Buch lesen: «Der Malaiische Archipel», Seite 6

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Es ist ein seltsamer und sehr interessanter Anblick, einen Mias gemächlich seinen Weg durch den Wald nehmen zu sehen. Er geht umsichtig einen der größeren Äste entlang in halb aufrechter Stellung, zu welcher ihn die bedeutende Länge seiner Arme und die Kürze seiner Beine nötigen; und das Missverhältnis zwischen diesen Gliedmaßen wird noch dadurch verstärkt, dass er auf den Knöcheln, nicht wie wir auf den Sohlen, geht. Er scheint stets solche Bäume zu wählen, deren Äste mit denen des nächststehenden verflochten sind, streckt, wenn er nah ist, seine langen Arme aus, fasst die betreffenden Zweige mit beiden Händen, scheint ihre Stärke zu prüfen und schwingt sich dann bedächtig hinüber auf den nächsten Ast, auf dem er wie vorher weitergeht. Nie hüpft oder springt er oder scheint auch nur zu eilen, und doch kommt er fast ebenso schnell fort, wie jemand unten durch den Wald laufen kann. Die langen mächtigen Arme sind für das Tier von dem größten Nutzen; sie befähigen es, mit Leichtigkeit die höchsten Bäume zu erklimmen, Früchte und junge Blätter von dünnen Zweigen zu ergreifen, die sein Gewicht nicht aushalten würden und Blätter und Äste zu sammeln, um sich ein Nest zu bauen. Ich erzählte schon, wie es sein Lager bereitet, wenn es verwundet ist, aber es benutzt ein ähnliches auch fast jede Nacht zum Schlafen. Jedoch wird dieses niedriger angebracht auf einem kleinen Baum, nicht höher als zwanzig bis fünfzig Fuß vom Boden, wahrscheinlich weil es da wärmer und weniger den Winden ausgesetzt ist als oben. Jeder Mias soll sich jede Nacht ein neues machen; aber ich halte das deshalb kaum für wahrscheinlich, da man sonst die Überreste häufiger finden würde; denn wenn ich auch in der Nähe der Kohlenminen einige gesehen habe, so müssen doch viele Orangs täglich dort gewesen sein, und in einem Jahr schon würden ihre verlassenen Lager sehr zahlreich werden. Die Dajaks sagen, dass sich der Mias, wenn es sehr nass ist, mit Pandang-Blättern oder großen Farnen bedeckt, und das hat vielleicht dazu verleitet zu meinen, er baue sich eine Hütte in den Bäumen.

Der Orang verlässt sein Lager erst, wenn die Sonne ziemlich hoch steht und den Tau auf den Blättern getrocknet hat. Er frisst die ganze mittlere Zeit des Tages hindurch, aber kehrt selten während zweier Tage zu demselben Baum zurück. Die Tiere scheinen sich vor Menschen nicht sehr zu fürchten; sie glotzten häufig Minutenlang auf mich herab und entfernten sich dann nur langsam bis zu einem benachbarten Baum. Wenn ich einen gesehen hatte, musste ich oft eine halbe Meile und weiter um meine Flinte gehen, und fand ihn nach meiner Rückkehr fast stets auf demselben Baum oder innerhalb eines Umkreises von ein paar Hundert Fuß. Ich sah nie zwei ganz erwachsene Tiere zusammen, aber sowohl Männchen als auch Weibchen sind manchmal von halb erwachsenen Jungen begleitet, während auch drei oder vier Junge zusammen allein gesehen werden. Sie nähren sich fast ausschließlich von Obst, gelegentlich auch von Blättern, Knospen und jungen Schösslingen. Unreife Früchte scheinen sie vorzuziehen, von denen einige sehr sauer, andere intensiv bitter waren, hauptsächlich aber schien die große rote fleischige Samendecke einer Frucht ihnen sehr zu schmecken. Manchmal essen sie nur den kleinen Samen einer großen Frucht, und sie verwüsten und zerstören fast immer mehr, als sie essen, sodass unter den Bäumen, auf denen sie gefressen haben, stets eine Menge Reste liegen. Die Durian lieben sie sehr, und Mengen dieser köstlichen Frucht, wo immer im Wald sie wachsen, werden von ihnen zerstört, aber nie kreuzen sie Lichtungen, um sie zu holen. Es scheint wunderbar, wie das Tier diese Frucht öffnen kann, da die Schale so dick, zäh und dicht mit starken konischen Spitzen besetzt ist. Wahrscheinlich beißt es erst einige dieser ab, macht ein kleines Loch und reißt dann die Frucht mit seinen mächtigen Fingern auf.

