Fürchte den Killer: Sieben Action Krimis

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„Was hat angefangen?”, hakte ich nach.

„Seine Albträume, seine Aggressionen, seine Stimmungsschwankungen - und die Stimmen, die er angeblich hörte. Vielleicht wurde das dadurch ausgelöst, dass ihn seine Wunsch-Uni nicht genommen hat...”

„Hat man ihm helfen können?”, fragte Melanie Köppler jetzt. „Er hätte medikamentös eingestellt werden müssen.”

„Er war in Behandlung und für eine Weile sah es wieder ganz gut aus. Er bekam sogar einen Job.”

„Darf ich fragen wo?”, fragte ich.

„Eigentlich war das etwas, was völlig unter seinen eigentlichen Möglichkeiten war”, meinte Herr Kirschbaum. „Er war als Hilfskraft angestellt. Laborassistent oder so ähnlich hat er sich genannt. Ein medizinisches Labor. Was die genau gemacht haben, weiß ich nicht, aber bis vor kurzem ist er noch dort angestellt gewesen.”

„Wir brauchen die Adresse”, sagte ich.

„Die haben wir, das ist kein Problem”, erklärte Herr Kirschbaum.

„Und woher wissen Sie, dass er da noch angestellt war, wenn Sie doch sagen, dass Jonas den Kontakt zu Ihnen abgebrochen hat?”, fragte ich.

„Über ein paar Ecken. Meine Frau hat es mit der Schilddrüse. Ihr Arzt lässt seine Blutproben in dem Labor analysieren und geht mit dem Inhaber zum Golf”, sagte Herr Kirschbaum.

„Natürlich hat es uns interessiert, wie es ihm geht”, ergänzte seine Frau. „Auch wenn er leider nichts mehr mit uns zu tun haben wollte...”

„Warum nicht?”, hakte ich noch einmal nach. Denn das war eine Frage, der die beiden bisher noch ausgewichen waren.

„Der Psychiater, bei dem Jonas in Behandlung war, meint, das hinge mit seinem Krankheitsbild zusammen”, sagte Herr Kirschbaum. „Er würde die Probleme, die er mit seinen leiblichen Eltern hatte, auf uns übertragen. Und er meinte auch, es sei von Anfang an unverantwortlich gewesen, ihn in eine normale Pflegefamilie zu geben, denn er müsste eigentlich von medizinisch geschulten Personal betreut werden.”

„Was ist mit seinen leiblichen Eltern?”, fragte ich.

„Seine Mutter ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden”, sagte Herr Kirschbaum. „Sie hat Jonas’ Vater mit einem Messer umgebracht. Und der Junge hat das mitbekommen. Ich denke, das war der Auslöser seiner Probleme.”

„Das würde einiges erklären”, meinte Melanie Köppler. „Bitte beantworten Sie mir noch eine Frage: Woher kommt die Narbe am Kinn?”

„Das wissen wir nicht”, sagte nun Frau Kirschbaum. „In seinen Unterlagen stand etwas von massiver häuslicher Gewalt. Er kam mit dieser Narbe zu uns und er hat nie darüber gesprochen, wie er sie bekommen hat.“

„Blut und Messer - darauf hat er immer sehr eigenartig reagiert”, ergänzte Frau Kirschbaum. „Aber angesichts dessen, was er erlebt hat, ist das ja auch nicht verwunderlich.”

*



„Wir haben alles beisammen”, meinte Melanie Köppler, als wir wieder im Wagen saßen. „Das muss unser Mann sein. Es trifft alles zu! Er hat bis vor kurzem in einem Labor gearbeitet, das mit Sicherheit über die Möglichkeit zur fachgerechten Aufbewahrung von Blutplasma verfügte. Er hatte ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit, in dem Blut eine zentrale Rolle gespielt haben dürfte. Wenn seine Mutter ihren Mann erstochen hat, dürfte das kaum möglich gewesen sein, ohne dass sie dabei selbst...”

„...blutige Hände hatte?”, vollendete ich ihren Satz.

„Ganz genau. Deswegen nimmt der Täter Blut und beschmutzt damit die Hände des Opfers, bevor er es bestraft?”

“Tja...”

“Das ergibt absolut Sinn, Herr Kubinke!”

„Wenn man in diesem Zusammenhang von ‘Sinn’ sprechen möchte...”

„Erst hat er kein Menschenblut genommen. Vielleicht, weil er es nicht zur Verfügung hatte oder weil er davor zurückschreckte.”

