Liebe kennt keine Grenzen

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Liebe kennt keine Grenzen
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Anina Toskani

Liebe kennt keine Grenzen

Drei Lovestories zum Verlieben...

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Erweitertes Impressum

Kurzporträt Anina Toskani

Impressum neobooks

Erweitertes Impressum

Herstellung: Dr. Karin Wettig, München

Bibliografische Information: die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar:

http://www.dnb.de

Alle Rechte der Verbreitung, sei es durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger, sowie Nachdruck bzw. die Verwendung von Inhalten vollständig oder in Auszügen sind Eigentum der Autorin. Nicht autorisierte Reproduktion wird strafrechtlich verfolgt.

Dr. Karin Wettig, München © Juni 2016

Grenzenlose Liebe -

Die Orchidee & der Efeu...

Der Wind trieb ein winziges Samenkorn heran. Taumelnd fiel es zwischen die Wurzeln eines riesigen Baumes, schmiegte sich zitternd in eine tiefe Furche der Rinde und blieb dort im Windschatten geschützt zurück. Ab und zu tropfte und dampfte es ringsherum, immer wieder blinzelten Lichtstrahlen durch das dichte Blätterdach. Hier ist gut sein, hier schlage ich Wurzeln, beschloss das Samenkorn und fing an zu treiben.

Es dauerte nur einige Tage, da hatte es in dem weichen Waldboden Wurzeln gefasst und sandte stolz einen ersten schüchternen Treibling nach oben zum Licht. Im Rücken den Baumstamm, der das Ganze wohlwollend beobachtete, reckte und streckte er sich empor, seine Selbstsicherheit wuchs, als er merkte, wie er zusehends an Kraft und Größe gewann. Grüne Knospenblätter entrollten sich zart eines nach dem anderen und schmiegten sich eng an den großen gefurchten Stamm. Am sechsten Tag, als der Treibling gerade die letzten Träume aus seinem Morgenschlummer vertrieb und immer sich reckte und streckte, siehe da, da fort nach oben rankte, siehe da – entrollte sich ein großes herzförmiges grünes Blatt, das in der Morgensonne glänzte.

"Hallo, ich bin der Efeu", entfuhr es ihm aus der stolzgeschwellten Brust, und er schaute umher, ob auch alle umstehenden Pflanzen und Büsche, es gesehen hatten, dass er jetzt ein richtiges großes Efeublatt aufgerollt hatte. Leider nahm niemand sonst Notiz davon. Wer würde schon zwischen den riesigen Blätterkronen des Baumes mitten im Urwald ringsherum das Aufgehen eines einzigen Efeublattes beachten? Eine naive Vorstellung!

Hallo, ich bin die Orchidee, hörte er da unvermutet ein feines Wispern in seiner Nähe. Die Orchidee? Wo bist Du denn? Er schaute suchend umher. Hier auf dem Ast über Dir, da wohne ich. Du musst noch ein bisschen wachsen, damit Du mich ganz erkennen kannst. Er schaute angestrengt nach oben. Richtig, da auf dem Ast genau darüber sah er ein paar grüne Luftwurzeln. Komisch sieht das aus, die Füße in der Luft, dachte er, aber diese zauberhafte Stimme. „Warte nur, ich komme zu Dir, sagte er und wuchs und wuchs und wuchs die nächsten Tage. Er trieb ein grünes Blatt nach dem anderen, die sich an der Rinde entlang hangelten und den Stamm umarmten, solange um den Baum herum, bis er endlich von der einen Seite aus einen Blick auf die Orchidee erhaschen konnte.

Mit einigen wenigen grünen, etwas fleischigen und zugleich festen Blättern saß sie gemütlich in der Astbeuge des großen Baumes und wiegte sich verträumt im feuchtwarmen Wind. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt, so vertieft war sie. Leise vor sich hin singend, hatte sie ihr Gesicht dem Licht zugewandt mit geschlossenen Augen, die von traumhaft langen Wimpern zärtlich umschlossen wurden, wobei zugleich auf ihren rosigen Wangen ein kleiner Schatten ruhte.

