Mörder geben kein Pardon: Drei Krimis

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Als wir die Adresse in der Brasewinkel Straße erreichten, war dort bereits alles mit Einsatzfahrzeugen verstellt. Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, der ganze Zirkus eben.

Ich parkte den Sportwagen auf dem Bürgersteig. Roy und ich stiegen aus und gelangten wenig später an eine Flatterband-Absperrung. Kollegen in Uniform hielten dort Wache. Wir zeigten unsere Ausweise vor und wurden durchgelassen.

„Wer leitet den Einsatz hier?“, fragte ich.

„Ja, mal immer mit der Ruhe“, sagte mein Gegenüber.

„Wenn ich heute noch Auskunft bekäme, wär das toll.“

„Wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht.“

„Ach, ja?“

Der Uniformierte deutete auf einen korpulenten Mann mit roten, kurz geschorenen Haaren. „Das ist der Chef!“

„Danke.“

„Jo, gern geschehen.“

„So kann man sich täuschen.“

„Wie?“

„Ach, nix.“

Wir gingen auf den Rothaarigen zu und stellten uns vor.

„Uwe Jörgensen, Kripo Hamburg. Dies ist mein Kollege Roy Müller.“

„Polizeiobermeister Robert Dennerlein“, erwiderte der 'Chef'. „Ich habe schon auf Sie gewartet. Wie viel wissen Sie denn schon?“

„Nur, dass es hier ein Haus voller Gift geben soll, das in Zusammenhang mit geplanten Terroranschlägen stehen könnte!“, sagte ich.

Dennerlein nickte. „Dieses Gebäude ist bis unters Dach mit völlig unzureichend gesicherten Behältern voll gestellt, die hochgiftige Substanzen beinhalten. Darunter offenbar auch Stoffe, die Dioxin enthalten sowie stark ätzende Substanzen. Kinder haben auf dem Gelände gespielt. Zwei Jungen sind durch ein Fenster gestiegen und wurden kontaminiert.“

„Wie geht es ihnen?“, fragte Roy.

Dennerlein hob die Augenbrauen und machte ein sehr ernstes Gesicht. „Der Rettungsdienst hat sie abgeholt und in das Albert Schweizer Krankenhaus gebracht. Es waren noch fünf weitere Jungen – alle so um zehn Jahre – dabei. Die haben schließlich auch dafür gesorgt, dass Hilfe geholt wurde.“

„Wo sind diese fünf Jungen jetzt?“, fragte ich.

„Ich gebe Ihnen die Adressen. Im Moment sind sie zu Hause und stehen ziemlich unter Schock.“ Dennerlein atmete tief durch. „Ich kann viel verkraften und hab’ in meinen Dienstjahren auch schon viele Grausamkeiten gesehen – aber wenn Kinder betroffen sind, geht einem das immer schon sehr nahe.“

„Das geht mir genauso“, bekannte ich.

„Sprechen Sie am besten selbst nachher noch mit dem Einsatzleiter des Feuerwehr. Im Moment ist der noch ziemlich im Stress, weil noch nicht ganz klar ist, welche Gefahren von diesem Haus ausgehen. Inzwischen haben wir eine Spezialeinheit der Bundeswehr für ABC-Einsätze angefordert.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, man erwischt die Schweine, die diese Sauerei veranstaltet haben.“

„Wissen Sie etwas über die Besitzer dieses Gebäudes?“, fragte ich.

„Als Eigentümer ist eine Holding eingetragen, die das Gebäude vor anderthalb Jahren an einen gewissen Mahmut Talani vermietet hat.“

„So ein Zufall!“, sagte ich.

