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Zwanzig Jahre nachher

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III
Whitehall

Das Parlament verurtheilte Karl Stuart zum Tode, wie sich dies leicht vorhersehen ließ. Politische Gerichte sind beinahe immer leere Förmlichkeiten; denn dieselben Leidenschaften, welche die Anklage veranlassen, veranlassen auch die Verurtheilung. Dies ist die furchtbare Logik der Revolutionen.

Obgleich unsere Freunde diese Verurtheilung erwarteten, so erfüllte sie dieselbe doch mit Schmerz. D’Artagnan, dessen Geist nie mehr Hilfsquellen besaß, als in den äußersten Augenblicken, schwur abermals, er würde Alles versuchen, um die Entwicklung dieser blutigen Tragödie zu verhindern; doch durch welche Mittel? dies erschaute er in seinem Geiste nur unklar. Alles mußte von der Natur der Umstände abhängen. Mittlerweile, bis man einen vollständigen Plan feststellen konnte, mußte man, um Zeit zu gewinnen, nothwendig um jeden Preis es verhindern, daß die Hinrichtung am zweiten Tage, wie dies die Richter beschlossen hatten, stattfand. Das einzige Mittel war, den Henker von London zu entfernen; verschwand der Henker, so konnte der Spruch nicht vollzogen werden. Ohne Zweifel würde man den der London zunächst liegenden Stadt holen lassen; aber dabei gewann man mindestens einen Tag, und ein Tag ist unter solchen Umständen vielleicht die Rettung. D’Artagnan übernahm dieses äußerst schwierige Geschäft.

Nicht minder wesentlich war es, Karl Stuart davon in Kenntniß zu setzen, daß man ihn zu retten versuchen wollte, damit er so viel als möglich seine Verteidiger unterstützen oder wenigstens nichts beginnen würde, was ihren Bemühungen entgegenarbeiten könnte. Aramis übernahm diesen gefährlichen Auftrag. Karl Stuart hatte gebeten, dem Bischof Juron die Erlaubniß zu geben, ihn in seinem Gefängnisse in Whitehall zu besuchen. Mordaunt war an demselben Abend bei dem Bischof erschienen, um ihm das von dem König ausgedrückte religiöse Verlangen, so wie die Erlaubnis von Cromwell zu eröffnen. Aramis beschloß, es bei dem Bischof durch Schrecken oder Ueberredung dahin zu bringen, daß er ihn an seiner Stelle und mit seinen priesterlichen Insignien angethan in den Palast von Whitehall dringen ließe. Athos übernahm es, für den Fall des Mißlingens oder für den des Gelingens die Mittel, England zu verlassen, in Bereitschaft zu halten.

Der Palast von Whitehall wurde durch drei Regimenter, und besonders durch die beständige Unruhe von Cromwell bewacht, welcher kam und ging und jeden Augenblick seine Generale und Agenten schickte.

Allein in seinem durch den Schein von zwei Kerzen beleuchteten Zimmer schaute der zum Tode verurtheilte Monarch traurig den Luxus seiner vergangenen Größe an, wie man in seiner letzten Stunde das Bild des Lebens glänzender und süßer sieht, als je.

Parry hatte seinen Herrn nicht verlassen und seit seiner Verurtheilung nicht zu weinen aufgehört.

Mit dem Ellenbogen auf einen Tisch gestützt, schaute Karl Stuart ein Medaillon an, auf welchem neben einander die Porträts seiner Gemahlin und seiner Tochter waren. Er erwartete zuerst Juron und nach Juron das Märtyrthum.

Zuweilen blieb sein Geist bei den braven französischen Edelleuten stille stehen, welche ihm bereits hundert Meilen entfernt, fabelhaft, chimärisch und jenen Bildern ähnlich erschienen, die man im Traume erblickt, während sie beim Erwachen wieder verschwinden.

Karl fragte sich wirklich wiederholt, ob Alles das, was ihm begegnet, nicht ein Traum oder Folge eines Fieberwahnes wäre.

Bei diesem Gedanken stand er auf, machte einige Schritte, als wollte er sich von feiner Schlafsucht befreien, und ging an das Fenster. Bald aber sah er unterhalb des Kreuzstockes die Musketen der Soldaten glänzen. Dann war er genöthigt, sich zu gestehen, daß er gut bewacht werde, und daß sein blutiger Traum der Wirklichkeit angehöre.

Karl kehrte stillschweigend zu seinem Lehnstuhle zurück, stützte sich abermals mit dem Ellenbogen auf den Tisch, ließ seinen Kopf auf die Hand fallen und versank in Gedanken.

