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b) Verfahren

aa) Rechtsbehelfe

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Die Abteilung für Verwaltungsstreitsachen des Staatsrates ist für Entscheidungen über verschiedene Arten von Rechtsbehelfen zuständig, die von einer klassischen Kategorisierung erheblich abweichen: Nichtigkeitsklagen, Aussetzungsanträge, Entschädigungsgesuche, Revisionsverfahren, Verfahren mit unbeschränkter Ermessensnachprüfung und – gelegentlich – Berufungsverfahren.[216]

bb) Zuständigkeit

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Im Rahmen der Nichtigkeitsklage gem. Art. 14 KGSR ist die Abteilung für Verwaltungsstreitsachen zuständig, gesetzeswidrige Verwaltungsmaßnahmen und Verordnungen in Bezug auf öffentliche Aufträge (Vergaberecht) und Personalentscheidungen sowie auf Anwerbung, Bestimmung und Ernennung in ein öffentliches Amt oder auf Disziplinarmaßnahmen für nichtig zu erklären. Diese Zuständigkeit des Staatsrates besteht nicht, sofern ein anderer Rechtsweg möglich ist,[217] über den ein gleichwertiges Ergebnis erreicht werden kann,[218] oder ein ad-hoc-Gericht von Gesetzes wegen zur Entscheidung berufen ist.[219] Ziel der Klage muss die Nichtigkeitserklärung der angegriffenen Verwaltungsmaßnahme sein.[220] Bereits vor der Aufhebung der angegriffenen Maßnahme kann gegebenenfalls ein Beschluss über dessen Aussetzung ergehen. Sofern dem Kläger aufgrund der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsmaßnahme ein Schaden entstanden ist, kann das Urteil der erlassenden Behörde darüber hinaus eine Entschädigungsleistung auferlegen.

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Bestätigt der Gesetzgeber eine Maßnahme der Verwaltung, ist der Staatsrat für dessen Kontrolle nicht (mehr) zuständig;[221] durch die Bestätigung des Gesetzgebers verändert sich auch das Wesen des Rechtsaktes. Damit ist der Staatsrat – in Abgrenzung zur gesetzgebenden Gewalt und zur ordentlichen Gerichtsbarkeit – nur zuständig, wenn die Klage die Nichtigkeitserklärung einer von einer Verwaltungsbehörde erlassenen Maßnahme erstrebt.[222] Der Begriff der Verwaltungsbehörde unterliegt allerdings einer stetigen Weiterentwicklung.

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Der Staatsrat entscheidet gem. Art. 14 § 2 KGSR durch Urteil auch über Revisionseinlegungen gegen letztinstanzliche Beschlüsse anderer Rechtsprechungsorgane der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Gemäß Art. 16 KGSR hat er darüber hinaus in bestimmten Bereichen eine Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung (z.B. bei Beschwerden im Zusammenhang mit Gemeindewahlen, Wahlen in Bezug auf die öffentlichen Sozialhilfezentren und Wahlen zu den Räten des Polizeidienstes sowie bei Streitigkeiten betreffend den Rücktritt, die Abberufung oder die Absetzung eines kommunalen Mandatsträgers oder eines Mitglieds des Rats für Sozialhilfesachen). Gemäß Art. 11 KGSR ist der Staatsrat ferner zuständig für Entscheidungen über die Wiedergutmachung von außergewöhnlichen, von einer Verwaltungsbehörde verursachten Schäden.