“Kann ich nachvollziehen.”

“Sie haben ja gehört, dass er eigenartig auf Blut reagierte.”

“Ja.”

“Faszination und Abscheu sind wahrscheinlich in einer sehr instabilen Balance.”

“Klar.”

“Aber er konnte die Abscheu zumindest soweit zurückdrängen, dass er angefangen hat, seinen Opfern Blut abzunehmen und echtes Menschenblut zu verwenden.”

„Die Frage ist, wo wir ihn jetzt finden”, meinte Rudi.

Wir hatten von den Kirschbaums die letzte ihnen bekannte Adresse. Wir telefonierten. Ein Haftbefehl und ein Durchsuchungsbeschluss konnte in diesem Fall nachgereicht werden, denn es war Gefahr im Verzug. Kriminaldirektor Hoch kümmerte sich darum. Die Kollegen vor Ort sagten uns Unterstützung zu, um das Gebäude abzusichern, in dem sich Jonas Böldens Wohnung befand.

Es dauerte nicht lange und wir hatten das Haus erreicht.

Auf die Verstärkung wollten wir nicht warten. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie innerhalb kurzer Zeit eintreffen würden.

Die Wohnung von Jonas Bölden lag im dritten Stock eines fünfstöckigen Hauses. Es dauerte nicht lange und wir standen vor seiner Wohnungstür. Sein Name stand sogar noch auf dem Schild an der Klingel. Also standen die Aussichten gut, ihn auch hier anzutreffen.

Rudi klingelte.

Es reagierte niemand. Er versuchte es noch einmal.

Ich bedeutete Melanie Köppler, zur Seite zu treten. Bölden war schließlich bewaffnet. Wenn er der Täter war, den wir suchten, besaß er eine Waffe mit Schalldämpfer und würde sicherlich nicht zögern, sie gegen uns einzusetzen. Und dass jemand, der kurz vor der Verhaftung stand, einfach durch die Tür ballerte, war schon häufiger vorgekommen.

Rudi versuchte es ein letztes Mal. “Kriminalpolizei! Machen Sie die Tür auf!”, rief er.

Dann trat er sie mit einem wuchtigen Tritt ein. Ich stürmte mit der Waffe in der Hand in die Wohnung. Rudi war mir auf den Fersen.

Es dauerte nur Augenblicke und wir hatten das Apartment abgesucht und gesichert.

„Sie können hereinkommen, Dr. Köppler. Er ist nicht hier”, sagte ich laut. Rudi telefonierte mit den Kollegen der Dienststelle vor Ort. Der Einsatz wurde abgeblasen.

Die Wohnung war verlassen, das war sehr schnell zu sehen. Es gab keine Kleidung im Kleiderschrank, keine Zahnbürste, nichts an persönlichen Dingen.

Nicht einmal Staub hatte Jonas Bölden hinterlassen, denn überall war ordentlich sauber gemacht worden.

„Ich fürchte, wir sind zu spät gekommen”, stellte ich fest. Und als ich Melanie Köpplers suchenden Blick bemerkte, fügte ich noch hinzu: ”Sehen Sie sich ruhig um, wenn Sie hier noch eine Spur entdecken, aus der man irgend etwas herauslesen könnte, dann sind Sie nicht nur Profilerin, sondern auch Hellseherin.”

„Da muss ich Ihnen leider Recht geben.”

„Wenn wir Pech haben, ahnt er, dass wir hinter ihm her sind und dann wird es sehr schwer, ihn zu finden”, meinte Rudi.

„Nein, ich glaube, der zentrale Punkt sind die Schwierigkeiten, die er in seinem Laborjob hatte”, glaubte Melanie Köppler. „Keine Ahnung, was da vorgefallen ist, aber die Kirschbaums deuteten da ja so etwas an.”

„Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz”, meinte Rudi.

„Ganz einfach: Jonas Bölden hat das Blut von Janina Dachelmeyer in diesem Labor aufbewahrt. Aber in dem Augenblick, als er seinen Job verlor, hätte er zu dieser Plasma-Probe keinen Zugang mehr gehabt.”

„Deswegen musste er die Lagerung dort beenden”, stellte ich fest.

„Und damit ist vielleicht auch ein gewisser Druck entstanden, die Plasma-Probe jetzt für den Zweck zu benutzen, für den er sie vorgesehen hatte”, ergänzte Melanie Köppler und ließ dabei ihren Blick kurz von mir zu Rudi schweifen. „Verstehen Sie mich jetzt, Herr Meier?

