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So sey es

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»Wer-?« fragte ich.

»Der Abbé.«

»Aber was für ein Interesse konnte er haben, Sie als die Frau eines Andern zu sehen, da er Sie liebte und auf Montigny so eifersüchtig gewesen war?«

»Dies, lieber Freund,e sagte Edmée mit demselben sonderbaren Lächeln und eben so sonderbarer Betonung, »dies ist ein Geheimniß Chambray’s, erlauben Sie mir daher, Ihre Frage unbeantwortet zu lassen.«

Und als sie merkte, daß ich sie mit Fragen bestürmen wollte, reichte sie mir beide Hände und sagte:

»Adieu, Max! Es ist schon Mitternacht vorüber, es ist Zeit uns zu verlassen.«

Ich sah wohl ein, daß ich nicht das Recht hatte, mehr zu verlangen; hatte ich doch diesen Abend mehr von Edmée erfahren, als ich hätte erfragen mögen. Ich gab mich zufrieden und küßte ihr zum Abschiede die Hände.

»Nicht wahr, auf morgen?« sagte ich und ging rasch fort.

Ich war kaum zehn Minuten zu Hause, über diesen wonnereichen Abend und die merkwürdige Erzählung und das sonderbare Geschick der reizenden Edmée nachsinnend, als ich auf der Straße meinen Namen nennen hörte.

Ich sprang auf, sah aus dem Fenster und erkannte im Mondschein die alte Josephine.

»Mein Gott,« sagte ich, »es ist doch der Frau von Chambray kein Unglück geschehen?«

»Nein,« antwortete Josephine, »aber sie will augenblicklich mit Ihnen reden.«

»Mit mir?«

»Ja wohl, und ich bin gekommen, Sie zu holen.«

»Gut« ich gehe sogleich mit Ihnen.«

Ich eilte die Treppe hinunter, und in wenigen Augenblicken war ich bei ihr.

»Was ist denn geschehen?«

» Nichts von Bedeutung wie ich hoffe.«

»Sagen Sie, was es gibt.«

»Ich erwartete meine liebe Kleine, um sie auszukleiden und zu Bette zu bringen, wie ichs von jeher gewohnt war. Sie kam ganz ruhig nach Hause und schien sehr vergnügt; aber als sie eben zu Bette gehen wollte, fühlte sie plötzlich eine große Unruhe. Sie ging in ihr Stäbchen und befahl mir, in dem großen Zimmer zu warten. Nach fünf Minuten kam sie wieder heraus; sie war noch blässer und unruhiger als vorher. – »Liebe Josephine,« sagte sie zu mir, »es thut mit leid daß ich Dir Mühe mache. – Sie können denken, daß ich sie nicht ausreden ließ; denn für sie arbeiten ist mir lieber, als für Andere Vergnügen haben. – »Sage, was soll ich thun? Fürchte Dich nicht, sagte ich, denn das liebe Kind verlangt, daß ich sie noch immer dutze, wie vor Zeiten, als sie noch klein war. – Geschwind ins Gasthaus, wo Herr von Villiers wohnt,« sagte sie; »ich habe vergessen« ihm etwas Wichtiges zu sagen. Ich wünschte ihn morgen – oder vielmehr heute – wieder zu sehen; aber es ist doch möglich, daß ich verhindert werde. Ich lasse ihn daher bitten, sogleich zu mir zu kommen. Du darfst nicht fürchten ihn zu stören, setzte sie hinzu und lächelte dabei so holdselig, daß Sie gewiß für sie ins Wasser springen würden; »meine Botschaft wird ihm gewiß angenehm sein.« – So bin ich hierher geeilt; ich weiß ja, daß ich ihr und Ihnen eine Freude damit mache.«

Die Botschaft war mir allerdings angenehm; aber ich war doch etwas besorgt, denn es mußte etwas Wichtiges vorgefallen sein. Ich eilte der alten Josephine voraus, und erreichte bald das Schloß.

