Was dem Killer heilig ist: Krimi Großband 4 Romane

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5

Als Bount das Jennings-Haus verließ und die Stufen des protzigen Portals hinabstieg, konnte er sich eines unguten Gefühls nicht erwehren. Jedenfalls hatte Anthony Jennings ihm nichts mehr gesagt, das ihn sehr viel weiter brachte. Ein paar Flugblätter bekam Bount noch zugesteckt, die von den angeblich so fanatischen Umweltschützern verfasst waren, mit denen sich Jennings angelegt hatte.

Bount warf einen kurzen Blick auf die Armbanduhr. Es war noch Zeit genug, um bei der Fabrik vorbeizuschauen und sich dort etwas umzusehen. Vielleicht gab es ja dort irgendwelche Anhaltspunkte, denen nachzugehen sich lohnte.

Ein Motorengeräusch ließ Bount aufblicken.

Es war ein Cabriolet, das herangebraust kam und mit quietschenden Bremsen zum Stillstand kam. Das Verdeck war offen, am Steuer saß eine gutaussehende junge Frau, deren brünettes Haar mit einer unnachahmlichen Mischung aus Eleganz und Lässigkeit hochgesteckt war. Sie stieg aus und erwiderte Bounts Lächeln selbstbewusst.

"Starren Sie alle Leute so an, Mister?", fragte sie kokett. Ihre Augen waren meergrün und wirkten sehr wach und aufmerksam. Die Figur glich einer sanft geschwungene Linie und nahm Bount ganz unwillkürlich in ihren Bann.

"Eine Lieblingsbeschäftigung von mir, Miss!", gab Bount schließlich grinsend zurück. "Ich hoffe, es stört Sie nicht allzu sehr." Aber das schien nicht der Fall zu sein.

"Tun Sie, was Sie nicht lassen können!", erklärte sie, kam die Stufen und ging an Bount vorbei.

"Wohnen Sie hier, Miss?", fragte der Privatdetektiv. Sie drehte sich herum. Um ihren sinnlich wirkenden Mund mit den vollen Lippen spielte ein unnachahmlicher Zug.

"Wie kommen Sie darauf?"

"Sie hätten Ihren Wagen dort sonst kaum mitten vor dem Portal stehen gelassen. Das macht nur jemand, der hier zu Hause ist!"

Sie hoben die Augenbrauen und Bount wusste in dieser Sekunde, dass er in Schwarze getroffen hatte. Dann kam Sie zwei Stufen zurück und reichte dem Privatdetektiv die Hand.

"Ich bin Kathleen Jennings und bin tatsächlich hier zu Hause. Sind Sie der Detektiv, den mein Dad anheuern wollte?"

"Ja."

Ihre Blicke trafen sich einen Augenblick lang.

"Dann werden wir uns ja wohl in nächster Zeit des öfteren über den Weg laufen, nehme ich an, Mister..."

"Reiniger. Bount Reiniger." Er lächelte. "Sie könnten schon recht haben mit Ihrer Vermutung."

Kathleen Jennings zwinkerte ihm zu. "Nichts dagegen", meinte sie.

Einen Augenblick lang noch ruhte ihr Blick auf ihm, dann wandte sie sich ab und ging ins Haus.

Bount setzte sich ans Steuer seines champagnerfarbenen Mercedes und machte sich auf den Weg zu Jennings' Papierfabrik, die auf einem etwas abseits der Stadt Paterson, New Jersey, gelegenen Gelände errichtet war. Jennings hatte Bount den Weg kurz beschrieben und auch gleich seinen Sohn Arthur vorgewarnt, der dort die technische Leitung hatte. Bount war das nur recht. Dann würde man ihn jedenfalls nicht als unerwünschten Hausierer von der Pforte jagen. Als Bount dem Pförtner seinen Namen sagte, öffnete sich gleich die Schranke für ihn. Der Mann deutete mit dem Arm quer über das Gelände. "Sehen Sie das Gebäude dort?"

"Ja."

"Da ist das Büro von Mister Jennings junior. Er erwartet Sie bereits."

