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Treulose Seelen

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Über Farina de Waard

Hallo, mein Name ist Farina und ich bin (wer hätte es gedacht) Autorin.

Ich schreibe seit meinem 14. Lebensjahr, nachdem ich einen unglaublich intensiven Traum hatte, den ich einfach festhalten musste. Danach ließen mich die Gedanken zu dieser Traumwelt einfach nicht mehr los und so entstand die Buchwelt Tyarul, die insgesamt 7 Bücher umfassen soll und aktuell schon in drei Bänden festgehalten wird.

Mit dem ersten Teil der Reihe – Zähmung - habe ich 2015 sogar den Indie-Autor-Preis auf der Leipziger Buchmesse gewonnen und dadurch einen tollen Start ins ernsthafte Autorenleben erhalten. Wenn ich mal nicht schreibe, mache ich Bilure – das sind die magischen Speichersteine aus dem »Vermächtnis der Wölfe«, die ich an meine Fans verkaufe oder auch ab und an mal verlose. Und wenn ich dann immer noch Freizeit habe, wird meistens gezeichnet, gemalt – oder draußen in der Natur fotografiert.

Neben der eher epischen Fantasy-Reihe rund um meine Magierin Zenay habe ich auch noch »Jamil« geschrieben und plane einige andere Projekte, die aber zur Zeit etwas warten müssen, da ich ab diesem Winter meine Masterarbeit schreibe und das Studium braucht dann eben doch auch ab und an etwas Aufmerksamkeit ^^

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Der alte Magier: Verräter

von Jürgen Schaaf

Plan

Die schwere Eichentür des Goldenen Drachen wurde geöffnet und das laute, fröhliche Stimmengewirr in der Gaststube verebbte mit einem Mal. Im Türrahmen stand ein Mann, groß und schlank, und sah sich suchend um. Sein langer, schwarzer Mantel und der Spitzhut wiesen ihn als einen Magier aus, dem die anwesenden Gäste größten Respekt zollten. Während seine dunklen Augen den Raum absuchten, strich er sich geistesabwesend über seinen grauen Bart. Ein unmerklicher Ruck ging durch seinen Körper, als er den Gesuchten entdeckte. Ohne zu zögern schritt er auf den Tisch in einer kleinen Nische zu. Ein Raunen erfüllte den Raum und bald herrschte wieder fröhliche Ausgelassenheit.

Der Mann am Tisch unterbrach sein Mahl und blickte auf. Der getrimmte, grau melierte Bart verdeckte die tiefen Falten in seinem wettergegerbten Gesicht. Seine braunen Augen taxierten den Magier.

»Ihr wollt zu mir, Axathor?«

»Ja. Man sagte mir, dass ich Euch um diese Zeit hier finden würde.«

»Nun, das Essen ist gut und günstig.«

»Als ob Ihr Euch kein besseres Essen leisten könntet«, spottete Axathor.

»Ihr habt recht. Das ist nicht mein wahrer Beweggrund«, grinste der Mann am Tisch. Viele Durchreisende kehren hier ein und geben freimütig ihre Neuigkeiten und Gerüchte preis.«

»Verstehe«, lachte der Magier.

»Setzt Euch doch! Darf ich aus Eurer Anwesenheit schließen, dass Ihr einen Auftrag für mich habt?«

Der Wirt hastete beflissen zu ihnen und stellte unaufgefordert einen Becher Wein auf den Tisch. Nach einem kurzen Kopfnicken des Magiers zog sich der Wirt eilig zurück.

»Wir müssen reden, Turroth!« Während er sich einen Stuhl heranzog, vollzog er eine flüchtige Handbewegung, auf die ein leichtes Flirren der Luft hinter ihm erfolgte. »Und zwar ungestört.«

»Nun, was kann ich für Euch tun?«

»Ich komme gerade von einer außerordentlichen Sitzung des Magischen Zirkels.«

»Zarthas?«

»Ja. Es ging um ihn.«

Turroth schüttelte verständnislos seinen Kopf.

