Was dem Killer heilig ist: Krimi Großband 4 Romane

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19

Der Tag, an dem Anthony Jennings beerdigt wurde, war so scheußlich, wie schon seit langem keiner mehr. Bount hatte sich den Mantelkragen hochgeschlagen, obwohl er wusste, dass das auf die Dauer auch nutzen würde.

Den schlimmsten Schauer wartete er ab, dann stieg er aus. Er hatte den 500 SL auf dem Parkplatz neben dem Friedhof abgestellt und ging dann mit schnellen Schritten auf dem nassen Schotterweg daher. Schließlich blieb er stehen, als er die Trauergemeinde vor dem offenen Grab sah.

Bount war natürlich nicht eingeladen, aber bei der Aufklärung eines Mordes konnte manchmal ganz interessant sein, zusehen, wer zur Beerdigung ging.

Es waren nicht viele. Nur der engste Familienkreis und ein paar Leute die Bount nicht kannte. Den Autokennzeichen auf dem Parkplatz nach waren manche von ziemlich weit angereist. Bount verfluchte das schlechte Wetter, während der Regen wieder zunahm. Das Wasser lief ihm das Gesicht herunter, die Haare waren klatschnass. Aber Opfer hatte sich gelohnt. Hinter einem Gebüsch bemerkte Bount ein Gesicht.

Es war eine Frau und Bount erkannte sie sofort. Es war Miss Hancock, die er im Büro von Arthur Jennings getroffen hatte. Das ganze dauerte nicht sehr lange, nur ein paar Sekunden, dann hatte sie Bount auch gesehen. Man konnte nicht sagen, ob es Regenwasser oder Tränen waren, was ihr da über die Wangen lief. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Einen Augenblick lang begegneten sich ihre Blicke, dann verschwand sie hinter den Büschen. Bount setzte ihr mit schnellen, entschlossenen Schritten nach. Von den Trauernden am Grab achtete niemand auf ihn. Es dauerte nicht lange, dann hatte er sie eingeholt.

"Miss Hancock..."

Sie drehte sich kurz um und lief weiter, wobei sie noch etwas beschleunigte. Ganz offensichtlich war es ihr sehr unangenehm, dass sie jemand bemerkt hatte.

"Was wollen Sie von mir, Reiniger?"

"Können wir uns nicht an einem Ort unterhalten, der nicht ganz so ungemütlich ist?"

Jetzt blieb sie stehen. "Okay", meinte sie. "Mein Wagen steht da drüben."

In ihrem Ford war es tatsächlich angenehmer. Sie setzte sich ans Steuer und Bount auf den Beifahrersitz, während der Regen gegen die Scheiben platschte.

"Also, was gibt es, Mister Reiniger?"

"Was macht jemand wie Sie hier draußen bei diesem Wetter."

"Ich habe Abschied genommen."

"Sie wollten nicht, dass man Sie sieht!" Sie hob die Augenbrauen. "Wirklich? Woher wollen Sie das wissen?"

"Na, kommen Sie..."

Dann flüsterte sie: "Ich wollte Anthonys Familie nicht begegnen. Ich..." Sie sprach nicht weiter und machte eine kurze Pause. Dann sagte sie schließlich: "Ich hoffe, dass man den Mörder fasst! Bei Gott, ich hoffe es!" Und als sie das sagte, hatte ihre Stimme einen ganz veränderten, hasserfüllten Klang.

"Bitte gehen Sie jetzt", sagte sie schließlich.

20

"Sollten wir nicht etwas vorsichtiger sein?", fragte Colin Rigg, während er gemeinsam mit Liz Jennings das Feinschmecker-Lokal verließ und ins Freie trat. Es war der teuerste Gourmet-Tempel am Ort. Draußen war es bereits fast dunkel. Sie waren mit Riggs BMW gekommen, den der Tierarzt in einer Seitenstraße abgestellt hatte.

Liz lachte und dabei löste sich die steife Maske auf, die sonst ihr Gesicht beherrschte. "Warum so ängstlich, Colin? Mein Gott, was soll schon passieren!"

"Man könnte uns zusammen sehen, Liz."

"Na, und?"

"Im Augenblick wäre das wirklich nicht gut!"

