Sommerfarben

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Sommerfarben
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Sommerfarben

1  Titel Seite

2  Kapitel 1

3  Kapitel 2

4  Kapitel 3

5  Kapitel 4

6  Kapitel 5

7  Kapitel 6

8  Kapitel 7

9  Kapitel 8

10  Kapitel 9

11  Kapitel 10

12  Kapitel 11

13  Kapitel 12

14  Kapitel 13

15  Kapitel 14

16  Kapitel 15

Annika Gehrt
Sommerfarben
Für Maja

© Annika Gehrt, 2016

Alle Rechte vorbehalten

Titelbild: Annika Gehrt

Dieser Roman ist ausschließlich ein Werk der Fiktion. Namen, Charaktere sowie die Handlung sind frei erfunden. Eventuelle Übereinstimmungen mit realen Personen sind rein zufällig.

Kapitel 1

Maja

Es schüttet wie aus Eimern, meine Füße, die in hellen Stoffschuhen stecken, sind pitschenass, die Stadtbahn kommt nicht. Meine Laune verschlechtert sich mit jeder Minute, die ich auf die Anzeigetafel starre: Wegen eines falschparkenden PKWs kommt es zu Verspätungen der Linie 9. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Wenn sie einem doch wenigstens verraten könnten, wann die nächste Bahn kommt. Dann wüsste ich immerhin, wann ich aus diesem Mistwetter befreit werde. Ohne diese Info können sie bei mir nicht auf Verständnis hoffen. Ich verstehe nicht, warum die Bahn immer gerade abends ausfallen muss. Es ist schon neun Uhr und wenn ich nicht in einer Stunde zu Hause bin, dann bekomme ich richtig Ärger. Meine Mutter muss immer warten, bis ich zu Hause bin. Vorher geht sie nicht ins Bett. Doch noch habe ich genug Zeit pünktlich nach Hause zu kommen. Sogar wenn ich laufe, bin ich rechtzeitig da. Aber wer möchte bei dem Regen schon laufen? Also ich nicht. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als weiterhin zu warten. Genervt blicke ich mich um. Außer mir suchen noch viele andere Menschen den Schutz des Wartehäuschens. Eng gedrängt stehen alle beieinander. Die anderen sehen auch nicht glücklicher aus als ich. Zumindest glaube ich, dass ich gerade auch nicht zufriedener aussehe als sie. Aber immerhin zufriedener als die Menschen, die durch den Regen laufen müssen. Ein Mann kommt aus dem Hauseingang gegenüber der Haltestelle und rennt über die Straße. Seine Jacke ist sofort durchweicht. Mit der rechten Hand wischt er sich die Regentropfen aus dem Gesicht, damit er etwas sehen kann. Das Wasser auf der Straße platscht jedes Mal in die Höhe, wenn er einen Fuß aufsetzt und durchnässt auch die Beine seiner feinen Anzughose. Eine ältere Dame läuft den Bürgersteig entlang und versucht dem Wasser, das von den Regenrinnen herunter fließt, zu entgehen, indem sie Slalom läuft. Doch so richtig gelingt ihr das nicht. Ihre Haare und ihr Mantel sehen schon richtig nass aus. Die hohen Stöckelschuhe machen das Ganze nicht leichter. Bei jedem Schritt rechne ich damit, dass sie ausrutscht. Auch wenn ich nicht so durchweicht bin wie sie, beginne ich zu frieren. Die Ärmel meiner feuchten Jacke kleben an meinen Unterarmen. Der nasse Stoff fühlt sich unangenehm kalt an. Ich seufze. Der Abend war so schön gewesen. Ich war mit meiner Freundin Leonie im Kino. Der Film war unglaublich lustig. Aber noch lustiger war es eigentlich vorher bei McDonalds gewesen, wo wir die hübschen Jungs am Nebentisch beobachtet haben und dabei sehr viel lachen mussten. Doch jetzt hatte die Bahn mir meine gute Laune verdorben. Ich verlagere mein Gewicht von einem Bein auf das andere und verschränke die Arme vor der Brust in der Hoffnung, dass mir dadurch etwas wärmer wird. Endlich tut sich etwas. Auf der Anzeigetafel steht nun: „10 Minuten. Gleis 3.“

Ich atme auf. Endlich. Aber warum Gleis 3? Eigentlich kommt die Bahn doch immer auf Gleis 1 an. Ich schaue mich verwirrt um. Hinter mir stehen drei Jungen, die sich auch unentschlossen umblicken. Ich denke sie sind ungefähr so alt wie ich. Vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Schwer zu sagen, der eine ist viel größer als seine beiden Freunde. Auch wenn sie selber nicht so aussehen, als hätten sie besonders viel Ahnung frage ich: „Wisst ihr wo die 9 abfährt?“

Der Größte von ihnen antwortet: „Nein keine Ahnung. Aber ich denke mal dahinten.“ Dabei deutet er auf das Gleis, auf der anderen Seite des Platzes. Genauso wie ich es vermutet habe.