Bount stellte den Mercedes vor dem schmucklosen Zweistock ab, in dem sich die Büros untergebracht waren. Etwas später hatte er sich dann bis zu Arthur Jennings' Zimmer vorgearbeitet. Arthur war ein hochgewachsener, scheu wirkender Mann. Das markanteste Merkmal seines Gesichtes war die dicke Hornbrille, die ziemlich schwer sein musste. Jedenfalls rieb er sich alle paar Minuten an den Druckstellen auf der Nase.

"Mein Vater hat mir gesagt, dass Sie kommen würden. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Reiniger. Sie haben in Ihrer Branche ja einen exzellenten Ruf, wie man so hört!"

"Vielen Dank für die Blumen. Weiß außer Ihnen noch jemand in der Firma, wer ich bin und was ich hier soll?"

"Nein."

"Das ist gut so."

"Sie wollen sicher wissen, wie das heute Nacht passiert ist! Dazu ist nicht viel zu sagen: Ein Maskierter, ein Benzinkanister und ein Wagen, dessen Nummernschild nicht beleuchtet war. Der Rest ist eine Mischung aus Glück und der Aufmerksamkeit unserer Nachtwächter." Er atmete tief durch. "Wissen Sie, wir stellen hier Papier her und keine Juwelen oder andere Kostbarkeiten. In umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen ist deshalb nie investiert worden. Seit dem ersten Versuch dieser Art haben wir einen Zaun errichtet."

"Was denken Sie, wer dahintersteckt?"

Ein flüchtiges Lächeln ging über Arthurs Gesicht. "Sie kommen gleich auf den Kern Sache, was? Das gefällt mir." Er zuckte mit den Schultern, während Bount sich eine Zigarette anzündete. Arthur Jennings musterte Bount ein paar Augenblicke lang nachdenklich und Bount hatte fast das Gefühl, dass sein Gegenüber abzutaxieren versuchte, was er dem Privatdetektiv erzählen und was besser für sich behalten sollte.

"Mein Vater ist ein erstaunlicher Mann, Mister Reiniger. Er hat eine unglaubliche Energie und wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann führt er es auch irgendwann aus. Allerdings geht er dabei manchmal über Leichen."

"Das meinen Sie sicher nicht ganz wörtlich", meinte Bount. Er lachte mit einem sauren Unterton.

"Wie man's nimmt, Reiniger", knirschte er. Dann beugte er sich ein wenig vor und fuhr fort: "Sie haben mich nach einem Verdacht gefragt und es ist wahr: Ich habe einen. Ziemlich konkret sogar und mit Namen und Adresse. Leider wahrscheinlich nicht beweisbar."

Bount zog die Augenbrauen in die Höhe. "Lassen Sie hören!"

"Der Kerl heißt Jeffrey Kramer und war früher einmal Dads Teilhaber. Mein Vater hat ihn auf irgendeine unfeine Art und Weise aus der Firma herausgedrängt."

"Wie unfein?", hakte Bount nach, aber Arthur zuckte mit den Achseln.

"Keine Ahnung. Genau weiß ich das nicht. Da fragen Sie ihn am besten selbst. Aber jedenfalls hätte der Mann ein Motiv, um sich an Dad rächen zu wollen. Und er ist seit einiger Zeit wieder in Paterson."

Bount nickte. "Ich werde dem nachgehen. Und dann hätte ich gerne noch die Namen und Adressen der Nachtwächter. Ich möchte mich mit ihnen unterhalten. Kann ja sein, dass ihnen doch irgendetwas aufgefallen ist!"

Für den Bruchteil einer Sekunde stand ein Zug in Arthurs Gesicht, der deutlich machte, dass ihm Bounts Anliegen aus irgendeinem Grund nicht behagte. Aber dann nickte er. "Warum nicht?", meinte er in entspannterer Stimmung, die allerdings seltsam künstlich wirkte.

Die Gegensprechanlage auf Arthur Jennings' Schreibtisch piepte. Arthur drückte etwas ärgerlich einen Knopf und zischte: "Ich habe Ihnen doch gesagt, Miss Hancock, dass ich jetzt nicht gestört werden möchte!"

"Es ist sehr dringend, Mister Jennings! Ihr Bruder Ray..."

"Stellen Sie durch."

