Marketing

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Abkürzungsverzeichnis


Abb.Abbildung
B2Bbusiness-to-business
bzw.beziehungsweise
CHFSchweizer Franken
d.h.das heisst
etc.et cetera
evtl.eventuell
f.folgende
ff.fortfolgende
inkl.inklusive
M-MixMarketingmix
Mio.Millionen
POSPoint of Sale
sog.so genannte
Tab.Tabelle
u.a.unter anderem
USPUnique Selling Proposition
usw.und so weiter
u.U.unter Umständen
vgl.vergleiche
z.B.zum Beispiel
z.T.zum Teil

Teil I: Begriffe und konzeptionelle Grundlagen

Um die Probleme des Marketing zu verstehen und um Grundlagen für deren systematische Behandlung zu schaffen, ist es notwendig, den Marketingbegriff sowie weitere Grundbegriffe zu präzisieren und einen Gedankenrahmen zu entwickeln, der es erlaubt, das Marktgeschehen zu beschreiben und zu begreifen.

Zu diesem Zweck werden in Kapitel 1 zunächst Begriff, Wesen und Bedeutung des Marketing erläutert. In Kapitel 2 wird sodann der Systemansatz genutzt, um die komplexen Beziehungen zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern strukturiert als „Marktsystem“ zu modellieren. Das vorgeschlagene einfache Modell erlaubt es zudem, die für das Verständnis des Marktgeschehens wichtigsten Fachausdrücke in einen umfassenden Gedankenrahmen einzuordnen.

1 Inhalt und Bedeutung des Ausdrucks Marketing

Kapitel 1 dient dazu, den Marketingbegriff zu präzisieren und die Grundideen des Marketing vorzustellen. Zu diesem Zweck wird zunächst in Abschnitt 1.1 auf gezeigt, dass der Ausdruck Marketing in drei verschiedenen Kontexten gebraucht wird und deshalb drei einander ergänzende Begriffsauffassungen zu unterscheiden sind. In den Abschnitten 1.2 bis 1.4 werden sodann Inhalt und Bedeutung der verschiedenen Interpretationen näher erläutert.

1.1 Anwendungsbereiche des Ausdrucks Marketing

Das anglosächsische Wort Marketing ist seit geraumer Zeit im deutschen Sprachbereich zu einem gängigen Ausdruck der Alltagssprache geworden. Es darf deshalb nicht erstaunen, dass mit Marketing unterschiedliche Begriffsinhalte verbunden werden. Dementsprechend beklagen auch verschiedene Autoren von Marketinglehrbüchern die Vielfalt und z.T. auch die Widersprüche der in der Fachliteratur und in der Unternehmenspraxis gebrauchten Marketingbegriffe.1 Diese Klagen sind jedoch nur teilweise berechtigt, denn sie übersehen, dass der Ausdruck Marketing in drei verschiedenen Zusammenhängen gebraucht wird, was naturgemäss zu unterschiedlichen Definitionen führt.

Marketing dient

 zur Bezeichnung bestimmter im Unternehmen zu erledigender praktischer Aufgaben,

 zur Spezifizierung der Grundeinstellung des Unternehmens bzw. der Mitarbeitenden eines Unternehmens gegenüber dem Markt, insbesondere gegenüber den Kunden und ihren Bedürfnissen und

 zur Benennung einer Spezialdisziplin der Betriebswirtschaftslehre bzw. einer Wissenschaft.

Die drei Anwendungsarten des Ausdrucks Marketing stehen zueinander in einem komplementären Verhältnis.2 Wie die dick ausgezogenen Pfeile in Abbildung 1-1 andeuten, hängt die Art und Weise der Erfüllung der praktischen Marketingaufgaben einerseits von der Marketinggrundhaltung3 und andererseits von den Fähigkeiten zur Anwendung der Marketingmethoden ab, welche die Marketingwissenschaft bereitstellt. Die dünneren Pfeile bringen zum Ausdruck, dass Marketing als angewandte Wissenschaft sich inhaltlich an den Problemen der praktischen Marketingaufgaben und an den Überlegungen zur Marketinggrundhaltung orientiert.

1.2 Marketing als Aufgabe

Aus der Sicht des Unternehmens ist Marketing in erster Linie eine praktische Aufgabe,

 die alle Entscheide und Aktivitäten der Mitarbeiter einer Unternehmung umfasst,

 die dazu dienen, Absatzmärkte zu finden und durch Gestaltung entsprechender Angebote sowie weiterer Massnahmen zur Beeinflussung der Marktpartner

 die Erreichung der Unternehmensziele sicherzustellen.