„Kommt wir gucken mal“, sagt der Zweite von ihnen. Er ist fast einen Kopf kleiner und hat eine Kapuze über den Kopf gezogen, so dass ich seine Haarfarbe nicht erkennen kann. Gemeinsam laufen wir durch den Regen, der zum Glück etwas nachgelassen hat. Trotzdem tropft das Wasser von meinen Haaren. Schnell quetschen wir uns zu den vielen Menschen in das kleine überdachte Häuschen. Ich blicke die Jungen an, weiß aber nicht, ob ich noch etwas sagen soll. Der Junge in Shorts und einem gelben T-Shirt, der bisher noch nicht gesprochen hat, schaut mich von der Seite an. Dann streckt er mir seine Hand hin und stellt sich lächelnd vor: „Hey, ich bin Danny.“

Er spricht mit einem interessanten Akzent. Ich drücke seine Hand, die sich trotz des Regens warm anfühlt.

„Ich bin Maja.“

Jetzt stellen sich auch die anderen vor. Sie heißen Marvin und Jonas. Danny lächelt noch immer und wendet seinen Blick nicht von mir ab. Ich finde es fast etwas unangenehm, dass er mich so mustert. Unsicher lächle ich zurück.

„Ist das normal, dass es hier so regnet?“, fragt Danny mit einem Blick in den Himmel. Das Wort „normal“ hört sich bei ihm an, als würde er Englisch sprechen.

Ich schüttele mit dem Kopf. „Eigentlich nicht. Hier regnet es nicht oft.“

Ich frage mich, woher dieser Danny wohl kommt.

Danny

Maja scheint zu merken, dass ich sie die ganze Zeit anschaue, denn sie blickt immer wieder zu mir herüber, sieht mich aber nicht richtig an, sondern wendet ihren Blick gleich wieder ab. Aber irgendwie kann ich nicht aufhören sie anzusehen. Mir fällt leider auch nichts Sinnvolles mehr ein, das ich sagen kann. Jetzt habe ich schon nach dem Wetter gefragt. Machen das nicht eigentlich nur alte Leute? Egal, immerhin bleiben wir so im Gespräch, denn dann fragt Maja mich: „Woher kommst du?“

Ich antworte: „Aus Australien!“

„Wow!“, ruft sie laut, wobei sie mich fasziniert anschaut. Ich muss grinsen. Jeder reagiert gleich auf meine Herkunft. Irgendwie halten alle hier Australien für etwas ganz Besonderes. Ich frage mich jedes Mal, warum alle so euphorisch reagieren. Vielleicht, weil Australien so weit weg und damit so unerreichbar ist. Vielleicht, weil alle an süße Koalas und schöne Strände denken, wenn sie das Wort Australien hören. Dabei ist es so viel mehr als das. Australien ist so riesig und vielfältig. Es gibt alles von Stränden bis zur Wüste, Regenwald, Berge, Seen, Hitze und Schnee.

„Was machst du in Köln?“, erkundigt sie sich weiter.

„Ich mache hier ein Auslandsjahr und gehe in die elfte Klasse.“

Endlich kommt die Stadtbahn. Mir ist mittlerweile ziemlich kalt und ich bin erleichtert, dass mir warme Luft entgegen strömt, als ich in die Bahn einsteige. Ich setze mich Maja gegenüber.

„Wo musst du einsteigen?“, erkundige ich mich.

Sie blickt mich verwirrt an und fragt: „Einsteigen?“

Oh Mist! Dass ich das immer verwechseln muss!

„Sorry, I mean aussteigen.“

Jetzt mische ich auch noch Englisch und Deutsch. Sie muss denken ich bin völlig verpeilt. Aber ich habe heute Abend einen Freund aus Kanada getroffen und den ganzen Abend Englisch mit ihm gesprochen. Jetzt ist meine Muttersprache wieder so präsent, dass sich alles in meinem Kopf mischt.