»Ich verstehe Euch nicht. Seit Wochen sitzt er in seiner Zelle und wartet auf seine Hinrichtung. Tag und Nacht wachen zwei Soldaten und drei Magier vor seiner Kerkertür. Welch eine Verschwendung! Worauf wird denn gewartet? Nach dem gescheiterten Putschversuch von Fürst Ramish und seinem Magier Zarthas gegen Großfürst Karim ist das Vergehen doch eindeutig: Hochverrat! Und darauf steht die Todesstrafe. Ramish hat das verstanden und sich selbst gerichtet. Aber was ist mit Zarthas? Warum wird er so lange verschont?«

»Die Frage ist berechtigt. Und was ich Euch jetzt sage, unterliegt dem Eid der Verschwiegenheit.«

»Sofern ein Vertrag zwischen uns zustande kommt.«

»Daran hege ich keine Zweifel.« Axathor nippte nachdenklich an seinem Becher. »Wir hegen den starken Verdacht, dass Hintermänner aus unseren Reihen Ramish und Zarthas mit Informationen versorgt hatten, die ihnen den Putsch überhaupt erst ermöglichen konnten.«

»Der glücklicherweise gescheitert ist«, ergänzte Turroth.

»So ist es. Ramish hat sein Wissen mit in den Tod genommen und Zarthas schweigt beharrlich.«

»Ihr habt einen konkreten Verdacht, was die Hintermänner betrifft?«

»Ja, wir haben einen Namen, aber der wird Euch nicht gefallen.«

»Einer meiner Männer?«

Der Magier nickte.

»Ich hoffe, Ihr irrt Euch, Axathor!«

»Das würde ich Euch zuliebe gerne, aber der Verdacht ist leider nicht völlig unbegründet.«

Der Gildenmeister der Späher starrte gedankenversunken in seinen Becher.

»Um die Wahrheit herauszufinden bin ich auf Eure Unterstützung angewiesen, Turroth.«

»Ihr verlangt viel von mir.«

»Das ist mir bewusst, mein Freund. Aber wollt Ihr einen Verräter in Euren Reihen dulden?«

»Natürlich nicht!«, antwortete Turroth resigniert. »Habt Ihr schon einen Plan?«

»Ja. Aber bevor ich ihn Euch unterbreite, muss ich Eurer absoluten Diskretion versichert sein. Das gilt auch Euren Männern gegenüber.«

»Ihr wisst, dass Ihr Euch auf mich verlassen könnt.«

»Gut.« Turroth nahm seinen Weinbecher und trank einen Schluck. Für einen Moment schien er in Gedanken zu sein. Dann blickte er seinem Gegenüber fest in die Augen. »Wir wissen aus sicherer Quelle, dass Zarthas in seinem Landhaus eine Schatulle mit geheimen Dokumenten versteckt hält. Diese enthalten womöglich Hinweise auf weitere Verbündete. Aber unsere Suche blieb bislang erfolglos. Und nun zu meinem Vorschlag ...«

Falle

»Wir sind bald da«, warnte Barrath, der ältere der beiden ausgesandten Späher. »Den Rest des Weges gehen wir besser zu Fuß.«

»Wie weit ist es noch?«, fragte Makithor, sein junger Schützling.

»Eine Meile vielleicht.«

»Warum willst du hier schon die Pferde zurücklassen?«

»Denk nach, Maki!«

»Sie könnten uns hören. Meinst du das?«

»Richtig! Wir können nicht ausschließen, dass eines der Pferde wiehert und uns verrät. Besser wir gehen kein Risiko ein.«

Sie verließen den unbefestigten Weg und näherten sich mit ihren Pferden einer kleinen Baumgruppe. Dort saßen sie ab und banden die Tiere an. Aufmerksam nach allen Seiten blickend, gingen sie zu Fuß weiter.

»Was ist los mit dir?«, fragte Makithor den älteren Kundschafter. »Fürchtest du dich etwa vor diesem, diesem ... wie heißt er noch?«

»Zarthas.«

»Ja, richtig, Zarthas war sein Name. Fürchtest du dich vor ihm?«

»Ja, Maki, und zwar mit recht!«

»Weil er ein Magier ist?«

»Ja.«

»Aber vor Magiern muss man sich doch nicht fürchten«, lachte Makithor. »Sie reden bloß den ganzen Tag schlau daher und können mit ihren magischen Zaubertricks gerade mal das Kaminholz anzünden.«

»Du kennst Zarthas nicht!«, antwortete Barrath ernst. »Unterschätze niemals die Fähigkeiten eines Magiers! Merk dir das, mein Junge!«

Makithor zuckte gleichgültig mit den Schultern.

