Mörder geben kein Pardon: Drei Krimis

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11

Vic Noureddines Villa hatte direkten Blick auf die Elbe. Es waren eine noble Gegend mit vielen außergewöhnlich luxuriösen Anwesen. Aber die Residenz von Vic Noureddine übertraf sie alle. Er hatte seinerzeit eins der größten und teuersten Häuser der Gegend aufgekauft, es bis auf das Fundament abreißen und anschließend nach seinen eigenen Vorstellungen neu errichten lassen. In den darauf folgenden Jahren hatte er aus Sicherheitsgründen die Nachbargrundstücke aufgekauft, und die dortigen Häuser ebenfalls niederreißen lassen.

Sein Anwesen wurde von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben, auf der noch ein gusseisernes Gitter angebracht war, dessen Spitzen es zu einem lebensgefährlichen Abenteuer machten, diese Barriere kletternd überwinden zu wollen.

Davon abgesehen patrouillierten Leibwächter in dunklen Anzügen um das Haus. Sie führten mannscharfe Dobermänner mit sich und waren mit Maschinenpistolen ausgerüstet.

Ich parkte meinen Sportwagen in der Nähe des Eingangstores. Roy und ich stiegen aus und traten an die in den Stein eingelassene Sprechanlage.

Es war kurz vor Mitternacht.

„Warte wir ab, wie Herr Noureddine reagiert, wenn man ihn um diese Zeit herausklingelt!“, meinte Roy.

Ich betätigte den Knopf an der Sprechanlage.

Ein Kameraauge, das sich surrend bewegte, erfasste uns.

„Sie wünschen?“, fragte eine weibliche Stimme.

„Uwe Jörgensen, Kripo Hamburg!“, stellte ich mich vor und hielt den Dienstausweis in die Kamera. Ich deutete auf Roy. „Dies ist mein Kollege Kommissar Müller. Wir müssen dringend mit Herrn Vic Noureddine sprechen.“

„Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“, fragte die Frauenstimme. „Wenn nicht, dann kommen Sie besser ein anderes Mal wieder oder setzen sich gleich mit Herrn Noureddines Anwälten auseinander.“

„Sagen Sie Herrn Noureddine, dass es für ihn vielleicht um Leben und Tod geht. Wir haben Informationen darüber, dass ihn jemand umzubringen plant.“

„Wir wollen nichts weiter, als Herrn Noureddines Leben verlängern, aber wenn er das nicht will, genießen wir auch gerne unseren Feierabend“, ergänzte Roy – für meinen Geschmack etwas zu heftig. Aber er schien die passende Tonlage getroffen zu haben, wie wir wenig später feststellen konnten. Es knackte im Lautsprecher.

Jetzt war eine Männerstimme zu hören.

„Halten Sie bitte Ihre Ausweise noch einmal deutlich in die Kamera!“

Roy holte seine Kripo-Marke ebenfalls hervor und wir taten, was von uns verlangt wurde.

Im nächsten Moment öffnete sich mit einem leisen Summen das imposante gusseiserne Tor, über dem ein bezeichnender Satz in messingfarbenen Lettern zu lesen war.

MY HOME IS MY CASTLE.

Wir traten ein.

Hundegebell empfing uns.

Vier Dobermänner eilten von verschiedenen Seiten auf uns zu. Wir standen wie erstarrt da. Unsere Hände glitten bereits zu den Dienstwaffen.

Auf einen Pfiff hin stoppten die offenbar sehr gut dressierten Hunde.

Abwartend saßen sie auf dem Boden. Einige der Leibwächter kamen im Laufschritt auf uns zu und richteten ihre Maschinenpistolen auf uns.

„Keine Bewegung und Hände hoch!“

„Sie sind gerade im Begriff, zwei Hamburger Kriminal-Kommissare zu bedrohen. Ich hoffe, Sie überlegen sich gut, was Sie da tun, denn andernfalls ist für jeden von Ihnen ein Platz in den Gefängnismauern der JVA Branebüttel reserviert!“, erwiderte Roy hart.