c) Sondergerichtsbarkeiten

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Die belgische Verwaltungsgerichtsbarkeit kennt lediglich ein einzelnes Gericht mit allgemeiner Zuständigkeit, den Staatsrat. Bei allen anderen Rechtsprechungsorganen der Verwaltungsgerichtsbarkeit handelt es sich um besondere Fachgerichte. In der Region Brüssel-Hauptstadt besteht beispielsweise ein durch Sondergesetz vom 12. Januar 1989 (Art. 83quinquies, § 2) geschaffenes „rechtsprechendes Gremium“, dessen Rechtsprechungsbefugnisse in den anderen Regionen durch Provinzialdeputationen (d.h. die Provinzregierungen) ausgeübt werden. Darüber hinaus besteht der Wettbewerbsrat (mit Plenum, Auditorat und Geschäftsstelle). Weitere Beispiele für solche Sondergerichte sind das flämische Milieuhandhavingscollege (Umweltgericht der Region Flandern), der flämische Raad voor vergunningsbetwistingen (Rat für Streitigkeiten in Bewilligungs- und Genehmigungsverfahren), der flämische Raad voor verkiezingsbetwistingen (Rat für Wahlprüfungsbeschwerden), in der Französischen Gemeinschaft der Berufungsrat für Ausbildungsbeihilfen sowie der wallonische „Berufungsausschuss für Beschwerden gegen Bescheide der wallonischen Agentur für die Integration Behinderter (AWIPH)“, die Behinderten Sach- oder Geldleistungen zusprechen.

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Ferner existiert auf Bundesebene ein Gericht für Ausländerrechtsstreitsachen (Gesetz vom 15. September 2006 zur Reform des Staatsrates und zur Einrichtung eines Gerichts für Ausländerrechtsstreitsachen).[223] Es handelt sich dabei um ein besonders stark ausgebautes und erheblich vom Staatsrat beeinflusstes Gericht. Vor diesem erstinstanzlichen Gericht, dessen Zuständigkeiten von Art. 39/2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 über die Einreise, den Aufenthalt, die Niederlassung und die Ausweisung von Ausländern (AuslG) in der Fassung des Gesetzes von 2006[224] festgelegt werden, werden zwei Arten von Verfahren verhandelt: zum einen Klagen hinsichtlich politischer Rechte (Art. 39/2 § 1 AuslG) und zum anderen auch eine objektive, an Art. 14 KGSR angelehnte Verfahrensart (Art. 39/2 § 2 AuslG). Das hat zur Folge, dass dieses Gericht nicht nur Nichtigkeitsklagen (Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltungsmaßnahme) gegen auf der Grundlage des AuslG erlassene Bescheide der Verwaltung behandelt, sondern auch – mit Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung – Anträge zur Abänderung einer Entscheidung des Generalkommissars für Flüchtlinge und Staatenlose.[225] Abschließend muss noch auf die Existenz des Rechnungshofes hingewiesen werden, der jedoch durch die in Art. 180 Belg. Verf. bestehende Rechtsgrundlage einen Sonderstatus innehat und daher nicht als Verwaltungsgericht i.e.S., sondern als Gerichtsbarkeit sui generis anzusehen ist.

§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › IV. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 3. Verfahrensarten

3. Verfahrensarten
a) Zugang zur Gerichtsbarkeit

aa) Unüberprüfbare Bereiche
(Theorie des Regierungsakts/der politischen Maßnahme)

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Von der Verwaltung abgeschlossene Verträge sind einer Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte grundsätzlich entzogen.[226] Eine Ausnahme hiervon bilden Fälle, die sich aus der Rechtsfigur des sogenannten abtrennbaren Verwaltungsaktes ergeben.[227] Da sie keine beschwerenden Rechtsakte darstellen, sind außerdem auch vorbereitende Handlungen,[228] einfache Stellungnahmen (welche die Verwaltung nicht binden), Bestätigungsschreiben, Akte, die ein Anerkenntnis eines bereits eingeräumten Rechts enthalten (und insofern lediglich Tatsachenfeststellungen zum Inhalt haben),[229] dienstinterne Runderlasse, Schreiben und Vermerke sowie dienstinterne Anweisungen einer verwaltungsgerichtlichen Würdigung grundsätzlich nicht zugänglich, es sei denn sie greifen faktisch doch in die Struktur der Rechtsordnung ein.