"Ein Beinbruch wäre das auch nicht! Colin, die Zeiten, in denen ich kuschen musste, sind endgültig vorbei, verstehst du? Ich bin diese Heimlichtuerei und dieses Versteckspiel gründlich leid! Anthony ist tot und damit ist das alles für mich zu Ende!" Liz Jennings hatte ungewohnt heftig gesprochen. Es schien ihr sehr ernst zu sein.

Colin Rigg stand jedoch der Zweifel im Gesicht geschrieben.

"Dieser Reiniger..."

"Der ist abserviert, Colin! Ein für allemal."

"Bist du dir da sicher? Auf mich machte der Kerl einen ziemlich entschlossenen Eindruck."

"Er hat einen großzügigen Scheck bekommen. Damit kann er zufrieden sein. Ich glaube nicht, dass wir noch etwas von ihm hören." Sie lächelte. "Er hat seinen Part hervorragend gespielt fast sogar ein bisschen zu perfekt. Und dieser Blanfield..." Sie macht eine wegwerfende Handbewegung.

"Trotzdem", beharrte Colin. "Es ist vielleicht nicht gerade klug, dass wir uns jetzt zusammen in der Öffentlichkeit zeigen!"

"Ach, was!"

Sie hakte sich bei ihm unter und dann gingen sie zusammen die Straße entlang. Leichter Nieselregen setzte ein und sie beschleunigten ihre Schritte etwas. Dann bogen sie um eine Ecke in eine Einbahnstraße, deren Bordsteine mit parkenden Wagen zugestellt waren.

"Die Zeit der Heimlichkeiten ist jetzt vorbei, Colin. Endgültig. Anthony ist tot, verstehst du?"

"Ja."

"Er kann mich nicht mehr einfach jederzeit wie eine streunende Katze wieder vor die Tür setzen. Diese Zeiten sind vorbei. Jetzt bestimme ich selbst über mein Leben!" Sie hatten den Riggs BMW schon fast erreicht, da fragte der Tierarzt: "Fahren wir noch zu mir?"

"Nein, zu mir, Colin. Das große Haus ist so furchtbar leer."

Er verzog das Gesicht. "Das ist nun wirklich noch etwas zu früh", meinte er. Dr. Rigg suchte in seinen Jackentaschen nach dem Autoschlüssel. Er hatte ihn gerade gefunden und steckte ihn ins Türschloss, da geschah es.

Ein Knall, wie von einer Schusswaffe.

Rigg stand wie erstarrt da und fragte sich, was los war. Ein zweiter Knall folgte und ein dritter und vierter. Rigg fuhr herum und sah, wie Liz Jennings taumelte. Es kam rot von ihrem Hals herunter. Mit starren, toten Augen klappte sie zu Boden, während immer noch geschossen wurde. Ein Ruck erfasste Rigg und riss ihn brutal aus seiner Agonie heraus. Es hatte ihn erwischt, das war ihm im Bruchteil einer Sekunde klar. Er fühlte plötzlich einen Schmerz an der linken Seite, griff mit der Rechten dorthin. Das Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch, während er sich endlich duckte und sich hinter dem BMW in Deckung brachte.

Er taumelte dabei. Schwindel erfasste ihn und er kam einen Augenblick später hart auf dem Boden auf.

Mein Gott!, dachte er, als sein Blick auf Liz Jennings' toten Körper fiel, der in seltsam verrenkter Stellung auf dem Pflaster lag. Warum nur?, hämmerte es in seinem Kopf. Er wandte den Kopf schnell zur Seite. Seine Seite schmerzte und er musste die Zähne aufeinanderbeißen, um nicht laut loszuschreien. Rigg ächzte und hörte dann einen startenden Wagen, der offenbar auf der anderen Straßenseite geparkt hatte, und nun mit aufheulendem Motor davonraste.

Dann kroch er zu Liz Jennings herüber. Aber da war nichts mehr zu machen. Er schloss ihr noch die Augen, bevor er selbst niedersank und reglos auf dem Pflaster liegenblieb.

21

Wenig später war in der engen Seitenstraße der Teufel los. Polizei, Notarzt und jede Menge Schaulustige, die einmal ein richtiges Mordopfer betrachten wollten.

Lieutenant Blanfield runzelte die Stirn, als er Bount Reiniger in Begleitung von Kathleen Jennings auftauchen sah. Blanfield war anzusehen, dass ihm eine bissige Bemerkung auf der Zunge lag, aber in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der Toten um Kathleens Mutter handelte, verkniff er sich seinen Kommentar.

