Die Welt der Poesie für neugierige Leser (9): Dramatiker und Dichter der Moderne (Bertold Brecht, Carl Zuckmayer, Gerhart Hauptmann, Karl Heinrich Waggerl)

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Die Welt der Poesie für neugierige Leser (9): Dramatiker und Dichter der Moderne (Bertold Brecht, Carl Zuckmayer, Gerhart Hauptmann, Karl Heinrich Waggerl)
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Anne-Gabriele Michaelis

Die Welt der Poesie

für neugierige Leser

Herausgegeben und mit einem Vorwort von Jan Michaelis

Neunter Band:

Dramatiker und Dichter der Moderne

Bertold Brecht

Carl Zuckmayer

Gerhart Hauptmann

Karl Heinrich Waggerl

Engelsdorfer Verlag

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte bei der Autorin

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort von Jan Michaelis

Bertolt Brecht (1898-1956)

Carl Zuckmayer (1896-1977)

Gerhart Hauptmann (1862-1946)

Karl Heinrich Waggerl (1897-1973)

Die Autorin der Lebensbilder

Der Herausgeber und Autor des Vorwortes

Vorwort von Jan Michaelis

Die Moderne: Eine Zeit des Umbruchs

Dieser Band ist Dramatikern und Dichtern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewidmet, deren Leben und Werk von der Moderne geprägt wurde und diese mit ausgestaltete. Dabei sind die Lebensentwürfe so unterschiedlich wie das literarische Schaffen und die Innovationen dieser Meister des Wortes. Anne-Gabriele Michaelis hat wieder beispielhafte Werke herausgesucht, die zu den Lebensphasen passen, in deren Kontext sie zum Weiterlesen empfohlen werden. Diese Leseempfehlungen erleichtern den Zugang zu unbekannten Seiten der Dramatiker und Dichter. So kann jeder Entdeckungen machen. Der neugierige Leser wird dankbar dafür sein.

Anne-Gabriele Michaelis stellt den Dichter und Dramatiker Bertolt Brecht (1898 - 1956) in Leben und Werk vor.

Der deutsche Schriftsteller Brecht ist einer der einflussreichsten Dramatiker und Dichter des 20. Jahrhunderts. Er begründete das „epische Theater“, durch das er die Aktivität des Zuschauers weckte und zum Mitdenken der dargestellten Person und Verhältnisse anregte.

Wir empfehlen ausgesuchte Lyrik und Prosa Brechts zum Weiterlesen. Vielen dürfte gerade der Dichter Brecht noch eine Entdeckung wert sein. Seine Stücke werden ja noch immer an deutschen Bühnen aufgeführt. Aber wir wollen dazu verleiten, sich die Gedichte Brechts vorzunehmen.

Sein Konkurrent Carl Zuckmayer (1896 - 1977) wird von Anne-Gabriele Michaelis in Leben und Werk geschildert, was bei seinem langen Leben eine Herausforderung ist. Und sein Werk wirkt noch immer weiter, ist auf den Spielplänen der Bühnen zu finden, beeinflusst das Publikum und unterhält es mit einer Sprache, die wir noch immer problemlos als unsere erkennen und als zeitgenössisch empfinden, wenn auch die Themen teilweise überholt sind oder scheinen, man empfindet die Distanz zu dem Erleben im Kaiserreich und in den Zeiten der Weltkriege, das moderne ist die Form, der Inhalt droht historisch zu werden. Deshalb ist es wichtig sich auch die historischen Umstände für Zuckmayers Schaffen zu vergegenwärtigen und zu sehen, wie selbstverständlich seine Innovationen sind, wie frech modern er eigentlich war bis zum Skandal in seiner Zeit und wie moderat das heute wirkt und passt, als wäre es ein Stück über uns.

Gerhart Hauptmann (1862 – 1946) war einer der großen schlesischen Dichter und Dramatiker. Als Enkel eines schlesischen Webers wurde er berühmt durch sein Drama „Die Weber“ (1892). Darin, wie in den meisten seiner naturalistischen Werken, nahm er sich der gequälten Kreatur an. Der Russe Lew Tolstoi war sein großes Vorbild. Hauptmann erhielt 1912 den Nobelpreis für Literatur. Er erntete Ruhm und die Verführbarkeit dadurch, welche die Nationalsozialisten ausnutzen wollten.