Abb. 1-1: Beziehungen zwischen den Anwendungsbereichen des Ausdrucks Marketing.

Marketing als praktische Aufgabe existiert in jedem Unternehmen, unabhängig davon, ob der Ausdruck im Unternehmen zur Bezeichnung bestimmter Stellen und Abteilungen oder gewisser Aufgaben gebraucht wird. Selbst wenn ein Unternehmen sich darauf beschränkt, bestimmte Produkte ohne Werbung und ohne aktiven Verkauf anzubieten, betreibt sie demgemäss Marketing, da sie zumindest durch die Gestaltung der Produkte, durch die Festlegung von Preisen und durch die Aufnahme von Kontakten mit potenziellen Käufern Massnahmen ergreift, die irgendwelche Nachfrager in ihren Kauf- und Gebrauchs- oder Verbrauchshandlungen beeinflussen. Marketing als praktische Aufgabe existiert somit in jedem Unternehmen, das materielle Produkte oder Dienstleistungen anbietet und in irgendeiner Weise an Nachfrager verkauft, die über eine gewisse Wahlfreiheit verfügen. Im Extremfall einer Monopolsituation mit einem einzigen marktbeherrschenden Anbieter kann sich die Wahlfreiheit darauf beschränken, zwischen dem Kauf der einzigen angebotenen Leistung und einem Kaufverzicht zu wählen.

Akzeptiert man die vorgeschlagene Interpretation von Marketing als Aufgabe, so wird die in der Praxis zuweilen geäusserte Aussage, ein bestimmtes Unternehmen betreibe kein Marketing, unsinnig. Marketing ist notwendiger Bestandteil jeder Marktwirtschaft. Die zentrale Frage aus praktischer Sicht lautet deshalb auch nicht: „Betreibt die Unternehmung X Marketing?“, sondern „Mit welcher Grundhaltung, mit welchen Fähigkeiten und mit welcher Intensität werden in der Unternehmung X die Marketingaufgaben wahrgenommen?“. Durch diese neutrale Umschreibung wird es möglich, das in einem Unternehmen praktizierte Marketing als mehr oder weniger zweckmässig zu qualifizieren.

Abbildung 1-2 vermittelt einen groben Überblick über die Vielfalt möglicher Marketingaufgaben. Folgende Aufgaben werden dabei unterschieden:

 Aufgaben der Gestaltung und des Einsatzes der auf dem Markt wirksamen Instrumente des Marketingmix

 Aufgaben der Gestaltung und des Einsatzes der Marketinginfrastruktur bzw. der dem Marketing zur Verfügung stehenden Führungsmittel, Führungsinstrumente und Potenzialfaktoren


Abb. 1-2: Marketingaufgaben4

Es ist zu betonen, dass die in Abbildung 1-2 zusammengestellten Marketingaufgaben keineswegs allein von Abteilungen bzw. Stellen wahrgenommen werden, die Worte wie Marketing, Absatz, Vertrieb oder Verkauf als Abteilungs- oder Stellenbezeichnung führen. Insbesondere wird die Geschäftsleitung häufig in die Gestaltung des Marketingmix und die Bereitstellung der Marketingführungsmittel eingreifen wollen bzw. eingreifen müssen. Des weiteren werden die Verantwortlichen der Produktion, der Forschung und Entwicklung und des Rechnungswesens je nach Branche und Unternehmenstyp z.B. die Gestaltung der Produkte, den Kundendienst oder auch die Preissetzung bestimmen oder wenigstens beeinflussen. Selbst die Telefonistin oder der Portier sind in gewissem Masse zumindest an der Durchführung von Marketingaufgaben beteiligt, wenn sie Kunden mehr oder weniger freundlich, mehr oder weniger kompetent begrüssen und an die zuständigen Stellen verweisen.

Als Marketingstellen werden in diesem Zusammenhang alle organisatorischen Einheiten bezeichnet, die gemäss Organigramm (oder de facto) in erster Linie Marketingaufgaben im Sinne der Aufzählung von Abbildung 1-2 wahrnehmen. Die Tatsache, dass diese Einheiten in vielen Unternehmen nicht einer zentralen Marketingleitung unterstehen, stört nicht. Faktisch gehören Verkauf und Distribution, Werbung, Verkaufsförderung, Marktforschung usw. zu den Marketingstellen und sind damit Teilbereiche des umfassenden Marketingbereichs.

