Bonjour, Frankreich!

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Bonjour, Frankreich!
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Almut Fehrmann

BONJOUR,
FRANKREICH!
Drei Reiseerzählungen

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Zeichnungen © Antje Rahnenführer

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Für Lorli

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

Teil 1 – 2007

Französische Südküste von der spanischen bis zur italienischen Grenze

Walter Benjamin

Bamberger Zwiebel

Camping in Freiburg

Über den Rhein

Oben ohne

Königlicher Stinker

Bis zum West-Zipfel von Südfrankreich

Strafbare Handlung mit Frühstück

La Corrida

Gardianne

Wenn ein Olivenbaum erzählt

Französische Spezialität bei den Römern

Inselgefühle vor Marseille

Moniques Balkonbrüstung

Die Schönen, die Reichen und die Kunst

Kontraste in Italien

Schweizer Berge, Gummistiefel und Bregenz

Muss i denn

Teil 2 – 2010

Paris, Bretagne und Normandie

Auftakt im Westerwald

Stress und Kunst in Paris

Bier-Unterricht und Möwenmahlzeit

Folklore bretonisch

Morlaix im strömenden Regen

Zwiebeln von Roscoff, Artischockenfelder und Megalithe

Missbrauch des Geschirrspülers

Auf dem heiligen Berg des Michael

Luxus in der Normandie

Hollywood und Schickimicki

Keine verlorene Zeit

D-Day-Reminiszenzen

Rouen, Jungfrau und General

Meeresfrüchte und Kathedrale von Amiens

Junggesellenabschied in Belgien und Knöten

Teil 3 – 2013

Atlantikküste und Loire

Silberhochzeit

Metz

Nancy

Orléans

Chambord und Blois

Bordeaux

La Rochelle

Île de Ré

Stadt-Tag in La Rochelle

Die Festung im Meer – Fort Boyard

La Rochelle – Schritt für Schritt

Die drei Türme

Saumur

Villandry

Bourges

Schweiz und Schwarzwald

Rothenburg ob der Tauber

Dank

Vorwort

»Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen« ist der Anfang eines Gedichtes von Matthias Claudius. Also gab es auch schon vor über zweihundert Jahren diese Erkenntnis und bis heute hat sich an der Beliebtheit, auf Reisen zu gehen, nichts geändert.

Und jeder, der seine Erfahrungen beim Reisen macht und darüber schreibt, entdeckt das jeweilige Reiseziel stets neu, obwohl schon unzählige Menschen die gleiche Reise angetreten sind. Deshalb erfreuen sich Reisebeschreibungen so großer Beliebtheit beim Leser.

Franka und Rolle treten nun endlich nach über dreißig Jahren Wartezeit, im Mai 2007, ihre geplante Reise an. Zunächst an die französische Südküste von der spanischen Grenze bis hin zur italienischen. 2010 geht es nach Paris, in die Bretagne und die Normandie. An Frankreichs Atlantikküste und Loire geht es im Jahre 2013.

Was diese Reisebeschreibungen ausmacht und so anziehend auf den Leser wirkt, ist die Kombination von akkurater Wissensvermittlung, persönlicher Eindrücke und Beschreibung der Menschen, die ihnen begegnen. Missgeschicke und schöne Emotionen wechseln sich ab und werden humorvoll geschildert. Schon allein die mehr oder weniger Auseinandersetzungen des Ehepaares, mal freundlich, mal missmutig, mal fröhlich lässt einen an eigene Erfahrungen erinnern. Nicht nur deshalb macht es Freude, dieses Buch zu lesen. Es macht auch Lust, selbst zu verreisen und zu sagen: »Bonjour, Frankreich!«

Luise Wilsdorf, 2016

TEIL 1 – 2007
FRANZÖSISCHE SÜDKÜSTE VON DER SPANISCHEN BIS ZUR ITALIENISCHEN GRENZE


Walter Benjamin

Immerwiederkehrender Alltag mit Aufstehen, Frühstücken, Einkaufen, Mittagessen kochen, mit dem Ehemann die Mahlzeit einnehmen, Mittagsruhe halten, spazieren gehen. Einzige Sondermerkmale der Wochentage sind Arztbesuch, Klöppelnachmittag, ein Telefonat mit Tochter oder Sohn.