Bei Hauptmann treten uns ein langes Leben und ein Schaffen über mehrere Jahrzehnte entgegen, wie es seines Gleichen sucht und womöglich in dem gern bemühten Vergleich mit Goethe findet. Dabei ist der Dichter „Der Weber“ mehrfachen Stilwechseln gefolgt oder hat sie gar vorgeführt und war selbst bahnbrechend. Expressionismus, Naturalismus, Symbolismus bis hin zum Surrealismus sind die Stile, die er mit dramatischen Werken vorangetrieben hat. Er hat Ruhm und Anerkennung zu Lebzeiten erfahren, aber auch Feindseligkeit und Ablehnung, wie auch Versuche durch Vereinnahmung und Missbrauch seiner Autorität ihn vor den Karren zu spannen.

Die besondere Dramatik des eigenen Lebens lag für Hauptmann in seiner Tuberkulosekrankheit, gegen die er den Kampf gewann, sowie in dem Kampf um seine wahre Liebe, die zu einer zweiten, über fünf Jahrzehnte haltenden Ehe führte. Doch die erste, gescheiterte Ehe gab ihm Stoff für sein Schaffen und er überhöhte in seinem Werk seine persönliche Erfahrung. Bei Hauptmann fließt also Biografisches in Literarisches ein, wird aber nicht einfach geschildert, sondern überhöht.

Der österreichische Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl (1897 - 1973) ist in Leben und Werk vorgestellt durch Anne-Gabriele Michaelis, die den Dichter noch im Radio hat lesen hören.

Er gehört zu den Dichtern, die den Menschen in die Welt der kleinen Dinge einführten. Man nannte ihn einen Volksschriftsteller. Wobei das ein Begriff war, der lange Zeit als herabwürdigend klang. Jahrelang war Waggerl der Mittelpunkt des Salzburger Adventssingens. Dazu ein Künstler feiner Zeichnungen und kunstgewerblicher Dinge, also ein mehrfachbegabter. Wenn wir auf ihn hinweisen, auch um ihn neu zu entdecken, mit Abstand und neuer Grundhaltung des in Heimat und Volk nicht nur die missbrauchten Begriffe der Propaganda einer Diktatur zu sehen, sondern zu entdecken, dass hier auch Literatur stattfinden kann im Bereich des Vertrauten und Überschaubaren, nach dem wir uns heute wieder sehnen. Dabei hat sich Waggerl von den Nationalsozialisten missbrauchen lassen, hat sich in die Propaganda eingebracht. Dies wahrzunehmen und die Verführbarkeit auch der Gebildeten und der Intellektuellen zu erkennen, ist uns wichtiges Lehrstück.

Ich wünsche diesem Buch viele Leser, wie es erfreulicherweise den ersten acht Bänden ergangen ist. Und den Lesern des neunten Bandes wünsche ich tiefe Freude an den Lebensbildern, die so kompakt einzigartig sind. Sie machen in der Kürze dennoch die Person lebendig und greifbar. Wenn dann die Leser an ihre Bücherwand treten und zugreifen, was da Jahre bereit stand, um es noch einmal hervor zu nehmen, so ist es gelungen, das zu wecken, was uns lebendig hält: die Neugier.

Einen herzlichen Dank an die Autorin für ihr unermüdliches Wirken gegen das Vergessen von Literaten, für ihre vermittelnde Tätigkeit, die es uns leicht macht, ihr aber viel Arbeit bedeutete und bedeutet.

Viel Freude mit dem neunten Band der Reihe „Die Welt der Poesie für neugierige Leser“ von Anne-Gabriele Michaelis und bleiben Sie neugierig!

Der Herausgeber, Düsseldorf 2016

Dramatiker und Dichter der Moderne

Lebensbilder

Lebensbild des Dichters und Dramatikers Bertolt Brecht mit Verweisen auf Lyrik und Prosa von Brecht zum Weiterlesen.