Das Gitterthor war offen. Da ich vergessen hatte, Josephine zu fragen wo ich Frau von Chambray finden würde, so lief ich zuerst zu der Bank, bei der ich sie verlassen hatte. Edmée war nicht da. Ich stieg die Freitreppe hinauf und ging im Finstern tappend, durch die Vorhalle. Aber kaum hatte ich die Treppe erreicht, so erschien Edmée mit einem Lichte in der Hand im ersten Stocke.

Sie hatte sich umgekleidet und trug ein langes weißes Nachtkleid, das ihr in der hellen Kerzenbeleuchtung das Aussehen einer antiken Statue gab.

Einige Schritte vor ihr stand ich still. – Sie sah mich fragend an.

»Ich betrachte Sie jetzt,« sagte ich, »mit Künstleraugen; Sie befinden sich in einer herrlichen Beleuchtung und sind wunderbar schön. O, Ihr Porträt von Van Dyk müßte ein Meisterwerk sein!«

»Ich sah Sie kommen,« erwiederte sie, »und da die Treppe dunkel ist, so fürchtete ich, es könnte Ihnen ein Unfall zustoßen.«

Sie reichte mir die Hand, um mich zum schnelleren Hinaufsteigen zu nöthigen.

»Ich bin kein Dante,« sagte ich, »aber Sie gleichen der Beatrix« welche ihren Poeten die Stufen des Paradieses hinaufführt.«

»Kommen Sie geschwind,« entgegnete sie; »ich fürchte dieses Paradies früher verlassen zu müssen, als ich wünsche.

»Mein Gott! was ist denn geschehen? Josephine sagt mir. Sie wären unruhig aufgeregt.«

»Ich weiß es noch nicht. Kommen Sie, Sie sollen mir’s sagen.«

Sie ging mit dem Lichte voran und führte mich in ihr kleines Zimmer. Sie setzte sich auf ein Sopha und lud mich ein neben ihr Platz zu nehmen.

Ich setzte mich zu ihr und reichte ihr beide Hände. Sie legte die ihrigen darauf.

Ein eigenthümlicher lieblicher Duft, der das Zimmer erfüllte, wirkte fast berauschend auf mich.

»Hören Sie mich denn, lieber Freund,« setzte sie hinzu; »was ich Ihnen zu sagen habe, ist sehr ernsthaft. – Kaum hatten Sie mich verlassen, so wurde ich von jener unbeschreiblichen Angst, von jener bangen Ahnung ergriffen, die sich meiner bemächtigt, wenn mir eine Gefahr droht. – Ich ließ Josephine in dem großen Zimmer und kam hierher, um allein zu sein und einen Versuch mit meinem übersinnlichen Gefühlsvermögen zu machen. Aber alle meine Anstrengungen blieben fruchtlos. Ich glaube, daß die Gefahr noch entfernt ist; wenn es sich nur um mich handelte, so würde ich vielleicht Bedenken getragen haben, Sie zu stören. Aber es scheint mir, lieber Max, daß Sie von meiner Gefahr mit bedroht sind. Vielleicht ist es ein Irrthum; der Austausch unserer Gedanken mag wohl einige der sympathetischen Fäden unseres Lebens in einander geschlungen haben, so daß ich irrthümlich sage: wir und nicht ich; aber ich bin zu unruhig.«

»Was kann ich thun, diese Unruhe zu beschwichtigen? Ich kann Ihnen nicht verhehlen, liebe Edmée, daß ich Sie nicht verstehe.«

»Ich dachte daß mein im wachen Zustande getrübt bleibendes Gesichtsvermögen im magnetischen Schlafe klar werden müsse. Im Schlafe bin ich ungemein hellsehend. Schläfern Sie mich ein, befragen Sie mich, und ich werde gewiß sehen.«

»Sie hatten mir diese Freude einst versprochen,« sagte ich. »O wie dankbar bin ich Ihnen dafür!«

Sie sah mich mit ihren klaren blauen Augen an.