Der Metallsarg war bereits geschlossen worden. Für Kathleen wurde er noch einmal geöffnet. Bount ging mit ihr. Sie blickte nur ganz kurz hin und das war auch nur zu verständlich. Es war alles andere als ein schöner Anblick, jemanden zu sehen, der von mindestens drei großkalibrigen Kugeln durchlöchert worden war.

Nachdem sie das hinter sich gebracht hatte, wandte sie sich an Bount.

"Du hast sicher Verständnis dafür, wenn ich jetzt etwas allein sein möchte, nicht wahr, Bount?"

"Sicher."

"Ich muss das erst einmal verdauen!"

"Ich melde mich."

"Gut."

Bount blickte ihr nach, während sie davonging und in ihren Wagen stieg. Dann wandte er sich an Blanfield und meinte: "Den BMW dort kenne ich. Der gehört Dr. Rigg, nicht wahr?"

"Ja."

"Waren Liz Jennings und der Doktor zusammen, als es passierte?"

"Ja. Er hat auch etwas abbekommen und ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus."

"Scheint, als hätte hier jemand ein ganzes Magazin leergeschossen. Die Leiche sieht auch danach aus." Blanfield verzog das Gesicht. "Gut beobachtet", brummte er ironisch.

"Sieht nach einer Tat aus Leidenschaft oder Hass aus", meinte Bount.

"Oder es handelt sich um einen schlechten Schützen."

"Oder beides. Warum haben Sie Dr. Rigg nicht vernommen? Er hat das Gift in seinem Schrank stehen, dass Anthony Jennings getötet hat! Und er weiß, wie man eine Spritze ansetzt, ohne dass es gleich handgroße Blutergüsse gibt!" Blanfield verdrehte die Augen.

"Ja, bei den Pferden, da kennt er sich aus!" Bount musterte den Lieutenant und erkannte, dass sein Gegenüber noch irgendeinen Trumpf um Ärmel hatte, den er partout nicht ausspielen wollte. In seinen Augen blitzte es, als er sagte: "Ich habe Rigg nicht vernommen, weil er im Augenblick nicht vernehmungsfähig ist. Vielleicht wird er überhaupt nichts mehr sagen können. Er kämpft mit dem Tod, Mister Reiniger!"

Bount zündete sich eine Zigarette an, verengte ein wenig die Augen und meinte dann: "Sie verfolgen ohnehin eine andere Spur, stimmt's, Lieutenant?"

 

"Erraten."

"Und?"

"Der Mord an Mister Jennings ist so gut wie aufgeklärt", meinte er und Bount hob die erstaunt die Augenbrauen. Das war wirklich eine Überraschung. Einen Augenblick noch schien Blanfield mit sich zu ringen, ob er es sich behalten sollte, aber dann siegte seine Eitelkeit. Er konnte es einfach nicht lassen, seinen Triumph gegenüber Bount voll auszukosten. "Wir haben einen Mann aufgegriffen, der schon gestanden hat, dass er zweimal versucht hat, Jennings' Fabrik anzuzünden. Beim dritten Mal und bei dem Mord, da ziert er sich noch Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Die Beweise sprechen so sehr gegen ihn. Er heißt Mike McPherson und war einmal bei Jennings angestellt. Bis er einen wilden Streik organisierte und rausflog. Er hat nirgends mehr richtig ein Bein an den Boden gekriegt. Und er ist Diabetiker, was bedeutet, dass er sich täglich selbst Insulin spritzen muss. Er war also in allerbester Übung, was das Setzen von Spritzen angeht!"

"Und das Gift? Woher sollte er das haben?"

"McPherson hält sich mit Aushilfsjobs über Wasser. Und einer davon besteht darin, dass er in einem pharmazeutischen Großhandel Kisten stapeln muss."

Bount klopfte ihm auf die Schulter. "Eins zu null für Sie, Blanfield. Scheint, als wären Sie doch ein guter Polizist."

"Danke." Blanfield verzog säuerlich das Gesicht.

"Ich glaube trotzdem, dass Sie sich irren", setzte Bount dann im Brustton der Überzeugung hinzu. "Oder haben Sie eine Ahnung, weshalb Anthony Jennings diesen Mann am Abend ins Haus gelassen haben könnte!"