Die Auflistung praktischer Marketingaufgaben in Abbildung 1-2 orientiert sich im Wesentlichen an den Marketinginstrumenten. Diese werden jedoch nie einzeln, sondern immer in Form von Massnahmenpaketen, die gewissen Zwecken dienen, genutzt. Damit rückt der Zweck des Instrumenteneinsatzes stärker in den Vordergrund. Eine interessante, vom Zweck der Instrumentennutzung ausgehende Strukturierung der Marketingaufgaben haben Tomczak/ Reinecke im Rahmen ihres „aufgabenorientierten Ansatzes des Marketing“5 entwickelt.

 

Der aufgabenorientierte Ansatz verdeutlicht, dass jedes Unternehmen zur Sicherung des Markterfolges vier zentrale Aufgaben zu erfüllen hat. Konkret geht es um die Aufgaben der Kundengewinnung, der Kundenbindung, der Leistungsinnovation sowie der Leistungspflege.

Wie in Tabelle 1-1 dargestellt, können Unternehmen ihre Wachstums- und Gewinnziele erreichen, indem sie neue Kunden akquirieren oder die bestehenden Kunden an das Unternehmen binden und deren Kauffrequenz und -intensität sowie Verbundkäufe erhöhen (Kundenperspektive). Ergänzend hierzu bestehen auf der Leistungsseite die Möglichkeiten, sich auf bestehende Leistungen zu konzentrieren oder neue Leistungen anzubieten (Leistungsperspektive).

Im Rahmen der Kundengewinnung geht es um das Erschliessen von Kundenpotenzialen. Die Kundengewinnung umfasst sämtliche Massnahmen, die dazu führen, dass ein Kunde erstmals beim betreffenden Unternehmen kauft. Dabei kann es sich einerseits um Kunden der Konkurrenz und andererseits um bisherige Nichtverwender handeln. Kundengewinnung setzt voraus, dass relevante Bedürfnisse der potenziellen Kunden erkannt und gezielt angesprochen werden.

Im Rahmen der Kundenbindung sollen dagegen existierende Kundenpotenziale zur Erreichung der Unternehmensziele genutzt werden. Es wird angestrebt, dass Kunden Wieder- und Folgekäufe beim Unternehmen durchführen und nicht zu Konkurrenten abwandern. Verschiedene Faktoren können die Voraussetzung für Kundenbindung bilden. Ein besonders wichtiger Einflussfaktor ist dabei die Kundenzufriedenheit. Kundenzufriedenheit ergibt sich aus dem Grad der Übereinstimmung der subjektiven Erwartungen mit der wahrgenommenen Leistungserfüllung und stellt somit das Ergebnis eines Soll-Ist-Vergleiches dar.6 Eine hohe Kundenzufriedenheit induziert dann häufig auch eine hohe Kundenbindung.


WertgeneratorenKernaufgabeOperationale Definition
Zukünftige KundenKundenakquisitionSämtliche Massnahmen, die dazu führen, dass ein Kunde erstmals beim betreffenden Anbieter kauft.
Aktuelle KundenKundenbindungSämtliche Massnahmen, die zu kontinuierlichen oder vermehrten Wieder- und Folgekäufen führen bzw. verhindern, dass Kunden abwandern.
Neue LeistungenLeistungsinnovationSämtliche Massnahmen, die ergriffen werden, um neue Angebote zu kreieren und im Markt durchzusetzen.
Bestehende LeistungenLeistungspflegeSämtliche Massnahmen, die zu einer möglichst nachhaltigen Marktpräsenz eines Angebots führen.

Tab. 1-1: Kunden und Leistungen als Wertgeneratoren7

Allerdings ist dies nicht notwendigerweise immer der Fall. Geringe Kundenbindung trotz hoher Kundenzufriedenheit ergibt sich zum Beispiel aus einem Abwechslungsbedürfnis der Kunden. Insbesondere bei Gütern, deren Erwerb aus Kundensicht nur ein geringes Risiko in sich birgt, wechseln Kunden häufig trotz Zufriedenheit zwischen den Angeboten verschiedener Unternehmen (Variety-seeking-Phänomen).8 Auch kann sich Kundenbindung ohne Kundenzufriedenheit ergeben. Man spricht dann beispielsweise von wettbewerbsinduzierter Kundenbindung aus Mangel an Alternativen (keine Konkurrenzangebote) oder von faktischer Kundenbindung, die sich aufgrund technologischer Standards, rechtlicher Verträge oder ökonomischer Überlegungen (Wechselkosten, Rabattsysteme etc.) ergibt. Zudem kann auch Bequemlichkeit zur Kundenbindung führen.9

