Hörig

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Über die Autorin

Die Journalistin und Autorin Alina Schumann zeigt in diesem Buch anhand zahlreicher Fallbeispiele und erschütternder Berichte von Betroffenen, wie eng Faszination und Selbstzerstörung beieinander liegen. Schumann hat über ein halbes Jahr in ganz Deutschland recherchiert. Für ‚Hörig’ hat sie ebenfalls mit Psychologen und Ärzten über die Probleme dieser Sucht gesprochen.

Alina Schumann lebt in München.

Imprint

Hörig. Die Lust an der Unterwerfung . Geständnisse einer Sucht

Alina Schumann

Published by: epubli GmbH Berlin, www.epubli.de

Copyright: © Alina Schumann

Cover Design: Dominic Vierneisel

ISBN: 978-3-8442-1443-7

Prolog

Er suchte ein neues Abenteuer. Sie wollte die große Liebe.

Für ihn gab es nur zwei Arten von Frauen: Göttinnen und Fußabstreifer. Die schöne Fotografin Dora Maar glaubte sich in der Rolle der Göttin. Doch Pablo Picasso trieb mit ihr das grausame Spiel

Von Herr und Hund, von Katz und Maus. Aus einer ehemals selbstbewussten Frau machte er eine winselnde Kreatur.

Am Ende dieser Affäre landete Dora Maar in der Psychiatrie : verzweifelt , gedemütigt, zerstört. An Picassos Seite was längst eine andere.

‚Tomorrow I’m lost’ schrieb Edward V. am Tag vor seinem Thronverzicht an Wallis Simpson, seine Geliebte. Für die zweimal geschiedene Amerikanerin, die in Hongkong in einem Bordell gearbeitet haben soll, gab der junge König alles auf: sein Vaterland, seine Freunde und schließlich auch noch seinen Stolz.

Wie ein dressierter Pudel lief er hinter ihr her. Statt sein Land zu regieren, stand er einem Hundezüchter Verband vor. Fürwahr das Abbild eines lächerlichen Mannes.

‚I belong forever – you’, kritzelte der Herzog auf einen Zettel, den er Wallis zusteckte. Ich gehöre Dir für immer, ich unterwerfe mich dir , bin dir leibeigen – nichts anderes bedeutet dieser Satz, den der Duke of Windsor so entlarvend formulierte.

Es war auch keine Liebe, die die 20jährige Anna Snitkina dem 45jährigen Fjodor Dostojewski schwören ließ, dass ‚ich ein Leben lang vor dir knien werde’.

Die Leidenschaft der jungen Sekretärin für den alternden Schriftsteller war so grenzenlos, ihre Sehnsucht sich ihm zu unterwerfen, so stark, dass sie selbst seine Gewalttätigkeiten, seine obszönen Briefe, seine Perversionen ertrug.

Was machte aus dem ehemaligen König einen Popanz? Aus der stolzen Intellektuellen einen Fall für die Zwangsjacke? Aus dem fröhlichen Mädchen eine traurige Scheuerfrau?

Was lässt ganz normale Männer ihre Familien und ihre Freunde, ihr Vermögen und ihre Vernunft aufs Spiel setzen? Weshalb ruinieren sie sich – wie Professor Unrat aus Heinrich Manns gleichnamigem Roman – für eine Tingeltangel-Schlampe?

Warum wehren sich Frauen nicht

wenn einer kommt und ihren Stolz und ihre Selbstachtung bricht? Weshalb verschleudern sie ihr Leben, ihre Sexualität und ihr Herz? An Männer, die oft nicht mehr geben als ein vages Versprechen? Ist es Hörigkeit? Diese Abart der Liebe, diese Mischung aus Unterwerfung und Leidenschaft? Diese dunkle Sucht, von der der Münchner Psychoanalytiker Dr. Wilhelm Schmid-Bode sagt:

„Einseitige Hörigkeit hat Eigenschaften eines süchtigen Verhaltens. Befriedigung ist letztendlich nicht erreichbar. Im Gegenteil, der Wunsch den Partner ganz zu gewinnen, bleibt immer unerfüllt . Er führt lediglich zur Wiederholung und zu Dosissteigerung.“

Wo ist die Grenze zwischen einer leidenschaftlichen Hingabe und einem krankhaften Abhängigkeitsverhältnis? Steckt diese Bereitschaft zur Unterwerfung und zur Selbstaufgabe in jedem von uns? Ist sie etwa vererbbar wie depressive Anlagen?