Er hob die Arme. "Was weiß ich! Wir können Jennings leider nicht mehr fragen!"

"Wie wahr!"

"Jedenfalls kannten die beiden sich. Es wäre also möglich! Außerdem kann man Schlösser und Alarmanlagen auch ausschalten, oder?"

Bount deutete auf den Metallsarg. "Und wie hängt das hier damit zusammen?"

"Überhaupt nicht!", war Blanfields Meinung.

"Ich würde mich gerne mal mit diesem McPherson unterhalten!"

"Kann ich mir denken, Reiniger. Aber das kommt nicht in Frage. Erst wenn ich mit ihm fertig bin."

"Wann ist das?"

"Vergessen Sie's einfach, ja?" Blanfield grinste. "Sie können mir dabei nur etwas verderben!"

22

Jeffrey Kramer hatte sich den Mantelkragen hochgeschlagen, aber es war so nass und windig, dass ihm trotzdem die Zigarette ausgegangen war.

Es war ein furchtbarer, kalter Morgen. Der Tag dämmerte grau herauf und verhieß nichts Gutes. Kramer schaute ungeduldig auf die Uhr, dann ließ er den Blick die enge Straße entlang gleiten.

Es war ein Sanierungsgebiet. Ehemals eine Straße mit wohlhabender Mittelschicht, jetzt ein heruntergekommener Slum. Alte Leute, die sich von der Gegend nicht trennen konnten und sozial Unterprivilegierte lebten hier - oder überhaupt niemand mehr. Die meisten Häuser standen seit Jahren leer, ein paar hatte man schon abgerissen. Aber um diese frühe Uhrzeit hätte man fast jeden Ort als Treffpunkt nehmen können. Es wäre überall nicht besonders viel los gewesen.

Kramer blickte erneut an sein Handgelenk und dachte: Wenn er jetzt nicht kommt, dann bin ich weg!

Aber er kam. Eine Limousine mit getönten Scheiben kam um die Ecke. Sie fuhr sehr langsam und der Motor war kaum zu hören. Das war er.

Kramer näherte sich, als die Limousine stehen blieb. Er wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Nicht nur wegen des scheußlichen Wetters. Die undurchsichtige Scheibe auf der Beifahrerseite wurde etwas heruntergelassen.

"Ich dachte schon, das wird nichts mehr."

"Ich halte mein Wort."

"Ja, ich weiß."

"Also?"

"Wo ist das Geld?"

"Dir steht das Wasser wirklich bis zum Hals, was? Sonst wärst du wohl nicht auf so eine verrückte Idee gekommen!"

"Wohl kaum, das stimmt."

Kramer nahm seine Zigarette mit Daumen und Zeigefinger und schleuderte sie ärgerlich in Rinnstein. Es war ein Spiel, das der andere da mit ihm trieb. Ein hässliches, sadistisches Spiel. Aber er musste es ertragen und deshalb verkniff er sich die bissige Erwiderung, die ihm noch auf der Zunge lag. Warum, die Sache komplizieren?

"Das Geld liegt im Kofferraum", kam es eisig aus der Limousine heraus. "Er ist offen. Du kannst es dir nehmen!" Kramer nickte und ging hinten an die Limousine heran. Mit zitternden Händen öffnete er den großzügigen Kofferraum. Da lag ein kleines Köfferchen. Kramer öffnete es. Kleine Scheine, wie er verlangt hatte.

Ein schwaches Lächeln ging über sein hageres Gesicht. Ein schöner Anblick, so ein Haufen Scheine, dachte er. Es war das letzte, was er sah.

Ein harter Schlag ließ ihn nach vorne sacken, direkt in den Kofferraum hinein. Der zweite Schlag machte es endgültig. Zwei behandschuhte Hände hoben die Beine hoch und machten die Klappe zu.

23

Bount hatte nach wie vor das Gefühl, dass Jeffrey Kramer viel mehr wusste, als er dem Privatdetektiv gegenüber bisher zugegeben hatte. Jemanden ein paar Krümel hinwerfen und dann hoffen, dass derjenige sich damit zufrieden gibt, war allem Anschein nach eine ziemlich erfolgreiche Taktik. Erfolgreicher jedenfalls, als einfach auf stur zu stellen.

