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❹ Erfahrungen aus erster Hand

Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare, hat Christian Morgenstern einst formuliert. Daraus folgt: Körperliche Aktivitäten wirken sich positiv auf das Lern- und Leistungsverhalten aus. Lernende brauchen also Bewegung. Täglich. Und viel. Doch viele Kinder sind (auch) in dieser Beziehung arm dran. Die Medienorientierung und die damit einhergehende Passivität ist ein erschreckender Aspekt davon. Bereits zehn Prozent der Vier- bis Fünfjährigen haben in ihrem Zimmer einen eigenen Fernseher. Die Jugendlichen sitzen täglich mehrere Stunden in Konsumhaltung vor dem Bildschirm. Das hat Auswirkungen. Für Hirnforscher Manfred Spitzer jedenfalls ist klar: »Fernsehen macht dick, dumm und gewalttätig.« (Spitzer 2005)

Klar ist: Wer vor dem Bildschirm sitzt (oder liegt oder etwas dazwischen), bewegt sich nicht. Bewegungsarmut, eine zunehmende Beziehungslosigkeit zum eigenen Körper und damit eine Generation »Kartoffelsack« ist ein Ergebnis davon.

Kinder erleben die Welt häufig nur noch aus dritter Hand. Schulen müssen deshalb zu Orten der Aktivierung werden. Des Tuns. Des Herstellens. Des Handelns. Dabei geht es nicht um die Frage einer zusätzlichen Turnstunde. Vielmehr geht es darum, sich als handelndes Wesen überhaupt wahrnehmen zu lernen und Aktivität und Bewegung als integrale Bestandteile des täglichen Schullebens Zeit und Raum zu geben. Viele zwingende Arrangements, den Hintern zu heben, sind verschwunden. Und was nicht natürlicherweise geschieht, muss inszeniert werden. Etwas aktiv tun – körperlich zumal – ist eine Quelle der Erkenntnis, dass es zum Wohlbefinden beiträgt, den inneren Schweinehund an die kurze Leine zu nehmen. Nietzsche passt deshalb auch hier: »Wer sich selber nicht mag, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen.« An sich, an anderen und an den Dingen.


Reality-TV

Geist oder Glotze

In den Jahren 2004 und 2005 untersuchten Forscher die geistige Entwicklung von knapp 1900 Vorschulkindern. Grundlage der Untersuchung war ein Test, bei dem die Kinder aufgefordert wurden, einen Menschen zu zeichnen. Je differenzierter und realistischer die Abbildung war, desto höher wurde die Leistung des Kindes eingestuft.

Die Abbildungen zeigen typische Zeichnungen von Kindern …

… die täglich bis zu einer Stunde fernsehen


… die täglich mindestens drei Stunden fernsehen




2Lernen beruht auf einer mittel- und längerfristigen Umstrukturierung von Netzwerken in unterschiedlichen Zentren des Gehirns. Dabei wird die synaptische Übertragungsstärke physiologisch und anatomisch verändert. Diese Veränderungen werden durch das limbische System und damit durch Aufmerksamkeit, Motivation und Emotion gesteuert. Wissen kann deshalb nicht übertragen werden; es wird im Gehirn eines jeden Lernenden neu geschaffen (Roth 2003).
3Dopamin ist ein endogenes Opiat. Es wirkt selbstbelohnend und positiv stimulierend.
4Selbstwirksamkeit (self-efficacy) umschreibt die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Aufgaben auf Grund eigener Kompetenzen bewältigen zu können. Sie beeinflusst dabei allgemein das Denken, Fühlen und Handeln sowie – in motivationaler Hinsicht – Zielsetzung, Anstrengung und Ausdauer eines Menschen. Eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit korrespondiert mit größerer Leistungsfreude und besserer Gesundheit. (Bandura 1997)


Orientierung

Wer nicht weiß, wohin er will, muss sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt.

LRF 1:

Orientierung bieten


Angenommen, jemand fährt in dunkler Nacht auf Nebenwegen nach Paris. Plötzlich taucht im Scheinwerferlicht ein Ortsschild auf. Der Fahrer kennt den Ort nicht. Aber er nimmt die Karte hervor. Und er sieht: Ah, da liegt diese Ortschaft. Und er kann erkennen, wie weit es noch geht bis Paris. Und wo die Autobahn verläuft. Anders gesagt: Er kann sich orientieren. Das gibt Sicherheit.