„Entscheidend“, so Schmid-Bode, „ist – neben einer ungeklärten vererbten Veranlagung- von welchen Erfahrungen die Entwicklung ab

der frühesten Kindheit bestimmt wird. Die ersten Beziehungen im Leben schaffen die Grundlagen für die spätere Charakterstruktur die diese Menschen für eine spätere Abhängigkeit anfällig macht .“

So können zum Beispiel frühe Ängste, Gefühle der Vereinsamung oder des Versagens den Duke of Windsor an Wallis Simpson gebunden haben. Und Dora Maars Wunsch nach einem starken Vater mag ein Grund für ihr abhängiges Verhältnis zu Picasso gewesen sein.

Wie aber geraten Menschen in den Strudel der Selbstquälerei und der Erniedrigung? Bedarf es vielleicht nur eines ganz bestimmten Gegenpols, um unsere verborgenen Obsessionen wie ein Geschwür aufbrechen zu lassen?

Rauscherlebnis oder emotionale Sicherheit?

„Wenn ein ‚passender’ Partner auftaucht, einer der aufgrund seiner eigenen Beziehungs- und Bindungsängste zu einer partnerschaftlichen Liebe nicht fähig ist, kann sich Hörigkeit entwickeln“, so Schmid-Bode.

Hörigkeit hat viele Spielarten, viele Gesichter. Für den einen ist es ein bestimmtes Rauscherlebnis, das er stetig zu wiederholen, zu steigern versucht. Für den anderen der Wunsch nach emotionaler Sicherheit, die ihn sich erniedrigen lässt. Immer aber treten Ängste auf und das Gefühl entwurzelt zu sein.

„Ich gebe mich auf, weil ich nicht anders kann. Weil ich nur durch dich existiere. Weil du etwas berührt hast, was besser unberührt geblieben wäre. Weil du mich aus der Bahn gestoßen hast“, schreibt die 51jährige Gisela M. an ihren Geliebten. Sie hat mir, als ich in Tageszeitungen und im Netz nach Gesprächspartnern zu diesem Thema suchte, einfach den letzten nicht ab gesandten Brief an ihren Geliebten zugeschickt.

Eine Stimme unter dreihundertsechzig anderen. Erstaunlicherweise mehr Männer als Frauen. Männer, die weinend, aber auch zynisch über ihre Sucht und das damit verbundene Doppelleben sprachen. Die sich aus Scham über die eigene Geschichte bisher niemanden zu öffnen gewagt haben. Frauen, längst jenseits aller bürgerlicher Bedenken, die sich auf Perversionen eingelassen hatten, nur um den geliebten Mann nicht zu verlieren. Die erst nach stunden des Gesprächs wagten, mir ihre unerfüllte Sehnsucht nach einem kleinen Glück zu gestehen.

„Ich habe alles für ihn getan“, schreibt die 39jährige Kosmetikerin Anne S..“ Jede Schweinerei mitgemacht. Mir immer nur gedacht. Er will mich auf die Probe stellen. Er will Beweise, dass ich ihn auch wirklich liebe. Aber dann, als ich sagte: Mein größter Wunsch ist es mit dir alt zu werden – hat er mich verlassen!“

Aber ist das schon Hörigkeit?

Die Antworten auf diese Frage sind sehr unterschiedlich. Nicht alle Psychologen oder Sexualwissenschaftler sind mit Dr. Schmid-Bodes Erklärungen einverstanden.

Die einen verbinden Hörigkeit mit Perversion. Andere machen überhöhtes oder extrem unterentwickeltes Selbstwertgefühl für diese Form der Abhängigkeit verantwortlich. Wieder andere behaupten, Hörigkeit gebe es überhaupt nicht . Aber fast jeder von uns hat in seinem Bekanntenkreis einen Menschen, dessen Beziehung zum Partner er für Hörigkeit hält.

Eine Hörigkeit, wie die der Christiane R. (26), ein Mädchen aus bürgerlichem Hause, das heute nicht mehr begreifen kann, dass sie sich von einem Mann auf den Strich schicken ließ:

„Das Geld, das ich dafür bekam, interessierte ihn nicht. Er war ein reicher Mann. Für ihn lag der Reiz darin, zu erfahren, wie weit ich für ihn gehen würde!“

Begonnen hatte dieser Alptraum in einer Bar.

„Wir hatten schon sehr viel Champagner getrunken, als Sascha mich auf zwei Männer aufmerksam machte.

„Die ziehen dich ja mit Blicken aus’,“ sagte er. Natürlich hatte ich auch diese beiden bemerkt . Sie waren mir unsympathisch. So gierig waren nur Araber. Ich kannte das. Vom Strand in Marbella, einem beleibten Ferienort für reiche Araber.