Nein, auf keinen Fall wollte Franka, dass ihr Leben nach der Berufstätigkeit so einförmig verläuft. Mehr Zeit und Gelassenheit wünschte sie sich wohl, allerdings war sie auch neugierig und traf deshalb täglich auf Spannendes und Wissenswertes. Ihre Interessen und Neigungen, die sie bisher notgedrungen vernachlässigt hatte, wollte sie vertiefen und im vorgerückten Alter noch ein paar Leerstellen füllen. Ein frommer Wunsch. Bald stellte Franka, inzwischen Rentnerin geworden, fest, dass sie mit ihrer Umtriebigkeit schon wieder in Pflicht und Verantwortung geraten war. Das hatte auch sein Gutes. Von einem Schriftsteller, der Gründer und Vorsitzender des Freien Deutschen Autorenverbandes Sachsen war, wurde ihr Engagement gebraucht. Als aus der Zusammenarbeit Freundschaft geworden war, erhielt sie von ihm einen fesselnden Bildband.

 

Der jüdische Philosoph Walter Benjamin war auf dem Weg aus Nazideutschland ins amerikanische Exil an der französisch-spanischen Grenze ums Leben gekommen. Dani Karavan, israelischer Bildhauer, schuf in Portbou einen eindrucksvollen Erinnerungsort mit Symbolcharakter für Flucht und Angst und Ausweglosigkeit.

Kein Denkmal im herkömmlichen Sinne.

»In kongenialer Übereinstimmung mit Benjamins Philosophie hat Karavan vielmehr eine künstlerische Form gefunden, die dessen Biographie gleichsam verhüllt, sein Schicksal vor der allzu großen neugierigen Nähe der Nachfahren schützt und sich gleichzeitig öffnet für ein Memento Mori im Benjaminschen Sinne.« (Schutzumschlag des Bandes »Dani Karavan, Hommage an Walter Benjamin« von Ingrid und Konrad Scheurmann)

Dieses Buch hatte Franka fasziniert. Zudem war sie auf eine ihrer Wissenslücken gestoßen.

In der »Erweiterten Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule«, wie ihre Bildungseinrichtung damals hieß, hatte sie von dem Philosophen Walter Benjamin nichts erfahren, auch später während der Studienzeit nicht. Sensibilisiert für das Thema Emigration, entdeckte sie in den Tageszeitungen ab und zu einen Artikel, ließ sich immer mehr hineinziehen in die Wirkung, die Fotos über Karavans »Passagen« in Portbou auf sie ausübten. Schließlich plante sie, endlich selbst an diesen besonderen Ort zu reisen und die Atmosphäre selbst zu erfahren.

»Walter Benjamin, Philosoph, Literatur- und Kulturkritiker, Übersetzer, geboren 15.07.1892 in Berlin, gestorben 27.09.1940 durch Selbstmord, als seine Flucht vor den hitlerfaschistischen Truppen an der französischspanischen Grenze behindert wurde.«

Diese sachliche Erklärung las sie in »Meyers Neues Lexikon«.

Sie fand weitere Informationen: Der Jude Walter Benjamin war einer der vielen Verantwortungsbewussten, die bereits zu Beginn der Diktatur des Hitlerfaschismus öffentlich gegen das Regime ihre Stimme erhoben und die Menschen vor den Gefahren warnten. In dem Werk »Theorien des deutschen Faschismus« erkannte er bereits 1930 als demokratisch gesinnter Gelehrter das heraufziehende Unheil und sprach seine Gedanken offen aus. Sein Leben in Deutschland war deshalb bedroht. Das zwang ihn ins Exil nach Frankreich, wo er bald wieder in Lebensgefahr war.