„Wieso? Ist das eine bekannte Größe?“

„Dieses Gebäude ist das vierte mit Giftfässern gefüllte Haus in Hamburg, das von Mahmut Talani gemietet wurde“, erklärte ich. „Diese Häuser enthielten leicht entflammbare Chemikalien. Bei einem Brand wären jeweils riesige Wolken aus Dioxin und ätzenden, säurehaltigen Substanzen über Wohngebieten niedergegangen.“

Dennerlein zuckte die Achseln. „Bei einem koordinierten Vorgehen hätte man auf diese Weise den ganzen Großraum Hamburg in Panik versetzen können.“

Genau das war der Grund, weshalb Kriminaldirektor Johann Detlev Hoch, der Chef unserer Abteilung, uns hier her geschickt hatte. Mahmut Talani, der mysteriöse Mieter von insgesamt vier, scheinbar an strategisch günstigen Standorten gelegenen Gebäuden, die bis unter das Dach mit hochgiftigen Substanzen angefüllt gewesen waren, war möglicherweise nur ein skrupelloser Umweltsünder – vielleicht aber auch Terrorist. Natürlich lag in solchen Fällen die Annahme einer illegalen Giftmüllentsorgung erst einmal sehr viel näher.

Aber Mahmut Talani war iranischer Abstammung, besaß aber die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er besaß exzellente Geschäftskontakte in den mittleren Osten, darunter auch zu einigen Adressen in Saudi Arabien, die beim BND seit langem auf der Liste von Firmen und Privatpersonen standen, die radikale Islamistengruppen zu unterstützen.

Unglücklicherweise war Talani unauffindbar.

Er schien wie vom Erdboden verschluckt. So als hätte es ihn nie gegeben. Ein paar Daueraufträge von verschiedenen Konten auf den Cayman-Islands sorgten dafür, dass die Miete für die mit Giftfässern gefüllten Gebäude pünktlich bezahlt wurde. Er selbst hatte zuletzt in einer Etage in der Innenstadt mit traumhaftem Blick gelebt. Aber als sich unser Erkennungsdienstler Kommissar Pascal Steinberger mit einem Team diese Wohnung vornahm, mussten wir feststellen, dass sie so gut wie nichts enthielt, was irgendeinen persönlichen Charakter hatte. Man hätte denken können, dass Mahmut Talani diese Luxuswohnung nie betreten hatte. Nicht ein einziger Fingerabdruck des Gesuchten fand sich dort, geschweige denn Material, aus dem sich eine DNA-Probe hätte gewinnen lassen oder irgendwelche persönlichen Unterlagen.

Unsere Fahndungsabteilung favorisierte die Theorie, dass Talani unter falschem Namen längst das Land verlassen hatte.

Dass wir an ihn vermutlich nicht heran kamen, damit mussten wir uns wohl oder übel abfinden müssen - nicht aber damit, dass seine Helfershelfer und Hintermänner weiterhin ihr Unwesen trieben.

Ein Team der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst traf mit erheblicher Verspätung ein. Die Kollegen dieses zentralen Erkennungsdienstes aller Hamburger Polizeieinheiten waren im Stau stecken geblieben. Bis wir genau wussten, welche Chemikalien im Inneren der Häuser gelagert worden waren, würde einige Zeit vergehen.

Roy und ich ließen uns von Dennerlein die Adressen der Jungen geben und hörten uns außerdem in der unmittelbaren Nachbarschaft des Gebäudes um.

Mehrere Zeugen sagten aus, dass sie beobachtete hätten, wie wiederholt des Nachts Lastwagen auf das Gelände gefahren wären. Allerdings war deswegen niemand misstrauisch geworden. Warum auch? Jedem in der Nachbarschaft war klar gewesen, das es sich bei dem Gebäude um ein Lagerhaus handelte.

Ein Umstand war allerdings bedeutsam.

Innerhalb der letzten Monate war so gut wie nichts mehr in das Gebäude gebracht oder von dort abgeholt worden.

Die einzige Person, die sich – abgesehen von den Jungen, aus deren Gruppe schließlich zwei ins Innere des Hauses eingedrungen waren – in dieser Zeit noch auf dem Gelände aufgehalten hatte, war ein Obdachloser.

Allerdings war dieser Obdachlose lediglich von den Kindern gesehen worden. Keiner der erwachsenen Zeugen konnte sich an ihn erinnern.

Unsere Ausbeute an Ermittlungsergebnissen war bis zum Abend ziemlich dürftig.