Rudi hob die Augenbrauen. „Vollkommen.”

„Jedenfalls werden wir so schnell wie möglich mit jemandem dort sprechen müssen.”

An der Tür war ein Geräusch zu hören. Ein Mann betrat die Wohnung und sah uns etwas erstaunt an: Ein hagerer Mittfünfziger mit erstaunlich vollem Haar und einem Schnauzbart, der seine Lippen komplett überdeckte. „Was...?”

Weiter kam er nicht. Zu überrascht war er.

Ich hielt ihm meine ID-Card entgegen. „Kubinke, BKA. Meine Kollegen und ich sind auf der Suche nach Herrn Jonas Bölden.”

„Der wohnt hier schon länger nicht mehr.”

„Sein Name steht noch an der Tür.”

„Ja und seine Miete müsste er eigentlich auch noch zahlen. Der ist einfach auf und davon. Von einem Tag zum anderen.”

„Sie sind der Vermieter?”

„Richtig. Mir gehört das Haus.” Er deutete zur Tür. „Und wer kommt jetzt für den Schaden auf?”

„Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen“, versicherte ich.

„Na, das will ich hoffen.”

*



Wir versuchten, jemanden in dem Labor zu erreichen, in dem Jonas Bölden gearbeitet hatte.

Aber dazu war es wohl einfach zu spät. Nach Jonas Bölden wurde jetzt jedenfalls gefahndet.

Das Phantombild wurde über die Medien in Umlauf gebracht.

Kriminaldirektor Hoch hatte das so entschieden. Auch deshalb, um weitere potentielle Opfer zu schützen. Denn auch wenn es sicher einige Zeit dauern würde, bis die Nachricht von dem irren Killer mit der Y-Narbe sich wirklich so weit verbreitet hatte, war es auf der anderen Seite doch auch möglich, dass die Frau, die sich der Täter als nächstes ausgesucht hatte, sich nicht mehr so einfach von ihm ansprechen ließ.

 

Andererseits gingen solche Meldungen im Überangebot der Medien an Sensationen häufig auch vollkommen unter. Selbst Meldungen von angeblichen UFO-Landungen wurden da oft nur noch achselzuckend zur Kenntnis genommen.

Allzu viel versprach ich mir jedenfalls nicht davon.

Ein anderer Effekt machte mir schon etwas größere Sorgen.

Ich fürchtete, dass Jonas Bölden sehr schnell darauf aufmerksam wurde, dass nach ihm gefahndet wurde - und dass er dann untertauchte.

Rudi schaffte es, Herrn Gernot Moorthaler zu erreichen. Moorthaler war der Inhaber des Labors, in dem Jonas Bölden gearbeitet hatte. „Wir können ihn jetzt treffen”, verkündete mein Kollege.

Ich drehte mich zu Melanie Köppler um. „Wir sind es gewöhnt, keinen festen Feierabend zu haben - ich hoffe, Sie auch.”

„Ich weiß gar nicht, was das ist, Herr Kubinke”, gab sie zurück. „Und davon abgesehen, will ich hören, was Herr Moorthaler zu sagen hat.”

“Schon klar.”

Zwanzig Minuten später erreichten wir das Gebäude, in dem das Labor untergebracht war. Ein großzügig angelegter, einstöckiger Flachdachbau in einem Gewerbegebiet am äußersten Rand der Stadt.

Inzwischen hatte die Dämmerung längst eingesetzt. Das Gelände war beleuchtet, uniformierte und bewaffnete Angehörige eines privaten Sicherheitsdienstes patrouillierten herum und sorgten dafür, dass sich kein Unbefugter den Labors nähen konnte. Außerdem gab es Überwachungskameras, die so offensichtlich angebracht waren, dass jedem potenziellen Einbrecher klar sein musste, dass er dabei aufgenommen wurde.

Moorthaler empfing uns in seinem Büro.

“Guten Tag.”

“Tag.”

“Was kann ich für Sie tun?”

“So einiges.”

Ich zeigte meine Ausweis.

“Okay...”

Der Inhaber und Geschäftsführer hatte um diese Zeit offenbar noch zu tun. Ansonsten schien nirgendwo in dem Gebäude noch gearbeitet zu werden.

„Harry Kubinke, BKA”, stellte ich mich vor. „Meine Kollegen und ich sind wegen Jonas Bölden hier. Sie haben mit Herr Meier gesprochen.” Dabei deutete ich auf Rudi.