‚Ekelhafte geile Affen’, sagte ich zu Sascha. Doch der war total angetörnt. Ließ gar keinen Blick mehr von dem Duo. Laut überlegte er, was die beiden wohl ,in ihrem sexuellen Fantasien mit mir anstellten. Später, zu Hause, redete er nur noch davon. Es machte ihn wahnsinnig scharf, sich vorzustellen, dass ich es mit diesen Kerlen triebe.“

In den folgenden Monaten kam Sascha immer wieder auf diese Story zurück. Er baute sie weiter aus. In seinen Gedankenspielen hatten längst andere Männer die Rollen der beiden Araber übernommen. Christiane hielt diese Fantasien für eine Spinnerei. Für ein erlaubtes Mittel, mit dem Sascha auf Touren kam.

Eines Nachts aber landeten sie dann betrunken mit einem anderen Mann im gemeinsamen Bett.

„Ich fand den Typen nicht sehr aufregend“, erzählt Christiane. “Sascha hatte ihn mir ausgesucht. Um ihn nicht zu enttäuschen.

machte ich mit.“

Doch sehr bald hatte sich auch dieser Reiz für Sascha abgenutzt. Christiane musste in Diskotheken und Bars Mädchen ansprechen. Mädchen, die er aufregend fand. Die anschließenden Liebesspiele überstand Christiane nur mit sehr viel Alkohol.

„Ich habe sehr gelitten“, sagte sie. „Aber ich wollte, dass er sich amüsiert.“

Als den Freund auch diese Variante langweilte, dachte er sich einen neuen Kick aus.

„Stell dich auf die Straße“, forderte er. „ich will sehen, wer dich begehrt!“

Christiane lehnte weinend ab. Daraufhin verschwand Sascha mit einem Mädchen. Als er nach zwei Wochen zurückkam, war sie zu allem bereit.

„Den ersten Mann, mit dem ich es für Geld tat, konnte ich gar nicht anschauen. So sehr habe ich mich geschämt.“

Wenn Christiane auf Freierfang war, lauerte Sascha im Hintergrund. Er teilte Noten aus, für besonders gute Anmache. Beschimpfte sie, wenn sie sich seiner Meinung nach zu prüde verhielt.

Längst war aus dem spielerischen Reiz ein grausames Spiel geworden. Wollte Christiane aussteigen, drohte der Geliebte sie zu verlassen. Ihre Freier ängstigten sie bald weniger als Sascha.

 

Als sie sich dann völlig verzweifelt einem ihrer Kunden anvertraute, und dieser ihr helfen wollte, sich aus der Beziehung zu lösen

schlug der Geliebte beide krankenhausreif.

Gefügig durch Drogen

Hörigkeit wurde auch plötzlich zum Begriff für die Mutter einer 23jährigen, die mir fünfzig eng beschriebene Seiten schickte, auf denen sie das Schicksal ihrer Tochter schilderte.

Es war eine Geschichte wie aus einem schlechten Roman:

Das Mädchen, mit 17 Jahren mit Drogen gefügig gemacht, nahm Kredite für ihren Lover auf, brachte ihre Familie an den Rand des finanziellen Ruins und sich selbst ins gesellschaftliche Aus. Abhängig

von einem Mann , von dem ihre Mutter glaubte , dass er nicht nur sie, sondern auch andere Mädchen auf den Strich schickte, wagte sie kaum mehr Kontakt zur Außenwelt.

Die Bitte ihrer Mutter, sich mit mir zum Interview zu treffen , lehnte sie ab. Sie habe zum Thema Hörigkeit nichts zu sagen , ließ sie mir ausrichten.

„Sie darf nicht“, weinte ihre Mutter am Telefon, abermals um eine Hoffnung ärmer, ihre Tochter aus dieser fatalen Beziehung zu befreien.

Hörigkeit, die Sucht, sich abhängig zu machen, sich zu erniedrigen, auf Traumbilder fixiert zu sein, das Ego aufzugeben, ist eine der schlimmsten Formen der Einsamkeit. So schreibt Dr. Karin Gundel, Universität Göttingen, in der Zeitschrift ‚Psychologie heute’:

Zu Beginn einer Hörigkeitsbeziehung machen viele Opfer den Fehler, alle Rollen mit dem Partner zu besetzen. So verliert er/sie jedes kritische Korrektiv und ist totaler Willkür ausgesetzt. Nie begegnen wir in diesem grausamen Spiel zwei Menschen, die partnerschaftlich teilen und genießen. Immer gibt es Opfer und Täter. Faszinierende und Faszinierte. Hörige und Hörigmachende. Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie Träger seltener Bedürfnisse sind. Einmal zusammen, können sie sehr schlecht wieder auseinander.“

