Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band

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So drängten sie sie nicht weiter; und der Händler stand auf und ging zu einem Außenhaus, um die Wuzu-Waschung vorzunehmen, und dann wollte er zurückkehren und sein Geheimnis sagen und sterben. Nun, Tochter Schahrazad, hatte der Kaufmann in diesem Gebäude etwa fünfzig Hennen unter einem Hahn, und als er sich bereit machte, den Seinen lebewohl zu sagen, hörte er einen seiner vielen Hofhunde in seiner Sprache den Hahn anreden, der die Flügel schlug und munter krähte und einer Henne nach der andern auf den Rücken sprang, um sie zu treten; und er hörte ihn sagen: ›O Kreyant! Wie niedrig ist dein Witz, und wie schamlos dein Benehmen! Enttäuscht sei, wer dich zeugte! Schämst du dich nicht dieses Tuns an einem solchen Tage?‹ ›Und was,‹ fragte der Hahn, ›wäre heute geschehen?‹ Worauf der Hund versetzte: ›Weißt du nicht, daß unser Herr sich heute zum Tode bereit macht? Sein Weib ist entschlossen: er soll das Geheimnis enthüllen, das Allah ihn lehrte, und sowie er das tut, wird er gewißlich sterben. Wir Hunde sind alle in Trauer, aber du schlägst die Flügel und krähst und trittst Henne nach Henne. Ist dies die Stunde für Zeitvertreib und Vergnügen? Schämst du dich nicht?‹ ›Dann, bei Allah‹ sagte der Hahn, ›ist unser Herr arm an Witz und ohne Verstand: wenn er ein einziges Weib nicht bändigen kann, so ist sein Leben der Verlängerung nicht wert. Ich habe einige fünfzig Hennen, und ich befriedige diese und reize jene, lasse die eine hungern und mäste die andere, und durch meine gute Leitung habe ich sie alle in der Gewalt. Dieser unser Herr macht Anspruch auf Witz und Weisheit, und er hat nur ein Weib und weiß doch nicht, wie er es bändigen soll.‹ Und es fragte der Hund: ›Was denn, o Hahn, sollte der Herr tun, um diese Klippe zu umschiffen?‹ ›Er sollte stracks aufstehn‹, versetzte der Hahn, ›und von einem Maulbeerbaum ein paar Zweige nehmen und ihr regelrecht den Rücken dreschen und die Rippen heizen, bis sie schreit: Ich bereue, o mein Herr! Ich will dir, solange ich lebe, keine Frage mehr stellen! Dann mag er sie noch einmal gehörig schlagen, und hinfort wird er frei von Sorge ruhen und sein Leben genießen. Aber dieser unser Herr hat weder Verstand noch Urteil.‹« »Nun, Tochter Schahrazad«, fuhr der Vezier fort, »will ich dir tun, wie der Kaufmann seinem Weibe tat.« Und es fragte Schahrazad: »Was tat er?« und er erwiderte: »Als der Kaufmann die weisen Worte hörte, die der Hahn zum Hunde sprach, erhob er sich eilig, schnitt sich ein paar Maulbeerzweige, suchte seines Weibes Zimmer auf und verbarg sie dort; dann rief er ihr zu: ›Komm in die Kammer; damit ich dir das Geheimnis sage, wo mich niemand sieht, und sterbe.‹ Sie trat mit ihm ein, und er verschloß die Tür und fiel mit so kräftigen Prügeln über sie her, auf Rücken und Schultern und Rippen, Arme und Beine, und rief derweilen: ›Willst du je wieder nach Dingen fragen, die dich nichts angehn?‹ daß sie fast ohnmächtig wurde. Und alsbald rief sie aus: ›Ich bereue! Bei Allah, ich will dir keine Fragen mehr stellen, und wahrlich, ich bereue aufrichtig und gründlich.‹ Dann küßte sie ihm Hand und Fuß, und er führte sie hinaus, unterwürfig, wie ein Weib es sein soll. Ihre Verwandten und alle freuten sich, und die Trauer war in Jubel und Lust verwandelt. So lernte der Kaufmann von seinem Hahn Familienzucht, und er und sein Weib lebten das glücklichste Leben bis zu ihrem Tode.«

