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Zwanzig Jahre nachher

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XXIV
Wie man mit einer Feder und einer Drohung mehr, rascher und besser wirkt, als mit einem Schwerte und mit Ergebenheit

D’Artagnan kannte seine Mythologie: er wußte, daß die Gelegenheit nur ein Büschel Haare hat, an welchem man sie fassen kann, und er war nicht der Mann, der sie vorübergehen ließ, ohne sie beim Schöpfe zu packen. Er organisirte ein rasches und sicheres Reisesystem, indem er Relaispferde nach Chantilly vorausschickte, so daß er in fünf bis sechs Stunden nach Paris kommen konnte. Ehe er aber abreiste, bedachte er, daß es für einen Burschen von Geist und Erfahrung etwas Sonderbares wäre, das Ungewisse hinter sich lassend, auch auf das Ungewisse zu marschieren.

»In der That,« sagte er zu sich selbst in dem Augenblick, wo er im Begriffe war, zu Pferde zu steigen, um seine gefährliche Sendung zu vollziehen, Athos ist ein Romanheld, was die Großmuth betrifft, Porthos eine vortreffliche Materie, Aramis ein hieroglyphisches Gesicht, das heißt, stets unleserlich. Was werden diese drei Elemente bewerkstelligen, wenn ich nicht mehr da bin, um sie unter einander zu vereinigen? …Vielleicht die Befreiung des Cardinals, und damit den Untergang unserer Hoffnungen, und unsere Hoffnungen sind bis jetzt der einzige Lohn für zwanzigjährige Arbeiten, neben denen die von Hercules wahre Pygmäen-Werke sind.«

Er suchte Aramis auf.

»Ihr, mein lieber Aramis,« sagte er zu ihm, »Ihr seid die eingefleischte Fronde; mißtraut also Athos, der Niemands Angelegenheiten machen will, nicht einmal die seinigen; mißtraut besonders Porthos, der, um dem Grafen zu gefallen, welchen er als die Gottheit auf Eiden betrachtet, diesem behilflich sein wird, daß Mazarin entkommt, wenn Mazarin nur Geist genug hat, um zu weinen oder Ritterlichkeit zu spielen.«

Aramis lächelte mit seinem feinen und zugleich entschlossenen Lächeln.

»Seid unbesorgt,« erwiderte er, »ich habe meine Bedingungen zu stellen. Ich arbeite nicht für mich, sondern für Andere, und mein kleiner Ehrgeiz soll geziemenden Ortes Früchte tragen.«

»Gut,« dachte d’Artagnan, »von dieser Seite kann ich ruhig sein.«

Er drückte Aramis die Hand und ging dann zu Porthos.

»Freund,« sagte er zu ihm, »Ihr habt so viel mit mir gearbeitet, um unser Glück zu bauen, daß es in dem Augenblick, wo wir auf dem Punkte sind, die Frucht unserer Arbeit zu ernten, eine lächerliche Thorheit von Euch wäre, wenn Ihr Euch von Aramis beherrschen ließet, dessen Feinheit Ihr kennt, eine Feinheit, die, unter uns gesagt, nicht immer von Selbstsucht frei ist; oder von Athos, einem edlen, uneigennützigen, aber lebensmüden Mann, der, da er nichts mehr für sich selbst wünscht, nicht begreift, daß ein Anderer Wünsche haben kann. Was würdet Ihr sagen, wenn der Eine oder der Andere von unsern zwei Freunden Euch den Vorschlag machte, Mazarin gehen zu lassen?«

»Ich würde sagen, wir hätten zu viel Unangenehmes gehabt, bis wir ihn bekommen, um ihn loszulassen.«

»Bravo! Porthos; und Ihr hättet Recht, mein Freund, denn mit ihm ließet Ihr Euere Baronie los, die Ihr in Eueren Händen haltet, abgesehen davon, daß Euch Mazarin, wäre er einmal von hier weg, hängen ließe.«

»Ihr glaubt?«

»Ich weiß es gewiß.«

»Dann würde ich ihn eher umbringen, als entschlüpfen lassen.«

»Und Ihr hättet abermals Recht. Es handelt sich nicht darum, wie Ihr wohl begreift, wenn wir unsere Angelegenheiten betreiben, die der Frondeurs zu betreiben, welche überdies die politischen Fragen nicht so verstehen, wie wir sie verstehen, die wir alte Soldaten sind.«

»Habt nicht bange, lieber Freund,« sagte Porthos, »ich sehe Euch vom Fenster aus zu Pferde steigen, ich folge Euch mit den Augen, bis Ihr verschwunden seid. Dann pflanze ich mich vor der Thüre des Cardinals auf – eine Glasthüre, welche in das Zimmer geht. Von dort sehe ich Alles, und bei der ersten verdächtigen Geberde blase ich ihm das Lebenslicht aus.«

»Bravo,« dachte d’Artagnan, »von dieser Seite wird der Cardinal, glaube ich, gut bewacht sein.«

Und er drückte dem Grundherrn von Pierrefonds die Hand und suchte Athos auf.