„Hörige“, meint auch die Münchner Psychologin Brigitte Lämmle,“ sind Klischeeliebende. Die Liebe ist ihnen Thema Nr. 1 und nicht der Partner.“

Und:

„Sie haben immer die Hoffnung: es wird sich alles ändern. Ich muss nur lange genug ausharren.“

Das Ungeheuerliche wird normal

Um dieses Buch schreiben zu können, habe ich mit vielen Menschen gesprochen. Was sie mir sagten, machte mich neugierig, entsetzt, mit leidend und ungläubig. Ich habe von Männern und Frauen gehört, wie sich dieser Wahnsinn langsam in ihr Leben eingeschlichen hat, wie scheinbar alltägliche Beziehungen sich ohne große Warnsignale veränderten. Wie die Opfer, zuerst noch ganz spielerisch, gezwungen werden, den Tätern ihre Liebe zu versichern, und wie diese immer mehr dazu übergingen, sich schließlich jeder ‚Bestrafung’ auszuliefern.

Ich erfuhr, wie diese Behandlungen kulminierten, die Spiele sich zuspitzten, so sehr, dass Ergebenheit eingeschliffen wurde, und wie dann, quasi im Endstadium, Außergewöhnliches entweder im sexuellen oder im kriminellen Bereichen verlangt wird.

Ich hörte, dass die Opfer, wenn sie noch vor der totalen Selbstaufgabe zögern, der Feigheit, Selbstsucht und der mangelnden Liebe bezichtigt werden.

Ich habe in Gesprächen mit Psychiatern und Psychologen versucht, dem Phänomen der Hörigkeit auf die Spur zu kommen. Es endgültig zu definieren, scheint völlig unmöglich. Ganz klar wurde jedoch, dass sich niemand ohne ärztliche Hilfe, ohne eine Therapie, aus diesem Teufelskreis lösen kann. Und dass auch Varianten dieser Abhängigkeit existieren, die nichts mit Sexualität zu tun haben.

Es scheint keine Richtung des menschlichen Interesses zu geben, die nicht zur Sucht entarten kann, wie Dr. Dr. H. Giese in ‚Mensch, Geschlecht, Gesellschaft’ schreibt:

„Habsucht, Geltungssucht, Liebessucht, bezeichnen jeweils die überspitzte Betreibung eines an sich der menschlichen Natur regelmäßig zugehörenden Haben, Gelten, Lieben!2

Aber gleichgültig, was die jeweiligen Gründe einer solchen Sucht waren, alle meine Gesprächspartner standen unter einem enormen Druck. Sie mussten ihre Gefühle und Sehnsüchte vor der Umwelt verbergen, hatten Suizidgedanken oder einen Selbstmordversuch hinter sich.

Einige von ihnen waren kriminell geworden für einen Menschen, der vorgegeben hatte, sie zu lieben. Hatten, wie Frank S.( 29) aus der Haft schrieb, unmäßig getrunken, einen Raubüberfall verübt, waren nach einer milden Verurteilung rückfällig geworden und erneut im Gefängnis gelandet.

„Die Frau, die mich hierhergebracht hat, hat mir kein einziges Mal geschrieben. Sie lehnt jeden Kontakt mit mir ab. Seit einigen Monaten kommen meine Briefe ungeöffnet zurück.“

Frank S. dessen Freunde und Familie sich von ihm losgesagt haben, ist verbittert und einsam. So einsam wie der 65jährige Karl-Heinz K.,der eine besonders ungewöhnliche Abhängigkeit erleidet. Nach 25jähriger, langweiliger ehe voller sexueller Frustrationen begann er einen Briefwechsel mit einer Domina ,die einen willigen Schüler suchte.

Woche für Woche übermittelt ihm seine Herrin erotische Wunsch- und Wahnvorstellungen per Post. Seine Bitten um ein persönliches Treffen blieben unerhört.

Die Briefe, die mir Karl-Heinz K. in die Hotelhalle, in der wir uns treffen, mitbringt, sind voller Abartigkeiten und Perversionen, die die bisher so simple Fantasie des alten Mannes bis zur Weißglut aufheizen. Demütig wartet er auf ihre Anweisungen. Kann nicht leben und nicht sterben. Verzehrt sich in einer Leidenschaft, an deren Erfüllung er nur mit Schaudern denken mag.