Hallo, Orchidee, darf ich mich an Deinen Luftwurzeln festhalten, damit ich besser hochklettern kann? Aus tiefer Verträumtheit aufgeschreckt, hauchte sie: Aber natürlich, wenn Du mir nicht wehtust, gern. Er schlang ein Blättchen um ihr hellgrünes Orchideenfüßchen, hangelte sich weiter empor; reckte sich ordentlich zurecht, wie es sich für einen guterzogenen Junker gehört und stand vor ihr wie gebannt. Ein milchweißes Blütengesicht rosa geflammt mit purpurnen Lippenblättchen, kokett geschürzt, sah ihn aufmerksam an.

Beschämt errötete der junge Efeu, was in seinem Blattgrün etwas unterging. Er verneigte sich und sagte, fast schon zu laut, um sein Herzklopfen zu übertönen: „Du kennst mich doch, ich bin der Efeu.“ Die Orchidee blickte ihn nur versonnen an senkte den Blick unter den langen, feinen Wimpern, lächelte, nickte ein wenig und sang leise weiter. Ihm wurde heiß und heißer ums Herz, keinen klaren Gedanken konnte er fassen, nur eins wusste er sicher, ihren Zauber, ihren Duft und ihr Geheimnis wollte er lüften und sie ganz aus der Nähe begreifen. Eine wirre, bisher ungekannte Sehnsucht erfasste ihn, beinah hätte er vor Schwindel vergessen, sich recht am Baumstamm festzuhalten, doch der Drang zu ranken und zu wachsen erfüllte ihn mit neuer Energie. Er wuchs seiner Angebeteten voller Lust entgegen. Täglich rückte er ihr ein wenig näher, Millimeter für Millimeter, nach und nach konnte er sanft ihre Luftwurzeln und die Blätter umfassen. Sie lächelte leise, lachte manchmal schelmisch über seine gewagte Blattakrobatik und sagte hin und wieder: „Du bist ein recht schwerer Bursche, wie Du so mit Deinem Blattgewirr jetzt an mir dranhängst, es wird mir schwer zu tragen!“


Zeichnung von Maureen Achatz

Kein Tag verging, an dem er nicht wieder ein frisches Blatt entrollte und liebevoll an ihren Stengel schmiegte. Sie plauderten gelegentlich, doch meistens wiegte sie sich leise singend im Wind. Sie war ebenfalls verzaubert, gerührt von soviel Zuneigung und beein-druckt von seinem jugendlichen Überschwang. Kraftvoll umrankte er den Stamm des Urwaldriesen, der unerschüttert das zärtliche Treiben gewähren ließ. Bald, bald, ja nur noch ein paar Augenblicke und ich werde sie ganz in meinen Armen halten, dachte er insgeheim und neuer Saft fuhr ihm in alle Blätter von den Wurzeln bis zur Spitze. Er malte sich in seiner Vorfreude aus, wie wunderbar es wäre, ihren süßen Blütenduft und ihre samtiges Blütengesicht ganz aus der Nähe zu genießen, vergehen oder sterben würde er fast vor Freude. Er merkte bei all seiner Begeisterung nicht, dass die Orchidee in den letzten Tagen immer blasser geworden war und ihr Teint immer mehr die Farbe von durchsichtigem chinesischem Porzellan annahm.

Sie ließ sich etwas müde in lauter grüne, liebevoll ausgebreitete Efeublätter sinken und vergaß darüber, dass es ihren Wurzeln an Luft mangelte und die Sonnenstrahlen sie nicht so frei wie bisher umfluten konnten. Sie träumte vor sich hin und der Efeu nahm sie sanft in den Arm, bettete sie wieder und wieder in mehr wildwuchernde Blätter und schloss sie fest an sein Herz. Nie mehr lasse ich Dich los, sagte er, ich liebe Dich, heiß und innig, meine süße Orchidee! Dabei fühlte er ihren zarten Puls an seinem Herzblatt und er platzte fast vor lauter Zuneigung. Wie übermächtige Triebe entfaltete er seine ganze Kraft der Stirnblätter, richtete sie groß auf, um Orchideens Blütengesichtchen ganz mit leidenschaftlichen Küssen zu bedecken. Ein unbeschreiblich süßer zarter Duft raubte ihm alle Sinne, er hielt den Atem an. Orchidees Blüte neigte sich, sank matt auf sein ausgebreitetes Herzblatt und er spürte wie schlaff der Kopf nur noch wie am seidenem Faden hing. Ich sterbe – hauchte sie fast unhörbar. Ich schenke Dir meine Kraft, meine Blätter, mein Herz, meinen Saft, alles, was Du willst, meine allerliebste Schöne.