Er schluckte und gab Bount flüchtig die Hand. "Ich denke, wir haben alles besprochen. Die Namen der Nachtwächter gibt Ihnen Miss Hancock! Ansonsten stehe ich Ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung!"

6

Bount Reiniger versuchte noch, Jeffrey Kramer aufzutreiben. Aber in dem Supermarkt, in dem er eine Anstellung als Buchhalter gefunden hatte, hatte er sich zwei Tage frei genommen. In seiner Wohnung war ebenfalls niemand.

Bount hatte einen Augenblick lang überlegt, dass eigentlich eine hervorragende Gelegenheit war, um sich dort einmal ungestört umsehen zu können, aber er hatte noch nicht einmal damit angefangen, an dem Schloss herumzufummeln, da tauchte eine ziemlich dralle Frau in den mittleren Jahren auf. Ihrem herrischen Auftreten nach musste sie die Vermieterin sein.

"Wollen Sie zu Mister Kramer?", fragte sie neugierig.

"Ja."

"Der ist nicht da!"

"Habe ich gemerkt. Wo steckt er?"

"Ich habe nicht die geringste Ahnung, Mister..."

"Reiniger. Mein Name ist Reiniger!"

Ihr Gesicht entspannte sich ein bisschen. "Die Kerle, die sonst noch ihm fragen, haben sich nicht vorgestellt!"

Eins zu null!, dachte Bount. Er hatte bei ihr einen Punkt gut.

"Was waren das für Leute?"

"Gesindel, wenn Sie mich fragen. Finstere Typen. Einem fehlte das linke Auge. Sagen Sie mir, was Mister Kramer ausgefressen, dass alle Welt hinter ihm her ist!"

"Das würde ich auch gerne wissen! Glauben Sie, dass Kramer noch einmal wieder hier auftaucht?"

"Na, das will ich hoffen! Er ist mit seiner Miete einen Monat im Rückstand. Aber da seine Sachen noch hier sind, gehe ich davon aus, dass dieser komische Vogel noch nicht ganz ausgeflogen ist! Soll ich ihm vielleicht etwas ausrichten, wenn er wieder auftaucht?"

"Nein, nicht nötig."

Bount konnte sich schon denken, was passierte, wenn sie Kramer das nächste Mal sah. Sie würde ihm brühwarm auf die Nase binden, dass jemand nach ihm gefragt hatte.

7

Anschließend stattete Bount Reiniger einer gewissen Charlene Smith einen Besuch ab, die zu den Umweltschützern gehörte, mit denen Jennings im gerichtlichen Clinch lag. Ihre Adresse stand auch auf einigen Flugblättern, die Jennings dem Privatdetektiv gegeben hatte.

Sie war alles andere als begeistert, als Bount vor seiner Wohnungstür auftauchte. Charlene war eine hochgewachsene, schlanke Frau, deren Mannequin-Figur unter dem sackartigen Kleid, das sie trug, nur zu erahnen war.

"Wer sind Sie, einer von Jennings' Gorillas, die mich einschüchtern sollen?" Nachdem sie den Privatdetektiv einer kurzen Musterung unterzogen hatte, schüttelte sie energisch den Kopf. "Nein, Ihrem Outfit nach sehen Sie wie einer seiner Rechtsverdreher aus. Immerhin sehen Sie besser aus, als Ihre Vorgänger!"

 

Bount lächelte dünn.

"Danke für die Blumen!"

"Hören Sie zu: Ihr Vorgänger war sicher ein guter und raffinierter Anwalt und Sie sind wahrscheinlich auch kein Stümper! Ich schätze mal, dass der alte Jennings Ihren Vorgänger wegen Erfolglosigkeit vor die Tür gesetzt hat, aber ich sage Ihnen gleich, dass Sie es auch nicht besser machen werden!"

"Und warum?"

"Weil die Fakten dagegen stehen! Lesen Sie unsere Flugblätter!"

"Das habe ich. Sie werfen Jennings illegale Gewässereinleitungen vor!"

"So ist es! Und es geht nicht nur um ein paar Frösche, deren Lebensraum nun vielleicht beeinträchtigt ist, sondern auch um Menschen, die jetzt Mühe hätten, ihren Grund und Boden zu verkaufen, wenn sie wollten!"

"Wie viele Menschen betrifft das?"