Längst hat er der ‚grausamen Herrin’ sein Leben überantwortet. Hat geschworen, alles zu tun, was sie von ihm fordert. Aber noch immer, nach diesen vielen Monaten der Korrespondenz, hat sie diesem völlig verwirrten Mann nicht gestattet, zu ihr zu kommen.

Auf meine Frage, ob er es denn nicht für möglich halte, dass diese Frau nur ihr eigenes lustvolles Spiel mit ihm treibe, steigen ihm die Tränen in die Augen.

„Wieso“, stammelt er . “Ich habe doch alles getan, was sie von mir erwartet!“

Manchmal bei diesen Gesprächen in Wohnungen, Hotels und Restaurants, angesichts dieser verzweifelten, müden und nur mühsam beherrschten Gesichter habe ich mich gefragt, wo denn nun diese Grenze verläuft, jenseits derer eine bedrohliche, nicht mehr steuerbare Abhängigkeit beginnt.

Beginnt sie vielleicht schon dort, wo Ruth Berlau , die lebenslange Freundin und Geliebte Bert Brechts, den Anfang der eigenen Abhängigkeit von den Schriftsteller vermutete ? In ihren Erinnerungen an das erste Treffen mit Brecht beschreibt sie ihn so:

„Plötzlich hatte ich unversehens sein graues, seidenes Hemd in der Hand. Ich vergrub mein Gesicht darin. Es roch nach Erde. Mein herz schlug, und ich steckte das graue seidene Hemd unter meine Jacke...“

Ruth Berlau legte zwar damals bestürzt und sehr beschämt das verschwitzte Hemd ihres späteren Geliebten zurück – für den Rest ihres Lebens aber empfand sie diese Szene als den Beginn ihrer leidvollen Beziehung zu Bert Brecht. Ein Fall von Hörigkeit auch dies.

Kapitel 1

Die Sehnsucht nach Lust und Erschrecken.

„Ich will dich sofort nackt. Jedes Mal !“

Die Stimme der Frau im strengen Schneiderkostüm ist rasiermesserscharf. Jegliche Gegenargumente ausschließend, befiehlt sie: totale Nacktheit, völlige Unterwerfung, gezügeltes Verlangen. Da ist kein Vorspiel, kein Nachspiel, eine Zärtlichkeit. Da sind nur der Befehl und die Gehorsamkeit.

Zwei- oder dreimal in der Woche zitiert sie Peter A. (33)zu sich. Er kennt vorher weder den Tag noch die Stunde. Nur der Ort ist immer derselbe: eine Villa am Stadtrand von Nürnberg.

Oft kommen diese Anrufe, wenn er mitten in einem Kundengespräch ist. Trotzdem gibt es für ihn keine Sekunde des Zögerns. Er bricht jede Verhandlung ab. Mit feuchten Händen und klopfendem Herzen fährt er zu ihr. Den Wagen parkt er in einer Seitenstraße, weit genug von ihrem Haus entfernt.

Dort, in einer gediegenen Walmdachvilla, hinter bürgerlichen Raffgardinen, wartet sie – seine Domina. Ungeduld bereits durch die angelehnte Haustür signalisierend. Ihren telefonischen Anweisungen folgend, zieht sich Peter A. schon in der marmorgetäfelten Halle aus. Nackt, wie sie es verlangt.

„Mir ist jedes Mal schwindelig vor Erregung. Eine Woge scheint meinen Verstand wegzuspülen. Nur manchmal, ganz zu Anfang dieses Verhältnisses, regte sich etwas wie Scham in mir!

Er schämt sich vor ihren taxierenden Blicken. Vor der kalten Selbstverständlichkeit. Wie sie, in diesem untadeligen Schneiderkostüm, aufrecht in einem chintzbezogenen Sessel sitzend, ihn mustert. Streng, ohne Begehren. Bereit, ihn fallen zu lassen. Zurück zu stoßen in die Hölle seiner Begierden. In den Abgrund, aus dem nur e i n e Person ihn befreien kann. Wo nur sie die Lösungsworte kennt. Für seinen Kopf und seinen Körper. Für seine Seele und seine Sinne.

„Oft, sagt er, „tat sie nichts weiter, als mich nackt vor sich knien zu lassen. Ich durfte nur ihren Fuß berühren. Selbst die Fußsohlen verweigerte sie mir!

Peter A. verzehrt sich nach dieser Frau. Nach einer Person, die nicht jung , nicht schön und schon gar nicht liebevoll ist. Sie beherrscht ihn seit drei Jahren. Sie demütigt und erniedrigt ihn. Sie lässt ihn die Schattenseiten seiner Persönlichkeit erkennen. Aber sie beschert ihm auch Glücksmomente von nie erahnter Tiefe.