Doch zu spät, sie hatte schon mit dem letzten Atemzug, unbemerkt und still und heimlich ihre Seele ausgehaucht und war dahingewelkt – das Geheimnis ihres Zaubers hatte sie mitgenommen - in die andere Welt…Der Efeu sank entsetzt in sich zusammen, als er es bemerkte und von Tag zu Tag welkte ein Blatt nach dem anderen dahin. Zuerst wurden die oberen Blätter gelb, dann rollten sie sich braun wie Tabakhülsen zusammen und trockneten aus, bis der nächste Windstoß sie vom Ästchen pflückte und in alle Richtungen zerstieb. Sogar der Baum weinte harzige, bittere dicke Tränen darüber.

Liebe kennt kein Alter! Ana & Ahmed

Im Anfang war die Leidenschaft ...

Seit Wochen hatte die Brieftaube auf dem Couchsurfing-Portal Ana Emailbriefchen von einem jungen Ägypter zugetragen, der schrieb, er sei gerade in der Stadt, wo sie lebe und mache ein Praktikum an der Uni. Er würde sich nur zu gern mit Ana treffen, da ihr Profil ihm so gut gefalle. Ana wunderte sich maßlos über diese Aussage eines Studenten, der 40 Jahre jünger war als sie. Sie lehnte mehrfach das Ansinnen eines Besuches mit der Ausrede Zeitmangel ab, doch der Student hakte nach. Er schrieb dazu, er glaube, dass eine langdauernde Freundschaft für sie beide möglich sei. Diese Worte versetzten Ana in ungläubiges Staunen, erweckten allerdings auch ihre Neugier, wie jemand sich seiner Sache so sicher sein konnte, ohne sie persönlich zu kennen. Sie fragte sich, wieso er denn mit einer Frau im Alter seiner Oma, befreundet sein wolle, wo doch tausend junge Mädels bestimmt bereits ein verliebtes Auge auf diesen gutaussehenden Knaben geworfen hatten und gern seine Aufmerksamkeit und Zuwendung für sich in Anspruch genommen hätten, um wenigstens mit ihm zu flirten. Ana schüttelte ungläubig den Kopf und, weil sie bis über beide Ohren mit anderen Dingen beschäftigt war, hakte sie das Ganze erst einmal ab, fand wieder eine höfliche Ausrede. Sie hatte kein Interesse an irgendwelchen oberflächlichen Kontakten.

 

Der Schreiber war allerdings wirklich hartnäckig und schrieb einige Wochen später, er habe noch immer Interesse, sich mit ihr zu unterhalten. Ana lächelte ungläubig über so viel Unverfrorenheit. Sie wurde neugierig auf sein Profil. Der junge Student aus Alexandria, war erst 23 und doch trotz seines jugendlichen Alters schon in der Welt herumgekommen, hatte ein paar nette Abenteuerfotos vom Elefantenritt in Asien und ein lustiges Selbstbild auf seinem Couchsurfing-Profil, jedoch weder Gäste noch Freunde, die seine Präsenz und seine Person bestätigten. Allzulange konnte er noch nicht Mitglied sein.

„Ganz schön von sich eingenommen, dieser junge Bengel!“ Dachte Ana bei sich. Sie fragte sich, warum ein junger Bursche eine Frau treffen wollte, die gerade über den Ruhestand nachdachte. Es gab doch viele andere passende Angebote. Wieder vertröstete Ana den Frager und bat um eine Mitteilung, was er sich denn unter gemeinsamen Unternehmungen und einer Freundschaft eigentlich so vorstellte. Dann kam eine un-klare, ausweichende Antwort mit dem Hinweis, es würde sicher eine lange Freundschaft daraus. „Verflixt und zugenäht!“ Dachte Ana, „das hört sich fast so an, als ob Ahmed, so hieß er, mich kennen würde!“ Überrascht beschloss sie dann, ihn einmal näher unter die Lupe zu nehmen, vielleicht auch, um ihn loszuwerden.