»Wenn du meinst.«

»Ich warne dich! Nimm meinen Rat nicht auf die leichte Schulter, hörst du? Sonst lebst du nicht lange! Zarthas ist kein einfacher Magier. Er bekleidet einen hohen Rang.«

»Und was macht ihn so gefährlich?«

»Hör zu! Was ich dir jetzt erzähle unterliegt der strikten Geheimhaltung. Du hast einen Eid geschworen.«

»Den Eid der Verschwiegenheit.«

»Genau diesen. Seine Bedeutung ist dir wohl klar, oder?«

»Er verpflichtet uns Späher zur absoluten Verschwiegenheit bis in den Tod. Nur dem Auftraggeber ist man verpflichtet, Rede und Antwort zu stehen.«

»Gut. Es gibt einiges, das du wissen solltest. Aber das unterliegt diesem Eid, ist das klar?«

»Ja, Barrath. Jetzt spann mich nicht so auf die Folter!«

»Was weißt du von Zarthas?«

»Er ist ein Magier und war der Berater von Fürst Ramish auf der Roten Burg.«

»Gut. Noch etwas?«

»Er war mit Ramish an dem gescheiterten Putschversuch gegen den Großfürsten beteiligt.«

»Sehr gut! Das ist auch der Grund, warum Zarthas im Verlies des Großfürsten auf seinen Prozess wartet.«

»Dann kann er uns hier doch nichts anhaben, oder?«

»Doch, das kann er, mein Junge. Er kennt Mittel und Wege.«

Makithor nickte nachdenklich.

»Warum hat man ihn noch nicht hingerichtet? Das war doch eindeutig Hochverrat!«, fragte er seinen Tutor.

»Ja, das habe ich mich auch schon gefragt. Ich denke, es gibt einen triftigen Grund für den Aufschub des Prozesses.«

»Und der wäre?«

»Es ist nur eine leise Vermutung. Vielleicht liege ich auch völlig falsch.«

Makithor sah seinen älteren Partner fragend an.

»Er soll über Informationen verfügen, die so wichtig sind, dass der Scharfrichter noch warten muss.«

Makithor nickte nachdenklich. »Was kann denn derart wichtig sein, dass man ihn deswegen so lange verschont?«

»Das wüsste ich gerne. Aber das wollte mir Turroth nicht beantworten. Unser Auftraggeber ist Axathor, ein hoher Magier der Roten Burg. Und Magier können sehr hartnäckig sein, wenn es um Verschwiegenheit geht.«

 

Makithor runzelte die Stirn.

»Ah, jetzt verstehe ich. Zarthas gibt sein Wissen nicht preis und deswegen will man ihn unter Druck setzen. Ist das der Grund, warum wir seine Familie ausspähen sollen?«

»Davon gehe ich aus. Und jetzt lass uns unseren Auftrag erledigen!«

»Aber ...«

»Sei still! Wir müssen jetzt vorsichtig sein«, warnte der Ältere. »Da vorne ist es.«

Ein großes, zweigeschossiges Haus mit rotem, ziegelgedecktem Satteldach, kam jetzt in ihr Blickfeld. Es stand inmitten einer gepflegten Gartenanlage mit Wiesen und Obstbäumen. Im Schatten einer kleinen Gruppe von Obstbäumen stand ein massiver Holztisch mit vier Stühlen. In östlicher Richtung, unweit des Landhauses, befand sich ein längliches Nebengebäude.

»Sollen wir uns jetzt trennen?«, fragte Makithor flüsternd. Barrath schüttelte den Kopf.

»Nein, ausnahmsweise nicht. Wir bleiben zusammen. Du bleibst jetzt dicht hinter mir, verstanden?«

»Warum?«

»Ich habe meine Gründe. Du wirst schon sehen. Und jetzt keine Fragen mehr!«

Sie näherten sich Deckung suchend dem großen Gebäude.

»Halt! Keinen Schritt weiter!«, flüsterte Barrath eindringlich.

»Was ist denn los?«

»Sieh mal da vorne!«

Er deutete auf den Körper eines toten Fuchses. Der Kopf des Tieres sah aus, als wäre er verbrannt worden. Das verkohlte Fleisch stand in sonderbarem Kontrast zu den bloßgelegten Zähnen.

Makithor sah seinen älteren Partner fragend an.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass kein Magier auf die bescheuerte Idee käme, auf Fuchsjagd zu gehen, das Tier mit irgendwelchen magischen Tricks zur Strecke zu bringen und es dann einfach liegen zu lassen«, erklärte Barrath seinem Schützling.

»Was schließt du daraus?«

»Magische Fallen!«

»Was soll das sein?«

»Pass auf!«

Barrath sah sich um. Er nahm einen kleinen, knorrigen Zweig in seine Hand und schlich vorsichtig mit ausgestrecktem Arm weiter. In der Höhe des toten Fuchses traf die Spitze des Stocks auf eine unsichtbare Barriere und fing sofort Feuer. Erschrocken zuckte der junge Späher zurück.