Der Mias steigt selten auf die Erde herab, nur dann, wenn er vom Hunger getrieben saftige Schösslinge am Ufer sucht; oder wenn er bei sehr trockenem Wetter nach Wasser geht, von dem er für gewöhnlich genug in den Höhlungen der Blätter findet. Nur einmal sah ich zwei halb erwachsene Orangs auf der Erde in einem trockenen Loch am Fuß der Simunjon-Hügel. Sie spielten zusammen, standen aufrecht und fassten sich gegenseitig an den Armen an. Es ist übrigens ganz sicher gestellt, dass der Orang nie aufrecht geht, außer wenn er sich mit den Händen an höheren Zweigen festhält oder wenn er angegriffen wird. Abbildungen, auf denen er mit einem Stock geht, sind ganz aus der Luft gegriffen.

Die Dajaks sagen, dass der Mias nie von Tieren im Wald angefallen wird, mit zwei seltenen Ausnahmen; und die Erzählungen davon sind so merkwürdig, dass ich sie möglichst mit den Worten meiner Berichterstatter, alter Dajak-Häuptlinge, welche ihr ganzes Leben an Orten, wo das Tier sehr viel vorkommt, zugebracht haben, geben will. Der erste, den ich danach fragte, sagte: »Kein Tier ist stark genug, um den Mias zu verletzen, und das einzige Geschöpf, mit dem er überhaupt kämpft, ist das Krokodil. Wenn er kein Obst im Dschungel findet, so geht er an die Flussufer, wo es viele junge Schösslinge gibt, die er gern frisst, und Früchte, die dicht am Wasser wachsen. Dann versucht das Krokodil oft ihn zu packen, aber der Mias springt auf dasselbe, schlägt es mit Händen und Füßen, zerfleischt und tötet es.« Er fügte hinzu, dass er einmal solchem Kampf zugeschaut habe, und dass der Mias stets Sieger bliebe.

Mein zweiter Berichterstatter war der Orang Kaya oder Häuptling der Balow-Dajaks am Simunjon-Fluss. Er sagte: »Der Mias hat keine Feinde; kein Tier wagt es, ihn anzugreifen, bis auf das Krokodil und die Tigerschlange. Er tötet das Krokodil stets nur durch seine Kraft, indem er auf demselben steht, seine Kiefern aufreißt und die Kehle aufschlitzt. Wenn eine Tigerschlange einen Mias angreift, packt er sie mit seinen Händen, beißt sie und tötet sie bald. Der Mias ist sehr stark; kein Tier im Dschungel ist so stark wie er.«

Es ist sehr bemerkenswert, dass ein so großes, so eigentümliches und so hochorganisiertes Tier wie der Orang-Utan auf so begrenzte Distrikte beschränkt ist – auf zwei Inseln, die fast am wenigsten von höheren Säugetieren bewohnt werden; denn östlich von Borneo und Java vermindern sich die Vierhänder, Wiederkäuer und Raubtiere rapide und werden bald ganz verschwunden sein. Wenn wir weiter bedenken, dass fast alle anderen Tiere in früheren Zeitaltern durch verwandte, wenn auch distinkte Formen repräsentiert waren – dass in der letzten Zeit der Tertiärperiode Europa von Bären, Hirschen, Wölfen, Katzen bevölkert war; Australien von Kängurus und anderen Beuteltieren; Südamerika von gigantischen Faultieren und Ameisenfressern; alle verschieden von irgendwelchen jetzt existierenden, wenn auch sehr nahe mit ihnen verwandten – so haben wir guten Grund zu glauben, dass der Orang-Utan, der Schimpanse und der Gorilla auch ihre Vorgänger gehabt haben. Mit welchem Interesse muss jeder Naturforscher an die Zeit denken, in der die Höhlen und Tertiärablagerungen der Tropen durchsucht sind, und man die frühe Geschichte und das erste Erscheinen der großen menschenähnlichen Affen endlich kennenlernen wird.

