Elbkiller: 7 Hamburg Krimis

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3. Kapitel

In den Kellern der Gerichtsmedizin herrschte nach der bereits gestiegenen Außentemperatur eine angenehme Kühle. Cornelius Brock wusste jedoch, dass es nicht lange dauern würde, bis daraus Frösteln werden würde. Der Aufenthalt in diesen Räumen gehörte nicht gerade zu seinen angenehmsten Pflichten. Doch sie ließ sich leider nicht umgehen.

Doktor Bernd Fischer, der Pathologe, stand bereits am Seziertisch. Brock blieb in einigem Abstand stehen. Er hielt sich ein Taschentuch vor die Nase, denn die Lüftung konnte den Geruch nicht vollständig verdrängen.

„Sie können ruhig näherkommen, der tut Ihnen nichts mehr!“, rief Fischer ihm zu.

„Danke, doch ich kann von hier aus genügend sehen.“

Brock versuchte, sich nur auf den Pathologen zu konzentrieren und die Leiche aus seinem Gesichtsfeld auszublenden. Fischer trug einen langen weißen Kittel mit einigen Flecken, deren Herkunft Brock lieber nicht wissen wollte. Unter dem Kittel war eine merkwürdig karierte Hose zu sehen. Die Füße des Arztes steckten in durchsichtigen Plastiküberzügen.

„Sind das Golfschuhe?“, fragte Brock verwundert.

Fischer sah an sich hinunter und grinste. „Wenn ich mit diesem Patienten fertig bin, fahre ich auf den Golfplatz. Das ist der Ersatz für den halben Sonntag, den ich gestern in Ihrer Gesellschaft verbracht habe. Außerdem ist am Montag nicht viel auf dem Platz los. Ich stehe mit meinem Spiel noch am Anfang, und es ist frustrierend, wenn man ständig von Golfern überholt wird, die einem mitleidig zulächeln.“

Brock nickte verständnisvoll und wandte rasch den Blick ab, als Fischer irgendetwas Glitschiges aus dem Körper hob und auf eine Waage legte.

„Können Sie mir schon etwas Hilfreiches über den Toten sagen?“

„Ich habe mir als Erstes das Hämatom angesehen. Er ist von dem berühmten stumpfen Gegenstand getroffen worden. Ich bin allerdings sicher, dass es sich um eine Art Rohr von etwa fünf Zentimeter Durchmesser gehandelt hat. Der Hieb damit war kräftig, aber nicht tödlich. Immerhin hat er gereicht, eine tiefe Wunde zu verursachen und den Mann für einige Zeit ins Reich der Träume zu schicken. Ich habe allerdings festgestellt, dass dieser Hieb eine ganze Weile vor der Stichwunde stattfand.“

„Gut. Was hat ihn getötet? Der Stich im Nacken?“

Der Pathologe runzelte die Stirn. „Dieser Stich hat Holler in der Tat getötet. Ich habe jedoch keine Ahnung, welche Waffe dafür verantwortlich war. Ich würde sagen, es war eine Art langer Dolch mit einer zweischneidigen Klinge, die von der Spitze zum Schaft hin rasch breiter wurde. Ich habe schon einige Stichwunden gesehen, aber eine solche noch nie.“

„Sie meinen, es war eine eher exotische Waffe?“

Brock dachte sofort an die Sammlung seltener und antiker Waffen, die er bei Anton Holler gesehen hatte. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, etwas gesehen zu haben, das der Beschreibung des Pathologen ähnelte. Er musste unbedingt einen zweiten Blick auf die Sammlung werfen.

„Wenn Sie mir das Ding zeigen, kann ich Ihnen sagen, ob es die Mordwaffe war. In meinem Bericht wird die Rede von einer unbekannten Stichwaffe sein. Außerdem kann ich Ihnen sagen, dass es keine schwache Person war, die dem Opfer den Dolch in den Nacken gerammt hat. Die Wirbelsäule wurde durchstoßen, sodass unser Opfer sofort tot war. Dafür war ein ziemlicher Kraftaufwand nötig.“

„Wie sieht es mit dem Todeszeitpunkt aus?“

„Das hängt von vielen Faktoren ab. Ich würde mich auf die Nacht vom Freitag auf Samstag oder auf den frühen Samstagmorgen festlegen. Es sind noch nicht alle Tests abgeschlossen. Eines ist jedoch sicher. Der Mann war schon längere Zeit tot, als er an diesem Fenster befestigt wurde.“

„Ich warte auf Ihren Bericht und wünsche Ihnen eine erfolgreiche Golfpartie“, sagte Brock und wollte den Raum verlassen.