»Verdammt! Woher hast du das gewusst?«

»Wenn du das Haus eines Magiers von Zarthas Kaliber observieren sollst, musst du mit allem rechnen. Besonders mit hinterlistigen und tödlichen Fallen.«

»Aber warum hat dieser Axathor uns beauftragt und nicht einen seiner Magier geschickt?«

»Weil wir genau das tun sollen, was wir gelernt haben und am besten können: Beobachten, ohne gesehen zu werden. Traust du das etwa einem Magier zu?«

»Ich weiß nicht. Komm, hauen wir lieber ab, bevor es zu spät ist!«

»Nein! Wir haben einen Auftrag zu erfüllen.« Barrath inspizierte vorsichtig die Umgebung des verkohlten Fuchskopfes.

»Siehst du das?«, fragte er seinen jungen Begleiter und deutete auf den Boden. »Das könnte ein Hirschkäfer gewesen sein und weiter vorne liegt eine verendete Maus. Und alles in einer Linie. Sehr merkwürdig.«

Barrath hatte einen Verdacht. Er schlich einige Schritte weiter und vermied es, den verbrannten Tierkörpern zu nahe zu kommen. Dann hielt er inne. Vorsichtig streckte er seinen Arm mit der Zweigspitze nach vorne. Er wollte prüfen, ob sich seine Annahme bestätigte. In Höhe eines verkohlten Insektes flammte die Spitze des Zweiges auf. Mit ernster Miene wandte er sich seinem jungen Partner zu.

»Ich vermute, dass Zarthas seinen Landsitz mit einem magischen Trick geschützt hat. Mit so einer Art Mauer, die wir nicht sehen können. Und dieses verdammte Ding sollten wir tunlichst nicht berühren. Wenn wir jetzt einen Fehler machen, geht es uns wie dem Fuchs. Also pass auf und bleib immer dicht hinter mir! Und noch etwas! Sollte mir etwas zustoßen, reitest du zurück und berichtest unserem Auftraggeber oder Meister Turroth und sonst niemandem! Und sei vorsichtig, dass du dieser Falle nicht zu nahe kommst! Und keine Alleingänge, hörst du?«

»Ja, ja, ich habe es kapiert.«

Barrath sah seinem Schützling fest in die Augen. »Gut! Ich denke, du hast die Ernsthaftigkeit und Gefahr dieser Unternehmung begriffen. Lass uns jetzt unseren Auftrag erfüllen.«

Er sah sich aufmerksam um. Auf dem Tisch und den Stühlen unter der Obstbaumgruppe entdeckte er kleine abgebrochene Zweige und einige herabgefallenen Blätter.

»Fällt dir etwas auf, Maki?«

»Was meinst du?«

»Sieh' dir die Gartenmöbel an!«

»Sie sind schmutzig.«

»Genau! Die Gartenmöbel sind seit Tagen nicht benutzt worden.«

»Dann ist wohl niemand mehr hier. Lass uns wieder verschwinden. Wir haben doch genug gesehen. Der Ort ist mir unheimlich.«

»Nicht so schnell, Maki! Die Gartenmöbel geben uns zwar einen Hinweis darauf, dass sie in letzter Zeit nicht benutzt wurden, aber kennst du die Gepflogenheiten der Familie? Vielleicht halten sie sich lieber im Haus auf oder sind unterwegs.«

»Aber wie konnten sie denn das Gelände verlassen, ohne von dieser Falle getötet zu werden?«

»Gute Frage. Vielleicht hat Zarthas bereits vor dem Putsch seine Familie in Sicherheit gebracht für den Fall, dass etwas dabei schiefläuft. Und diese magische Mauer soll seinen Besitz vor Plünderern schützen. Oder er hat seiner Familie einen Trick verraten, wie man unbeschadet durch die Mauer gelangen kann.«

»Und was machen wir jetzt?«

»Wir werden für eine Weile das Haus beobachten.«

»Wenn du meinst.« Der Jüngere gab widerwillig nach.

