Kubinke und das Netz der Verschwörer: Kriminalroman

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Wir erreichten den Rostocker Hauptbahnhof pünktlich. Ein drahtiger Mann mit Halbglatze holte uns ab.

„Ich bin Kommissar Georg Sodmann”, erklärte er.

„Kriminalinspektor Harry Kubinke”, stellte ich mich vor. „Dies sind meine Kollegen Kriminalinspektor Rudi Meier und Dr. Lin-Tai Gansenbrink aus unserem Ermittlungsteam Erkennungsdienst. Sie ist IT-Expertin und wird sich um die Analyse Daten aus dem Unfallfahrzeug kümmern.”

„Ich dachte, das wäre längst geschehen”, sagte Georg Sodmann etwas irritiert. Auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Furche.

„De Kollegen des Erkennungsdienstes haben die Rohdaten gesichert und auch eine erste Analyse durchgeführt”, bestätigte Dr. Gansenbrink. „Mir sind diese Daten überspielt worden, und ich habe weitere Untersuchungen daran angeschlossen und den Verdacht Ihrer Kollegen, dass es sich um eine gezielte Manipulation über die Online-Verbindungen des Fahrzeugs handeln muss, bestätigt. Jetzt geht es darum, weitere Daten zu gewinnen. Schließlich sind keineswegs alle Systeme ausgelesen worden, und es gibt durchaus Teilkomponenten, in denen sich Datenreste befinden könnten, die uns weiterbringen. Davon abgesehen ist zwar mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass eine externe Manipulation der Fahrzeugsysteme stattgefunden hat, aber es ist noch nicht zweifelsfrei erfasst, auf welchem Weg die externe Übernahme der Systeme durchgeführt wurde.”

„Sie scheinen ja wirklich Ahnung von der Materie zu haben, so weit ich das beurteilen kann”, meinte Sodmann.

„Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie der Täter in die Fahrzeugsysteme eindringen konnte. Die GPS-Funktion ist natürlich immer als Erste in Verdacht. Aber wenn Sie sich einfach mal vor Augen halten, wie viele Systemkomponenten in modernen Fahrzeugen inzwischen schon auf eine Online-Verbindung zugreifen, dann wären Sie erstaunt. Unter anderem das Navigationssystem. Es gibt dort nicht nur ein einziges mögliches Einfallstor für Kriminelle, wenn ich es mal mit einfachen Worten ausdrücken darf.”

Sodmann nickte stirnrunzelnd.

„Ich habe von diesen Dingen keine Ahnung. Aber es bestürzt mich, dass es offenbar möglich ist, ein Fahrzeug einfach so zu übernehmen und es zu einer Mordwaffe werden zu lassen.”

„Ja, Sie haben recht”, nickte Dr. Gansenbrink.

„Wissen Sie, früher, da waren Autos einfach nur Autos. Sie konnten fahren und sonst gar nichts. Aber inzwischen scheinen sie sich in fahrende Computer verwandelt zu haben. Ich habe noch erlebt, dass mein Vater einen gerissenen Keilriemen durch die Nylon-Strumpfhose meiner Mutter ersetzt hat, und wir damit immerhin noch bis zur nächsten Werkstatt gekommen sind. Heute kommt man an den Motor gar nicht mehr heran und ist darauf angewiesen, dass irgendein Typ aus der Werkstatt, ein Laptop anschließt, um die Sache in Ordnung zu bringen.”

„Das gilt nicht nur für Autos, Herr Sodmann, sondern für zahllose andere Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.”

„Erschreckend finde ich nur, dass es offenbar möglich ist, so was aus der Ferne zu machen, ohne dass der Betreffende davon vorher etwas ahnt ... Das ist schlimmer als eine Faust, die man nicht kommen sieht!”

„Für mich persönlich ist das keinesfalls überraschend”, erklärte Gansenbrink kühl.

„Anscheinend gehört der Blick in die Zukunft auch zu Ihren Fähigkeiten“, sagte Sodmann mit einem leicht sarkastischem Unterton.