Auf der Leistungsseite spricht man von Leistungsinnovation, wenn neue Angebote entwickelt und am Markt durchgesetzt werden. Neue Marktleistungen bilden Leistungspotenziale, die insbesondere dann Erfolge generieren können, wenn sie im Vergleich zu anderen Leistungen einzigartig sind und einem existierenden oder entwickelbaren Bedürfnis entsprechen.

Im Rahmen der Leistungspflege geht es darum, vorhandene Leistungspotenziale (Produkte, Dienstleistungen) zu verbessern oder besser zu nutzen. Dies geschieht durch Weiterentwicklung existierender Problemlösungen, durch bessere Anpassung der Leistungen an die Bedürfnisse bisheriger Kunden oder durch Produktveränderungen, die eine Erschliessung neuer Märkte und/ oder Kundengruppen erlauben.

Bleibt die Frage, welche Beziehungen zwischen der erweiterten aufgabenorientierten Sicht von Tomczak/ Reinecke und der zuvor vorgestellten instrumentenorientierten Umschreibung der Marketingaufgaben bestehen. Geht man davon aus, dass aus praktischer Sicht die Realisierung von Marketingmassnahmen in allererster Linie der Erreichung der Unternehmensziele dient, so lassen sich Kundengewinnung und Kundenbindung als zentraler Beitrag des Marketing zu deren Erfüllung und damit als eigentliche Kernaufgaben des Marketing interpretieren. Der Marketingmix und die Marketinginfrastruktur werden damit zu Instrumenten bzw. Mitteln, deren Gestaltung den konkreten Inhalt der Kernaufgaben bildet. Zu diesen Mitteln gehören dann auch die Leistungsinnovation und Leistungspflege, die letztlich nur Sinn machen, wenn sie dazu dienen, Kunden zu gewinnen und/ oder zu binden. Es wird deshalb vorgeschlagen, diese von Tomczak/ Reinecke hervorgehobenen Themen als besonders wichtige Aufgaben der Gestaltung des Leistungsangebots (und damit des Marketingmix) zu betrachten, welche das Marketing mit anderen Funktionsbereichen (insbesondere mit den Bereichen Forschung/ Entwicklung und Produktion/ Leistungserstellung) verbinden. Abbildung 1-3 zeigt den Zusammenhang zwischen übergeordneten Unternehmenszielen, Kernaufgaben des Marketings und Marketinginstrumenten.

1.3 Marketing als Wissenschaft

Wie in Abbildung 1-1 dargestellt, dient der Ausdruck Marketing auch zur Bezeichnung einer wissenschaftlichen Disziplin, der Marketingwissenschaft. Diese wird gängigerweise als Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre aufgefasst und als angewandte Wissenschaft interpretiert, welche die Erfüllung der in Abschnitt 1.2 erläuterten praktischen Aufgaben unterstützt. Konkret geschieht das durch die Entwicklung von Modellen zur Erklärung der Marktzusammenhänge und des Erfolgs von Marketingmassnahmen sowie durch Bereitstellung von (wissenschaftlich fundierten) Methoden zur Entdeckung, Analyse und Lösung der Probleme der Marketingpraxis.

Aus dieser Sicht lässt sich Marketing definieren als Wissenschaft zur Entwicklung

 von Modellen zur Erfassung und Erklärung des Zusammenhangs zwischen Marketingmassnahmen, Kaufverhalten und Markterfolg sowie

 von Methoden zur systematischen, wissenschaftlich fundierten Lösung von Marketingproblemen.


Abb. 1-3: Marketingaufgaben und Marketinginstrumente

Zentral für ein präzises Verständnis dieser Begriffsumschreibung sind die Ausdrücke „Modelle“ und „Methoden“. Diese sollen deshalb kurz erläutert werden.