Orientierungslosigkeit dagegen schafft Unsicherheit. Unsicherheit macht Angst und führt zu Abhängigkeiten. Das gilt auch und gerade fürs Lernen. Denn lernen soll ja von der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit führen. Das beginnt beim Kleinkind. Und es sollte in der Schule weitergehen. Das heißt: Die Schule muss den Lernenden Orientierung bieten auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit.

a u f g e p i c k t

Wer in die falsche Richtung geht, dem hilft auch Rennen nichts.

In tradierten schulischen Settings dreht sich die Orientierung um die Lehrperson. Sie ist die Orientierung. Sie sagt, wann was zu geschehen hat. Sie sagt, was gut ist und was nicht. Die zentrale Frage, die Lernende sich stellen müssen, ist einfach: Was will er oder sie da vorne unter der Wandtafel? Die entsprechenden Anpassungsleistungen werden honoriert. Unter anderem durch gute Noten.

Folgende Szene: Ein Lernender erklärt, er hätte eine Fünf5 haben sollen. Er habe jetzt aber nur eine Vier geschafft. Deshalb reiche es ihm nicht für den Übertritt. Wird dieser Lernende gefragt, was er denn mehr gewusst oder gekonnt hätte mit einer Fünf, wird er die Antwort wohl schuldig bleiben. In der Schule (und in den Diskussionen um Schulleistungen in der Familie) geht es selten um Inhalte. Es geht fast ausschließlich um Stellvertreter von Inhalten – in Form von Zensuren.

Für alle Fächer legt ein Lehrplan die Themen fest. Bestimmt wird aber das, was in der Schule »durchgenommen« wird, von den Lehrmitteln – Kapitel um Kapitel, Seite um Seite. Sie sind, zusammen mit den Vorlieben der Lehrpersonen, der heimliche Lehrplan. Verstärkt ist jetzt noch das Teaching-to-the-test im Hinblick auf die Standards aller möglichen Vergleichsarbeiten und Testverfahren dazugekommen. Lernende haben sich an externe Drehbücher zu halten. Sie haben nachzusingen, was andere vorgesungen haben – Karaoke-Lernen.

Wer hat, dem wird gegeben

Die Orientierung an Inhalten erleichtert den Wissensaufbau. Denn: »Wissen ist der entscheidende Schlüssel zum Können« (Stern 2007). Damit ist nicht eine Ansammlung lebloser Fakten gemeint. »Mit derartigem Wissen kann man mit etwas Glück einige Runden im Fernsehquiz überstehen. Ansonsten ist isoliertes Faktenwissen unbrauchbar. Zweifellos sieht ein Großteil des in der Schule erworbenen Wissens genau so aus: einige korrekte Fetzen aus einem wüsten Haufen Müll. (…) Es gibt intelligentes und weniger intelligentes Wissen. Die Redewendung ›Wissen vermitteln‹ ist, wenn es um intelligentes Wissen geht, unangemessen. Intelligentes Wissen kann nicht über eine Art Fotokopierprozess vom Kopf des Lehrers in den Kopf des Schülers übertragen werden. Es muss vom Lernenden konstruiert werden, indem er mit der neu eingegangenen Information an sein bereits bestehendes Wissen anknüpft. Je mehr Wissen er hat und je besser dieses strukturiert ist, umso leichter kann er neu eingehende Informationen aufnehmen« (Stern 2007). Oder wie heißt es in der Bibel: Wer hat, dem wird gegeben.

Lernen ist also ein individueller Konstruktionsprozess. Lernende lernen selbst. Es geschieht einfach. Wer aber sein Lernen zielführend gestalten will, muss sich orientieren können. Und zwar an Inhalten! Lernende müssen wissen, was man können könnte. Sie müssen wissen, wo sie stehen. Sie müssen Ziele sehen. Und das alles auf der Basis von klaren und transparenten Inhaltsbeschreibungen.

Denn kompetenzorientiertes und selbstwirksames Lernen braucht Orientierung in Form von Referenzwerten.

Selbstwirksamkeit kann auch umschrieben werden als Gegenteil des Gefühls, ausgeliefert zu sein. Dieses Gefühl der Abhängigkeit kann leicht entstehen in einem System, in dem Lehrpersonen, unterstützt durch Lehrmittel, den Stoff und die Dosierung weitgehend bestimmen.