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Anders als sein französisches Pendant[230] lehnt der belgische Staatsrat eine „Theorie der Regierungsakte“, die ihn an der Überprüfung politisch brisanter Maßnahmen hindern könnte, ab. So hat er beispielsweise auch im Rahmen einer Nichtigkeitsklage die Rechtmäßigkeit eines königlichen Erlasses zur Ernennung eines Provinzgouverneurs überprüft, obgleich sich der Staat in diesem Verfahren auf die Theorie des Regierungsaktes berufen hatte.[231] Nichtsdestotrotz wird die Begründung bestimmter politisch heikler Rechtsakte nur eingeschränkt überprüft.[232]

bb) Rechtsschutzmöglichkeiten innerhalb der Verwaltung
(interne Überprüfung)

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Bei einer direkt an sie gerichteten Beschwerde hat die Verwaltung die Möglichkeit, ihre ursprüngliche Entscheidung aufzuheben und infolgedessen ein verwaltungsgerichtliches Verfahren abzuwenden. Robert Andersen und Pierre Nihoul zufolge geht es hierbei um „Eingaben an eine Behörde, die als Verwaltungsorgan durch eine Verwaltungsmaßnahme entscheidet, die einen Rechtsakt der Verwaltung infrage stellen – und zwar sowohl im Hinblick auf dessen Gesetzmäßigkeit als auch auf dessen Zweckmäßigkeit“[233].

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In einigen Fällen existieren rechtlich geregelte Widerspruchsverfahren, für die jeweils bestimmte Beschwerdestellen zuständig sind. Teilweise fehlt ein solch geregeltes Verfahren jedoch. Wendet sich der Betroffene im letztgenanntem Fall dennoch an die Behörde, nimmt er lediglich sein Petitionsrecht aus Art. 28 Belg. Verf. und Art. 41 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Institutionenreform wahr.[234] Grundsätzlich wird dadurch weder die Frist für eine Klageerhebung vor dem Staatsrat[235] noch für eine Eingabe in einem geregelten Widerspruchsverfahren gehemmt,[236] wobei diesbezüglich Ausnahmen existieren.[237] Die Verwaltung ist im Rahmen eines ungeregelten Widerspruchsverfahrens nicht verpflichtet, dem Bürger zu antworten.[238] Die ablehnende Entscheidung im Rahmen eines nicht geregelten Widerspruchsverfahrens gilt nicht als neue Verwaltungsmaßnahme, sondern lediglich als Bestätigungsschreiben.[239] Ein Bescheid, mit dem die Verwaltung über den Widerspruch befindet, muss jedoch auch im Rahmen des ungeregelten Widerspruchsverfahrens den vom Gesetz vom 29. Juli 1991 über die förmliche Begründung von Verwaltungsakten vorgesehenen Vorschriften entsprechen.

 

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Im Gegensatz hierzu ist die Behörde im Rahmen eines geregelten Widerspruchsverfahrens verpflichtet, eine Entscheidung über den Widerspruch zu treffen.[240] Ist ein Widerspruchsverfahren vorgesehen, so muss dieses vom Bürger beschritten und erschöpft werden, bevor er zulässigerweise den Staatsrat anrufen kann: „Einem Klagerecht, das dem Betroffenen offensteht, entspricht eine Handlungspflicht.“[241] Geregelte Widerspruchsverfahren sind daher einem Verwaltungsgerichtsprozess zwingend vorgeschaltet. Gesetzlich vorgesehen sind sowohl die Zulässigkeitsvoraussetzungen als auch die Fristen; auch wird die zuständige (Widerspruchs-)Behörde bezeichnet. Darüber hinaus ist das Verfahren allerdings nicht näher ausgestaltet.[242] Auch im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens bleibt die Maßnahme der Verwaltung – getreu der Regel „zuerst gehorchen, dann beschweren“[243] – grundsätzlich sofort vollziehbar.

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Es bestehen verschiedene Beschwerdearten: Widerspruch vor der die Verwaltungsmaßnahme erlassenden Behörde, Widerspruch vor der nächsthöheren Stelle oder Beschwerde bei einer besonderen, eigens dafür vorgesehenen Stelle. Letztgenannte Verfahrensart ist stets ein geregeltes Widerspruchsverfahren, die beiden erstgenannten können auch als ungeregeltes Widerspruchsverfahren stattfinden.