Ich will nun einiges anführen in Betreff der vermeinten Existenz eines borneonischen Orangs von der Größe des Gorillas. Ich selbst habe die Körper von siebzehn frisch getöteten Orangs untersucht und habe alle sorgfältig gemessen; von sieben bewahrte ich das Skelett auf. Ich erhielt ferner zwei Skelette von Tieren, die andere töteten. Von dieser großen Reihe waren sechzehn ganz ausgewachsen, neun Männchen und sieben Weibchen. Die erwachsenen Männchen des großen Orangs variierten in der Höhe nur zwischen vier Fuß ein Zoll und vier Fuß zwei Zoll, bis zu den Hacken gemessen, sodass es sich hier um die Höhe des aufrecht stehenden Tieres handelt; die Breite der ausgestreckten Arme variierte von sieben Fuß zwei Zoll bis sieben Fuß acht Zoll und die Breite der Gesichter von zehn bis dreizehneinhalb Zoll. Die von anderen Naturforschern beigebrachten Maße stimmen genau mit den meinigen. Der größte von Temminck gemessene Orang war vier Fuß hoch. Von fünfundzwanzig von Schlegel und Müller gemessenen Exemplaren war das größte alte Männchen vier Fuß ein Zoll; und das größte Skelett im Kalkuttaer Museum betrug, nach Herrn Blyths Angabe, vier Fuß anderthalb Zoll. Meine Exemplare waren alle von der Nordwestküste Borneos; die der Holländer von den West- und Südküsten; und kein Exemplar ist bis jetzt nach Europa gekommen, das diese Maße überschreitet, obschon die Gesamtzahl von Häuten und Skeletten wohl mehr als hundert beträgt.

Dennoch aber behaupten sonderbarerweise einige Menschen, dass sie Orangs von viel bedeutenderer Größe gemessen haben. Temminck erzählt in seiner Monographie des Orangs, er habe gerade Nachricht erhalten, dass ein Exemplar von fünf Fuß drei Zoll Höhe gefangen sei. Unglücklicherweise scheint es Holland nie erreicht zu haben, denn nichts verlautete seitdem von diesem Tier. Herr St. John, in seinem »Life in the Forests of the Far East«, Bd. II, S. 237, erzählt uns von einem Orang, den ein Freund von ihm geschossen und der fünf Fuß zwei Zoll von der Ferse bis zum Scheitel gemessen habe; der Arm war siebzehn Zoll im Umfang und das Handgelenk zwölf Zoll! Nur der Kopf wurde nach Sarawak gebracht, und Herr St. John erzählt uns, dass er dabei war, als er gemessen wurde, und dass er fünfzehn Zoll breit und vierzehn lang gewesen. Unglücklicherweise scheint auch dieser Schädel nicht aufbewahrt worden zu sein, denn nie hat ein Exemplar, das diesen Maßen entspräche, England erreicht.

In einem Brief von Sir James Brooke vom Oktober 1857, in welchem er mir den Empfang meiner Abhandlung über den Orang, die in den »Annals and Magazine of Natural History« publiziert ist, anzeigt, schickt er mir die Maße eines von seinem Neffen getöteten Exemplars, und ich will es genauso wiedergeben, wie er mir schrieb: »September 3, 1867, weiblichen Orang-Utan getötet. Höhe vom Kopf zur Ferse vier Fuß sechs Zoll. Ausdehnung von Finger- zu Fingerspitze über den Körper sechs Fuß ein Zoll. Breite des Gesichtes, die Schwielen eingerechnet, elf Zoll.« Nun ist in diesen Maßen ein handgreiflicher Irrtum; denn in jedem bis jetzt von Naturforschern gemessenen Orang entspricht eine Ausdehnung der Arme von sechs Fuß ein Zoll einer Höhe von ungefähr drei Fuß sechs Zoll, während die größten Exemplare von vier Fuß bis vier Fuß zwei Zoll Höhe immer sieben Fuß drei Zoll bis sieben Fuß acht Zoll an den ausgebreiteten Armen messen. Es ist in der Tat ein genereller Charakter, dass die Arme so lang sind, dass ein fast aufrecht stehendes Tier mit den Fingern auf dem Boden ruhen kann. Eine Höhe von vier Fuß sechs Zoll würde demnach eine Armbreite von wenigstens acht Fuß erfordern! Wenn es nur sechs Fuß wären bei jener Höhe, wie sie in den betreffenden Maßen angegeben, so würde das Tier überhaupt kein Orang sein, sondern eine neue Affenart, die wesentlich in ihren Gewohnheiten und der Manier der Fortbewegung differiert. Aber Herr Johnson, der dieses Tier schoss und der Orangs wohl kennt, sprach es für einen an; wir haben daher zu entscheiden, ob es wahrscheinlicher ist, dass er einen Fehler von zwei Fuß beim Messen der Armlänge oder einen von einem Fuß beim Messen der Höhe beging. Das Letztere ist sicherlich leichter möglich, und dann kommt sein Tier, was Proportion und Größe betrifft, in Übereinstimmung mit allen in Europa existierenden. Wie leicht man sich in der Höhe dieser Tiere täuschen kann, zeigt der Fall des sumatranischen Orangs, dessen Haut von Dr. Clarke Abel beschrieben ist. Der Kapitän und die Leute, welche dieses Tier töteten, erklärten, dass es lebend größer gewesen sei als der größte Mann und so riesenhaft ausgesehen habe, dass sie es für sieben Fuß hoch gehalten hätten; aber sie fanden, als es getötet war und auf dem Boden lag, dass es nur ungefähr sechs Fuß lang war. Nun wird man kaum glauben, dass die Haut dieses selben Tieres in dem Kalkuttaer Museum existiert und Herr Blyth, der frühere Kurator, konstatiert hat, »dass es keineswegs zu den größten gehört«, was sagen will, dass es ungefähr vier Fuß hoch war!