Modelle sind für bestimmte Zwecke oder Sichtweisen erstellte vereinfachte Abbilder der Wirklichkeit. In diesem Sinne ist die geographische Landkarte ein Modell der Lage, Grösse und Distanzen von Städten, Flüssen, Bergen sowie Landesgrenzen. Offensichtlich wird nur ein kleiner aus geographischer Sicht interessierender Ausschnitt der Wirklichkeit des Landes beschrieben. Über Aspekte der Kultur, Politik oder Wirtschaft des Landes gibt die normale geografische Landkarte keine Auskunft.

Im Allgemeinen wird zwischen Beschreibungs- und Erklärungsmodellen unterschieden. Die geografische Landkarte ist ein Beschreibungsmodell, sie beschreibt die Lagestruktur geografischer Parameter und verhilft so Personen, die eine Reise unternehmen möchten, zu einer besseren Orientierung bzw. zu einem besseren Problemverständnis. Die Landkarte ist dagegen kein Erklärungsmodell. Erklärungsmodelle umfassen mindestens eine abhängige und eine unabhängige Variable und bringen Ursachen-Wirkungsbeziehungen bzw. Abhängigkeiten zwischen diesen zum Ausdruck.

Die Marketingwissenschaft befasst sich mit Beschreibungs- und mit Erklärungsmodellen. Ein einfaches Beschreibungsmodell ist etwa das Organigramm einer Marketingabteilung als Beschreibung der Unterabteilungen und Stellen des Marketingbereichs sowie ihrer hierarchischen Einordnung. Auch die Gewinn- und Verlustrechnung einer Unternehmung ist ein Beschreibungsmodell; sie beschreibt die in einer bestimmten Periode realisierten Erträge und Aufwendungen. Ein für das Marktverständnis wichtiges Erklärungsmodell stellt die der Mikroökonomie entliehene und in Abbildung 1-4 dargestellte „Preis-Absatz-Funktion“ bzw. „Nachfragefunktion“ dar. Diese zeigt den Zusammenhang zwischen dem Preis eines Gutes und der absetzbaren Menge. Aus Marketingsicht interessiert die Nachfragefunktion primär zur Erklärung und damit auch Prognose der Absatzmenge (als abhängige Variable) in Abhängigkeit von dem durch das Unternehmen festzusetzenden Preis (als unabhängige Variable).


Abb. 1-4: Nachfragefunktion als Beispiel eines Erklärungsmodells

Wissenschaftlich fundierte Erklärungsmodelle des Marketing beruhen auf theoretischen Erklärungsansätzen und auf empirischen Untersuchungen zur Bestätigung bzw. Widerlegung dieser Ansätze. Dies gilt auch für die „klassische“ Nachfragefunktion, die auf der mikroökonomischen Theorie der Nachfrage beruht und deren konkreter Verlauf durch empirische Daten zu realisierten Preisen und damit verbundenen Absatzmengen (z.B. mit Hilfe einer Regressionsanalyse) bestimmt wird. Die Entwicklung von auf verhaltenswissenschaftlichen (insbesondere psychologischen) Ansätzen beruhenden Modellen des Käuferverhaltens ist seit vielen Jahren einer der wichtigsten und fruchtbarsten Forschungsbereiche des Marketing.10

Betriebswirtschaftliche Methoden sind letztlich systematische Anleitungen bzw. Vorgehensvorschläge zur Beschaffung bzw. Verarbeitung von Informationen im Hinblick auf die Lösung eines spezifischen Problems. Zur Unterstützung der Lösung praktischer Marketingprobleme wurden von der Marketingwissenschaft sehr viele verschiedenartige Methoden entwickelt. Im Vordergrund stehen

 Methoden der Marktforschung zur Beschaffung entscheidungsrelevanter Informationen über Produktverwender, Handelsunternehmen und Konkurrenten,

 Methoden zur Analyse und Prognose der Marktsituation, insbesondere der künftigen Marktentwicklung,

 Entscheidmethoden zur Bestimmung von spezifischen Massnahmen (z.B. des Preises eines Produktes), von Massnahmenpaketen (z.B. des Marketingmix) und von Systemen (z.B. von Anreizsystemen für Verkäufer),

 Implementierungsmethoden zur Sicherung der Umsetzung der Entscheidergebnisse (z.B. Sicherung der Umsetzung einer definierten Marketingstrategie) und

 Kontrollmethoden zur Überprüfung von Entwicklungen wichtiger Erfolgsdeterminanten (z.B. des Umsatzes oder des Marktanteils), die der Entdeckung von Gefahren oder Chancen dienen und Managementaktionen auslösen sollten.

