Eigentlich wäre Lernen geil

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Aus der Reihe: hep LernCoaching
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Eigentlich wäre Lernen geil
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Andreas Müller

Eigentlich wäre Lernen geil

Wie Schule (auch) sein kann: Alles außer gewöhnlich

Reihe: LernCoaching

ISBN Print: 978-3-03905-926-3

ISBN E-Book: 978-3-03905-915-7

2. Auflage 2013

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhalt

LernCoaching – eine andere Schule gestalten

1 »Ich verhelfe ihm zum Erfolg, dafür bin ich da.«

1.1 Spuren lesen

1.2 Den Erfolg organisieren

1.3 Eigentlich wäre Lernen geil

1.4 Unfall in Hinterindien

1.5 Katz und Maus

2 Wenn die Schule wüsste, was die Schule weiß.

2.1 Gemeinsame Antworten finden

2.2 Einander zum Erfolg verhelfen

2.3 Dem Zufall nachhelfen

3 Vielfalt ist nur dort ein Problem, wo Einfalt herrscht.

3.1 Lernen ermöglichen

3.2 Vielfalt statt Einfalt

Quellen

LernCoaching – eine andere Schule gestalten

Noch vor wenigen Jahren bekam virtuell eins auf den Mund, wem »geil« über die Lippen rutschte. Denn so etwas sagte man nicht.

Mittlerweile hat das Wort von der Gasse aus längst die Salons und Teppichetagen erobert. Wer etwas toll findet, findet es geil.


Der Aufstieg von »geil« in Richtung höherer sprachlicher Weihen ist ein kleines Beispiel dafür, wie die Zeiten und Ansichten sich ändern. Der Wandel manifes­tiert sich selbst in den filigranen Verästelungen des täglichen Lebens. Eben beispielsweise in der sprachlichen Ausdrucksweise. Das heißt: Die vielfältigen und tief greifenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft machen vor nichts Halt.

Teil dieser Gesellschaft ist auch die Schule. Auch sie muss sich deshalb schleunigst wandeln. Dabei reicht es nicht, Gutes einfach plötzlich geil zu finden. Die Verän­derungen müssen weiter gehen. Und tiefer.

Das heißt: Die Schule muss ihre Gestalt in einer Weise verändern, dass es auch Grund gibt, schulisches Lernen geil zu finden. Denn sowohl die individual­empirischen wie die offiziellen Daten zeigen: Die Begeisterung fürs Lernen nimmt mit zunehmender Schuldauer ab. Es wird ungeil.

Dabei wäre gerade das Gegenteil wichtig: Die Freude am Lernen müsste wachsen, müsste sich entfalten. Denn wer sein Leben erfolgreich gestalten will, muss lernen können. Und wollen. Und muss es geil finden.

Das wäre gar nicht so schwierig. Denn eigentlich wäre Lernen geil. Die Frage ist nur, was die Schule daraus gemacht hat. Welches Verständnis liegt dem zugrun­de, was in der Schule »lernen« genannt wird?

Die Lehrer spielen die Hauptrolle. Sie bilden eine geradezu symbiotische Einheit mit dem »Stoff«. Sie sagen, was zu gehen hat. Und wie es zu gehen hat. Sie sagen, was gut ist. Und was schlecht.

Daneben kann es nur Statisten geben. Eine Rolle, die auf Dauer lediglich für sehr schülerhafte Schüler die Bretter dieser Welt bedeuten kann.

LernCoaching ist deshalb mehr als eine Methode. Viel mehr. Es ist eine grundsätz­lich andere Betrachtungsweise dessen, was in der Schule »lernen« genannt wird. Und das führt zu einer ganz anderen Rollenverteilung. Zu einer anderen Lern­kultur. Zu einer anderen Schule. Zu einer Schule, in der Lernen geil sein kann.

Andreas Müller

1
»Ich verhelfe ihm zum Erfolg, dafür bin ich da.«

Darren Cahill

Coach von Andre Agassi

1.1 Spuren lesen

Das Image von Lernen ist zwiespältig. Gelinde gesagt! Häufig ist es kombi­niert mit Modalverben. Meistens mit »müssen«. Selten mit »wollen«. Und kaum je mit »können« oder »dürfen«. Bei schulischem Lernen sinkt das Image noch ein paar Treppenstufen tiefer in den Keller.