„Es hat Fälle gegeben, in denen ein ganz normaler Drucker durch eine Cyber-Attacke überhitzt und dadurch ein Brand vorsätzlich gelegt wurde, bei dem Menschen umgekommen sind. Das ist vor drei Jahren gewesen, und es hat mich ehrlich gesagt schon damals gewundert, dass noch niemand versucht hat, so etwas mal mit einem Fahrzeug zu versuchen.“

„So gesehen haben Sie natürlich recht“, gab Sodmann zu.

Ich hatte Gansenbrink selten so kommunikativ und zugänglich erlebt, wie in dem Gespräch mit Sodmann. Aber vielleicht habe ich ihre Fähigkeiten im Small Talk auch nur einfach deswegen bisher etwas unterschätzt, weil sich unser Kontakt normalerweise nur auf mehr oder weniger knappe Telefonate oder konzentrierte Meetings beschränkte.

Sodmann führte uns aus der Bahnhofshalle. Das Hotel, in dem Dorothea Schneidermann uns einquartiert hatte, lag nur wenige Kilometer vom Bahnhof entfernt im Umland von Rostock. Aber Sodmann fuhr uns mit seinem Dienstwagen erstmals in eine andere Richtung, nämlich zum Gebäudekomplex der Polizei, das sich in Citynähe befand.

„Sie waren Pascal Dettmers Partner”, sagte ich während der Fahrt.

„Das trifft zu.”

„Dann erzählen Sie mir alles, was Sie über Dettmer sagen können, Herr Sodmann.”

„Fast zehn Jahre waren wir Dienstpartner. Jeden Tag in einem Büro oder einem Wagen wie diesem. Wir haben haben uns öfter gesehen als unsere Familien. Da lernt man sich ganz gut kennen, würde ich sagen.”

„Das kann ich mir denken.”

„Pascal war ein hervorragender Ermittler. Seiner Beharrlichkeit und Geduld ist es zu einem großen Teil zu verdanken, dass wir vor ein paar Jahren Monkows Bande hochnehmen konnten. Und auch ein paar andere Erfolge, die wir hier hatten, sind ganz maßgeblich ihm zu verdanken.”

„Sie waren sein Partner und werden sicherlich einen ähnlichen Anteil an diesen Erfolgen haben.”

„Nein, Herr Kubinke, da bin ich realistisch. Pascal war ein paar Jahre länger beim BKA und der Erfahrene von uns beiden. Ich habe viel von ihm gelernt. Wir kamen dann schließlich in unterschiedliche Abteilungen, was ich sehr bedauert habe.”

„Gab es für diese Versetzung einen bestimmten Grund?”

„Abgesehen davon, dass Pascal quasi befördert wurde und eine eigene Einsatzgruppe im Bereich der organisierten Kriminalität leitete - nein. Na ja, und dann gab es da natürlich noch das Credo unseres Dienststellenleiter.”

„Was für ein Credo?”

„Das Teams nicht zu lange zusammenbleiben sollten, selbst wenn sie exzellent zusammenarbeiten.”

„Ab und zu kann ein Wechsel sich tatsächlich positiv auswirken.”

Er verzog das Gesicht.

„Das sagen gerade Sie, Herr Kubinke? Ich habe gehört, dass Sie mit Ihrem Kollege Meier schon in Hamburg jahrelang zusammengearbeitet haben.”

„Das stimmt, aber ...”

„Jedenfalls war Dienststellenleiter Gallemeier in dieser Hinsicht der Auffassung, dass man ab und zu die Teams etwas durcheinandermischen müsste und hat davon dann auch ziemlich ausgiebig Gebrauch gemacht, als er sein Amt hier in Rostock antrat.”

„Dürfte nicht jeden gefreut haben”, meinte ich.

„Das können Sie laut sagen. Aber er hatte natürlich in gewisser Weise recht. Wenn Teams zu lange zusammen sind, dann schleifen sich Dinge ein, die man eigentlich nicht haben möchte. Und es werden dann leichter Dinge mal unter den Teppich gekehrt. Sie wissen schon, was ich meine ...”