»Ach,« sagte er zu sich selbst, »wenn ich nur zum Beichtvater eines der Lichter der Kirche hätte, deren Seele alle Geheimnisse des Lebens erforscht, alle Geringfügigkeiten der Größe durchdrungen hat. Vielleicht würde seine Stimme die Stimme ersticken, welche in meinem Gemüthe jammert. Aber ich werde einen Priester von gewöhnlichem Geiste sehen, dessen Laufbahn und Wohlfahrt ich durch mein Unglück gebrochen habe. Er wird mir von Gott und von dem Tode sprechen, wie er mit andern Sterbenden gesprochen hat, ohne zu begreifen, daß der königliche Sterbende dem Usurpator einen Thron hinterläßt, während seine Kinder kein Brod haben.«

Dann das Porträt seinen Lippen nähernd, murmelte er abwechselnd und einen nach dem andern die Namen seiner Kinder.

Es war eine nebelige, kalte Nacht. Die Glocke schlug langsam in dem Thurme der benachbarten Kirche Die bleiche Helle zweier Kerzen ließ in dem großen, hohen Gemache von seltsamen Reflexen beleuchtete Phantome erscheinen. Diese Phantome waren die Ahnen von König Karl, welche sich aus ihren goldenen Rahmen lösten. Die Reflexe rührten von dem letzten bleichen, spiegelnden Schimmer eines Kohlenfeuers her, das im Erlöschen begriffen war.

Eine unermeßliche Traurigkeit bemächtigte sich des Königs. Er begrub seine Stirne in seinen zwei Händen, dachte an die Welt, welche so schön ist, wenn man sie verläßt, oder vielmehr wenn sie uns verläßt, an die Liebkosungen der Kinder, welche so süß und zart sind, besonders wenn man von diesen Kindern getrennt ist, um sie nie mehr zu sehen, dann an seine Gattin, ein edles, amuthiges Geschöpf, das ihn bis zu seinem letzten Augenblick unterstützt hatte. Er zog aus seiner Brust das Demantkreuz und den Stern des Hosenbandordens, diese Juwelen, die ihm durch die edelmüthigen Franzosen zugeschickt worden waren, und küßte sie. Als er dabei bedachte, daß er diese Gegenstände nie wiedersehen würde, wenn er kalt und verstümmelt im Grabe läge, fühlte er jenen eisigen Schauer über seine Glieder laufen, den uns der Tod wie seinen ersten Mantel zuwirft.

In diesem Gemache, das so viele königliche Erinnerungen in ihm rege machte, wo so viel Höflinge sich bewegt, so viele tausend Schmeicheleien ausgesprochen worden waren, allein mit einem verzweifelnden Diener, dessen schwaches Gemüth seine Seele nicht unterstützen konnte, ließ der König seinen Muth bis zu der Linie dieser Schwächen, dieser Finsterniß, dieser Winterkälte herabsinken. Und sollte man es glauben, Karl, der so groß, so erhaben, das Lächeln der Resignation auf den Lippen starb, trocknete in der Finsterniß eine Thräne, welche auf den Tisch gefallen war und über dem goldgestickten Teppich zitterte.

Plötzlich hörte man Tritte in den Gängen, die Thüre öffnete sich, Fackeln füllten das Gemach mit ihrem rauchigen Lichte, und ein Geistlicher in bischöflichem Gewände trat ein, gefolgt von zwei Wachen, denen Karl mit der Hand ein gebieterisches Zeichen machte. Die zwei. Wachen entfernten sich, das Gemach versank abermals in Dunkelheit.

»Juron!« rief Karl. »Juron! ich danke, mein letzter Freund, Ihr kommt zu gelegener Zeit.«

Der Bischof warf einen unruhigen Seitenblick auf den Menschen, welcher in einem Winkel des Kamins schluchzte.

»Auf! Parry,« sagte der König, »weine nicht. Gott kommt zu uns.«

»Wenn es Parry ist,« versetzte der Bischof, »so habe ich nichts zu befürchten. Erlaubt mir also, Sire, Eure Majestät zu begrüßen und ihr zu sagen, wer ich bin und aus welchem Grunde ich komme.«

Bei diesem Anblick, bei dieser Stimme war Karl ohne Zweifel im Begriffe zu rufen; aber Aramis legte den Finger auf die Lippen und verbeugte sich tief vor dem König von England.

»Der Chevalier!« murmelte Karl.