"Ein paar Dutzend."

"Gehören Sie auch zu den Geschädigten?"

"Nein."

"Warum engagieren Sie sich dann so stark?"

"Weil ich etwas dagegen habe, wenn jemand wie Jennings so etwas tun kann und am Ende vielleicht sogar noch damit durchkommt! Deshalb! Und Sie? Ich habe mich geirrt, nicht wahr? Sie sind kein Anwalt!"

"Nein, Privatdetektiv."

"Ich mag keine Schnüffler", meinte sie daraufhin. "Und schon gar nicht, wenn Anthony Jennings sie geschickt hat."

"Hören Sie, wenn die Sache so ist, wie Sie behaupten, dann sehe ich das genau wie Sie. Aber ich nicht wegen des Prozesses hier, sondern weil ich denjenigen suche, der versucht hat, die Papierfabrik anzuzünden!"

Sie verzog das Gesicht. "Daher weht also der Wind. Also ich war es jedenfalls nicht und auch sicher keiner von unseren Leuten. Das ganze läuft auf einen Gutachter-Streit hinaus, und zur Zeit sieht es gar nicht schlecht aus. Wir führen sozusagen nach Punkten. Glauben Sie, ich hätte Lust, das aufs Spiel zu setzen?"

"Sie persönlich vielleicht nicht!"

"Und auch niemand, der sich bei uns engagiert! Ich lege da für jeden meine Hand ins Feuer!"

Sie drehten sich noch ein bisschen im Kreis, aber es kam nichts mehr dabei heraus, das greifbar war.

8

Am nächsten Morgen wurde Bount schon gegen vier Uhr morgens durch das Telefon aus dem Schlaf gerissen. Er hatte vergessen, den Anrufbeantworter einzuschalten und wollte sich erst weigern, überhaupt abzunehmen. Schließlich gab es ja so etwas wie Bürostunden - auch für Privatdetektive. Aber der Anrufer ließ nicht locker. Es musste wirklich dringend sein und so nahm Bount schließlich doch ab. "Ja? Hier Reiniger..."

Auf der anderen Seite war eine Frauenstimme, an die er sich flüchtig erinnerte, die er aber im Moment nicht so recht einzuordnen wusste. Und dann wusste er auch, weshalb das so war. Als er diese Stimme das letzte Mal gehört hatte, hatte sie kokett und selbstbewusst gewirkt. Jetzt war sie am Rand einer Panik.

Es war Kathleen Jennings.

"Mister Reiniger? Es ist etwas Furchtbares passiert... Die Fabrik... sie brennt!" Bount hörte sie schlucken und da wusste er instinktiv, dass das nicht alles sein konnte. "Und Dad... Er ist in den Flammen umgekommen!"

Bount war hellwach.

"Beruhigen Sie sich ein wenig. Ist die Polizei schon dort?"

"Ja. Werden Sie kommen?"

"Ich bin schon unterwegs!"

In Windeseile zog der Privatdetektiv sich an, hinterließ eine kurze Nachricht für June March, seine Assistentin, und setzte sich dann ans Steuer seines 500 SL, um die Strecke, die zwischen seiner Residenz in der New Yorker 7th Avenue und Paterson, New Jersey, lag so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

Bount fuhr wie der Teufel und hatte Glück, nicht zufällig einer Polizeistreife in die Arme zu laufen.

Als er die Papierfabrik in Paterson erreichte, war schon von weitem die dunkle Rauchsäule zu sehen, die vor dem Hintergrund der aufgehenden Morgensonne gen Himmel stieg. Es herrschte ziemlich viel Betrieb. Bount sah die Löschfahrzeuge der Feuerwehr, zwei Streifenwagen der Polizei und noch einige andere Fahrzeuge. Als Bount ausstieg sah er auch jemanden mit einem Fotoapparat herumlaufen und Bilder machen, die man wahrscheinlich in der nächsten Ausgabe der Lokalzeitung zu sehen bekommen würde. Ein Polizist in Uniform versuchte, Bount daran zu hindern, das Firmengelände zu betreten. "Wir haben hier verdammt nochmal genug Neugierige herumstehen, die nur unsere Arbeit hier behindern!" Bount hielt ihm seine Privat-Eye-Lizenz unter die Nase.