»Lass uns näher heranpirschen«, flüsterte Barrath. »Bleib jetzt dicht hinter mir und achte auf verbrannte oder verkohlte Kadaver. Das ist die einzige Chance, die Lage dieser verdammten magischen Mauer herauszufinden.«

»Aber so weit ich sehen kann liegt da weit und breit kein Kadaver.«

»Hm, vielleicht spüren die Tiere die Gefahr, die von dieser unsichtbaren Mauer ausgeht.«

»Und was ist mit dem Fuchs?«

»Der war möglicherweise noch auf dem Gelände, als Zarthas die Barriere errichtete. Und als er in Panik flüchten wollte, hat er die Gefahr nicht gespürt, nehme ich an. Lass uns trotzdem nach verendeten Tieren Ausschau halten! Im Gras könnten tote Käfer oder Kleintiere liegen.«

Barrath behielt den knorrigen Zweig in der Hand. Er wollte ihn zum Sondieren nutzen, falls sich die Spuren im Gras als zu dürftig erwiesen, um die Lage der magischen Barriere einschätzen zu können. Vorsichtig schlichen sie weiter, suchten hinter Büschen und Sträuchern Deckung, und näherten sich mit Bedacht dem Landhaus. Außer den Stimmen einiger Singvögel in der Ferne war kein Laut zu vernehmen. Alle Fenster des Gebäudes waren geschlossen und vermittelten den Eindruck von der Abwesenheit der Herrschaft und ihrer Bediensteten. Ein unerwartetes Zischen ließ die beiden Späher zusammenzucken. In ihrer unmittelbaren Nähe war ein Vogel in die Barriere geflogen und augenblicklich verendet. Der verkohlte Rest seines Körpers fiel qualmend zu Boden. Knisternd stoben Funken in alle Richtungen, wo das Tier die Barriere berührt hatte. Wenige Augenblicke später war es wieder still und nichts deutete mehr auf das Vorhandensein der tödlichen Mauer hin. In kurzem Abstand folgte Makithor seinem Tutor, der vorsichtig und in geduckter Haltung die Distanz zum Landhaus verkürzte. Hin und wieder verrieten ihnen Insekten die Lage der Barriere, wenn sie mitten im Flug in Bruchteilen eines Augenblicks unter leisem Geknister an ihr verglühten. Makithor hatte nicht lange überlegen müssen. Er schnickte kleine Steinchen in die Richtung der unsichtbaren Mauer und beobachtete, wie sie glühend zu Boden fielen. Diese effektive und unauffällige Methode, die Lage der tödlichen Barriere erkennen zu können, brachte Makithor ein respektvolles Nicken seines älteren Partners ein. Sie kamen nun zügig voran. An einer geeigneten Stelle kauerten sie sich hinter einen Busch und beobachteten durch die Zweige hindurch das Anwesen der Magierfamilie. Alles schien ruhig und verlassen.

Der Schrei eines Waldkauzes durchbrach jäh die gespenstische Stille.

»Auf den Bauch! Los! Ganz flach! Und keine Bewegung!«, zischte Barrath.

»Was ist denn los?«, flüsterte Maki ängstlich.

»Irgendetwas hat den Vogel aufgeschreckt.«

»Und du meinst …?«

»Es könnte sich jemand vom Wald her dem Anwesen nähern. Also halte Augen und Ohren offen. Und rühre dich nicht von der Stelle!«

Eine halbe Stunde war vergangen, doch es war ruhig geblieben. Nichts hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, weder im Haus, noch in der Umgebung.

»Es ist niemand da«, flüsterte Makithor. »Komm, hauen wir endlich ab!«

»Nein! Wir müssen uns vollkommen sicher sein. Wir inspizieren noch die Ställe.«

»Wozu das denn?«

»Frag nicht so dumm! Wenn sie ausgeflogen sind, werden sie kaum zu Fuß unterwegs sein. Los jetzt! Und bleibe dicht hinter mir!«, zischte der ältere. Vorsichtig schlichen sie weiter auf das Nebengebäude zu, wohlbedacht, nicht die unsichtbare, tödliche Mauer zu berühren. Immer wieder mussten sie ihre Deckung verlassen und auf dem Bauch durch das hohe Gras robben. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, vermieden sie hastige und unüberlegte Bewegungen. Sie kamen nur sehr langsam voran.

»Gütiger Himmel!«, entfuhr es Barrath. Er hatte auf der anderen Seite der magischen Barriere einen Toten entdeckt. Vom Kopf bis zur Hüfte war er bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Der Rest des Körpers zeigte bereits deutliche Spuren der Verwesung. Unzählige Würmer fraßen sich durch den Leichnam, von dem ein süßlicher Geruch ausging. Makithor wurde schlecht beim Anblick des Toten. Er konnte seine Würgereize nicht unterdrücken und erbrach sich. Barrath klopfte seinem jungen Partner väterlich auf die Schulter und grinste.