Image lässt sich definieren als das, was bei der Nennung eines Begriffs an Ge­danken und Emotionen hochkommt. Nimmt man diese Definition zum Maßstab, dann heißt Lernen zuerst und vor allem: auswendig lernen. »Wenn man die Ursachen für die Pro­bleme des Schullernens analysiert, stellt man wiederholt fest, dass in der Schul­tradition hartnäckig gewisse Auffassun­gen von Wissen und Lernen existieren, die vielfach zur heutigen wissenschaft­lichen Denkweise in Widerspruch ste­hen« (Lehtinen 1997).

Die Schule hat ihre Tradition von Kan­zel und Kasernenhof erfolgreich durch alle Stürme der Zeit retten können. Die Muster gleichen sich jedenfalls: Jemand steht vorne. Und dieser Jemand sagt, was Sache ist. Jene, die hinten sitzen (oder stehen), harren mehr oder weni­ger geduldig der Dinge, die da kom­men mögen. Dann werden sie in ge­schlossener Marschkolonne ins Manö­ver geführt. Oder in strenger Liturgie durch die Weihrauchnebel des Gottes­dienstes.


Wüste der Beliebigkeit

Die schulischen Aktivitätsmuster entsprechen zumeist dieser Tradition. Als Fol­ge davon findet das, was fälschlicher­weise Lernen genannt wird, in sehr engen Bahnen statt. In einem Mix von Marschkolonne und Liturgie steuert es auf einen Punkt am Horizont hin, den nur der Lehrer kennt. Wenn über­haupt. Und sonst endet es halt irgend­wo in der Wüste der Beliebigkeit.

Handlungsleitend sind zwar offiziell die Lehrpläne. LEHRpläne. Ein Lehr­plan ist die Sammlung von ganz wich­tigen Dingen, die zu lehren sich ein Lehrer verpflichtet fühlen muss. Sie sind so wichtig, dass sie einer hohen Abstraktion bedürfen. Das wiederum bedarf dann der Interpretation. Und weil zu viele Dinge so ungemein wich­tig sind, bedarf es dann auch eines so­genannten Mutes zur Lücke.

Im Klartext heißt das: Jeder Lehrer kann mehr oder weniger das tun, was er will. Oder was er denkt, was die Kollegen denken, was wichtig sei. Oder wofür es praktische Arbeitsblätter gibt. Oder was so wichtig klingt, dass es auch dem eigenen Ego ein bisschen schmeichelt. Das heißt weiter: Lehrpläne und die Aura der Erhabenheit, mit der sie offi­ziell umgeben werden, sind das eine. Ihre Umsetzung in den schulischen Alltag ist hingegen etwas ganz anderes. Und vor allem: Lehrpläne sind äußerst praktisch, wenn es darum geht zu be­gründen, weshalb etwas nicht geht.

Geheime Lehrpläne

Nicht zu vergessen: Es gibt ja auch noch die inoffiziellen Lehrpläne. Das sind die Prüfungen, die sich irgendwo am Horizont wie drohende Gewitter­wolken vor die Sonne schieben und die Sicht verdunkeln. Die Sicht aufs eigent­liche Lernen.

Prüfungen (und die Noten, die es dafür gibt) determinieren das Verhalten aller Beteiligten. Aller!

Zwar gibt es unzählige Formen und Va­rianten von Tests und Prüfungen. Drei Grundvarianten haben sich jedoch eta­bliert:

1.) Prüfungen innerhalb eines Klassen­verbandes: Sie dienen der Selektion. Je schwieriger und komplizierter, desto selektiver ist die Sache. Desto mehr Verlierer sitzen in den Bänken. Und als desto »strenger« gilt der Lehrer. Das heißt: Prüfungen sind ein mehr oder weniger subtil inszeniertes Machtspiel. Macht erzeugt Ohnmacht (häufig). Oder Widerstand (zunehmend). Oder aufwandökonomische Bewältigungs­strategien wie Bulimie-Lernen und Bescheißen (sehr häufig). Das Ziel schulischen Lernens heißt deshalb meistens: Prüfungen einigermaßen schadlos überstehen.

2.) Abschlussprüfungen: Die Lehr­personen basteln aus dem »behandel­ten Stoff« einen Verschnitt. Die insze­nierte Wichtigkeit hebt selbst das dürf­tigste Aufgabenblättchen in den päda­gogischen Adelsstand. Ein anderer As­pekt: Zu viele Versager bei Abschluss­prüfungen werfen ein schlechtes Licht auf den Lehrer. Deshalb werden die Lernenden entsprechend gedrillt. Ge­sucht sind Wiederkäuer. Und die lei­tende Fragestellung heißt (bis weit in die Erwachsenenbildung hinein): Was kommt in der Prüfung?