„Nicht wirklich”, gab ich zu.

„Na, es gab auch hier in Rostock einige Fälle von Korruption und Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen. Ermittlungen, die verschlampt wurden und worüber dann großzügig der Mantel des Schweigens gelegt wurde. Und natürlich auch Fälle von Polizeigewalt, auf die die Öffentlichkeit im Moment ja äußerst sensibel reagiert. Insofern hat Dienststellenleiter Gallemeier schon das Richtige getan. Und für mich war es letztlich auch besser.”

„Wie meinen Sie das?”

Er hob die Schultern.

„Jeder muss sich doch irgendwie auch mal freischwimmen. Und wenn Sie immer mit einem erfahrenen Kollegen zusammenarbeiten, dann haben Sie gewissermaßen immer einen großen Bruder an Ihrer Seite, der Ihnen auf die Finger schaut.”

Ich hob die Augenbrauen.

„Ja, da könnte schon was dran sein”, gab ich zu.

Während ich mich vom Beifahrersitz aus mit Sodmann unterhielt, saßen Rudi und Lin-Tai auf der Rückbank. Lin-Tai hatte bereits wieder das Laptop auf den Knien und schien sehr beschäftigt zu sein. Rudi hingegen hatte darauf verzichtet, sein Laptop auszupacken.

„Ich hoffe, es ist dafür gesorgt, dass wir ein vernünftiges Fahrzeug zur Verfügung gestellt bekommen”, mischte sich mein Kollege nun in mein Gespräch mit Sodmann ein.

„Natürlich”, versicherte Sodmann. „Baugleich mit diesem hier. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.”

„Warum sollte ich?”, fragte Rudi.

„Nun, wir haben jede Menge Fahrzeuge dieses Typs und dieser Ausstattung im Fuhrpark unserer Polizei. Sie unterscheiden sich nach Baujahr und manchmal auch in der Farbe. Schließlich wollen wir nicht, dass wir bei jeder Observation gleich auffallen und man sagt: Seht mal, da kommen die Fahrzeuge der Polizei.”

„Schon klar.”

„Pascal Dettmer fuhr auch so einen. Wir bringen auch ältere Modelle immer wieder technisch auf den neuesten Stand. Und selbstverständlich verfügen wir auch über Bordelektronik, die uns bei der Fahndung hilft, ein exzellentes Navigationssystem und dergleichen ...” Sodmann seufzte. Sein Tonfall veränderte sich. Und bei dem, was er nun sagte, war ihm deutlich anzuhören, wie sehr ihn der Tod seines Kollegen getroffen hatte. „Es war der härteste Job meiner ganzen Laufbahn, als mich der Dienststellenleiter zu Pascals Familie schickte, um seiner Frau zu sagen, was geschehen ist.“ Seine Stimme klang brüchig.

 

„Das glaube ich Ihnen gerne“, sagte ich.

„Ich habe solche schlimmen Nachrichten schon hundertmal überbracht und trotzdem würde ich niemals behaupten, dass man darin irgendeine Art von Routine bekäme.“

„Auch das kann ich nur aus eigener Erfahrung bestätigen, Herr Sodmann.“

„Pascal hat Kinder im schulpflichtigen Alter. Die werden jetzt ohne ihren Vater aufwachsen.“

„Wer immer dafür verantwortlich sein mag: Wir kriegen ihn“, versprach ich.




6


Kriminalhauptkommissar Norman Gallemeier empfing uns in seinem Büro. Er tippte gerade auf einer Fernbedienung herum, als seine Sekretärin Rudi, Lin-Tai, Kommissar Sodmann und mich hereinführte. Ein Großbildschirm war aktiviert. Darauf war die Aufzeichnung einer TV-Sendung zu sehen. Das Emblem eines lokalen Senders prangte am linken oberen Bildrand.

