollst reichlichen Lohn von mir erhalten, wenn ich meiner Furcht erst ledig bin.‹ (Sprach Ibrahim:) Er aber gab mir den Beutel zurück und sprach: ›O mein Herr, Arme wie ich sind in deinen Augen ohne Wert; aber wie kann ich in gebührender Achtung vor meiner eigenen Großmut einen Preis für die Gnade nehmen, die mir das Schicksal durch deine Gunst und deinen Besuch in meinem armen Hause gewährte? Nein, wenn du deine Worte noch einmal sprichst und mir den Beutel nochmals zuwirfst, so werde ich mich erschlagen.‹ Da tat ich den Beutel, dessen Gewicht mir lästig war, in meinen Ärmel. – –«



Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch als die

Zweihundertundvierundsiebenzigste Nacht

 da war, fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher König, daß Ibrahim, der Sohn des al-Mahdi, also erzählte: Da tat ich den Beutel, dessen Gewicht mir lästig war, in meinen Ärmel und wandte mich zum Gehen; doch als ich an die Haustür kam, sprach er: ›O mein Herr, wahrlich, dies ist ein sichereres Versteck für dich als irgend ein anderes; und es ist keine Last für mich, dich zu erhalten; also bleibe bei mir, bis Allah dir Erlösung sendet.‹ Ich wandte mich ihm zu und sprach: ›Unter der Bedingung, daß du das Geld in diesem Beutel ausgibst.‹ Er tat, als willige er ein, und ich blieb ein paar Tage in äußerster Behaglichkeit bei ihm; als ich aber merkte, daß er von dem Gelde im Beutel nichts ausgab, lehnte ich mich gegen den Gedanken auf, daß ich ihm zur La

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