Alptraum Wissenschaft

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Alptraum Wissenschaft
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Anne-Christine Schmidt

Alptraum Wissenschaft

Ein Schwarzbuch der Naturwissenschaften und des Wissenschaftssystems

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

I.I Das Naturkind

I. II Das Biologiestudium

I.III Die goldene Zeit

I.IV Das ungrüne Pflanzeninstitut mit dem Drogenhersteller

I.V Das Institut des Monsterprofessors

I.VI Ein kurzes Aufflammen guter wissenschaftlicher Arbeit

I.VII Das Institut der Professorenfreundin

I.VIII Das Institut, das mir einen glorreichen Beginn und ein schreckliches Ende bescherte

I.VIII.1 Eine kurze Institutscharakteristik

I.VIII.2 Die Geräteherrscherin

I.VIII.3 Der Themenklau

I.VIII.4 Der Folgeantrag und das Intermezzo mit der Haushaltsstelle

I.VIII.5 Als ich die Gunst meines Habilitationsförderers verlor

I.VIII.6 Wie ich mich von der Haushaltsstelle auf die nächste Projektstelle rettete

I.VIII.7 Explosion geballter negativer Energie

I.VIII.8 Wie man sich ein Einzelzimmer ersitzt

I.VIII.9 Das verspätete Habil-Gutachten

I.VIII.10 Die Endzeit meiner Universitätslaufbahn

I.IX Berufsaussichten in der Wissenschaft und Inhalte naturwissenschaftlicher Berufe

I.X Opfer, die man der Qualifikation zu erbringen hat

I.X.1 Die zwingend erforderliche Arbeitswut und der Reproduzierbarkeitswahn

I.X.2 Wissenschaftliche Vorträge und Qualifizierungsarbeiten

I.X.3 Das Opfer der eigenen Gesundheit und daraus abgeleitete Fragen zum Sinn der Arbeit

I.XI Kooperationsversuche

I.XII Ökologische Aspekte naturwissenschaftlicher Forschungsarbeit

I.XIII Eine kurze Zusammenfassung der für eine Karriere im Wissenschaftssystem nötigen Maßnahmen

I.XIV Der arbeitslose Wissenschaftler

II.I Zur Philosophie der Naturwissenschaft

II.II Der Allmachtsanspruch der Naturwissenschaft und ihrer Verfechter

II.III Auswirkungen von Naturwissenschaft und Technik auf die Ökosysteme der Erde

II.IV Auswirkungen des wissenschaftlich-technisch gestützten Lebensstils auf die psychische Situation des Menschen

II.V Ein Ausflug zum alten Bauerntum

II.VI Der Ausweg

Literaturverzeichnis

Impressum neobooks

Vorwort

Den blühenden Bergwiesen,

der Zauberfichte am Becherbach,

der Singdrossel,

dem Zaunkönig, der in unserer Scheune nistet

Und für Dietmar, einen Naturwissenschaftler, der es lernte,

die Natur mit dem Herzen zu sehen

Danksagung

Meine Niederschriften entstanden aus unmittelbar Erlebtem auf meinem Berufsweg im System der modernen Naturwissenschaft. Dass ich nicht über der Vielzahl brutaler Schwierigkeiten, die dieser Weg für mich bereithielt, zerbrochen bin und stattdessen eine gefestigte Stabilität und ein Stück Lebensglück erlangte, verdanke ich in erster Linie meinem Lebensgefährten Dietmar, der meine Sehnsucht nach einer naturnahen Lebensführung verstanden und deren tatsächliche Umsetzung begleitet hat. Eine innere Umkehr, die sich letztendlich in einer umfassenden Veränderung meiner Lebensgestaltung niederschlug, führte die Natur fern der wissenschaftlichen Kunstwelt selbst herbei. An dieser Stelle danke ich den Bergen, Wäldern und Wiesen im Erzgebirge, im Thüringer Wald, in der Dübener und der Dahlener Heide, in den österreichischen und den bayerischen Alpen und im Hochschwarzwald für die wunderschönen Tage und ergreifenden Empfindungen, die sie mir schenkten. Die rauschenden Zweige der alten Fichten erzählten mir unendlich mehr über die Natur als alle Labore der Naturwissenschaft. Ich danke meinem blühenden Garten, den Bienen und Hummeln, die summend die Blüten besuchen, und den letzten bunten Schmetterlingen.