Ein Mann in den dreißigern mit kantigen Gesichtszügen und einem dunklen Schnauzbart, der die Lippen überdeckte, kam vom Portal der Villa herbei.

„Ist schon gut, Männer“, rief er.

Die Bodyguards senkten ihre MPis.

Die Hunde knurrten leicht.

Der Mann mit dem Schnauzbart kam mit weiten Schritten auf uns zu. Er reichte erst mir und dann Roy die Hand. „Ich bin Maik Noureddine. Keine Ahnung, ob wir schon mal persönlich das Vergnügen hatten, aber diese Staatsterroristen vom Finanzamt und der Kripo Hamburg tummeln sich hier ja schon fast nach Belieben, da kann schon mal durcheinander kommen!“

Der Name Maik Noureddine war uns natürlich ebenfalls bekannt. Es handelte sich um den Lieblingsneffen des selbst kinderlosen Vic Noureddine. Maik war vermutlich der zweite Mann im Noureddine-Syndikat und wahrscheinlich der Mann fürs Grobe. Leider waren ihm seine Machenschaften ebenso wenig nachzuweisen wie seinem Onkel.

Ich runzelte die Stirn.

„Wie nennen Sie uns? Staatsterroristen?“, echote ich ärgerlich.

Maik zuckte die Achseln und kraulte einem der Dobermänner den Nacken, woraufhin sich dessen bedrohliches Knurren in eine weniger bedrohliche Lautäußerung verwandelte.

„Ich stehe der Idee des Libertarianism nahe“, sagte Maik. „Jeder Mann sollte eine Waffe tragen, dann bräuchten wir keinen Staat, der uns freie Unternehmer doch nur aussaugt!“

„Hier sind zwei Staatsterroristen, die ihrem Onkel gerade das Leben retten wollen!“, knurrte Roy ziemlich aufgebracht. „Aber vielleicht legt der ja keinen Wert darauf!“

Maik Noureddine hob die Augenbrauen. „Ich wollte nicht ungastlich erscheinen, Müller – so war doch Ihr Name, oder?“

„Für Sie immer noch Kommissar Müller!“

Maik wandte sich an mich.

„Ich muss mich für unser Sicherheitspersonal entschuldigen. Die Männer pflegen manchmal einen etwas groben Umgangston.“

„Scheint so, als würde Ihr Onkel in ständiger Angst leben“, stellte ich fest.

„Die Welt ist schlecht, Kommissar Jörgensen. Das sollte jemand wie Sie doch wissen. Und jetzt folgen Sie mir bitte!“

Ich war ziemlich erleichtert, als die Hunde von den Leibwächtern wieder an die Leine genommen wurden. Maik Noureddine führte uns zum Portal der Villa.

Wir gingen die breiten Stufen empor.

Das Portal selbst war ziemlich protzig. Man hatte es einem griechischen Tempel nachempfunden.

Schließlich gelangten wir ins Innere des Hauses.

Vic Noureddine empfing uns in der Eingangshalle.

Eine Blondine mit kurvenreicher Figur und einem sehr eng anliegendem Kleid lehnte sich gegen ihn. Sie überragte Noureddine um einen halben Kopf.

„Du hättest diese Leute nicht hereinlassen sollen“, sagte sie und strich Vic Noureddine dabei über den bereits ziemlich kahlen Kopf. Ich erkannte die weibliche Stimme wieder, die wir über das Sprechgerät gehört hatten.

„Ich hatte leider keine andere Wahl, Kimberley“, knurrte Vic Noureddine.

Der Pate von St. Pauli trat vor.

„Sie haben ein paar Dinge dahergefaselt, die Sie mir vielleicht näher erläutern sollten, Herr Kommissar“, wandte sich Vic an mich und ich musste ziemlich an mich halten, mich von seiner herablassenden Art nicht auf die Palme bringen zu lassen. „Wie kommen Sie darauf, dass jemand darauf aus ist, mich umzubringen?“

„Sagt Ihnen der Name Blitz etwas?“, fragte ich.