»Und auch du, meine Tochter,« fuhr der Vezier fort, »wenn du nicht von deinem Willen lässest, so werde ich dir tun, was der Händler seinem Weibe tat.« Aber sie antwortete ihm entschlossen: »Ich werde nicht davon lassen, o mein Vater, noch auch soll diese Erzählung meine Absicht ändern. Laß solch Geschwätz und Gerede. Ich will nicht auf deine Worte hören, und wenn du es mir abschlägst, so werde ich mich ihm dir zum Trotz vermählen. Und erst will ich selber zum König gehen, allein; und ich will ihm sagen: Ich bat meinen Vater, mich dir zum Weibe zu geben, aber er wollte es nicht, denn er war entschlossen, seinen Herrn zu enttäuschen, und er mißgönnte meinesgleichen deinesgleichen.« Ihr Vater fragte: »Muß es sein?« Und sie erwiderte: »Es muß sein.« Da nun der Vezier des nutzlosen Klagens und Streitens und Überredens und Abratens müde war, so ging er zu König Schahryar, segnete ihn, küßte vor ihm den Boden und erzählte ihm den ganzen Streit mit seiner Tochter, wie auch, daß er die Absicht habe, sie ihm nachts zu bringen. Der König staunte in höchstem Staunen, denn er hatte die Tochter des Veziers eigens ausgenommen, und er sprach zu ihm: »O treuester der Berater, wie kommt dies? Du weißt, ich habe beim Schöpfer des Himmels geschworen, nachdem ich in der Nacht mit ihr geschlafen habe, werde ich am folgenden Morgen zu dir sagen: Nimm sie und erschlage sie! Und wenn du sie nicht erschlägst, so werde ich unfehlbar an ihrer Stelle dich erschlagen.« »Allah führe dich zum Ruhm und verlängere dein Leben, o König der Zeit,« erwiderte der Vezier, »sie hat es so bestimmt; all das habe ich ihr schon gesagt, und mehr noch, aber sie will nicht auf mich hören, und sie besteht darauf, die nächste Nacht bei des Königs Majestät zu verbringen.« Da frohlockte Schahryar sehr und sagte: »Es ist gut; geh, mache sie bereit und bringe sie mir heute nacht.« Der Vezier nun kehrte zu seiner Tochter zurück, berichtete ihr den Befehl und sagte: »Allah mache deinen Vater nicht trostlos durch deinen Verlust!« Aber Schahrazad freute sich in höchster Freude und machte alles bereit, was sie brauchte, und sagte zu ihrer jüngeren Schwester, Dunyazad: »Beachte wohl, welche Weisung ich dir anvertraue! Wenn ich zu dem König hineingegangen bin, so werde ich nach dir senden, und wenn du siehst, daß er seinen Willen an mir gelabt hat, so sage du zu mir: O meine Schwester, wenn du nicht schläfrig bist, so erzähle mir eine neue Geschichte, unterhaltsam und ergötzlich, um die wachen Stunden schneller zu vertreiben; und dann will ich dir eine Erzählung erzählen, die unsere Befreiung sein soll, wenn es Allah so gefällt, so daß der König von seiner blutdürstigen Gewohnheit abläßt.« Und Dunyazad erwiderte: »Mit Liebe und Freude.« Als es nun Nacht war, brachte ihr Vater, der Vezier, Schahrazad zum König, der bei ihrem Anblick froh wurde und fragte: »Hast du mir gebracht, was ich brauche?« Und er erwiderte: »Ja.« Als aber der König sie in sein Bett nahm und mit ihr zu spielen begann, da weinte sie; und er fragte: »Was fehlet dir?« Sie erwiderte: »O König der Zeit, ich habe eine jüngere Schwester, und gern nähme ich heute nacht noch von ihr Abschied, ehe ich das Tagesgrauen sehe.« So schickte er alsbald nach Dunyazad, und sie kam und küßte zwischen seinen Händen den Boden, und er erlaubte ihr, sich zu Füßen des Lagers zu setzen. Dann erhob sich der König und nahm seiner Braut die Mädchenschaft, und schließlich schliefen alle drei ein. Doch als die Mitternacht kam, wachte Schahrazad auf und winkte ihrer Schwester Dunyazad, die sich aufsetzte und sprach: »Allah sei mit dir, o meine Schwester, erzähle uns eine neue Geschichte, unterhaltsam und ergötzlich, um uns die wachen Stunden des Restes der Nacht zu vertreiben.« »Mit Freude und großer Lust,« erwiderte Schahrazad, »wenn der fromme und glückliche König es erlaubt.« »Erzähle,« sprach der König, der schlaflos und rastlos war und sich der Aussicht auf eine Geschichte freute. Da frohlockte Schahrazad; und sie begann in der Ersten Nacht der tausend Nächte und einen Nacht