Selbstwirksames Lernen verlangt indes nach anderen Arrangements. Lernende müssen ihr Lernen selbst in die Hand nehmen können. Ein methodischer Ansatz dabei: Referenzieren.

Worum geht es? Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, individuelle Leistungen mit einem Referenzwert in Beziehung zu bringen. Diesen Referenzwert und damit die inhaltliche Basis bilden so genannte Kompetenzraster.

»Unbestritten ist«, stellt Anton Strittmatter klar, »dass aus dem heutigen Nebel der überladenen Lehrpläne und diffusen sowie widersprüchlichen Ansprüche an Schule und Unterricht herausgefunden werden muss, dass der Bildungsauftrag stärker fokussiert werden muss, und dies in Form von Kompetenzbeschreibungen (in der Art des Europäischen Sprachenportfolios) und zugeordneten Standards des Erreichens durch die Lernenden der verschiedenen Bildungsstufen. Dieser Ansatz macht jedoch nur dann Sinn, wenn die Standards eben auch Standards des Erreichens sein dürfen, was eine Politik des ›Mastery Learning‹ voraussetzt« (Strittmatter 2006).

 

Beispiel Kompetenzraster


Solche Referenzwerte sind anschaulich beschrieben in Kompetenzrastern. Kompetenzraster definieren die Kriterien (was?) und die Qualifikationsstufen (wie gut?) in präzisen »Ichkann«-Formulierungen. Das heißt: Ein Fachgebiet (zum Beispiel Englisch) wird aufgegliedert in relevante Kompetenzkriterien. Das Europäische Sprachenportfolio liefert ein Muster dazu. Was für Englisch und für das Europäische Sprachenportfolio gilt, gilt für andere Fächer und Fachgebiete in gleicher Weise. Es geht letztlich darum, ein Curriculum in eine Matrixform zu bringen. Und in die einzelnen Felder dieser Matrix wird in ansteigendem Anspruchsniveau das beschrieben, was man können könnte. Seit PISA ruft alle Welt nach klaren und transparenten Standards. Voilà!


Zu diesen Referenzwerten bringen die Lernenden ihre Leistungen in Beziehung und setzen farbige Punkte in die entsprechenden Felder der Kompetenzraster. Auf diese Weise entwickelt sich für jedes Fach ein individuelles und differenziertes Kompetenzprofil. Die Lernenden sehen immer, wo sie stehen. Sie können ihre Situation anschaulich vergleichen mit den Anforderungen weiterführender Ausbildungen. Und sie können ihr Programm entsprechend bedürfnisgerecht gestalten. Der Ausgangspunkt liegt immer beim Ich-kann. Auf den Kompetenzrastern werden diese archimedischen Punkte des Lernprozesses sichtbar gemacht. Kompetenzraster schaffen Orientierung für die Schülerinnen und Schüler. Damit wird das Fundament gelegt für ein individuelles Lernen, das nicht Gefahr läuft, irgendwo in Frust oder Beliebigkeit zu enden. Denn die Lernenden können erkennen, wo sie stehen. Und sie können sehen, was die nächsten Schritte sind. Die Ziele sind klar. Sie sind der individuellen Situation angepasst. Das wiederum erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.

Kompetenzraster begleiten den Lernprozess und machen die Entwicklung eines gemeinsamen Qualitätsverständnisses möglich. Bedingung ist freilich, dass die Lernenden mit den Rastern arbeiten. Auf diese Weise sind sie nicht einfach von einer Leistungsbeurteilung betroffen. Nein, sie sind aktiv daran beteiligt. Wenn schulisches Lernen stärker mit dem Wort »selbst« verbunden werden soll, braucht es die Lernenden dazu. Das heißt: Sie müssen sich als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems fühlen. Kooperatives und partnerschaftliches Arbeiten verlangt nicht nur nach einem Klima des Vertrauens, sondern – und das ist damit verbunden – nach einer Klärung der Erwartungen. Oder anders gesagt: Lernende müssen wissen, was individuell gesehen »gut« ist, damit sie »gut« sein können.