„Was soll das sein? Eine Comic-Figur?“

„Herr Noureddine, Sie scheinen die ganze Sache nicht so richtig ernst zu nehmen. Das müssen Sie natürlich wissen. Wir geben Ihnen pflichtgemäß Informationen weiter, die vielleicht Ihr Leben retten, vorausgesetzt, Sie kooperieren mit uns.“

„Nanu, das sind ja ganz neue Töne. Die hätte ich mir bei der letzten Prüfung durch die Steuerfahndung gewünscht!“

„Nun mal halblang“, mischte sich jetzt Roy ein. „Die Steuerfahndung war das letzte Mal vor drei Jahren bei Ihnen. Da können Sie sich eigentlich nicht beschweren.“

Vic Noureddine verzog das Gesicht.

Er nahm mich zur Seite.

„Ich habe das Gefühl, dass Ihr Kollege mich nicht leiden kann, Kommissar Jörgensen“, meinte er.

„Sie wissen genau wer Blitz ist“, erwiderte ich eisig. „Sie brauchen mir gegenüber keine Komödie zu spielen. Blitz ist einer der effizientesten Lohnkiller, der jemals in diesem schmutzigen Gewerbe gearbeitet hat. Alle Welt dachte, dass er irgendwo unter südlicher Sonne seine Millionen genießt, aber jetzt gibt es Hinweise darauf, dass er pleite ist und wieder seinen Job macht...“

„Ich wüsste nicht, weshalb mich Ihre Geschichten über irgendwelche Kriminellen, denen Sie offenbar nicht das Handwerk legen konnten, interessieren sollten!“, sagte Vic Noureddine und verzog dabei angewidert das Gesicht.

„Sie sind das Ziel, Herr Noureddine. Jemand hat diesen Lohnkiller beauftragt, um Sie zu töten und am besten überlegen Sie mal, wer das sein könnte!“

Vic wechselte einen kurzen Blick mit seinem Neffen. Er hatte für einen kurzen Moment seine Mimik nicht ganz unter Kontrolle, dann erstarrte sein Gesicht wieder zu einer kalten Maske.

„Ich weiß nicht, weshalb Sie mich mit diesem Zeug belästigen, Kommissar Jörgensen, aber ich kann Ihnen sagen, dass es juristische Konsequenzen für Sie haben wird, wenn Sie irgendein mieses Spiel mit mir zu spielen versuchen.“

„Eigenartig“, sagte ich. „Es scheint Sie gar nicht zu interessieren, aus welcher Quelle wir diese Informationen haben.“

„Was soll das schon für eine Quelle sein? Irgendein schmieriger Informant, der sich wichtig machen will, das ist alles!“

„Sie sind nahe dran, Herr Noureddine. Aber dieser Informant heißt Harry Käding und wurde nur Minuten, nachdem wir mit ihm gesprochen haben, ermordet. Das ist auch ein Grund, weshalb wir Sie befragen.“

„Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass mein Anwesen sicherheitstechnisch auf dem neuesten Stand ist und sich ein paar gut ausgerüstete Bodyguards darum kümmern, dass mir nichts passiert“, sagte der Pate von St. Pauli schließlich gedehnt.

Warum weicht er aus?, fragte ich mich. Es konnte eigentlich nur eine Erklärung für sein Verhalten geben. Vic Noureddine wusste sehr genau, wer ihm ans Leder wollte. Ich hielt es sogar für möglich, dass Käding seine Informationen nicht nur an uns, sondern auch noch an Noureddine verkauft hatte.

 

„Haben Sie Harry Käding persönlich gekannt?“, fragte ich.