»Ja, Sire,« unterbrach ihn Aramis, die Stimme erhebend, »ja, der Bischof Juron, ein getreuer Ritter Christi, der sich den Wünschen Eurer Majestät fügt.«

Karl faltete die Hände, er hatte d’Herblay erkannt; er war wie vernichtet vor diesen Menschen, welche als Freunde, ohne einen andern Beweggrund, als den einer durch ihr eigenes Gewissen auferlegten Pflicht, so gegen den Willen eines Volkes und das Geschick eines Königs handelten.

»Ihr seid es,« sprach er, »Ihr! wie seid Ihr bis Hierher gelangt? Mein Gott, Ihr wäret verloren, wenn sie Euch erkennen würden.«

»Denkt nicht an mich, Sire« sagte Aramis, dem König abermals durch eine Geberde Stillschweigen empfehlend, »denkt nur an Euch, Euere Freunde nahen. Was wir thun werden, weiß ich noch nicht; aber vier entschlossene Männer sind viel zu thun im Stande. Schließt indessen das Auge nicht, erstaunt über nichts, seid aus Alles gefaßt.«

Karl schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Freund, wißt Ihr, daß Ihr keine Zeit zu verlieren habt, daß Ihr Euch beeilen müßt, wenn Ihr handeln wollt? Wißt Ihr, daß ich morgen um zehn Uhr sterben soll?«

»Sire, es wird bis dahin Etwas vorfallen, was eine Hinrichtung unmöglich macht.«

Der König schaute Aramis erstaunt an.

In demselben Augenblick vernahm man unter dem Fenster des Königs ein seltsames Geräusch; wie das eines Holzwagens, welcher abgeladen wird.

»Hört Ihr?« sprach der König. Auf dieses Geräusch folgte ein Schrei des Schmerzes.

»Ein Schrei … ich weiß nicht, wer ihn ausstoßen konnte, aber das Geräusch will ich Euch deuten,« sagte der König. »Wißt Ihr, daß ich vor diesem Fenster hingerichtet werden soll?« fügte er, die Hand nach dem düsteren, öden, nur von Soldaten und Schildwachen besetzten Platze ausstreckend, bei.

»Ja, Sire, ich weiß es.«

»Nun, das Holz, welches man bringt, besteht aus den Balken und Brettern, aus denen mein Schaffot errichtet werden soll. Es wird sich ein Arbeiter beim Abladen verwundet haben.«

Aramis bebte unwillkürlich.

»Ihr seht, daß Ihr vergeblich auf Eurem Willen beharrt,« sprach Karl; »ich bin verurtheilt, laßt mich meinen Tod erleiden.«

»Sire,« antwortete Aramis, seine einen Augenblick gestörte Ruhe wieder gewinnend, »sie mögen ein Schaffot errichten, aber sie können keinen Henker finden.«

 

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Daß der Henker zu dieser Stunde entführt ist; morgen wird das Blutgerüste bereit sein, aber der Henker wird fehlen, und man muß die Hinrichtung auf übermorgen verschieben.«

»Und dann?«

»Morgen in der Nacht retten wir Euch.«

»Wie dies?« rief der König, dessen Antlitz unwillkürlich ein Blitz der Freude erleuchtete.

Oh! Herr, seid gesegnet,« murmelte Parry die Hände faltend.

»Wie dies?« wiederholte der König, »ich muß es wissen, um Euch nöthigen Falls unterstützen zu können.«

»Ich weiß es nicht, Sire, aber der Gewandteste, der Bravste, der Ergebenste von uns Vieren, sprach zu mir, als ich ihn verließ: »»Chevalier, sagt dem König, daß wir ihn morgen Abend um zehn Uhr entführen.««

»Nennt mir den Namen dieses edelmüthigen Freundes, daß ich, mag es ihm gelingen oder nicht gelingen, eine ewige Dankbarkeit für ihn bewahre.«

»D’Artagnan, Sire, welcher nahe daran war, Euch zu retten, als Harrison so ungelegen eintrat.«

»Ihr seid in der That wunderbare Menschen,« sprach der König, »und ich würde nicht daran geglaubt haben, wenn man mir solche Dinge erzählt hätte.«

»Nun hört mich an, Sire,« sprach Aramis. »Vergeßt nicht einen Augenblick, daß wir für Euer Heil wachen; beobachtet Alles, horcht auf Alles, erklärt Euch Alles, den geringsten Gesang, das kleinste Zeichen.«

»Oh! Chevalier, was soll ich Euch sagen?« rief der König. »Kein Wort, und käme es aus der tiefsten Tiefe meines Herzens, vermöchte meine Dankbarkeit auszudrücken. Wenn es Euch gelingt, werde ich Euch nicht zurufen, Ihr rettet einen König; von dem Blutgelüste aus gesehen, wie ich es sehe, ist das Königthum sehr wenig; aber Ihr werdet einer Gattin ihren Gatten, dm Kindern ihren Vater erhalten. Chevalier, berührt meine Hand, es ist die eines Freundes, der Euch bis zu seinem letzten Seufzer lieben wird.«

Aramis wollte dem König die Hand küssen, aber der König ergriff die seinige und drückte sie an das Herz.