Die Kollegen von der Erkennungsdienst und das ABC-Spezialkommando der Bundeswehr kamen nur langsam voran. Inzwischen trafen auch noch Chemiker aus den Reihen unseres Polizeipräsidium ein, um die bereits mit der Untersuchung der Chemikalien beschäftigten Männer und Frauen zu unterstützen.

Uns wurde erst am frühen Abend gestattet, das Gebäude zu betreten. Dazu mussten Roy und ich uns in Spezialanzüge mit Atemmasken zwängen.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren mehr als ein Dutzend verschiedener, hochgiftiger Substanzen in dem Gebäude entdeckt worden. Der Verdacht, dass sich darunter große Mengen an Dioxin befanden, das insbesondere als Nervengift wirkte, sollte sich bestätigen. Darüber hinaus fanden sich Substanzen, von denen Roger Benda, der Leiter des Chemiker-Teams der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst, meinte, es könnte sich sowohl um Industrieabfälle als auch um Ausgangsstoffe für primitive Kampfstoffe handeln.

„Wenn du mich fragst, hat das hier mit Terrorismus nichts zu tun“, meinte ich an Roy gerichtet, als wir das Haus schließlich verlassen hatten. „Das sieht mir eher nach einer illegalen Mülldeponie aus.“

Je mehr die Umweltauflagen in Bezug auf die Entsorgung von Industrieabfällen und Chemikalien verschärft worden waren, desto lukrativer war der jüngste Zweig des organisierten Verbrechens geworden: der illegale Müllhandel. Was die Gewinnspannen anging, hatte dieses Business den Drogenhandel oder die Schutzgelderpressung längst in den Schatten gestellt. Die Sache funktionierte leider viel zu einfach. Die so genannte Müll-Mafia übernahm Industrieabfälle aller Art zur Entsorgung. Aber anstatt sie auf den entsprechenden Deponien zu lagern oder für eine fachgerechte Entsorgung Gewähr zu leisten, vergrub man die Fässer mit Dioxin, schwermetallhaltigen Klärschlämmen oder was sonst auch immer anfallen mochte, einfach irgendwo in der Landschaft. Manchmal wurden auch über Strohmänner Lagerhäuser angemietet, wo die hochgiftigen Substanzen dann stehengelassen wurden. Die immens hohen Entsorgungskosten wurden dabei gespart und bildeten den Gewinn, den sich die beteiligten Firmen und die Müll-Mafia aufteilten. Die Differenz zu den Kosten einer regulären Entsorgung war so gewaltig, dass es mitunter sogar lohnte, Giftmüll außer Landes zu bringen, um ihn in Afrika oder Osteuropa illegal zu entsorgen.

„Ich würde mich da nicht so schnell festlegen, Uwe“, gab Roy nach einer längeren Pause zurück. „Du lässt außer Acht, dass dieser Mahmut Talani, dem alle vier in letzter Zeit aufgefundenen Giftmüll-Lagerstätten auf dem Boden der Stadt Hamburg gehörten, zwar alle möglichen üblen Kontakte hat – aber offenbar nicht zu den Müll-Syndikaten!“

 

„Wir können diese Kontakte bislang nicht nachweisen – das ist aber auch alles“, erwiderte ich. „Das heißt nicht, dass sie nicht existieren.“

„Fakt ist, dass Mahmut Talani Kontakt zu radikalen islamistischen Gruppen hat und mit ihnen offenbar auch in der Vergangenheit schon gute Geschäfte gemacht hat, Uwe!“

„Ich wette, wir wüssten mehr darüber, wenn wir Herr Talani selbst befragen könnten, Roy.“

Mein Kollege grinste

„Der wird uns kaum den Gefallen tun und sich bei uns im Polizeipräsidium melden.“

„Nö“, sagte ich. „Wird er nicht.“

„Sag ich doch, Uwe.“

4

Mahmut Talani saß in einem Coffee Shop nach amerikanischem Vorbild. In einer Weltstadt wie Hamburg gab es auch so etwas. Der Coffee Shop trug den Namen „Luigi’s Lounge“, obwohl der Besitzer weder italienischer Abstammung war noch Luigi hieß. Talani hatte sich mit einem Cappuccino und ein paar Donuts an den Tisch in der hintersten Ecke gesetzt. Von hier aus konnte man den gesamten Coffee Shop gut übersehen, hatte einen freien Blick auf die Tür und konnte notfalls über den Zugang zur Küche und den Toiletten zum Hinterausgang flüchten.