Nach tagelanger kräftezehrender Flucht hätte er nur noch eine bange Nacht überstehen müssen, dann wäre er mit dem Überschreiten der Grenze nach Spanien gerettet. So hatte er vermutlich gehofft. Nichts als sein nacktes Leben wollte er retten, zu Fuß mit einem Köfferchen, dort wo die Pyrenäen im Osten aus dem Mittelmeer aufsteigen.

Benjamin heißt auf Hebräisch »Glückskind«. In der letzten Nacht vor dem erhofften Aufatmen muss ihn das Glück verlassen haben. Einen einzigen Tag hielt er sich angeblich in der kleinen Küstenstadt Portbou auf. Sein Ziel in der Freiheit konnte er schon sehen, wenn er den Kopf hob während der Quälerei über die unwegsamen Bergpfade hinter dem französischen Ort Banyuls-sur-Mer. Er hatte nur noch den Übergang ins Nachbarland zu bewältigen, den einzigen, der zu dieser Zeit nicht bewacht gewesen sein soll.

Warum ist der Plan nicht gelungen? Warum gibt es heute einen Grabstein auf dem Friedhof des Städtchens Portbou mit der Aufschrift »Walter Benjamin«, fernab seiner Heimat auf der Ruhestätte eines kleinen Grenzortes, der übrigens im spanischen Bürgerkrieg hart mitgenommen worden ist. Die Gräber scheinen an dem Fels zu hängen; drüben über einem schmalen Meeresstreifen steigen massig die Pyrenäen auf. Im Bildband hatte Franka gelesen, dass die Dorfbewohner den Toten zunächst für den Katholiken Dr. Benjamin Walter hielten und ihm ein christliches Begräbnis spendeten. Fünf Jahre lang war er als Jude Walter Benjamin in die Mauernische Nr. 563 umgebettet worden. Heute liegt er angeblich auf dem kleineren Teil des Kirchhofes in einem Sammelgrab, das man über eine Steintreppe erreicht.

Was war passiert? War es Mord, war es Herzversagen oder gar Selbstmord?

Zweimal wurde die Totenruhe gestört, dachte Franka beim Lesen, was geschieht dabei mit der Seele?

All diese Fragen können bis heute nicht eindeutig beantwortet werden.

Benjamin-Forscher, die sich mit der Aufklärung der Ereignisse in der Nacht zum 26. September 1940 befassten, wurden von Einwohnern und ehemaligen Fluchthelfern an die geschichtsträchtigen Plätze geführt. Eindeutige Erkenntnisse haben sie nicht abgeleitet.

Den israelischen Künstler Dani Karavan zog es offensichtlich auch dorthin. Wo es keine klaren Antworten gibt, haben Phantasien Platz. Karavan ließ sich von seinen Visionen an diesem Ort leiten und gestaltete das Gelände um den Friedhof zu einem Gesamtkunstwerk, das nach jahrelanger praktischer Arbeit im Jahr 1994 für jeden Interessenten erlebbar gemacht und würdevoll eingeweiht wurde.

Die Liste der Ehrenden ist lang. Prinzessin Helga zu Löwenstein und Dr. Volkmar Zühlsdorff, verdienstvolle Persönlichkeiten des Freien Deutschen Autorenverbands, sind auch darin zu finden. Auf Anregung des damaligen Bundespräsidenten Dr. Richard von Weizsäcker entstand ein von den Ländern Deutschland und Katalonien sowie von privaten Spendern finanziertes Territorium, dessen Eindringlichkeit bei künstlerischer Ausdeutung von dem Gelände selbst ausgeht. Ohne Pathos, ohne Zeigefinger, aber auch ohne Trost.

Das alles entnahm Franka aus den Begleittexten im Buch.

Du musst hinfahren; der Gedanke ging ihr nicht aus dem Sinn und entwickelte sich allmählich zum Urlaubsplan.

Ihren Mann hat sie relativ schnell mit ihrer Neugier angesteckt. Er hat sich sofort als Chauffeur empfohlen. Die Vorbereitungen zur Reise wurden immer konkreter. Schließlich kaufte Franka ein knallrotes blütengeschmücktes DIN-A-5-Buch, in das sie alle Erlebnisse eintragen wollte.