3.) Externe Prüfungen: Nicht immer können die Lehrpersonen die Prüfun­gen für ihre Schüler bedürfnisgerecht zusammenschustern. Manchmal fin­den sie halt »draußen« statt (z. B. Auf­nahmeprüfungen) oder kommen von dort (z. B. Vergleichstests). Aber auch dieses Problem lässt sich lösen. Schließ­lich hat es in den Vorjahren schon Prü­fungen gegeben. Die entsprechenden Aufgaben werden zu Bestsellern. Und das Büffeln kann beginnen. »Prüfungsvor­bereitung« heißt das in der schulischen Sprachregelung.


Orientierung an Kommastellen

Dezidiert äußert sich Erno Lehtinen: »Den Schülern wird die generelle Auffas­sung vermittelt, dass das Ziel der Schul­arbeit darin besteht, sich, egal mit wel­chen Mitteln, um gute Noten und nicht um das Verstehen einer Sache zu bemü­hen« (Lehtinen 1997). Damit ist klar: Die äußeren Anforderungskriterien determi­nieren das schulische Denken und Han­deln. Tue dies, dann kriegst du das. Der Schüler weiß: Ich brauche eine genügen­de Note. Wenn er aber gefragt wird, was das denn inhaltlich bedeute, was er ge­lernt haben werde, dann hat er nicht den Dunst vom Schimmer einer Ahnung. Und: Es ist ihm eigentlich auch wurst. Denn es ist offensichtlich gar nicht rele­vant: Die Mutter fragt nach der Note. Der Großvater will wissen, was er im Zeug­nis habe. Der Bruder brüstet sich, weil er einen halben Punkt besser ist in Mathe. Die weiterführende Schule verlangt einen gewissen Notenschnitt. Wo man hinhört und hinschaut: Noten sind der Kompass auf dem Weg durch den schulischen Berechtigungsdschungel. Und diese Orientierung an Noten und Kommastellen verhindert eigentliches Lernen. Denn Noten sind meist inhalts­leer – eine Art Potemkin’scher Dörfer.

 

Eine Kulisse – und nichts dahinter. Denn eben: Kaum ein Lernender kann wirklich sagen, für welche Lern­ergebnisse eine bestimmte Note wirk­lich steht. Und die Lehrer wissen es auch erst, wenn sie die Punkte der Gauß’schen Kurve zugeordnet haben.

»Kulissenlernen« bezeichnet deshalb Erno Lehtinen als typisch für die Schul­situation. »Schüler und Studenten ha­ben effektive Strategien erworben, die es ihnen ermöglichen, die äußeren An­forderungssituationen der Schule zu bewältigen, ohne ein gründliches Ver­ständnis der zu lernenden Inhalte er­reicht zu haben« (Lehtinen 1997). Kommt hinzu: Diese äußeren An­forderungssituationen werden zumeist nicht als Lern-, sondern als moralische Kontrolle wahrgenommen.

Ein Kernproblem ortet Erno Lehtinen deshalb im Umstand, »dass die traditi­onellen Konventionen, die der Sozia­lisations- und Selektionsfunktion der Schule gedient haben, als Folge der ra­schen Entwicklung der Gesellschaft heute in einen radikaleren Wider­spruch mit derjenigen Aufgabe der Schule geraten sind, die mit dem Er­werb von Wissen und Handlungs­fähigkeiten zusammenhängt, wie sie im Arbeitsleben und anderswo im sozia­len und kulturellen Leben gebraucht werden« (Lehtinen 1997). Und Reusser/Reusser-Weyeneth doppeln nach: »Trotz perma­nenter Klagen über eine immer erdrü­ckender werdende Stofffülle hat sich das Bild von Schule als einer Stoff­vermittlungs- und Wissensanstalt bis in die jüngste Vergangenheit kaum wesentlich verändert« (Reusser/Reusser-Weyeneth 1997). »Halt, halt«, werden die Gralshüter des Systems einwenden: »So schlecht ist unser Schulsystem gar nicht.« Stimmt. Aber reicht das? »Nicht so schlecht sein«, ist das der Maßstab?


Einer Spur folgen

Die Menschen der Frühzeit mussten in der Lage sein, Spuren zu deuten. Spu­ren führten zu einer Beute. Oder sie rieten zur Flucht. Wer Spuren lesen konnte, mehrte seine Chancen, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Daran hat sich eigentlich nichts geän­dert. Denn: »Einer Spur folgen«, dort liegen die etymologischen Wurzeln von »Lernen«.