Als ich ihn, ein Jahr nach Beendigung dieses Verhältnisses treffe und wissen will, was denn so Besonderes an dieser Frau gewesen ist, reagiert er nahezu hilflos.

„Ich weiß es nicht, sagt er. „Da gibt es so viel Unerklärbares! Sie war damals Anfang Sechzig. Eine elegante Erscheinung. Zierlich, dunkelhaarig. Eine angesehene Ärztin. Ihr Mann, ein Wissenschaftler, hielt sich viel im Ausland auf.“

Sie war, wie Peter widerwillig zugibt, eine Frau, an die ein Mann, wie er, normalerweise nicht herankommt. Sophie gehört zu einer Gesellschaftsschicht, wo kein Porsche eine nicht vorhandene Kinderstube wettmacht. Wo es selbstverständlich ist, ein Ferienhaus in der Toskana zu besitzen, drei Fremdsprachen zu beherrschen und wo niemand ein ‚Eclair’ für eine Jeansmarke hält.

Zerstörerische Begierde

Ich ahne natürlich, dass er mir auf meine Anzeige in einer Tageszeitung, nicht nur geantwortet hat, um mir seine Geschichte zu erzählen, sondern auch weil er auf der Suche nach einer neuen Domina ist. Sein Brief war sachlich und etwas hölzern gewesen.

„Ich bin 33 Jahre alt,“ hatte er geschrieben, “selbstständiger Immobilienkaufmann, vermögend. Ich bin geschieden und Vater eines Sohnes. Meine Ehe ging wegen meiner Frauenbekanntschaften kaputt. Vor vier Jahren lernte ich eine Domina kennen. Ich wurde ihr hörig. Sie beendete dieses Verhältnis. Obwohl ich inzwischen ein junges Mädchen gefunden habe, das ich gern heiraten würde, komme ich von dieser Frau nicht los. Es belastet mich sehr!“

Am Telefon wirkte er offen und sehr locker. Wir verabredeten uns bei ihm zu Hause.

Seine Wohnung liegt in einer dieser postmodernen Wohnsiedlungen. Kaum Kinder, viele Singles, schnelle Autos. Zufällig stehen wir zur gleichen Zeit vor seiner Haustür. Er wirkt genauso gestylt und austauschbar wie seine Umgebung. Mittelgroß, schlank, kurz geschorener Kopf. Über dem Polohemd die teuere Lederjacke, eine Tennistasche unterm Arm.

Der Anlass unseres Treffens scheint ihm plötzlich Schwierigkeiten zu bereiten. Seine Stimme ist etwas zu laut, sein Lachen völlig unmotiviert.

Umständlich schließt er die Wohnungstür auf. Er deutet auf ein zweites Namensschild – das einer Frau – und lacht, wieder unangenehm laut.

„Meine Freundin, sagt er. Und:

„Sie ist nach unserem letzten Krach ausgezogen!“

Als ich Bedauern erkennen lassen, wiegelt er ab.

„Ist schon wieder in Butter. Ich hab alles geregelt!“

Er sagt das so wie einer, der gewöhnt ist, die Dinge wieder einzurenken.

Die Wohnung wirkt unbehaust. So, als würden hier nur Zwischenstopps gemacht: Kleidungswechsel, Post abholen, Schlafen.

In der viel zu mächtigen Bücherwand im Wohnzimmer stehen Trivialliteratur und Bildbände aus dem Versandhandel. Daneben Nippes und das Fotos eines sehr jungen, unscheinbaren Mädchens.

„Das ist sie,“ sagt er. Und als ich fragend schaue, fügt er hinzu:

„Die Freundin. Mein Schatz. Vielleicht auch meine Rettung! Wie Sie wollen!“

Er lotst mich in die Küche, dem anscheinend einzigen wirklich bewohnten Raum. Ich merke, wie die Fremdheit zwischen uns belastend wird. Ich sehe ihm an, wie er sich zu fragen scheint, weshalb er mir geschrieben hat, und spüre sein Zögern beinahe körperlich.

 

Ich versuche seine Unsicherheit abzufangen, in dem ich ihm von den anderen Interviews erzähle. Von den Schwierigkeiten meiner bisherigen Gesprächspartner. Von deren Beweggründen mir auf meine Anzeige zu antworten und schließlich sich mir, der völlig Fremden zu öffnen.

„Und warum,“ frage ich Peter A. dann, „haben Sie mir geschrieben? Waren Sie nur neugierig, wer sich hinter dieser Annonce versteckt?“

Er schüttelt den Kopf.