Nur ein einziges Problem tat sich noch auf: Der Vorname ihres Mannes war fürs Tagebuch zu lang: Rolle-Bolle-Schlummerrolle-Zuckerstolle-Schmusewolle. Das musste er doch einsehen.

»Darf ich abkürzen und dich Rolle nennen?«, fragte Franka ihren Gatten.

Er war sofort einverstanden.

Und nun die Aufzeichnungen der folgenden drei Wochen:

Bamberger Zwiebel

Am 20. Mai spät nachmittags stand das Auto voll beladen vor dem Haus, bereit für den Start am nächsten Morgen.

Zwei Sommerbettdecken mit Kopfkissen, Wolldecken, ein Campingtisch und zwei Stühle, ein Weidenkorb voller Küchenutensilien, ein Korb mit Verpflegung, das Verderbliche in der Kühlbox, für Jeden eine Reisetasche mit Kleidung, ein Schuhbeutel, Kosmetikbox und Tablettentäschchen, eine Aktenmappe mit Reiseunterlagen und Kartenmaterial, französisch-deutsche Wörterbücher, Insidertipps des Autoklubs, zwei weiß-rote Toyota-Regenschirme und alle möglichen anderen Dinge, die man brauchte oder auch nicht. Wenn das keine Vorsorge für eine Fahrt aufs Geratewohl war. Ein konkretes Ziel hatten sie ja, Portbou. Alles Weitere wollten sie unterwegs entscheiden. Man weiß nie, was bei Unwägbarkeiten von Nutzen sein kann.

Rolle hatte berechtigte Sorgen, ob der Kofferraum des Toyota Avensis Kombi groß genug war für den sorgfältig zusammengestellten Hausstand der nächsten drei Wochen. Sie mussten wahrhaftig die Zunge gerade in den Mund nehmen beim Einbasteln.

»Von mir aus kann’s losgehen! Ich bin startklar.« Bei Rolle schwang wohl Vorfreude mit. Ja, warum eigentlich nicht?

Tatsächlich verabschiedete sich das Ehepaar einen Tag früher als geplant von der Mutter, die oben im Haus wohnte. Franka und Rolle hatten trotz Protestes zu ihrer eigenen Beruhigung alle Nachbarn gebeten, die Haushüterin bei der notwendigen Gießarbeit zu unterstützen.

Insgeheim freute die Mutter sich, dass sie eine Zeit lang selbstständig schalten und walten konnte, so wie früher in ihrem eigenen Berliner Anwesen.

Aber drei ganze Wochen allein, mit 85 Jahren – da tat es schon gut, fürsorgliche Menschen um sich zu wissen. Sogar ein Arzt im Ruhestand war erfreulicherweise dabei.

Franka und Rolle stiegen ein. Der Innenraum des Autos sollte für diese Zeit ihr wichtigster Lebensbereich werden. Das rote Buch und ein Kugelschreiber lagen griffbereit im Handschuhfach.

Aufgeregt düsten die zwei Reiselustigen auf der Autobahn in Richtung Süden und wussten noch nicht, wo sie die erste Nacht verbringen würden. Hauptsache Kilometer gewinnen.

Es reizte die Stadt Würzburg. Dort wohnten Thekla und Jo.

Rolle hielt nichts davon, unangemeldet aufzukreuzen. Franka war ein wenig enttäuscht.

Wie von Geisterhand geführt, rollte der beladene Toyota weiter nach Bamberg.

Die einzigartige Altstadt hatte sie schon auf der Rückreise von Reni und Conny aus dem Westerwald fasziniert. Jetzt bot sich Gelegenheit, noch einmal an einem schönen warmen Sommerabend im Garten- Restaurant zu sitzen und Schlenkerla-Bier zu genießen. Der dunkle Gerstensaft mit Duft und Geschmack von geräuchertem Schinken mundet vor Ort, direkt in der Brauerei, bekanntlich am besten. Bier braucht Heimat, heißt es. Das hatte Rolle nach der Wende als Verkaufsleiter der Hofer Scherdelbräu gelernt.