„Da wäre noch etwas.“

Brock drehte sich zu dem Pathologen um. „Ja?“

„Ich habe Spuren von Fesselungen an den Händen und Füßen entdeckt. Zwei frische Einstiche zeigen, dass man ihm etwas gespritzt hat, vielleicht Drogen oder Betäubungsmittel.“

„Das ist wohl nicht überraschend. Man hat ihn ruhig gestellt, bis man ihn getötet hat, um ihn an das Fenster zu kleben.“

Doktor Fischer schüttelte düster den Kopf. „Er wurde gefoltert. Ich habe Anzeichen entdeckt, dass man ihn einer Art Waterboarding unterzogen hat. Sie wissen schon, das ist …“

„Ich weiß, was das ist“, unterbrach ihn der Hauptkommissar. „Das gefällt mir überhaupt nicht. Es sieht danach aus, als hätte er etwas gewusst, was ein anderer unbedingt erfahren wollte. Unsere Rachehypothese müssen wir wohl noch mal überdenken.“

Brock verspürte allmählich ein leichtes Würgen und beeilte sich, aus dem Raum zu kommen. Draußen atmete er die frische Luft tief ein.

*

Zurück im Büro, wartete seine Vorgesetzte und zuständige Abteilungsleiterin bereits auf ihn: Erste Hauptkommissarin Birgit Kollmann. Sie war ebenso alt wie Brock, hatte ihre Karriere aber irgendwie an ihm vorbeigeführt. Sie besaß durchaus praktische Erfahrung, hatte ihre Ausbildung zur gleichen Zeit wie Brock gemacht und sich anschließend bei den hohen Tieren schnell beliebt gemacht. Nicht durch Speichelleckerei, wie es viele andere versuchten, sondern durch ihre Begabung, komplizierte Sachverhalte mittels PowerPoint-Software in anschauliche Grafiken, Tabellen und Übersichten zu verwandeln.

Ihre speziellen Präsentationen beschäftigten sich viel mit Effizienz, Kostenreduzierung und Personalplanung. Das kam oben gut an und war schon bis zum Präsidenten vorgedrungen.

In der Abteilung lautete ihr Spitzname PPK – so wie die Bezeichnung der Walther PPK, der früheren Dienstwaffe der Hamburger Polizei, die jetzt durch das moderne Modell Walther P99 ersetzt worden war.

Birgit Kollmann war der Spitzname natürlich zu Ohren gekommen, und sie vermutete, dass damit ihre Präzision, ihre Genauigkeit und ihre Zielsicherheit gemeint waren. In Wirklichkeit stand das Kürzel ganz simpel für PowerPoint Kollmann. Das jedoch wollte ihr niemand verraten.

Sie stand in der Tür ihres abgetrennten Büros mit den verglasten Wänden und winkte Brock heran.

„Hallo, Birgit!“

Sie kannten sich schon seit der Ausbildung und begannen sich zu duzen, als sie eine Zeit lang den gleichen Rang hatten.

„Hallo, Conny!“

„Du weißt, dass ich diese Abkürzung nicht mag.“

Sie hob nur die Schultern, und er folgte ihr. Sie nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz, der mit Aktenstapeln vollgestellt war, und deutete auf einen der unbequemen Stühle, die davor standen.

Birgit Kollmann war schlank und groß. Sie hatte ein offenes Gesicht, das Vertrauen ausstrahlte, grüne Augen, in denen Humor aufblitzte, und eine etwas zu groß geratene Nase über vollen Lippen. Eine aschblonde Kurzhaarfrisur krönte das Ganze. Heute war sie konservativ gekleidet: grauer Rock, weiße Bluse, darüber eine kurze Jacke.

„Ich habe die Fotos aus der Elbphilharmonie gesehen“, begann sie. „Das sieht nach einem interessanten Fall aus, und ich möchte gleich vorausschicken, dass uns hier allerhöchste Aufmerksamkeit zuteilwird.“

Sie hob einen Finger und deutete nach oben zur Decke. „Unser leitender Direktor ist offenbar ein guter Bekannter von Anton Holler.“

„Du hast dich ja schnell in die Akten vertieft!“, wunderte sich Brock.