In diesem Augenblick trat ein Mann ein, ohne an die Thüre zu klopfen; Aramis wollte seine Hand zurückziehen, der König ließ sie nicht los.

Der Eintretende war einer von den puritanischen Halbpriestern, Halbsoldaten, wie man sie in großer Anzahl in der Umgebung von Cromwell fand.

»Was wollt Ihr, mein Herr?« sagte der König zu ihm.

»Ich wünsche zu wissen, ob die Beichte von Karl Stuart beendigt ist,« erwiderte der Unbekannte.

»Was liegt Euch daran?« sagte der König, »wir sind nicht von derselben Religion.«

»Alle Menschen sind Brüder,« erwiderte der Puritaner; »einer meiner Brüder soll sterben, und ich komme, um ihn zum Tode vorzubereiten.«

»Genug.« versetzte Parry; der König hat nichts mit Euren Vorbereitungen zu schaffen.«

»Sire,« sagte ganz leise Aramis, »schont ihn, es ist ohne Zweifel ein Spion.«

»Nach dem ehrwürdigen Herrn Bischof werde ich Euch mit Vergnügen hören, mein Herr,« sprach der König.

Der Mensch mit dem scheelen Blicke entfernte sich, nachdem er Juron zuvor mit einer Aufmerksamkeit betrachtet halte, welche dem König nicht entging.

»Chevalier,« sagte er, als die Thüre wieder geschlossen war, »ich glaube, Ihr habt Recht, dieser Mensch ist in böser Absicht Hierher gekommen. Nehmt Euch in Acht, wenn Ihr Euch entfernt, damit Euch kein Unglück widerfährt.«

»Sire,« erwiderte Aramis, »ich danke Eurer Majestät, aber sie mag sich beruhigen. Ich habe unter diesem Rocke ein Panzerhemd und einen Dolch.«

»Geht, mein Herr, und Gott beschütze Euch in Gnaden, wie ich zur Zeit sagte, als ich noch König war.«

Aramis entfernte sich. Karl geleitete ihn bis auf die Schwelle. Aramis theilte seinen Segen aus, wobei die Wachen sich verbeugten, ging majestätisch durch die mit Soldaten angefüllten Vorzimmer, stieg wieder in seinen Wagen, wohin ihm seine zwei Wächter folgten, und ließ sich in den erzbischöflichen Palast zurückführen, an welchem sie sich von ihm trennten.

Juron wartete voll Angst.

»Nun?« sagte er, als er Aramis gewahr wurde.

»Alles ist nach meinen Wünschen gegangen,« antwortete dieser; »Spionen, Wachen, Trabanten haben mich für Euch gehalten, und der König segnet Euch, bis Ihr ihn segnen werdet.«

»Gott beschütze Euch, mein Sohn; Euer Beispiel hat mir zugleich Muth und Hoffnung gegeben.«

Aramis nahm seine Kleider und seinen Mantel wieder und verließ den Bischof, nachdem er ihm zuvor bemerkt hatte, er werde noch einmal seine Zuflucht zu ihm nehmen müssen.

Kaum hatte er zehn Schritte in der Straße gemacht, als er bemerkte, daß ihm ein in einen weiten Mantel gehüllter Mensch folgte. Er legte die Hand an seinen Dolch und blieb stille stehen. Der Mensch kam gerade auf ihn zu, es war Porthos.

»Der theure Freund!« sprach Aramis, ihm die Hand reichend.

»Ihr seht, mein Lieber,« versetzte Porthos, »jeder von uns hatte seinen Auftrag. Der meinige war, Euch zu bewachen, und ich bewachte Euch. Habt Ihr den König gesehen?«

»Ja, und es geht Alles gut. Doch wo sind nun unsere Freunde?«

»Wir versammeln uns um elf Uhr im Gasthause.«

»Dann ist keine Zeit zu verlieren.«

Es schlug wirklich halb elf Uhr in der Sanct Paulskirche; da sich die Freunde indeß beeilten, so kamen sie zuerst an.

Nach ihnen kehrte Athos zurück.

»Alles geht gut,« sagte er, ehe seine Freunde Zeit hatten, ihn zu befragen.

»Was habt Ihr gethan?« sprach Aramis.