»Ich vertraue mich meinem Bruder an,« erwiederte sie; »er wird mich um nichts fragen, was ich ihm nicht sagen könnte.«

Ich stand auf und streckte betheuernd die Hand nach dem Madonnenbilde aus.

»Hier sind meine Hände,« setzte sie hinzu. »Es wird nur von Ihrem Willen abhängen, mich in den magnetischen Schlaf zu versetzen.

Ich kniete vor ihr nieder, faßte ihre beiden Hände und sah ihr, meine Gedanken auf den einen Zweck richtend, fest ins Auge.

Nach einigen Secunden wurden ihre Hände feucht, ihre Augenlider schlossen sich allmälig und ihr Kopf sank langsam zurück gegen die Rücklehne des Sophas.

»Ich schlafe,«lispelte sie.

Ich hatte schon magnetisiren gesehen, aber es war das erste Mal, daß ich selbst magnetisirte; die Empfindungen, welche ich dabei hatte, waren daher völlig neu, und ich muß sagen wonnevoll.

Edmée war wie verklärt; ihr Gesicht war heiter, ihr Mund lächelte.

»Wie befinden Sie sich?« fragte ich.

»Seht gut. Lassen Sie mich eine Weile so; es wird bald Zeit sein, mich zu befragen.«

» Sind Sie ermüdet?«

»Nein, es ist mir sehr wohl.«

Einige Augenblicke später drückte sie mir sanft die Hand; ihre Stirne zog sich in düstere Falten, ihre Gesichtszüge drückten einige Unruhe aus.

»Warten Sie, warten Sie!« sagte sie.

Sie bewegte leicht den Kopf, als ob sie versuchte, durch eine sehr dicke Gaze zu sehen.

»Jetzt sehe ich!« sagte sie nach einer Pause.

»Was sehen Sie?« fragte ich.

»Herrn von Chambray.«

»Soll ich Sie befragen, oder erzählen lassen?«

»Lassen Sie mich nur erzählen.«

Ihre Brauen und Augenlider machten verschiedene Bewegungen.

»Er reitet von Bernay nach Evreux. In Evreux nimmt et einen Wagen nach Rouen; von Rouen reist er auf der Eisenbahn weiter. Er kommt um fünf Uhr Nachmittags in Paris an, nimmt einen Wagen und fährt zum Hotel Louvois. – Ah!«

»Sehen Sie noch immer?«

»Ja, ich sehe sehr gut; Ihr Wille hat eine große Gewalt über mich. – Warten Sie. – Er steigt wieder in den Wagen – er fährt über den Carrousselplatz, über die Tuilerienbrücke. Ich weiß, wohin er fährt.

»Ist es ein Geheimniß?«

»Nein; er begibt sich zu seinem Notar, in das Haus Nr- 53. – Ja, vor dem Hause hält er an. – Ah! Der Notar ist nicht zu Hause – er muß den andern Morgen wiederkommen, d. i. Gestern. – O, der Unsinnige!« sagte sie, wie mit sich selbst redend; »er wird erst Ruhe haben, wenn er uns völlig ruinirt hat! – Der Notar will ihm um fünf Uhr die Antwort geben; er muß Papiere haben, die in Bernay sind; diese Papiere sind nothwendig ohne sie kann er nichts thun. – Gestern um acht Uhr Abends ist er auf der Eisenbahn zurückgefahren. – — Werken Sie mich geschwind, Max, und sagen Sie mir Alles wieder, was ich Ihnen gesagt habe. Ich weiß nicht, was ich im Schlafe gesehen habe. Wecken Sie mich. – Es ist kein Augenblick zu verlieren. Um eilf Uhr Morgens wird er in Bernay sein.«

Es blieb mir nichts übrig als ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Ich schüttelte ihre Hände und befahl ihr zu erwachen.

Gleich darauf schien ihr ganzer Körper von einem Schauer ergriffen, ihre Lippen bewegten sich und sie schlug die Augen auf.»