„Ich weiß nur, dass er ein Buchmacher war, der so ziemlich bei jedem Schulden hat, der in St. Pauli mehr als zwei Dollar in der Tasche hat.“ Vic machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist wahrscheinlich besser, ich sage jetzt nichts mehr, sonst drehen Sie mir daraus am Ende noch irgendeinen Strick. Geben Sie es doch zu, Sie wollen mich in irgendeinen wie auch immer gearteten Zusammenhang mit dem Tod dieses Mannes bringen. Wir können das Gespräch gerne ein anderes Mal in Anwesenheit eines Anwaltes fortsetzen – oder Sie haben einen Haftbefehl dabei und nehmen mich fest. Ansonsten wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mein Haus möglichst schnell wieder verlassen würden!“

Vic Noureddine drehte sich um.

Die Blondine namens Kimberley folgte ihm. Beide verschwanden durch eine der Türen, die von der pompösen pseudo-klassisch gestalteten Eingangshalle aus in die anderen Gebäudetrakte führten.

Schwer fiel die Tür ins Schloss.

„Ich muss mich für meinen Onkel entschuldigen“, sagte Maik Noureddine. „Wir werden Sie natürlich in jeder Form unterstützen, nur fürchte ich, dass mein Onkel in der Sache vollkommen Recht hat....“

„Dann wollen auch Sie allen ernstes behaupten, dass Vic Noureddine, der Mann, den man den Paten von St. Pauli nennt, keine Feinde hat?“, fragte Roy ironisch.

12

Wir verließen die Noureddine-Villa und fuhren mit dem Sportwagen nordwärts. Es war inzwischen bereits halb zwei Uhr in der Nacht. Die Silhouette der Stadt glich um diese Zeit einem funkelnden Sternenmeer, als wir über eine Brücke Richtung Hafen City fuhren.

Wenn man um diese Zeit im Großraum Hamburg unterwegs war, hatte das den Vorteil, dass man wenigstens nicht dauernd im Stau stand und einigermaßen schnell vorankam.

Zwischendurch nahmen wir telefonisch Kontakt mit dem Polizeipräsidium auf. Da wir die Freisprechanlage eingeschaltet hatten, konnten wir beide mithören.

Kriminaldirektor Hoch war noch immer im Büro.

Wir lieferten ihm einen knappen Bericht über den Verlauf unseres Gesprächs in der Noureddine-Villa.

Unterwegs gingen wir noch in eine rund um die Uhr geöffnete Snack Bar, um einen Hot Dog zu essen.

„Auf die paar Stunden Schlaf kommt es jetzt auch nicht mehr an“, meinte Roy während wir in der Snack Bar saßen.

„Wir werden Käding und sein Umfeld ganz genau ausleuchten müssen“, meinte ich. „Ich frage mich nur, wer seine Quelle war, was diesen Lohnkiller namens Blitz angeht.“ Das Ganze erschien mir im nach hinein immer dubioser.

„Worauf willst du hinaus, Uwe?“

„Es fällt mir einfach schwer, an Zufälle zu glauben, Roy. Wir finden innerhalb relativ kurzer Zeit mehrere Häuser voller Giftmüll, die einem Mann namens Talani gehören. Endlich gelingt es uns, eine vage Verbindung zu Noureddine und seiner Organisation zu konstruieren, da taucht dieser Käding aus der Versenkung auf und tischt uns die Story über den reaktivierten Blitz auf.“ Ich zuckte die Achseln. „Das hängt alles irgendwie zusammen, aber das entscheidende Teil in diesem Puzzle haben wir einfach nicht gefunden.“

13

Später jagten wir das beschlagnahmte Bildmaterial, das den Mörder von Käding zeigte, durch den Computer. Unser Innendienstkollege Kommissar Max Vandersteen aus der Fahndungsabteilung half uns dabei, denn er war in der Handhabung der Suchsysteme weitaus geübter als wir.

„Der Kerl hat sich regelrecht verkleidet, damit ihn später niemand identifizieren kann“, war für Max der Fall sofort klar. „Aber ein telemetrischer Abgleich lässt sich durch einen Schnauzbart nicht betrügen. Das Problem ist nur, dass die Zahl der telemetrischen Merkmale, die standardmäßig von dem Programm verglichen werden, sich durch die Maskierung verringert hat. Der exakte Abstand der Augen zueinander, der Abstand zwischen Lippen und Nase und noch ein paar andere Merkmale können wir anhand dieser Bilder nicht vergleichen. Zehn bis zwölf dieser Merkmale sind notwendig, um einen Menschen eindeutig zu identifizieren.“

„Versuch es einfach, Max!“, forderte Roy.