»Ich habe eine kleine Felucke gemiethet, welche so schmal ist wie eine Pirogue und so leicht wie eine Schwalbe. Sie erwartet uns in Greenwich mit einem Patron und vier Mann, welche gegen eine Bezahlung von fünfzig Pfund Sterling drei Nächte hinter einander zu unserer Verfügung sind. Einmal mit dem König an Bord, benützen wir die Fluth, fahren die Themse hinab, und sind in zwei Stunden auf offener See. Als wahre Piraten folgen wir sodann der Küste, verbergen uns an den unzugänglichen Ufern und steuern, wenn das Meer frei ist, nach Boulogne. Für den Fall, daß ich getödtet würde, bemerke ich Euch, daß der Patron des Schiffes Kapitän Roger ist und daß die Felucke der Blitz heißt. Hiermit findet Ihr den Herrn und das Schiff. Ein an den vier Enden geknüpftes Sacktuch ist das Erkennungszeichen.«

Einen Augenblick nachher kam d’Artagnan ebenfalls.

»Leert Eure Taschen,« sagte er, »bis die Summe von hundert Pfund Sterling voll ist; denn die meinigen (d’Artagnan kehrte seine Taschen um) sind ganz leer.«

Die Summe war in der Secunde zusammengeschossen. D’Artagnan ging hinaus und kehrte sogleich wieder zurück.

»Das ist abgemacht,« sagte er; »aber es hat Mühe gekostet.«

»Der Henker hat London verlassen?« fragte Athos.

»Ja wohl. Aber es war dies nicht sicher genug; er konnte zu einem Thore hinaus gehen und zum andern wieder herein kommen.«

»Wo ist er jetzt?« sprach Athos.

»Im Keller.«

»In welchem Keller?«

»Im Keller unseres Wirthes. Mousqueton sitzt auf der Schwelle, und hier ist der Schlüssel.«

»Bravo,« sagte Aramis. »Aber wie habt Ihr diesen Menschen bestimmt, zu verschwinden?«

»Wie man Alles in dieser Welt bestimmt, mit Geld. Es kostete mich viel, aber er willigte ein.«

»Wie viel hat es Euch gekostet, Freund?« fragte Athos; denn Ihr begreift nun, da wir nicht mehr ganz arme Musketiere ohne Habe und Gut sind, müssen alle Ausgaben gemeinschaftlich sein.«

»Es hat mich zwölftausend Livres gekostet,« erwiderte d’Artagnan.

»Wo habt Ihr diese gefunden? Besaßet Ihr denn eine solche Summe?«

»Der berühmte Diamant der Königin,« antwortete d’Artagnan mit einem Seufzer.

»Ah, es ist wahr,« sagte Aramis, »ich erkannte ihn an Eurem Finger.«

»Ihr habt ihn also Herrn des Essarts wieder abgekauft?« fragte Porthos.

»Ei, mein Gott, ja; aber es ist da oben geschrieben, daß ich ihn nicht behalten soll. Was wollt Ihr? die Diamante haben, wie man Wohl glauben muß, ihre Sympathien und ihre Antipathien, gerade wie die Menschen. Es scheint, dieser haßt mich.«

»Mit dem Henker selbst also ist die Sache gut abgelaufen,« sagte Athos; »leider aber hat jeder Henker seinen Knecht, seinen Gehilfen, was weiß ich.«

»Dieser hatte auch einen; aber wir spielen glücklich.«

»Wie dies?«

»In dem Augenblick, wo ich glaubte, ich hätte eine zweite Angelegenheit abzumachen, brachte man meinen Burschen mit gebrochenem Schenkel zurück. Aus übermäßigem Eifer begleitete er bis unter die Fenster des Königs den Wagen, der die Balken und Bretter führte. Einer von diesen Balken fiel ihm auf das Bein und zerschmetterte ihm dasselbe.«

»Ah,« sprach Aramis, »er hat also den Schrei ausgestoßen, den ich in dem Gemache des Königs vernahm.«

»Das ist wahrscheinlich,« sagte d’Artagnan; »da er aber ein Mensch von Ueberlegung ist, so versprach er bei seiner Entfernung an seiner Stelle vier erfahrene, geschickte Arbeiter zu senden, um diejenigen, welche bereits bei dem Geschäfte sind, zu unterstützen, und als er bei seinem Herrn angelangt war, schrieb er, obgleich verwundet, sogleich an Tom Lowe, einen ihm befreundeten Zimmermann, er möge sich zu Erfüllung seines Versprechens nach Whitehall begeben. Hier ist der Brief, den er durch einen Erpressen abschickte, welcher denselben um zehn Pence besorgen sollte, aber um einen Louisd’or an mich verkaufte.«

»Was, Teufels, wollt Ihr mit dem Briefe machen?« sagte Athos.