Was ist geschehen?« fragte sie.

Ich erzählte ihr, was sie mir im Schlafe gesagt hatte.

»Eilf Uhr!« wiederholte sie, als ich schwieg. »Eilf Uhr! Er wird um eilf Uhr in Bernay sein. Aber wenn ich auf der Stelle abreise, kann ich um sieben Uhr dort sein.«

»Sie wollen abreisen?«

 

»Sie sehen ja, daß es sein muß. – Adieu, lieber Freund – oder vielmehr auf Wiedersehen. Kommen Sie zu der Jagdpartie, zu welcher er Sie eingeladen hat. Wer weiß, ob ich Ihrer nicht bedarf! Reisen Sie selbst unverweilt ab, und begeben Sie sich geradeswegs nach Reuilly, statt auf die Präfectur zu gehen, damit Niemand Sie sehe.

»Edmée, ich soll Sie so verlassen?« sagte ich.

»Was verlangen Sie denn noch? Mein Herz gehört ja Ihnen —«

»Sie werden also an mich denken?«

Sie lächelte und bot mir die Stirne zum Kasse.

Ich faßte ihren Kopf mit beiden Händen und zog ihn an die Lippen.

»Gehen Sie!« wiederholte sie.

»Ja, ja. – Bedenken Sie, daß Sie mir gesagt haben: Auf Wiedersehen!«

»Es wird von Ihnen abhängen. Aber gehen Sie!«

Ich eilte zum Zimmer hinaus. – Der Tag begann zu grauen; es mochte drei oder halb vier Uhr sein.

Ich nahm meinen Weg zum Wirthshause. Als ich um die Straßenecke bog, sah ich einen Bedienten ohne Livrée, der ein Pferd am Zügel hielt und an die Thüre des Gasthauses klopfte.

Als ich näher kam, erkannte ich Georges den vertrauten Diener Alfreds.

Er sah mich nicht; sein Augenmerk war auf die Hausthüre gerichtet.

Sein Pferd war mit Schaum bedeckt.

Ich rief ihn.

»Ah! Sie sind’s, Herr von Villiers!« sagte er; »ich suche Sie.«

Er zog einen großen Brief aus der Tasche.

»Von dem Herrn Baron,« setzte er hinzu.

Ich erbrach hastig das Siegel und sah eine vom Polizeiministerium datirte telegraphische Depesche folgenden Inhaltes:

»Herr von C. kommt gestern auf der Eisenbahn von Rouen nach Paris, steigt im Hotel Louvois ab, begibt sich denselben Abend zu seinem Notar, Herrn Bourdeaux, wohnhaft Rue du Bac Nr. 53; geht in die Oper und übernachtet im Hotel. Den andern Morgen um acht Uhr begibt er sich wieder zu seinem Notar, und zum dritten Male um fünf Uhr Nachmittags.

»Diesen Abend um acht Uhr wieder auf der Eisenbahn abgereist. – Scheint sehr große Eile zu haben.

Halb neun Uhr Abends.«

Alfred hatte folgende Worte hinzugefügt:

»Vielleicht um eilf Uhr Vormittags im Schlosse. Um halb vier Uhr wirst Du Nachricht bekommen. Du kannst um fünf Uhr bei mir und die Gräfin um sechs Uhr zu Hause sein.

»Schone dein Pferd nicht. Ich halte viel auf meine Pferde, aber noch mehr auf meine Freunde. – Ich er«warte Dich.

»A. von S.«

P.S. Ich gestehe, daß die Polizei doch zu etwas gut und daß der elektrische Telegraph eine nützliche Erfindung ist. Man versichert, der Erfinder heiße Mops wie mein Hund.«

Frau von Chambray hatte mir genau dasselbe gesagt, was mir Alfred meldete. War das nicht wunderbar?

Ich eilte in den Stall, und während Georges sein Pferd mit Stroh rieb, sattelte ich selbst das meinige. – Eine Viertelstunde nachher ritten wir im Galopp davon.