“Ah ja...”

“Wir haben ein paar Fragen”, sagte Rudi.

„Setzen Sie sich”, sagte Moorthaler. „Sie haben Glück, mich noch anzutreffen. Aber es gibt da ein paar Dinge in den Büchern, die unbedingt gemacht werden müssen und deswegen muss ich mir hier den Abend um die Ohren schlagen, anstatt zum Kegeln zu gehen.” Er lachte. „Wenn ich mit den Jungs unterwegs bin, nehme ich nämlich grundsätzlich kein Handy mit.” Moorthaler klappte sein Laptop zu und lehnte sich etwas zurück. „Ich hoffe, die Sicherheitsleute haben Ihnen keine Schwierigkeiten gemacht.”

„Nein, haben sie nicht. Aber ich muss schon sagen, ich bin etwas überrascht davon, wie groß Ihr Aufwand in dieser Hinsicht ist.”

„Also die Blut- und Urin-Proben, die wir für diverse Ärzte und Kliniken untersuchen, sind sicher nicht gerade das, was Kriminelle haben wollen. Und die Blutspende, die wir im Auftrag verschiedener Organisationen lagern, auch nicht. Aber wir führen hier auch Forschungsreihen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten durch, bei denen es um die Wirkung von Opiaten und Psychopharmaka geht. Und das bedeutet natürlich, dass wir solche Stoffe auch in den Labors haben - und allein schon die diesbezüglichen Gerüchte, da wäre vielleicht was zu holen, lockt Süchtige an, die glauben, sie könnten sich hier einfach mal bedienen. Da hatten wir leider in den letzten Jahren mehrere Vorfälle.”

„Wir sind wegen Jonas Bölden hier”, sagte ich. „Er wird in Zusammenhang mit einer Reihe von Morden gesucht.”

„Oh, mein Gott...”

„Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?”

„Als ich ihn rausgeworfen habe. Das ist gut zwei Wochen her.”

„Was war der Anlass dafür, ihn rauszuwerfen?”

„Er war an den Medikamenten. Ich sagte Ihnen ja gerade, dass wir hier Analysereihen im Rahmen von Forschungsprojekten durchführen. Er hat sich was von den Tranquilizern genommen, deren chemische Wechselwirkung wir mit einigen anderen Substanzen untersuchen, die üblicherweise dazu benutzt werden, um Präparate haltbarer oder angenehmer in der Darreichung zu machen.”

„Ich gehe davon aus, dass er solche Medikamente auch von seinem Arzt verschrieben bekommen hat.”

„Er brauchte offenbar mehr davon. Und es war das zweite Mal. Ich bin ja kein Unmensch, Herr Kubinke, aber es gibt ein paar Regeln hier, die streng eingehalten werden müssen. Und ich bin da schon sehr tolerant gewesen. Aber jetzt war das Maß einfach voll. Er war nicht mehr tragbar. Auch wegen unserer Kunden nicht. Denn einer unserer Auftraggeber hat unglücklicherweise von dem Vorfall erfahren, da konnte ich auch nichts mehr unter den Teppich kehren.”

„Das würde auch niemand von Ihnen erwarten”, sagte ich.

„Naja, ich meine ja nur... Jonas Bölden hatte es nicht so ganz leicht im Leben. Ich war von Anfang an skeptisch, als er hier angefangen hat - zusammen mit einem Freund. Die kannten sich aus der Schule. Der hat immer ein bisschen auf ihn aufgepasst. Aber die ersten Jahre hat ja auch alles einwandfrei geklappt. Jonas hat gute Arbeit geleistet und man konnte sich immer auf ihn verlassen.”

„Dieser Freund - arbeitet der immer noch hier?”

„Ja.”

“Wie heißt er?”

“Markus Götzner.”

„Es wäre schön, wenn wir auch mit Herr Götzner sprechen könnten. Er kennt Jonas Bölden doch wahrscheinlich besser als jeder andere.”

„Da könnten Sie recht haben. Allerdings ist Götzner zur Zeit im Urlaub. Irgendwas Fernes. Bergwandern in Nepal oder sowas. Er hat ein Faible für die Gegend.”

„Wann kommt er zurück?”

„In drei Wochen. Er macht das schon seit Jahren so, nimmt den gesamten Urlaub am Stück und verschwindet dann in irgendein einsames Bergtal oder ein buddhistisches Kloster. Und dass er in der Zeit für niemanden zu erreichen ist, ist seiner Meinung nach kein technisches Manko, sondern der größte Luxus, den man sich heute erlauben kann!”