Bertolt Brecht (1898 - 1956)

Bertolt Brecht wurde als Eugen Berthold Friedrich am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren. Seine Jugendzeit steht im Zeichen eines bedeutungsvollen Widerspruchs. Er, der sehr bald der konsequenteste Kritiker der kapitalistischen Gesellschaft unter den deutschen Dichtern war, stammte nicht nur aus einem wohlsituierten Elternhaus, er wuchs auch zusammen mit seinem jüngeren Bruder Walter (1902) in einer Stadt auf, die von alters her, geradezu als Zentrum bürgerlichen Selbstbewusstseins und biederen Gewerbefleißes gelten kann. Zwar war um die Jahrhundertwende die Zeit der großen Bankhäuser Fugger und Welser verblasst, aber Augsburg entwickelte im Schutze wilhelminischer Gründerjahre (1870 – 1890) nach dem Ende des deutschfranzösischen Krieges 1871 eine emsige Kleinindustrie und gruppierte sich sorgfältig um die Zentren einer großen Vergangenheit.

Das ständische Bürgertum war zu Bourgeoisie geworden. Erinnerungen an sein Elternhaus finden sich nirgendwo. Es ist nur an Protestaktionen des jungen Brecht abzulesen. Betrachtet man Fotos von seinem Vater Berthold Friedrich Brecht (1869 - 1939), eines biederen und tüchtigen Direktors einer Papierfabrik, oder Bilder des kleinen Berthold, eines pfiffigen Bürschchens mit runden lebendigen Augen, übrigens die geerbten Augen seiner Mutter Sophie Brecht, geb. Brezing (1871 - 1920), so kann man sich des Gedanken nicht erwehren, dass dieses Bürschchen mit dem sauberen Matrosenkragen im Laufe seines Aufwachsens den Beginn seines fanatischen Hasses auf die wohlhabende Lebensweise in diesem Elternhaus fand. Sein späterer Kommentar dazu:

 

„Ich bin aufgewachsen als Sohn wohlhabender Leute! Meine Eltern haben mir einen Kragen umgebunden und mich erzogen in den Gewohnheiten des Bedientwerdens und unterrichtet in der Kunst des Befehlens. Aber als ich erwachsen war und um mich sah, gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht! Nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden. Und ich verließ meine Klasse und gesellte mich zu den geringeren Leuten“.

Dieser Widerstand gegen die Leute seiner Klasse begann ab 1908 als Gymnasiast, der schon mit 16 Jahren erfolgreich Gedichte veröffentlichte. Zuerst in der Schülerzeitung „Die Ernte“, dann ab 1918 in den „Augsburger neue Nachrichten“ und in linksgerichteten Organen unter dem Pseudonym „Berthold Eugen“.

Er saß des Sonntags, wie man erzählt, mit baumelnden Beinen auf dem Geländer der Sonntagspromenade und mokierte sich über die vorbeiziehenden Bürger, war auch gegen seine standesgemäßen Lehrer und deren Denkweise von aufsässiger Respektlosigkeit, was natürlich für ihn und einen seiner Freunde zum Ende des Schuljahres die Versetzung gefährdete.

Brecht versuchte nun in seiner Abschlussarbeit, von der seine Versetzung abhing, eine raffinierte Methode, er strich einige Fehler mehr an, als es zuvor der Lehrer getan hatte trat vor und fragte: „Was denn hier falsch sei?“. Man gab zu, dass hier einige Fehler zu viel angestrichen waren, er erhielt eine bessere Note und wurde versetzt! Schlauheit und das gewissermaßen politische Handeln kündigten sich an, zugleich mit einem Zweifel an der Autorität der Lehrer, das sich bald, in sehr nachdrücklicher Form, in einem Schulaufsatz über das Thema „Das es süß und ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben“ (Zitat von Horaz!) äußerte. In welchem Sinne dieses Thema abgehandelt werden sollte im Jahr 1915, dem ersten Kriegs- und Siegesrausch des Ersten Weltkrieges, kann man sich denken. Der 17-jährige Brecht schrieb unter anderem „Der Abschied vom Leben fällt immer schwer, im Bett wie auf dem Schlachtfeld, am meisten gewiss jungen Menschen in der Blüte des Lebens. Nur Hohlköpfe können die Eitelkeit soweit treiben, von einem leichten Sprung durch das dunkle Tor zu reden und auch dies nur solange sie sich weit ab von der letzten Stunde glauben. Tritt der Knochenmann aber an sie selbst heran, dann nehmen sie den Schild auf den Rücken und entwetzen, wie des Imperators feister Hofnarr bei Philippi, der diesen Spruch ersann „Mag es auch süß und ehrenvoll sein, für das Vaterland zu sterben, ich meine, es ist süßer, für das Vaterland zu leben!“ (Joannes Andoenus)“

Das gab einen kleinen Schulskandal! Brecht sollte relegiert werden, ihn rettete nur der Einspruch eines Lehrers, der meinte, es handele sich nur um ein verwirrtes Schülergehirn. Aber dieses Schülergehirn hatte schon eine außerordentlich selbständige Art zu denken entwickelt.