»Mein lieber Athos,« sprach er, »ich reise und habe Euch nur Eines zu sagen. Ihr kennt Anna von Oesterreich. Die Gefangenschaft von Herrn von Mazarin allein verbürgt mein Leben. Laßt Ihr ihn frei, so bin ich todt.«

»Es bedurfte gerade dieser Betrachtung, mein lieber d’Artagnan, um mich zu dem Gewerbe eines Gefangenwärters zu bestimmen. Ich gebe Euch mein Wort, daß Ihr den Cardinal finden werdet, wo Ihr ihn gelassen habt.«

»Das beruhigt mich mehr, als alle königlichen Unterschriften,« dachte d’Artagnan. »Nun, da ich das Wort von Athos habe, kann ich reisen.«

D’Artagnan reifte wirklich allein ab, ohne ein anderes Geleite als sein Schwert, und mit einem einfachen Vorweise von Mazarin, um zu der Königin gelangen zu können. Sechs Stunden nach seinem Abgange von Pierrefonds befand er sich in Saint-Germain.

Das Verschwinden von Mazarin war noch unbekannt; Anna von Oesterreich wußte allein davon und verbarg ihre Unruhe sogar vor ihren Vertrautesten. Man hatte in dem Zimmer von d’Artagnan die zwei geknebelten und gebundenen Soldaten gefunden; man hatte ihnen sogleich den Gebrauch ihrer Glieder und ihrer Sprache wieder gegeben, aber sie vermochten nichts Anderes zu sagen, als was sie empfunden, das heißt, wie sie harpuniert, gebunden und ausgezogen worden waren. Aber was Porthos und d’Artagnan gemacht hatten, nachdem sie da hinaus waren, wo man sie hereingezogen, das wußten sie eben so wenig, als die anderen Bewohner des Schlosses.

Bernouin allein wußte ein wenig mehr, als die Anderen. Als Bernouin seinen Herrn nicht mehr zurückkommen sah und die Mitternachtsstunde schlagen hörte, wagte er es, in die Orangerie zu dringen. Daß er die erste Thüre mit allerlei Geräthe verrammelt fand, erregte bereits Verdacht bei ihm; aber er wollte diesen Verdacht Niemand mittheilen, und brach sich geduldig Bahn durch das ganze Gewirre. Da gelangte er in den Gang, dessen Thüren er insgesamt offen fand. Ebenso war es mit denen des Zimmers von Athos und der Thüre des Parkes. Von hier aus konnte er leicht den Tritten auf dem Schnee folgen, und er sah, daß sie nach der Mauer zu gingen; auf der andern Seite fand er dieselbe Spur, sodann Tritte von Pferden und endlich die Spuren einer ganzen Reitertruppe, welche sich in der Richtung von Enghien entfernt hatte. Nun blieb ihm kein Zweifel mehr, daß den Cardinal die drei Gefangenen entführt hatten, da diese Gefangenen mit ihm verschwunden waren, und er lief deshalb nach Saint-Germain, um die Königin von diesem Verschwinden zu benachrichtigen.

Anna von Oesterreich empfahl ihm Stillschweigen, und Bernouin beobachtete dieses gewissenhaft; sie ließ nur den Herrn Prinzen kommen, dem sie Alles sagte, und der Herr Prinz schickte sogleich fünf- bis sechshundert Reiter in das Feld, mit dem Befehle, die ganze Umgegend zu durchsuchen und jede verdächtige Truppe, die sich von Rueil entfernen würde, in welcher Richtung es auch sein möchte, nach Saint-Germain zurückzubringen.

Da nun d’Artagnan keine Truppe bildete, insofern er allein war, da er sich nicht von Rueil entfernte, da er endlich nach Saint-Germain ritt, so gab Niemand auf ihn Achtung, und es wurde somit seiner Reise kein Hinderniß in den Weg gelegt.

Als er in den Hof des alten Schlosses gelangte, war die erste Person, welche unser Botschafter erblickte, Meister Bernouin, der auf der Schwelle stehend Kunde von seinem verschwundenen Herrn erwartete.