Nach diesen zweifellosen Beispielen von Irrtümern in den Maßen der Orangs geht man nicht zu weit, wenn man schließt, dass Herrn St. Johns Freund einen ähnlichen Irrtum beim Messen beging oder, besser, vielleicht einen Gedächtnisfehler machte; denn es wird nicht gesagt, dass die Maße notiert wurden zur Zeit, als man sie nahm. Die einzigen Angaben des Herrn St. John, auf seine eigene Autorität hin, sind, dass »der Kopf fünfzehn Zoll breit und vierzehn Zoll lang war.« Da mein größtes Männchen dreizehn und einen halben Zoll über dem Gesicht maß gleich nach dem Tod, so verstehe ich sehr wohl, wie der Kopf, als er von Batang Lupar nach Sarawak kam, nach zwei, wenn nicht drei Tagereisen, so durch Verwesung angeschwollen war, dass er einen Zoll mehr maß als im frischen Zustand. Nach all diesem aber glaube ich, ist es erlaubt zu sagen, dass wir bis jetzt nicht die geringsten zuverlässigen Beweise von der Existenz eines Orang auf Borneo von mehr als vier Fuß zwei Zoll Höhe besitzen.

8Man müsste im Deutschen vielleicht Meias schreiben, um denselben Laut hervorzubringen, allein es wurde die englische Schreibart beibehalten. A. d. Übers.

9Charles Allen, ein sechzehnjähriger junger Engländer, begleitete mich als Gehilfe.

FÜNFTES KAPITEL
BORNEO – REISE INS INNERE
(November 1855 bis Januar 1856)

Als die nasse Jahreszeit nahte, beschloss ich, nach Sarawak zurückzukehren; ich schickte alle meine Sammlungen mit Charles Allen zur See hin, während ich selbst bis zu den Quellen des Sadong-Flusses hinaufgehen wollte, und von da wieder herab durch das Sarawak-Tal. Da die Tour etwas beschwerlich war, so nahm ich so wenig Gepäck wie nur irgend möglich und nur einen Diener mit, einen malaiischen Burschen, namens Bujon, der die Sprache der Sadong-Dajaks kannte, mit denen er früher in Handelsverbindung gestanden hatte. Wir verließen am 27. November die Minen und erreichten tags darauf das malaiische Dorf Gudong, wo ich mich kurze Zeit aufhielt, um Früchte und Eier zu kaufen, und bei dem Datu Bandar oder malaiischen Gouverneur des Ortes vorsprach. Er wohnte in einem großen und gut gebauten Haus, das von außen und innen sehr schmutzig war, und verfuhr sehr inquisitorisch in Betreff meines Geschäftes und besonders in Betreff der Kohlenminen. Diese machen den Eingeborenen viel Kopfzerbrechen, da sie die ausgedehnten und kostspieligen Vorbereitungen, um nach Kohlen zu graben, nicht verstehen und nicht glauben können, dass man sie nur als Brennmaterial benutzt, wo Holz so im Überfluss vorhanden und so leicht zubekommen ist. Augenscheinlich kamen Europäer selten hierher, denn eine Menge Frauen nahmen Reißaus, als ich durch das Dorf ging, und ein Mädchen von etwa zehn oder zwölf Jahren, die gerade ein Bambusgefäß voll Wasser aus dem Fluss geholt hatte, warf es im Moment, als sie mich sah, mit einem Schrei des Entsetzens und der Angst nieder, kehrte sich um und sprang in den Strom. Sie schwamm sehr schön, sah sich fortwährend um, als ob sie erwartete, dass ich folgen würde, und schrie die ganze Zeit heftig; während eine Anzahl Männer und Knaben über ihr unwissendes Erschrecken lachten.