Nach dem Notabitur 1917 arbeitete er zuerst im Schreibstubendienst als Kriegsdiensthelfer. Er lernt in dieser Zeit die Tochter eines Augsburger Arztes, Paula Banholzer kennen und lieben, die er „Bittersüß, Bitterswert oder einfach Bi“ nennt.

Ab Oktober dieses Jahres schrieb er sich an der Universität in München als Medizinstudent ein. Dieses Studium musste er bald unterbrechen, als man im Frühjahr des letzten Kriegsjahres die 17-Jährigen und Greise einzog, da machte der 20-Jährige, der wegen seines schwachen Herzens vom Soldatendienst befreit wurde, als Sanitäter Kriegshilfsdienst in einem Augsburger Lazarett. Das Elend der Verkrüppelten, die ihm dort begegneten, hat Brecht nie vergessen.

Aus dieser Zeit stammt seine pazifistische Haltung, die er bis an sein Lebensende beibehielt. Er erinnerte sich noch später an einen Spruch, der im Volke umging: „Man gräbt die Toten aus“. Dieser Spruch inspirierte 1918 den jungen Brecht zu seiner „Legend vom toten Soldaten“, den der Kaiser ausgraben lässt, ihn „KV“ schreiben und nochmals den Heldentod sterben lässt. Eine grimmige Ballade, die er selbst in einer Münchner Kneipe vor Kriegsveteranen gesungen hat, die ihn aber daraufhin missverstanden haben, wem dieser scharfe Angriff gelte, und ihn mit Biergläsern traktierten.

In dieser Zeit ab 1918 entwickelten sich seine charakteristischen Konturen.

Zum Weiterlesen: Drei Balladen (1927 – 1937): „700 Intellektuelle beten einen Öltank an“ (aus „Lesebuch für Städtebewohner“), „Die Ballade von den Prominenten“ (aus den Songs der Dreigroschenoper), „Ballade, den schönen Damen gewidmet“

1919 entsteht sein Stück „Spartakus“, die erste Fassung von „Trommeln in der Nacht“ und sein Stück „Baal“, das er als Gegenstück zu „Der Einsame“ von Hanns Johst, der dramatischen Biografie des unglücklichen Dichters Grabbe (1801 - 1836) gegenüberstellt.

„Baal“, ein Wüstling, Säufer und Vagabund, der schließlich in einer Holzfällerhätte elend zu Grunde geht, war für Brecht ein Vorbild für das Abreagieren bürgerlichen Heldenlebens. Pate dazu standen ihm die Dichter Vagabunden Villon und Rimbaud, aber auch das Schicksal eines Joseph K. aus Augsburg, der ein lediges Kind einer dortigen Waschfrau war und früh in üblen Ruf geriet.

Das Brecht diesen Joseph K. zum Helden seines Stückes machte, hatte in gewisser Hinsicht auch mit ihm selbst zu tun, er setzte ihm autobiografische Lichter auf. Die Atmosphäre, Kneipen, Gassen und finsteren Mansarden seiner Vaterstadt Augsburg, in der er einige Jahre eine anarchische, gesetzlose Dachkammerexistenz in den Lechauen führte, eine Schar Freunde um sich, die er faszinierte und dazu eine große Anziehung auf Frauen ausübte, trotz seines schülerhaften Aussehens und seiner unmöglichen Kleidung.

In seiner Dachkammer hing überm Bett das Bild des syrischen Erdgottes Baal, gemalt von seinem Freund Caspar Neher. Er wird später die Bühnenbilder für Brechts Theaterstücke entwerfen. Diese baalsche Figur also, symbolisierte für ihn die Verkörperung einer Unersättlichkeit und taucht noch in seinen späteren Stücken in allen möglichen Varianten auf. Wie im „Kaukasischen Kreidekreis“ als Volksrichter Azdak, sogar im „Galilei“ lassen sich baalische Eigenschaften entdecken. In letzter Verwandlung taucht der unzerstörbare Gott als Soldat Schweyk auf, der mit lakonischem Gleichmut die Schrecken des Hitlerregimes übersteht – eine Allegorie des Volkes, das nicht zu töten ist.