Bei dem Anblicke von d’Artagnan, welcher zu Pferd in dem Ehrenhof erschien, rieb sich Bernouin die Augen, denn er glaubte sich zu täuschen. Aber d’Artagnan machte ihm mit dem Kopfe ein kleines freundschaftliches Zeichen, stieg ab, warf den Zügel seines Pferdes einem vorübergehenden Lackeien zu, und ging, ein Lächeln auf den Lippen, zu dem Kammerdiener.

»Herr d’Artagnan!« rief dieser, wie ein Mensch, auf dem der Alp sitzt und der im Schlafe spricht; »Herr d’Artagnan!«

»Er selbst, Herr Bernouin.«

»Und was wollt Ihr hier machen, gnädiger Herr?«

»Nachrichten von Herrn von Mazarin bringen, und zwar die allerneusten.«

»Was ist denn mit ihm geschehen?«

»Er befindet sich wie Ihr und ich.«

»Es ist ihm also nichts Unangenehmes widerfahren?«

»Durchaus Nichts. Er hat nur das Bedürfniß gefühlt, einen kleinen Ausflug in der Umgegend von Paris zu machen, und uns, den Herrn Grafen de la Fère, Herrn Du Vallon und mich, gebeten, ihn zu begleiten. Wir sind gestern Abend abgereist, und nun bin ich hier.«

»Ihr seid hier?«

»Seine Eminenz hatte Ihrer Majestät etwas sagen zu lassen, etwas Geheimes; der Cardinal hatte eine Sendung, die nur mir als einem sichern Manne anvertraut werben konnte, und so schickte er mich nach Saint-Germain. Wenn Ihr Eurem Gebieter etwas Angenehmes erweisen wollt, mein lieber Herr Bernouin, so habt die Güte, Ihrer Majestät meine Ankunft und den Zweck derselben zu melden.«

Mochte er nun im Ernste sprechen, mochte seine Rede nur ein Scherz sein, so erschien es doch klar, daß d’Artagnan unter den gegenwärtigen Umständen der einzige Mensch war, der Anna von Oesterreich von ihrer Unruhe befreien konnte; Bernouin machte daher keine Schwierigkeiten, sie von dieser seltsamen Botschaft in Kenntniß zu setzen, und die Königin gab ihm, wie er dies vorhergesehen hatte, Befehl, Herrn d’Artagnan sogleich einzuführen.

D’Artagnan näherte sich seiner Fürstin mit allen Zeichen der tiefsten Ehrfurcht. Bis auf drei Schritte vor sie gelangt, setzte er ein Knie auf die Erde und überreichte ihr den Brief.

Es war, wie gesagt, ein einfaches Schreiben, halb zur Einführung, halb zur Beglaubigung. Die Königin las dasselbe, erkannte vollkommen die Handschrift des Cardinals, obgleich sie ein wenig zitternd aussah, und da ihr dieser Brief Nichts von dem sagte, was vorgefallen war, so fragte sie nach den einzelnen Umständen.

 

D’Artagnan erzählte ihr Alles mit der naiven, einfältigen Miene, die er unter gewissen Umständen so gut anzunehmen wußte.

Die Königin betrachtete ihn, während er sprach, mit wachsendem Erstaunen; sie begriff nicht, wie ein Mensch ein solches Unternehmen wagen konnte, und noch viel weniger, daß er die Kühnheit hatte, dasselbe derjenigen zu erzählen, deren Interesse und beinahe Pflicht es war, Strafe dafür zu verhangen.

»Wie, mein Herr,« rief, als d’Artagnan seine Mittheilung vollendet hatte, die Königin roth vor Entrüstung, »Ihr wagt es, mir Euer Verbrechen zu gestehen, Euern Verrath zu erzählen!«

»Verzeiht, Madame, es scheint mir, ich habe mich entweder schlecht ausgedrückt, oder Euere Majestät hat mich schlecht verstanden; es ist hier weder von einem Verbrechen, noch von einem Verrathe die Rede. Herr von Mazarin hielt Herrn Du Vallon und mich gefangen, weil wir nicht glauben konnten, er habe uns nach England geschickt, um dem König Karl I., dem Schwager des seligen Königs, Eueres Gemahls, dem Gatten von Frau Henriette, Eurer Schwägerin, Eurem Gaste, ruhig den Hals abschneiden zu sehen, und weil wir Alles thaten, was in unseren Kräften lag, um dem königlichen Märtyrer das Leben zu retten. Wir waren also überzeugt, mein Freund und ich, es müßte hier ein Irrthum obwalten, dessen Opfer wir wären, und eine Erklärung zwischen uns und Seiner Eminenz erschien uns unerläßlich. Soll aber eine Erklärung ihre Früchte tragen, so muß sie ruhig, fern vom Geräusche und von Ueberlästigen, stattfinden.

