Buch lesen: «Handbuch des Aktienrechts», Seite 51

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3.2 Ausschluss säumiger Aktionäre

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Aktionären, die den eingeforderten Betrag nicht rechtzeitig einzahlen, kann eine Nachfrist mit der Androhung gesetzt werden, dass sie nach Fristablauf ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen für verlustig erklärt werden (§ 64 Abs. 1 AktG). Die Nachfrist muss dreimal in den Gesellschaftsblättern bekannt gemacht werden (§ 64 Abs. 2 S. 1 AktG). Die erste Bekanntmachung muss mindestens drei Monate, die letzte mindestens einen Monat vor Fristablauf ergehen (§ 64 Abs. 2 S. 2 AktG). Zwischen den einzelnen Bekanntmachungen muss ein Zeitraum von mindestens drei Wochen liegen (§ 64 Abs. 2 S. 3 AktG). Ist die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden (Vinkulierung), so genügt anstelle der öffentlichen Bekanntmachungen die einmalige Einzelaufforderung an die säumigen Aktionäre; dabei muss eine Nachfrist gewährt werden, die mindestens einen Monat seit dem Empfang der Aufforderung beträgt (§ 64 Abs. 2 S. 4 AktG).

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Aktionäre, die den eingeforderten Betrag trotzdem nicht zahlen, werden durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen zugunsten der Gesellschaft für verlustig erklärt (§ 64 Abs. 3 S. 1 AktG). In der Bekanntmachung sind die für verlustig erklärten Aktien mit ihren Unterscheidungsmerkmalen anzugeben (§ 64 Abs. 3 S. 2 AktG).

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An Stelle der alten Urkunden werden neue ausgegeben; diese haben außer den geleisteten Teilzahlungen den rückständigen Betrag anzugeben (§ 64 Abs. 4 S. 1 AktG). Für den Ausfall der Gesellschaft an diesem Betrag oder an den später eingeforderten Beträgen haftet ihr der ausgeschlossene Aktionär (§ 64 Abs. 4 S. 2 AktG).

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Auch der Ausschluss säumiger Aktionäre (Kaduzierung) dient der realen Kapitalaufbringung. Die Regelung ist zwingend (§ 23 Abs. 5 AktG). Weder Erleichterungen noch Verschärfungen sind zulässig.[95] Wenn Aktionäre den eingeforderten Betrag nicht rechtzeitig, also zur gesetzlichen Zahlungsfrist, einzahlen, kann der Vorstand die Nachfrist mit der Androhung setzen, dass die Aktionäre nach Fristablauf ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen für verlustig erklärt werden.

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Für die Durchführung des Kaduzierungsverfahrens ist der Vorstand nach h.M. uneingeschränkt zuständig.[96] Nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG kann die Mitwirkung des Aufsichtsrates vorgesehen werden.[97] Diskutiert wird, ob die Satzung der Hauptversammlung die Zuständigkeit für die Kaduzierung zuweisen darf. Ein Teil der Literatur lehnt dies wegen des Sachzusammenhanges mit der Einforderung (§ 63 AktG) ab.[98] Ein solcher zwingender Zusammenhang zwischen der Einforderung der Einlage und dem Betreiben der Kaduzierung besteht jedoch nicht. Die Abwägung, ob eine Entscheidung der Hauptversammlung oder ein Vorgehen allein des Vorstandes größeren Erfolg verspricht, sollte deshalb der Satzung überlassen werden.[99] Auch § 119 Abs. 1 AktG geht davon aus, der Hauptversammlung durch Satzungsregelung gesetzesergänzende Zuständigkeiten zuzuweisen.[100] Dies erscheint auch deshalb plausibel, weil die Frage, ob ein Aktionär ausgeschlossen werden sollte, den innersten Kern des Mitgliedschaftsrechtes berührt, insbesondere die Frage, ob die verbleibenden Aktionäre den säumigen Gesellschafter (trotzdem) in ihrer Mitte behalten wollen (vielleicht aufgrund seines Netzwerkes oder seines außergewöhnlichen Erfahrungsschatzes oder seiner besonderen Verdienste für die Gesellschaft in der Vergangenheit). Damit sind auch Fragen, die die Treuepflicht berühren können, angesprochen, sodass die Zuweisung dieser sensiblen Frage durchaus im wohlverstandenen Interesse aller verbleibenden Aktionäre liegt.