„Nachdem ich vor einer Stunde den ersten Anruf bekommen habe, wie die Ermittlungen vorangehen. Ich habe zugesagt, dass wir gute Fortschritte machen. Stimmt das?“

„Der Flurfunk ist doch immer schneller als der offizielle Dienstweg“, stellte Brock fest.

„Also, was haben wir?“

Brock schilderte die bisherigen Erkenntnisse. Als er bei dem Zusammenprall der beiden Motorboote angekommen war, verfinsterte sich die Miene von Birgit Kollmann.

„Du willst im Gegensatz zu der damaligen Aufklärung des Falles behaupten, dass unser Opfer selbst ein Mörder ist?“

Brock nickte entschuldigend. Sie starrte ihn an.

„Wie sicher bist du?“

„Die Sachlage ist eindeutig. Sieh dir die Aufzeichnung an.“

Sie biss auf ihre Unterlippe, wie sie es immer machte, wenn ein Problem auftauchte, das nicht sofort lösbar war.

„Das wird Anton Holler nicht gefallen, und damit auch unserem Direktor nicht. Wir müssen uns sehr warm anziehen und dürfen keine Fehler machen.“

„Das ist mir schon klar“, bestätigte Cornelius Brock. „Ich werde als Nächstes prüfen, welche Beziehung zwischen Markus Holler und dem Opfer vom letzten Jahr bestand. Mit der Familie muss ich natürlich auch reden.“

„Aber bitte mit allergrößter Zurückhaltung!“

„Sicher. Du kennst mich doch.“

„Eben!“

*

Kommissaranwärter Horst Spengler gab die Kennzeichen der Fahrzeuge ein, die er in der Garage der Elbphilharmonie notiert hatte. Gleich beim zweiten Wagen gab sein Computer aufgeregte Zeichen von sich.

Der Passat war als gestohlen gemeldet worden!

Spengler vertiefte sich in die Angaben. Der Besitzer des PKWs, Dieter Schmitz, hatte sein Auto in der Nacht zum Samstag als gestohlen gemeldet. Er war der Besitzer einer Kneipe namens Elbklause. Sie befand sich in einer Seitenstraße der Elbchaussee in der Nähe des Fähranlegers Teufelsbrück. Er hatte seinen Laden gegen zwei Uhr geschlossen und da stand sein Wagen, der wie immer seitlich vom Haus geparkt war, nicht mehr an seinem Platz.

Spengler griff zum Telefon und rief die Spurensicherung an. Sie versprachen, sich sofort um den Wagen zu kümmern und gründlich zu untersuchen. Dann lehnte er sich zurück und dachte nach.

 

Falls es sich um das Fahrzeug handelte, mit dem die Leiche transportiert worden war, würden Spuren zu finden sein. Weiter ließ es den Schluss zu, dass Markus Holler in der Nähe dieser Kneipe ermordet worden war. Na ja, zumindest war das eine Arbeitshypothese. Mit diesem Herrn Schmitz mussten sie sich unbedingt unterhalten.

Als Nächstes musste er sich die Boote vornehmen. Drei kamen nach Angabe der Wasserschutzpolizei infrage. Er versuchte, die Besitzer der Boote zunächst am Telefon zu erreichen.

Der Inhaber von Antje, das Boot, das im Hafen von Moorfleet lag, versicherte ihm, dass es sich zurzeit mit ausgebautem Motor auf einer kleinen Reparaturwerft befand. Er gab Spengler die Adresse und stellte ihm frei, sich das Quicksilver-Boot jederzeit dort ansehen zu können.

Er schob die Überprüfung der Angaben zunächst auf und kümmerte sich um das nächste Boot. Sein Name war Anna, und es sollte im Jachthafen bei Wedel liegen. Nach den Unterlagen gehörte es einem Anwalt, der im Stadtteil Nienstedten in der Nähe des Hirschparks wohnte. Sein Name war Kurt Berghoff.

Spengler rief die private Telefonnummer an.

„Berghoff“, meldete sich eine weibliche Stimme.

„Hier ist die Kriminalpolizei. Spengler ist mein Name.“

Ein leises Schluchzen unterbrach seine Vorstellung. „Ihr Kollege hat uns gestern schon unterrichtet.“

Spengler stutzte. „Worüber wurden Sie unterrichtet?“

„Über den Tod meines Bruders natürlich.“ Das Schluchzen verstärkte sich.

Spengler schnallte es immer noch nicht. „Das tut mir leid. Wie heißt denn Ihr Bruder?“

Jetzt klang die Stimme wütend. „Das müssen Sie doch wissen! Markus Holler natürlich.“

Spengler wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Die überraschende Wendung hatte ihn ohne Vorwarnung getroffen.