»Wir haben dem zu Folge den Herrn Cardinal in das Schloß meines Freundes geführt und dort uns gegenseitig erklärt. Was wir vorhergesehen hatten, erwies sich als wahr: es waltete ein Irrthum ob. Herr von Mazarin war der Meinung gewesen, wir hätten dem General Cromwell gedient, statt König Karl zu dienen, was eine Schande gewesen wäre, die sich von uns auf ihn, von ihm auf Eure Majestät übertragen hätte, eine Niederträchtigkeit, welche das Königthum Eures erhabenen Sohnes an seinem Stamme befleckt haben würde. Wir haben ihm aber nun den Beweis vom Gegentheil gegeben und sind bereit, denselben auch Eurer Majestät selbst zu liefern, uns auf die hohe Wittwe berufend, welche in diesem Louvre weint, wo ihr Euere königliche Großmuth eine Wohnung gönnt. Dieser Beweis befriedigte ihn dergestalt, daß er mich zum Zeichen seiner Zufriedenheit, wie Euere Majestät sieht, hierher geschickt hat, um mit Euch über die Entschädigung zu sprechen, die man natürlicher Weise Edelleuten schuldig ist, welche schlecht beurtheilt und mit Unrecht verfolgt worden sind.«

»Ich höre und bewundere Euch, mein Herr,« erwiderte Anna von Oesterreich. »In der That, ich habe selten ein solches Uebermaß von Unverschämtheit gesehen.«

»Ah! nun täuscht sich Eure Majestät ebenfalls über unsere Absichten, wie dies bei Herrn von Mazarin der Fall gewesen ist,« sprach d’Artagnan.

»Ihr seid in einem Irrthum befangen, mein Herr,« entgegnete die Königin; »ich täusche mich so wenig, daß Ihr in zehn Minuten verhaftet seid, und daß ich in einer Stunde aufbreche, um meinen Minister an der Spitze meines Heeres zu befreien.«

»Ich bin fest überzeugt, daß Euere Majestät keine solche Unklugheit begehen wird,« sagte d’Artagnan, »einmal, weil sie vergeblich wäre, und dann, weil sie die ernstesten Folgen herbeiführen müßte. Ehe er befreit würde, wäre der Herr Cardinal todt, und Seine Eminenz ist von der Wahrheit dessen, was ich sage, so fest überzeugt, daß sie mich im Gegentheil gebeten hat, falls ich einen solchen Willen bei Eurer Majestät wahrnehmen würde, Alles zu thun, was ich vermöchte, um dieselbe von ihrem Vorhaben abzubringen.«

»Wohl, so werde ich mich begnügen, Euch verhaften zu lassen.«

»Ebenso wenig, Madame, denn für den Fall meiner Verhaftung ist vorhergesehen, wie für die Befreiung des Cardinals. Wenn ich morgen zu einer bestimmten Stunde nicht zurückgekehrt bin, so wird der Herr Cardinal übermorgen früh nach Paris geführt.«

»Man sieht wohl, mein Herr, daß Ihr in Folge Euerer Lage fern von den Menschen und Dingen lebt, sonst würdet Ihr wissen, daß der Herr Cardinal fünf oder sechsmal in Paris gewesen ist, seitdem wir die Hauptstadt verlassen haben, daß er Herrn von Beaufort, Herrn von Bouillon, den Herrn Coadjutor, Herrn von Elboeuf gesehen hat, und daß es Keinem in den Sinn kam, ihn verhaften zu lassen.«

»Verzeiht, Madame, ich weiß Alles dieß; unsere Freunde werden den Herrn Cardinal auch weder zu Herrn von Beaufort, noch zu Herrn von Bouillon, noch zu dem Herrn Coadjutor, noch zu Herrn von Elboeuf bringen, in Betracht, daß diese Herren den Krieg für eigene Rechnung führen und der Herr Cardinal, wenn er ihnen bewilligte, was sie verlangen, leichten Kauf hätte, sondern zum Parlament, das man allerdings im Einzelnen erkaufen kann, welches aber in Masse zu erkaufen, selbst Herr von Mazarin nicht reich genug ist.«

»Ich glaube,« sagte Anna von Oesterreich, auf d’Artagnan einen Blick heftend, der, geringschätzend bei einer Frau, bei einer Königin furchtbar wurde, »ich glaube, Ihr bedroht die Mutter Eures Königs!«