Ich erkannte das Gesicht von „Fatty” Monkow von den in unseren Datenbanken gespeicherten Fotos sofort wieder. Darüber hinaus war er auf Grund seiner außerordentlichen Körperfülle ohnehin leicht wiederzuerkennen. Mit breitem Grinsen verkündete Monkow sein geheucheltes Mitgefühl für die Familie von Kommissar Dettmer in die hingehaltenen Mikros. Obwohl Monkow unübersehbar Handschellen trug, wirkten seine uniformierten Bewacher ziemlich hilflos.

„Wie ist so was nur möglich”, murmelte Norman Gallemeier kopfschüttelnd. „Wenn ich das sehe, kriege ich schon allein vom Zuhören einen dicken Hals.”

Er hielt die Aufnahme an. Dann wandte sich Gallemeier an uns, um zu begrüßen. „Herr Kubinke, Herr Meier, schön, dass Sie hier sind.” Anschließend wandte er sich an Lin-Tai. „Ihren Namen hat man mir sicherlich auch genannt, aber er ist mir aus irgendeinem Grund nicht in Erinnerung geblieben.”

„Ich bin Dr. Lin-Tai Gansenbrink vom Ermittlungsteam Erkennungsdienst in Quardenburg und möchte mir so schnell wie möglich die Elektronik des Fahrzeugs vornehmen, mit dem Kommissar Dettmer verunglückt ist.”

„Der Wagen steht in unserer Laborwerkstatt, hier im selben Gebäudekomplex”, erklärte Gallemeier. „Die Erkennungsdienst-Kollegen stehen Ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung, falls Sie Fragen haben oder Hilfe benötigen.”

„Danke”, sagte Lin-Tai. Und jeder, der sie etwas besser kannte, konnte sich in etwa denken, welcher Satz jetzt in ihrem Kopf herumspukte. Wie kommen Sie darauf, dass ich irgendwelche Hilfe brauche? Natürlich sprach sie das nicht aus.

Gallemeier deutete auf den Bildschirm.

„Ich gehe davon aus, dass Sie das hier noch nicht kennen. Jedenfalls würde mich das schwer wundern, denn die Aufnahme ist brandneu.”

„Worum geht es?”, fragte ich.

„‘Fatty’ Monkow hat einen Anhörungstermin wegen seiner Haftbedingungen dazu genutzt, sich mit einem Statement an die Öffentlichkeit zu wenden. Angeblich wünscht er der Familie von Pascal Dettmer sein Beileid und so weiter.”

„Können wir uns das mal ansehen?”

„Bitte! Das Ganze ist nicht sehr lang - dafür umso widerlicher.”

Gallemeier führte uns die Szene vor.

„Könnte man schon fast als eine Art Geständnis werten”, meinte Sodmann, der die Aufnahme offensichtlich auch noch nicht gesehen hatte.

„Vermutlich soll es genauso aussehen”, meinte Gallemeier.

„Meinen Sie, weil Monkow sowieso bis ans Ende seiner Tage im Knast sitzen wird und kaum Chancen hat, irgendwann nochmal die Sonne in Freiheit zu sehen?”, meinte ich.

„Ist trotzdem nicht sehr klug, was der Kerl da für eine Show veranstaltet”, meinte Rudi. „Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass das einen positiven Einfluss auf den Verlauf seiner Verhandlungen hat.”

„Es hat einen positiven Einfluss auf Monkows Führungsrolle in seiner Bande”, war Gallemeier überzeugt. „Das ist alles sehr bewusst inszeniert. Er hat ganz bewusst den Anschein erweckt, dass er etwas mit Dettmers Tod zu tun hat. Damit sagt er nicht mehr und nicht weniger als: Passt schön auf, wer meine Interessen stört, den erledige ich sogar aus dem Knast heraus!”

„Hat Monkow denn Grund dazu gehabt, anzunehmen, dass sein Einfluss zu zerfallen droht?”, fragte ich.

Gallemeier nickte.