»Mir ging es bei meiner ersten Leiche genauso, mein Junge. Das wird schon! Du wirst sehen. Irgendwann macht dir solch ein Anblick nichts mehr aus.«

Makithor sah ihn dankbar an.

»Vermutlich war das der Stallknecht. Vielleicht wollte er abhauen«, vermutete Barrath und deutete auf die menschlichen Überreste.

»Abhauen? Warum sollte er?« Makithor hatte sich wieder gefasst.

»Es könnte doch sein, dass es dort, wo sich die Familie jetzt aufhält, bereits Personal gibt und dieser hier nicht mehr benötigt wurde. Vielleicht hatte er es geahnt und wollte fliehen, bevor man ihn töten konnte.«

»Warum bist du dir jetzt so sicher, dass sie ausgeflogen sind?«

»In den Ställen ist es verdächtig ruhig. Offensichtlich sind keine Pferde untergestellt. Und siehst du das offene Tor?«

»Ja, was ist damit?«

»Ich vermute, dass dort ihre Kutsche untergestellt war. Und wie du siehst, ist der Raum leer.«

»Wie kommst du darauf, dass dort ihre Kutsche stand?«

»Die Rillen vor dem Tor stammen eindeutig von Rädern.«

»Also haben sie den Landsitz verlassen, oder?«

»Offensichtlich.«

»Dann lass uns endlich gehen, Barrath!«

»Gut. Mehr werden wir nicht herausbekommen, denke ich. Gehen wir!«

Die beiden Späher wendeten sich, diesmal ohne um Deckung bemüht, von dem Landhaus ab. Sie folgten ihren eigenen Spuren zurück, um der tödlichen Barriere nicht zu nahe zu kommen. Plötzlich hielt Makithor inne.

»Was ist los?«, fragte Barrath.

»Wir werden beobachtet«, zischte der Jüngere.

Barrath blickte zum Landhaus hinüber und bemerkte eine flüchtige Bewegung hinter einem der Fenster.

»Verdammt! Du hast recht. Da ist jemand im Haus.«

»Was machen wir jetzt?«

»Abwarten.«

»Ja, aber ...«

»Wir brauchen uns jetzt nicht mehr zu verstecken. Man hat uns bereits entdeckt. Zarthas sitzt im Kerker und die Herrschaften haben offensichtlich das Anwesen verlassen. Wer bleibt also übrig?«

»Personal?«

»Ja, davon bin ich überzeugt. Ein Magier hätte uns schon längst unschädlich gemacht. Ich glaube, da ist niemand mehr im Haus, vor dem wir uns fürchten müssen. Außerdem schützt uns die magische Mauer. Da geht nicht einmal der Bolzen einer Armbrust durch«, versuchte Barrath seinen jungen Begleiter zu beruhigen.

Sie warteten gespannt und beobachteten das Gebäude aus sicherer Entfernung. Wieder erregte eine rasche Bewegung hinter einem der Fenster ihre Aufmerksamkeit. Makithor blickte zu seinem Tutor. Barrath schien angespannt und nervös zu sein. Seine Körpersprache stand im Widerspruch zu seinen beruhigenden Worten. Plötzlich wurde die Haustür geöffnet. Ein großer, hagerer Mann erschien im Türrahmen. Dort rührte er sich nicht von der Stelle.

 

»Wer bist du?«, rief Barrath, doch er bekam keine Antwort. »Verstehst du mich?«

Der hagere Mann nickte.

»Kannst du nicht reden?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf.

»Also stimmt es doch!«, brummte Barrath.

»Was denn?«

»Der Mann dort ist ein Sklave.«

»Zarthas hält sich Sklaven?«, fragte Makithor entrüstet.

»Es sieht so aus.«

»Woher weißt du, dass der Mann dort kein gewöhnlicher Hausdiener ist?«

»Er ist stumm. Er hat keine Zunge mehr. Zarthas persönlich hat sie ihm herausgeschnitten.« Er sah den entsetzten Ausdruck im Gesicht seinen jungen Partners.

»Ist das wahr?«

»Zumindest wird es im Rat der Späher behauptet.«

»Bist du allein?«, rief Barrath dem hageren Mann zu.

Der Angesprochene nickte. Doch dann hielt er vier Finger hoch. Barrath schien verwirrt.

»Ihr seid zu viert?«

Der Sklave nickte zögerlich.