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Wird der Widerspruch unmittelbar bei der Behörde eingelegt, die die angegriffene Maßnahme erlassen hat, kann diese ihre Entscheidung abändern oder zurückziehen.[244]

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Da die bürokratische Verwaltung typischerweise auf einem hierarchischen Aufbau beruht, kann der Widerspruch auch bei der nächsthöheren Behörde erhoben werden. Diese kann die angegriffene Maßnahme (zumindest grundsätzlich) auf Gesetzes- und Zweckmäßigkeit überprüfen. Für eine solche verwaltungsinterne Überprüfung auf nächsthöherer Ebene existieren zwar keinerlei gesetzliche Regelungen oder Verfahrensvorschriften, gleichwohl betont der Staatsrat, dass „der Aufbau der Verwaltung gemäß dem Führungsprinzip eine für deren geregelte Arbeitsweise unverzichtbare grundsätzliche Regel“[245] sei. Somit stehen den Dienstvorgesetzten drei Arten von Befugnissen offen: Weisungen und Anordnungen, die Aufhebung der Maßnahme oder die Ersatzvornahme.[246] Alles in allem haben Widersprüche vor der nächsthöheren Ebene in Belgien aber nur ausgesprochen selten Erfolg.[247]

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Anrufungen besonderer, extra für derartige Zwecke eingerichteter Beschwerdestellen erfolgen stets auf der Grundlage eines geregelten Verfahrens und sind z.B. bei Disziplinarmaßnahmen gegen Bedienstete dezentralisierter Behörden oder Maßnahmen von Baubehörden vorgesehen.

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Bei Maßnahmen dezentralisierter Behörden besteht mit der Oberaufsicht eine weitere Möglichkeit verwaltungsinterner Kontrolle. Hierbei handelt es sich um eine Überwachung durch oder auf der Grundlage einer Vorschrift von Gesetzesrang, die einer dezentralisierten Behörde in einem bestimmten Bezirk oder einem bestimmten Sachbereich Vorgaben auferlegt. Gleichzeitig kann die Aufsichtsbehörde, unter Wahrung der Selbstständigkeit der dezentralisierten Behörde, deren Akte auf Vereinbarkeit mit dem Gesetz (im weiteren Sinne) und dem Allgemeininteresse hin überprüfen.[248] Jacques Dembour definiert die Oberaufsicht als die Gesamtheit aller begrenzten, den Behörden des Zentralstaats, einer Gemeinschaft oder einer Region per Gesetz, Dekret oder Gesetzerlass eingeräumten Befugnisse zur Sicherung der Befolgung des Rechts und zur Wahrung des Allgemeininteresses gegen abträgliche Untätigkeit, Übergriffe oder Überschreitungen ihrer Befugnisse durch dezentralisierte Behörden und deren Beamte.[249] Die Oberaufsicht kann in unterschiedlichen Formen auftreten: als Stellungnahme, Billigung, Genehmigung, Aussetzung, Aufhebung, Ersatzvornahme, von Amts wegen erlassene Maßnahme, Entsendung eines Sonderbeauftragten, ersatzweiser Erlass eines Bescheids oder Abänderung eines Bescheids nach einer Beschwerde. In diesem Rahmen ist die allgemeine Aufsicht, welche repressiv und fakultativ ist und jede Verwaltungsmaßnahme einer dezentralisierten Behörde aussetzen oder aufheben kann, von der nachträglichen, besonderen[250] bzw. der spezifischen Aufsicht[251] zu unterscheiden. Dabei kann die Einlegung eines Rechtsmittels durch die Aufsichtsbehörde die Klagefrist vor dem Staatsrat hemmen.[252]