Meinen Nachbarn in den Gärten am Feld, Heidrun und Manfred Schmidt, Erhard Pradel und Familie Göhler, danke ich dafür, dass sie mich aus den dunkelsten Stunden befreiten und mir eine verloren geglaubte Welt aus Hilfsbereitschaft, Rücksicht, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zurückbrachten. Meinen Eltern danke ich dafür, dass sie immer für mich da waren und manche eigenen Pläne wegen mir umstellten. Andreas Meißner danke ich für das mühevolle Korrekturlesen, die hilfreichen Kritiken und Hinweise.

Das vorliegende Buch handelt von meinen Erlebnissen in und mit der berufsmäßig und institutionalisiert betriebenen Wissenschaft und von dem Eindruck, den die moderne Naturwissenschaft und ihre Verfechter bei mir hinterließen. All die Missstände und Sinnlosigkeiten, die ich an verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen beobachtete und miterleben musste, möchte ich an die Öffentlichkeit bringen und beitragen, den Schleier zu lüften, der über den wissenschaftlichen Einrichtungen hängt. Das Buch blickt hinter die Fassaden einer aus öffentlichen Geldern und aus Industriemitteln finanzierten Wissenschaft. Alle geschilderten Ereignisse werden anhand ihres tatsächlichen Ablaufes dargestellt, wenn auch aus meiner persönlichen Sicht und Betroffenheit. Personen werden nicht mit ihrem Namen genannt, sondern humoristisch umschrieben. Da ich seit dem Ende meines Studiums im Jahre 1999 an sieben verschiedenen Instituten in drei verschiedenen deutschen Städten arbeitete, geben meine Schilderungen durchaus charakteristische Elemente der deutschen „Forschungs- und Bildungslandschaft“ wieder. Die Verwicklung meiner eigenen Lebensgeschichte mit der institutionalisierten Naturwissenschaft presste mich in ein krankmachendes Korsett aus häufigem Arbeitsplatzwechsel, ständigen Anfeindungen und enormem Leistungsdruck. Nachdem ich mittels einer dichten Folge kurzzeitig befristeter Arbeitsverträge den Doktorgrad erworben hatte, flog ich aus dem ersten Forschungsinstitut, in welchem ich als Postdoktorand eingestellt worden war, wegen eines Drogendeliktes des Forschungsprojektleiters während der Probezeit wieder heraus. Im nächsten Institut tyrannisierte mich der leitende Professor, weil sein Forschungskonzept nicht funktionierte, bis zum vorzeitigen Abbruch des Arbeitsverhältnisses. Nach einer neunmonatigen Zwischenstation in einer wegen der Emeritierung des Professors in Auflösung begriffenen Arbeitsgruppe wechselte ich an ein von der jungen Freundin des Institutsleiters „beherrschtes“ Institut. Danach erlangte ich eine gewisse Selbstständigkeit aufgrund der Einwerbung eigener Forschungsmittel, wodurch mich aber fortan am beherbergenden Institut ein jahrelanger Psychoterror durch Kollegen, Doktoranden und Professoren erwartete. Dieser, das wissenschaftliche Arbeiten behindernde und die eigene Gesundheit ruinierende Terror begann mit einer über Monate hinausgezögerten Einarbeitung in dringend benötigte Messtechniken, reichte weiter über die komplette Missachtung der Inhalte und Arbeitspflichten meiner projektgebundenen Forschungstätigkeit bis zum Versuch der Boykottierung meiner Habilitation. Eine gewisse Notwendigkeit besteht, die Geschehnisse ausführlich darzulegen, damit offenbar wird, mit welcher Willkür und vorsätzlichen Verantwortungslosigkeit Professoren gegen eine durch ihre Arbeitsvertragsbefristungen zur Rechtlosigkeit verdammte Nachwuchswissenschaftlerin vorgingen.

 

Obwohl ich seit dem Beginn meiner Promotion unablässig wie eine Besessene an meinen Forschungen arbeitete, Publikation auf Publikation veröffentlichte, um Forschungsgelder kämpfte und von Stelle zu Stelle sprang, fiel ich am Ende ins Nichts und verließ die Universität im Alter von 39 Jahren ohne Perspektive auf Anerkennung oder gar Weiterbeschäftigung.