"Ich ermittle in dieser Sache", meinte er. Der Polizist sah sich die Lizenz an und runzelte die Stirn. Dann bewegte er den Kopf zur Seite und ließ Bount passieren.

Allem Anschein nach hatten die Löschkräfte das Feuer unter Kontrolle. Aber es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die Flammen wirklich gelöscht waren. Und wie viel dann noch von der Fabrik übrig sein würde, das musste man abwarten.

Wenig später lief ihm Kathleen über den Weg. Sie wirkte völlig aufgelöst und befand sich in Begleitung ihres Bruders Arthur.

"Was ist passiert?", fragte Bount.

"Die Fabrik hat gebrannt und sie haben Dads Leiche gefunden", berichtete Kathleen und schlug die Hände vors Gesicht. "Es war ein schrecklicher Anblick, mitansehen zu müssen, wie sie ihn in diesen Blechsarg gelegt und weggefahren haben..." Sie schluckte und ihre Stimme hatte dich belegt. Tränen glitzerten in ihren Augen. Ein paar Sekunden, dann hatte sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle.

"Komm, ich bring dich nach Hause", sagte Arthur Jennings und wollte seine Schwester mit sich führen. Aber sie wollte nicht und schüttelte den Kopf. "Nein, sagte sie. "Ich bleibe hier."

"Aber wir können hier jetzt doch nichts tun."

"Trotzdem."

"Wann ist das Feuer entdeckt worden?", fragte Bount.

"Viel zu spät", knurrte Arthur. "Ich habe es um vier erfahren, aber da war hier schon der Teufel los."

"Und was hat Mister Jennings um diese Zeit hier zu suchen?" Arthur nahm die Brille ab und rieb sich die Druckstellen. Dabei schloss er die Augen und zuckte mit den Schultern. "Was weiß ich!", murmelte er vor sich hin.

Bount wandte sich an Kathleen. "Haben Sie einen Schimmer?"

Sie schüttelte energisch den Kopf. "Nein."

"Aber Sie sagten mir gestern, dass Sie im Haus Ihres Vaters wohnen. Haben Sie nicht bemerkt, wie er davongefahren ist? Er wird ja wohl nicht zu Fuß gegangen sein..."

"Nein, ist er auch nicht. Sein Ferrari steht dort hinten", mischte sich Arthur ein, während er jetzt auf einem Brillenbügel herumkaute. Sein Blick ging kurz zu den Flammen hin. Dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Die Hitze war deutlich spürbar.

Kathleen blickte Bount offen an. "Ich habe Ihnen gestern nicht die ganze die Wahrheit gesagt", meinte sie. "Sehen Sie, ich habe zwar mein Zimmer in dem Haus, aber eigentlich wohne ich in einem Apartment in der Stadt."

"Sie waren also nicht zu Haus?"

"Nein."

Arthur Jennings runzelte die Stirn und meinte dann: "Was sind das für Gedanken, die Ihnen da im Kopf herumspuken, Mister Reiniger?"

Bount wandte den Kopf halb zu ihm herum.

"Nichts Bestimmtes..."

"Jemand wollte meinen Vater ruinieren und jetzt ist er tot. Ich bin kein Jurist, aber für mich ist derjenige, der dahintersteckt ein Mörder!"

Bount nickte. "Ich verstehe, was Sie meinen." Jetzt mischte sich Kathleen wieder ein. Sie sah Bount an und dabei spiegelte sich der Schein des Feuers in ihren Augen.

"Mein Vater wollte, dass Sie herausfinden, wer ihn fertigmachen wollte. Ich hoffe, dass Sie Ihren Auftrag zu Ende führen, Mister Reiniger!"

"Ich werde tun, was ich kann."

9

Bount sprach noch kurz mit einem Feuerwehr-Hauptmann, aber der konnte zur Brandursache noch nicht allzu viel sagen. Außerdem war er ohnehin nicht besonders auskunftsfreudig, da er noch alle Hände voll zu tun hatte. Bount entschied, dass es unter den augenblicklichen Umständen nicht viel Sinn machte, auf dem Fabrikgelände nach Spuren zu suchen. Wenn der Brand gelöscht war, würde sich Bount alles noch einmal vornehmen.