„Ich … äh … wollte eigentlich Ihren Mann wegen seines Bootes …“

Jetzt kreischte die Stimme. „Wegen seines Bootes? Sind denn alle komplett verrückt geworden!“

Das Gespräch war unterbrochen. Spengler hielt den Hörer in der Hand und dachte nach. Insgeheim musste er ihr recht geben. Aus ihrer Perspektive war ein Anruf der Kriminalpolizei, bei dem es um ein Boot ging, in dieser Situation äußerst verwirrend.

Immerhin war er durch diesen Anruf auf eine Verbindung gestoßen, auf die er im Traum nicht gekommen wäre. Wenn Frau Berghoff die Schwester von Markus Holler war, dann war ihr Mann sein Schwager. Was also hatte das Boot des Schwagers nach dem Mord auf der Elbe zu suchen?

Hier half nur ein persönlicher Besuch mit einer Erklärung für seinen Anruf. Jetzt war es noch viel dringlicher, mit dem Mann zu reden. Doch vorher war es wohl ratsamer, sich mit dem Hauptkommissar zu unterhalten.

*

Cornelius Brock fand die Zufahrt zur Hollerschen Villa auf Anhieb. Er parkte seinen Dienstwagen vor den Garagen, direkt hinter einem silberfarbenen Jaguar, der ihm bei seinem ersten Besuch schon aufgefallen war. Er bewunderte kurz die elegante Linienführung, bevor er ausstieg.

Er wurde wieder in das Arbeitszimmer von Anton Holler geführt. Der Patron würde in wenigen Minuten hier sein, informierte ihn die Hausangestellte und ließ ihn allein.

Diesmal richtete er seine Aufmerksamkeit sofort auf die Vitrine mit den Messern und Dolchen. Eine merkwürdig geformte Waffe zog seinen Blick magisch an. Er beugte sich über die Vitrine, um den Dolch näher in Augenschein zu nehmen. Er war ihm bei seinem ersten Besuch noch nicht aufgefallen.

Die Klinge entsprach der Beschreibung des Pathologen; eine von der Spitze bis zum Griffstück immer breiter werdende keilförmige Waffe. Über der Parierstange befanden sich zwei übereinanderliegende parallele Metallgriffe, die an jeder Seite an einer circa zwanzig Zentimeter langen weiteren Stahlstrebe befestigt waren.

Anton Holler trat neben ihn. Brock hatte ihn nicht kommen hören.

„Das ist ein Kattar, ein indischer Faustdolch. Die Faust umfasst die beiden Griffstangen, während die seitlichen Streben dem Schutz der Hand und des Armes dienen. Damit wird der Dolch zu einer Verlängerung des Unterarms, und es können sehr starke Stöße damit ausgeführt werden. Diese Waffen wurden in Indien jahrhundertelang benutzt. Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie, dass die Spitze etwas verdickt ist. Dadurch wurde es möglich, einen Kettenpanzer zu durchstoßen.“

Dann wäre ein Knochen sicher kein Problem gewesen, dachte Brock und stellte sich vor, wie eine solche Stichwaffe mühelos Wirbelsäule und Rückenmark durchtrennte.

„Ich würde mir die Waffe gern näher ansehen“, sagte Brock.

Holler ging zu seinem Schreibtisch und nahm einen kleinen Schlüssel aus einer Federschale.

„Wegen des Kleinen“, erklärte er entschuldigend und schloss die Vitrine auf.

Jeder in diesem Haus hätte also an die Waffe kommen können, registrierte Brock.

Holler wollte in die Vitrine greifen, als Brock ihm in den Arm fiel. „Bitte nicht anfassen!“

Er zog ein Paar Baumwollhandschuhe an, die er immer bei sich trug, und hob den Faustdolch heraus. Er war schwerer als gedacht. Auf den ersten Blick war auf der Klinge nichts festzustellen. Das musste im Labor überprüft werden. Aus einer weiteren Tasche brachte er einen Beweismittelbeutel zutage und ließ die Waffe darin verschwinden.

„Sie bekommen eine Quittung“, sagte Brock.

Holler sah ihn sprachlos an.

„Gibt es irgendeinen Zusammenhang mit dem Mord an meinem Sohn?“, fragte er schließlich mit brüchiger Stimme.