Talani blickte nervös auf seine Uhr.

Der Mann, auf den er wartete, war bereits überfällig.

Ich will nicht hoffen, dass diese Ratte mich auch hereinlegen will!, ging es ihm grimmig durch den Kopf.

Ein Mann mit dunklen Locken, Mitte dreißig und von schlaksiger Statur betrat den Coffee Shop. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben und ließ den Blick durch das Lokal schweifen.

Sein Blick blieb kurz an dem Mann haften, der sich am Tresen hinter seiner Zeitung vergraben hatte und wanderte schließlich weiter zu Talani.

Der Lockenkopf stutzte erst. Dann näherte er sich Talanis Tisch.

„Hey, Mann, ich hätte Sie fast nicht erkannt! Mit den blonden Haaren und den blauen Augen...“

„Halten Sie Ihren Mund, Jannis und setzen Sie sich.“

Jannis nahm sich einen Stuhl und setzte sich rittlings drauf.

„Woher haben Sie denn auf die Schnelle so himmelblaue Kontaktlinsen hergekriegt?“, fragte er. „Jedenfalls sehen Sie jetzt aus wie ein Schwede!“

„Ich brauche Ihre Hilfe.“

„Kann ich mir denken. Also, was wollen Sie und wie viel sind Sie bereit dafür zu zahlen?“

„Ich brauche einen vollständigen Satz Papiere auf den Namen Björn Svenson. Besitzt sowohl die schwedische als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.“

„Haben Sie alle nötigen Unterlagen besorgt?“

„Sicher.“

Talani holte einen braunen Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke und reichte ihn an Jannis weiter. „Da ist auch die vereinbarte Anzahlung drin. Den Rest gibt’s bei Lieferung der Ware.“

Jannis grinste, warf einen kurzen Blick in den Umschlag und steckte ihn ein.

„Okay“, meinte er.

„Wann sind Sie fertig?“

„Wollen Sie Qualitätsarbeit oder billigen Ramsch, mit dem Sie schon im Airport hier in Hamburg auffliegen?“ Jannis machte eine ausholende Geste. „Es ist nicht mehr so leicht wie früher, Pässe zu fälschen! Diese biometrischen Merkmale, die neuerdings in den Dingern drin sein müssen... Und dann auch noch schwedische Papiere! Die kennt doch kein Mensch.“

„Eben!“, erwiderte Talani. „Und bei einem schwedischen Pass schaut niemand so genau hin wie bei einem Dokument aus dem Iran oder Libyen.“

Jannis lachte. „Ihnen ist jemand ziemlich dicht auf den Fersen, was?“

„Sparen Sie sich Ihr Gequatsche“, knurrte Talani. „Sagen Sie einfach, wann Sie fertig sind!“

Talani fragte sich, weshalb Jannis so nervös war. Er blickte sich nun schon zum dritten Mal in Richtung der Fensterfront um.

Die Außentür des Coffee Shops flog zur Seite.

Zwei maskierte Männer in dunklen Rollkragenpullovern stürmten herein. Sie trugen automatische Pistolen mit aufgeschraubten Schalldämpfern.

Jannis sprang auf und schnellte zur Seite.

Talani begriff sofort, dass der Lockenkopf dies deshalb tat, um die Schussbahn freizumachen. Offenbar hatte dem Dokumentenfälscher jemand noch sehr viel mehr für seine Dienste gegeben, als er für die Anfertigung des Dokumentensatzes für einen gewissen Björn Svenson bekommen hätte.