Aber da stand noch der Ferrari, mit dem Jennings offenbar hier her gekommen war. Im Augenblick kümmerte sich niemand um das Fahrzeug und so nutzte Bount die Möglichkeit, öffnete mit dem Taschentuch um die Hand die Tür und setzte sich hinein.

Er sah sich um und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag ein vergoldeter Füllfederhalter, der ziemlich kostbar wirkte. Er hatte Initialen A.J. eingraviert. A.J. wie Anthony Jennings. Im Handschuhfach war eine Kleinkaliber-Pistole.

"Heh, was fällt Ihnen ein!", hörte Bount eine Stimme, die ihn herumfahren ließ. Er blickte auf einen Mann, dessen Körperhaltung einem Fragezeichen ähnelte und in dessen Gesicht es ziemlich giftig blitzte. An seiner Jacke hing eine Polizeimarke. "Ich weiß zufällig, dass das nicht Ihr Wagen ist, Mister!", sagte er. "Steigen Sie aus!"

"Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, einmal hinter einem solchen Steuer zu sitzen!", feixte Bount.

"Ach, hören Sie auf! Sind Sie von der Presse? So aufdringlich sind normalerweise nur Presseleute. Oder die von den kleinen Kabelfernsehsendern, die sich mit aller Macht ihren Platz zwischen den großen erkämpfen müssen."

"Ich bin Privatdetektiv."

"Auch das noch!"

Bount stieg aus und der Kerl regte sich noch bisschen auf. Als er sich schließlich beruhigte, nannte er Bount sogar seinen Namen. Er hieß Blanfield und war Lieutenant.

"Dies ist doch der Wagen, mit dem Mister Jennings hier gekommen ist, nicht wahr?"

"Ja, richtig."

"Aber sehen Sie sich mal an, wie der Fahrersitz und die Rückspiegel eingestellt sind! Da muss jemand am Steuer gesessen haben, der mindestens meine Größe hat. Und Mister Jennings kommt da bestimmt nicht in die engere Auswahl!"

"Worauf wollen Sie hinaus?"

"Auf gar nichts. Noch nicht. Aber finden Sie das nicht merkwürdig?"

Blanfield verzog das Gesicht.

"Dann ist Jennings eben nicht allein gefahren..."

"...und hat seinen kräftig gebauten Beifahrer ans Steuer gelassen? Würde mich nur interessieren, wer das gewesen sein könnte..."

"Machen Sie sich ruhig Gedanken über solche Dinge, Mister. Aber glauben Sie mir, dies ist eine ganz einfache, brutale Geschichte. Jennings starb wahrscheinlich durch Rauchvergiftung. Mich interessiert nur, wer den Brand gelegt haben könnte..."

"Und ich frage mich, wieso Jennings ausgerechnet in dem Moment hier war, in dem so etwas passiert! Das sieht mir nicht nach Zufall aus!"

"Schickt sie eine Versicherung?"

"Ist das wichtig?" Blanfield musterte Bount abschätzig von oben bis unten und brummte dann: "Wer auch immer, Mister...Soll mir egal sein." Er zuckte die Achseln. "Dann ermitteln Sie mal schön, wenn es Ihnen Spaß macht."

"Was dagegen?"

"Nein. Aber Sie sollten mir nicht in die Quere kommen! Dann kann ich verdammt ungemütlich werden! Haben wir uns verstanden?"

"War ja ziemlich deutlich!"

Blanfield lachte heiser und murmelte dann: "Ihr Versicherungsleute seid doch immer die ersten Aasgeier, die bei so einer Sache auftauchen. Ihre Branche kann ich fünf Meter gegen den Wind riechen, Mister!"

Bount ließ Blanfield erst einmal in dem Glauben, dass irgendeine Versicherung ihn geschickt hatte. Vielleicht war der Lieutenant ja auskunftsfreudiger, wenn er glaubte, dass hinter seinem Gegenüber eine finanzstarke Organisation stand.

"Was wissen Sie darüber, wie das hier passiert ist?"

"Sie wollen darauf hinaus, dass Jennings seine Fabrik selbst angezündet hat, was?" Er lachte heiser.