In Jahi, dem nächsten Dorf, wurde der Strom so reißend infolge einer Überschwemmung, dass mein schweres Boot nicht aus der Stelle kam, und ich sah mich daher genötigt, es zurückzuschicken und in einem sehr kleinen und offenen weiterzufahren. Bis hierher war der Fluss sehr monoton gewesen; die Ufer bestanden aus Reisfeldern, und nur kleine mit Stroh bedachte Hütten unterbrachen die wenig malerischen Umrisse des sumpfigen Gestades, das von hohen Gräsern besetzt und hinter dem kultivierten Land von dem Waldessaum begrenzt war. Einige Stunden jenseits Jahi überschritten wir die Grenze der Kulturen und sahen den herrlichen Urwald bis an den Rand des Wassers treten, mit seinen Palmen und Schlinggewächsen, seinen hohen Bäumen, seinen Farnkräutern und Schmarotzerpflanzen. Die Flussufer waren jedoch meist noch überschwemmt, und wir fanden nur schwierig eine trockene Schlafstelle. Früh morgens erreichten wir Empungan, ein kleines malaiisches, an dem Fuß eines alleinstehenden Berges gelegenes Dorf, der schon von der Mündung des Simunjon-Flusses an sichtbar gewesen war. Höher hinauf werden Ebbe und Flut nicht mehr gespürt, und wir betraten nun einen Hochwalddistrikt mit einer schöneren Vegetation. Große Bäume strecken ihre Zweige quer über den Fluss, und die abschüssigen, erdigen Ufer sind mit Farnen und Zingiberaceen bekleidet.

Früh am Nachmittag kamen wir in Tabokan an, dem ersten Dorf der Hügel-Dajaks. Auf einem offenen Platz nahe dem Fluss spielten etwa zwanzig Knaben ein Spiel, etwa gleich dem, was die unseren »Bar-Laufen« (»prisoner’s base«) nennen würden; ihr Schmuck von Perlen und Metalldraht und ihre hellfarbigen Kopftücher und Leibbinden standen ihnen sehr gut und brachten einen wirklich hübschen Anblick hervor. Von Bujon gerufen, ließen sie sofort ihr Spiel, um meine Sachen in das Hauptgebäude zu tragen – ein rundes Haus in fast allen Dajak-Dörfern, das als Logierhaus für Fremde dient, als Börse, als Schlafstätte für die unverheiratete Jugend und als allgemeines Versammlungslokal. Es ist an hoch gelegenen Punkten aufgebaut, hat einen großen Feuerraum in der Mitte, Fenster im Dach rundherum und bietet einen sehr angenehmen und bequemen Aufenthaltsort. Am Abend war es voll von jungen Männern und Knaben, die mich sehen wollten. Es waren meist schöne junge Burschen und ich konnte nicht umhin, die Einfachheit und Eleganz ihres Kostüms zu bewundern. Ihre einzige Bekleidung ist das lange »Chawat« oder Leibtuch, welches vorn und hinten herabhängt. Es ist gewöhnlich von blauer Baumwolle mit drei breiten Streifen von rot, blau und weiß endend. Diejenigen, welche es bestreiten können, tragen ein Tuch um den Kopf, welches entweder rot ist mit einem schmalen Streifen von Goldborte, oder dreifarbig wie der »Chawat«. Die großen glatten mondförmigen metallenen Ohrringe, die schwere Halsschnur von weißen oder schwarzen Perlen, Reihen von Metallringen an Armen und Beinen und Armringe von weißen Muscheln, alles das dient dazu, die rein rotbraune Haut und das kohlschwarze Haar abzuheben und ins rechte Licht zu setzen. Dazu der kleine Beutel mit Material zum Betelkauen, und ein langes schlankes Messer, beides unabänderlich an der Seite hängend – und man hat das tägliche Gewand des jungen Dajak.


