Dem Ungeist widerstehen

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Dem Ungeist widerstehen
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Alfons Klein

Dem Ungeist widerstehen Hitlerjunge – Straflagerhäftling – Jesuit

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ

und Martin Müller SJ

Band 61

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Alfons Klein

Dem Ungeist widerstehen

Hitlerjunge – Straflagerhäftling – Jesuit


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de

Umschlag: Peter Hellmund

Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe

ISBN

978-3-429-03631-7 (Print)

978-3-429-04715-3 (PDF)

978-3-429-06129-6 (ePub)

Inhalt

Als Vorwort – ein Vorgespräch

Vom Erzählen zum Buch

Ein Wort zum Stil

Das Besondere

Im »Turm des Widerstands«

1. Warum ich schreibe

Ist nicht schon genug geschrieben?

2. Worauf es ankommt: den »Vorkrieg« erkennen

Früherkennung der Anfänge

Damals und jetzt – Tritt auf, »gelegen oder ungelegen!«

3. Als junger Mensch im Dritten Reich

Wie die Juden in mein Blickfeld kamen

An der Oberrealschule: »Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen«

Nationalsozialismus – Eltern, Umgebung und Kirche

Verurteilung durch ein Nazi-Gericht

Im »Himmelfahrtskommando« beim Konzentrationslager Dachau

4. Die Befreiung und das »umgedrehte amerikanische KZ«

Amerikanische Truppen befreien das KZ Dachau

Fürstenfeldbruck – Grausamkeit und Banalität des Bösen

Gefühllosigkeit, um zu überleben

Am Rand von Verhungern und Verdursten

Der Umschwung über Nacht

Ulm – Im Hass stecken bleiben?

Heilbronn – Schikane, Macht und Selbstbestätigung

Kein Blutgruppenzeichen der SS – die Entlassung

5. Daheim und frei und vieles so anders

In welchem Zuhause »wieder daheim«?

Schule und Schulkampf

6. Mein Weg in den Jesuitenorden

Die Eltern – Harte Arbeit, stiller Glaube, Menschlichkeit

Impulse durch den Bund Neudeutschland

Gern für andere da

Sehnsucht nach unbegrenzter Lebensweise

Im Gespräch mit Tante und Provinzial

7. Im Noviziat

Eingesperrt und doch frei

Den Krieg noch in den Knochen

Mehr Einführung ins Ordensleben als Vergangenheitsbewältigung

Der »Ordo solitus« – Alltag wie gewöhnlich

8. Die Rolle der Kirche – damals und später

9. Nahe am Menschen – Leben in der Gegenwart

Anteilnahme – Einfühlen – Sympathie

Für-Sprecher sein

Urlauberseelsorge – Leben zur Sprache bringen

10. Handeln bei Gegenwind – als Provinzial in Konflikten

Minderheiten und Mehrheiten – Konflikt und Konsens

Radikalenerlass und Tendenzschutzparagraph – zwischen allen Stühlen

Umgang mit »schwierigen Mitbrüdern«

Der schwierige Mitbruder Klein

11. Auf dem Weg des Evangeliums

12. Und wo bleibt der Gott der Liebe?

Fragen – Aufschreie – Gebete

Unfassbares Lieben – Zeugnisse

Der Blick auf das Kreuz

Den Teufelskreis durchbrechen

Jesus ja und Kirche nein? – das »Trotzdem der Liebe«

Hand in Hand und Ja zum Ja

Als Vorwort – ein Vorgespräch
Vom Erzählen zum Buch

Lieber »Klino« – so nennen wir Mitbrüder dich; deine Besucher nennen dich »Pater Klein«. Ich erlaube mir, etwas ungewöhnlich, dich direkt anzusprechen, statt ein Vorwort zu schreiben. Warum? Weil das vorliegende Buch entstanden ist aus Gesprächen. Es fing damit an, dass du Erfahrungen, die du als junger Kerl während der Nazizeit machen musstest, gelegentlich angesprochen hast. Und irgendwann, bei mehrmaligem Nachfragen, hast du mehr davon erzählt; einmal auch bei einem öffentlichen Abend im Rahmen des FORUM DER JESUITEN an St. Michael in München. Dann hast du während eines Besuchs auf dem Gelände des Konzentrationslagers in Dachau Zeugnis gegeben. Es ist dies ein Ort der organisierten Unmenschlichkeit, an den du als 16-Jähriger wegen Widerständigkeit gegen den Nationalsozialismus in ein sogenanntes Himmelfahrtskommando zwangsverpflichtet wurdest. Dann erzähltest du von deiner Zeit in einer Art »amerikanischem KZ« und was dich dort an die Grenzen menschlicher Abgründigkeiten führte.