Die für die Marketingpraxis wichtigsten Modelle und Methoden werden in den weiteren Kapiteln dieses Buches vorgestellt. Dabei erweist es sich als nötig, der Definition der für die Modelle und Methoden relevanten Begriffe relativ grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Klare Begriffe sind unumgängliche Voraussetzungen für eine fruchtbare Marketingforschung und für die Lösung praktischer Marketingprobleme. So können z.B. wissenschaftliche Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung erst sinnvoll angestellt werden, wenn Klarheit darüber besteht, was unter Kundenzufriedenheit und Kundenbindung zu verstehen ist. Und auch Praktiker, die über Massnahmen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit diskutieren, können sich eher verständigen und brauchbare Massnahmenideen entwickeln, wenn sie die gleiche „Vorstellung“ von Kundenzufriedenheit haben bzw. den gleichen Begriff zugrunde legen.

 

Wichtig ist es zu wissen, dass Begriffe nicht aufgrund wissenschaftlich begründeter Überlegungen als wahr oder falsch eingestuft werden können. Begriffe sind „nur“ als mehr oder weniger zweckmässig für Modellbildung, Methodenentwicklung oder auch für problemlösungsorientierte Diskussionen einzustufen. In Abhängigkeit vom Einsatzbereich und vom Anwendungszweck kommt man deshalb zu unterschiedlichen Begriffsumschreibungen. Dies trifft gerade auch für das Marketing zu, wo heute noch selbst für gewisse grundlegende Begriffe eine oft bedeutende Begriffsvielfalt beklagt wird. Dies hat damit zu tun, dass Marketing eine vergleichsweise junge Wissenschaft ist und „einheitliche“ Begriffe sich erst durchsetzen, wenn die Mehrheit der Wissenschaftler und auch die Anwendungspraxis sich über die Zweckmässigkeit eines bestimmten Begriffes einigen können. Letzteres ist in Wissenschaften, die sich mit menschlichem Verhalten beschäftigen, aus verschiedenen Gründen (z.B. wegen der Schwierigkeiten der Messung psychischer Variablen) schwieriger als in den Naturwissenschaften. Die Leser von Marketingtexten werden deshalb weiterhin die Begriffsvielfalt in Kauf nehmen und die Zweckmässigkeit der vorgeschlagenen Begriffe überprüfen müssen.

1.4 Marketing als Grundeinstellung

1.4.1 Mögliche Ausprägungen der Marketinggrundeinstellung

Das Niveau und die Qualität der Erfüllung konkreter Aufgaben hängen nicht nur vom Wissen und Können der dafür verantwortlichen Personen, sondern auch von ihrer Grundeinstellung zur Aufgabe selbst ab. Dies gilt auch für die Erfüllung von Marketingaufgaben. In der Marketingpraxis und in der Marketingliteratur misst man diesem Aspekt eine besonders hohe Bedeutung zu und integriert eine bestimmte Ausprägung der Grundeinstellung, die Marktorientierung, in den Marketingbegriff. So schreibt z.B. Meffert in seinem grundlegenden Marketinglehrbuch: „Marketing ist die bewusst marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens oder marktorientiertes Entscheidungsverhalten in der Unternehmung“.11 Marktorientierung in diesem Sinne beinhaltet die bewusste Ausrichtung des Entscheidens und Verhaltens auf die Kundenbedürfnisse (Kundenorientierung) unter Berücksichtigung der Wettbewerbssituation (Konkurrenzorientierung) und setzt eine bewusste positive Grundeinstellung gegenüber den Kunden und ihren Wünschen voraus.

In der Realität existieren jedoch viele Unternehmen, die sich bei der Durchführung dieser Aufgaben weniger an den Kundenbedürfnissen als an den eigenen Fähigkeiten ausrichten. Da solche Unternehmen durchaus erfolgreich sein können, macht es Sinn, die Marketinggrundeinstellung zunächst allgemein zu definieren und dann die Frage nach der in einer bestimmten Situation zweckmässigen Grundeinstellung aufzuwerfen. Man kann dann auch wissenschaftlich untersuchen, wie bestimmte Ausprägungen der Marketinggrundeinstellung den Marketingerfolg beeinflussen.

Die Marketinggrundeinstellung eines Unternehmens lässt sich in diesem Sinne definieren als

 die bei der Mehrheit der Mitarbeiter vorherrschenden Einstellungen zu den Kunden und ihren Bedürfnissen,

 die das Verhalten gegenüber den Kunden prägen und den Stellenwert des Marketing im Unternehmen bestimmen.