Die Erzählung von dem Kaufmann und dem Dschinni

»Es wird berichtet, o glücklicher König, daß einst ein Kaufmann lebte, der großen Reichtum besaß und in mancherlei Städten Handel trieb. Nun stieg er eines Tages zu Pferde und zog aus, um an gewissen Orten Gelder einzuziehen, und die Hitze drückte ihn gar sehr; da setzte er sich unter einen Baum; und er griff in eine Satteltasche und zog gebrochenes Brot heraus und trockene Datteln und begann zu frühstücken. Als er die Datteln aufgegessen hatte, warf er die Steine kräftig fort, und siehe, es erschien ein Ifrit, riesenhaft an Statur, und er schwang ein gezücktes Schwert und nahte damit dem Kaufmann und sprach: ›Steh auf, daß ich dich erschlage, wie du mir den Sohn erschlugst!‹ Und der Kaufmann fragte: ›Wie habe ich dir den Sohn erschlagen?‹ Er aber antwortete: ›Als du Datteln aßest und die Steine fortwarfst, trafen sie meinen Sohn voll auf der Brust, da er vorbeiging, und er starb alsbald.‹ Sprach der Kaufmann: ›Wahrlich, aus Allah kamen wir, zu Allah kehren wir zurück. Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen! Wenn ich dir den Sohn erschlug, so erschlug ich ihn aus Zufall. Ich bitte dich jetzt, vergib mir.‹ Versetzte der Dschinni: ›Es hilft nichts, ich muß dich erschlagen.‹ Und er packte ihn und schleppte ihn hin und warf ihn zu Boden und hob das Schwert, um ihn zu treffen. Da weinte der Kaufmann und sagte: ›Ich gebe mich in Allahs Hand,‹ und sprach die Verse:

Zweierlei Tage enthält die Zeit, die einen voll Segen, die andern voll Leid – Und zwei Hälften gehn in das Leben hinein, die eine voll Lust, die andre voll Pein.

Und wenn der Sturm in Wirbeln rast, scharf fegt und kräftig schlägt – So spürt den Schmerz der Spannung doch im Wald der Riese allein.

Der Bäume ernährt die Erde so viel, der Bäume, trocken und grün – Aber keiner klagt (nur, wer Früchte trägt) über einen geworfenen Stein.

Und Leichen steigen und schwimmen einher auf der Oberfläche der Flut – Während Perlen liegen, beleuchtet kaum von des Meergrunds blassem Schein.

Ungezählt steht am Himmel der Sterne Schar – Doch keinen deckte, nur Sonne und Mond, die Finsternis je ein.

Du lobtest die Tage, da gut es dir ging – Und zähltest nicht, die das Schicksal liebt, die Tage voll Schmerz und Pein.

Die Nächte gaben dir Sicherheit, und sie gab dir den Stolz – Aber Segen der Nacht und Seligkeit erzeugen Ächzen und Schrein.