„Da hat er vielleicht gar nicht mal so Unrecht”, musste ich zugeben.

“Na sehen Sie! Ich als sein Chef habe diesen Luxus nicht!”

“Augen auf bei der Berufswahl.”

“Sie sagen es.”

“Naja.”

Was Markus Götzner betraf, da war nichts zu machen, was sehr bedauerlich war. Jemand, der Jonas Bölden wirklich gut kannte, hätte uns vielleicht helfen können, ihn schneller zu finden.

Aber diese Hoffnung konnten wir wohl begraben.

„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen”, sagte Herr Moorthaler. „Soweit ich gehört habe, weiß nicht einmal sein Pflegevater, wohin Jonas verschwunden ist...”

„Es gibt noch ein paar Fragen, die ich hätte”, meldete sich jetzt Melanie Köppler zu Wort.

Moorthaler nickte ihr zu. „Bitte!”

„Haben Sie in Ihrem Labor Tierblut?”

Moorthaler sah Melanie Köppler etwas irritiert an.

“Ist das eine ernsthafte Frage?”

“Natürlich.”

„Natürlich haben wir hier Tierblut-Präparate. Jede Menge sogar! Zu unseren Kunden gehören Tierarztpraxen, Schweinezüchter, Besitzer von Rennpferden, die Blutwerte ihrer Galopper überprüfen wollen und so weiter und so fort.”

„Sie sprachen gerade von Schweinezüchtern. Also gibt es hier auch Schweineblut.”

„Ja.”

„Hatte Jonas Bölden dazu Zugang?”

„Natürlich! Das gehörte zu seinem Job!”

„Hätte er sich davon etwas nehmen können, ohne dass es aufgefallen wäre?”

Moorthaler atmete tief durch. Er öffnete den ersten Hemdknopf und lockerte die Krawatte. Die Sache wurde ihm jetzt offenbar langsam doch ein bisschen zu heiß.

Konnte ich verstehen.

Zumindest ein wenig.

Er fragte: „Worauf wollen Sie hinaus?”

„Es will Ihnen niemand einen Vorwurf machen und wir sind auch nicht daran interessiert, Ihnen einen Strick daraus zu drehen, falls irgendwelche Sicherheitsrichtlinien nicht eingehalten worden sein sollten”, mischte ich mich ein. „Es geht hier einzig und allein darum, jemanden zu stoppen, der vielleicht plant, noch weitere Frauen zu töten.”

Moorthaler schluckte. „Also - rein theoretisch - wäre das natürlich denkbar”, gab er zu. „Unsere Mitarbeiter müssen absolut vertrauenswürdig sein. Deswegen habe ich ihn ja schließlich auch rausgeworfen!” Er rang nach Luft.

„Eine letzte Frage”, kündigte Melanie Köppler unterdessen an.

Moorthaler hob die Augenbrauen. „Und die wäre?”

„Ist es möglich, dass Jonas Bölden hier im Labor menschliches Blutplasma über zwei Jahre fachgerecht lagern konnte?”

Moorthaler fiel der Kinnladen herunter.

Er schien einen Moment lang nicht in der Lage zu sein, überhaupt etwas zu sagen. „Was wollen Sie damit sagen?”

„Es ist eine einfache Frage, Herr Moorthaler. Der Mörder, den wir suchen, hat vor zwei Jahren einer Frau Blut abgenommen und damit jetzt die Hände seines nächsten Opfers übergossen.”

Moorthaler schluckte. „Wie gesagt, wir können hier all das mit Blut machen, was die moderne Labortechnik hergibt. Und Plasma fachgerecht zu lagern, gehört auch dazu.”

„Dann wäre es also theoretisch möglich”, stellte Melanie Köppler fest.

Blieb nur die Kleinigkeit, dass der DNA-Test noch nicht vorlag. Aber die Profilerin war sich ihrer Sache so sicher, dass sie das nicht weiter zu verunsichern schien.

*



Es war schon dunkel.

Wir waren auf dem Rückweg.

„Wir haben ihn”, sagte Melanie Köppler mindestens schon zum dritten Mal - fast so, als müsste sie sich selbst die letzten Zweifel daran austreiben. „Jetzt geht es nur noch darum, ihn zu finden und zu stoppen.”

„Das könnte schwieriger werden, als wir uns alle wünschen”, meinte Rudi.