„Weyertal“, antwortet sie. Im Kopf gehe ich die Haltestellen durch. Maja wohnt also nur drei Haltestellen von mir entfernt.

„Wir wollen in einer Kneipe auf der Zülpicher noch ein Bier trinken, bevor wir nach Hause fahren. Hast du vielleicht Lust mitzukommen?“

Maja sieht mich einen Moment überrascht an. Sie scheint nicht zu wissen, was sie antworten soll. Doch dann sagt sie etwas unsicher: „Ja, warum nicht!“

Marvin und Jonas schauen verwundert, als Maja mit uns aussteigt. Sie saßen hinter uns und haben unser Gespräch deshalb nicht mitbekommen.

„Ich komme noch mit euch etwas trinken“, erklärt Maja mit einem selbstsicheren Lächeln. Ihre Unsicherheit scheint plötzlich verflogen zu sein.

Maja

Eigentlich sagt man zu so einer Frage nicht JA. Und schon gar nicht, wenn man so wie ich gerade einmal sechzehn Jahre alt ist. Ich kenne diese Jungen ja überhaupt nicht. Ein Mädchen und drei fremde Typen. Doch irgendwie spüre ich, dass ich Danny kennenlernen muss. Ich gucke auf die Uhr. In einer halben Stunde soll ich zu Hause sein. Ich werde also nur schnell ein Glas herunter schütten und mich dann sofort auf den Heimweg machen.

 

Als ich vor Danny durch die Tür in die Bar trete, spüre ich für einen kurzen Moment seine Hand auf meinem Rücken. In dem kleinen Raum ist es dunkel und schrecklich eng. Die wenigen Sitzplätze sind natürlich besetzt und alle, die keinen Platz mehr bekommen haben, stehen dicht gedrängt nebeneinander. Die Musik spielt nicht sehr laut, doch das Stimmengewirr um mich herum macht es mir schwer, die anderen zu verstehen. Der Größte von ihnen, dessen Name ich schon wieder vergessen habe, geht an die Theke, ohne uns zu fragen was wir trinken möchten, und kommt wenig später mit vier Biergläsern zurück. Wir stoßen an. Vorsichtig nehme ich einen kleinen Schluck. Eigentlich kann ich Bier überhaupt nicht ausstehen. Eine kleine Menge dieser bitteren Flüssigkeit reicht schon aus, um Übelkeit hervorzurufen. Auf keinen Fall werde ich das ganze Glas austrinken können. Ich stelle es erstmal auf dem Stehtisch neben uns ab. Wir unterhalten uns über Dinge, über die man sich mit Leuten unterhält, die man noch nie zuvor getroffen hat – über die Schule, wo wir wohnen, unsere Hobbies. Ganz normaler Smalltalk. Ich erfahre dabei, dass der Junge, der vorhin die Kapuze auf hatte und, wie ich jetzt sehen kann, braune Haare hat, die strubbelig in alle Richtungen stehen, gerne FußbalI spielt und Sport an der Uni studieren möchte. Der Junge, der uns das Bier ausgegeben hat, macht gerade eine Ausbildung zum Elektroinstallateur. Während der Unterhaltung stehe ich neben Danny. Seine beiden deutschen Freunde stehen uns gegenüber. Danny scheint nicht viel von dem zu verstehen, was wir sagen, denn er beteiligt sich nicht an unserem Gespräch, sondern steht nur still da und nimmt ab und zu einen Schluck aus seinem Bierglas. Es ist schon fast leer, während aus meinem weiterhin nur ein einziger Schluck fehlt. Er tut mir ein bisschen leid. Außerdem will ich viel lieber etwas über ihn erfahren. Danny wirkt auf mich wesentlich interessanter als seine Freunde. Ich möchte unbedingt mehr über ihn wissen. Deswegen drehe ich mich zu ihm und frage ihn auf Englisch, aus welcher Stadt in Australien er kommt. Mein Englisch ist nicht besonders gut, doch immerhin bemühe ich mich.

„Aus der Nähe von Brisbane“, antwortet er mit australischem Akzent. Dabei verschluckt er einige Buchstaben, so dass es mehr wie Brsbn klingt.

„Hast du davon schon mal gehört?“, fragt er mich auf Deutsch.