Porträt eines jungen Dajak (nach einer Skizze und Photographien; Baines)

Der »Orang Kaya« oder reiche Mann, wie der Häuptling des Stammes genannt wird, kam nun mit mehreren älteren Leuten herein; und es begann die »Bitchara« oder Verhandlung über das Anschaffen eines Bootes und von Männern, um mich am folgenden Morgen weiterzubringen. Da ich nicht ein Wort ihrer Sprache verstand, die sehr vom Malaiischen verschieden ist, so nahm ich an der Verhandlung nicht teil, sondern wurde von meinem Burschen Bujon vertreten, der mir das Meiste von dem, was sie sagten, übersetzte. Ein chinesischer Händler war in dem Haus, und auch er wollte Leute für den folgenden Tag haben; aber als er das dem Orang Kaya andeutete, wurde ihm ernstlich gesagt, dass eines weißen Mannes Geschäft augenblicklich verhandelt werde und dass er bis zu einem anderen Tag warten müsse, ehe man an das seinige denken könne.

Als die »Bitchara« zu Ende und die alten Häuptlinge fort waren, bat ich die jungen Leute zu spielen oder zu tanzen oder sich in gewohnter Weise zu unterhalten; und nach ein klein wenig Sträuben taten sie es. Sie machten zuerst eine Kraftprobe, indem sich zwei Knaben einander gegenübersetzten, Fuß gegen Fuß, und ein starker Stock von beiden gefasst wurde. Jeder trachtete nun, sich nach rückwärts zu werfen, um seinen Gegner vom Boden aufzuheben, entweder durch größere Kraft oder durch eine plötzliche Anstrengung. Dann versuchte ein Mann seine Kräfte gegen zwei oder drei Knaben; darauf fasste jeder seinen eigenen Knöchel mit einer Hand und, während der eine so fest zu stehen suchte, als er konnte, schwang sich der andere auf einem Bein herum, um des anderen freies Bein zu schlagen und ihn auf die Weise zu Boden zu werfen. Als diese Spiele mit verschiedenem Erfolg rund gespielt waren, begann eine mir ganz neue Art von Konzert. Einige kreuzten ein Bein übers Knie und schlugen mit den Fingern scharf an den Knöchel, andere schlugen die Arme gegen ihre Seiten wie ein Hahn, der krähen will, und so brachten sie eine große Mannigfaltigkeit von klatschenden Geräuschen hervor, während einer noch mit der Hand unter seiner Achselgrube einen tiefen Trompetenton hören ließ; und da sie alle sehr gut Takt hielten, so war die Wirkung durchaus nicht unangenehm. Es schien eine Lieblingsunterhaltung von ihnen zu sein, und sie führten es mit viel Laune durch.

Am anderen Morgen fuhren wir in einem ungefähr dreißig Fuß langen und nur achtundzwanzig Zoll breiten Boot ab. Der Fluss ändert hier plötzlich seinen Charakter. Bis dahin war er, wenn auch reißend, so doch tief und eben und von steilen Ufern begrenzt gewesen. Jetzt rauschte und brauste er über ein kieseliges, sandiges oder felsiges Bett, bildete gelegentlich kleine Wasserfälle und Stromschnellen und warf hier und da breite Bänke von schön gefärbten Kieseln auf. Mit Rudern konnte man hier nicht weiter kommen, aber die Dajaks stießen uns mit Bambusstangen mit großer Geschicklichkeit und Schnelligkeit vorwärts und verloren nie das Gleichgewicht in dem so engen und schwanken Schiff, obgleich sie aufrecht standen und mit aller Kraft arbeiteten. Es war ein herrlicher Tag, und die muntere Tätigkeit der Männer, das Rauschen des perlenden Wassers mit dem glänzenden und mannigfaltigen Laubwerk, das von beiden Ufern aus sich über unsere Köpfe erstreckte, riefen in mir ein Gefühl der freudigen Erregung wach, das mir meine Kanufahrten auf den großen Flüssen Südamerikas in die Erinnerung brachte.