Den folgenden Tag kam Zoe zu mir. Die Gräfin war rechtzeitig angekommen; aber wäre sie auch nicht gekommen, es würde doch kein Unglück geschehen sein. Der Graf hatte sich, ohne nach ihr zu fragen, in sein Zimmer begeben, hatte seinen Schreibtisch geöffnet und einige Papiere herausgenommen Dann war er, ohne sich aufzuhalten, wieder abgereist.

Ich hätte diese zweite Abwesenheit benützen können, um um die Gräfin zu besuchen; aber ich mochte sie nicht um Erlaubniß bitten.

V

Ueberdies hatte ich eine Reise nach Paris zu machen. Das sonderbare übersinnliche Gesichtsvermögen der Gräfin von Chambray, von welchem ich einen so überraschenden Beweis gehabt hatte, machte mich sehr besorgt, denn ich dachte an ihre im traulichen Gespräche gemachte Aeußerung. Eine Ahnung sagt mir, daß Sie berufen sind, mich aus einer großen Gefahr zu retten.«

Von welcher Art war diese Gefahr? Vielleicht würde es ihr im magnetischen Schlafe gelingen, dieselbe deutlich zu sehen; aber sie hatte mir einst gesagt: »Schläfern Sie mich nie ein, ohne daß ich Sie zuerst darum bitte.« Sie hatte mich zu Juvigny holen lassen; vermuthlich war sie durch ihre bangen Ahnungen von dem Herannahen dieser Gefahr benachrichtigt worden.

War diese Gefahr, die ich von ihr abwenden sollte, wirklich vorhanden, so mußte ich mich bereit halten, ihr entgegenzutreten.

Woher diese Gefahr kommen sollte? ich wußte es nicht, aber eine Ahnung sagte mir, sie werde entweder von dem Abbé Morin oder von dem Grafen von Chambray kommen.

Mit Ausnahme der Lebensgefahr sind bekanntlich alle Fatalitäten des Lebens durch Geld zu beschwören.

Ich wollte daher nach Paris gehen, um eine ziemlich bedeutende Geldsumme, dreißig- bis vierzigtausend Franks in Banknoten, und eben so viel in Wechseln auf London, New-York und New-Orleans aufzutreiben. Diese Summe wollte ich in einer Brieftasche immer bei mir tragen.

Der Zufall wollte, daß mein Notar ebenfalls in der Rue du Bac wohnte; und zwar im Hause Nr. 42, dem Notar des Grafen fast gerade gegenüber. Vielleicht konnte er mir über die Vermögensverhältnisse des Grafen einige Nachweisungen geben. Ich hatte so viel gesehen und insbesondere von Alfred erfahren, daß ich die Geldfrage als die Hauptursache der Zerwürfnisse im Hause der Gräfin erkannte.

Dieses Mal machte ich Alfred kein Geheimniß aus meiner Reise, nur die sibyllinische Seite derselben ließ ich ihn nicht sehen. Er stellte seine Börse zu meiner Verfügung; seine Tanten – oder vielmehr seine »Parzen«, wie er sie nannte – hielten für ihn jederzeit offene Casse bis zu dem Betrage von etwa hunderttausend Francs.

Für den Augenblick dankte ich meinem Freunde, fügte jedoch hinzu, daß ich vielleicht später seine Freundschaft in Anspruch nehmen würde.

Als ich eben abreisen wollte, meldete man einen jungen Mann von Bernay, der mich zu sprechen wünsche. Ich war allein in Reuilly, da Alfred auf der Präfectur war. Ich vermuthete wohl, daß es Gratian sei. Ich ließ ihn hereinkommen und ging ihm entgegen.

Ich fand ihn an der Thür des Speisezimmers. Mein Frühstück war auf getragen; ich ließ ihn hereinkommen und bestellte noch ein Besteck.

Gratian sträubte sich lange gegen die Ehre, mit mir zu frühstücken, aber endlich nahm er meine Einladung an.