Ich schüttele den Kopf. Auch wenn mich Australien fasziniert, weiß ich kaum etwas über diesen Kontinent. Ich weiß, dass er so weit weg liegt, wie kein anderer und dass es dort interessante Tiere gibt, wie Koalas und Kängurus. Das war es eigentlich auch schon und irgendwie ärgert mich das in diesem Moment. Ich würde Danny gerne mit meinem Wissen über sein Land beeindrucken. Doch da ich leider keinen blassen Schimmer habe, wo diese fremdklingende Stadt liegt, bleibt mir nichts anderes über, als ihn zu fragen. Schließlich will ich unbedingt mit ihm im Gespräch bleiben.

„Brisbane liegt im Osten. Es ist die drittgrößte Stadt in Australien“, erklärt er geduldig.

„Wie lange bleibst du noch in Deutschland?“

„Zwei Monate.“ Danny streicht seine blonden Haare nach vorne ins Gesicht. Jetzt verdecken sie seine Augen ein wenig.

Ich merke, wie mich seine Antwort enttäuscht. Zwei Monate sind viel zu kurz. Warum haben wir uns nicht schon vorher kennen gelernt? Schließlich wohnt Danny jetzt schon seit zehn Monaten in meiner Stadt. Weil ich nicht antworte, fährt Danny fort: „Die Zeit ist unglaublich schnell vergangen.“

Ich bin überrascht, wie gut sein Deutsch ist. Komisch, dass er erst mit mir spricht, seit ich ihn mit Fragen löchere. Aber wahrscheinlich war es vorher schwer genug unserem Gespräch in der lauten Umgebung zu folgen. Da konnte er nicht schnell genug antworten, um in die Unterhaltung einzusteigen.

„Kommst du denn bald wieder nach Deutschland?“ Ich wünsche mir, dass er JA sagt, obwohl ich weiß, dass es wegen der großen Entfernung sehr unwahrscheinlich ist.

„Nein, dafür ist der Flug einfach zu teuer.“

Ich merke, wie Danny einen Arm um mich legt und mich ein Stückchen näher an sich heranzieht. Plötzlich spüre ich seine Wärme in meinem Rücken. Sie geht durch den Stoff meines T-Shirts hindurch. Seine Hüften bewegen sich langsam zur Musik. Automatisch passe ich mich seinem Takt an. Danny stellt sein Bierglas auf dem Stehtisch neben sich ab und ich nehme seine freie Hand in meine. Unsere Finger verknoten sich. Langsam drehe ich meinen Kopf zu ihm und schaue ihm einen Moment in die Augen. Er dreht mich so, dass nun nicht mehr mein Rücken zu ihm gerichtet ist, sondern wir uns ganz nah gegenüber stehen und ansehen können. Eine Hand berührt leicht meine Wange. Mein ganzer Körper spannt sich an. Noch nie habe ich so weiche Hände auf meiner Haut gespürt. Ein Finger streicht ganz sanft über meine Unterlippe. Dann küsst er mich. Ganz vorsichtig berühren seine Lippen meine für einen kurzen Augenblick. Jetzt bin ich es, die ihn küsst. Ich will nicht, dass dieses schöne Gefühl aufhört. Zu wundervoll fühlen sich seine Lippen an. Als unsere Zungen sich berühren, füllt sich mein ganzer Körper mit Wärme.

Was tue ich hier eigentlich, frage ich mich auf einmal. Ich, die so schüchtern ist, wenn es um Jungs geht. Ich, die bis jetzt gerade mal zwei Jungen geküsst hat. Wovon einer noch nicht einmal richtig zählt. Damit meine ich Tom. Er küsste mich an meinem siebten Geburtstag, den ich mit meinen Freunden zusammen im Garten feierte. Beim Verstecken spielen hatten wir uns beide die große Eiche als Versteck ausgesucht. Als wir darauf warteten, dass wir gefunden wurden, küsste er mich. Für eine Sekunde, oder vielleicht war es sogar weniger als eine Sekunde. Also, diesen Kuss kann man nicht zählen. Dann war da noch Simon. Mit ihm war ich ganze drei Wochen zusammen, in denen wir uns oft bei mir zu Hause trafen, weil meine Mutter länger arbeitete als seine Eltern. Zusammen lagen wir auf dem Sofa, aßen tonnenweise Chips, Popcorn und anderen ungesunden Kram, schauten Filme und ja und küssten uns. Doch den Jungen, der mich gerade geküsst hat, kenne ich gerade mal ungefähr eine halbe Stunde. Auf den Alkohol kann ich es nicht schieben. Mein Glas steht immer noch beinahe unberührt auf dem Tisch. Es kann also nur daran liegen, dass ich diesen mir eigentlich völlig fremden Jungen so unglaublich faszinierend finde. Dannys Mund nähert sich meinem erneut, doch diesmal ziehe ich meinen Kopf ein Stück zurück. Mir geht das alles irgendwie zu schnell. Ich möchte ihn erstmal besser kennenlernen. Zumindest sagt mir das mein Kopf. Doch in meinem Körper spüre ich Enttäuschung darüber, ihn nicht weiter küssen zu können.