Die Marketinggrundeinstellung kann in der Praxis sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Es geht deshalb im Folgenden zunächst darum, mögliche Grundeinstellungen im Sinne von idealtypischen, gegensätzlichen Positionen zu umschreiben.

a) Produktorientiertes und bedürfnisorientiertes Marketing

Produktorientiertes Marketing wird definiert als Orientierung der Marketingaktivitäten an vorhandenen, durch eigene Fähigkeiten und unternehmensinterne Überlegungen bestimmten Produkten.

Marketing in diesem Sinne ist zu verstehen als eine auf existierende Produkte ausgerichtete „Leistungsverwertung“. Populär ausgedrückt bestimmen die Qualitätsvorstellungen der Techniker und nicht die Entwicklungen des Marktes, wie die zu erzeugenden Güter aussehen und welche Produkte überhaupt hergestellt werden. Die Marketingabteilung hat nur die Aufgabe, möglichst grosse Mengen fertig konzipierter Artikel abzusetzen, sie ist jedoch an deren Entwicklung nicht beteiligt.12

In einem analogen Sinne sprechen wir auch dann von produktorientiertem Marketing,

 wenn z.B. Unternehmen der Maschinenindustrie ohne Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse und der Marktsituation Produkte auf der Basis einer Technologie entwickeln, die sie beherrschen, oder

 wenn z.B. Anbieter von professionellen Beratungsdienstleistungen ihre Angebote ohne Marktbezug am Know-how der vorhandenen Berater ausrichten.

Bedürfnisorientiertes Marketing kann umschrieben werden als Orientierung absatzmarktrelevanter Entscheide und Aktivitäten an den Kunden und ihren Bedürfnissen.

Hier wird davon ausgegangen, dass der Schlüssel zur Erreichung der Unternehmensziele in der Zufriedenheit des Kunden liegt. Alle wesentlichen Entscheide des Unternehmens haben deshalb die Gegebenheiten des Marktes, in erster Linie die Wünsche und Bedürfnisse der Käufer als wichtige Daten zu berücksichtigen. Das Primat des Marktes ist ein wichtiger Grundsatz der Unternehmenspolitik. Das Marketingdenken hat einzusetzen, bevor man sich mit produktionstechnischen Überlegungen befasst.13

Abbildung 1-5 enthält eine schematische Gegenüberstellung der Extrempositionen des produkt- und bedürfnisorientierten Marketing.


Abb. 1-5: Produkt- und bedürfnisorientiertes Marketing

b) Aktives und passives Marketing

Ungeachtet einer eher produkt- oder eher bedürfnisorientierten Grundeinstellung kann ein Unternehmen aktives oder passives Marketing betreiben.

Aktives Marketing liegt dann vor, wenn die Instrumente Werbung, Verkaufsförderung, Verkaufsgespräch und Preis häufig und intensiv eingesetzt werden.

Dagegen wird von passivem Marketing gesprochen, wenn diesen Instrumenten im Marketingmix keine offensive Bedeutung zukommt.

Auch aktives und passives Marketing basieren zumeist auf fest verankerten Denkmustern und Vorstellungen. So wird in Unternehmen mit schwachem Einsatz der Marktbearbeitungsinstrumente öfter argumentiert, Marketingmassnahmen seien wirkungslos oder nicht mit dem „Charakter“ der angebotenen Leistungen vereinbar (z.B. bei Kunstwerken oder staatlichen Dienstleistungen).

c) Raster möglicher Marketinggrundeinstellungen

Die obenstehenden Ausführungen könnten den Eindruck erwecken, es gäbe in der Praxis immer klar unterscheidbare, einander entgegengesetzte Marketinggrundeinstellungen, bzw. es liesse sich das Marketing eines Unternehmens eindeutig den Extremwerten der zwei Dimensionen zuordnen. Ein solcher Eindruck wäre jedoch falsch. Die beschriebenen Grundeinstellungen bezeichnen vielmehr Idealtypen, die in der Realität nur selten in reiner Form anzutreffen sind und neben denen eine Vielzahl von Mischtypen existiert.

Abbildung 1-6, welche die beiden Dimensionen zur Charakterisierung der Marketingorientierung als Koordinaten eines Beurteilungsrasters auffasst, soll dies veranschaulichen.