Ich habe das Buch in zwei Teile untergliedert: Teil I beschreibt meine persönlichen Erfahrungen im System der modernen Naturwissenschaft und mit ihren Verfechtern. Er beleuchtet die Verhaltensweisen der neuen Professorengeneration und verdeutlicht die Rechtlosigkeit junger Wissenschaftler, die von einer kurzzeitig befristeten Stelle zur nächsten springen und damit von einem Spezialgebiet zum anderen, ohne auf zuvor gesammelte Erfahrungen zurückgreifen zu können. Das harte Konkurrenzdenken innerhalb der wissenschaftlichen Institute sowie zwischen Wissenschaftlern unterschiedlicher Einrichtungen wird ebenso beschrieben wie der unablässige Kampf um Forschungsfinanzen und die damit verbundene Weiterbeschäftigung im Wissenschaftssystem. Weiterhin wird im ersten Teil des Buches die Atmosphäre an den Instituten, zum Einen in Hinblick auf das zwischenmenschliche Miteinander und zum Anderen in Hinblick auf das fachliche Wirken, beschrieben. Schließlich wird die zweifelnde Frage gestellt, was an Gutem und Förderlichem aus dieser Kombination resultieren kann und ob dies überhaupt möglich ist. Ich hatte ein naturwissenschaftliches Studium gewählt, weil ich die Natur liebe und ihre Wesen achte. Was mir aber in der naturwissenschaftlichen Berufslaufbahn begegnete, war entweder voller Verachtung gegenüber der Natur, oder aber es war überhaupt kein Bezug mehr zur Natur zu finden.

Im zweiten und kürzeren Teil versuche ich, die Entwicklung und jetzige Ausformung der Naturwissenschaft zu betrachten, besonders im Hinblick auf ihr Verhältnis zu ihrem Namensgeber, der Natur. Ich stelle die naturwissenschaftliche Denkart in ihren Grundzügen dar und hebe die daraus resultierenden Auswirkungen auf das Leben der Menschen sowie auf die gesamte Natur hervor. Dabei greife ich auf Zitate anderer Autoren zurück, um diese ins Verhältnis zu meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen zu setzen. In der sich zuspitzenden ökologischen Katastrophe sehe ich eine ursächliche Beziehung zur Entwicklung der Naturwissenschaft und der ihr zu Grunde liegenden Philosophie.

Meine Ausführungen enthalten zum Teil Extremstandpunkte, die aus meiner persönlichen, von extremen Erlebnissen durchzogenen Erfahrung mit der modernen Handhabung der Naturwissenschaft heraus entstanden und manchen erschrecken mögen, doch Extremstandpunkte treten immer als Gegenpol zu ungünstigen einseitigen Entwicklungen auf. Ich verteufle nicht die Naturwissenschaft als solche, sondern die ihr innewohnende Anwendungsmanie und Technokratie, die sich gegen ihren Namensgeber, die Natur wenden, sie ausbeuten und zerstören. Die Naturwissenschaft könnte durchaus eine andere Blickrichtung einnehmen und damit andere Wege einschlagen, wenn sie sich zum Einen von ihren festgefressenen materialistischen Glaubensdogmen und zum Anderen von ihrer industriell-vertechnisierten Kurzsichtigkeit und Wirtschaftshörigkeit lösen würde. Ganz scharf aber verurteile ich die Arbeitsbedingungen, die sich Absolventen naturwissenschaftlicher Studiengänge bieten, sowie die uneingeschränkte Allmacht der Professoren. Die Naturwissenschaft ist entehrt und entwürdigt worden, gerade indem sie ihren wertvollen Untersuchungsgegenständen feindselig gegenübertritt, jedoch auch dadurch, dass sich die Arbeits- und Lebensumstände der Menschen, die sich der Naturwissenschaft widmen, immer mehr verschlechterten.