Mit Marciano aus Sizilien, der inzwischen ein guter Freund geworden war, hatte sie auch lange hin und her korrespondiert, bevor sie ihn traf und zu sich nach Hause einlud. Marciano hatte ihr dann bekannt, dass er auf der Suche nach einer bescheidenen Bleibe war, wo er längerfristig in Ruhe intensiv Deutsch lernen konnte, um in Deutschland als Lehrer zu arbeiten. Er schilderte, dass er in Italien nur Projekte bekomme und in den Sommerferien arbeitslos sei. Schockiert hörte Ana seine Lebensgeschichte an und ließ sich überzeugen, es mit ihm als Gast zu versuchen. Als Marciano dann mit seiner kleinen Habe in das winzige Gästezimmer eingezogen war, teilten sie oft das Frühstück in der Küche bei klassischer Musik und hatten auch sonst eine gute Wellenlänge miteinander, so dass der Aufenthalt für beide Seiten ein Vergnügen war.

Im Profil des jungen Ägypters las Ana, dass er bereits an der Uni unterrichtet hatte und in Deutschland weiter studierte. Ahmed schien genau zu wissen, was er wollte und danach zu handeln. Der Absagen müde, lud Ana ihn schließlich auf einen Tee zu sich nach Hause ein. Sie dachte, dass sie zu dritt, mit Marciano an einem Sonntagnachmittag Tee trinken würden, um sich gemütlich über Land und Leute auszutauschen. Marciano war Sizilaner und seine Eltern wohnten in der Toskana. Ahmed kam von der gegenüber-liegenden Mittelmeerküste aus Ägypten. Diesmal sagte Ahmed kurz vorher den Termin unerwartet ab, indem er schrieb, er sei leider zu angestrengt von seinen Aufgaben und bat um Verschiebung, da er ausgeruht ankommen wolle. Ana war sichtlich verärgert, weil sie sich mühsam die Zeit für diesen ungeplanten Besuch eingerichtet hatte. Dann dauerte es wieder Wochen, bis sich ein neuer Termin aufstellen ließ, der für alle passte. Das war genau vor Marcianos Abreise nach Italien.

Pünktlich wie vereinbart, klingelte es kurz vor Mittag an der Haustür und ein scheu lächelndes Jungen-gesicht mit Dreitagebart erschien auf dem Treppenabsatz im Hausflur. Ana lugte aus der Haustür und da stand ein schlanker, hochgewachsener junger Mann vor ihr. Sein schüchternes Lächeln zusammen mit der Entschuldigung für sein noch fehlendes Deutsch, vorgetragen in klarem Englisch, nahmen Ana sofort für ihn ein. Sie bat ihn in bestem Englisch herein, ließ ihn Schuhe und Jacke an der Garderobe ablegen und bot ihm einen Platz auf der kleinen schwarzen Chesterfield im Wohnzimmer an. Marciano eilte lächelnd aus dem Nebenzimmer herbei und stellte sich vor. Mit italie-nischer Wortgewandheit und südländischem Charme verwickelte er Ahmed in ein nettes Gespräch, bei dem er mühsam und stockend sein eingerostetes Englisch auspackte, das wegen des neu gelernten deutschen Wortschatzes weitgehend von seinem Platz verdrängt worden war. Ana schmunzelte heimlich über den Wortsalat beim Teekochen in der Küche.

Dann saß Ana zwischen den beiden Männern bei einem Glas Earl Grey im Wohnzimmer. Ahmed begann von sich zu erzählen. Er war in einer traditionellen ägyptischen Familie als mittleres von drei Kindern aufgewachsen und hatte seinen Vater durch einen tödlichen Unfall überraschend als Sechsjähriger verloren. Sein älterer Bruder, seine jüngere Schwester und seine Mutter, die auch erst knapp über 30 Jahre alt war, hatten dann von geringer Rente überleben müssen. Der Schock über den unerwarteten Verlust des Ehegatten hatte seine Mutter in eine Depression gebracht. Bescheidene Verhältnisse in dem kleinen Haus am Meer zwangen die vaterlose Familie zu einem äußerst sparsamen und einfachen Leben, das von der islamischen Tradition bestimmt war. Ahmed erwähnte am Rande, dass es ihm in Deutsch-land schwer falle, Kontakte zu finden, da er sich nicht traue, einfach drauflos Deutsch zu sprechen und auch erst ein halbes Jahr hier sei. Davon abgesehen gingen seine Kumpels an der Uni oft abends auf ein Bier in Bars und Kneipen, wo sie auch gleichgesinnte Mädels träfen. Da er jedoch als traditioneller Moslem keinen Alkohol trinke, sei das nicht so sein Ding und deswegen sei er viel allein. Er könne nicht verstehen, dass junge Frauen Zigaretten rauchen und Alkohol trinken und sich wie Männer verhalten. Dies sei ihm einfach total fremd.