Aber diesmal wollte Bount sich nicht abspeisen lassen. Als er vor Jeffrey Kramers Wohnungstür stand, fiel ihm auf, dass die Tür einen kleinen Spalt offen war.

Bount ließ das sofort stutzig werden.

Kramer war vermutlich gar nicht zu Hause, denn sonst hätte sein verbeulter Chrysler irgendwo in der Straße herumgestanden.

Jemand anderes war in der Wohnung!

Vielleicht die Kerle, vor denen er davonrennt!, ging Bount durch den Kopf. Er hörte ein Geräusch, das aber augenblicklich erstarb, als Bount den Türspalt vergrößerte. Es knarrte dabei. Ein Instinkt ließ Bount die Automatic unter dem Jackett hervorholen und in die Manteltasche stecken, wo er sie mit der Rechten umklammert hielt. Sicher war eben sicher. Einen Augenblick später sah Bount, dass hier ein Berserker gewütet haben musste, um etwas zu suchen. Schubladen waren herausgerissen und ihr Inhalt auf dem Boden ausgestreut worden und es schien nicht ein einziges Polster zu geben, das nicht mehrfach aufgeschlitzt worden war.

Hier war jemand sehr gründlich gewesen.

Die Tür zum Nebenraum stand offen und ein kühler Luftzug fegte quer durch die Wohnung. Derjenige, der hier gewütet hatte, war vermutlich schon über Balkon und Feuerleiter geflüchtet, als er Bount gehört hatte.

Bount holte die Pistole hervor und ging vorsichtig an die Tür zum Nebenzimmer heran und trat dann mit der Waffe im Anschlag ein.

Hier sah es nicht besser aus, als in dem anderen Raum. Bount durchquerte mit weiten Schritten das Zimmer und passierte die offene Balkontür, die vom Wind hin und her bewegt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er die freie Aussicht auf einen öden Hinterhof, in dem sich allerdings niemand befand. Als Bount die Gefahr mit den Augenwinkeln heranschnellen sah, war es zu spät, um noch zu reagieren. Ein furchtbarer, harter Schlag traf ihn an der Schläfe. Er taumelte, alles begann sich vor seinen Augen zu drehen und er spürte noch das Metallgeländer des Balkons, um das sich seine Hand klammerte, bevor der zweite Hieb ihn ausknockte und zusammenklappen ließ. Der schemenhafte Umriss einer Gestalt war das letzte was er sah...

Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.

24

"Wachen Sie auf, Reiniger!"

Er bekam eine Ohrfeige und dann gleich eine zweite, ehe er langsam wieder an die Oberfläche des Bewusstseins trieb. Bount blinzelte mit den Augen. Sein Schädel brummte. "Na, los, Reiniger! Sie haben verdammt nochmal lange genug geschlafen! Jetzt könnten Sie mir vielleicht mal einiges erklären!"

Bount blickte in das Gesicht von Lieutenant Blanfield und war sofort wieder hellwach. Er wischte sich mit der flachen Hand über das Gesicht.

Indessen fragte Blanfield: "Was haben Sie hier zu suchen? Bekanntlich ist das hier nicht Ihre Wohnung!"

"Sie stand offen..."

"Ja, ja, das übliche Geschwätz..."

Bount schüttelte den Kopf. "Sie stand wirklich offen und jemand war hier damit beschäftigt, das Unterste nach oben zu kehren!"

Blanfield grinste. "Das waren nicht zufällig Sie, Reiniger?"

"Nein. Ich habe den Kerl überrascht und eins über den Schädel bekommen."

"Wie sah er aus?"

"Er war groß, glaube ich. Mehr weiß ich nicht." Blanfield nickte und reichte Bount seine Automatic. "Ist das Ihre?"

"Ja. Und jetzt verraten Sie mir mal, was Sie hier her geführt hat! Ich dachte, für Sie wäre der Fall schon gelöst." Der Lieutenant machte eine wegwerfende Geste.

"Wir haben Jeffrey Kramer gefunden. Er wurde mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen und dann auf einem nahegelegenen Highway-Parkplatz abgeladen. Da hat ihn schließlich heute Mittag ein Trucker entdeckt." Blanfield zuckte beiläufig mit den Schultern und setzte dann noch hinzu: "Vermutlich sind Sie seinem Mörder über den Weg gelaufen, Reiniger!"