»Madame, ich drohe, weil man mich dazu nöthigt. Ich mache mich groß, weil ich mich auf die Höhe der Ereignisse und Personen stellen muß. Glaubt mir aber, Madame, so wahr ein Herz in dieser Brust schlägt, Ihr seid das beständige Idol unseres Lebens gewesen, das wir, wie Ihr wohl wißt, zwanzig Mal für Eure Majestät gewagt haben. Sprecht, Madame, wird Eure Majestät nicht Mitleid mit ihren Dienern haben, welche seit zwanzig Jahren im Schatten vegetierten, ohne in einem einzigen Seufzer die heiligen, feierlichen Geheimnisse entschlüpfen zu lassen, die sie mit Euch zu theilen das Glück hatten? Schaut mich an, mich, der zu Euch spricht, mich, den Ihr anklagt, daß er die Stimme erhebe und einen drohenden Ton annehme. Was bin ich? ein armer Offizier ohne Vermögen, ohne Schutz, ohne Zukunft, wenn der Blick meiner Königin, den ich so lange gesucht habe, nicht einen Augenblick aus mir weilt. Schaut den Herrn Grafen de la Fère an, dieses Musterbild des Adels, diese Blume der Ritterschaft: er hat gegen seine Königin Partei genommen, oder vielmehr nein, er hat Partei gegen ihren Minister ergriffen, und er macht keine Forderungen, wie ich glaube. Schaut Herrn Du Vallon an, diesen treuen Freund, diesen stählernen Arm: seit zwanzig Jahren erwartet er aus Euerem Munde ein Wort, das durch ein Wappen aus ihm machen soll, was er durch das Gemüth und die Tapferkeit längst ist. Seht endlich Euer Volk an, das wohl Etwas für eine Königin ist; Euer Volk, das Euch liebt, und dennoch leidet; das Ihr liebt, und das dennoch Hunger hat; das nichts Anderes verlangt, als Euch zu segnen und Euch dennoch … Nein, ich habe Unrecht; Euer Volk wird Euch nie fluchen, Madame. Sagt ein Wort, und Alles ist abgethan. Der Friede folgt auf den Krieg, die Freude auf die Thränen, das Glück auf das Ungemach.«

Anna von Oesterreich betrachtete mit einem gewissen Erstaunen das martialische Gesicht von d’Artagnan, worauf man einen seltsamen Ausdruck von Rührung lesen konnte.

»Warum habt Ihr Alles dies nicht gesagt, ehe Ihr handeltet?« entgegnete sie.

»Weil wir Euerer Majestät etwas zu beweisen hatten, woran sie zu zweifeln schien: daß wir nämlich noch etwas Muth besitzen, und daß es billig ist, uns einigen Werth beizumessen.«

»Und dieser Muth würde vor Nichts zurückweichen, wie ich sehe?« erwiderte Anna von Oesterreich.

»Er ist in vergangenen Zeiten vor Nichts zurückgewichen, warum sollte er dies in der Zukunft thun?«

»Und dieser Muth würde im Falle einer Weigerung und folglich im Falle eines Kampfes sogar mich aus der Mitte meines Hofes entführen, um mich der Fronde auszuliefern, wie Ihr meinen Minister ausliefern wollt?«

»Wir haben nie hieran gedacht, Madame,« erwiderte d’Artagnan mit der gascognischen Prahlerei, die bei ihm nur Naivetät war; hätten wir es aber unter uns Vieren beschlossen, so würden wir es auch sicherlich thun.«

»Ich sollte es wissen,« murmelte Anna von Oesterreich; »es sind eherne Männer.«

»Ah! Madame,« sprach d’Artagnan, das beweist mir, daß Euere Majestät nicht erst seit heute einen richtigen Begriff von uns hat.«

»Gut,« sagte Anna, »aber wenn ich diesen Begriff endlich habe? …«

»Euere Majestät wird uns Gerechtigkeit widerfahren lassen. Indem sie uns Gerechtigkeit widerfahren läßt, wird sie uns nicht behandeln, wie gewöhnliche Menschen. Sie wird in mir einen würdigen Botschafter hoher Interessen erblicken, der beauftragt ist, mit Euch zu unterhandeln.«

»Wo ist der Vertrag?«

»Hier.«

Anna von Oesterreich warf ihre Augen auf den Vertrag, den ihr d’Artagnan darreichte.