Danny

Ich weiß nicht, warum Maja ihren Kopf wegdreht, als ich sie ein zweites Mal küssen will. Okay, wahrscheinlich bin ich ein wenig zu schnell gewesen. Mein großer Bruder Nick hat mir mindestens schon 1000-mal erklärt: „Mädchen wollen beim ersten Date noch nicht geküsst werden. Geh es langsam an. Lernt euch erstmal besser kennen.“

Immer in genau demselben Wortlaut. Mein Bruder, der sich für den totalen Experten hält, wenn es um Mädchen und Daten geht. Aber das hier ist kein Date. Schließlich habe ich Maja ja nur durch Zufall getroffen. Also gelten seine komischen Datingregeln wohl kaum. Ich glaube sowieso nicht, dass Nick so viel Ahnung von Mädchen hat wie er denkt. Schließlich ist er seit mehr als einem Jahr Single. Das hat sicher einen Grund.

„Ich wünschte, ich hätte dich in Australien getroffen“, sage ich. Und das meine ich wirklich ernst. Auch wenn wir noch nicht viel miteinander gesprochen haben, ist da etwas zwischen uns. Ich kann das nicht beschreiben, aber da ist etwas zwischen Maja und mir, das mir sagt, dass sie etwas ganz Besonderes ist.

„Erzähl mir etwas über dich“, bitte ich sie. Bisher hat Maja die Fragen gestellt. Jetzt möchte ich auch gerne etwas über sie erfahren.

„Was möchtest du hören?“ Maja blickt mir tief in die Augen. Am liebsten würde ich sie noch einmal küssen, doch ich halte mich zurück.

„Was machst du gerne?“ Meine Frage hört sich öde und unpassend an, doch ich musste irgendetwas sagen, um mich von meinem Wunsch sie erneut zu küssen abzulenken.

„Ich gehe gerne ins Kino, höre Musik, spiele Gitarre!“

„Cool!“ Sagt man nicht eigentlich, dass alle Mädchen auf Typen stehen, die Gitarre spielen können? Andersherum finde ich es aber auch super.

„Ey Danny! Kommst du?“, schreit Jonas mir plötzlich zu und reißt uns damit aus unserem Gespräch. „Der Bus kommt gleich.“

„Tut mir leid, Maja. Wir müssen los!“

Maja

„Oh verdammt! Es ist gleich zehn. Ich muss mich auch beeilen“, stelle ich nach einem Blick auf meine Uhr panisch fest.

Danny hatte sich schon abgewendet, um schnell mit den anderen zur Haltestelle zu laufen, doch er dreht sich noch einmal zu mir um.

„Verrätst du mir noch eben deine Nummer?“

Mir bleiben nur noch weniger als fünf Minuten für den Heimweg, der, wenn ich normal gehe, fast fünfzehn Minuten dauert. Aber dafür muss noch Zeit sein. Hektisch krame ich mein Handy aus der Tasche. Da ich mir keine Zahlen merken kann, habe ich die Handynummer für solche Notfälle eingespeichert. Schnell diktiere ich ihm die Zahlenfolge.

„Wir müssen rennen, sonst ist der Bus weg!“

Danny gibt mir noch einen kurzen Kuss auf die Wange und läuft dann zur Tür, wo seine Freunde schon ungeduldig auf ihn warten. Ohne sich noch einmal umzudrehen, stürmen sie aus der Tür und rennen los. Er hatte keine Zeit mehr mir seine Nummer zu nennen.

Einen kurzen Moment bleibe ich stehen, alleine, und frage mich, ob das alles nur ein Traum gewesen ist. Doch das war es nicht. Ich habe noch immer den frischen Duft seines Deos oder Aftershaves in meiner Nase und spüre noch immer seine weichen Hände. Ich fühle mich glücklich und traurig zugleich, als ich die Bar verlasse. Aber zum Nachdenken habe ich jetzt keine Zeit. Ich renne so schnell ich kann und komme mit nur sieben Minuten Verspätung völlig außer Atem zu Hause an. Dort empfängt meine Mutter mich schon an der Haustür. Natürlich erwähne ich Danny nicht, sondern murmele nur schnell etwas von „Bahn kam nicht“ und flitze die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Ich habe keine Lust auf eine Standpauke, ich möchte nur noch ins Bett und in Ruhe über den Abend nachdenken.