»Wo sind die anderen?«

Der Angesprochene vollführte eine eindeutige Geste an seiner Kehle.

»Tot?«

Der Sklave nickte.

»Komm doch näher zu uns! Dann muss ich nicht so schreien!«

Der hagere Mann schüttelte den Kopf. Er drehte sich um und verschwand. Die beiden Späher sahen sich verblüfft an. Doch schon wenige Augenblicke später zeigte er sich wieder im Türrahmen. Er hatte eine tönerne Vase in der Hand. Verwundert beobachteten ihn die beiden Kundschafter. Plötzlich holte der Sklave aus und warf den Gegenstand durch den Türrahmen ins Freie. Es blitzte auf und mit einem ohrenbetäubenden Knall zerbarst die Vase in tausend Scherben, die im großen Umkreis zu Boden rieselten. Einige Splitter flogen bis zur magischen Mauer, wo sie zischend verglühten. Graue Rauschschwaden lösten sich kräuselnd auf.

»Gütiger Himmel!«, entfuhr es dem älteren Späher. »Dieser verfluchte Magier hat das Haus versiegelt!«

»Ist das Zarthas Werk?«, rief er dem Sklaven zu.

Der Gefragte nickte.

»Hat er seine Familie weggebracht?«

Wieder nickte der Sklave.

»Weißt du wohin?«

Kopfschütteln.

»Zarthas muss sie schon vor dem Putsch in Sicherheit gebracht haben«, meinte Makithor.

»Ja, vermutlich. Dann wird es auch keinen Sinn mehr haben, nach Spuren von ihnen zu suchen«, folgerte Barrath. Er wandte sich wieder dem Sklaven zu.

»Hör zu! Wir können leider nichts für dich tun. Hier werden Magier benötigt. Wir reiten jetzt zurück und berichten von dir. Sie werden sicher jemanden schicken, der dich befreit!«

Der Sklave bückte sich zur Seite und hob ein hölzernes Kästchen auf. Langsam hob er seine Arme und setzte zum Wurf an.

»Nein! Tu das nicht!«, schrie Makithor. Barrath drehte sich verwundert um. Eine Faust traf ihn mit voller Wucht an der Schläfe. Barrath brach bewusstlos zusammen.

Ein hastiger Blick zur Tür des Landhauses beruhigte den jungen Späher. Der Sklave hatte sich mit der Schatulle wieder ins Innere des Hauses zurückgezogen. Makithor zögerte nicht lange. Sein Blick erfasste rasch die Rotbuche mit dem Zwillingsstamm. In großem Bogen, um der Barriere nicht zu nahe zu kommen, lief er darauf zu. Vom Stamm des Baumes maß er zwanzig Schritte, dann blieb er stehen. Er schleuderte eine Handvoll Erde in Richtung des Hauses und beobachtete gebannt, wie die kleinen Steinchen und Erdbrocken an der Barriere aufglühten. Nur ein kleiner Teil blieb dunkel, dort wo die Steinchen ungehindert weiterflogen.

»Ah, da ist er ja!«, grinste Makithor zufrieden und schlüpfte in gebückter Haltung durch den geheimen Durchgang und rannte zu der rückwärtigen Seite des Gebäudes. Er sah sich um. Eine kleine steinerne Statue zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie war stark verwittert, doch die Krallen an Händen und Füßen waren noch deutlich zu erkennen. Der Kopf ähnelte dem eines Wolfes, doch die Schnauze war kürzer und viel breiter. Zwei kleine Hörner am Kopf zierten das Abbild eines Dämons, der hämisch zu grinsen schien. Sein Blick war auf eines der Fenster gerichtet. Vorsichtig berührte der junge Späher das Steingebilde. Es fühlte sich warm an, doch nichts passierte. Behutsam drehte er den Dämon zur Seite, während er das Fenster beobachtete, auf das der Blick der Steinfigur gerichtet war. Ein leichtes Wabern der Luft ließ ihn aufatmen. Zur Sicherheit warf er einen kleinen Stein, der mit einem leisen Geräusch von dem Fenster abprallte. Zufrieden stieg er durch die Fensteröffnung in das Gebäude ein.

Barrath kam langsam wieder zu sich. Stöhnend setzte er sich auf und rieb sich die blutige Schläfe.

»Verdammter Narr! Was ist bloß in ihn gefahren?«, brummte er und sah sich benommen um. Der hagere Sklave war offensichtlich wieder im Inneren des Hauses verschwunden. Aber wo war der Junge? Schwankend kam Barrath wieder auf die Beine. Er suchte den Boden nach Spuren seines Schützlings ab. Eine Bewegung im Schatten des Hauses ließ ihn aufschrecken.