Das heißt: Dem »Lernen« wurde Nut­zen und Sinn zugeordnet. So gesehen ist menschliches Lernen geleitet von der Suche nach Sinn. Und tatsächlich: Menschen tun (und lernen) ausschließlich das, was für sie Sinn macht. Und wenn es sich lohnt, aus­wendig zu lernen, dann lernt man eben auswendig. Zum Zwecke der Wieder­gabe an Proben und Prüfungen. Aber eigentlich ginge es ja darum, ei­ner Spur zu folgen. Zu verstehen! Ver­stehen heißt: Informationen – Spuren eben – umzuwandeln in Sinn und Be­deutung. Verstehend Lernende kopie­ren also nicht. Sie kapieren.

Es wird nicht gelernt, was gelehrt wird. »Wissen« kann nicht vermittelt wer­den. Schulische oder andere Inhalte lassen sich nicht vom einen Menschen auf den anderen übertragen. Lernen ist ein Konstruktionsprozess. Wer ver­steht, gestaltet aktiv. Diese Konstruk­tionsprozesse werden gesteuert von emotionalen Faktoren. Das limbische System spielt dabei eine Schlüsselrolle. Es ist dafür verantwortlich, dass es reine »Sa­chen« im Prinzip gar nicht gibt. Das heißt: Verstehen zeichnet sich durch eine hohe emotionale Qualität aus. Emotio­nen sind das, was man spürt. »Spüren« steht seit dem 18. Jahrhundert für »emp­finden, fühlen«. Vorher hieß es »eine Spur suchen und ihr folgen« … Spuren sind Eindrücke. Und Eindrücke hinterlassen Spuren.


Aus: Senge, Peter M. et al.: Das Fieldbook zur Fünften Disziplin. Klett-Cotta. Stuttgart. 2008

1.2 Den Erfolg organisieren

Vor dem Hintergrund des Feilschens um Stundenverteilungen und andere Interessen könnte man meinen, die Schule diene den Lehrpersonen und der Bildungsbürokratie. Doch eigent­lich ist es anders gedacht: Die Schule ist für die Lernenden da! So banal das zunächst auch klingen mag: Um sie geht es!

Schulen sind Orte, wo Schülerinnen und Schüler den Spuren zur »Welt« folgen können sollten. Oder eben: wo sie verstehen lernen sollten. Und da sie das quasi hauptberuflich tun, sollten sie dabei und dafür eine entsprechen­de Professionalität aufbauen und kul­tivieren.

Diese Professionalität entwickelt sich aus dem wechselwirksamen Zusam­menspiel von Wissen, Können und Wollen. Oder neudeutsch: Knowledge, Skills und Attitude.

 Unter Wissen ist all das zu verste­hen, was den Menschen hilft, die Wahrnehmung bewusst zu gestalten, die Dinge einzuordnen und sie Sinn stiftender Bedeutung zuzuführen. Wissen, dahinter verste­cken sich keine toten Lagerbestän­de aus sinnleeren »Stoff«-Hülsen. Wissen ist vielmehr etwas Lebendi­ges, etwas Dynamisches. Und es gibt Antwort auf die Frage: Was hat das mit mir zu tun?

 Wer zu Wissen kommen, wer es er­weitern und vertiefen will, braucht entsprechende Fähigkeiten. »Gewusst wie« heißt die Devise. Lernen, Ver­stehen, Bedeutung generieren, das ist Arbeit. Wer die passenden Werk­zeuge kennt und sie richtig einzu­setzen weiß, hat leichteres Spiel. Je vielfältiger das Methodenrepertoire, desto mehr Handlungsoptionen bie­ten sich an. Das macht das Lernen wirkungsvoller. Und abwechslungs­reicher. Und spannender.

 Eigentlicher Dreh- und Angelpunkt sind Haltungen und Einstellungen. Wer mit einer Zwanzig-nach-acht-Birne zur Arbeit erscheint, wird Mühe haben. Und Mühe machen. (Lern-)Erfolg ist keine Konsumgut. Wer lernen, wer verstehen will, muss in irgendeiner Weise etwas tun dafür. Selbst! Nicht die anderen. Das heißt: Man muss sich verantwort­lich fühlen. Und die Sache der Sa­che wegen tun, nicht um Belohnun­gen zu erhalten oder Strafen zu ver­meiden. Das zeigt sich auch in den Beziehungen zu sich selbst, zu an­deren Menschen, zu den Dingen, um die es geht. Sich nützlich zu machen, ist eine Form davon.


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