Kurz nach dem Ortseingangsschild sahen die Beiden ein Hotel, das warb mit dem Preis von 29 € für ein Doppelzimmer. An der Rezeption sollte es 79 € kosten.

»Für den Preis können wir auch im Zentrum übernachten«, behauptete Franka. Die vollschlanke Hotelfrau half sogar bei der Auswahl. Anhand einer Liste fiel den Sachsen der Name des Hotels wieder ein, das sie bereits kannten. »Alt Ringlein« hieß es, mit furchteinflößendem Auto-Fahrstuhl zur Tiefgarage und einer körpergewaltigen Besitzerfamilie. Während sie sich für die Nacht einrichteten, lasen sie durch das geöffnete Zimmerfenster auf einer schwarzen Schiefertafel: »Bamberger Zwiebel«. Franka erinnerte sich, dass sie bei ihrem letzten Aufenthalt eine Stunde lang vergeblich auf dieses Gericht gewartet hatte. Kellner hatten im Eiltempo duftende runde Leckerbissen an ihr vorbeigetragen, aber keine der mit Hackfleisch gefüllten und im Ofen gebackenen Zwiebeln war für sie. Als Rolle endlich nachfragte – er hatte sein Schäuferla schon lange vertilgt – sagte die Kellnerin lakonisch: »Die Zwiebeln sind aus.«

Das sollte Franka heute nicht passieren. Voller Vorfreude gingen die Beiden in die Gaststätte »Zum Glasbläser«, wo die schwarze Tafel einlud.

Aber: keine Gäste und kein Zwiebelaroma.

Nebenan »Am Kachelofen« gab es Schäuferla und knusprige Haxen, leider auch keine Bamberger Zwiebel. Gingen sie eben zum ›Schlenkerla‹, dort hatten sie das Gericht schließlich zum ersten Mal entdeckt. »Bamberger Zwiebel? Sonntags nie.«

Ach so …, das musste man wissen!

Franka tröstete sich: »Vielleicht schmeckt sie gar nicht so gut wie sie aussieht und ist schwer verdaulich.«

Rolle ließ sich nicht abhalten und erkundigte sich bei der Wirtin nach einer anderen Möglichkeit.

Die empfahl den »Domwirt«. Hier war es wie beim »Glasbläser«: keine Gäste, keine Zwiebel.

Der Ober schickte die Frager über eine Brücke zum »Domreiter«.

Hoffnung stieg erneut auf. An einer großen Tafel stand: Fränkische Spezialitäten.

Doch es herrschte Verwunderung: »Bamberger Zwiebel, was ist das?«

Schon kurz vor dem Verzweifeln beschrieben die Sachsen das Gericht und unterstrichen die Schilderung mit dem Zusatz: »Eine fränkische Spezialität«.

Das kannten die Wirtsleute jenseits des Flusses nicht. Waren sie im falschen Film?

Aber sie waren doch in Deutschland und beherrschten die Sprache.

Augenblicklich hatten Rolle und Franka mit leerem Magen die Nase voll.

Sie setzten sich in das Gartenrestaurant ihres Hotels, bestellten zwei Haxen, zwei Schlenkerla-Rauch-Bier und halfen mit Kräuterschnaps namens »Bamberger Sieben Hügel« der Verdauung von Ersatz-Essen und Enttäuschung nach. Nahmen sie halt die fränkische Spezialität in flüssiger Form.

 

Camping in Freiburg

21. Mai, 10:00 Uhr, Abfahrt vom Hotel.

Die Ausfahrt aus der Garage war nicht so schwierig wie das Einparken am Tag zuvor und gelang ohne professionelle Anweisung der stimm- und körpergewaltigen Chefin.

Autobahn über Schweinfurt, Würzburg, Karlsruhe.

Rast bei Eppingen mit Käse und Brot, weiter nach Heilbronn.