Bis Dezember 1920 schreibt er Theaterkritiken für die Augsburger Zeitung „Volkswillen“, während er sein Medizinstudium in München fortsetzt. Er wird Mitglied einer literarischen Gruppe im Café Stephanie. Er wirkt, eingeführt durch Walter Mehring, in Trude Hesterbergs „Wilder Bühne“ mit, wo er gekonnt Balladen und Moritaten faszinierend vortrug. In Karl Valentins Theater betätigt er sich als Geräuschmacher. Nebenbei entsteht seine erste Gedichtsammlung „Die Hauspostille“ mit Schauerballaden, mit denen er nahe an die Todes- und Verfallsmystik der deutschen Barocklyrik, deren dichterische Formen er benutzt, heranrückt.

Eines seiner stärksten Gedichte über die „Kindsmörderin Marie Ferrar“ nimmt schon entschieden die Stellung für die Geschlagenen und Getretenen ein. Von hier ist es nicht mehr weit zur politischen Agitation, die er auf sein ureigenes Gebiet, das Theater verlegte.

In München nahm er vor allem Kontakt zu Lion Feuchtwanger auf, der sich so an diese Begegnung erinnert:

„Um die Jahreswende 1918/1919, bald nach Ausbruch der sogenannten deutschen Revolution, kam in meine Münchner Wohnung ein sehr junger Mensch, schmächtig, schlecht rasiert, verwahrlost in der Kleidung. Er drückte sich an den Wänden herum, sprach schwäbischen Dialekt, hatte ein Stück geschrieben „Spartakus“ und hieß Bert Brecht. Er sollte dieses Stück bald selbst an den Kammerspielen unter dem Titel „Trommeln in der Nacht inszenieren“.

Mit dieser Komödie, für die er durch Herbert Iherin den Kleist-Preis erhielt, rückte Brecht 1922 mit 24 Jahren in die erste Reihe der modernen Dramatiker. Eine ganz neue Auffassung von Theater kündigte sich an:

„Es gelang hier Brecht eine verblüffende Zeichnung des deutschen Kleinbürgers, einmal in der Darstellung der Familie Balicke, der geschäftemachenden Kriegsgewinnler mit ihrer verlogenen Mentalität, dann in dem Heimkehrer Kragler, der seine Braut von einem andern geschwängert vorfindet, und statt sich dem Spartakusaufstand anzuschließen, der in der selben Nach „seine Sache“ verficht, mit ihr ins Bett geht, um „Privatleben“ zu führen. Dazu gehörte eine ganz neue Bühnendekoration mit rotaufglühendem Mond, Geräusche wurden dünn angedeutet und im Zuschauerraum hingen einige Plakate mit Sprüchen z. B. „Jeder Mann ist der beste in seiner Haut“!

Eines seiner großen Vorbilder zeit seines Lebens war für Brecht der Münchener Komiker Karl Valentin. Unmittelbar unter dessen Einfluss entstanden zur Münchner Zeit drei Einakter: „Lux in Trenebis“, „Er treibt den Teufel aus“ und vor allem „Die Hochzeit“, die ein kleinbürgerliches Hochzeitsessen schildert, in dessen mit Bibelsprüchen und Banalitäten gewürzten Verlauf, der morsche Untergrund dieser Gesellschaft überspielt wird, die noch nicht bezahlten Möbel auseinanderfallen samt dem Ehebett.

Hier erweist sich Brecht als der größere Vorgänger Eugène Ionescos, der allein mit dieser Art „Kleinbürger-Enthüllung“ in parabolischer Form, die bei Brecht nur einen kleinen Teil in seiner Dramatik ausmacht, sein gesamtes Theater betreibt.

Valentins Volkstheater wurde von Brecht nicht blindlings nachgeahmt, vielmehr verfolgte er nur gewisse Tendenzen der Darstellung weiter, die ihn schon in den volkstümlichen Szenerien der Augsburger Jahrmarktspanoramen gefesselt hatten, nämlich die Übertragung der Situation ins szenischgleichnishafte Bild.