 

Als nun der Kaufmann diese Verse gesprochen hatte, sagte der Dschinni zu ihm: ›Kürze deine Worte, bei Allah, ich muß dich erschlagen.‹ Aber der Kaufmann sprach: ›Wisse, o Ifrit, ich habe noch eine Schuld, die mir fällig ist, und vielen Reichtum und Kinder und ein Weib und Unterpfänder; drum erlaube mir, nach Hause zu kehren und eines jeden Ansprüche zu befriedigen, und ich will zu Beginn des neuen Jahres zu dir zurückkehren. Allah sei mein Zeugnis und meine Sicherheit, daß ich wiederkomme; und dann kannst du mit mir tun, wie du willst, und Allah hört, was ich sage.‹ Der Dschinni nahm ihm ein bindendes Versprechen ab und ließ ihn ziehen; so kehrte der Kaufmann in seine Stadt zurück, erledigte seine Geschäfte, gab allen, was ihnen gebührte, und nachdem er seiner Frau und seinen Kindern berichtet hatte, was ihm widerfahren war, ernannte er einen Verwalter und blieb ein volles Jahr bei ihnen. Dann aber erhob er sich, vollzog die Wuzu-Waschung, um sich vor seinem Tode zu reinigen, nahm sein Leichentuch unter den Arm, sagte den Seinen und all seinen Nachbarn und Anverwandten lebewohl und zog widerstrebend davon. Da begannen sie zu weinen und zu klagen und sich an die Brust zu schlagen; er aber wanderte, bis er im selben Garten ankam, und der Tag seiner Ankunft war der Beginn des neuen Jahres. Und als er dasaß und über sein Schicksal weinte, siehe, da kam ein Schaykh, ein sehr alter Mann, herbei, der eine gefesselte Gazelle führte, und er grüßte den Kaufmann und wünschte ihm langes Leben und fragte ihn: ›Weshalb sitzest du hier, und ganz allein, an dieser Stätte böser Geister?‹ Der Kaufmann aber erzählte ihm den Vorfall mit dem Ifriten, und der Alte, der Besitzer der Gazelle, staunte und sprach: ›Bei Allah, o Bruder, deine Treue ist nicht anders als überschwengliche Treue, und deine Geschichte gar seltsam; würde sie mit Sticheln in die Augenwinkel gestichelt, sie wäre eine Warnung für jeden, der sich warnen ließe.‹ Und er setzte sich neben den Kaufmann und sagte: ›Bei Allah, o mein Bruder, ich will dich nicht verlassen, bis ich sehe, was aus dir und diesem Ifriten wird.‹ Und als er saß und beide miteinander sprachen, da befielen den Kaufmann Furcht und Schrecken und äußerster Gram und untröstlicher Kummer und immer wachsende Sorge und letzte Verzweiflung. Und der Besitzer der Gazelle saß dicht neben ihm, und siehe, es näherte sich ein zweiter Schaykh, und bei ihm waren zwei Hunde, beides Windhunde und beide schwarz. Der zweite Alte grüßte sie mit dem Salam und fragte auch nach ihrem Woher und sagte: ›Weshalb sitzet ihr hier an dieser Stätte der Dschann?‹ Und sie erzählten ihm die Geschichte von Anfang bis zu Ende, und noch saßen sie nicht lange beisammen, als ein dritter Schaykh erschien, und mit ihm eine hellbraune Mauleselin; und er grüßte sie und fragte, weshalb sie hier säßen. Also erzählten sie ihm die Geschichte von Anfang bis zu Ende: und ohne Nutzen, o mein Herr, ist eine zweimal erzählte Geschichte! Da setzte er sich mit ihnen nieder, und siehe, eine Staubwolke rückte heran, und ein gewaltiger Sandteufel erschien mitten in der Wüste. Und die Wolke öffnete sich und darin war der Dschinni; er hielt ein gezogenes Schwert in der Hand, und seine Augen sprühten Funken der Wut. Und er trat zu ihnen und riß den Kaufmann aus ihrer Mitte und schrie: ›Steh auf, damit ich dich erschlage, wie du mir den Sohn erschlugst, das Leben meiner Leber‹. Der Kaufmann weinte und klagte, und die drei Alten begannen zu seufzen und zu schreien und mit ihrem Gefährten zu weinen und zu klagen, und der erste Alte, der Besitzer der Gazelle, trat vor, küßte dem Ifriten die Hand und sagte: ›O Dschinni, du Krone der Könige der Dschann! Wenn ich dir meine und dieser Gazelle Geschichte erzählte und du fändest sie wunderbar, gäbst du mir da ein Drittel vom Blute dieses Kaufmanns?‹ Sprach der Dschinni: ›Gut, o Schaykh, wenn du mir diese Geschichte erzählst und ich finde sie wunderbar, so will ich dir ein Drittel seines Blutes geben.‹ Da begann der Alte