Zusammenspiel von Kompetenzraster und Checklisten

Beispiel Checklisten

Die Formulierungen in den Kompetenzrastern sind – auch aus Platzgründen — manchmal etwas allgemein gehalten. Deshalb werden sie in Form von Checklisten ausdifferenziert. Im Kompetenzraster heißt es beispielsweise: »Ich kann mich in Alltagssituationen verständigen.« In der entsprechenden Checkliste wird ausgeführt, was darunter alles zu verstehen ist. Zum Beispiel: »Ich kann nach dem Weg fragen.« »Ich kann mich und meine Familie vorstellen.« »Ich kann eine Fahrkarte kaufen«. Und so weiter. Checklisten operationalisieren die Kompetenzraster.


Beispiel Roadmaps


Lernen ist ein Ausflug in unbekanntes Gelände. Da ist es hilfreich, eine Landkarte oder eine Wegskizze dabei zu haben. Roadmapping versteht sich als Methode, die relevanten Lernziele (zum Beispiel aus der Checkliste) in die grafische Form einer Karte – eben einer Roadmap – umzugestalten. Sie zeigt – in Analogie zu einer Straßenkarte – mögliche Wege von einem Ausgangspunkt zu einem Ziel. Lernende verbalisieren das, was für sie an einem bestimmten Thema wichtig, bedeutsam, relevant ist. Und dann zeichnen sie den Weg dorthin auf. Er enthält beispielsweise Meilensteine, Aufenthaltsorte, Abstecher, Verbindungen zu anderen Themen, mögliche Hindernisse. In jedem Fall ist die Roadmap ausgestaltet mit kleinen Skizzen, mit Symbolen, allenfalls mit Fotos. Die emotionale Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Lernzukunft dient der Volition und erhöht die Eintretens- und Erfolgswahrscheinlichkeit. Roadmaps können erstellt werden für einzelne Themenbereiche oder Zeitabschnitte. Großformatig können sie aber auch fortlaufend die Verbindung zwischen Herkunft und Zukunft visualisieren.

Beispiel Indikatorenlisten

Wenn es weniger um fachliche als vielmehr um soziale oder personale Kompetenzen geht, können auch Indikatorenlisten als Orientierungsinstrumente dienen. Indikatorenlisten beschreiben, woran man etwas erkennen kann. Also: Woran lässt sich beispielsweise »Beharrlichkeit« erkennen? Oder »Einfühlungsvermögen«? Oder »Integrationsfähigkeit«? Auch und gerade bei solchen Anschlusskompetenzen müssen alle Beteiligten sich im Klaren darüber sein, wer was darunter versteht. Und ob wirklich alle vom Gleichen sprechen, wenn sie vom Gleichen sprechen.

Die Indikatorenlisten können ergänzt werden durch eine Zehnerskala. Diese Skala gibt den Lernenden die Möglichkeit, sich selber einzuschätzen. Und sie gibt die Möglichkeit für Fremdbeurteilungen, sei es durch LernCoaches, durch Mitlernende oder durch Drittpersonen außerhalb der Schule. Die Gemeinsamkeiten und mehr noch die Unterschiede solcher Selbst- und Fremdeinschätzungen kommen einer lösungsorientierten Förderdiagnose gleich: Wo stehe ich? Wohin will ich? Was brauche ich dazu?


Beispiel Advance Organizer

Der Advance Organizer bildet Ankerpunkte für das Verstehen. Das bedeutet: Er versteht sich als Orientierungshilfe, als Vorspann, der das Denken organisieren hilft. Wörtlich: Vorausorganisator. Der Einstieg in ein Thema, in eine Arbeit, beginnt damit, gedankliche Andockstellen zu schaffen (Lernende selber) oder zur Verfügung zu stellen (Lehrkraft*). Es handelt sich um die Dinge, die bereits bekannt sind (Vorwissen) und/oder um Inhalte, um die es gehen wird und über die es mehr zu erfahren gilt (leitende Fragestellungen). Die Elemente des Advance Organizers sind Bilder, Grafiken, Schlüsselbegriffe, kurze Texte. Sie werden grafisch zu einem Gedankengerüst zusammengefügt (Müller/Noirjean 2007).