„Sie verstehen sich doch beide gut mit Ihrem Chef.”

„Mit Kriminaldirektor Hoch?” Rudi nickte. „Sicher.”

„Dann sollten Sie ihm mal klarmachen, dass jetzt wirklich alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt werden müssen, um den Sack zuzumachen. Dieser Mann ist eine lebende Zeitbombe. Er wird wieder töten, das steht so fest wie das Amen in der Kirche.”

„Ich glaube, Kriminaldirektor Hoch tut, was er kann”, sagte Rudi. „Und wenn er dabei etwas nicht gebrauchen kann, dann sind es Leute, die ihn anzutreiben versuchen.”

„Sie trauen sich nicht, Herr Meier.”

„Nein, das ist Unsinn.”

„Ihr Respekt vor Ihrem Vorgesetzten ist sehr groß und Sie glauben, dass er es als ungerechtfertigte Kritik auffassen würde, wenn Sie ihm eine Empfehlung in der Art zukommen lassen, wie ich es gerade skizziert habe.”

„Dr. Köppler, ich glaube einfach, dass Kriminaldirektor Hoch niemanden braucht, der ihn zu irgend etwas antreibt.”

„Und Sie, Herr Kubinke?”

Ich ging auf ihre Frage nicht ein. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie jetzt versuchte, uns zu manipulieren. Und das kann ich nicht mal dann leiden, wenn es für einen guten Zweck ist.

„Es gibt einen Punkt, über den wir nochmal reden sollten, Dr. Köppler”, sagte ich.

„So?”

„Ja vielleicht können Sie mir das erklären. Sie sind ja die Psychologin.”

„Was ist Ihre Frage?”

„Dieser Kerl hat mitbekommen, wie sein Vater von seiner Mutter umgebracht wurde.”

„Wie der Mann seiner Mutter von ihr umgebracht wurde - das ist ein Unterschied. Vom Vater war im Gespräch mit Schulleiter Großmöller nicht die Rede.”

„Meinetwegen.”

„Aber morgen bekomme ich den Datensatz vom Jugendamt und die Justiz-Akten des Verfahrens gegen die Mutter. Dann werde ich das genau wissen.”

„Der Punkt, auf den ich hinauswill, ist das Messer. Der Junge reagierte auf Blut und auf Messer eigenartig, sagten uns die Kirschbaums.”

„Ja, das ist doch verständlich! Jonas Bölden ist traumatisiert! Stellen Sie sich vor, Sie überraschen Ihre Mutter dabei, wie sie mit blutenden Händen über die Leiche ihres Mannes gebeugt ist! So ähnlich muss man sich das wohl vorstellen. Und diese Tat spiegelt er dann in seinen eigenen Taten.”

 

„Ja, aber warum nimmt er dann eine Schusswaffe? Wieso begeht er seine Morde nicht auch mit einem Messer? An dieser Stelle stimmt doch die Spiegelung nicht, wenn Sie mich fragen.”

Ihre Antwort kam nicht sofort.

Sie schwieg überraschend lang und allein das war für mich schon ein Zeichen dafür, dass ich da wohl doch einen kritischen Punkt in ihrer Theorie erwischt hatte. Und dieser Punkt war an der ganzen Sache noch nicht wirklich stimmig. Zumindest, was meinen psychologischen Laienverstand anging. Im Grunde hoffte ich allerdings, dass Dr. Köppler mir dafür eine überzeugende Erklärung anbot. Denn eigentlich waren alle froh, dass der Täter jetzt scheinbar einen Namen hatte - auch wenn wir noch keine Ahnung hatten, wo er jetzt steckte.

„Ich halte das für keinen Widerspruch”, sagte Dr. Köppler schließlich. „Der Täter will seine Mutter symbolisch bestrafen. Er will eben gerade nicht das tun, was sie getan hat, sondern zeigen, wie beschmutzt sie - und mit ihr offenbar alle Frauen - sind. Darum beschmutzt er die Hände des Opfers mit Blut.”

„Also mich überzeugt das, Harry”, sagte Rudi. „Dich nicht?”

„Doch, doch...”

„Jetzt sind Sie nicht ganz ehrlich, Herr Kubinke. In Wahrheit nagen noch immer Zweifel an Ihrer Seele.” Melanie Köppler sagte das im Ton einer Feststellung. Und vielleicht lag sie da sogar richtig. Sie hatte meine diplomatische Antwort gleich durchschaut. Aber etwas anderes hätte mich hernach betrachtet auch überrascht.