Ich liege noch lange wach und drehe mich immer wieder von einer Seite auf die andere. So etwas wie heute Abend habe ich noch nie erlebt. Eigentlich haben wir ja kaum miteinander geredet und trotzdem spüre ich diese Verbindung zwischen uns. Danny muss etwas Besonderes sein, sonst würde ich mich nicht so zu ihm hingezogen fühlen, obwohl ich ihn gar nicht kenne. Hoffentlich schreibt er mir. Ich wünschte, er hätte mir seine Handynummer gegeben und nicht umgekehrt, dann müsste ich nicht darauf warten, dass ER sich meldet. Ich drehe mich zum bestimmt zwanzigsten Male auf die andere Seite und wickel die Decke enger um mich herum.

Kapitel 2

Danny

Es fällt mir schwer die Augen aufzuhalten. Aber noch viel schwerer als krampfhaft meine Augen offen zu halten, ist es dem Matheunterricht zu folgen. Die ganze Zeit muss ich an Maja denken. Anstatt sich damit zu beschäftigen, wie man die Gleichung löst, die an der Tafel steht, sehe ich sie vor mir. Ich sehe sie, wie sie in den dunklen Jeans und dem karierten Hemd, das sie gestern getragen hat, vor mir steht. Ihre braunen Haare, die sie zu einem Zopf gebunden trug, ihre braunen Augen. Da ich mich sowieso nicht auf den Unterricht konzentrieren kann, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und beginne eine SMS zu tippen. „Hey Maja“.

So viel steht schon mal, aber was schreibe ich jetzt?

„Können Sie die nächste Aufgabe vorlesen, Daniel?“, reißt mich die Lehrerin aus meinen Gedanken.

Sie steht direkt vor meinem Tisch und durchbohrt mich mit einem bösen Blick. Muss sie mich ausgerechnet jetzt stören? Die Mitschüler um mich herum kichern. Es ist wohl nicht das erste Mal, dass sie mich bittet die Aufgabe vorzulesen, denn ihre Stimme klang sehr ungeduldig. Ich sollte also schnell antworten, aber von welcher Aufgabe redet sie überhaupt? Nico, mein Tischnachbar, deutet auf die dritte Aufgabe in meinem Mathebuch. Puuh, Glück gehabt. Ich lese meine Lösung vor. Sie ist nicht richtig, aber immerhin habe ich es versucht. Wer braucht schon Mathe, wenn man Surfprofi werden will? Glücklicherweise nimmt Frau Pätzold jetzt jemand anderen dran, der die richtige Antwort nennen soll. Lisa kann die Frage beantworten und ich habe wieder meine Ruhe. Erneut nehme ich mein Handy in die Hand und tippe weiter.

 

„Hast du heute Abend Lust ins Kino zu gehen?“

Aus der Kontaktliste wähle ich Majas Nummer aus und schicke die Nachricht ab. Dann stecke ich das Handy zurück in den Rucksack. Wenn es auf dem Tisch liegen bleiben würde, würde ich es die ganze Zeit anstarren. Trotzdem kann ich es nicht lassen, einige Male darauf zu schauen, doch auch als die Pausenklingel läutet, habe ich noch keine Antwort bekommen. Naja, Maja sitzt sicher auch im Unterricht und hat noch gar nicht gemerkt, dass ich ihr geschrieben habe.

Nach der Schule fahre ich mit dem Fahrrad nach Hause. Also eigentlich ist es ja nicht mein Zuhause. Mein Zuhause ist in Australien. Ist es nicht komisch, wie schnell man einen fremden Ort Zuhause nennt? Besonders wundere ich mich darüber immer im Urlaub. Schon am zweiten Tag sagt man nach einem Ausflug so etwas wie: „Komm, wir gehen jetzt nach Hause.“ Auch das schmale Reihenhaus im Kölner Süden wurde schnell zu meinem Zuhause. Ich habe wirklich Glück gehabt mit meiner Gastfamilie. Vom ersten Tag an habe ich mich bei ihnen wohl gefühlt. Die ganze Familie hat mich damals vom Flughafen abgeholt. Zur Begrüßung hatte meine kleine Gastschwester Linnea ein riesiges Plakat gebastelt und ihr Kängurukuscheltier mitgebracht. Auf der Autofahrt zu ihrer Wohnung haben mich alle mit Fragen gelöchert. Aber es kam nicht so rüber, als ob sie es nur aus Höflichkeit taten, sie wirkten wirklich interessiert an mir. Zum Abendbrot hat Sabine ein echtes kölsches Abendessen gekocht und als wir alle um den Tisch herum saßen und uns unterhielten, war mir sofort klar, dass es mir hier gefallen wird.