Brock ging auf die Frage nicht ein. „War der Dolch die ganze Zeit über in der Vitrine oder wurde er von jemandem herausgenommen?“

Holler schüttelte den Kopf. „Das weiß ich nicht. Ich überprüfe die Vitrine nicht jeden Tag.“

„Lassen Sie uns setzen. Ich habe noch ein paar Fragen.“ Brock schob den Reeder zu einem der Sessel.

Holler schien geschockt von der Vorstellung, dass eine seiner seltenen Waffen möglicherweise zur Mordwaffe geworden war.

„Erzählen Sie mir doch ein wenig von Ihrem Geschäft“, versuchte Brock ihn abzulenken.

„Die Reederei existiert schon seit einigen Generationen. Sie ist immer ein Familiengeschäft geblieben. Von Anfang an spielten Verbindungen nach Südamerika eine große Rolle. Das ist auch heute noch so.“

„Was transportieren Sie mit Ihren Schiffen?“, fragte Brock.

„Wir besitzen zwei kleinere Containerschiffe und ein Kühlschiff, das vor allen Dingen Obst und Fleisch aus Brasilien und Argentinien bringt. Außerdem besitzen wir noch zwei kleine Küstenfrachter, die im Regionalverkehr eingesetzt werden, also in der Nord- und Ostsee.“

„Ihr Sohn Markus war in das Geschäft eingebunden?“

Holler nickte trübsinnig. „Ich wollte ihn zu meinem Nachfolger aufbauen. Es war immer schon Tradition, dass der älteste Sohn das Geschäft übernimmt.“

„Ist sonst jemand aus Ihrer Familie in der Reederei beschäftigt?“

„Ja. Mein Neffe Tim arbeitet in der Lagerverwaltung und macht dort einen guten Job. Irgendwann werde ich ihn befördern müssen. Und Daniel …“

Holler seufzte. „Mein jüngster Sohn hat die Arbeit leider nicht erfunden. Er erledigt einige leichte Aufgaben in der Reederei, doch ich konnte ihn noch nicht dazu bringen, eine vernünftige Ausbildung abzuschließen oder eine regelmäßige Arbeit auszuführen.“

„Wann haben Sie Markus zum letzten Mal gesehen?“

Holler überlegte kurz. „Das war am vergangenen Freitag. Er kam am frühen Nachmittag in mein Büro und fragte, ob er früher Schluss machen könne. Ich hatte nichts dagegen.“

„Hatten Sie den Eindruck, dass irgendetwas anders war? Wirkte er nervös oder angespannt? Hat er einen Grund dafür genannt, dass er früher gehen wollte?“

Holler schüttelte den Kopf. „Ich nahm an, dass er sich mit Freunden treffen wollte oder etwas Ähnliches.“

„Ich würde gern sein Zimmer sehen.“

„Sein Zimmer?“ Holler lächelte flüchtig. „Markus wohnt schon längere Zeit nicht mehr bei uns. Er hat eine Eigentumswohnung in Eimsbüttel.“

„Nach unseren Unterlagen ist er aber hier gemeldet.“

Holler hob die Schultern. „Dann hat er die Ummeldung wohl vergessen.“

Er zog eine Schublade auf. „Ich verfüge über einen Schlüssel, den können Sie vorerst haben.“

Brock biss sich auf die Lippen. Es gab doch immer wieder Überraschungen. Sie mussten sich schnellstens die Wohnung ansehen!

„Im letzten Jahr war Ihr Sohn in einen Unfall auf der Elbe verwickelt. Können Sie mir dazu Näheres sagen?“

Anton Holler sank stärker in sich zusammen. „Das war eine furchtbare Tragödie. Der Unfall hat Markus sehr mitgenommen. Er hatte sich bis heute nicht richtig davon erholt. Man passt einen kurzen Moment nicht auf, und dann verändert dieser Moment dein Leben. Er musste seinen Bootsführerschein abgeben und hat die Yacht anschließend verkauft.“

„Es ist nie zu einem Prozess gekommen, oder?“

„Nein, wir haben uns mit der Familie außergerichtlich geeinigt. Sie erhielten eine ziemlich hohe Abfindung. Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht unglücklich darüber waren, dass sie diesen Frank Altmann los waren. Soweit ich weiß, war er eine große Belastung für seine Familie.“

Das Rachemotiv wird immer dünner, dachte Brock, schrieb die neue Adresse von Markus Holler in sein Notizbuch und erhob sich. „Mit wem im Haus kann ich denn noch reden?“

„Meine Frau ist wahrscheinlich in der Küche, und Daniel … Der wird in seinem Zimmer im Obergeschoss sein. Tim wollte nicht hierbleiben, sondern ist wie üblich zur Arbeit gegangen.“

„Wo kann ich ihn finden?“

„Wir haben schon lange einen älteren Lagerschuppen drüben in Steinwerder. Tim ist dort sozusagen der Chef. Unser Kontor ist allerdings am Fischmarkt.“

Kontor?, dachte Brock. Eine hanseatische Traditionsfirma pflegt eben auch die alten Begriffe.