Trotz meiner kritischen Sicht auf die Entwicklung von Wissenschaft und Technik im Kontext der allgemeinen gesellschaftlichen Stagnation glaube ich an den Menschen und an all das Gute und Schöne, was in ihm ruht und erweckt werden kann, wenn die Bedingungen es zulassen und fördern. Ich glaube aber auch, dass sich die derzeitige Macht und Herrschaft von einer industriell geprägten Naturwissenschaft und Technik in ihrer aktuellen Form in solch ungünstiger Weise auf die Menschen auswirken, dass eben gerade das Gute und Schöne verjagt wird. Genau dies erlebte ich immer wieder in den Hochburgen naturwissenschaftlicher Forschung, den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, wo die für die Natur unerträgliche Herangehensweise und Ausrichtung naturwissenschaftlicher Forschung die zwischenmenschlich unerträglichen Zustände spiegeln.

Zur Veröffentlichung meiner Ausführungen in elektronischer Form möchte ich Folgendes anmerken: Ich bin ein Kind unserer Zeit und nutze die Technik dieser Zeit, trotz meiner Kritik an derselben, um interessierte Menschen zu erreichen, wenn es keine anderen Wege dafür gibt. Ich achte die Menschen, die sich mit dieser Technik befassen und mir meine Veröffentlichungen ermöglichen und danke ihnen dafür.

I.I Das Naturkind

Lange bevor ich den holprigen Weg durch die institutionalisierte Naturwissenschaft antrat, wuchs ich am Rande einer Kleinstadt, beinahe schon auf dem Dorfe, als unverfälschtes Naturkind zu einer zarten Gestalt heran. Eine innige Verbundenheit zu Pflanzen und Tieren prägte mich schon in der Kindheit und Jugendzeit. Für uns Kinder gab es nichts Schöneres als draußen in der Natur herumzustreunen und Streiche zu spielen. Einen Bruder hatte ich auch: er hieß Bello und war ein unserem Nachbarn zugelaufener Mischlingshund, den meine Eltern bei sich aufnahmen. Ich liebte ihn über alle Maßen. Als mein geliebter alter Weidenbaum am Flussufer gegenüber von unserem Haus gefällt wurde, trauerte ich lange. Auch als Bello gestorben war, trauerte ich. Der gute Hund war mir Freund und Lehrer. Das Lernen in der Schule fiel leicht und machte Spaß. Als Kind war mein Berufswunsch klar: als Tierarzt wollte ich meinen leidenden Schwestern und Brüdern helfen. In der frühen Jugendzeit erschien in meinen Träumen ein Zauberwesen, was mich mitnahm in seinen Wald, wo es mit Bäumen und Tieren sprach und mir die Pflanzen erklärte. Sein Gesicht und seine Gestalt strahlten Würde und gütige Strenge aus. Noch heute sehe ich es vor mir und höre seine Worte, die sich viel später bewahrheiteten: `Ich habe immer gewusst, dass Du wieder kommst`. Man kann als naturverbundener Mensch den Weg der heutigen Naturwissenschaften nicht gehen, ohne sich selbst und die Natur zu verraten. Das Zauberwesen sprach von der Heiligkeit der Natur, von der Achtung gegenüber allen Lebewesen, vom Verzicht, von Enthaltsamkeit, und dass man mit den Dingen sprechen kann. Die intensiven Träume begleiteten mich einige Jahre. Viele seiner Worte fand ich später in hinduistischen und buddhistischen Texten wieder, aber auch in alten Naturreligionen. Im späteren Berufsleben in naturwissenschaftlichen Institutionen begegneten mir keine Menschen mit ähnlich weisen Gedanken. Es ist zu bezweifeln, ob unsere heutige Gesellschaftsform und Lebensweise überhaupt noch Weise hervorzubringen vermag. In der späteren Jugendzeit öffnete sich mir eine besonders intensive Beziehung zu Bäumen. Oft fuhr ich stundenlang allein mit dem Fahrrad von Dorf zu Dorf über Landstraßen und Wege, durch Felder und Wiesen. Einem tranceartigen Zustand gleich nahm ich die alten Obstbäume am Wegrand wahr. Jenes losgelöste Schweben trug mich über das Land. Im Garten meiner Eltern arbeitete ich gern in den Blumenbeeten. Von einjährigen Sommerblumen sammelte ich jedes Jahr eigene Samen, die über den Winter in Gläschen im Keller lagerten. So säte ich dann im Frühjahr Bechermalven, Schmuckkörbchen, Jungfern im Grünen, Studentenblumen und Wicken, die dem Garten im Sommer ein buntes heiteres Gesicht schenkten.