Meine Reise nach Paris war nicht so dringend, ich konnte sie bis zum Abend, oder selbst bis zum andern Morgen aufschieben.

Es lag mir mehr an Nachrichten von der Gräfin von Chambray.

Er kam von ihr, und brachte mir einen Brief.

Edmée schrieb mir:

Lieber Freund, wollen Sie mir ein für mich unschätzbares und für Sie unbedeutendes Geschenk machen? Wollen Sie Gratian ermächtigen, mein kleines Madonnenbild mit dem Kranze und dem Orangenstrauß von Juvigny zu holen? Ich habe mich an dieses Bild gewöhnt und möchte es zu meinem Schutzengel machen. Ich habe für dasselbe eine Capelle, wo ich meine Ewigkeit mit Ihnen verleben möchte.

»Sie können den Kranz und Strauß als Entschädigung behalten, wenn Sie nämlich eine Entschädigung für nothwendig halten. Beides gehört Niemandem als mir, und ich kann meinem Bruder ein Geschenk damit machen, ohne daß eine einzige Knospe daran fehlt.

»Ihre dankbare
Edmée.«

Ich hielt den Brief nahe an meine Lippen; ich hätte gern einen Kuß darauf gedrückt.

Gratian sah die Bewegung; er merkte, daß ich mir Zwang antat.

«Ei! Herr von Villiers,« sagte er lachend, küssen Sie nur den Brief so viel als Sie wollen; wir wissen wohl, Zoe und ich, daß Sie die Gräfin lieben, und —«

»Und was weiter?« fragte ich.

»Nun, Sie wissen«s ja ohnehin schon – und daß die Gräfin Sie wieder liebt.«

Mein Herz pochte laut vor Freude. Ich küßte den Brief.

»Du weißt, was die Gräfin von mir verlangt?« fragte ich.

»Ich glaube,« antwortete Gratian, »daß von dem kleinen Madonnenbilde in Juvigny die Rede ist.«

»Ganz recht.«

»Die liebe gute Dame hält viel darauf. Zwanzigmal hat sie vor Zoe gesagt: »Ach, wenn ich mein kleines Madonnenbild hätte!« – Endlich sagte Zoe zu ihr: »Ersuchen Sie ihn doch darum; er wird es Ihnen gern geben; was soll er auch damit machen? – Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht,« sagte sie, »liegt ihm mehr daran,als Du glaubst.« – »Soll ich ihn darum bitten?« sagte Zoe; »wenn ich in Ihrem Namen käme, wird er mich gewiß gut empfangen« – »Nein,« antwortete die Gräfin, »ich will an ihn schreiben.« – Sie müssen wissen, daß wir immer nur sagen: er, wenn wir von Ihnen sprechen,und nicht Max, oder Herr von Villiers.«

Die liebe Edmée!« rief ich, Gratians derbe Hand drückend.

»Sie sagte also: »Ich will an ihn schreiben, denn er wird wahrscheinlich noch in Reuilly sein, und wenn er einwilligt —« »O, er wird gewiß einwilligen,« sagte Zoe, »er würde das Leben für Sie lassen, er kann Ihnen wohl ein kleines Madonnenbild schenken.« – »Nun gut, erwiederte die Gräfin, »wenn er einwilligt, so kann Gratian sogleich nach Juvigny fahren, und mit einem guten Pferde kann er diesen Abend zurück sein.« – Hauptsächlich deshalb, und dann, weil ich es für eine zu große Ehre hielt, wollte ich nicht mit Ihnen frühstücken —«

»Du würdest also noch nichts gegessen haben?«

»O ja, ich würde mir Brot und Wurst gekauft und mein Pferd tüchtig angetrieben haben. Aber da Sie so gütig waren, mochte ich es Ihnen nicht abschlagen. Es hält mich wohl ein Bischen auf, aber wenn ich schnell fahre, kann ich um eilf Uhr Abends dort sein. Was sie heute nicht mehr thun kann, wird morgen geschehen.«

»Du sollst um neun Uhr dort sein, lieber Gratian,« sagte ich.