Im Oktober 1919, am 1.10., brachte Paula Banholzer Brechts Sohn Frank zur Welt. Am 1. Mai 1920 starb Brechts Mutter mit nur 49 Jahren. Nach ihrem Tod siedelt er ganz nach München über und mietet für sich und die Opernsängerin Marianne Zoff ein Zimmer in der Akademiestraße. Er hatte sie in Augsburg während ihres Debüts als „Carmen“ 1919 kennen und lieben gelernt. 1922 heiratet das Paar und fünf Monate nach der Hochzeit kam die Tochter Hanne zur Welt. Sie wird später als verheiratete Hanne Hiob in „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ die Johanna darstellen.

Zum Weiterlesen: Drei Geschichten von Herrn Keuner (aus „Lehrstücke“ (1930)) Es sind Lehrstücke, die im Lauf des Jahres 1929 - 1930 entstanden aus dem Zusammenhang mit dem 1926 entstandenen Stück „Fatzer“. Herr Keuner ist der Denkende, sein Ziel ist den Menschen auf ironische Weise den Spiegel vorzuhalten.

Sehr bald nach der Hochzeit, so erfahren wir aus seinem Tagebuch, merkt Brecht, dass ihm das luxuriöse Leben mit seiner schönen und eleganten Frau überfordert, denn er muss für dieses leben geldlich aufkommen, sich ständig unter Druck setzen. Er schreibt Filmdrehbücher und Kurzgeschichten für den „Neuen Merkur“. Er denkt in dieser Zeit, wieviel näher Paula Banholzer ihm ist. Sie hat ihren kleinen Sohn Frank in Pflege zu einem Distriktwegemacher gegeben. Brecht besucht Frank an seinem dritten Geburtstag und hat eine tiefe Freude an dem liebenswerten Buben, um den er sich ab 1921 kümmert und mit seinem Vater einen jahrelangen Kampf durchsteht, doch seinen Enkel in dem großen Haus in Augsburg aufzunehmen. Paula heiratet 1924 einen Kaufmann und holt Frank erst 1934 nach Augsburg. Von da an kümmert sich der Großvater auch um den 15-jährigen Enkel. Bert Brecht reiste 1921 zum zweiten Mal nach Berlin, wo er mit Verlagen und Theatern verhandelte. Er schreibt am „Dickicht der Städte“, das die unauflösliche Einsamkeit der Menschen im Dschungel der großen Städte schildert. Es ist in Brechts Werk, der Ausbruch der großen Kälte der menschlichen Beziehungen. Brecht bewegt sich hier nicht nur in unmittelbarer Nähe von Samuel Beckett, vielmehr hat er dessen Thematik einfach vorweggenommen: die absolute Isoliertheit, Kontaktlosigkeit in einer entleerten Welt, die sich auf den Untergang vorbereitet. Die Figur des Außenseiters, der an seinen Eltern fremd vorübergeht, sich den Hut ins Gesicht zieht und dem alles gleichgültig ist, taucht bei beiden auf, nur das Brechts Figuren von einem ungeheuren Lebenswillen getragen werden, überleben möchten, während sie bei Beckett nichts sehnlicher wünschen, als ausgelöscht zu werden. Das berühmte Selbstporträt „Vom armen B. B.“ weißt diese Züge auf.

Zum Weiterlesen: „Vom armen B. B.“

 

Die Uraufführung von „Trommeln in der Nacht“ an den Münchner Kammerspielen am 29. September 1922 sicherte ihm Beachtung weiter literarischer Kreise, vor allem aber der Berliner Theaterkritik. Ab diesem Jahr verbringt der 24-jährige Brecht die meiste Zeit in Berlin. Er erscheint auf literarischen Tees und lernte bei Otto Zareck, dem Redakteur des Berliner Tageblattes, den jungen Arnold Bronnen kennen, der gerade seine ersten Theatererfolge in Berlin feierte. Bronnen ist fasziniert von der seltsamen Erscheinung des jungen Brechts, der mit krächzender Stimme, eigenartig und scharf skandierend seine Balladen vortrug. Brecht bietet ihm an die Regie des „Vatermordes“ an Moritz Seelers „Junger Bühne“ zu übernehmen. Bronnen stimmte zu, was sich aber daraus ergab, war ebenso grotesk wie symptomatisch für die Auseinandersetzung des jungen Brechts mit dem herrschenden Schauspielstil dieser Zeit. Da standen oben auf der Bühne die gewaltigen Leiber einer Agnes Straub und eines Heinrich George und herein kam der dünne, kaum mittelgroße Augsburger und sagte ihnen, dass alles, was sie machten, Sch … wäre! Es endete im Chaos!