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Die Entscheidung, ob das Kaduzierungsverfahren – durch den Vorstand oder durch die Hauptversammlung – eingeleitet wird, ist nach pflichtgemäßem Ermessen[101] zu treffen. Der Vorstand ist nicht verpflichtet, säumige Aktionäre auszuschließen, er kann sich auch darauf beschränken, die offene Einlage einzuklagen.[102] Ein schon eingeleitetes Verfahren kann eingestellt werden.[103] Wenn der Vorstand das Ausschlussverfahren einleitet, so muss er es gegenüber allen Aktionären gleichermaßen tun, soweit sie säumig sind; das entspricht dem Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG).[104]

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§ 64 AktG bezieht sich auf Aktionäre, die den eingeforderten Betrag, also ihre Bareinlage, nicht rechtzeitig einzahlen. Die Norm findet keine Anwendung auf die Sacheinlage, es sei denn, die Bareinlagepflicht lebt wegen einer (partiell) unwirksamen Sacheinlagevereinbarung wieder auf (§§ 27 Abs. 3, 183 Abs. 2, 194 Abs. 2, 205 Abs. 3 AktG).[105]

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Tritt die AG die Einlageforderung wirksam an einen Dritten ab, so kann der Dritte den Aktionär nicht mehr nach § 64 AktG ausschließen, weil das Recht zur Kaduzierung als unselbstständiges Nebenrecht nicht isoliert übertragbar (§§ 398, 413 BGB) und auch nicht pfändbar (§ 851 ZPO) ist.[106] Ist die Einlageforderung wirksam abgetreten, so scheidet eine Kaduzierung aus, da die AG nicht mehr Gläubigerin der Einlageschuld ist.[107] Bei Verpfändung und Pfändung bleibt die AG Gläubigerin des eingeforderten Betrages und kann deshalb das Ausschlussverfahren weiter betreiben.[108] Erfolgt nach Pfändung auch die Überweisung, so soll Kaduzierung möglich bleiben bei einer Überweisung zur Einziehung, dagegen nicht mehr bei einer Überweisung an Zahlungs statt.[109]

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Aktionären kann die Nachfrist des § 64 Abs. 1 AktG erst dann gesetzt werden, wenn sie den eingeforderten Betrag nicht rechtzeitig einzahlen. Daraus folgt, dass die Aufforderung, den eingeforderten Betrag nach § 63 Abs. 1 AktG zu zahlen, mit der Nachfrist nach § 64 Abs. 1 AktG nicht verbunden werden kann (anders als im Falle des Rücktritts nach § 323 Abs. 1 BGB).[110]

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Die Nachfrist muss dreimal in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG: mindestens elektronischer Bundesanzeiger) bekannt gemacht werden, es sei denn, es handelt sich um vinkulierte Namensaktien (§ 68 Abs. 2 AktG). Bei diesen ist eine einmalige Einzelaufforderung mit Monatsfrist hinreichend (§ 64 Abs. 2 S. 3 AktG). Die Frist kann auf einen bestimmten Tag lauten. Es genügt aber auch eine Frist mit dem Inhalt: „innerhalb von drei Monaten seit dem Tag der Bekanntmachung“.[111] Damit keine Zweifel darüber entstehen, welche Aktionäre mit welchen Aktien betroffen sind, sollten die Aktien durch Serie und Nummer unter Hinweis auf den Zahlungsrückstand bezeichnet werden.[112] Der Hinweis auf „alle Aktionäre, die sich mit der eingeforderten Zahlung in Rückstand befinden“ genügt nicht.[113]

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Aktionäre, die den eingeforderten Betrag trotzdem nicht zahlen, werden durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen zugunsten der Gesellschaft für verlustig erklärt (§ 64 Abs. 3 S. 1 AktG). Die Norm muss im Zusammenhang mit § 64 Abs. 1 AktG gelesen werden. Danach droht der Vorstand den säumigen Aktionären den Ausschluss an. Er kann die Aktionäre nach Ablauf der Nachfrist ausschließen – er muss es allerdings nicht tun. Nur wenn er nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots (§ 53a AktG) die Aktionäre ausschließen will, muss er dies durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern erklären. Soweit es um die Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern geht, ist die Regelung in § 64 Abs. 3 AktG zwingend – das Gesetz verfolgt mit der Veröffentlichung den Zweck, dass die Öffentlichkeit von der Maßnahme unterrichtet wird.[114]