Ana nickte schweigend und selbstvergessen: ihre Gedanken flogen zurück in die Studenten-zeit, als sie ihren Mann während der Ausbildung am Dolmetscherinstitut in einer pfälzischen Kleinstadt kennengelernt hatte. Mahdi stammte aus einer tunesischen Beduinenfamilie im Norden des Landes und war in Tunis zur Schule gegangen. Seine Regierung hatte ihn mit einem Stipendium zum Dolmetscherstudium nach Deutschland geschickt. Dort hatte er Ana kennengelernt. Sie erinnerte sich lebhaft, wie sie bei ihren Besuchen in Tunesien von den Stammesangehörigen ihres Mannes geschätzt worden war, weil sie weder Zigaretten rauchte, noch Alkohol trank und wie die Beduinen mit überkreuzten Beinen auf dem Boden sitzen konnte. Im Vergleich zu vielen Touristinnen aus Frankreich und dem Rest Europas hatte sie sofort die Herzen gewonnen, weil sie die ortsüblichen Sitten respektierte und nicht freizügig wie andere mit Shorts und tief ausgeschnittenen und ärmellosen Kleidern herumlief und weder rauchte noch trank. Auch in die Moschee war sie niemals ohne Kopftuch gegangen. All das hatte ihr den Respekt der Familie eingebracht. Als Ana noch Tee und Süßigkeiten aus der Küche holte, schweifte ihr Blick nach draußen. Auf dem Balkon und im Park regierte der April mit richtigem ‚Sauwetter‘. Es regnete und stürmte; der Wind wirbelte unerbittlich die letzten noch versteckten Herbstblätter aus allen Winkeln hervor, zerpflückte erbarmungslos Baumkronen und schüttelte die Büsche durch. Er fegte Parkwege frei, legte junge Knospen blank, die sich vielleicht schon auf den Tanz in den Mai freuten. Blühende Tulpen und Primeln auf dem Balkon wurden von Windböen heftig durchgeschüttelt, daß ihnen Hören und Sehen verging. Nein, keine Chance für einen Spaziergang, der Nachmittag lud zum Teetrinken, sich auf der Couch lümmeln und plaudern ein.

Ana schlug vor, zu dritt einen netten Film anzuschauen. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Sie legte die DVD von Vitus auf. Der preisgekrönte Schweizerische Film im Schweizerischen Dialekt erzählt die Kindheitsgeschichte des hochbegabten Jungen Vitus, der als mathematisches Genie und Klavierwunder seine Umwelt überrascht und herausfordert. Vitus war an seinem ersten Geburtstag von einer Freundin seiner rothaarigen, britischen Mutter ein auffallendes Horoskop gestellt worden, das besagte, dass er in seinem Leben durch seine geniale Veranlagung ganz außerordentlichen Erfolg haben werde. Zuerst brachte ihn sein Talent allerdings mehr in eine Außenseiterposition, da ihn Gleichaltrige und Lehrer oft nicht verstanden. Er langweilte sich zu Tode in der Schule und nervte seine Umgebung mit überheblicher Besserwisserei, wobei er stets Recht behielt. Das machte ihn so unbeliebt, dass er von der Schule flog. Vitus Mutter opferte ihren Job und nahm sich Zeit für ihn, um sein musikalisches Talent am Klavier zu fördern und für ihn da zu sein. Er bekam Privatunterricht und wurde mit 13 Jahren an der Uni aufgenommen und vom Profesaor persönlich betreut. Seine Mutter machte sich laufend Sorgen um die Zukunft von Vitus und sein Vater bastelte an der Erfindung eines genialen Hörgerätes und seiner Karriere.

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