Blutrot leckte das Mündungsfeuer aus den beiden Schalldämpferwaffen der Maskierten heraus. Zwei Schüsse wurden kurz hintereinander abgegeben. Jedes Mal entstand ein Geräusch, das wie ein heftiges Niesen oder ein Schlag mit einer Zeitung klang.

Die Kugeln fetzten durch Talanis Kleidung hindurch.

Darunter kam grauer Kevlar-Stoff zum Vorschein. Schon seit Tagen trug der Halb-Iraner sicherheitshalber eine kugelsichere Weste. Verschiedene Schichten dicht gewebter Materialien verhinderten, dass die Projektile in den Körper eindrangen. Die kinetische Energie, mit das Geschoss auftraf, wurde dabei auf eine größere Fläche verteilt. Für den Betroffenen war die Wirkung eines Treffers je nach Abstand und Kaliber mit einem kräftigen Tritt oder dem kräftigen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand vergleichbar.

Mahmut Talani stöhnte schmerzvoll auf.

Er wurde vom Stuhl geschleudert, riss gleichzeitig eine Automatik unter seiner Windjacke hervor und feuerte.

Getroffen sanken die beiden Maskierten zu Boden.

Talani hatte sie mit Kopftreffern niedergestreckt.

Stöhnend erhob er sich und betastete dabei vorsichtig seinen Brustkorb. Er konnte von Glück sagen, wenn er keine Rippe gebrochen hatte. Aber mit ein paar ausgedehnten Hämatomen musste er rechnen. Er rang nach Luft. Das Atmen schmerzte.

Jannis kauerte mit weit aufgerissenen Augen am Boden. Er hatte sich während des Schusswechsels hingeworfen, um nicht getroffen zu werden.

Jetzt zitterte er.

Den braunen Umschlag, mit Talanis Unterlagen und der Anzahlung für die falschen Papiere presste er an sich.

Talanis Gesichtsausdruck verzog sich zu einer Grimasse.

„Gib es zu, du hast diese Bastarde zu mir geführt....“

„Nein, ehrlich, ich wusste von nichts!“

Talani feuerte. Jannis’ Körper durchlief ein Ruck. Der Lockenkopf schrie auf, als die Kugel ihm in den Oberschenkel fuhr.

„Ich will die Wahrheit hören!“, beharrte Talani. „Oder ich teste mal, wie viel Blei ein menschlicher Körper so verträgt!“

Er legte kurz an, feuerte ein weiteres Mal und traf Jannis an der Hand. Der braune Umschlag rutschte blutverschmiert zu Boden.

„Ich hatte keine andere Wahl!“, schrie Jannis. „Die haben mich gezwungen!“

„Bestell Vic Noureddine schöne Grüße von mir, wenn ihr euch in der Hölle trefft!“, knurrte Talani. Sein Gesicht wurde dabei zu einer Grimasse des Hasses. Er feuerte zweimal. Die Kugeln fuhren Jannis in die Brust und die Stirn.

Talani trat an den Toten heran, um ihm die Unterlagen wieder abzunehmen, mit denen dieser die falschen Papiere hätte anfertigen sollen.

Der Halb-Iraner kniete nieder.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er eine Bewegung an jener Tür, die hinten heraus führte.

Talani sah nicht mehr als einen Schatten. Er ließ sich fallen, drehte sich um die eigene Achse und riss seine Waffe empor.

Aber er kam nicht mehr zum Schuss.

Ein roter Punkt bildete sich mitten auf seiner Stirn. Talani sackte leblos und mit erstarrten Augen in sich zusammen.

An der Hintertür stand der dritte Mann des Killer-Trios, das offenbar mit dem Auftrag hier her geschickt worden war, ihn zu ermorden.

Dieser Mann war ebenfalls maskiert.

Er senkte den durch einen Schalldämpfer verlängerten Lauf seiner Waffe.

Aus der Ferne waren bereits die Sirenen von Einsatzfahrzeugen der Hamburg Polizei zu hören. Vermutlich hatten Leute außerhalb des Coffee-Shops die Schüsse aus Talanis Waffe gehört, die ja nicht mit einem Schalldämpfer versehen war.

