heimatlos

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erfüllte, missbrauchte Flüchtlinge und einen Geist verbargen: Fhadi, Aleyaa, George, das Kind in George und die tote Mutter. Mir wurde klar, dass ich für sie alle eine Art analytisches Zuhause bereitstellen musste, auch wenn ich mich in bestimmten Momenten überfallen und meines vertrauten Settings beraubt fühlen würde. Rückblickend glaube ich, dass dies eine der Hauptschwierigkeiten in der Arbeit mit heimatlosen- oder Nirgends-Patienten ist: dass wir eine Struktur anbieten, die wir an einem bestimmten Punkt zeitweise verlassen werden müssen und dabei auf unsere eigene innere Heimat angewiesen sind.

Fhadi war in noch schlimmerer Verfassung als von George und in dem diagnostischen Bericht geschildert. In unserer ersten Stunde ließ er sich passiv von George hereinführen, reagierte nicht, als sich sein Vater verabschiedete und stand einfach mitten im Zimmer und starrte mit leerem Ausdruck in die Luft. Er war ein zartes, zerbrechlich wirkendes Kind, welches kurz davor schien, in den Boden auszulaufen. Seine Nase lief, Speichel tropfte aus seinem geöffneten Mund, und seine Augen waren nass. In seiner Hose gab es einen dunklen nassen Fleck. Er schien all dies nicht wahrzunehmen, und ich dachte, er sah wie eine gefrorene Maske eines weinenden Babys aus. In seiner linken Hand hielt er den Lappen seiner Großmutter und in seiner zusammengeballten rechten Faust ein Bündel scharfer Holzstücke. Nach wenigen Minuten fiel er in sich zusammen auf den Boden und bedeckte sein Gesicht mit dem Lappen, den er hielt. Ein Lumpen-Kind mit Lumpen bedeckt. Dann begann er, sich die scharfen Holzstücke in den Mund zu schieben. Währenddessen gab er Laute von sich, die sich allmählich wie ein Singsang anhörten. Ich hatte den starken Drang, ihn vom Boden aufzuheben und in meine Arme zu schließen. Ich dachte, dass dieses leere, auslaufende Kind von Verzweiflung und intensiven Daseinsängsten überwältigt war. Ich wurde auch auf seine eigenartige Wahl autistischer Objekte und Empfindungsformen neugierig – die Holzsplitter und den Lappen. Fhadis Singen jedoch schuf ein Klangobjekt (Maiello, 2009, 2011), welches ein Echo der verlorenen mütterlichen Stimme darstellte, die so entscheidend dafür ist, im Kleinkind Rhythmus, Kontinuität und Kommunikation zu erschaffen. Obwohl viel von dem, was ich sah, typischem autistischem Verhalten ähnelte, hatte ich den Eindruck, dass er nach einem Objekt suchte, vielleicht aufgegeben hatte, eines zu finden und daher in sehr konkreter Weise versuchte, sich zu bedecken mit was immer er finden konnte. In meiner Vorstellung ähnelte dies der Art und Weise, wie sich manche Obdachlose mit Lumpen und Karton zudecken, die sie ständig mit sich herumtragen. George berichtete mir, dass Fhadi sich kürzlich einige hebräische Worte angeeignet hatte, diese aber nur seiner Schwester gegenüber äußerte. Ich betrachtete dies als ein ermutigendes Zeichen und entschied daher, meine Deutungen auf Hebräisch zu machen, um ihn mit meiner Sprache zu versorgen. Ich hatte auch den Eindruck, dass er versuchte, mir etwas zu erzählen, also entschied ich, zurück zu erzählen, in einem Singsang, der seinem ähnelte. Ich sagte: „Da gibt es diesen kleinen Jungen Fhadi. Er kam, um diesen neuen Mann Joshua zu treffen. Fhadi ist leer, all sein Wasser läuft aus – aus seinen Augen, Mund und Pipi. Warum weint Fhadi? Warum ist er verloren?“ Fhadi fuhr fort, das Holz in seinen Mund zu schieben, dies aber ein bisschen schneller und nahm den Lappen vom Gesicht. Ich fuhr fort: „Fhadi zeigt Joshua, wie seine Mama weg war. Fhadi kann sie nicht finden. Wo ist Mama-Lappen? Wer wird für Fhadi singen?“ Fhadi schaute mich nicht an, aber warf den Lappen weg und heulte laut. „Mama weg, Fhadi weint über seine Mama. Fhadi möchte so wie Mama singen. Fhadi schreit: Mama, komm zurück und decke Fhadi zu.“ Das Geheul wurde lauter und ich bemerkte erschrocken, dass Fhadi das Innere seines Mundes mit dem scharfen Holz verletzt hatte und blutete. Ich nahm eine meiner Babyfläschchen und eine kleine Decke und kam näher. Ich sagte: „Weiche Mama ist weg aus Fhadis Mund, sie nahm den Mund und die Worte weg. Scharfer, harter Papa kommt rein und lässt Fhadi bluten. Fhadi ist hungrig und kalt. Wer wird Fhadi zu essen geben? Wer wird ihn zudecken?“ Ich setzte mich neben ihn und gab ihm die Flasche, deckte ihn mit der Decke zu. Er heulte und schrie, aber er nahm die Flasche, beruhigte sich langsam und schlief ein.