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Im Rahmen dieser Kontrollmöglichkeiten können im Allgemeinen sowohl die Rechtmäßigkeit[253] als auch die Zweckmäßigkeit[254] der beanstandeten Maßnahme überprüft werden. Dabei dient das Eingreifen der Aufsichtsbehörde dem Schutz des Allgemeininteresses,[255] wohingegen Gerichtsverfahren den Zweck haben, über die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme zu entscheiden. Da der Gesetzgeber bei der Einrichtung einer Beschwerdemöglichkeit regelmäßig nicht präzisiert, ob es sich dabei um einen Klageweg zur Verwaltungsgerichtsbarkeit handelt, ist der entscheidende Unterschied oftmals allein die Rechtskraft der Entscheidung und des Verfahrensweges. Innerhalb des Verwaltungsapparats entscheidet die Verwaltung durch Verfügung und nicht durch Gerichtsentscheid.[256]

cc) Kompetenzzuweisungen an die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Allgemeine Kompetenzvorschrift oder abschließende Aufzählung)

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Die Zuständigkeit der Verwaltungsstreitsachenabteilung des Staatsrates für die Nichtigkeitsklage ist insofern allgemeiner Art, als es sich um eine Auffangkompetenz handelt. Sie greift nur, solange das Gesetz nicht einen anderen Klageweg[257] oder ein Rechtsmittel vor einem ad-hoc-Gericht[258] vorsieht. Im Übrigen sind die Gründe, die zur Nichtigkeitserklärung einer Verwaltungsmaßnahme führen können, in Art. 14 KGSR aufgezählt. Daneben existieren die besonderen Fachgerichte für bestimmte Rechtsstreitigkeiten.

dd) Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere Klagebefugnis

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Die Anrufung des Staatsrates erfolgt durch die Erhebung der Klage. Dabei kann grundsätzlich jeder Bürger eine Nichtigkeitsklage erheben. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen können unterteilt werden in solche, die sich auf Art und Anwendungsbereich der angegriffenen Verwaltungsmaßnahme beziehen, und solche, die die Person des Klägers und das Verfahren betreffen.

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Die Klage ist schriftlich einzureichen.[259] Sie muss die Nichtigkeitserklärung[260] einer einseitigen Verwaltungsmaßnahme begehren, durch welche der Kläger beschwert ist. Diese ist eindeutig zu benennen.[261] Gegen die angegriffene Verwaltungsmaßnahme darf kein anderes Rechtsmittel (mehr) gegeben sein, sodass eine Klage nur gegen eine letztinstanzliche oder in erster und ausschließlicher Instanz ergangene Maßnahme zulässig ist. Des Weiteren muss der Kläger angeben, welche Vorschrift er als verletzt rügt[262] und worin er deren Verletzung sieht.[263] In der Klageschrift müssen der Sachverhalt dargelegt und die Beweismittel aufgezählt werden. Im Übrigen muss die Klage vom Kläger oder seinem Anwalt unterschrieben sein.[264] Grundsätzlich darf je Klage nur eine Verwaltungsmaßnahme Gegenstand des Nichtigkeitsbegehrens sein.[265]

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Die Geltendmachung der Nichtigkeit einer Verwaltungsmaßnahme vor dem Staatsrat setzt zudem voraus, dass der Kläger – egal ob natürliche oder juristische Person[266] – partei- und nach den allgemeinen Vorschriften prozessfähig ist.[267] Die Klage einer noch in Gründung befindlichen Gesellschaft hat der Staatsrat als unzulässig abgewiesen, da diese noch keine Rechtsfähigkeit besaß.[268] Juristische Personen müssen den Beschluss ihres für die Klageerhebung zuständigen Gremiums vorlegen.[269] Gemäß Art. 19 KGSR gilt ein Rechtsanwalt als von einer prozessfähigen Person, die er zu vertreten behauptet, bis zum Beweis des Gegenteils als bevollmächtigt.