Der Maskierte nickte dem vollkommen blass gewordenen Mann hinter dem Tresen kurz zu, ehe er sich in Richtung Hinterausgang wandte und davonlief.

5

Am Vormittag des auf die Entdeckung des Giftmülllagers an der Brasewinkel Straße folgenden Tages hatten wir eine Besprechung im Büro von Kriminaldirektor Johann Detlev Hoch.

Außer Roy und mir nahmen an dieser Besprechung auch unsere Kollegen Stefan Carnavaro und Selcuk Salman teil. Der flachsblonde Italodeutsche Stefan war der stellvertretende Chef unserer Abteilung.

Von der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst nahm Roger Benda an der Besprechung teil, um uns einen vorläufigen Bericht über den Stand der Erkenntnisse im Hinblick auf das Lagerhaus in der Brasewinkel Straße zu geben. Außerdem war noch Kommissar Heinz Allwörden anwesend, ein Innendienstler, dessen Spezialgebiet das Aufspüren verborgener Geldströme war. Er hatte Betriebswirtschaft studiert und war für unsere Arbeit längst genauso wichtig wie die Unterstützung durch Ballistiker oder Gerichtsmediziner. Sowohl im Bereich der organisierten Kriminalität als auch bei der Terrorbekämpfung lieferte eine Aufdeckung getarnter Finanzströme häufig erst einen Überblick über die kriminelle Strukturen.

„Guten Morgen“, sagte Kriminaldirektor Hoch, nachdem uns seine Sekretärin Mandy Kaffee in Pappbechern serviert hatte. Kriminaldirektor Hoch nahm einen Schluck und fuhr fort. „Heute früh erreichte mich eine Meldung der Schutzpolizei. In einem Coffee Shop hat es eine Schießerei gegeben. Bei einem der Toten handelte es sich um zweifellos um Mahmut Talani. Der Hergang des Geschehens konnte noch nicht ganz rekonstruiert werden, aber Talani hat sich dort mit Tony Jannis getroffen. Jannis ist mehrfach wegen Urkundenfälschung vorbestraft und sollte Talani offenbar falsche Papiere auf den Namen Björn Svenson besorgen. Die entsprechenden Unterlagen hat Talani neben einer Anzahlung zum Treffpunkt mitgebracht.“ Kriminaldirektor Hoch atmete tief durch und berichtete anschließend, dass er unsere Kollegen Kalle Brandenburg und Hansi Morell an den Tatort beordert hätte. Anschließend erteilte er Roger Benda, dem Leiter des zuständigen Erkennungsdienst-Teams das Wort, der die bisherigen Ermittlungsergebnisse vom Tatort an der Brasewinkel Straße zusammenfasste. Dabei lieferte er unter anderem eine Liste der im Haus gelagerten Chemikalien. „Die Substanzen waren teilweise äußerst fahrlässig und unter Missachtung sämtlicher Sicherheitsbestimmungen gelagert worden“, erklärte Benda. „Besonders gefährlich sind dabei die vor allem im Obergeschoss gelagerten Plastikmüllsachen, wobei es sich um Abfälle der Verpackungsindustrie handelt. Bei einer derart dichten Lagerung kann es – gerade bei heißem Hochdruckwetter, wie wir es zurzeit in Hamburg haben – sehr leicht zur Selbstentzündung kommen. Es bestand akute Brandgefahr und in dem Fall wären hochgiftige Gase über Wohngebiete gezogen. Je nach Windrichtung hätte man halb Hamburg evakuieren müssen.“

„Haben Sie irgendetwas gefunden, was einen Verdacht im Hinblick auf terroristischer Aktivitäten erhärten könnte?“, hakte Kriminaldirektor Hoch nach.