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In der Bekanntmachung sind die für verlustig erklärten Aktien mit ihren Unterscheidungsmerkmalen (Serie, Nummer, Stückelung, Gattung) anzugeben. Das gilt auch für vinkulierte Namensaktien, auf die sich § 64 Abs. 3 AktG erstreckt. Eine Erklärung gegenüber den säumigen Aktionären ist statt einer Bekanntmachung unzureichend.[115]

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Mit der Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern nach § 64 Abs. 3 AktG verlieren die betroffenen Aktionäre ihre Mitgliedschaftsrechte. Folglich ist auch gutgläubiger Erwerb nicht mehr möglich.[116]

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In den Gesellschaftsblättern werden Aktionäre nicht nur ihrer Aktien, sondern auch der geleisteten Einzahlungen zugunsten der Gesellschaft für verlustig erklärt (§ 64 Abs. 3 S. 1 AktG). Das bedeutet, dass es für den Verlust der Mitgliedschaft keine Entschädigung oder Rückzahlung gibt. Die betroffenen Aktionäre partizipieren auch nicht am Verwertungserlös (§ 65 AktG).[117] Damit wirkt § 64 Abs. 3 AktG wie eine Vertragsstrafe.

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Die Ausschließung des säumigen Aktionärs bewirkt, dass das Mitgliedschaftsrecht der AG zuwächst.[118] Dies ergibt sich auch aus § 65 Abs. 3 AktG, wonach die Gesellschaft, wenn sie die Zahlung des rückständigen Betrags von den Vormännern nicht erlangen kann, die Aktie unverzüglich zum Börsenpreis und beim Fehlen eines Börsenpreises durch öffentliche Versteigerung zu verkaufen hat. Dies bedeutet, dass das Gesetz der AG die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte aus der Aktie für den Fall der Kaduzierung zuweist. Zu beachten ist, dass diese Aktien nach §§ 71 Abs. 2 S. 1, 71c Abs. 2 AktG in der Regel nicht mitzurechnen sind.[119] Auch die Aktivierung scheidet aus, weil sie keinen Wert darstellt, der über die schon aktivierte Einlagenforderung hinausginge.[120] Die Aktien sind aber im Anhang aufzunehmen und zu erläutern (§ 160 Abs. 1 Nr. 2 AktG).

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In den nach § 64 Abs. 4 AktG auszugebenden neuen Urkunden ist neben den Teilzahlungen (§ 10 Abs. 2 S. 2 AktG) auch der rückständige Betrag zu vermerken, und zwar als eingezahlt, denn die neue Aktie wird einem Vormann nur dann ausgehändigt, wenn er die fällige Einlageschuld (§ 65 Abs. 1 S. 4 AktG) bezahlt hat.[121] Eine noch nicht fällige Einlageschuld, die noch offen ist, bleibt bestehen und geht auf den Erwerber (Vormann oder Dritten) über.[122]

Beispiel:

Einlageforderung 100, Teilzahlung nach § 36a Abs. 1 AktG 25, Einforderung weiterer 40 nach § 63 Abs. 1 AktG. Diese 40 werden nicht bezahlt. Deshalb Kaduzierung. Auf der neuen Aktienurkunde ist 65 als eingezahlt zu vermerken. Der Erwerber haftet noch für die (noch nicht fällige) Restschuld von 35.[123]

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Der ausgeschlossene Aktionär haftet der Gesellschaft für den Ausfall an diesem Betrag oder an den später eingeforderten Beträgen (§ 64 Abs. 4 S. 2 AktG). Es handelt sich um eine subsidiäre Ausfallhaftung. Die Haftung umfasst den rückständigen Betrag sowie Beträge, die der Vorstand nach § 63 Abs. 1 AktG erst nach Ausschluss einfordert. Auf die Nebenforderungen nach § 63 Abs. 2 und Abs. 3 AktG (Zinsen, Schadensersatz, Vertragsstrafe) erstreckt sich die Ausfallhaftung nicht. Insoweit haftet der ausgeschlossene Aktionär als Primärschuldner weiter, wenn die Nebenforderungen in seiner Person entstanden sind.[124]