 

Du weißt, was uns dann zur Bitte geführt hat, ob du nicht etwas schreiben würdest für unsere Reihe der »Ignatianischen Impulse«. Es war hauptsächlich die Überraschung, dass du nicht nur von den Stätten und Episoden des Grauens gesprochen hast, sondern auch davon, dass du dort bleibende Lektionen für dein Leben gelernt hast. Wem solche Erinnerungen nicht nur Alpträume verursachen, sondern Impuls zum Leben sind, der darf sich wohl beschenkt, ja begnadet wissen. Und du lässt uns an diesem Geschenk teilhaben.

Das Buch ist aus Gesprächen entstanden, und die schönste Belohnung für deine Bemühung wäre für dich, wenn es zu Gesprächen anregen würde. Und wenn die Gesprächsteilnehmer dann die beiden Worte unseres Ordensgründers Ignatius von Loyola (1491–1556) im Ohr hätten: »Die Liebe besteht im Mitteilen von beiden Seiten« und: »Man soll die Liebe mehr in die Werke als in die Worte legen!« – Bei allem Zögern, du bist in deinem Leben immer auch ein offener und öffentlicher Mensch gewesen. Und heute noch kann keiner an deiner Zimmertür vorbeigehen, ohne das Wort von Martin Luther King zu lesen: »Wenn alle dem Grundsatz gehorchen ›Auge um Auge‹, dann sind bald alle blind.«

Ein Wort zum Stil

Die Veröffentlichung ist entstanden aus Tonbandaufnahmen und gibt den unmittelbaren Erzählstil mündlicher Mitteilung wieder. Es liegt nicht alles wohlgeordnet auf einer geraden Zeitschiene, sondern es ist manches eingeflochten aus der Gegenwart oder Vergangenheit, was dir beim Erzählen aus deinem Herzen und deiner Erinnerung in den Sinn kam. Man könnte wohl auch sagen: Der Stil ist wie dein Leben, d.h. gemischt aus Erleben, Assoziationen, Gedanken, Appellen, Fragen, Reflexionen, Erkenntnissen, Stoßseufzern, Gebetsfetzen. Es ist weder eine Autobiographie noch eine soziologische oder psychologische Analyse. Es spiegelt Wertebewusstsein, ist aber kein Lehrbuch der Moral. Kritisch den Menschen, der Gesellschaft, der Kirche, dem Jesuitenorden und deinem eigenen Ringen gegenüber. Kurz, ich meine: Es ist ziemlich wie du. Es ist du.

Das Besondere

Nicht nur du, lieber Klino, hast dich und uns gefragt: »Warum dieses Buch?« Vielleicht macht die Antwort auch den Lesenden das Eigene der Veröffentlichung etwas deutlicher:

Du erzählst nicht aus der Erwachsenenperspektive, sondern aus der Erlebniswelt eines jungen Menschen, eines Schülers in der Zeit des sogenannten Dritten Reiches; für nicht wenige wird es neu sein, über die Erfahrung eines »amerikanischen KZ« zu lesen; wie du zu den Jesuiten kamst – das war kein gewöhnlicher Weg; dass die Schreckenszeit für dich nicht nur die Erfahrung von Grausamkeit, sondern auch ein Lerngeschehen von Mitmenschlichkeit wurde, weckt Staunen; wie deine Menschenliebe und deine Seel-Sorge als Prediger, als Provinzial des Ordens, als Zuhörer und Ratgeber aus so dunklem Boden sich noch nähren kann, lässt dankbar staunen; und wie du die Fragen nach Gottes Liebe und dem Leid der Menschen präsent sein lässt ...! An diesen Besonderheiten teilnehmen zu dürfen, dafür sind Menschen, die dich schon gehört haben und lesen werden, dankbar. Vielleicht deine Mitbrüder auf besondere Weise. Wir könnten ermutigt werden, unsere Vergangenheit mit ihren Vorbildern und ebenso auch mit ihrer Schuldgeschichte noch mehr wahrzunehmen, nicht als Blockierung von Zukunft, sondern als tiefere Offenheit.