Advance Organizers sind während des gesamten Themas sichtbar. Oder noch besser: Sie dienen den Lernenden als Notizvorlage: Neue Informationen und Erkenntnisse werden laufend ergänzt. Der Advance Organizer entwickelt sich auf diese Weise permanent weiter. Zahlreiche Studien haben deutlich gezeigt, dass sich der Einsatz von Advance Organizers durchwegs positiv auf das Lernverhalten und die Lernleistungen auswirkt, speziell bei Lernenden, deren Vorkenntnisse als gering und deren Lernkompetenz als niedrig eingestuft wurde (Wahl 2006).



Advance Organizer zum Thema ›Lehrer‹



5In der Schweiz ist die Sechs die höchste Schulnote.


Auseinandersetzung

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LRF 2:

Auseinandersetzung und Verstehen evozieren


Lernen zielt darauf ab zu verstehen. Das heißt: Es geht nicht darum, etwas zu »behandeln«. Es geht darum, sich – durchaus auch lustbetont – damit auseinanderzusetzen. Es geht nicht darum, Antworten zu geben. Es geht zuerst und vor allem darum, Fragen zu stellen. Daran – am Verstehen und am Umgang mit Widerständen – müssen Lernende Freude entwickeln.


AAnbinden, einordnen, andocken, Bezug herstellen, grobe Orientierung, (voraus) organisierenWas weiß ich schon? Wo kann ich das einordnen?
KKombinieren, elaborieren, erweitern, verbinden, zusammenfügen, ergänzen, visualisierenWelches sind die Unterschiede/Gemeinsamkeiten?
TTreffen, auf den Punkt bringen, reduzieren, Kernaussagen herausarbeiten, verbalisierenWas sind die drei zentralen Aussagen?
IInformieren, Zusatzinformationen einholen, klären, nachschlagen, verifizierenWas heißt …? Was bedeutet …?
VVerankern, Transfer herstellen, trainieren, anwenden, übertragen (andere Situationen/Formen), übenWoran ist es zu erkennen? Was wird anders sein?

Fragen nachzugehen heißt einer Spur folgen. Das – eben einer Spur folgen – entspricht ja auch der etymologischen Bedeutung des Wortes »lernen«. Wer neugierig ist, wer Fragen stellt – sich oder anderen – will etwas wissen und verstehen. Mit anderen Worten: Es entsteht eine Art inneres Auftragsverhältnis. Der Auftrag nämlich, etwas einer Klärung zuzuführen.

»Neugier«, so bringt es Heiko Ernst auf den Punkt, »ist Weltzuwendung: Sie hungert nach aktiver Auseinandersetzung mit der Welt da draußen, und sie ist der Ausdruck eines Gehirns, das fast unablässig beschäftigt, stimuliert und überrascht sein will« (Ernst 2006). Neugier ist aber nicht einfach flüchtige Lust auf Spannung und Unterhaltung. Neugier ist vielmehr der Drang, sich selbst permanent weiterzubringen. Denn: »Nichts macht so zufrieden wie das Gefühl, ein Problem gelöst oder etwas begriffen zu haben.«

(Ernst 2006)

Alle Erkenntnis beginnt bei der Erfahrung. Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen entwickeln sich also aus dem, was Menschen unternehmen oder unterlassen. Auch in der Schule. Lernende müssen folglich die Erfahrung machen, dass aktives Verstehenwollen gewinnbringend ist. Wer versteht, hat aus etwas Fremdem etwas Eigenes gemacht. Das ist ein gutes Gefühl. Und deshalb sollten die Lernenden dieses gute Gefühl, etwas wirklich verstanden zu haben, immer und immer wieder erleben.


Mit der geistigen Nahrung ist es wie mit dem Essen: Wir ernähren uns nicht von dem, was uns vorgesetzt wird, sondern von dem, was wir verdauen. In unserem Körper wird die Nahrung umgewandelt in Energie. Mit dem Lernen ist es ähnlich. Lernen passiert nicht durch wiederholte Eingabe, sondern durch entsprechendes Handeln. Verstehen entwickelt und zeigt sich im Tun, in tätiger Auseinandersetzung. Je intensiver und je häufiger, desto tiefer wird die Gebrauchsspur im Gehirn, die sich dabei entwickelt.

Verstehen lohnt sich also. Mehr noch: es be-lohnt sich. Denn die Erfahrung, etwas verstanden zu haben, tut gut. Und jede emotionale Bewertung löst biochemische Vorgänge im Gehirn aus: Positive Emotionen stimulieren zum Beispiel das so genannte Dopaminsystem, das Motivation und Belohnungseffekte steuert. Je häufiger positive Lernerfahrungen gemacht werden, umso geringer wird der Widerstand der Leitungen zwischen den Neuronen und umso leichter wird die Erregungsenergie weitergeleitet. Lernen legt Gebrauchsspuren ins Gehirn. Die Wege entstehen quasi durchs Gehen.