Früh am Nachmittag erreichten wir das Dorf Borotoi, und obgleich es ein Leichtes gewesen wäre, bis in das nächste noch vor der Nacht zu kommen, so war ich doch genötigt zu bleiben, da meine Leute zurückkehren wollten und andere unmöglich ohne vorhergehende Verabredung zu haben waren. Außerdem war ein weißer Mann für sie eine zu große Seltenheit, als dass man ihn sich hätte entgehen lassen sollen, und ihre Frauen würden es ihnen nie vergeben haben, wenn sie von ihren Feldern zurückkehrend eine solche Merkwürdigkeit nicht für sie zur Ansicht aufbewahrt gefunden hätten. Als ich in das Haus trat, in das man mich geladen, umstand mich eine Menge von sechzig oder siebzig Männern, Weibern und Kindern, und die erste halbe Stunde saß ich da wie ein seltsames Tier, das zum ersten Mal den Blicken eines neugierigen Publikums preisgegeben wird. Metallringe waren hier im größten Überfluss und viele der Frauen hatten ihre Arme sowohl vollständig damit bedeckt, als auch ihre Beine vom Knöchel bis zum Knie. Um den Leib trugen sie ein Dutzend oder mehr Bänder von schöner roter Farbe aus Rohr geflochten, an welchen der Unterrock befestigt ist. Darunter sind gewöhnlich einige Metalldrahtbänder, ein Gürtel von kleinen Silbermünzen und manchmal ein breites Gehänge einer Metallringrüstung. Auf dem Kopf tragen sie einen konischen Hut ohne Boden, von verschiedenfarbigen Perlen gemacht und durch Rotang-Ringe in Façon gehalten, eine phantastische aber nicht unmalerische Kopfbedeckung.

Ich machte einen Spaziergang hin zu einem kleinen Hügel in der Nähe des Dorfes, der wie ein Reisfeld bebaut war, von dem aus ich einen hübschen Blick auf das Land hatte, das hier ganz hügelig und gegen Süden zu bergig wurde. Ich nahm Messungen auf und machte Skizzen von allem Sichtbaren, ein Unternehmen, das die Dajaks, die mich begleiteten, sehr in Erstaunen setzte, und als ich zurück war, die Bitte, ihnen den Kompass zu zeigen, hervorrief. Es umgab mich dann noch eine größere Menge als vorher, und als ich mein Abendbrot nahm in der Mitte eines Kreises von etwa hundert Zuschauern, die aufmerksam jede Bewegung beachteten und jeden Mundvoll kritisierten, musste ich unwillkürlich an die Löwen zur Fütterungszeit denken. Ebenso wie diese edlen Tiere gewöhnte auch ich mich daran, und es beeinträchtigte meinen Appetit nicht. Die Kinder waren hier scheuer als in Tabokan, ich konnte sie nicht zum Spiel bewegen. Ich wurde also selbst Schaugeber und warf den Schatten eines fressenden Hundekopfes, was ihnen so sehr gefiel, dass das ganze Dorf in Prozession herauskam, um es zu sehen. Das »Kaninchen auf der Mauer« macht auf Borneo keinen Effekt, da dort kein ähnliches Tier ist. Die Knaben hatten Kreisel, die geformt waren wie Kreisel zum Schlagen, aber mit Schnur umsponnen.

Am anderen Morgen fuhren wir wie vorher weiter, aber der Fluss wurde so reißend und seicht und die Boote waren alle so klein, dass, obgleich ich nichts bei mir hatte als ein Gewand zum Wechseln, eine Büchse und wenige Kochgeräte, dennoch zwei Männer notwendig waren, um mich weiterzubringen. Der Fels, der hier und da am Flussufer zum Vorschein kam, war ein harter Tonschiefer, an einige Stellen kristallinisch und fast senkrecht ansteigend. Rechts und links von uns zeigten sich isolierte Kalksteinberge, deren weiße Abhänge in der Sonne glänzten und sich schön von der üppigen Vegetation, die sie überall bedeckte, abhoben. Das Flussbett bestand aus Haufen von Kieseln, meist reiner weißer Quarz, aber sehr stark untermischt mit Jaspis und Agat und dadurch von schön buntscheckigem Aussehen. Es war erst zehn Uhr morgens, als wir in Budw ankamen und obgleich eine Menge Volkes umherlungerte, so konnte ich die Leute doch nicht dazu bewegen, mir zu erlauben, bis zum nächsten Dorf weiterzufahren. Der Orang Kaya sagte zwar, dass wenn ich darauf bestünde, Männer zu haben, er natürlich welche stellen würde, aber als ich ihn beim Worte nahm und sagte, dass ich sie haben müsse, machte er mir neue Einwendungen; und die Idee meines Fortgehens an demselben Tag schien ihm so schmerzlich zu sein, dass ich genötigt war, mich zu ergeben. Ich machte daher einen Spaziergang über die Reisfelder, die hier sehr ausgedehnt sind und eine Anzahl kleiner Hügel und Täler bedecken, welche überhaupt das ganze Land zu überziehen scheinen, und erhielt dabei eine schöne Übersicht über Hügel und Berge nach allen Seiten hin.