»Ich sehe hier nur die allgemeinen Bedingungen,« sagte sie.« »Die Interessen von Herrn von Conti, von Herrn von Bouillon, von Herrn von Elboeuf und vom Herrn Coadjutor sind festgesetzt. Aber die Euerigen?«

»Wir lassen uns Gerechtigkeit widerfahren, indem wir uns auf unsere Höhe stellen. Wir dachten, unsere Namen wären nicht würdig, neben diesen großen Namen zu figuriren.«

»Aber ich denke, Ihr habt nicht darauf Verzicht geleistet, mir Euere Ansprüche mündlich vorzutragen«

»Ich glaube, daß Ihr eine große und mächtige Königin seid, Madame, und daß es Euerer Größe und Macht unwürdig wäre, die Braven nicht auf geziemende Weise zu belohnen, welche Seine Eminenz nach Saint-Germain zurückbringen werden.«

»Das ist meine Absicht,« erwiderte die Königin, »sprecht, laßt hören.«

»Derjenige, welcher die Angelegenheit unterhandelte (verzeiht, wenn ich mit mir anfange, aber ich muß mir wohl die Wichtigkeit zugestehen, die ich mir nicht genommen, sondern die man mir gegeben hat), derjenige, welcher die Angelegenheit der Loskaufung des Cardinals unterhandelte, muß, wenn die Belohnung nicht unter Eurer Majestät stehen soll, Chef der Garden, so etwas wie Oberster der Musketiere werden.«

»Was Ihr da verlangt, ist die Stelle von Herrn von Treville.«

»Die Stelle ist erledigt, und seit einem Jahre, da Herr von Treville quittiert hat, nicht wieder besetzt worden.«

»Aber es ist eines der ersten militärischen Aemter des königlichen Hauses.«

»Herr von Treville war ein einfacher Junker aus Gascogne, wie ich, Madame, und hat diese Stelle seit zwanzig Jahren inne.«

»Ihr habt auf Alles eine Antwort, mein Herr,« sprach Anna von Oesterreich.

Und sie nahm von einem Schreibtische ein Patent, das sie ausfüllte und unterzeichnete.

»Gewiß, Madame,« sagte d’Artagnan, indem er mit einer tiefen Verbeugung das Patent in Empfang nahm, »aber die Dinge dieser Welt sind im höchsten Grade unhaltbar, und ein Mann, der bei Euerer Majestät in Ungnade fallen würde, könnte diese Stelle morgen verlieren.«

»Was wollt Ihr also,« sprach die Königin erröthend, da sie sich von diesem Geiste, der so scharf war wie der ihrige, durchschaut sah.

»Hunderttausend Thaler für diesen meinen Kapitän der Musketiere, zahlbar an dem Tage, an welchem seine Dienste Euerer Majestät nicht mehr genehm sein werden.«

Anna zögerte.

»Wenn man bedenkt,« fuhr d’Artagnan fort, »daß die Pariser eines Tages durch einen Spruch des Parlaments sechsmal hunderttausend Livres demjenigen boten, der ihnen den Cardinal todt oder lebendig liefern würde, lebendig, um ihn zu hängen, todt, um ihn auf den Schindanger zu schleppen!«

»Gut,« sprach Anna von Oesterreich, »ich finde das billig, insofern Ihr von einer Königin nur die Hälfte von dem fordert, was das Parlament angeboten hat.«

Und sie unterzeichnete ein Versprechen von hunderttausend Thalern.

»Ferner?« sagte sie.

»Madame, mein Freund Du Vallon ist reich und hat sich also nicht etwas wie Vermögen zu wünschen, aber ich glaube mich zu erinnern, daß zwischen ihm und Herrn von Mazarin davon die Rede gewesen ist, sein Gut zu einer Baronie zu erheben. Es ist sogar, soviel ich mich erinnern kann, eine versprochene Sache.«

»Der armselige Bursche!« versetzte Anna von Oesterreich. »Man wird darüber lachen.«

»Möglich,« sprach d’Artagnan; »aber Eines weiß ich gewiß, daß diejenigen, welche lachen, nicht zweimal lachen werden.«

»Es sei also mit der Baronie,« sagte Anna von Oesterreich und unterzeichnete.

»Nun bleibt noch der Chevalier oder Abbé d’Herblay, wie Euerer Majestät beliebt.«

»Er will Bischof werden?«

»Nein, er verlangt etwas Leichteres.«

»Was?«

»Daß der König die Gnade haben möge, der Pathe von Frau von Longueville zu werden.«

Die Königin lächelte.

»Frau von Longueville ist von königlichem Geschlechte,« sprach d’Artagnan.