 

Lern- statt Erledigungsnachweise

Ziel schulischen Arbeitens sind Lernnachweise. Sich selber und anderen durch aktives Tun den Nachweis erbringen, etwas verstanden, aus etwas Fremdem etwas Eigenes gemacht zu haben. Das Gegenteil davon wären Erledigungsnachweise: die Aufgaben »erledigt« und die Dinge »gehabt« zu haben.

Lernnachweise zeigen sich in Aktivitäten.

Wer Französischvokabeln gelernt hat, kann etwas tun mit ihnen. Er kann sie in Handlungen transformieren. Der Begriff ist keineswegs neu: »Der Schüler soll nicht nur über die Worte, sondern vor allem über den Sinn und Inhalt dessen, was er gelernt hat, Auskunft geben können; der Nutzen, den er davon gehabt hat, soll sich nicht im Gedächtnis, sondern bei der Anwendung im Leben zeigen; der Inhalt der neuen Unterweisung muss sich auf hundertfache Weise ausdrücken lassen, er muss sich auf verschiedene Objekte anwenden lassen; dann erst kann der Lehrer sehen, ob der Schüler das Wesentliche wirklich erfasst und sich zu eigen gemacht hat. Es ist ein Zeichen von ungenügender Verdauung, wenn man die Speisen unverändert wieder von sich gibt, so wie man sie geschluckt hat; der Magen hat nicht funktioniert, wenn er das, was er zu verarbeiten hatte, nicht ganz und gar verändert und umgestaltet hat.« Michel de Montaigne hat in diesen Worten von Lernnachweisen gesprochen – vor notabene mehr als vierhundert Jahren. Vielleicht scheinen sie deshalb nicht so ganz in die heutige Schulwelt zu passen. Denn Lernnachweise lassen sich nicht konsumieren. Sie lassen sich nicht durch Mausklick oder Knopfdruck produzieren. Sie sind meist das Ergebnis eines Auseinandersetzungsprozesses. Und das ist halt nicht immer bequem.


Aber Erfolg bei der Arbeit, im Leben, ja sogar in der Liebe ist meist nicht auf dem bequemen Weg zu haben.

Der Weg des geringsten Widerstandes führt bergab.

Für Heiko Ernst ist denn auch klar: »Erfolg ist fast immer eine Frage der Ausdauer, und mit der Ausdauer kommt das Können, und mit dem Können entsteht die Lust, die wiederum die Ausdauer beflügelt. Diese positive Spirale in Gang zu setzen ist der Kern pädagogischer Kunst« (Ernst 2006). Eben: Die Schule muss ein Ort sein, wo Menschen lernen, Widerständigkeit als sportliche Herausforderung anzunehmen. Dabei geht es allerdings gerade nicht um ein verkrampftes Auf-die-Zähne-Beißen. »Vielmehr ist Hartnäckigkeit als eine besondere Form der Selbstmotivation gefragt, als eine Kraft, die sich im Tun immer wieder selbst erneuert. Das ist eine wichtige Erkenntnis, gerade heute, wo sofortige Bedürfnisbefriedigung, Zerstreuung und die Sucht nach schnellen Erfolgen zu dominieren scheinen« (Doskoch 2006).

a u f g e p i c k t

Der Mensch soll lernen. Nur die Ochsen büffeln.

Erich Kästner

Vor diesem Hintergrund ist es Quatsch zu postulieren, Schule müsse Spaß machen. Denn: Nicht die Schule muss Spaß machen. Vielmehr sollen die Lernenden Spaß und Freude entwickeln an ihren Leistungen (in der Schule). Das heißt:

Die Quelle der Freude sind nicht die anderen, sondern sie selber und ihre Leistungen.

»Leistung« muss positiv besetzt sein. Es braucht eine Art »Anstrengungskultur«. Es braucht Freude am Umgang mit Schwierigkeiten. Es verlangt nach der Lust, mehr zu tun als den Dienst nach Vorschrift. Es verlangt nach dem Bedürfnis, nicht mit der erstbesten Lösung zufrieden zu sein. Die Lernenden müssen »Arbeit« und »Leistung« als Quellen der Zufriedenheit und des Stolzseins auf sich selber erleben.