Als ältere Schülerin arbeitete ich in den Ferien oft einige Wochen in einer Apotheke in unserer kleinen, damals noch verschlafenen Stadt. Es war tiefe DDR-Zeit. Dort konnte ich noch richtige klassische Apothekerarbeiten verrichten, Salben rühren und Pulver mischen. Diese Tätigkeiten machten viel Freude, und auch die Heilkunde interessierte mich. Aber die nette Leiterin der Apotheke sah ich immer nur am Schreibtisch sitzen. Die schönsten Apothekenarbeiten waren der Hilfskraft vorbehalten. Aus diesem Grunde verwarf ich die Idee, Pharmazie zu studieren, recht bald. Hinzu kam, dass im letzten Jahr meines Apothekenlebens die DDR-Epoche ein Ende fand und die klippsenden Preiszangen aus schwarzer Plaste in meine Hände fielen, mit denen ich von nun an tagein, tagaus acht Stunden lang kleine weiße Preisetiketten auf alle möglichen Tablettenschachtelchen und Fläschchen tackerte. Mit der Handarbeit im Apothekenlabor war es nun vorbei. Die freie Marktwirtschaft war eingezogen in die kleine Mohrenapotheke, mit Preisen wedelnd und bunten Verpackungen schillernd.

In mein Tagebuch trug ich damals empört ein, wie viele Autos plötzlich auf der Straße durch unsere kleine Stadt brausten, wo ich es gewohnt war, mit meiner Schulfreundin Silke am Abend Tennis über die Straße zu spielen. Ich positionierte mich auf dem Fußweg vor dem Haus meiner Freundin. Sie stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die wenigen Male, wenn ein Auto auftauchte, machten wir uns den Spaß, den Tennisball über das Autodach zu schießen. Wir brauchten keinen eingezäunten, mit Kunststoffbelag ausgelegten und mit Trinkwasser gespülten Tennisplatz, erst recht keinen überdachten. Jene historischen Tennisspiele fanden noch in den späten achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts statt, etwa 50 m vor einer heute gewichtigen Ampelkreuzung der Bundesstraße B 87, um die es tags und nachts herumbraust, von sich in alle vier Winde aufstauenden Autoschlangen bei Rotphasen unterbrochen. Der Verkehrsfluss, der unser fröhliches Tennisspielen ablöste, erzeugt auch keine freundlichen Mienen, weder bei in den Fahrzeugen hockenden Personen noch bei an der Ampelkreuzung auf das ersehnte grüne Leuchten wartenden, gar zu Fuß einher schreitenden Zeitgenossen. Zu den überwiegenden Zeiten befinden sich im Umkreis der Ampelkreuzung auch deutlich mehr und zumeist einsam in beräderten Metallkästen eingeschlossene Personen als außerhalb und nur von nach den Absonderungen der Metallkästen stinkenden und wegen ihrer Geräusche dröhnenden Luft umhüllt. Der Tennisplatz von einst hat sich verwandelt. Er ist dem übertechnisierten, industriellen Weltbild zum Opfer gefallen. Ebenso die Gemüter der Menschen, welche die Kreuzung passieren. Wir leben „in einer Gesellschaft, wo mir der Mensch nur noch in Form einer Blechkiste entgegenkommt, der mich mit zwei bösen Augen tödlich bedroht, dem ich ausweichen muss, statt dass ich ihm begegnen kann.“ [1] Die rollenden Maschinen dominieren unser Leben schon so sehr, dass „die Geographie eines Landes für die Bedürfnisse der Fahrzeuge und nicht für die der Menschen eingerichtet wird.“ [2] Von den fernen Zeiten, in welchen die Anwohner ihre Wäsche in dem durch das Städtchen fließenden glasklaren Fluss wuschen, weiß auch ich als in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts geborenes Menschenkind nur mehr vom Hörensagen. Eine braune Suppe ergießt sich durch das Flussbett. Auf dem Grunde wabert ein dichtes Geflecht aus Plastikfetzen.