„Sein Arm ist lang, und er hat zweifellos immer noch großen Einfluss. Aber wie das eben so ist: Aus dem Knast heraus regiert man nicht so leicht, und es gibt nach unseren Informationen genügend Mitglieder, die ihm längst den Rücken gekehrt und sich darauf eingestellt haben, dass Monkow nicht zurückkehrt. Und abgesehen davon haben wir natürlich auch einige seiner wichtigsten Gefolgsleute ebenfalls aus dem Verkehr ziehen können, so dass Monkows ehemalige Organisation ohnehin nur ein erbärmlicher Torso ist.” Gallemeier deutete auf den Bildschirm. „Noch bevor wir irgendetwas über die Identität des verunglückten Kommissars haben verlauten lassen, hat Monkow es in die Mikros der Medien posaunt.”

„Er scheint über gute Informationsquellen zu verfügen”, stellte ich fest.

„Ja, und auch sonst hat er anscheinend gute Kontakte.”

Ich begriff nicht gleich, worauf der Dienststellenleiter hinauswollte.

„Wie meinen Sie das?”

„Na, dieser ganze Auftritt!”, entfuhr es Gallemeier und es war ihm deutlich anzumerken, wie sehr ihn dieser Vorfall innerlich aufregte. „Normalerweise haben Monkows Bewacher den Gefangenen immer durch einen Nebenausgang zum Gefangenentransporter geführt. Aber diesmal eigenartigerweise nicht! Das ist doch kein Zufall! Das war inszeniert, Herr Kubinke!”

„Wir werden mal sehen, was Monkow selbst dazu zu sagen hat”, meinte Rudi.

„Ich halte es durchaus für möglich, dass Monkow tatsächlich dahintersteckt”, meinte jetzt Kommissar Sodmann. „Was das Motiv anbelangt, hätte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können: Seine auseinanderdriftenden ehemaligen Gefolgsleute in Angst und Schrecken versetzen und seinen Durst nach Rache stillen.”

„Ja, in dem Punkt haben Sie recht”, meinte Gallemeier.

„Dass jemand wie Monkow glücklich darüber ist, dass er bis ans Ende seiner Tage im Knast sitzt, kann mir jedenfalls niemand erzählen. Genauso wenig wie ich annehme, dass er Pascal plötzlich verziehen hat.”

„Ich habe mich noch nicht sehr ausführlich mit Monkow und seinem unangenehmen Charakter beschäftigt”, gestand ich. „Aber glauben Sie nicht, dass der jemanden auf etwas rustikalere Weise umbringen lassen würde, als sich die Mühe zu machen, Schadsoftware in das System eines Fahrzeugs hineinzubringen?”

„Unterschätzen Sie ihn nicht”, meinte Sodmann. „Wenn Sie denken, dass Monkow einer ist, der einfach nur ein paar grobe Kerle losschickt, die ihr Opfer unter Trommelfeuer nehmen, dann irren Sie sich.”

„So?” Sodmann schien, was Monkow betraf, nicht ganz frei von Emotionen zu sein.

„Herr Sodmann spielt darauf an, dass es schon in der Vergangenheit ein paar Todesfälle gab, die mit Monkow in Verbindung gebracht wurden und bei denen bis heute nicht feststeht, ob es Unfälle waren oder Morde”, ergänzte Norman Gallemeier.

„Das war seine Spezialität”, erklärte Sodmann finster. „Er war ein Meister darin und lange Zeit schien es so, als wäre er einfach nicht dingfest zu machen.”

„Aber Kollege Dettmer hat dafür gesorgt, dass sich das änderte”, stellte ich fest.

„Es ist einfach eine Frage der nötigen Geduld und der größtmöglichen Akribie”, behauptete Sodmann. „Dann kriegt man irgendwann jeden. Auch den geschicktesten Kriminellen. Und Pascal war einer, der das ganz genau verstanden hatte, deshalb ...” Seine Stimme wurde heiser, als er weitersprach. „... deshalb konnte ich auch so viel von ihm lernen. Gerade in der Anfangszeit.”