Abends kam der Orang Kaya in vollem Ornat (eine beflitterte Samtjacke, aber ohne Hosen) und lud mich in sein Haus, wo er mir den Ehrensitz anwies unter einem Baldachin von weißem Kattun und bunten Tüchern. Die große Veranda war voll von Menschen, und große Schüsseln mit Reis und mit gekochten und frischen Eiern wurden als Geschenke für mich niedergelegt. Darauf bekleidete sich ein sehr alter Mann mit hell gefärbten Gewändern und vielen Zierraten und murmelte an der Tür sitzend ein langes Gebet oder eine Anrufung, während er aus einer Schale, die er in seiner Hand hielt, Reis umherstreute, ferner mehrere große Gongs laut geschlagen und Salutschüsse abgefeuert wurden. Dann ließ man einen großen Krug mit Reiswein, sehr sauer aber von einem angenehmen Geruch, herumgehen und ich verlangte, einige ihrer Tänze zu sehen. Diese waren nun, wie die meisten Darstellungen von Wilden, sehr abgeschmackt und reizlos; die Männer kleideten sich ganz absurd wie Frauen und die Mädchen stellten sich so steif und lächerlich an wie nur möglich. Während der ganzen Zeit wurden sechs oder acht große chinesische Gongs von den kräftigen Armen ebenso vieler junger Männer geschlagen und brachten einen solch betäubenden Lärm hervor, dass ich froh war, nach meinem runden Haus hin entschlüpfen zu können, wo ich sehr angenehm mit einem halben Dutzend geräucherter menschlicher Schädel über mir schlief.

Der Fluss wurde von da an so seicht, dass Boote kaum darauf fahren konnten. Ich zog es deshalb vor, zu Fuß nach dem nächsten Dorf zu gehen, indem ich hoffte, bei der Gelegenheit etwas von dem Land zu sehen; aber ich wurde sehr enttäuscht, da der Weg fast gänzlich durch dickes Bambusgebüsch führte. Die Dajaks ernten zwei Mal hintereinander; ein Mal Reis und das andere Mal Zuckerrohr, Mais und Gemüse. Dann liegt der Boden acht bis zehn Jahre brach und bedeckt sich mit Bambusrohr und Sträuchern, die sich oft gänzlich über den Weg wölben und jede Aussicht versperren. Drei Stunden Gehen brachten uns in das Dorf Senankan, wo ich wieder den ganzen Tag bleiben musste, was ich auf das Versprechen des Orang Kaya hin, dass seine Leute mich am folgenden Tag durch zwei weitere Dörfer quer durch nach Senna hin, an die Quelle des Sarawak-Flusses bringen sollten, auch gern tat. Ich unterhielt mich, so gut ich konnte, bis zum Abend mit Spazierengehen auf den Höhenzügen der Umgegend, um eine Anschauung von der Gegend und von der Höhe der hauptsächlichsten Berge zu gewinnen. Dann kam wieder eine öffentliche Audienz an die Reihe mit Geschenken von Reis und Eiern und Trinken von Reiswein. Diese Dajaks bebauen eine große Strecke Landes und bringen eine Menge Reis nach Sarawak. Sie sind reich an Gongs, Metallschüsseln, Draht, Silbermünzen und anderen Gegenständen, in denen der Reichtum eines Dajaks besteht; und ihre Weiber und Kinder sind alle aufs Höchste ausgeschmückt mit Perlhalsbändern, Muscheln und Metalldraht.

Am Morgen wartete ich etwas, aber die Männer, welche mich begleiten sollten, erschienen nicht. Als ich zu dem Orang Kaya schickte, war sowohl er als auch ein anderer Häuptling für den Tag fortgegangen, und als ich nach dem Grund fragte, hörte ich, dass sie keinen ihrer Leute dazu hätten überreden können, mit mir zu gehen, weil die Reise lang und ermüdend sei. Da ich zum Gehen entschlossen war, so sagte ich zu den wenigen Leuten, die noch geblieben, dass die Häuptlinge sehr übel daran getan hätten, dass ich mich bei dem Radscha wegen ihres Betragens beklagen würde und dass ich sofort aufbrechen wolle. Jeder der Anwesenden hatte eine andere Entschuldigung, aber es wurde nach anderen gesandt und mittels Drohungen und Versprechungen und der Anwendung der ganzen Beredsamkeit Bujons kamen wir endlich nach zweistündigem Hin- und Herreden fort.

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