Anstrengungsbereitschaft, Gratifikationsaufschub, Beharrlichkeit, Leistungswille können nur dann erstrebenswert klingen, wenn sie auf der Erkenntnis fußen, dass es sich lohnt. Basis aller Erkenntnis ist die Erfahrung. Das heißt: Positive Erfahrungen sind eine Voraussetzung, damit Menschen den nicht immer unbeschwerlichen Weg im unwegsamen Gelände des Lernens auf sich nehmen. Und: Es braucht das Gefühl von Machbarkeit.

Machbarkeit muss man sich vorstellen können. Sie muss sich in Worte kleiden lassen. Denn: »Die Sprache ermöglicht das Fassen der Gedanken in Begriffe. Sie ist damit ein wichtiges Interpretationsinstrument des Gehirns und ein wichtiger Katalysator für das Lernen« (Stadelmann 2005). Oder anders gesagt: Die Sprache ist konstitutiv für menschliches Denken, Fühlen und Wissen. Oder noch anders: Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage …?

Die Sprache ist ein Faktor, der unsere Kognitionen und unser Verhalten bestimmt. »Die Arbeit an der Sprache ist Arbeit am Gedanken«, formuliert es die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Werbung. Kurz: Mit der Sprache geben wir dem Denken eine Richtung. Beispiel: Wer sagt, er wolle etwas erklären, wird anders denken und handeln, als wenn er etwas benennen, und noch einmal anders, wenn er etwas zuordnen will. Das heißt unter anderem: Lernende müssen in eigenen Worten – also mit ihren eigenen gedanklichen Konstruktionen – ein Bild dessen zeichnen können, was das Ergebnis ihres Engagements, was der Lernnachweis sein soll. Und sie müssen sich vorstellen können, wie sie den Erfolg bewerkstelligen wollen. Das Ziel ist der Weg.


SSpannender Aufbau, Dramaturgie, Struktur, pro Satz ein Gedanke, für das Ohr schreibenSind Struktur und Ablauf nachvollziehbar?
TTreffende Ausdrücke. Wortschatz Synonyme suchen Präzis und bildhaft beschreibenSitzen die Ausdrücke? Ist klar, was gemeint ist?
AAktiv formulieren „Handelnde“ Verben Direkte Sprache Zur Sache kommenHandelt die Sprache? Welche Verben werden wie eingesetzt?
RRichtige Schreibweise, Rechtschreiberegeln korrekt angewendet GenauigkeitWie schreibt man …? Ist der Text überarbeitet? Gegengelesen?
KKurze Sätze: 5 -10 Wörter pro Satz Optimale Verständlichkeit: durchschnittlich 8 - 9 WörterWie lang sind die Sätze? Macht man besser zwei daraus?

Die entscheidende Frage nach dem Wie

Die Frage nach dem Was prägt schulisches Denken und Handeln. Was ist zu lernen? Französischvokabeln. Algebra. Kommaregeln. Doch eigentlich geht das gar nicht. Noch einmal: eigentlich geht das gar nicht. Lernen ist ein konstruktiver Prozess. Eine Tätigkeit. Aber Französischvokabeln sind ja keine Tätigkeit. Und Algebra auch nicht. Lernen hingegen, verstehen, sich auseinandersetzen, Gebrauchsspuren bilden, das ist an Aktivitäten gebunden. Nicht die Frage nach dem Was steht dabei im Vordergrund, sondern die Frage nach dem Wie. Das Wie bestimmt das Was. »Wenn nämlich das Was des Wissens vom betreffenden Erkenntnisvorgang, dem Wie bestimmt wird, dann hängt unser Bild der Wirklichkeit nicht mehr nur davon ab, was außerhalb von uns der Fall ist, sondern unvermeidlich auch davon, wie wir dieses Was erfassen.« (Watzlawick 1995) Mit anderen Worten: Der Gewusst-wie-Faktor entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Ob es sich nun um Algebra oder um Kommaregeln handelt, ist dabei völlig unerheblich.