»Wir kommen nach Karlsruhe, wollen wir Elfi und Herbert überraschen?«, versuchte es Franka noch einmal. Elfi war eine Schulkameradin von Frankas Eltern in Bodenbach und schon als junges Mädchen verliebt in den Klassenbesten Rudi. Da der »Rudsch«, wie er liebevoll genannt wurde, den zähen Überlebenskampf gegen Krankheiten verloren hatte, übertrug Elfi einen Teil ihrer Verliebtheit auf dessen Tochter Franka. Sie hatten sich kennengelernt während eines Urlaubs im Schwarzwald kurz nach der Wende und trafen sich wieder bei einem Klassentreffen am Achensee in Südtirol. Neuerdings übertrug Elfi ihre Verehrung auch auf Rolle, mit dem sie nach eigener Aussage »bis ans Ende der Welt« fahren würde. Es bedurfte diesmal keiner Überredungskünste bei Rolle, einen Besuch zu wagen. Guter Dinge fuhren die Abenteurer in Richtung Karlsruhe.

Vor ihnen bummelte ein Auto mit dem Kennzeichen PF.

Das Ehepaar machte sich gern während der Fahrt den Spaß, die Autokennzeichen individuell zu deuten. Rolle schlug vor: »Pfeife«. Auf der Liste, die immer in der Beifahrertür bereitlag, las Franka vor: Pforzheim.

»Mutti-Stadt«, hörte Rolle vom Beifahrersitz her. Was gab es da zu lachen? Nur sie beide wussten das.

In Karlsruhe folgten sie einem Auto, auf dem die Heckscheibe beschriftet war: »Jesus – der Weg, die Wahrheit und das Leben«. Zu Jesus wollten sie gerade nicht, sondern zu Walter Benjamin.

Im Schaufenster einer Bäckerei entzifferten sie: »heute frischer Kuchen«.

»Was meinst du, ob morgen dran steht: ›Kuchen von gestern‹?«

»Ach Frauchen, was hast du immer zu lästern?«

So gut gelaunt konnte es weitergehen.

Elfi war wirklich überrascht. Sie wollte die Beiden vor der Wohnungstür erst gar nicht erkennen, geschweige denn einlassen. Herbert, ihr Mann, war nicht zu Hause, er machte Krankenbesuch.

Kaffee bei 32 Grad lehnten sie dankend ab. Elfi servierte Wasser in geschliffenen Weingläsern und bedauerte immerfort, dass Herbert nicht da war. Das war auch schon alles. Ein Gespräch kam leider nicht zustande. Sollte man doch lieber unangemeldetes Aufkreuzen unterlassen?

Wieder im Auto, lenkte Rolle in Richtung Campingplatz Hirzberg – zur einzigen Übernachtungsstätte, die sie für die Reise vorher gebucht hatten. Trotz Navigation fanden sie den Platz nicht. Sie gelangten immer höher hinauf und hatten vor einem feinen Hotel einen traumhaften Blick auf die Stadt Freiburg. Dafür hatte sich die Irrfahrt dreimal gelohnt.

Auf dem Parkplatz unterhalb des Hotels übte ein junges Paar mit einem Mädchen das Fahrradfahren. Die Mutter kannte das Zwischenziel der Fragenden und wies ihnen den richtigen Weg dorthin.

Ein sehr schöner Flecken war das, mit Bäumen und Wiesen. In Privatbesitz, gepflegt und unterhalten von einem Ehepaar. Eigentum spornt an, gesellschaftliches Eigentum macht desinteressiert, das waren die Erfahrungen der Zwei aus der DDR, die sie hier bestätigt fühlten.

Nebenan im Wohnwagen freuten sich zwei junge Radler über die hinzugekommene Nachbarschaft und hofften, mit den Neuen am Abend ein Bierchen zu trinken. Doch die wollten sich lieber umsehen. Es brauchte nur 20 Minuten zu Fuß in die Altstadt, die schon von oben am Berg in der herrlichen Abendsonne eine starke Anziehungskraft auf die Beiden ausgeübt hatte.

Mit gebackenem Ziegen-Käse, Puten-Streifen im Salat und badischem Wein vor dem Münster am Rathausplatz wurde es auch sehr lukullisch und romantisch. Friedliche Atmosphäre an einem warmen Sommerabend, was waren sie doch für Glückspilze.