»Ihr errathet es nicht? versetzte d’Artagnan, mit seinen von Verstand glänzenden Augen. »Bei meiner Seele, nein.«

»Wohl, mein lieber Athos, Ihr, der Ihr Englisch sprecht wie John Bull, Ihr seid Meister Tom Lowe und wir sind Eure drei Gesellen. Begreift Ihr es nun?«

Athos stieß einen Schrei der Bewunderung und Freude aus, lief in ein Cabinet und nahm Arbeiterkleider, welche die vier Freunde alsbald anzogen, wonach sie den Gasthof, Athos mit einer Säge, Porthos mit einer Beißzange, Aramis mit einer Art und d’Artagnan mit einem Hammer und Nägeln verließen.

Der Brief des Henkerknechtes diente bei dem Zimmermeister zur Beglaubigung, daß sie es wären, welche man erwartete.

IV
Die Arbeiter

Gegen Mitternacht vernahm Karl ein starkes Geräusch unter seinem Fenster. An verschiedenartigen Tönen ließen sich Hammer und Art, Beißzange und Säge unterscheiden. Er hatte sich ganz angekleidet auf sein Bett geworfen und fing an zu entschlummern, als ihn dieses Geräusch plötzlich erweckte, und da dasselbe außer seinem materiellen Wiederhalle ein furchtbares moralisches Echo in seiner Seele fand, so erfaßten ihn die gräßlichen Gedanken des vorhergehenden Tages abermals. Allein in der Finsterniß und Einsamkeit, hatte er nicht die Kraft, diese neue Marter zu ertragen, welche nicht in dem Programm seiner Strafe stand, und ließ durch Parry der Schildwache sagen, sie möge die Arbeiter bitten, minder stark zu klopfen und Mitleid mit dem letzten Schlafe desjenigen zu haben, welcher ihr König gewesen.

Die Schildwache wollte nicht von ihrem Posten gehen, ließ aber Parry hinaus.

An dem Fenster angelangt, bemerkte Parry auf einer Höhe mit dem Balcon, dessen Gitter man weggenommen hatte, ein breites Schaffst, auf welches man eine Tapete von Sarsche zu nageln anfing.

Dieses ungefähr zwanzig Fuß hohe Schaffot hatte zwei innere Stockwerke. Pany suchte, so verhaßt ihm auch dieser Anblick war, unter den acht bis zehn Arbeitern, welche die unselige Maschine erbauten, diejenigen, deren Geräusch für den König am unangenehmsten sein mußte, und erblickte auf einem Brette zwei Männer, welche mit Hilfe einer Brechstange die letzten Fischbänder des eisernen Balcons losmachten. Der Eine derselben, ein wahrer Coloß, verrichtete den Dienst des antiken Widders, welcher dazu bestimmt war, die Mauern umzustürzen. Bei jedem Schlage seines Instrumentes flog der Stein in Stücken. Der Andere war niedergekniet und zog die erschütterten Steine an sich. Diese, machten offenbar den Lärmen, worüber sich der König beklagte.

Parry stieg auf die Leiter und sagte zu ihnen: »Meine Freunde, wollt ein wenig stiller arbeiten. Ich bitte Euch, der König schläft, er bedarf des Schlafes.«

Der Mensch, welcher mit der Brechstange arbeitete, hielt inne und wandte sich um. Weil er aber aufrecht stand, so konnte Parry sein Gesicht in der Finsterniß, welche sich an dem Boden verdichtete, nicht erkennen. Der aber, der auf den Knieen lag, wandte sich um, und da sein Gesicht von der Laterne beleuchtet wurde, so vermochte ihn Parry zu sehen.

Dieser Mensch schaute ihn fest an und legte einen Finger an seinen Mund.

Parry wich erstaunt zurück.

»Es ist gut, es ist gut,« sagte der Arbeiter in vortrefflichem Englisch, »kehrt zurück und sagt dem König, wenn er heute Nacht schlecht schlafe, so werde er morgen Nacht desto besser schlafen.«

 

Diese harten Worte, welche, buchstäblich gedeutet, einen so furchtbaren Sinn hatten, wurden von den Zimmerleuten, welche an den Seiten und dem inneren Gerüste arbeiteten, mit einem Ausbruche gräßlicher Freude aufgenommen.

Parry glaubte, er träume, und kehrte zurück.

Karl erwartete ihn mit Ungeduld.