Und ich ergänzte: „Was wir brauchen ist auch nicht unbedingt eine gerichtsverwertbare Identifizierung. Es reicht uns schon Hinweis, wo wir nach dem Kerl suchen könnten.“

Max kopierte aus dem aufgezeichneten Videomaterial ein Standbild heraus, von dem er glaubte, dass es sich besonders gut zur telemetrischen Vermessung eignete. Natürlich blieben im Wesentlichen die Merkmale des Kinnbereichs übrig. Selbstverständlich war auch ein Abgleich von Körpermerkmalen möglich, etwa das Verhältnis der Größe zur Schulterbreite, die Länge von Armen und Beinen, das Verhältnis des Unterarms zum Oberarm und so weiter. Das Problem war nur, dass bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung in der Regel nur Fotos angefertigt wurden, die Kopf und Oberkörper aus verschiedenen Perspektiven zeigten, sodass Max sich auf die Kinnpartie beschränkte.

Das Programm lief. „Ihr solltet nicht zu sehr enttäuscht sein“, meinte er vorbeugend. „Leichter wäre es, wenn wir einen Verdächtigen hätten, den wir ausschließen wollten.“

„Den haben wir doch“, sagte ich. „Ich meine diesen Blitz.“

„Ein Mann von dem niemand mit Sicherheit sagen, wer dahinter steckt?“, fragte Max grinsend.

Schließlich hatten wir das Ergebnis.

Insgesamt 507 Personen aus unseren Archiven hatten ein Kinn, das nicht im Widerspruch zu den abgemessenen Merkmalen stand. Max suchte unter den Namen und rief plötzlich: „Volltreffer!“

„Wovon sprichst du?“, fragte ich.

„Unter diesen 507 Namen ist auch Arvid Lennart Alexander, ehemaliger Leutnant bei den Kommando Spezialkräften, gesucht wegen Fahnenflucht und die Person, die höchstwahrscheinlich mit ‚Blitz’ identisch ist.“

„Dann hat dieser Blitz irgendwie davon erfahren, dass Käding Dinge über ihn erzählt, die er nicht verbreitet haben will und ihn deswegen umgebracht?“, fragte Roy.

„Moment!“, warnte Max. „Wir wissen nicht definitiv, dass der Mann auf der Videoaufnahme Blitz ist. Wir wissen nur, dass Blitz einer von 507 Personen ist, die Kädings Mörder sein könnten. Ich betone das Wort könnten!“

„An Zufälle glaube ich aber nun mal nicht“, meinte ich.

„Ich auch nicht“, sagte Max. „Sie kommen aber vor!“

14

„Kannst du nicht schlafen?“

Vic Noureddine stand am Fenster und blickte hinaus in die Gartenanlagen, die seine wie eine Festung bewachte Villa umgaben.

Es war drei Uhr morgens.

Kimberley erhob sich aus dem breiten Wasserbett. Sie war nackt. Über einer Stuhllehne hing ein Kimono, nach dem sie griff. Während sie sich die fließende Seide um den Körper hüllte, fiel ihr das weiße Pulver auf, das auf dem Nachttisch in kleine Häufchen aufgeteilt worden war. Daneben lag ein Nasenröhrchen.

Vic Noureddine hatte sich nie im Drogenhandel betätigt. Die alteingesessene Konkurrenz war zu stark und sich gegen die Drogensyndikate durchsetzen zu wollen war für Newcomer so gut wie aussichtslos. Die einzige Möglichkeit war, von ganz unten zu beginnen. Aber Vic Noureddine war nun einmal jemand, der nichts so sehr hasste, wie der Vasall eines Anderen zu sein. Er hatte immer schon sein eigener Herr sein wollen und ließ sich von niemandem reinreden.