Bount erhob sich. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste ihn, aber es ging einigermaßen. Er schwankte ein bisschen, aber hoffte aber, dass sich das noch geben würde. Der Kerl hatte ganz schön zugeschlagen.

Bount versuchte verzweifelt, sich an irgendetwas zu erinnern, das ihn auf die Spur desjenigen bringen würde, der ihm eins über den Schädel gegeben hatte. Aber da war nichts. Nur ein dunkler Schemen, ansonsten war sein Kopf in dieser Beziehung völlig leer.

"Jeffrey Kramer hatte ein Motiv, um Anthony Jennings zu töten", meinte Bount. "Aber ich weiß nicht, ob er mit der Nadel umgehen konnte..."

"Er konnte", meinte Blanfield. "Drüben in Baltimore ist er zweimal wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden und hat zumindest eine Zeitlang an der Nadel gehangen. Haben Sie eine Ahnung, was man hier bei ihm gesucht haben könnte?"

"Ein paar Schuldeneintreiber waren ihm auf den Fersen."

"In der Regel schlagen die ihre säumigen Zahler aber nicht tot, sondern verpassen ihnen eine Abreibung. Von einer Leiche bekommt man schließlich keinen Cent mehr!"

Bount ging mit nachdenklichem Gesicht durch Kramers Wohnung und ließ den Blick schweifen. Und Blanfield folgte ihm. Als Bount ihm einen Augenblick lang ins Gesicht sah, war ihm klar, dass der andere völlig ratlos war.

"Jeffrey Kramer hatte noch eine andere Profession", eröffnete Bount ihm dann. "Er war Erpresser. Bei Liz Jennings hat er sein Glück versucht. Das hat er mir selbst erzählt." Bount zuckte die Achseln. "Ich schätze er hat mir einen wertlosen Brocken hingeworfen und gehofft, dass ich ihn gierig aufschnappe und damit zufrieden bin."

"Wen könnte Kramer denn noch erpresst haben?"

"Er hat im Dunstkreis der Jennings-Familie herumgeschnüffelt. Wer weiß, worauf er da gestoßen sein kann."

"Wahrscheinlich werden wir hier nichts mehr finden, was uns weiterbringen könnte. Der Mörder wird alles weggeräumt haben, was ihn irgendwie verraten könnte."

Sie sahen sich trotzdem ein bisschen um, aber es war, wie Bount vermutet hatte. Keine Spur, die weiterführte. Bount wandte sich zum Gehen in Richtung Tür.

"Wo wollen Sie hin, Reiniger?"

Bount grinste. "Jemandem einen Besuch abstatten, vor dessen Haus ich Kramer mal in Beobachtungsposition erwischt habe."

Blanfield runzelte die Stirn. "Von wem sprechen Sie, verdammt nochmal!"

"Chuck Porter."

"Das ist doch einer der Nachtwächter!"

"Richtig. Ich konnte mir von Anfang an nicht vorstellen, dass der Brand gelegt werden konnte, ohne dass von den Nachtwächtern jemand mitgespielt hat! Vielleicht hat er irgendetwas über Porter herausgefunden, was damit zusammenhängt."

"Und musste deshalb sterben? Ist mir zu weit hergeholt!"

"Ich habe ja nicht verlangt, dass Sie mit mir kommen!" Blanfield atmete tief durch.

"Warten Sie eine Minute, bis ich die Wohnung hier versiegelt habe!"

"Meinetwegen."

Bounts Blick fiel dann zufällig auf einen kleinen Notizblock, den der Mörder bei seiner Wühlerei achtlos weggeworfen hatte, weil er ihn wohl für wertlos hielt. Bount hob den Block auf.

"Was haben Sie?", fragte Blanfield, nahm Bount den Block aus der Hand, blätterte darin herum "Kritzeleien...", murmelte er und gab ihn Bount zurück.

 

Bount lachte kurz. "Das dachte der Mörder wohl auch..." Blanfield runzelte die Stirn und stierte Bount ungläubig an.

"Was ist es denn Ihrer Meinung nach?"

"Notizen in Kurzschrift, die der Mörder offensichtlich nicht beherrscht!" Bount blätterte in dem dünnen Block etwas herum. Was da zu lesen war, war wirklich interessant...

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