Im »Turm des Widerstands«

Lieber Klino! Ab und zu, meistens am Donnerstagabend, sitzen wir Mitbrüder in der »Turmbibliothek« zusammen. Der Ort hat Geschichte. Helmuth James Graf von Moltke und unser Mitbruder Alfred Delp hatten sich hier getroffen – 30 Meter gegenüber das Polizeipräsidium, das 2012 eine beachtenswerte Ausstellung zum Thema »Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus« organisiert hat. Bei der Veröffentlichung des Buches von Antonia Leugers, »Jesuiten in Hitlers Wehrmacht. Kriegslegitimation und Kriegserfahrung«, für das die Provinz die Archive geöffnet hatte, war die Autorin und Direktorin des Dokumentationszentrums über den Nationalsozialismus bei uns eingeladen. Pater Rupert Mayer hat in den Räumen unserer Kommunität gelebt und einmal dafür gekämpft, dass der Obere ein Bild von Hitler abgehängt hat, und der die Kommunität wohl auch zittern ließ, nach welcher Predigt nicht nur er eingesperrt, sondern die ganze Gemeinschaft aufgehoben würde. – Ich denke, wir leben an diesem Ort in Dankbarkeit, aber auch mit einer ermutigenden Verpflichtung, die oft eine Gewissensfrage an uns ist. – Wenn du in Gesprächen so betonst, dass die Erkenntnis des »Vorkriegs« ein großes Lernergebnis sei, kann man im Blick auf unsere Zeitsituation oft denken: Wir sind schon im Krieg, in vielen Kriegen. Und die Schatten scheinen immer dunkler und bedrohlicher zu werden. Kann noch eine Wende, eine Abwendung geschehen? Wie jemand die Frage auch beantwortet. Eines sagt uns das Evangelium Jesu sicher: »Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter!« (Lk 21,18). Und: Es gibt keine Zeit, in der Menschlichkeit unmöglich wäre, vor allem wenn Menschen sich zusammentun. Es ist jede Zeit eine Zeit zur Umkehr. Es ist immer Zeit zum Lieben. Wen? Und in welchem Geist? Jeden, und zwar grenzübergreifend! Wie es ein weiteres Blatt an deiner Zimmertür verkündet: »Dein Christus ist ein Jude, dein Auto ein Japaner, deine Pizza italienisch, deine Demokratie griechisch, dein Kaffee brasilianisch, dein Urlaub türkisch, deine Zahlen arabisch, deine Schrift lateinisch, dein Nachbar nur ein Ausländer.«

Danke, Klino!

Willi Lambert SJ

1. Warum ich schreibe
Ist nicht schon genug geschrieben?

Wie kam es dazu, dass ich trotz anfänglicher Bedenken bereit war, meine Erlebnisse niederzuschreiben? – Mein Widerstand und Zögern, über meine Erfahrungen und Erlebnisse unter dem Hitlerregime zu berichten, sind darin begründet, dass ich keinen Grund dafür erkennen konnte. Ich war der Ansicht, dass schon genug über die Erfahrungen von Menschen im Widerstand gegen Hitler von den Betroffenen selbst oder über sie geschrieben worden ist. Man denke nur an Menschen wie die Mitglieder des Kreisauer Kreises oder Dietrich Bonhoeffer, die Gruppe der Weißen Rose, die im KZ Auschwitz ermordete Jüdin und Karmelitin Edith Stein, Franz Jägerstätter und viele andere mehr, die ihren Widerstand mit ihrem Leben bezahlt haben. Eigentlich ist alles gesagt, um zu verstehen, was da geschehen ist und was daraus gelernt werden sollte, damit es nicht wieder geschieht. Was sollten da noch meine sowohl in der zeitlichen Dauer wie in der Intensität der Auseinandersetzungen mit dem Hitlerregime und deren Folgen nicht vergleichbaren Erlebnisse?

Ich habe also keinen Grund gesehen, meine Erfahrungen mitzuteilen: Ich habe nicht oft darüber geredet, aber sie haben mich geprägt. Ich habe sicher ganz viele Dinge getan, die ich sonst wohl nicht getan hätte – weil ich etwas Negatives gar nicht als solches erkannt oder weil ich aus Angst vor den Folgen geschwiegen hätte. Schließlich aber sah ich, dass es in meinem Beitrag nicht um eine geistige Auseinandersetzung und Beurteilung der Nazizeit und ihrer Ideologie geht. Es soll einfach mein persönliches Erleben möglichst konkret erzählt werden, damit die Lebendigkeit dieser Erfahrungen für den Leser nicht durch grundsätzliche bzw. abstrakte Erörterungen verlorengeht.

Eine gewisse Besonderheit meiner Erfahrungen ist wohl, dass ich nicht nur ein Zeitzeuge der Nazidiktatur bin, sondern auch ein Zeitzeuge dafür, dass ein und derselbe Mensch sogar in der Behandlung durch einander feindlich gegenüberstehende Mächte ein Opfer werden kann: Zuerst erlebte ich meine Verurteilung durch ein Nazigericht; dann die irrtümliche Einstufung als ein Lageraufseher im Konzentrationslager Dachau durch einrückende amerikanische Truppen; anschließend die Erfahrung von Rache und Vergeltung und in ein »umgedrehtes KZ« der Amerikaner eingesperrt zu sein. Diese mussten mich und andere Gefangene dann ihrerseits auf Transporten in ein anderes Lager mit vorgehaltener Waffe und durch Warnschüsse vor »Fremd- und Zwangsarbeitern« – meist aus östlichen Ländern – schützen, die uns lynchen wollten; die ehemaligen Zwangsarbeiter sahen in uns »die ehemaligen Sieger«, von denen sie nicht selten unmenschlich behandelt worden waren.