Benda schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich habe mit den Kollegen vom Feuerwehr und den Spezialisten der Bundeswehr eingehend über dieses Thema gesprochen. Selbstverständlich ließe sich das Gebäude in der Brasewinkel Straße hervorragend als eine primitive Giftgasbombe benutzen. Besonders effektiv wäre das natürlich, wenn man durch die Detonation einer Sprengladung dafür sorgt, dass die giftigen Substanzen höher empor geschleudert werden und das Verbreitungsgebiet größer ist. Aber wir haben wirklich nicht die kleinsten Anzeichen dafür gefunden, dass so etwas vorbereitet wurde.“

„Es ist aber nun mal eine Tatsache, dass innerhalb weniger Monate vier auf ähnliche Weise mit Giftstoffen angefüllte Häuser entdeckt wurden, die alle von einem Mann angemietet worden sind, der nachweislich Kontakte zu extremen islamistischen Gruppen hatte“, gab Kriminaldirektor Hoch zu bedenken.

Benda hob die Schultern. „Der Befund am Tatort deutet eher auf Machenschaften der Müll-Mafia hin. Sie kennen das alte Spiel ja: Giftmüll wird zur angeblichen Entsorgung angekauft und dann irgendwo illegal gelagert. Bis diese Lager dann entdeckt werden oder sich von allein entzünden, sind die Strohmänner längst untergetaucht.“

„Dann müsste man eigentlich erwarten, dass es irgendeine Verbindung zwischen Talani und den Syndikaten gibt, die sich im Müll-Geschäft so tummeln“, meinte Kriminaldirektor Hoch.

„Da gibt es vielleicht etwas!“, meldete sich nun Kommissar Heinz Allwörden zu Wort. Unser Fachmann für Betriebswirtschaft zog damit die interessierten Blicke aller auf sich. Heinz lehnte sich zurück und sagte: „Talani befindet sich ja bereits seit Monaten in der Fahndung, und ich habe seine finanziellen Verhältnisse in dieser Zeit bis ins kleinste durchleuchtet. Dabei stieß ich auf einen geschäftlichen Kontakt mit einer Firma namens SAD GmbH & Co. auf den Cayman Islands. Wahrscheinlich nur eine Briefkastenfirma. Tatsache ist aber, dass dieselbe Firma auch geschäftliche Kontakte mit der Firma Trans-Act Inc. hat, von der wir seit kurzem wissen, dass sie zu hundert Prozent im Besitz von Vic Noureddine ist, der als graue Eminenz im illegalen Müllhandel in Deutschland und Nordeuropa gilt.“

 

Der Name Vic Noureddine war uns allen ein Begriff. Wir verdächtigten ihn seit langem, eines der größten Syndikate zu leiten, die auf dem Gebiet der illegalen Müllentsorgung tätig waren. Leider war es bislang unmöglich gewesen, an ihn heranzukommen. Noureddine ließ sich zwar einerseits gerne als Paten von St. Pauli bezeichnen und schien es zu mögen, wenn alle Welt vor ihm zitterte. Aber juristisch ließ er nicht das Geringste anbrennen. Sein Vorstrafenregister wies wahrscheinlich nicht einmal eine Verwarnung wegen Falschparkens auf. Auch wenn der eine oder andere nur staunend den Hals verrenken konnte, wenn er sah, mit welcher Rasanz Noureddines Vermögen in den letzten Jahren angewachsen war, so hatten es weder das Kripo Hamburg noch die Steuerfahndung geschafft, ihm irgendetwas zu beweisen, was gegen das Gesetz verstieß. Noureddine war der typische Vertreter einer Gattung namens „weißer Kragen Täter“. Syndikate in der Müll-Branche waren im Allgemeinen so aufgebaut, dass von den Strafverfolgungsbehörden allenfalls die Strohmänner oder Spediteure ins Netz der Justiz liefen, aber den eigentlichen Hintermännern oft genug nichts nachzuweisen war.

So auch im Fall Vic Noureddine, der sich inzwischen von seinen Millionen die größte Villa an der Elbe geleistet hatte.

„Das bedeutet, es gibt eine – wenn auch indirekte –Verbindung zwischen Talani und dem Noureddine-Syndikat?“, vergewisserte ich mich.