„Das Ehepaar mit dem kleinen Sohn – sie leben wohl auch nicht hier, oder?“

Holler schüttelte den Kopf. „Sie meinen meine Tochter Maria. Sie ist mit Kurt Berghoff verheiratet, einem Anwalt. Sie wohnen in Nienstedten. Warten Sie, ich muss hier irgendwo eine Visitenkarte haben.“

Er ging zum Schreibtisch und kramte darauf herum, bis er die gesuchte Karte fand und sie Brock in die Hand drückte. „Hier ist die Adresse.“

Brock verabschiedete sich und ließ den Patriarchen allein mit seiner Trauer. Hollers Frau Elisabeth fand er tatsächlich in der Küche. Sie saß an einem großen Holztisch, der mit allerlei Lebensmitteln beladen war. Als Brock eintrat, hob sie den Kopf und sah ihn mit tränennassen Augen an.

„Wie konnte das nur geschehen?“, flüsterte sie.

„Ich möchte Ihnen mein Mitgefühl ausdrücken“, sagte Brock. „Leider muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Das lässt sich in solchen Fällen nicht vermeiden.“

Elisabeth Holler wischte sich über die Augen. „Fragen Sie!“

„Ist Ihnen an Markus in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen? War er anders als sonst?“

„Markus hatte sein eigenes Leben. Wir wussten nicht viel über sein Privatleben. Mit meinem Mann unterhielt er sich nur über das Geschäft. Ich weiß noch nicht mal, ob er eine feste Freundin hatte. Als er noch bei uns wohnte, hat er uns an seinem Leben kaum teilhaben lassen. Ich habe es irgendwann aufgegeben, ihn zu fragen. Alle paar Wochen kam er zu unserem Sonntagsessen, aber auch bei diesen Gelegenheiten hat er nicht viel über sich erzählt.“

„Dann werden wir wohl etwas mehr über ihn herausfinden müssen. Danke für Ihre Zeit.“

Cornelius Brock stieg die Treppe in das Obergeschoss hoch und wurde schon bald von einer merkwürdigen Geräuschkulisse empfangen: Schüsse, Schreie, Explosionen.

Er blieb kurz vor der Tür stehen, auf der ein handgeschriebenes Schild verkündete: Eintritt nur nach Aufforderung!

Brock fühlte sich aufgefordert und stieß die Tür auf.

Daniel Holler fuhr erschrocken herum und starrte ihn an. Er saß vor einem Tisch, auf dem drei Monitore nebeneinander aufgereiht waren. Unter dem Tisch standen zwei große Computergehäuse. Außerdem gab es Stapel von Spielen, Tastaturen, einen aufgeklappten Laptop und jede Menge Spielezubehör.

„Drück mal die Pausentaste“, sagte Brock.

Daniel gehorchte, und der Lärm war schlagartig vorbei.

 

„Was wollen Sie?“ Seine Stimme klang schrill und aggressiv.

„Wann hast du deinen Bruder zuletzt gesehen?“

„Weiß ich nicht. Ist schon länger her.“

„Du arbeitest doch gelegentlich in der Firma, oder?“

Der junge Mann fühlte sich eindeutig gestört. „Ja, aber im Lager. Markus war meistens im Kontor.“

„Weißt du, was dein Bruder privat gemacht hat?“

Daniel schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn nicht danach gefragt. Wir haben nicht viel miteinander gesprochen.“

Der junge Mann schien merklich angespannt und nervös zu sein. Es war nicht die Zeit, ihn weiter zu bedrängen.

Brock ließ seinen Blick durch den Raum mit den heruntergelassenen Jalousien schweifen. „Dann spiel’ mal weiter.“

Viel hatte dieser Besuch nicht ergeben.

Bis auf den Dolch natürlich. Und den musste er sofort in die Gerichtsmedizin bringen. Dort gab es ein leistungsfähiges Labor, das auch mit der Analyse von DNA-Spuren umgehen konnte.