"Solche Dinge kommen doch vor, oder?"

"Ja, aber gewöhnlich stellt man das dann so an, dass man nicht selbst dabei draufgeht!"

"Jennings wurde bedroht und von Unbekannten terrorisiert", stellte Bount fest, während Blanfield den Mund verzog.

"Ja, und er hat mich mit dieser Sache terrorisiert. Er konnte einfach nicht einsehen, dass die Polizei keine Wunder vollbringen kann und dass es verdammt nochmal auch noch ein paar andere Verbrechen in Paterson gibt, um die wir uns ebenfalls kümmern müssen!" Blanfield warf einen kurzen Blick zu Kathleen und Arthur hin, die etwas abseits standen und sich unterhielten. Es schien recht heftig dabei zuzugehen. Arthur packte seine Schwester am Arm. Sie riss sich los und gestikulierte mit den Armen. "Jetzt, da die Jennings-Kinder uns nicht hören können, kann ich es ja so offen sagen: Anthony Jennings war kein sehr sympathischer Mann!"

 

"Das gibt niemandem das Recht, ihn umzubringen!" Blanfield stutzte, sah Bount einen Augenblick lang nachdenklich an und nickte dann. "Sind Sie in Ihren Schlüssen nicht etwas voreilig, Mister..."

"Reiniger."

"Also die Sache stellt sich für mich so dar: Derjenige, der schon einmal versucht hat, hier alles anzuzünden, hat es heute noch einmal versucht und auch geschafft. Mister Jennings war unglücklicherweise hier, vielleicht weil er noch etwas zu tun hatte, und ist von den Flammen überrascht worden." Er zuckte mit den Schultern. "Natürlich müssen wir abwarten, was die Brandexperten sagen..."

"...und der Gerichtsmediziner."

Blanfield verzog säuerlich das Gesicht.

"Ja, der auch."

"Wo hat man Jennings gefunden?"

"Im Bürogebäude."

Bount machte eine Geste mit der Rechten und deutete dabei über das Gelände. "Wenn man hier einen solchen Brand legen will, muss das gut vorbereitet sein. Warum hat niemand etwas bemerkt? Gibt es keine Nachtwächter?"

Blanfield machte wegwerfende Handbewegung.

"Zwei waren besoffen", meinte er. "Und der Dritte erinnert sich nur noch daran, eins über den Schädel gekriegt zu haben. Als er aufwachte, war es viel zu spät, da konnte er nur noch sehen, dass er sein Leben rettete."

"Verstehe... Sagt Ihnen der Name Jeffrey Kramer etwas?"

"Sie sprechen von Jennings' Ex-Partner? Wir suchen nach ihm."

Bount lächelte dünn. "Viel Erfolg dabei!"

"Wenn Sie uns unsere Arbeit tun lassen und uns nicht dazwischenfunken, sehe ich nicht die geringsten Schwierigkeiten!", war Blanfields gallige Erwiderung. Das kann ja heiter werden!, dachte Bount. Der Kerl mochte ihn nicht, das war deutlich zu spüren. Ob er Privatdetektive im Allgemeinen nicht ausstehen konnte oder sich seine Abneigung speziell gegen Bount richtete, war nicht so ganz klar. Bount wandte sich ab und ging auf Kathleen zu, die nun allein dastand. Ihr Bruder Arthur war verschwunden. Bount ließ den Blick schweifen und sah ihn einen Moment später in eine Limousine steigen und davonfahren. Die junge Frau machte ein nachdenkliches Gesicht.

Als sie Bount bemerkte, versuchte sie zu lächeln und fragte: "Was werden Sie jetzt unternehmen?"

"Ich schlage vor, wir fahren zum Haus Ihres Vaters. Es muss einen Grund gehabt haben, dass er mitten in der Nacht auf dem Gelände war."

Kathleen nickte.

"Ja", sagte sie. "Merkwürdig ist das schon..." Sie sagte das auf eine Art und Weise, die vermuten ließ, dass es da noch etwas gab, dass sie Bount bisher noch nicht gesagt hatte.

"Sie können mit mir mitfahren!", bot Bount an.

"Nein, danke. Ich bin selbst mit dem Wagen hier. Sie können hinter mir herfahren!"