Schwungvoll stelle ich mein Fahrrad in dem kleinen Vorgarten ab und schließe die Haustür auf. Linnea kommt mir schon entgegen gestürmt und fliegt mir in die Arme. Sie hält ihr Lieblingskuscheltier, einen weißen, plüschigen Hund mit dem Namen Oskar, in die Höhe und ich begrüße auch ihn.

„Essen ist fertig“, ruft Sabine, meine Gastmutter, aus der Küche. Linnea rennt zurück in die Küche, wo sie beinahe über den Kater stolpert. Mit einem genervten Miauen huscht er aus der Küche. Wie immer herrscht hier Action, doch gerade das mag ich. In dieser Familie ist immer etwas los. Oft springen hier mehrere Kinder herum, da Linnea ständig Freundinnen aus ihrer Klasse mit bringt. Wenn sie zusammen spielen, hört es sich immer so an, als wäre ein ganzer Kindergarten in der Wohnung untergebracht.

„Wie war es in der Schule?“, fragt Sabine, während sie den Ofen öffnet. Es riecht nach ihrem berühmten Nudelauflauf.

„Ganz okay.“

„Hast du Hunger?“

„Und wie!“ Ich nehme mir eine große Portion und fange gleich an zu essen.

„Hast du heut noch was vor?“

„Ich wollte wahrscheinlich noch mit Jonas skaten gehen.“

„Linnea und ich sind heute Nachmittag bei einer Freundin von Linnea. Ist also gut, wenn du auch was vor hast.“

Nach dem Essen geh ich auf mein Zimmer. Ich krame mein Handy aus dem Rucksack. Es liegt ganz unten, unter allen Heften und Büchern und ich muss es erstmal von Kekskrümeln befreien, da die restlichen Kekse aus meiner Cookiespackung ausgekippt sind und sich in kleine Krümel verwandelt haben. Mist, eigentlich wollte ich einen davon zum Nachtisch essen. Immer noch keine SMS von Maja. Irgendwie enttäuscht es mich. Ich würde sie gerne wieder sehen. Aber eine andere Nachricht habe ich bekommen: von Jonas. Er fragt, ob das mit dem Skaten klappt. Ich sage zu. Skaten bringt mich schließlich immer auf andere Gedanken. Außerdem brauche ich nach dem Stillsitzen in der Schule dringend Bewegung. Sieben Stunden Schule sind einfach zu lang. Mein ganzer Körper verlangt nach Herausforderung. Ich ziehe mich um und mache mich mit meinem Board auf den Weg zur Domplatte.

Maja

Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, sitze ich mit Leonie im Flur auf dem kalten, dreckigen Boden vor dem Musikraum und warte auf unseren Gitarrenlehrer. Wir sind viel zu früh dran und außer uns ist noch niemand da.

„Ich habe gestern Abend jemanden kennengelernt“, beginne ich.

„Gestern Abend? Bist du nach unserem Treffen nicht gleich nach Hause gefahren?“ Leonie schaut mich verwundert an. Dann wechselt ihr Ausdruck von verwundert zu neugierig.

„Wollte ich, aber ich habe drei Jungen an der Haltestelle getroffen, als die Bahn nicht kam.“ In Kurzform erzähle ich ihr, wie wir im strömenden Regen gewartet haben, ins Gespräch kamen und wir schließlich ein Bier miteinander getrunken haben.

„Einer von ihnen ist total süß! Er heißt Danny und hat so ein tolles Lächeln. Irgendwie habe ich gleich gespürt, dass er etwas Besonders ist.“

„Oh, was für eine schöne Geschichte!“, antwortet Leonie euphorisch. Ihre glitzernden Augen verraten, dass sie sich gerade alles in den buntesten Farben ausmalt.

„Leider kommt Danny aus Australien“, schließe ich die Erzählung ab.