In dem Augenblick, wo er zurückkam, streckte die Schildwache, welche an der Thür stand, neugierig den Kopf durch die Oeffnung, um zu sehen, was der König machte.

Der König stützte sich mit dem Ellenbogen auf sein Bett.

Parry schloß die Thüre, ging mit freudestrahlendem Gesicht auf den König zu und sagte leise:

»Sire, wißt Ihr, wer die Arbeiter sind, welche ein solches Geräusch machen?«

»Nein,« antwortete Karl, schwermüthig das Haupt schüttelnd, »wie soll ich es wissen? Kenne ich diese Menschen?«

»Sire,« sagte Parry noch leiser und sich auf das Bett seines Gebieters neigend, »Sire, es ist der Graf de la Fère und sein Freund.«

»Sie errichten mein Schaffot?« sprach der König erstaunt.’

»Ja, und während sie es errichten, machen sie ein Loch in die Mauer.«

»Stille,« versetzte der König ängstlich um sich her schauend; »Du hast sie gesehen?«

»Ich habe mit ihnen gesprochen.«

Der König faltete die Hunde, schlug die Augen zum Himmel auf und verrichtete ein kurzes, inbrünstiges Gebet. Dann verließ er sein Bett und ging auf das Fenster zu, dessen Vorhänge er auf die Seite schob. Die Wachen des Balcons waren immer noch da; jenseits des Balcons aber breitete sich eine düstere Plattform aus, auf welcher Schatten umhergingen.

Karl vermochte nichts zu unterscheiden, aber er fühlte unter seinen Füßen die Erschütterung in Folge der Schläge seiner Freunde. Und jeder dieser Schläge antwortete in seinem Herzen.

Parry hatte sich nicht getäuscht: er hatte Athos erkannt. Er war es wirklich, der, unterstützt von Porthos, ein Loch aushöhlte in welchem einer von den Querbalken ruhen sollte.

Dieses Loch lief in eine unter dem Boden des königlichen Zimmers angebrachte Oeffnung. War man einmal in dieser Oeffnung, welche einem sehr niedrigen Entresol glich, so konnte man mittels einer Brechstange und guter Schaltern – dies war die Sache von Porthos eine Platte des Bodens sprengen. Der König schlüpfte sodann durch diese Oeffnung, erreichte mit seinen Rettern eine von den Abtheilungen des ganz mit schwarzem Tuche bedeckten Schaffots, zog ebenfalls ein Arbeitergewand an, das man für ihn bereit hielt, und ging ganz furchtlos mit den vier Freunden hinab. Die Schildwachen, welche, ohne irgend einen Verdacht zu haben, die Arbeiter vom Schaffot kommen sahen, ließen sie vorübergehen. Die Felucke war, wie gesagt, bereit.

Dieser Plan war umfassend und zugleich einfach und leicht, wie alle Dinge, welche aus einer kühnen Entschlossenheit hervorgehen.

Athos zerriß seine so zarten, so weißen Hände, um Steine herauszuheben, die von Porthos aus ihren Basen gebrochen wurden. Bereits konnte er den Kopf unter die Zierrathen stecken, welche den unteren Kranz des Balcons schmückten. Noch zwei Stunden und er würde den ganzen Körper durchbringen. Vor Tag sollte das Loch fertig, sein und völlig unter den Falten einer innern Tapete verschwinden, welche d’Artagnan zu legen hatte. D’Artagnan hatte sich für einen französischen Arbeiter ausgegeben, und brachte die Nägel mit der Regelmäßigkeit des geschicktesten Tapeziers an. Aramis schnitt das Ueberflüssige der Sarsche ab, welche bis zur Erde herabhing und hinter der sich das Blutgerüste erhob.

Der Tag erschien an den Gipfeln der Häuser. Ein großes Torf- und Kohlenfeuer hatte die Arbeiter in der so kalten Nacht vom 29. auf den 30. Januar unterstützt. Jeden Augenblick unterbrachen sich selbst die Giftigsten bei der Arbeit, um sich an dem Feuer zu wärmen. Athos und Porthos allein hatten ihr Werk nicht verlassen. Bei dem ersten Schimmer des Tages war auch das Loch vollendet. Athos drang hinein und nahm dabei die in einen Abschnitt von schwarzer Sarsche gewickelten, für den König bestimmten Kleider mit. Porthos gab ihm seine Brechstange, und d’Artagnan nagelte (ein großer, aber sehr nützlicher Luxus) eine Tapete von Sarsche innen an, hinter welcher das Loch und derjenige, welchen es verbarg, verschwanden.