»Ja, aber ihr Sohn?«

»Ihr Sohn … Madame, muß es sein, da der Gemahl seiner Mutter es ist.«

»Und Euer Freund hat sonst Nichts für Frau von Longueville zu verlangen?«

»Nein, Madame, denn er setzt voraus, daß Seine Majestät der König, wenn er die Gnade hat, Pathe zu sein, der Mutter für den ersten Kirchgang kein geringeres Geschenk als fünfmal hunderttausend Livres machen kann, wohl verstanden, dabei dem Vater das Gouvernement der Normandie vorbehalten.«

 

»Für das Gouvernement der Normandie glaube ich mich anheischig machen zu können, was aber die fünfmal hunderttausend Livres betrifft, so wiederholt mir der Herr Cardinal unablässig, es sei kein Geld in den Staatskassen.«

»Wir werden mit einander suchen, Madame, wenn es Euere Majestät erlaubt, und gewiß finden.«

»Ferner?«

»Ferner, Madame? …«

»Ja.«

»Das ist Alles.«

»Habt Ihr nicht noch einen vierten Gefährten’?^

»Allerdings; den Grasen de la Fère.«

»Was verlangt er?«

»Er verlangt Nichts.«

»Nichts?«

»Nein.«

»Es gibt auf der Welt einen Menschen, der verlangen kann und Nichts verlangt?«

»Den Herrn Grafen de la Fère, Madame. Der Herr Graf de la Fère ist kein Mensch.«

»Was ist er denn?«

»Der Herr Graf de la Fère ist ein Halbgott.«

»Hat er nicht einen Sohn, einen jungen Menschen, einen Verwandten, einen Neffen, dessen Herr von Comminges als eines braven Jünglings bei mir erwähnte, und der mit Herrn von Chatillon die Fahnen von Lens brachte?«

»Er hat, wie Euere Majestät sagt, einen Mündel, der sich Vicomte von Bragelonne nennt.«

»Wenn man dem jungen Menschen ein Regiment gäbe, was würde sein Vormund sagen?«

»Er würde es vielleicht annehmen.«

»Vielleicht?«


»Ja, wenn Euere Majestät ihn selbst bitten würde, es anzunehmen.«

»Das ist ein seltsamer Mann. Wir werden uns die Sache überlegen und ihn vielleicht bitten. Seid Ihr zufrieden, mein Herr?«

»Ja, Euere Majestät. Aber Eines hat die Königin nicht unterzeichnet.«

»Was?«

»Das Wichtigste.«

»Die Einwilligung in den Vertrag?«

»Ja.«

»Wozu? Ich unterzeichne den Vertrag morgen.«

»Ich glaube Euere Majestät Etwas versichern zu dürfen: unterzeichnet Euere Majestät die Bestimmung heute nicht, so wird sie später nicht mehr Zeit finden, sie zu unterzeichnen. Wollt also unten an dieses, wie Ihr seht, ganz von der Hand von Mazarin geschriebene Programm die Worte setzen:

»»Ich willige in die Ratification des von den Parisern vorgeschlagenen Vertrags.««

Anna war gefangen; sie konnte nicht zurückweichen und unterzeichnete. Aber kaum hatte sie unterzeichnet, als der Stolz wie ein Sturm in ihr losbrach und sie zu weinen anfing.

D’Artagnan schauerte, als er diese Thränen sah. Von jener Zeit an weinten die Königinnen wie einfache Frauen.

Der Gascogner schüttelte den Kopf. Diese königlichen Thränen schienen ihn auf dem Herzen zu brennen.

»Madame,« sagte er niederknieend, »schaut den unglücklichen Edelmann an, der zu Euern Füßen liegt; er bittet Euch, zu glauben, daß ihm auf eine Geberde von Euch Alles möglich wäre. Er hat Zutrauen zu sich selbst, er hat Zutrauen zu seinen Freunden, und der Beweis, daß er Nichts fürchtet, daß er auf Nichts spekuliert, soll darin liegen, daß er Euerer Majestät Herrn von Mazarin ohne Bedingungen zurückbringt. Nehmt, Madame, hier sind die heiligen Unterschriften Euerer Majestät; glaubt Ihr mir sie zurückgeben zu müssen, so werdet Ihr es thun. Von diesem Augenblick an aber machen sie Euch zu Nichts mehr verbindlich.«

Und immer noch auf den Knieen gab d’Artagnan mit einem von Stolz und männlicher Unerschrockenheit flammenden Blicke Anna von Oesterreich in Masse die Papiere zurück, die er ihr eines nach dem andern mit so viel Mühe entrissen hatte.

Es gibt Augenblicke, – denn wenn nicht Alles gut in der Welt ist, so ist doch auch nicht Alles schlecht, – es gibt Augenblicke, wo in den trockensten und kältesten Herzen, befeuchtet von den Thränen einer außerordentlichen Bewegung, ein edles Gefühl keimt, das durch die Berechnung oder den Stolz erstickt wird, wenn sich nicht ein anderes Herz bei der Geburt seiner bemächtigt. Anna von Oesterreich hatte einen von diesen Augenblicken. Seiner eigenen Gemüthsbewegung gehorchend, welche mit der der Königin im Einklang stand, hatte d’Artagnan das Werk einer tiefen Diplomatie vollbracht; er wurde deshalb auch unmittelbar belohnt für seine Gewandtheit oder für seine Uneigennützigkeit, je nachdem man seinem Geiste oder seinem Herzen die Ehre seiner Handlungsweise zuerkennen will.