Leonie schaut mich enttäuscht an. „Oh nein, ich dachte, dass ist so eine schöne Geschichte. Wie in einem Roman“, erwidert Leonie, ganz offensichtlich enttäuscht über das Ende meines Berichtes. „Seht ihr euch denn noch mal wieder?“

„Ich hoffe es! Ich habe ihm meine Handynummer gegeben, aber weil er schnell zum Bus musste, konnte er mir seine nicht mehr geben.“

Ich lehne den Kopf an die Wand und schaue zur Decke. In Gedanken betrachte ich die Stockflecken und Spinnenweben, die sich über die ganze Decke verteilen und zusammen ein Muster ergeben. Hoffentlich meldet Danny sich. Warum kann mein Handy nicht jetzt in diesem Moment klingeln? Wahrscheinlich habe ich mir noch nie so sehr gewünscht, den hässlichen schrillen Signalton meines Handys zu hören, wie in dieser Sekunde. Ich möchte nicht länger warten. Als ich Schritte neben mir höre, schrecke ich aus meinen Gedanken auf und blicke in die Richtung aus der die Schritte kommen. Es ist unser Gitarrenlehrer. Wir stehen auf und setzen uns ans Fenster des muffigen dunklen Musikraumes, um wenigstens ein bisschen Licht abzubekommen.

Irgendwie bin ich heute nicht richtig bei der Sache. Ich habe das Lied so oft zu Hause geübt, weil ich nicht schon wieder die einzige sein wollte, die die Akkorde nicht schnell genug wechseln kann. Gestern konnte ich es auch noch. Da waren meine Finger wie von selbst auf die richtigen Saiten gewandert, doch heute will es einfach nicht schnell genug klappen. Ich komme ständig aus dem Takt. Deswegen lege ich meine Gitarre genervt auf den Tisch und höre zu, wie die anderen Schüler „Sweet home Alabama“ spielen. Sie wiederholen es noch mehrere Male, doch ich habe keine Lust wieder einzusteigen. Ich komme ja sowieso nicht mit. Also nutze ich die Pause um mein Handy aus der Tasche meiner Jeansjacke zu ziehen. Ich klappe es auf, doch ich habe keine neue Nachricht. Enttäuscht lasse ich das Handy zurück in meine Jackentasche sinken. Leonie hat mich beobachtet und deutet meinen Blick genau richtig. Auch sie hört kurz auf zu spielen und sagt: „Jungen brauchen immer mindestens drei Tage bis sie sich melden. Es ist so zu sagen ein ungeschriebenes Gesetz einem Mädchen nicht vorher zu schreiben.“

„Warum? Das ist doch Quatsch.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass es stimmt. Alle Jungen sind doch anders.

„Doch! Wirklich! Frag Micke. Nach unserem ersten Treffen war es damals genauso. Ich dachte auch er schreibt nicht mehr.“

Vielleicht stimmt es doch, was Leonie sagt. Schließlich hat sie viel mehr Erfahrungen mit Jungen als ich. Vor Micke war sie mit Tobi zusammen und davor mit Nils und davor mit noch einem anderen Jungen, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Ich muss mich wohl etwas gedulden. Leider gehört Geduld nicht gerade zu meinen Stärken. Aber mir bleibt nichts anderes übrig, schließlich habe ich seine Nummer ja nicht.

Danny

„Musst du immer auf dein Handy gucken?“ Linnea versucht mir mit ihren kleinen Händen das Smartphone aus der Hand zu nehmen, doch ich halte es fest. Wir sitzen am Küchentisch und spielen das Leiterspiel, momentan ihr Favorit. Ich lasse mein Handy wieder in der Hosentasche verschwinden. Linnea hat recht. Den ganzen Nachmittag habe ich es ständig herausgeholt, um zu schauen, ob ich eine Nachricht bekommen oder einen Anruf verpasst habe.

„Was ist daran so interessant?“

„Ich warte auf eine SMS!“

„Von wem?“

Ich seufze. Die Kleine ist ganz schön neugierig. Manchmal frage ich mich, ob ich als Kind auch so viele Fragen gestellt habe wie sie.

„Von Maja!“

„Biene Maja?“, fragt mich Linnea und ich muss lachen.

Sie guckt mich ein bisschen beleidigt an, so als ob ich sie auslachen würde, dabei tue ich das nicht.

„Nein, nicht die Biene Maja, sondern ein Mädchen, das Maja heißt.“

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