Athos brauchte nur noch zwei Stunden zu arbeiten, um sich mit dem König in Verbindung zu setzen, und nach der Voraussicht der vier Freunde hatten sie den ganzen Tag vor sich, da man in Ermangelung des Henkers von London genöthigt sein würde, den von Bristol zu holen.

D’Artagnan legte sein kastanienbraunes Kleid wieder an und Porthos nahm sein rothes Wamms.

Aramis begab sich zu Juron, um mit ihm, wenn es möglich wäre, zu dem König zu dringen.

Alle Drei sollten sich um die Mittagsstunde auf dem Whitehall-Platze zusammenfinden, um zu sehen, was vorginge.

Ehe Aramis das Schaffot verließ, näherte er sich der Oeffnung, wo Athos verborgen war, um ihm mitzutheilen, er wolle Karl zu sehen suchen.

»Gott befohlen also und guten Muth,« sprach Athos; »berichtet dem König, wie die Sachen stehen, sagt ihm, sobald er allein sei, möge er auf den Boden klopfen, damit ich meine Arbeit sicher fortsetzen kann. Wollte mir Parry vorher die innere Platte des Kamins, welche ohne Zweifel von Marmor ist, losmachen helfen, so wäre schon etwas geschehen. Ihr, Aramis, trachtet danach, den König nicht zu verlassen. Sprecht laut, sehr laut, denn man wird Euch von der Thüre aus hören. Befindet sich eine Wache im Innern des Zimmers, so tödtet sie, ohne Euch lange zu bedenken; sind zwei da, so mag Parry die eine tödten, und Ihr fertigt die andere ab; sind es drei, so laßt Euch tödten, aber rettet den König.«

»Seid unbesorgt, ich nehme zwei Dolche mit, um einen davon Parry zu geben. Habt Ihr sonst noch etwas?«

»Nein, geht; aber schärft dem König ein, er solle keinen falschen Edelmuth üben. Indeß Ihr kämpft, wenn ein Kampf entsteht, fliehe er; ist die Platte einmal wieder über seinem Kopfe, und Ihr seid todt oder lebendig auf der Platte, so braucht man wenigstens zehn Minuten, um das Loch zu finden, durch welches er entflohen ist. Während dieser zehn Minuten haben wir eine Strecke Wegs zurückgelegt, und der König ist gerettet.«

»Es soll geschehen, wie Ihr sagt, Athos. Euere Hand, denn vielleicht sehen wir uns nicht wieder.

Athos schlang seinen Arm um den Hals von Aramis, küßte ihn und sprach:

»Für Euch, Aramis. Sterbe ich, so sagt d’Artagnan, daß ich ihn liebe, wie mein Kind, und umarmt ihn in meinem Namen. Umarmt auch Porthos, unsern guten, braven Porthos. Gott befohlen!«

»Gott befohlen,« erwiderte Aramis. »Ich bin nun so fest überzeugt, daß der König entkommen wird, als ich überzeugt bin, daß ich in diesem Augenblicke die redlichste Hand der Welt drücke.«

Aramis verließ Athos, stieg ebenfalls von dem Schaffot herab, und kehrte, die Melodie eines Liedes zum Lobe von Cromwell pfeifend, in das Hotel zurück. Er fand seine zwei andern Freunde, welche in der Nähe eines guten Feuers am Tische saßen, eine Flasche Portwein tranken und ein kaltes Huhn verzehrten. Porthos aß und stieß zugleich tausend? Verwünschungen gegen die heillosen Parlamentsmitglieder aus. D’Artagnan saß stillschweigend, baute aber in seinen Gedanken die kühnsten Pläne.

Aramis erzählte ihm Alles, was verabredet war. D’Artagnan billigte mit dem Kopfe, Porthos mit der Stimme.

»Bravo,« sagte er; »überdies werden wir im Augenblicke der Flucht dort sein. Man ist sehr gut unter dem Schaffot verborgen und .wir können uns daselbst halten. D’Artagnan, ich, Grimaud und Mousqueton schlagen wohl acht todt; von Blaisois spreche ich nicht, er taugt nur zur Bewachung der Pferde. Zwei Minuten auf den Menschen, macht vier Minuten. Mousqueton wird eine verlieren, das ist fünf. Wahrend. dieser fünf Minuten könnt Ihr beinahe eine halbe Stunde Wegs zurückgelegt haben.«

Aramis aß schnell ein Stück Fleisch, trank ein Glas Wein und wechselte die Kleider.

»Nun begebe ich mich zu Seiner Herrlichkeit,« sagte er. »Ihr beschäftigt Euch damit, die Waffen bereit zu halten, Porthos. Ueberwacht Euern Henker gut, d’Artagnan.«