„Eins zu Null für Sie, Dr. Köppler.”

„Es geht nicht um Sport. Es geht auch nicht darum, dass der eine Recht hat und der andere nicht. Es ist gut, wenn Sie zweifeln.”

„Wahrscheinlich eine Berufskrankheit, Dr. Köppler. Das ist kein Zweifel an Ihren Fähigkeiten.”

„Das weiß ich. Und glauben Sie mir, ich zermartere mir mit denselben Zweifel ebenfalls das Hirn. Seit zwei Jahren! Verstehen Sie, was ich meine?”

Ja, das verstand ich. Der Fall hatte sie nicht losgelassen. Und wenn wir es nicht schafften, den Täter zu stellen und er womöglich sogar über Jahre hinweg weiterhin seine grausame Serie fortsetzte, würde es vielleicht auch mich nicht mehr loslassen.

*



Wir fuhren zum Präsidium und verabschiedeten uns von Dr. Köppler.

Dann gingen wir noch zu Kriminaldirektor Hoch, um ihm kurz Bericht zu erstatten. Unser Chef war morgens der Erste und abends der Letzte im Präsidium. Manchmal war seine unerschütterliche, aufopfernde Dienstauffassung schon fast beängstigend.

Wir gaben ihm einen kurzen Bericht über unsere bisherigen Ermittlungen.

Aber auch Kriminaldirektor Hoch hatte Neuigkeiten für uns.

„Der Bericht der Ballistiker liegt vor. Die Waffe, mit der Luisa Mitzmann getötet wurde, ist dieselbe mit der auch alle anderen Opfer dieser Serie umgebracht wurden.”

„Nun, das ist nicht überraschend”, sagte ich.

„Nein, aber wir haben jetzt Gewissheit.”

„Hauptsache, wir kriegen den Kerl bald”, sagte Rudi.

„Hauptsache, er ist auch der Richtige”, meinte ich.

„Sie haben noch Zweifel?”, fragte Kriminaldirektor Hoch.

Ich zuckte mit den Schultern. „Die habe ich doch immer.”

Kriminaldirektor Hoch holte seine Hand aus der Tasche seiner Flanellhose und sah auf die Uhr. „Sie sind lange genug im Dienst gewesen. Es wäre gut, wenn Sie morgen früh beim Meeting einigermaßen ausgeschlafen sind. Also sollten Sie die verbleibenden Stunden dieser Nacht entsprechend nutzen.”

„Jawohl”, sagte ich.

Und eigentlich hätte ich gerne zurückgefragt: ‘Und was ist mit Ihnen?’ Aber Kriminaldirektor Hoch schien meine Gedanken erraten zu haben. Er lächelte mild.

„Ich bin hier auch gleich fertig”, sagte er.

*



Rudi und ich saßen wenig später in dem Dienst-Porsche, den ich normalerweise fuhr.

Wir hatten den weitläufigen Parkplatz auf dem Gelände des Präsidiums kaum verlassen, da erreichte uns ein Anruf.

Genauer gesagt erreichte mich dieser Anruf, denn es war mein Handy, dessen Signalton zu hören war.

Ich nahm das Gespräch über die Freisprechanlage entgegen. Einen Moment lang dachte ich daran, dass es Dr. Köppler war, die vielleicht noch etwas sehr Wichtiges zu dem Fall herausgefunden hatte, was sie unbedingt mitteilen musste.

Aber es war jemand anderes.

Jemand, mit dem ich nun wirklich überhaupt nicht gerechnet hätte.

„Hier spricht Jörn-Erik Domkätz. Sie erinnern sich doch an mich, Herr Kubinke.”

„So lange ist das ja nicht her”, sagte ich.

„Sie haben mir Ihre Karte gegeben und gesagt, ich könnte Sie jederzeit anrufen, falls ich etwas über den Fall zu sagen wüsste.”

„Ja, das habe ich auch so gemeint.”

„Dann sollten wir uns schnellstmöglich treffen.”

„Nun, es ist schon ziemlich spät.”

„Aber es wäre wichtig.”

„Können Sie das nicht am Telefon sagen?”

„Das... möchte ich nicht.”

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi. Gleichzeitig erreichten wir eine Kreuzung mit Ampel und ich musste anhalten. Rudi zuckte mit den Schultern und nickte mir zu. Die Nacht war ohnehin so gut wie vorbei, das schien seine Geste auszudrücken, wenn ich sie richtig deutete. Aber Rudi und ich kennen uns so gut, dass es da in der Regel kein Vertun gibt.