»Maki?«, rief er verblüfft, als er den jungen Mann erkannte. Doch Makithor reagierte nicht. Er lief schnurstracks auf die tödliche Barriere zu.

»Maki! Halt! Bleib stehen, du Narr!«

Doch Makithor lief ungeachtet der Warnungen weiter. Im Lauf bückte er sich und schleuderte eine Handvoll Erde auf die unsichtbare Barriere. Er fand den Durchschlupf und durchquerte unbeschadet die tödliche Mauer.

»Maki! Wie hast du ...« Verwundert brach Barrath mitten im Satz ab. Der junge Späher rannte mit entschlossenem Gesicht auf ihn zu, eine hölzerne Schatulle unter den Arm geklemmt. Der hagere Sklave stand wieder im Türrahmen des Landhauses und beobachtete das Geschehen. Unvermittelt hob er eine Hand und vollführte eine unscheinbare Bewegung. Die Luft vor der Eingangstür waberte für einen kurzen Augenblick, dann schritt der Mann entschlossen ins Freie. Während er auf die tödliche Barriere zuschritt, vollzog er eine weitläufige Geste mit beiden Armen. Makithor hatte nur noch Barrath im Auge. Er zog sein Messer. Noch wenige Schritte trennten ihn von dem älteren Späher.

»Maki! Verdammt! Was soll das?« In Barraths Stimme klang Verblüffung. Makithor holte aus. Ein bläulicher Blitz traf den jungen Kundschafter an der Schulter. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ er das Messer fallen und stürzte schwer zu Boden, wobei er die Schatulle verlor. Der Sklave trat rasch hinzu und nahm das Kästchen an sich. Barrath blickte verblüfft auf den hageren Mann.

»Was wird hier gespielt? Ihr seid kein Sklave. Ihr seid ein Magier! Ein Verbündeter Zarthas! Wieso habt Ihr mein Leben gerettet? Wer seid Ihr?«

»Mein Name ist Moratho. Und Ihr habt recht, ich bin ein Magier. Doch ich bin kein Verräter.«

Barrath sah den Magier zweifelnd an.

»Das verstehe ich nicht. Auf welcher Seite steht Ihr?«

»Auf Eurer.«

»Und was ist mit Maki?«

»Das ist der Verräter, den wir suchten. Wir mussten ihm eine Falle stellen.«

»Maki? Ein Verräter?«

»Ja, er ist ein enger Vertrauter von Zarthas.«

Fassungslos blickte Barrath auf den Verletzten. Seine Gedanken kreisten um die Geschehnisse der letzten Minuten, doch zu viele Fragen waren noch offen, um alles verstehen zu können. »Aber … aber warum wurde ich nicht eingeweiht?«

»Das Risiko war uns zu hoch.«

»Uns? Wer steckt hinter dem Plan?«

»Axathor, Euer Auftraggeber, und Turroth, Euer Gildenmeister.«

Barrath rieb sich die Schläfen und blickte bestürzt auf seinen jungen Gefährten. Dann wandte er sich wieder dem Magier zu.

»Was ist mit dieser Schatulle? Was wollte Maki damit?«

»Er wollte die darin enthaltenen Dokumente vor unseren Blicken schützen.«

»Was für Dokumente?«

»Das müsst Ihr nicht wissen, Barrath.«

»Aber Ihr habt das Kästchen doch schon in der Hand gehabt. Ich verstehe das nicht.«

»Nein, was ich Euch gezeigt habe war lediglich eine Attrappe. Wir kannten das Versteck nicht und hatten gehofft, den Verräter auf diese Weise aus der Reserve locken zu können. Er sollte sehen, dass die Dokumente nicht mehr sicher waren.«

»Eine Falle?«

»So ist es. Dass Ihr niedergeschlagen wurdet, tut mir leid.«

»Ja, schon gut. Warum seht Ihr nicht nach, ob die Dokumente tatsächlich in der Schatulle sind? Es könnte ja ebenfalls ein Ablenkungsmanöver sein.«

»Eine Ablenkung? Nein, da bin ich mir sicher. Euer junger Gefährte wollte mir die Schatulle abnehmen, doch er konnte mich im Haus nicht finden. Um sicherzugehen, hat er das Versteck aufgesucht und dort die echte Schatulle gefunden.«

Moratho betrachtete die kleine, hölzerne Schatulle von allen Seiten.