»Ihr hattet Recht, mein Herr,« sprach Anna, »ich verkannte Euch. Hier sind die unterzeichneten Urkunden, die ich Euch aus freiem Antrieb zurückgebe; geht und bringt uns so schnell als möglich den Cardinal zurück.«

»Madame,« sprach d’Artagnan, »vor zwanzig Jahren, mein gutes Gedächtniß erinnert mich daran, habe ich die Ehre gehabt, hinter einem Vorhange des Stadthauses eine von diesen schönen Händen zu küssen.«

»Hier ist die andere,« sagte die Königin, und damit die linke nicht minder freigebig sei, als die rechte,« – sie zog von ihrem Finger einen dem ersten ungefähr ähnlichen Diamant – »nehmt und behaltet diesen Ring zum Andenken an mich.«

»Madame,« sprach d’Artagnan sich erhebend, »ich habe nur noch einen Wunsch, es möge das Erste, was Ihr von mir verlangt, mein Leben sein.«

Und mit der Haltung, die nur ihm eigenthümlich war, entfernte sich d’Artagnan.

»Ich habe diese Leute mißkannt,« sagte Anna von Oesterreich, d’Artagnan nachschauend, »und nun ist es für mich zu spät, sie zu benützen, denn in einem Jahre ist der König volljährig.«

Fünfzehn Stunden nachher brachten d’Artagnan und Porthos Herrn von Mazarin der Königin zurück und erhielten der eine sein Patent als Kapitän-Lieutenant, der andere sein Diplom als Baron.

»Nun, seid Ihr zufrieden?« fragte Anna von Oesterreich.

D’Artagnan verbeugte sich, Porthos drehte sein Diplom zwischen den Fingern hin und her und schaute Mazarin an.

»Was gibt es denn noch?« fragte der Minister.

»Monseigneur, es ist von dem Versprechen eines Ordens bei der ersten Beförderung die Rede gewesen.«

»Ihr wißt, Herr Baron, daß man nicht Ritter des Ordens sein kann, ohne seine Proben abzulegen,« entgegnete Mazarin.

»Oh!« rief Porthos, »ich habe das blaue Band nicht für mich verlangt.«

»Für wen den?« fragte Mazarin.

»Für meinen Freund, den Grafen de la Fère.«

»Ah! für ihn,« sprach die Königin; »das ist etwas Anderes, die Proben sind abgelegt.«

»Er wird ihn haben?«

»Er hat ihn.«

An demselben Tage wurde der Vertrag von Paris unterzeichnet und man machte überall bekannt, der Cardinal habe sich drei Tage lang eingeschlossen, um ihn sorgfältiger auszuarbeiten.

Man vernehme, was Jeder bei dem Vertrage gewann.

Herr von Conti hatte Damvilliers, und da er seine Proben als General gemacht, so erlangte er dadurch, daß er ein Mann vom Schwerte bleiben konnte und nicht Cardinal zu werden brauchte. Ueberdies hatte man zwei Worte von einer Verheirathung mit einer Nichte von Mazarin fallen lassen; diese zwei. Worte waren günstig von dem Prinzen aufgenommen worden, dem wenig daran lag, mit wem man ihn verheirathete, wenn man ihn nur verheirathete.

Der Herr Herzog von Beaufort kehrte zum Hofe zurück, mit allen Genugthuungen, die man ihm für die ihm widerfahrenen Beleidigungen schuldig war, und mit allen seinem Range gebührenden Ehren. Man gewährte ihm volle Begnadigung aller derjenigen, welche ihn bei seiner Flucht unterstützt hatten, die Anwartschaft auf die Admiralswürde, welche der Herzog von Vendome, sein Vater, bekleidete, und eine Entschädigung für seine Häuser und Schlösser, die das Parlament in der Bretagne hatte zerstören lassen.

Der Herzog von Bouillon erhielt Domänen von gleichem Werths mit seinem Fürstenthum Sedan, eine Entschädigung für die acht Jahre des Nichtgenusses dieses Fürstenthums und den Titel Prinz für sich und die Mitglieder seines Hauses.

Der Herzog von Longueville das Gouvernement des Pont-de l’Arche, fünfmal hunderttausend Livres für seine Gemahlin und die Ehre, seinen Sohn von dem jungen König und der jungen Henriette von England über, die Taufe gehoben zu sehen.

Aramis bestimmte, daß Bazin bei dieser Feierlichkeit funktionieren und Planchet die Dragèes liefern sollte.