2. Worauf es ankommt: den »Vorkrieg« erkennen

»Was hat dich deine Jugendzeit, dein Erleben im Straflager für dein Leben gelehrt; was hast du da gelernt?« So wurde ich gefragt und habe mich selber gefragt. Es ist vieles und Verschiedenes: dass es schön ist, für andere da zu sein; dass der Mensch zu Grausamkeiten fähig ist, die unvorstellbar erscheinen; dass Menschen füreinander ihr Leben hingeben können; dass Gewalttätigkeit an der Kraft des Geistes scheitern kann; dass Gott in Jesus dem Menschen ganz nahegekommen ist. Besonders aber ist in meinem Bewusstsein die Bedeutung ganz stark geworden, kommendes Unheil möglichst zeitig zu bemerken. Darum möchte ich dies allem anderen voranstellen.

Früherkennung der Anfänge

Meine Erfahrungen haben mir zur Erkenntnis geholfen, dass es entscheidend wichtig ist, schon in den Ansätzen zu erkennen, wann sich wieder der Ungeist einer Diktatur wie unter Hitler anbahnt. Es geht darum, dann so früh wie möglich reagieren zu können und alles zu tun, damit solch eine »Bewegung« nicht wieder Wurzeln fasst. Es geht also um das Erkennen der Anfänge. Für die Schriftstellerin Christa Wolf ist dies die Frage, woran man erkennen kann, wann »der Vorkrieg« beginnt. Die Regeln zur »Unterscheidung der Geister« bei Ignatius haben genau das zum Ziel: rechtzeitig zu erspüren, ob etwas vom guten Geist kommt oder von einem bösen Geist, auch wenn dieser sich als »Lichtgestalt« tarnt.

Ich halte es durchaus für möglich, dass Hitler und sein Regime hätten verhindert werden können, wenn er gleich zu Beginn massiven Widerstand aus dem Volk erfahren hätte. Dass er sich am Anfang noch nicht sicher fühlte, zeigte sich beispielsweise darin, dass er nicht nur jeden Konflikt mit der Kirche vermied, sondern den Bischöfen völlige Autonomie zusicherte und seine »Hitlerjugend« bei hohen kirchlichen Festen sogar mitmarschieren und mitsingen ließ. Es gab Menschen, die die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus früh erkannten und dies auch zum Ausdruck brachten. Unserem Turnlehrer an der Oberrealschule in Amberg waren die Nationalsozialisten zutiefst zuwider. Das äußerte er auch beim Sportunterricht, indem er die Hitlerjugendführer bei jeder Gelegenheit lächerlich machte. Sie hätten ihn so gerne ins KZ gebracht, aber weil er im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz 1. Klasse erhalten hatte, konnte ihm keiner absprechen, ein Mann zu sein, der sich »für Volk und Vaterland« einsetzt. Aber weil der große Widerstand gegen Hitler sowohl von der Mehrheit des Volkes wie auch von der Mehrzahl der Bischöfe ausfiel, versuchte er Schritt für Schritt alles zu unterdrücken, was der Ausbreitung seiner Ideologie im Weg stand. So gab es z.B. nur noch eine Jugendorganisation: die Hitlerjugend. Und Freunde warnten damals: »Halt deinen Mund, sonst kommst du nach Dachau!« In der DDR hieß es später: »Sei still, sonst kommst du nach Bautzen.« Ab einem bestimmten Zeitpunkt konnte man dann nicht mehr sagen, was man dachte.

Warum war es denn so schwer, dass viele den Ungeist nicht früher erkannten? Nicht einmal alle der mutigen Ehefrauen der später ermordeten Widerstandskämpfer und diese selber haben die Dämonie und Menschenverachtung Hitlers von Anfang an durchschaut. Wann immer eine Schreckensmeldung über eine grobe Missachtung der Menschenwürde, Korruption oder die skrupellose Ermordung eines persönlichen Gegners durch eine Nazigröße durchsickerte, hieß es oft einfach: »Wenn das unser Führer gewusst hätte!« Dieser war mit der Zeit zu einer fast mythischen und nicht mehr kritisierbaren Symbolfigur geworden. Durch manche »Errungenschaften« und Verbesserungen von Lebensverhältnissen sowie fehlgeleiteten Hoffnungen war offensichtlich das kritische Urteilsvermögen narkotisiert.

 
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