Die Geschichte des ersten Schaykhs

Wisse, o Dschinni, diese Gazelle ist die Tochter meines Vaterbruders, mein eigen Fleisch und Blut; ich vermählte sie mir, als sie ein junges Mädchen war, und ich lebte mit ihr nahe an dreißig Jahre, aber ich wurde nicht mit Kindern von ihr gesegnet. So nahm ich mir eine Nebenfrau, die mir die Gnade eines Knaben schenkte, schön wie der volle Mond, mit Augen von lieblichem Glanz und Brauen, die eine einzige Linie bildeten, und mit Gliedern von vollendeter Zeichnung. Langsam wuchs er an Statur und wurde groß, und als er ein Bursche von fünfzehn Jahren war, wurde es nötig, daß ich in einige Städte reiste, und ich zog aus mit großem Vorrat an Waren. Aber die Tochter meines Oheims, diese Gazelle, hatte von Jugend auf die Zauberkunst und die dunklen Wissenschaften getrieben; und so verzauberte sie diesen meinen Sohn in ein Kalb, und meine Sklavin, seine Mutter, in eine Färse und übergab sie der Obhut des Hirten. Als ich nun nach langer Zeit von meiner Reise heimkehrte und nach meinem Sohn und seiner Mutter fragte, erwiderte sie mir und sprach: ›Deine Sklavin ist tot, und dein Sohn ist geflohen, und ich weiß nicht, wohin er gegangen ist.‹ So lebte ich ein ganzes Jahr mit bekümmertem Herzen und strömenden Augen, bis die Zeit kam für das große Fest Allahs. Da schickte ich zu meinem Hirten und hieß ihn für mich eine fette Färse wählen; und er brachte mir eine, das war das Mädchen, die Sklavin, die diese Gazelle verzaubert hatte. Ich schürzte mir Ärmel und Saum, nahm ein Messer und wollte ihr den Hals durchschneiden, aber sie brüllte laut und weinte bittere Tränen. Da wunderte ich mich, und Mitleid erfaßte mich, und ich hielt meine Hand zurück und sagte dem Hirten: ›Bringe mir eine andere her.‹ Da rief meine Base: ›Schlachte diese, denn eine fettere oder schönere habe ich nicht!‹ Noch einmal ging ich hin, um sie zu opfern, aber wieder brüllte sie laut, worauf ich im Jammer abstand und dem Hirten befahl, sie zu schlachten und abzuziehen. Er tötete sie und zog sie ab, aber er fand in ihr weder Fett noch Fleisch, nur Haut und Knochen; und ich bereute, als die Reue nichts mehr fruchtete. Ich gab sie dem Hirten und sagte: ›Hole mir ein fettes Kalb‹; und er brachte mir meinen verzauberten Sohn. Als aber das Kalb mich sah, zerriß es die Fessel und lief auf mich zu, umschmeichelte mich und klagte und vergoß Tränen, so daß ich Mitleid mit ihm hatte und zu dem Hirten sagte: ›Bringe mir eine Färse und laß dies Kalb laufen!‹ Da rief meine Base, diese Gazelle, laut aus und sagte: ›Du mußt dies Kalb töten; dies ist ein heiliger Tag und ein gesegneter, an dem nichts geschlachtet wird, was nicht ganz rein ist; und wir haben unter unseren Kälbern kein fetteres noch schöneres als dieses!‹ Ich aber sprach: ›Sieh dir die Färse an, die ich auf dein Geheiß geschlachtet habe! Enttäuscht wenden wir uns von ihr, und sie nützt uns in keiner Weise; ich bereue in höchster Reue, daß ich sie getötet habe: so will ich diesmal bei dem Opfer dieses Kalbes deinem Geheiß nicht mehr gehorchen.‹ Und sie sprach darauf: ›Bei Allah, dem Sehr Hohen, dem Erbarmenden, Erbarmungsreichen, es hilft nichts; du mußt das Kalb an diesem heiligen Tage töten, und wenn du es nicht tötest, so bist du für mich nicht mehr der Mann und ich für dich nicht mehr die Frau.‹ Als ich nun diese harten Worte hörte und doch ihr Ziel nicht kannte, da trat ich zu dem Kalb, das Messer in der Hand. – –«

Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Da sprach ihre Schwester: »Wie schön ist deine Erzählung, und wie entzückend, und wie lieblich und wie berückend!« Und Schahrazad versetzte: »Was ist all dies gegen das, was ich dir in der nächsten Nacht erzählen könnte, wenn ich lebte und der König mich verschonte!« Sprach der König zu sich selber: »Bei Allah, ich will sie nicht erschlagen, bis ich den Schluß der Geschichte hörte.« So schliefen sie den Rest der Nacht in gegenseitiger Umarmung, bis der Tag vollends anbrach. Dann ging der König in die Audienzhalle hinüber, und dort stand der Vezier mit dem Leichentuch seiner Töchter unter dem Arm. Der König gab seine Befehle und beförderte dies und gebot jenem Einhalt, bis der Tag zu Ende ging; dem Vezier aber sagte er kein Wort von dem Geschehenen. Darob nun staunte der Minister in höchstem Staunen; und als der Hof aufbrach, kehrte König Schahryar in seinen Palast zurück. Als nun die Zweite Nacht da war, sagte Dunyazad zu ihrer Schwester Schahrazad: »O meine Schwester, erzähle uns die Geschichte von dem Kaufmann und dem Dschinni zu Ende,« und sie erwiderte: »Mit Freude und großer Lust, wenn der König es mir erlaubt.« Sprach der König: »Erzähle deine Erzählung«; und Schahrazad begann mit diesen Worten:

»Ich habe gehört, o glücklicher König und himmelgeleiteter Herrscher, als nun der Kaufmann das Opfer des Kalbes plante und es weinen sah, da schmolz ihm das Herz, und er sprach zu dem Hirten: ›Behalte das Kalb unter meiner Herde.‹ All dies erzählte der Schaykh dem Dschinni, der sehr staunte über diese seltsamen Worte. Und der Besitzer der Gazelle fuhr fort: ›O Herr aller Könige der Dschann, all das geschah, und meine Base, diese Gazelle, sah zu und sagte: ›Schlachte mir dies Kalb, denn wahrlich, es ist ein fettes.‹ Ich aber hieß den Hirten das Tier fortführen, und er führte es fort und wandte das Antlitz heimwärts. Als ich nun am nächsten Tage in meinem Hause saß, siehe, da kam der Hirt, trat vor mich hin und sprach: ›O mein Herr, ich will dir etwas sagen, was deine Seele erhellen wird und was mir die Gabe guter Botschaft eintragen soll.‹ ›Gut,‹ sprach ich, und er: ›O Kaufmann, ich habe eine Tochter, und sie lernte in ihrer Jugend von einer alten Frau die Zauberkunst. Gestern, als du mir das Kalb gabst, ging ich zu ihr ins Haus, und sie sah es an und verhüllte ihr Gesicht; dann weinte und lachte sie abwechselnd, und schließlich sagte sie: ›O mein Vater, ist meine Ehre so billig geworden, daß du fremde Männer zu mir hereinführst?‹ Ich aber fragte sie: ›Wo sind diese fremden Männer, und weshalb lachtest und weintest du?‹ und sie erwiderte: ›Wahrlich, dies Kalb ist der Sohn unseres Herrn, des Kaufmanns; aber er ist verzaubert durch seine Stiefmutter, die ihn wie seine Mutter verwandelte: das ist der Grund meines Lachens; der Grund aber meines Weinens ist seine Mutter, denn unwissentlich erschlug sie sein Vater.‹ Da staunte ich in äußerstem Staunen und wartete kaum bis zum Tagesgrauen, ehe ich kam, um es dir zu sagen.‹ Als ich nun, o Dschinni, diese Worte meines Hirten hörte, ging ich mit ihm hinaus und war trunken ohne Wein vor dem Übermaß der Freude, die mich überkam, bis ich sein Haus erreichte. Dort begrüßte mich seine Tochter und küßte mir die Hand, und alsbald kam das Kalb und umschmeichelte mich wie zuvor. Da sprach ich zu des Hirten Tochter: ›Ist dies wahr, was du von diesem Kalbe sagst?‹ und sie versetzte: ›Ja, o mein Herr, es ist dein Sohn, der Kern deines Herzens.‹ Des freute ich mich und sprach zu ihr: ›O Mädchen, wenn du ihn befreien willst, so soll dein sein, was von meinem Vieh und Besitz unter deines Vaters Obhut steht.‹ Sie lächelte und sprach: ›O mein Herr, es verlangt mich nicht nach dem Besitz, und nur unter zwei Bedingungen will ich ihn nehmen; die erste ist, daß du mich deinem Sohne vermählest, und die zweite, daß ich die verzaubern darf, die ihn verwandelte, und sie gefangen setzen; sonst bin ich nicht sicher vor ihrer Bosheit und ihren Ränken.‹ Als ich nun, o Dschinni, diese, die Worte der Tochter des Hirten vernahm, erwiderte ich: ›Außer dem, was du verlangst, gehört alles Vieh und aller Hausrat in deines Vaters Obhut dir, und das Blut der Tochter meines Oheims ist nach dem Rechte dein.‹ Als ich geendet hatte, nahm sie einen Becher Wassers, sprach eine Zauberformel darüber und besprengte das Kalb mit den Worten: ›Wenn Allah, der Allmächtige, dich schuf als Kalb, so bleibe ein Kalb und verwandele dich nicht; wenn du aber verzaubert bist, so kehre auf den Befehl Allahs, des Höchsten, in deine einstige Gestalt zurück.‹ Und siehe, es zitterte und wurde ein Mensch. Da fiel ich ihm um den Hals und rief: ›Allah sei mit dir, sage mir alles, was meines Oheims Tochter an dir und deiner Mutter getan hat.‹ Und als er mir erzählte, was zwischen ihnen vorgefallen war, sprach ich: ›O mein Sohn, Allah gewährte dir eine, die dich entzaubern konnte, und dein Recht ist dir zurückgegeben.‹ Und dann, o Dschinni, vermählte ich ihm des Hirten Tochter, und sie verwandelte mein Weib in diese Gazelle, indem sie sagte: ›Ihre Gestalt ist zierlich und keineswegs scheußlich.‹ Und dann lebte meines Sohnes Weib bei uns Nacht und Tag, Tag und Nacht, bis der Allmächtige sie zu sich nahm. Doch als sie starb, zog mein Sohn aus nach den Städten von Hind und in die Stadt dieses Mannes, der dir getan hat, was geschehen ist. Und auch ich nahm diese Gazelle, meine Base, und wanderte mit ihr von Ort zu Ort, suchend nach Kunde von meinem Sohn, bis das Schicksal mich hierher trieb, wo ich den Kaufmann in Tränen sitzen sah. Das ist meine Geschichte.‹ Und es sprach der Dschinni: ›Diese Geschichte ist wahrlich seltsam, und daher gewähre ich dir das Drittel seines Blutes.‹ Da trat der zweite Alte, der mit den Windhunden, vor und sprach: ›O Dschinni, wenn ich dir berichte, was meine Brüder mir taten, diese beiden Hunde, und du siehest, daß die Geschichte noch wunderbarer und erstaunlicher ist, als das was du gehört hast, willst du auch mir das Drittel von dieses Mannes Blut gewähren?‹ Und es versetzte der Dschinni: ›Du hast mein Wort darauf, wenn deine Abenteuer noch wunderbarer und erstaunlicher sind.‹ Und er begann also