Als Vic vor zehn Jahren in der Müllbranche anfing, war die noch jung gewesen. Der Aufstieg dementsprechend leicht und die Gewinne so gigantisch, dass jeder Kokaingroßdealer dagegen wie eine arme Kirchenmaus aussah.

Auch wenn seine Geschäfte mit Drogen nichts zu tun hatten, privat genehmigte sich Vic immer wieder mal eine Nase voll. Natürlich nur Stoff von erstklassiger Qualität.

Kimberley trat neben ihn, schmiegte sich an ihn.

„Du kennst diesen Blitz, von dem die Beamte sprachen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die in diesem Augenblick über Kimberleys Lippen kam.

„Ich habe ihn sogar selbst schon einmal engagiert. Er ist einfach der Beste seines Fachs, und es ist kein Wunder, dass man ihn bisher nicht gefunden hat.“

„Und wer steckt dahinter und will dich tot sehen? Darüber denkst du doch schon die ganze Zeit nach, oder?“

Vic sah in ihre blauen Augen. Manchmal war es beängstigend, wie gut sie seine Gedanken zu lesen vermochte. Aber diesmal lag sie etwas daneben.

„Ich weiß, wer dahinter steckt!“, sagte er und ballte dabei unwillkürlich die Hände zu Fäusten. „Darüber brauche ich gar nicht erst nachzudenken! Die Frage, die mich beschäftigt, ist eine ganz andere: Wie kann ich diese Schweine unter die Erde bringen, bevor sie dasselbe mit mir tun.“

„Du solltest nicht übereilt handeln.“

„Wahrscheinlich habe ich viel zu lange gezögert. Ich hätte Timothy Kronewitteck umbringen sollen, als er noch ein kleiner Fisch im Karpfenteich war. Aber so ist der Lauf der Welt. Menschlichkeit rächt sich früher oder später.“

Die junge Frau atmete tief durch.

Ihr Gesicht musterte Vic eine ganze Weile, ehe sie ihn schließlich fragte: „Bist du je mit diese geheimnisvollen Blitz persönlich zusammengetroffen?“

„Wieso fragst du mir eigentlich Löcher in den Bauch, Baby?“, knurrte er ärgerlich. Er seufzte hörbar. „Auf jeden Fall muss etwas geschehen. Ich will, dass allen Leuten, die Käding kannten, mal so richtig auf den Zahn gefühlt wird. Dieser verfluchte Buchmacher muss doch eine Quelle für seine Informationen haben.“

„Und wenn er einfach nur Wind machen wollte?“

Auch dieser Gedanke war Vic schon gekommen. Er dachte noch einen Moment darüber nach, schüttelte schließlich aber den Kopf. „Dafür scheint mir das Risiko einfach zu hoch“, sagte er.

Kimberly ließ ihn los. Sie schlenderte durch das Zimmer, setzte sich schließlich auf das Bett und machte eine Lampe an. Dann nahm sie Vics Blasrohr, das zwischen den Kokain-Häufchen auf dem Nachttisch lag und schnupfte eine ziemlich große Dose. Anders, so dachte Kimberley, ließ sich der Tag nicht überstehen.

„An deiner Stelle würde ich mir über ganz andere Dinge Gedanken machen, Vic“, meinte sie danach, ließ sich auf das Wasserbett fallen, dessen Inhalt daraufhin in merkliche Schwingungen geriet, und schloss die Augen.

„Du hast doch was Bestimmtes mit deiner Bemerkung im Sinn“, stellte Vic stirnrunzelnd fest.

„Ich denke da zum Beispiel an die Häuser mit dem giftigen Inhalt, auf die die Behörden in letzter Zeit so verdächtig oft gestoßen sind.“

„Talani ist ein Narr gewesen“, murmelte Vic. „Ein so gottverdammter Narr...“

Mehr hatte Vic Noureddine dazu nicht zu sagen.