Welche beruflichen Perspektiven eröffneten sich nun einem naturverbundenen jungen Menschen? Im Gymnasium erhielten wir keine Orientierung in Hinsicht auf unsere Berufswahl. Ich ließ mich auf dem Arbeitsamt beraten. Überall hieß es: Wenn jemand exzellente Abiturnoten vorweist, stehen ihm alle Studiengänge offen. Wählt entsprechend Eurer Talente und Interessen aus! Den Tierarzt von einst hatte ich aufgegeben. Auch den Apotheker. Schließlich entschloss ich mich für ein Studium der Biologie. Ein Lebensziel war damit verbunden: die Prinzipien und Zusammenhänge des Lebens begreifen zu lernen, den Wesen der Tier- und Pflanzenwelt tiefer zu begegnen, die Natur als unsere Herkunft und Heimat zu verstehen und zu schützen und die Lebensweise der Menschen mit der Natur in Einklang zu führen. Man erkennt aus meinen Idealen, dass mir pragmatisches Denken fremd war. Wie ich später jedoch schmerzlich bemerken musste, ist die beruflich betriebene Naturwissenschaft von pragmatischem Denken durchzogen wie von einem dichten Adernetz. In den Adern fließt ein eiskaltes, zahlengieriges Blut, das seine Nährstoffe aus Messgeräten und Computern bezieht. Die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Technik existiert nicht, und beide Disziplinen durchdringen und bedingen einander. Eine neue Technik verschafft neue „Einblicke“ in die Natur in Form neuer Messdaten. Umgekehrt generieren neue Entdeckungen in Physik, Chemie und Biologie neue technische Entwicklungen. Eine Endlosschraube wird kreiert, welche in mechanischer Gier alles auffrisst, was sich ihr in den Weg stellt. Auf der Strecke aber bleibt die Natur. An dieser Stelle greife ich auf die alte, beinahe abgedroschene Mahnung zurück: `Bitte niemals vergessen, dass auch der Mensch zur Natur dazu gehört.`

 

Ein Bezug zu den intensiven, naturverbundenen Erlebnissen meiner Jugend war in meiner späteren naturwissenschaftlichen Laufbahn nirgendwo zu finden. Nicht einmal einen Hauch davon fand ich in den zugehörenden Berufen wieder. Was ist uns hier verloren gegangen? Naturverbundenheit hat im naturwissenschaftlichen Berufsleben keinen Platz. „Die Übersetzung in das Nützlich-Stoffliche unterwirft die Wissenschaft dem Zwang der Sache, und hier entstehen die Sachzwänge, die alle beschreiben, wenn sie von den Denkenden den Pragmatismus des Handelns verlangen.“ [3] Das im heutigen Berufsalltag wie auch im Privatleben ständig präsente „Etwas-Erledigen-Müssen“ trägt sein Übriges bei zur kompletten Zerstörung mystischen Naturerlebens. Dem beruflich tätigen Naturwissenschaftler fehlt es an der Muße, überhaupt mit der Natur in Kontakt zu treten. Denn würde er sich tatsächlich auf das Wagnis einlassen, mit ihr eine echte Verbindung aufzubauen, liefe er große Gefahr, sein ihm so wichtiges künstliches Gedankengebäude einstürzen zu sehen. Doch immer weiter flieht die Natur vor dem Wissenschaftler, der mit immer größerem Geschütz auffährt, sie zu beherrschen und auszubeuten. Und so wird sich auch die Heilkraft einer Pflanze niemals im Labor und am Messgerät offenbaren, sondern durch mystische Schau, wie sie sich den Ureinwohnern aller Kontinente eröffnete [4]. Gregory Fuller spricht von der Unwiederbringbarkeit mystischer Erfahrung [5]. Mystische Erfahrungen sind untrennbar mit einem naturnahen Leben verbunden, welches eine ausreichende Empfindungs- und Wahrnehmungstiefe vermittelt. Unsere zeitgenössischen Naturwissenschaftler leugnen wohl jegliche Formen mystischer Erfahrung, weil sie selbst aufgrund ihrer vollständigen Naturentfremdung und Vercomputerisierung ihre Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeiten verloren haben. Wenn aber der Wissenschaftler das Lebendige und das Mystische nicht mehr spürt und erfährt, begegnet er der Natur als totem Objekt. Genau hier, wo der Verlust von Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen geschah, liegt der Ursprung für die allüberall um sich greifende Naturzerstörung, welche Naturwissenschaftler Hand in Hand mit Technikern, Industriellen, Politikern und den sogenannten Konsumenten all der wissenschaftlich-technischen Erfindungen letztlich zu verantworten haben.