Im Verlauf der nächsten Monate mischten sich unter diese frühen, lähmenden Daseinsängste (fallen, sich verflüssigen, die Orientierung verlieren, in Stücke zerfallen) höher entwickelte Ängste: von einem mörderischen und zerstückelnden Penis-Vater eingenommen zu werden, die Mutter zu töten und um ihren Verlust zu trauern. Es wurde deutlich, dass der Verlust seines Mutter-Containers für Fhadi den Verlust eigener Körperteile bedeutete (hauptsächlich des Mundes, der Haut und seines Inneren), sowie seines Geistes (seine Sprache und Kommunikation). Es gab Anzeichen von primitiver Schuld, Neid und Angst vor seiner, durch seinen Vater personifizierten Destruktivität. Fhadi entwickelte eine Bindung an die Babyflasche, die ich ihm anbot, und sie ersetzte allmählich den Lappen und die Holzstücke. Allerdings riss er oft den Sauger mit seinen Zähnen ab oder drehte ihn von innen nach außen, kaute ihn, um ihn dann wegzuwerfen. Als ich seinen Wunsch deutete, Mama-mich zu schlucken und ihre Brust wegzunehmen, neben seiner Angst, dass sein gieriger Hunger uns beide zerkauen und zerstören würde, versteckte er sich, voller Entsetzen schreiend, unter der Decke und kam dann zu mir, um mich zu umarmen und fragte, ob er mich küssen könne, als versuche er, mich und Mama mit seinen Küssen wieder heil zu machen. Ein andermal, nachdem er die Flasche attackiert hatte, spuckte er mich an und sagte „zurück“, was ich als seinen Wunsch deutete, mir meine Brustwarze/Penis, welche er zuvor gestohlen und zerstört hatte, zurückzugeben. Häufig versuchte er, seinen Kopf in die Flasche und in das Spielhaus zu stopfen, als wollte er sich dort sicher unterbringen. George erzählte mir, dass Fhadi nach drei Monaten Analyse begann, mit ihm und seiner Kindergärtnerin zu sprechen. Wenn George ihn fragte „wie heißt du?“ antwortet Fhadi „Kein-Kein-Junge“ [no-no-boy] (Lolo Yeled). Wenn er ihn fragte „wo wohnen wir?“, mit der Erwartung, „Israel“ zu hören, was ein Wort war, das Fhadi erkannte und ausprobierte, zeigte der Junge hinauf in den Himmel. Dieses Szenario wiederholte sich in den Stunden. Fhadi initiierte ein Verstecken-Spiel. Er rannte aus dem Wartezimmer, kauerte unter einem Sofa und begann sofort zu weinen. Ich eilte zu ihm hin und fragte „was ist passiert? Hast du Angst, dass Joshua auch weg ist?“ Alles, was Fhadi schluchzend hervorbrachte, war „ich bin im Verloren, ich bin im Verloren“ (was sich im Hebräischen ähnlich seltsam anhörte: “Ani Beibud“). Erst dann, als er genügend Sprache und emotionalen Kontakt hatte, begann ich, mich auf diesen „Kein-Kein-Junge“ Zustand zu beziehen, als etwas wie keinen Körper zu haben, niemanden und nirgends zu haben, wo man sich verstecken kann. Fhadi begann, das Nirgends-Sein mit dem zu assoziieren, was er als auslaufende Container erlebte: er entwickelte eine Faszination dafür, Toiletten und Küchenbecken zu spülen. Als er soweit war, seinen auslaufenden Körper zu erleben, begann er, sein „Pipi“ und „Kaka“ über lange Zeiträume zu halten. Dieses Nirgends-Sein entwickelte sich langsam dahin, Objekte zu vermissen und objektbezogenen Kummer: keine Mutter, keine Großmutter und einen gefährlichen, feindseligen Vater, der in seiner Vorstellung alle von ihm genommen und ihn leer zurückgelassen hatte. Infolge dessen tauchte primitive Schuld bezüglich seiner eigenen aggressiven Wünsche gegenüber seiner Mutter und seinem Vater auf. Vorsichtige Versuche der Wiedergutmachung fanden statt. Er leckte den gebissenen Sauger ab und versuchte, ihn wieder anzuschrauben, legte die Holzstücke sorgfältig zusammen, während er seinen Daumen lutschte, und versuchte, mich abzulecken.