„Ich wollte endlich reden. Ich brauche dringend jemanden, von dem ich annehmen kann, dass er mich nicht verurteilt. Ganz gleich, wie schlimm meine Geschichte auch sein mag. Ich ersticke fast daran. Ich weiß nicht mehr, wie ich mit ihr weiterleben kann!“

„Und mit einem Therapeuten können Sie nicht...“

„Nein!“ Peter A. wird heftig. „Mit einem Mann kann ich schon überhaupt nicht reden. Und wie so mit einem Therapeuten? Bin ich denn Ihrer Meinung nach krank?“

Was soll ich ihm sagen?

Ist es krank, als 33jähriger attraktiver Mann an einer inzwischen 65jährigen Domina zu hängen? Ist es krank, sich zu wünschen beherrscht zu werden und sexuelle Befriedigung nur in Erniedrigung zu verspüren?

Vielleicht ist es die Konsequenz dieser Leidenschaft, die ihn so fertig macht – diese Angst vor der Entdeckung, dieses ewige Versteckspiel, diese Lebenslüge.

Als Peter A. spürt, dass es mehr geben muss „als dieses eintönige Familienleben,“ ist er 27 Jahre alt.

„Ich bekam neben den normalen Pornoheften ein Spezialheft in die Finger. So was mit Sado, Maso und dem Kram.“

Und er lernt ganz andersartige Erregungen kennen. Allein das Betrachten der Fotos macht ihn scharf.

„Sie waren für mich die Bestätigung, dass es viel geilere Sachen gab, als alles was ich mir bisher vorstellen konnte!“

Die Angst vor Entdeckung

Diese neuen sexuellen Fantasien beschäftigten Peter unausgesetzt. Sie hinderten ihn daran, das gewohnte Sexleben mit seiner Frau weiterhin zu führen. Sie vergifteten ihm auch den Spaß an seinen zahllosen, aber konventionellen Seitensprüngen. Alles wird für ihn fad und flach. Er hat nur noch einen Wunsch: etwas ganz und gar verrücktes zu erleben.

Der Tag, an dem Sophie B. in sein Immobilienbüro kommt, soll sein zukünftiges Leben verändern.

„Sie hatte eine Selbstverständlichkeit, eine Ausstrahlung von Macht und Wissen, die mir fast den Atem nahm. Dabei sah sie überhaupt nicht atemberaubend aus. Klein, dunkelhaarig – aber sie trat so verdammt sicher auf!“

Am Abend nach diesem Treffen beginnen die Fantasien von Peter.

„Ich war elektrisiert. Ich stellte mir diese Frau nackt vor. Selbst der Sex mit meiner Frau wurde wieder besser!“

Ein paar Tage danach ruft ihn Sophie B. an. Sie bestellt ihn zu sich nach Hause.

„Weil ich noch einige Fragen zu der von Ihnen vorgeschlagenen Immobilie habe,“ sagt sie kühl.

Peter fährt zu ihr. Völlig aufgewühlt. Mit klopfendem Herzen.

„Wie betäubt stand ich vor ihrem Haus.

Das Gespräch ist zunächst rein sachlich. Die Dame des Hauses bietet Kaffee an. Scheinbar ungeschickt gießt sie diesen über die Hose ihres Gastes.

„Und als sie sich dann über mich beugte, ohne Ziererei, einfach so an mir herum rieb, glaubte ich, ohnmächtig zu werden. So direkt hatte mich noch keine Frau angefasst.“

Sophie weiß was sie will. Sie will ihn nackt.

„Ich saß vor ihr. Ohne Slip. Mein Schwanz war erigiert. Ich war rot im Gesicht und wartete.“

Doch Sophie tut als interessiere sie das nicht. Sie spricht nur über Belangloses. Wie in Gedanken streicht sie hin und wieder über sein Geschlecht. Ganz nebenbei bemerkt sie:

„Es regt mich auf, dich so sitzen zu sehen!“

Peter A. kommt es nicht in den Sinn aufzustehen, sich die doch so auffordernde Gastgeberin zu schnappen und seinen sexuellen Wünschen nachzugeben.

„Ich blieb wie gelähmt sitzen geblieben, wartete darauf, dass sie mich berührte und war unglaublich geil!“

Sophie B. schickte ihren Gast weg.

Ohne Erklärung, nur mit der kurzen Ansage:

„Am Mittwoch um 14 Uhr, bei mir!“

Kein freundliches Lebwohl, nichts.

„Diesen Mittwoch konnte ich kaum erwarten!“ sagt Peter A. „Ich reagierte wie ein Hund auf eine läufige Hündin: brünstig und dumpf!“

Die Treffen wiederholten sich Woche für Woche.