Abb. 1-6: Raster möglicher Marketinggrundhaltungen

Ein Unternehmen ist de facto nie oder doch fast nie extrem „produktorientiert“ oder „bedürfnisorientiert“, „aktiv“ oder „passiv“. Es ist im Allgemeinen nur „mehr oder weniger produktorientiert“, „mehr oder weniger bedürfnisorientiert“, „mehr oder weniger aktiv“, „mehr oder weniger passiv“ und zwar in Abhängigkeit von der Zahl und Bedeutung der Massnahmen und Einrichtungen, in denen sich die eine oder andere Grundeinstellung niederschlägt. Es existieren in der Realität immer eine Reihe von Symptomen, die in die eine oder andere Richtung deuten und die gemeinsam die Position eines Unternehmens auf den Kontinua der möglichen Marketingorientierungen bestimmen.14

Natürlich kann aufgrund eines einzelnen Symptoms nicht auf die Marketinggrundeinstellung des Unternehmens geschlossen werden. Erst eine sorgfältige und umfassende Analyse der absatzmarktrelevanten Entscheide, Verhaltensweisen und Massnahmen der verschiedenen organisatorischen Einheiten, die sich in ihrer Marketingorientierung unter Umständen wesentlich unterscheiden, erlaubt einen einigermassen fundierten Rückschluss auf die Marketinggrundhaltung der Gesamtunternehmung.

Tabelle 1-2 enthält Beispiele derartiger Symptome für die wichtigere und im Allgemeinen auch weniger leicht beurteilbare Dimension des „produkt- bzw. bedürfnisorientierten Marketing“. Konkrete Merkmale der Marketingpraxis sind als Ansatzpunkte zur Beurteilung der Marketinggrundeinstellung auch deshalb wichtig, weil direkte Fragen nach der Einstellung zu den Kunden häufig keine verlässlichen Ergebnisse liefern. Es gehört heute zum Selbstverständnis der Unternehmenspraxis, dass man Kundennähe und Kundenorientierung zu einem der obersten Leitsätze des Mitarbeiterverhaltens erklärt und deshalb auch für sich in Anspruch nimmt, kundenorientiert zu sein. Ob es sich dabei um ein Lippenbekenntnis handelt oder ob tatsächlich eine kunden- bzw. bedürfnisorientierte Grundeinstellung vorherrscht, kann nur eine eingehende Analyse der Marketingpraxis zeigen.


Bereiche, Instrumente, FunktionenSymptome für ProduktorientierungSymptome für Bedürfnisorientierung
Leistungsprogramm,Spezifisch, an bestimmten technischen Fähigkeiten orientiertes Sortiment;An Problemen und Bedürfnissen eines Marktes orientiertes Sortiment;
SortimentMotto: verkaufen, was man produzieren kann.Motto: „produzieren“, was sich verkaufen lässt.
Marktdaten, KundendatenNicht oder nur spärlich vorhanden; man ist jedoch überzeugt, die Kunden und ihre Bedürfnisse zu kennen.Ausgebaute Marktforschung; quantitative und qualitative Daten; evtl. Glaube, dass Marktforschung alles beantwortet.
Organisation„Techniker“ dominieren die Geschäftsleitung; Marketing als Stabsstelle; Verkauf nicht dem Marketing unterstellt; Produktentwicklung ohne Beizug der Marketingfachleute.Marketingspezialisten und Verkäufer mit „Fronterfahrung“ dominieren die Geschäftsleitung; Marketing als Linienabteilung, welcher der Verkauf unterstellt ist; Marketing dominiert Produktentwicklung.
Marketing-kommunikationProdukttechnische Argumente dominieren.Problemlösungen für Kunden und Kundennutzen dominieren.
KundendienstNur soviel wie absolut nötig; Reklamationen als Störfaktor.Ausgebauter Kundendienst als Basis für Kundenbindung; Reklamationen als Chance nutzen.
Kundenempfang, äussere MerkmaleParkplätze eher für Geschäftsleitung als für Kunden reserviert; im Extremfall unfreundlicher, ineffizienter Empfang; Kunde wirkt fast störend.Parkplätze, Anschriften, Empfangshalle, Telefondienst etc. sind auf Kundenempfang ausgerichtet; Kunde soll sich als König fühlen.

Tab. 1-2: Beispiele von Symptomen für produkt- und bedürfnisorientiertes Marketing15