Quelle: Internet

Erfolgreich erfahren zu haben, wie etwas geht, gibt Sicherheit und Vertrauen. Und das wiederum sind entscheidende Voraussetzungen, um sich neugierig ins Halbdunkel des Lernens zu begeben. Aus der Könnenserfahrung, der Erfahrung also des Gewusstwie, entwickelt sich der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Diese Überzeugungen von der eigenen Wirksamkeit bestimmen maßgeblich, wie neugierig wir in die Welt schauen, welche Herausforderungen wir annehmen und wie wir an die Dinge herangehen. Auch in der Schule.

Die Erfahrungen des Gelingens und der prinzipielle Glaube daran entstehen aus dem Wie.

Und diese Gebrauchsspur des Sich-zu-helfen-Wissens wirkt sich fundamental aus auf das Was. Das Wie ist der Treibstoff, aus dem das Lernen ist.

Renate Girmes zeigt sich in dieser Beziehung nicht sehr zuversichtlich: »Leider bestätigen die Ergebnisse der PISA-Studie für Deutschland, dass das WIE des Lernens oft eher auf die Einübung — als auf das Verständnis — von Weltsichten und Wissenswelten setzt. Das geschieht aus meiner Sicht quasi aus der Tradition der alten Schule und zugleich aus der Not der Stofffülle. Es geschieht aber auch, weil die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern nur in Glücksfällen dafür sorgt, dass diese auf der Basis eines Verständnisses von Lernen agieren, das dazu Anlass gibt, Lernsituationen zu gestalten, die Schülerinnen und Schüler aktivieren, sich mit Lernangeboten so auseinanderzusetzen, dass sie sich zu verantwortlichen Lösungsversuchen herausgefordert fühlen, im Lernprozess ein Risiko übernehmen, Fehler machen und aus Fehlern lernen und bezogen auf all das mit ihren Lehrerinnen und Lehrern im kommunikativen Austausch stehen« (Girmes 2004).

Mit anderen Worten: Die Schule trägt dem Wie zu wenig Rechnung. Damit ist nun beileibe nicht etwa gemeint, dass zusätzliche Lektionen in Lerntechnik eingeführt werden sollen. Deren relative Wirkungslosigkeit ist sattsam bekannt. Es geht schlicht und ergreifend darum, das Wie in den Fokus zu nehmen. Und das ist eigentlich ganz simpel. Die Frage heißt dann eben nicht: »Was lernst du?« Sondern sie lautet: »Wie lernst du (das, was du lernst)?« Und dann kann die Antwort nicht mehr nur lapidar heißen: »Algebra«.


Persönliche Herausforderung (er-)finden

Selbstwirksamkeitserfahrungen und die damit einhergehenden positiven Bestärkungen bilden die Grundlage, sich Aufgaben und Herausforderungen mit der erforderlichen Zuversicht und konstruktiven Ausdauer anzunehmen. Mit anderen Worten: Eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit korrespondiert mit größerer Lern- und Leistungsfreude. Und umgekehrt.

Und das ist auch nötig.

Denn Menschen nehmen nur dann Dinge in Angriff, wenn sie sich ihnen gewachsen fühlen.

Wer eine Situation als nicht beeinflussbar erlebt, meidet sie oder reagiert mit Angst oder Aggression. Wer aber glaubt, über die nötigen Kompetenzen zu verfügen, ist bereit, Herausforderungen anzunehmen und mit verstärktem Engagement sowie mit mehr Beharrlichkeit und Kreativität an die Dinge heranzugehen.


Jede Situation in unserem Leben stellt uns vor bestimmte Anforderungen. Genauer: Wir nehmen Situationen als in einer bestimmten Weise wahr. Wir konstruieren die Anforderungen vor unserem biografischen Hintergrund. Und ebenso muten wir uns bestimmte Fähigkeiten zu, mit diesen Situationen umzugehen. Wir befinden uns also permanent in drei möglichen Zuständen: Wir fühlen uns überfordert. Unterfordert. Oder herausgefordert.

Das Gefühl, überfordert oder unterfordert zu sein, muss keinen Anlass zur Sorge geben, wenn es zeitlich beschränkt ist. Sich mal ein bisschen langweilen oder blamieren, damit lässt sich leben. Langfristig sind Überforderungs- und Unterforderungssituationen aber krank machende Zustände. Das heißt: Schulsituationen müssen von den Lernenden als herausfordernd wahrgenommen werden.

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