„Also gut”, sagte ich.

Etwas später machten Rudi und ich in der Nähe eines neuen Döner-Fast Food Ladens Halt, der für uns auf dem Weg lag. Wir waren den Tag über kaum dazu gekommen etwas zu essen und hatten dementsprechend großen Hunger. Und wenn Jörn-Erik Domkätz uns sprechen wollte, dann sollte er sich dort hin begeben. Angeblich befand er sich in der Nähe, sodass das Schnellrestaurant für ihn gut und zügig zu erreichen gewesen wäre.

Rudi und ich aßen einiges. Und dann warteten wir. Aber von Jörn-Erik Domkätz war weit und breit nichts zu sehen. „Erst schien es doch so eilig gewesen zu sein”, spottete Rudi.

„Hat anscheinend doch bis morgen Zeit”, gab ich zurück.

„Wenn du mich fragst, dann ist dieser Domkätz einfach nur ein Wichtigtuer, Harry.“

„Ja, da könntest du durchaus richtig liegen.“

“Du wirst sehen!”

“Abwarten.”

„Und noch eins: So einer denkt nicht mal im Traum daran, uns wirklich etwas mitzuteilen, was wir nicht schon wüssten. Dem geht es um ganz andere Dinge.“

„Und was zum Beispiel?“

„Ich denke, es geht ihm darum, etwas von uns zu erfahren. Nicht umgekehrt.”

„Hast du mal überprüft, für welche Medien der eigentlich tätig ist?”

„Hole ich bei Gelegenheit nach.”

Etwas später erreichte mich dann ein weiterer Anruf von Jörn-Erik Domkätz. „Tut mir leid, Herr Kubinke, aus unserem Treffen wird heute nichts mehr.”

„Was ist passiert? Sagen Sie nicht, Sie hätten plötzlich das Interesse an dem Fall verloren.”

„Es hat hier einen Unfall gegeben und ich stecke im Stau. Selbst wenn es hier irgendwann weitergeht, müsste ich einen weiten Umweg fahren, um zu der Adresse von diesem Italo-Fast-Food-Laden zu gelangen, die Sie mir genannt haben.”

„Vielleicht wollen Sie mir ja doch am Telefon sagen, was Sie mir mitteilen wollten.”

„Ich denke, wir verschieben das einfach, Herr Kubinke.”

„Wenn Sie mir wichtige Informationen vorenthalten, helfen Sie damit dem Täter und tragen vielleicht mittelbar dazu bei, dass der weitere Morde begehen kann.”

Auf der anderen Seite der Leitung herrschte einige Augenblicke lang Schweigen. Erst dachte ich, dass da vielleicht noch etwas kommen würde. Aber es kam nichts.

„Ich glaube nicht, dass irgend etwas den Täter so schnell aufhalten kann”, sagte er dann. „Er hat alle Trümpfe in der Hand, weil er unerkannt und aus dem Verborgenen heraus zuschlagen kann.”

„Nun...”

„Bis demnächst, Herr Kubinke. Ich melde mich wieder.”

Er beendete das Gespräch.

„Ein seltsamer Anruf”, lautete Rudis Kommentar.

„Das kannst du laut sagen, Rudi.”

Wahrscheinlich war es tatsächlich so, dass Jörn-Erik Domkätz nichts an neuen Fakten oder interessanten Rechercheergebnissen vorzuweisen hatte. Das war ein Lockmittel gewesen. Ein Köder, auf den wir auch prompt reagiert hatten.

Wir gingen zurück zum Dienst-Porsche, stiegen ein und fuhren weiter. Bis zu der Ecke, an der ich Rudi immer absetzte, waren es nur noch ein paar Minuten.

„Eins ist seltsam”, meinte Rudi.

„Wovon sprichst du?”

„Das Phantombild von Jonas Bölden ist doch draußen!”

„Ja.”

„Das heißt, alle Medien, alle Presseverteiler, alle Journalisten, die die entsprechenden Newsletter beziehen und so weiter und so fort, haben das Bild.”

„Aber bis das durch die Redaktionen gegangen ist, dauert es immer etwas. Und du weißt ja, wie bescheiden solche Maßnahmen sind, was ihre Wirkung betrifft. Wahrscheinlich auch deswegen, weil es viel zu oft geschieht, dass irgendwelche Phantombilder rundgeschickt werden und kaum noch jemand darauf achtet.”

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