Fhadi kehrte zu dem „Kein-Kein-Junge“ und „dem Verlorenen“ zurück, um immer wieder von mir gefunden zu werden und dann die Welt neu betreten zu können. Allmählich bewegte er sich vom Nirgends-Sein hin zur Heimatlosigkeit. Er begann, mit dem Puppenhaus zu spielen, welches er ausleerte, kopfüber hielt, alle Möbelstücke und Familienmitglieder hinauswarf, um dann erschöpft und ausgelaugt auf dem Boden zu sitzen. Manchmal täuschte er vor, das Haus abzubrennen, aber als er damit begann, nässte er sich ein und versteckte sich unter der Decke, während er sich an meiner Babyflasche festklammerte und daran saugte. Einige Male zeigte er auf mich und sagte: „Zuhause“. Er wusste, dass sein Vater ebenfalls kam, um mich zu sehen und fragte ihn einmal, als er ankam, „wo ist Aleyaa?“ und schaute mich dabei hoffnungsvoll an. Ich dachte, dass Fhadi mich und die Analyse zu einem Container-Zuhause machte, nicht nur für seinen Körper, seine Objekte und seine traumatischen Erinnerungen, sondern auch für seine Familie und für seine Wünsche in Bezug auf eine neue wiederhergestellte Heimat. Er sprach erstaunlich gut auf meine Deutungen an, und ich erlebte es so, dass mein Körper, mein Geist und mein Verstehen für ihn nicht weniger wichtig waren, als die konkreten autistischen Zuhause-Objekte, mit denen er sich selbst versorgte. Er begann wie im Rausch Grundformen eines Hauses zu zeichnen, ein leeres, im Raum schwebendes Haus. Später kamen kleine Strichmännchen hinzu, dann einige rote und schwarze Flecken auf den Figuren (er stimmte zu, dass dies Blut und Kot waren), und schließlich einige Blumen in grün und gelb auf einem Grasboden. Der Lappen und die Holzstücke wurden in einer Schachtel unter seinem Bett aufbewahrt, und nachts schlief er ein, nur mit George, der neben seinem Bett saß und ihm israelische Lieder vorsang, die Fhadi im Kindergarten gelernt hatte (und die sein Vater auch lernen musste). Dann begann er, Berge zu zeichnen, weiche gerundete Berge, die wie Brüste aussahen.

 