Heinz Allwörden bestätigte dies. „So ist es – auch wenn ich nicht glaube, dass das bereits in irgendeiner Form juristisch verwertbar ist. Es handelt sich um ein einzelnes Indiz, das für uns kaum mehr als Hinweischarakter hat!“

„Immerhin ist er aber deutlich genug, um unsere Ermittlungen in Richtung Müll-Mafia zu konzentrieren, anstatt weiter nach Verbindungen zum internationalen Terrorismus zu suchen, die es in diesem Fall wahrscheinlich gar nicht gibt!“, schloss ich.

„Nicht ganz so schnell, Uwe!“, schränke Kriminaldirektor Hoch ein. „Im Prinzip haben Sie Recht, aber wir sollten, was die Möglichkeit angeht, dass hier ein Anschlag vorbereitet werden sollte, trotzdem nicht völlig ausblenden.“

Roger Benda meldete sich zu Wort. „Möglicherweise kommen wir über die Herkunft der Giftstoffe in der Brasewinkel Straße weiter. Vor allem die Kunststoffrückstände ließen sich rein theoretisch dem Hersteller zuordnen.“

Kriminaldirektor Hoch runzelte die Stirn.

„Was soll das heißen – rein theoretisch?“

„Erstens hüten die Unternehmen genaue Zusammensetzung und die Herstellungsverfahren für ihre Produkte wie ihren Augapfel. Und zweitens wären dazu auch recht umfangreiche und aufwendige Untersuchungen notwendig. Allein im Großraum Hamburg dürfte es einige Dutzend Produktionsanlagen geben, aus denen die gefundenen Mengen an Giftmüll stammen könnten. Nehmen wir mal an, die Leute, die für diese Schweinerei verantwortlich sind, haben einen einigermaßen gut ausgeprägten Sinn für Wirtschaftlichkeit, dann werden sie die Transportwege kurz halten. Das macht auch ansonsten Sinn, denn Transportkapazität dürfte in einer derartigen Organisation knapp sein. Schließlich ist jeder eingeweihte Spediteur ein potentielles Risiko.“

„Ich korrigiere Sie ungern, aber wir hatten schon Fälle von organisiertem Müll-Handel, bei dem die entsprechende Stoffe nach Afrika gebracht wurden, um sie dort irgendwo unauffällig zu vergraben“, gab Kriminaldirektor Hoch zu bedenken.

Benda hob die Hände. „Eine Verschiffung ist für die Betreiber solcher Geschäfte mit viel weniger Risiko verbunden, als ein Transport über die Straße“, erwiderte der Kollege von der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst. „In so fern kann es letztendlich tatsächlich preiswerter sein, das Zeug über den Ozean zu bringen – zumal man das mit Frachtern machen kann, die unter irgendeiner Billigflagge laufen und deren Matrosen nur einen Bruchteil dessen bekommen, was man einem LKW-Fahrer zahlen muss!“

„Ich glaube nicht, dass wir Durchsuchungsbefehle für die gesamte Kunststoff verarbeitende Industrie Hamburgs bekommen werden“, gab Kriminaldirektor Hoch zu bedenken.

„Eventuell könnten wir das im Labor noch etwas genauer eingrenzen“, stellte Bendas in Aussicht. „Und wenn wir dann einen Abgleich mit der Produktpalette der in Frage kommenden Firmen durchführen, haben wir am Ende vielleicht zwanzig Firmen im Umkreis von zweihundert Kilometern.“

Kriminaldirektor Hoch nickte bedächtig. „Besser, es wären weniger!“

„Wir tun, was wir können“, versprach Benda.

Kriminaldirektor Hoch wandte sich an Roy und mich. „Was ist mit den Aussagen der Anwohner und der Kinder?“, erkundigte er sich.

„Bis auf die beiden Jungen, die ins Albert Schweizer Krankenhaus eingeliefert wurden, sind die Vernehmungen abgeschlossen“, berichtete Roy. „Leider haben sich daraus keine weiteren Ermittlungsansätze ergeben.“

„Sollte wirklich Vic Noureddine und seine Organisation etwas damit zu tun haben, müssten wir unsere Informanten in St. Pauli anspitzen“, schlug ich vor.

„Tun Sie das, Uwe“, nickte Kriminaldirektor Hoch.