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Werden Aktionäre fehlerhaft ausgeschlossen, so ist die Maßnahme nichtig, der Aktionär ist nach wie vor Mitglied der AG; sein Mitgliedschaftsrecht ist durch die fehlerhafte Kaduzierung nicht angetastet.[125] In diesem Fall besteht die Mitgliedschaft des Aktionärs nach wie vor – alle Verfügungen des Aktionärs sind wirksam. Umgekehrt sind die neuen Aktien ein rechtliches Nullum (§ 794 BGB ist nicht anzuwenden).[126]

3.3 Zahlungspflicht der Vormänner

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Jeder im Aktienregister verzeichnete Vormann des ausgeschlossenen Aktionärs ist der Gesellschaft zur Zahlung des rückständigen Betrags verpflichtet, soweit dieser von seinen Nachmännern nicht zu erlangen ist (§ 65 Abs. 1 S. 1 AktG). Von der Zahlungsaufforderung an einen früheren Aktionär hat die Gesellschaft einen unmittelbaren Vormann zu benachrichtigen (§ 65 Abs. 1 S. 2 AktG). Dass die Zahlung nicht zu erlangen ist, wird vermutet, wenn sie nicht innerhalb eines Monats seit der Zahlungsaufforderung und der Benachrichtigung des Vormanns eingegangen ist (§ 65 Abs. 1 Satz 3 AktG). Gegen Zahlung des rückständigen Betrags wird die neue Urkunde ausgehändigt (§ 65 Abs. 1 S. 4 AktG).

98

Jeder Vormann ist nur zur Zahlung der Beträge verpflichtet, die binnen zwei Jahren eingefordert werden (§ 65 Abs. 2 S. 1 AktG). Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem die Übertragung der Aktie zum Aktienregister der Gesellschaft angemeldet wird (§ 65 Abs. 2 S. 2 AktG).

99

Ist die Zahlung des rückständigen Betrags von Vormännern nicht zu erlangen, so hat die Gesellschaft die Aktie unverzüglich zum Börsenpreis und beim Fehlen eines Börsenpreises durch öffentliche Versteigerung zu verkaufen (§ 65 Abs. 3 S. 1 AktG). Ist von der Versteigerung am Sitz der Gesellschaft kein angemessener Erfolg zu erwarten, so ist die Aktie an einem geeigneten Ort zu verkaufen (§ 65 Abs. 3 S. 2 AktG). Zeit, Ort und Gegenstand der Versteigerung sind öffentlich bekannt zu machen (§ 65 Abs. 3 S. 3 AktG). Der ausgeschlossene Aktionär und seine Vormänner sind besonders zu benachrichtigen; die Benachrichtigung kann unterbleiben, wenn dies untunlich ist (§ 65 Abs. 3 S. 4 AktG). Bekanntmachung und Benachrichtigung müssen mindestens zwei Wochen vor der Versteigerung ergehen (§ 65 Abs. 3 S. 5 AktG).

100

Die Norm betrifft die Rechtsfolgen einer Kaduzierung. Es geht um die Verwertung der Aktie mit dem Ziel, die Zahlung der rückständigen Geldbeträge und damit die reale Kapitalaufbringung zu erreichen. Die Aktionäre und ihre Vormänner können von ihren Leistungspflichten nach den §§ 54 und 65 AktG nicht befreit werden (§ 66 Abs. 1 AktG); die Regelung ist also zwingend (§ 23 Abs. 5 AktG).

101

Haftungsschuldner ist jeder im (z.B. elektronische geführten) Aktienregister verzeichnete Vormann des ausgeschlossenen Aktionärs. Damit wird an § 67 Abs. 2 AktG angeknüpft, wonach im Verhältnis zur Gesellschaft nur derjenige als Aktionär gilt, der als solcher im Aktienregister eingetragen ist. Im Aktienregister sind Namensaktien und Zwischenscheine einzutragen (§ 67 Abs. 1 und 7 AktG). Verzichtet die AG auf die Ausgabe von Aktienurkunden, werden also unverkörperte Mitgliedschaftsrechte kaduziert, so ist § 65 Abs. 1 AktG nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. Wegen des darin liegenden Unterlaufens des Grundsatzes der realen Kapitalaufbringung wird eine analoge Anwendung von § 65 Abs. 1 AktG auf diese Fälle gefordert.[127] Das Gleiche soll gelten, wenn eine AG trotz Ausgabe von Namensaktien oder Zwischenscheinen kein Aktienregister angelegt hat.[128] Schließlich ist die Eintragung in ein Aktienregister wohl auch dann entbehrlich, wenn – entgegen § 10 Abs. 2 AktG – Inhaberaktien ausgegeben und analog § 64 AktG kaduziert wurden.[129] Wurden die Inhaberaktien allerdings gutgläubig erworben, so entfällt der Regress nach § 65 AktG, weil in diesen Fällen schon die Kaduzierung ausscheidet.[130]