„Ich lebte nur für diese Verabredungen. Ich war wie im Fieberrausch.“

Sophie verhält sich ihm gegenüber immer abweisend. Kühl befiehlt sie, wie er sich zu verhalten hat. Kühl reicht sie ihm ihre Hand zum Kuss, kühl lässt sie ihn vor sich knien.

„Meine Fantasien überschlugen sich. Ich war stets nackt und sie bekleidet. Äußerlich immer Dame. Immer untadelig.“

Dann nach vier Monaten verbindet sie dem nackten Sklaven die Augen. Sie befiehlt ihm sich zu ihr zu legen. Sie ist jetzt ebenfalls nackt – aber er darf sie weder sehen noch berühren. Sie nimmt seinen Kopf und öffnet ihre Schenkel. Er darf sie mit der Zunge verwöhnen. Drei Stunden lang müht sich der Sklave Peter ab. Drei Stunden in denen er ihr einen Orgasmus nach dem anderen beschert. Er selbst allerdings findet keine Befriedigung. Völlig außer sich vor Lust und Gier nach

ihr, befiehlt sie ihm:

„Zieh dich an und geh!“

Peter tut was Sophie will. Ihre Grausamkeit kann er nicht begreifen. Zu Hause legt er Hand an sich.

„Ich hasse Selbstbefriedigung. Es war eine weitere Demütigung von ihr!“

Und trotzdem geht er wieder hin. Ohne auf seine beruflichen Verpflichtungen Rücksicht zu nehmen. Ohne zu merken, dass seine Ehe langsam kaputt geht. Ohne zu sehen, dass es für ihn kaum mehr ein Maß gibt. Nur sie zählt noch. Sie lässt ihn betteln, knien, flehen. Lässt ihn ihren Urin schlürfen, ihre Fesseln lustvoll spüren, ihre Absätze als Liebkosung empfinden.

„Mich hatte eine Raserei, eine Leidenschaft gepackt, wie ich sie bisher nicht kannte. Ich gehorchte Sophie, ohne dass ich je die Chance gehabt hätte, sie zu besitzen.“

Sophie zieht sich in den ersten Monaten dieser Begegnung nie vor ihm aus. Sie lässt sich dort berühren, wo sie es will. Sie befiehlt ihrem Sklaven sie zu küssen – dort wo sie einen Kitzel empfindet. Und er?

Herrin und Hund

Weshalb versucht er nicht wenigstens, seine Wünsche anzumelden?

„Wie hätte ich das wagen sollen?“ fragt er mich erstaunt. „Nur was sie befahl, geschah. Ohne Fragen, ohne Gegenargumente!“

Um sich zu beweisen, dass er zu normalem Sex noch fähig ist, reißt Peter A. wahllos Mädchen auf. Hektisch springt er von einem Bett ins nächste. Hetzt zwischen beruflichen Terminen, den Anrufen seiner Domina und seinen Neuerrungenschaften hin und her.

„Es war schrecklich. Ich lag mit einer Frau im Bett und versuchte mir vorzustellen, es wäre Sophie. Wenn es mir gelang, ihr Bild zu reproduzieren, ging es umso schneller.“

Bei diesen Quickys zählte nur seine Befriedigung, die Frauen waren ihm gleichgültig.

Schließlich verlässt ihn seine Frau. Sie hat genug von dem Getuschel der Freunde. Genug von dem scheinbar unstillbaren sexuellen Heißhunger ihres Mannes.

„Ich litt darunter. Besonders weil ich meinen Sohn sehr liebte. Auf der anderen Seite war ich froh, dass sie nicht hinter die wahre Geschichte gekommen war.“

Die ‚wahre Geschichte,’ wie Peter sein Verhältnis zu Sophie bezeichnet, kennen auch seine Freunde nicht. Für sie ist er der tolle Hecht: der Typ der jeden Rock bekommen kann. Der nach eigenen Aussagen mindestens ’hundert Weiber hingelegt’ hat.

Die Angst vor der Entdeckung seiner Sucht, die Furcht, dass man seine Abhängigkeit bemerken könnte, lässt es ihn immer toller treiben. Niemand soll auf die Idee kommen, dass es diese ältere Dame gab. Diese Frau, vor der er sich windet wie ein Wurm. Die ihn treten darf. Deren Füße er demütig ableckt. Deren Bild sich in seinen Fantasien festgesaugt hat wie ein Blutegel.

Es dauert eineinhalb Jahre, bis er zum ersten Mal die Augenbinde abnehmen darf.