George jedoch bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung und sein Zustand verschlechterte sich. Seine anfängliche drohende, manipulative Großspurigkeit wich schnell bitteren Erinnerungen an seine Zeit bei der SLA, Geschichten von Gewalt und Mord, und dann bitterem Groll gegenüber seiner distanzierten Mutter und seinem tyrannischen, kastrierenden Vater, der ihn in einen Krieg mit hineingezogen hatte, der nicht seiner war. Dann brachte er Kindheitsgefühle von Entfremdung und einem Mangel an Zugehörigkeit auf, welche durch Versuche ersetzt wurden, eine Identität anzunehmen. Zunächst in seiner Adoleszenz durch zwanghaftes Trainieren im Fitnessstudio und dem Erlangen einer maskulinen Muskelumhüllung, dann durch den Beitritt zur Miliz, Besuchen in der Kirche und der Aneignung eines omnipotenten Gott-Vaters. Vermutlich empfand er diese ‚Umhüllungen‘ als ungenügendes Zuhause, sodass er sich entschied, nach einer neuen Heimat in Europa zu suchen, gestützt durch das Architekturstudium, wo er zum omnipotenten Schöpfer von Häusern (Zuhause) wurde. Die Ehe mit seiner Frau und sein weiteres Abtauchen in die Ideologie der Miliz verstärkten dies. Der Tod seines Vaters und der Suizid seiner Frau, welchen er als sein Scheitern darin erlebte, sie mit einem Zugehörigkeitsgefühl und einer Heimat zu versorgen, sorgten für weitere Risse in seinem inneren und äußeren Zuhause. Der Mord an seiner Schwester und der Tod seiner Mutter, gefolgt von der Niederlage der SLA und dem von ihm so genannten „Verrat Israels“ (zuvor ein weiteres mögliches idealisiertes Vater-Objekt, das in ihm Bewunderung erweckte, neben Neid und nachfolgendem Hass), zerschmetterte sein letztes übrig gebliebenes fragiles Gefühl von Zugehörigkeit, und mit der Evakuierung fühlte er, wie er anfing, zusammenzubrechen. „Ich war nie zuhause, nirgends“ sagte er. „Aber ich fühlte es nur, ich wusste es nicht. Ich fühlte mich nie in meinem Körper zuhause, nie männlich genug für meinen Vater, nie christlich genug, und nie arabisch genug.“ Er beschrieb seine Suche nach einem Zuhause, nach einer strukturierten Identität in Westeuropa. Während seines Architekturstudiums suchte er nach einer Analyse, brach diese aber nach wenigen Stunden ab, weil der Analytiker still war und er nicht herausfinden konnte, „was er sein sollte“. Er meinte, er habe weiter gekämpft um seiner Kinder willen, aber als Fhadi diagnostiziert wurde, brach etwas in ihm schlicht zusammen.

Während Fhadi seine Stimme wiedergewann, aus seinem Nirgends-Sein auftauchte und damit kämpfte, ein Zuhause aufzubauen, das mit guten Objekten gefüllt war, verlor George all seine vormaligen Abwehrstrukturen und kam mit seiner Heimatlosigkeit in Kontakt. Heimatlosigkeit war für George, wie auch für seinen Sohn, nicht nur mit Kummer und Verlust assoziiert, sondern auch mit seiner eigenen Mordlust. Danach verlor er seine Stimme und verstummte während der Stunden. Zuvor hatte er einen wiederkehrenden Traum „ohne jeglichen Inhalt“ wie er sagte, „nur Bilder eines Treppenhauses an der Außenseite eines ruinierten, zerbombten Hauses, Treppen, die nirgends hin führten. Es erinnert mich an die Überreste eines alten Hauses in meinem Dorf, wo einige ältere Leute mit ihren Eseln wohnten. Es wurde bombardiert, und sie wurden alle darin begraben. Es ist wie ein Bild von Escher, wo du nicht wissen kannst, ob du innen oder außen bist, hoch gehst oder hinunter“. Er verfiel in eine Depression, litt an Schlafstörungen und benötigte Medikamente. Zuhause konnte er kaum noch funktionieren und er verlor seine Arbeit.

Georges langes, schweres Schweigen hatte die Qualität einer erstickenden Decke, die es mir nicht erlaubte, zu denken oder viel zu fühlen. Ich versuchte ab und zu eine Deutung, empfand es aber bald schon als sinnlos und konnte ihn gar nicht erreichen. Ich erinnerte mich an meine erste Sing-Stunde mit Fhadi, und wissend, dass George ein leidenschaftlicher Musikliebhaber war, schlug ich vor, da zu dem Zeitpunkt Worte offenbar leer und nutzlos waren, ob er vielleicht eine Musik mitbringen mochte, die wir gemeinsam anhören könnten. Es dauerte eine Weile, aber schließlich kam George mit einigen CDs an, der Großteil davon von Fairuz. Zuvor hatte er beschrieben, seine Frau sei „so schön wie Fairuz“.