102

Die Vormänner haften, wenn auf der einen Seite wirksam kaduziert wurde.[131] Auf der anderen Seite setzt die Haftung voraus, dass der rückständige Betrag von den Nachmännern des in Anspruch genommenen Vormanns nicht zu erlangen ist. Von der Zahlungsaufforderung an einen früheren Aktionär hat die Gesellschaft seinen unmittelbaren Vormann zu benachrichtigen. Auf diese Weise kann dieser auf den Nachmann Einfluss nehmen und versuchen, diesen zur Zahlung zu bewegen.[132] Informiert die AG den unmittelbaren Vormann nicht, so kann sie sich nicht auf die Vermutung des § 65 Abs. 1 S. 3 AktG berufen. An der Haftung des Vormannes für die Zahlung des rückständigen Betrags ändert dies jedoch nichts.[133]

103

Nach § 65 Abs. 1 S. 1 AktG ist der Vormann zur Zahlung des rückständigen Betrags nur verpflichtet, soweit dieser von seinen Nachmännern nicht zu erlangen ist. Daraus folgt zwingend eine gestaffelte Regresskette vom unmittelbaren Vormann des ausgeschlossenen Aktionärs bis zum ersten Erwerber der Aktie. Alle Erwerber nach dem ersten Aktionär sind Nachmänner. Folglich haften die jeweiligen Vormänner nur im Staffelregress – ein Sprungregress auf den Zahlungsfähigsten ist – anders als beim rücklaufenden Wechsel (Art. 47 WG) oder Scheck (Art. 44 ScheckG) – nicht möglich.[134]

104

Ist die AG selbst Vormann, hat sie also nicht voll eingezahlte eigene Aktien abgegeben,[135] so war nach überwiegender Meinung die Haftung aller weiteren Vormänner durch Konfusion ausgeschlossen.[136] Heute wird zunehmend das Gegenteil vertreten, weil sonst den Vormännern der AG ihre Zahlungsunfähigkeit in ungerechtfertigter Weise zugute käme.[137]

105

Der Vormann schuldet den Geldbetrag, der Gegenstand der Kaduzierung war abzüglich der von seinen Nachmännern erbrachten Teilleistungen. Verfahrenskosten, Zinsen oder sonstigen Schadensersatz schuldet der Vormann nicht. Darauf nimmt § 65 Abs. 1 S. 1 AktG nicht Bezug.[138] Dem Vormann ist gegen Zahlung des rückständigen Betrags die neue Urkunde auszuhändigen (§ 65 Abs. 1 S. 4 AktG). Er schuldet die Zahlung also Zug um Zug, es sei denn, dass die Mitgliedschaft bisher noch nicht verbrieft war.[139] Wenn und soweit die AG über das Mitgliedschaftsrecht anderweitig verfügt hat, es also dem Vormann nicht übertragen kann, scheidet ein Regress aus.[140]

106

§ 65 Abs. 2 AktG enthält eine Zweijahresfrist. Jeder Vormann ist nur zur Zahlung der Beträge verpflichtet, die binnen zwei Jahren eingefordert werden. Die Frist bezieht sich auf Forderungen, die im Zeitpunkt des Ausscheidens des früheren Aktionärs (Vormann) noch nicht fällig waren, die aber später – innerhalb von zwei Jahren nach seinem Ausscheiden – eingefordert werden. Auf Beträge, die im Zeitpunkt des Ausscheidens des Vormanns bereits fällig waren, bezieht sich § 65 AktG nicht. Insoweit haftet der Vormann auch ohne zeitliche Grenze.[141]

107

Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem die Übertragung der Aktie zum Aktienregister der Gesellschaft angemeldet wird (§ 65 Abs. 2 S. 2 AktG). In der Neuregelung zu § 67 Abs. 3 AktG gibt es keine Anmeldung mehr, sondern nur noch eine „Mitteilung“.[142] Gemeint ist heute, dass der frühere Aktionär die Übertragung mitteilt und auf diese Weise seine Löschung im Aktienregister herbeiführen kann.[143] Bei der Fristberechnung nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB ist der Tag der Mitteilung mitzurechnen.[144] Voraussetzung ist immer eine ordnungsgemäße Mitteilung nach § 67 Abs. 3 AktG.