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Wie bereits erwähnt, ist eine Klage zudem gem. Art. 19 Abs. 1 KGSR nur zulässig, sofern der Kläger ein Rechtsschutzinteresse besitzt.[270] Dieses liegt vor, wenn die begehrte Nichtigkeit für den Kläger einen unmittelbaren, konkreten, gegenwärtigen und berechtigten Vorteil bewirken würde. Dabei muss der Kläger grundsätzlich ein eigenes Rechtsschutzinteresse geltend machen, Ausnahmen hiervon bestehen lediglich für bestimmte Umweltschutzvereinigungen oder für den Fall, dass die Ziele eines nicht wirtschaftlichen Vereins Streitgegenstand sind.[271] Durch eine entsprechende Änderung der KGSR mit Gesetz vom 20. Januar 2014 sollte darüber hinaus zukünftig verhindert werden, dass der Staatsrat eine Verwaltungsmaßnahme, die keinerlei Auswirkungen auf die konkrete Lage des Klägers hat, allein aus rein formalen Gründen für nichtig erklärt.[272] Art. 14 § 1 Abs. 3 KGSR bestimmt daher, dass „[d]ie in Absatz 1 erwähnten Unregelmäßigkeiten […] nur dann zu einer Nichtigkeitserklärung [führen], wenn sie im konkreten Einzelfall geeignet waren, die Tragweite der getroffenen Entscheidung zu beeinflussen, den Betroffenen eine rechtliche Gewährleistung entzogen oder sich auf die Zuständigkeit des den Akt erlassenden Organs ausgewirkt haben“.

ee) Allgemeine Verfahrensgrundsätze

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Das Gericht ist verpflichtet, auf alle vorgetragenen Klagegründe einzugehen, die anhängige Sache zu entscheiden und das Urteil zu begründen. Daneben ist es verpflichtet, mit gebotener Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit zu urteilen.

b) Die wichtigsten Verfahrensarten

aa) Das Entschädigungsgesuch

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Ursprünglich hatte die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Entschädigungsgesuchen lediglich beratende Funktion. Heute ist das Entschädigungsgesuch in Art. 11 KGSR geregelt. Macht der Rechtssuchende einen Schaden geltend, für den eine Wiedergutmachung in Form von Schadensersatz vor den ordentlichen Gerichten mangels kausalen Fehlverhaltens der Verwaltung ausscheidet, kann er hierfür u.U. eine billige Entschädigung erhalten. Ein Entschädigungsgesuch an den Staatsrat ist jedoch nur dann möglich, wenn dem Rechtssuchenden kein anderer Rechtsbehelf vor einem anderen Gericht zur Verfügung steht.[273] Bei dem auszugleichenden Nachteil muss es sich um einen außergewöhnlichen materiellen oder ideellen[274] Schaden handeln. Dieser muss unmittelbar auf eine Handlung der Verwaltung[275] zurückgeführt werden können (damit scheiden Schäden, die allein durch ein Gesetz oder ein Gerichtsurteil bewirkt worden sind, aus[276]). Darüber hinaus muss der Schaden schwerwiegend, selten, unvorhersehbar[277] und „außergewöhnlich“ sein. Ein Schaden ist dann „außergewöhnlich“, wenn es sich um eine „unnatürliche Beeinträchtigung“ handelt, die „aufgrund ihrer Art oder ihrer Bedeutung über die gewöhnlichen, mit dem Leben in der Gesellschaft einhergehenden Unannehmlichkeiten und Entbehrungen hinausgeht“[278].

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Ein Beispiel hierfür sind Schäden, die aus einer verpflichtend vorgeschriebenen Pockenschutzimpfung resultierten. Der Kassationshof konnte in dieser Impfpflicht kein fehlerhaftes Handeln der Verwaltung feststellen; der sich daraus ergebende Schaden war nicht vorhersehbar.[279] In derartigen Fällen kann daher der Staatsrat hilfsweise über eine Entschädigung entscheiden, welche von der Verwaltung als Wiedergutmachung für „einen an sich zwar rechtmäßigen, aber dennoch nicht hinnehmbaren Eingriff in den Grundsatz der Gleichheit aller Bürger vor den öffentlichen Lasten“[280] geleistet werden muss.

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Die Entscheidung des Staatsrates über das Entschädigungsgesuch erfolgt grundsätzlich aufgrund von Billigkeitserwägungen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls.[281] Dabei kann dieser teilweise von Sachverständigen unterstützt werden.[282] Er darf keine höhere als die vom Ersuchenden ursprünglich begehrte Entschädigung gewähren.[283]