Wir hören das Nostalgie Lied an. Ich kann keine Worte finden, sondern werde von Traurigkeit und lang-vergessenen Kindheitserinnerungen überflutet. Ich sitze mit meinem Vater im Haus meiner Kindheit in Haifa, auf dem Berg Karmel, die Bucht überschauend, mit den schneebedeckten Bergen des Libanon weit weg auf der anderen Seite. Mein Vater, ein großer Bewunderer und Unterstützer arabischer Kultur, hat den Fernseher angeschaltet und schaut das libanesische Programm, wo Fairuz eines ihrer bekanntesten Lieder singt, „Habbaitak“. „Ich liebte dich im Winter, ich liebte dich im Sommer“ singt sie… Aber auf hebräisch hörte sich das in meinen kindlichen Ohren so an wie „Habaita“, was so viel bedeutet wie nach Hause kommen, eine Heimkehr. Meine Traurigkeit wird tiefer, als Erinnerungen meiner verstorbenen Liebsten emporsteigen. Das Lied ist vorbei. Ich sage George: „Ich hörte Fairuz zu und sah die libanesischen Berge.“ George dreht seinen Kopf zu mir und schaut mich an. Dies ist ein nackter, roher Moment, in dem ich eine intensive Verbindung zwischen uns spüre – zwei Kinder auf verschiedenen Seiten desselben Berges, des Berges des Unbewussten. Er dreht sich weg und sagt leise: „Mein Vater pflegte zu sagen, dass unsere Berge so schön und so weich wie Frauenbrüste sind“. Ich spüre, wie die Traurigkeit sich auflöst, als ich realisiere, dass George beginnt, seine Heimat wiederzufinden, die Brüste seiner Mutter, deren liebevolle Bewunderung durch seinen Vater, und seine eigene Liebe für seine Frau. Es wurde nicht viel gesprochen, aber ich konnte erkennen, wie sich George auf der Couch entspannte. Ich empfand eine Erschöpfung, als hätte ich eine ungeheure körperliche Arbeit geleistet.

Fhadis Analyse und Georges Psychotherapie dauerten eineinhalb Jahre. Die Familie zog in die USA um, wo George einige Verwandte hatte, welche dort in einer lebendigen libanesischen Gemeinschaft lebten. Ich hatte das Gefühl, dass dies ein geeigneteres Zuhause für sie war, obwohl ich mir über Fhadis Trennung von seiner Analyse und dem erneuten Verlust einer weiteren – wenn auch temporären und komplizierten - Heimat Sorgen machte.

Abschließende Gedanken

Heimkehr

Schneefall, dichter und dichter,

taubenfarben, wie gestern,

Schneefall, als schliefst du auch jetzt noch.

Weithin gelagertes Weiß.

Drüberhin, endlos,

die Schlittenspur des Verlornen.

Darunter, geborgen,

stülpt sich empor,

was den Augen so weh tut,

Hügel um Hügel,

unsichtbar.

Auf jedem,

heimgeholt in sein Heute,

ein ins Stumme entglittenes Ich:

hölzern, ein Pflock.

Dort: ein Gefühl,

vom Eiswind hinübergeweht,

das sein tauben-, sein schnee-

farbenes Fahnentuch festmacht.

Paul Celan [6]

Celans Gedicht „Heimkehr“ kam mir in den Sinn, als ich diesen Vortrag schrieb. Die Heimkehr in diesem Gedicht ist eine Rückkehr zu Heimatlosigkeit und Nirgends-Sein. Und doch war es Celan, der sagte, „die Poesie ist eine Art von Heimkehr“. Ich glaube, dass in manchen weiten Gebieten von Heimatlosigkeit und Nirgends-Sein nur die Stille übrig bleibt, oder die Poesie und die Musik. Lazar (2017) beschreibt in ihrem Buch „Über das Böse sprechen“, wie das Böse die eigentliche Lebensmatrix zerstört und die Poesie dann ein Klagelied wird. Im selben Buch und in ihrem in Kürze erscheinenden Buch „Literatur lesen – eine psychoanalytische Perspektive“, zeigt Roth (2016) auf, wie die Literatur eine komplexe dialektische Bewegung innerhalb des Lesers in Gang bringt, welche Wiedergutmachung fördert und somit inhärent therapeutisch ist. Ist eine Wiedergutmachung jedoch möglich? Was, wenn wir nur eine Art von Heimatlosigkeit mit einer anderen ersetzen? Was, wenn die Heimatlosigkeit, wie das Unheimliche, immer da ist, auf der Lauer: Die Beatles empfehlen in ihrem ‚Nirgendsmann‘ Lied:

Nirgendsmann, bleib ruhig, laß dir Zeit, beeil dich nicht so. Warte ab, bis dir jemand eine Hand reicht.

Ich denke, mit ihrem Setting, ihrer Kontinuität, der Versorgung mit Verständnis, Bedeutung und Bezogenheit auf ein Objekt, und mit ihrem Bestehen darauf, jede Person auf der Basis zu behandeln, dass sie eine Seele hat, kann die Psychoanalyse sicher zuweilen diese Hand reichen, diese Zeit und diese Heimat bereitstellen.

Anhang
Die Notwendigkeit, die analytische Technik zu erweitern

Ich würde gerne 7 Prinzipien beschreiben, die ich bei der Arbeit in diesem Bereich als sinnvoll erachte. Ich möchte die Tatsache betonen, dass all diese zusätzlichen Deutungsmethoden mit den verbalen koexistieren und durch diese [verbalen] später aus- und durchgearbeitet werden.

In jeder Stunde gibt es ein Wechselspiel zwischen den folgenden Interpretationsweisen:

1. Körperschaft – die Errichtung eines körperlichen Containers für Patienten mit einer desintegrierten oder verwirrten Körperrepräsentation. Wir müssen dem Patienten oft dabei helfen, zwischen Körperteilen, zwischen innen und außen, Selbst und Objekt zu unterscheiden.

2. Personifizierung – der Analytiker bietet sich als lebendiger Begleiter [live companion] an, der seine totale Körper-Geist Präsenz in der Stunde nutzt. Dies schließt die Bereitschaft des Analytikers ein, dass in ihn hinein projiziert und eingedrungen wird, dass er somatische Halluzinationen erlebt, und auch, dass er seine innere Welt der Objektbeziehungen dem Patienten zunutze macht. Dies beinhaltet ein enges Überwachen der psychosomatischen Gegenübertragung des Analytikers und der somatischen Halluzinationen als autistische Kommunikation.

3. Die Kombination von Körperschaft und Personifizierung fördert die Entwicklung von Mehr-Dimensionalität (Meltzer) und Orientierungsfähigkeit (Houzel), welche im ASD Kind eingeschränkt sind.

4. Handelndes Wiedergutmachen – unter Anwendung verschiedener Techniken wie Imitation, Gefühlssteigerung und -verstärkung. In diesem Sinne müssen wir oft den Anfang machen mit einer Handlung; eine Geste, welche auf fast konkrete Weise die Möglichkeit von Integration [7] und Wiedergutmachung erkennen lässt.

5. Wieder-Zusammenfügen der verbindenden Funktion – aktives und konkretes Wieder-Verbinden der desintegrierten Elemente unbewusster Phantasien (Verbinden von Körperteilen, Affekten, fragmentierten Teilobjekten und zwischen Selbst und Objekten).

6. Zurückfordern (Alvarez, 1992) – den Patienten aus seinem zurückgezogenen Zustand in die Beziehung in der Stunde zurückholen.

7. Phantasien über „einen virtuellen Patienten“ zulassen: ein Bild, das die Hoffnungen des Analytikers für eine zukünftige erfolgreiche psychologische Entwicklung des Patienten repräsentiert. Ich habe den Begriff ‚virtuell‘ gemäß Freuds Beschreibung in der „Traumdeutung“ gewählt (1900): „Alles, was Gegenstand unserer inneren Wahrnehmung werden kann, ist virtuell, wie das durch den Gang der Lichtstrahlen gegebene Bild im Fernrohr“ (S. 616). [8]

Dies ist eine Erinnerung an das zukünftige Kind.

Übersetzung aus dem Englischen von Annerose Winkler