108

Bei unverkörperten Mitgliedschaftsrechten oder gesetzwidrig ausgegebenen Inhaberaktien oder der Ausgabe von Namensaktien ohne Anlegung eines Aktienregisters kann an eine ordnungsgemäße Mitteilung nach § 67 Abs. 3 AktG nicht angeknüpft werden. Teilweise wurde auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch die AG abgestellt.[145] Dagegen wird von der h.M. geltend gemacht, dass der für das Verstreichen der Frist beweispflichtige Vormann nur den Zeitpunkt der Übertragung der Aktien beweisen kann, nicht dagegen die Kenntniserlangung durch die AG. Deshalb komme es entscheidend auf den Zeitpunkt der Veräußerung an.[146]

109

Ist die Zahlung des rückständigen Betrags von den Vormännern nicht zu erlangen, so hat die Gesellschaft die Aktien unverzüglich zum Börsenpreis zu verkaufen (§ 65 Abs. 3 S. 1 AktG). Aktien ohne Börsennotierung sind zu versteigern (§ 65 Abs. 3 S. 1 AktG). Ist von der Versteigerung am Sitz der Gesellschaft kein angemessener Erfolg zu erwarten, so ist die Aktie an einem geeigneten Ort zu verkaufen (§ 65 Abs. 3 S. 2 AktG). Der Verkauf hat unverzüglich zu erfolgen. Bei unterdurchschnittlichen Kursen können bessere Zeiten abgewartet werden, wenn die AG nicht auf rasche Kapitalzufuhr angewiesen ist.[147] Die Versteigerung der Aktien ist nach § 383 Abs. 3 BGB öffentlich. Der ausgeschlossene Aktionär und seine Vormänner sind mindestens zwei Wochen vor Versteigerung zu benachrichtigen (§ 65 Abs. 3 S. 4 und 5 AktG). Die Benachrichtigung kann unterbleiben, wenn sie untunlich ist (§ 65 Abs. 3 S. 4 AktG). Dies dürfte mit Blick auf die Ausfallhaftung des ausgeschlossenen Aktionärs und seine möglicherweise schon erbrachten Teilzahlungen jedoch kaum jemals der Fall sein.[148] Der Vorstand ist verpflichtet, mit verkehrsüblicher Sorgfalt zu handeln, insbesondere einer Verschleuderung der Aktie vorzubeugen. Es kann daher notwendig sein, einen Mindestpreis zu verlangen und bei zu niedrigen Geboten die Versteigerung auch abzubrechen.[149]

110

Durch die Verwertung erbringt der Erwerber die rückständige Einlage, nicht den Kaufpreis[150] und unterliegt folglich den Einschränkungen des § 66 AktG.[151] Infolgedessen wird der Erwerber Aktionär. Er schuldet die rückständige Einlage nicht mehr. Künftig fällig werdende Beiträge muss er allerdings bezahlen, weil er jetzt Aktionär ist. Für den etwaigen Ausfall der Gesellschaft haftet der ausgeschlossene Aktionär nach § 64 Abs. 4 S. 2 AktG. Die Vormänner werden von ihrer Regressschuld frei.[152] Wird bei der Verwertung ein Überschuss erzielt, so steht dieser ausschließlich der AG zu.[153]

111

Findet sich für die kaduzierten Aktien kein Käufer, so erwirbt die AG endgültig das Eigentum an diesen Aktien.[154] Die Ausfallhaftung des ausgeschlossenen Aktionärs (§ 64 Abs. 4 S. 2 AktG), aber wohl auch die vorrangige Regresshaftung der Vormänner (§ 65 Abs. 1 AktG) bleibt bestehen.[155]