Ein kurzer Moment betretener Stille entstand jetzt. Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi. Bevor ich etwas sagen konnte, meldete sich dann allerdings Lin-Tai zu Wort.

„Soweit ich mich mit den über unser Datenverbundsystem zugänglichen Informationen über Dariusz Monkow befasst habe, hat er allerdings niemals einen Cyber-Kriminellen beauftragt, soweit bekannt ist.”

„Soweit bekannt ist”, wiederholte Sodmann. „Sie haben den entscheidenden Punkt an der Sache schon selbst gerade erwähnt.”

„Ich habe des Weiteren erfahren, dass Monkow so gut wie keinerlei Computerkenntnisse haben dürfte”, erklärte Lin-Tai in einem sehr ruhigen, unterkühlten Gesprächston, der sie ausgesprochen sachlich erscheinen ließ. „Ich habe jetzt zwar keinerlei mathematische Relationen ermittelt, aber mein Gefühl ist, dass der Mord an Kommissar Dettmer keine Tat ist, die typisch wäre für die Verbrechen, derentwegen der große Boss im Gefängnis sitzt.”

Ich hob die Augenbrauen.

„Ausgerechnet Sie sprechen von Gefühl, Lin-Tai?”

„Ich hätte auch sagen können: eine durch Erfahrung begründete Schätzung.”

„Das klingt schon eher nach Ihnen.”

„Es läuft aber auf dasselbe hinaus, Harry. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir diesbezüglich die Faktenlage nochmal genauer ansehen müsste.”

„Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen”, meinte Sodmann. „Monkow hat noch nie einen Mord mit eigener Hand begangen. Er beauftragt jemanden. Oder er beauftragt jemanden, jemanden zu beauftragen, der dann noch jemand anderen beauftragt. Und um dessen Mörderhandschrift geht es, nicht um die von Monkow.”

„Diese Argumentation hat was für sich.”

„Ich habe Ihnen eine Liste von Personen aus dem Umkreis der Monkow-Familie zusammengestellt. Sie beinhaltet Personen, die über Computerkenntnisse verfügen, in einschlägigen Berufen gearbeitet haben oder noch immer tätig sind oder sogar durch entsprechende Vergehen aufgefallen sind.”

„Diese Liste könnte sehr hilfreich sein”, meinte Lin-Tai. „Denn Sie haben vollkommen recht mit dem, was Sie gesagt haben.” Lin-Tai deutete auf den Großbildschirm. „Herr Monkow ist zwar zweifellos jemand, der genau geplante Inszenierungen liebt und bei dem wir davon ausgehen können, dass jede Kleinigkeit irgendeine verkappte Bedeutung hat, aber wir können natürlich nicht grundsätzlich ausschließen, dass er diesmal eine andere Mordmethode angeordnet oder einen anderen Killer engagiert hat, als er dies in der Vergangenheit getan haben mag.”

In diesem Augenblick klingelte das Telefon auf Norman Gallemeiers Schreibtisch. Der Dienststellenleiter nahm das Gespräch entgegen.

„Hier Gallemeier. Was ist los?”, fragte er. Anschließend bildete sich auf seiner Stirn eine tiefe Furche. „In Ordnung”, murmelte er anschließend nur noch, notierte sich eine Adresse auf dem Blatt eines Notizblocks und beendete das Gespräch. Schließlich wandte er sich wieder uns zu. „Es gibt einen weiteren Fall, der vielleicht mit dem Tod von Kommissar Dettmer in Zusammenhang steht. Etwa fünf Kilometer vor Rostock ist ein Wagen verunglückt, der dessen Fahrer eine Polizeimarke bei sich trug. Der Name lautet Johannes Tong.”

„Ein Kollege von Ihnen?”, vergewisserte ich mich.

„Nein, er hatte den Rang eines Kriminalinspektor, genau wie Sie. Und er gehörte definitiv nicht zum Personal unseres Büros.”

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