Da seine Einkünfte als Kommis bei Bronnen gering waren, wurde Brecht mit Unterernährung in die Charité eingeliefert. Ab 1923 wieder in München arbeitet er zusammen mit Feuchtwanger an Marlowes „Leben Eduards des Zweiten von England“. Seine Buchausgabe von „Trommeln in der Nacht“ widmet er Paula Banholzer. Beim Münchner Hitlerputsch 1923 ist Brecht zusammen mit Feuchtwanger auf der Liste der zu verhaftenden.

Er arbeitet nun als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen. Nach der Uraufführung „Leben Eduard des Zweiten“ unter seiner Regie, übersiedelt er 1924 nach Berlin und wird bis 1926, gemeinsam mit Carl Zuckmayer Dramaturg an Max Reinhardts „Deutschen Theater“. Hier begegnet ihm zum ersten Mal, die am 12. Mai 1900 in Wien geborene Helene Weigel, die als Schauspielerin nach Berlin engagiert worden war. Wieder beginnt eine Liebe, aus der, der am 3. November 1924 geborene Sohn Stefan stammt.

„Im Dickicht der Städte“ wird mit Fritz Kortner als Shlink, unter der Regie Eich Engels am Deutschen Theater aufgeführt. 1925 beginnt die Freundschaft mit dem Boxer Paul Samson-Körner, die Brecht zu der Kurzgeschichte „Der Kinnhaken“ anregt und er befreundet sich mit dem Maler George Grosz.

Brecht befasst sich nun gründlich mit dem Studium des Marxismus und führt die Arbeit an „Mann ist Mann“ fort. 1926 arbeitet er „Baal“ für die Berliner Aufführung um. Er fällt 1927 ein vernichtendes Urteil als Preisrichter eines Lyrikwettbewerbes, über die jungen Gedichteschreiber. Es entstehen weitere Kurzgeschichten, die im „Berliner Börsen-Courier“, der „Vossischen Zeitung“, in „Das Tagebuch“ und „Die Weltbühne“ bis 1931 erscheinen.

Im November 1927, nach fünf Jahren, lässt er sich von seiner Frau Marianne scheiden, sie wird 1928 die Frau Theo Lingens. 1928 spielen Helene Weigel und Heinrich George in „Mann ist Mann“ in der Uraufführung in Darmstadt.

Inzwischen hat Brecht „Beggar’s Opera“ von John Gay bearbeitet, die seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann aus dem Englischen übersetzte. Es entsteht durch die völlige Umgestaltung des Stückes die „Dreigroschenoper“ mit so berühmten Schauspielern wie Harald Paulsen, Rosa Valetti, Erich Ponto und Lotte Lenya, der Frau Kurt Weills, der die Songs vertonte. Diesmal gehen die Schauspieler auf Brechts Anweisungen ein.

Die desillusionierte Nachkriegsjugend hatte ihr Vergnügen an den klingenden Zynismen und klatschte Beifall, das Bürgertum fühlte sich wenig provoziert, die Marxisten waren enttäuscht. Der sensationelle Erfolg der „Dreigroschenoper“ trug Brechts Namen weit über Deutschland hinaus. Es gelang ihm, in einer theatralisch außerordentlich wirkungsvollen Mischung von parodistischer Handlung und Songs gleichsam einen Extrakt der 20er Jahre zu brauen. Er verstand es zündend, frech und von kaltschnäuziger Brillanz zu formulieren! Bedeutend war daran die Ummünzung von theatralischen Mitteln des Musicals in Mittel der Sozialkritik. Zu den stärksten Szenen gehören die Schilderungen kleinbürgerlicher Mentalität, die in der Londoner Unterwelt zu skurriler Komik gediehen, nämlich die Gleichung von Bürgertum und Verbrecherwelt von Brecht als verschärfte Parodie gedacht, ohne dass sich jemand wirklich getroffen fühlte. Und noch etwas geschah durch diesen Erfolg, von nun an stand ihm das Schiffbauerdammtheater Berlin als Experimentierbühne zur Verfügung!

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