»Das ist nicht möglich, Herr von Villiers. Es ist jetzt Mittag; eine halbe Stunde werden wir noch bei Tische sitzen; dann eine halbe Stunde, um eine Carriole aufzutreiben, das macht eine Stunde. Ich würde reiten, aber ich kann doch das liebe Madonnenbild nicht sieben Wegstunden auf dem Arme tragen, ein so geschickter Reiter bin ich nicht. – Ich sage also eine Stunde; dann eine halbe Stunde, um anzuspannen, macht anderthalb Stunden; – dritthalb Stunden nach Juvigny – vier Stunden. Dann zwei Stunden um die Madonna einzupacken, mit der Mutter Gauthier zu plaudern, Fuhrmann und Pferde zu füttern, in Summa sechs Stunden. Es ist also sechs Uhr Abends, und ich bin noch in Juvigny. Das Pferd hat noch sieben starke Wegstunden zu machen, und hat schon beinahe sechs gemacht. Man muß gegen die Thiere so gerecht sein wie gegen die Menschen. Das Pferd braucht Vier bis fünf Stunden, ich komme also gegen eilf Uhr an. Aber um neun Uhr, das ist nicht möglich. Ich hatte also vollkommen Recht; was sie diesen Abend nicht mehr machen kann, muß morgen geschehen.«

»Und was wollte sie diesen Abend machen, Gratian?«

»Das darf ich nicht sagen, es ist das Geheimniß der Gräfin. Sie nehmen mir’s nicht übel, Herr von Villiers?«

»Gott behüte, ich will Dich nicht mit Fragen bestürmen.«

»Das ist sehr schön von Ihnen, denn Sie sind so gütig, daß ich es Ihnen sagen würde, wenn Sie darauf beständen.«

»Lassen wir’s gut sein, lieber Gratian; wir wollen von andern Dingen reden.

»Wovon Sie wollen, Herr von Villiers; wenn ich mit diesen Dingen bekannt bin, werde ich Ihnen antworten; wenn nicht, so kann ich etwas von Ihnen lernen.«

»Ich sagte Dir, daß Du um neun Uhr im Schlosse sein würdest, und es ist mein Ernst.«

»Nun, mit den Pferden des Herrn Präfecten, die geradeswegs von England gekommen sein sollen, wäre es schon möglich; aber mit einem Bauernpferde ist es nicht wahrscheinlich, und der Herr Präfect wird mir seine Pferde nicht leihen.«

»Du irrst Dich, Gratian – er wird sie Dir leihen.«

»Mir, Gratian Picard? Sie wollen mir etwas aufbinden, Herr von Villiers,« sagte der brave Bursch, dem der Wein Alfreds in den Kopf zu steigen begann, »Sie« wollen nur scherzen —«

»Nein, Gratian, ich scherze nicht,« erwiederte ich und wandte mich zu dem aufwartenden Diener:

»Sagen Sie Georges, er möge den Braunen in den Tilbury spannen.«

Der Diener ging hinaus. Gratian schaute ihm nach.

»Wahrhaftig,« sagte er, »ich verstehe Sie nicht, Herr von Villiers.

»Du wirst mich sogleich verstehen, Freund, wenn ich Dir sage, daß ich selbst Dich nach Juvigny, und von dort nach Bernay führen will. Morgen werde ich in Bernay Postpferde nehmen. Verstehst Du mich jetzt?«

»Ja wohl, jetzt verstehe ich Sie.«

»Und hoffentlich wirst Du mein Anerbieten nicht zurückweisen?«

»O nein, denn ich sehe wohl ein, daß Sie es der guten lieben Gräfin zu Liebe, und nicht um meinetwillen thun.«

»Ei der tausend, Gratian, Du bist sehr scharfsichtig!«

»Nein, aber ich habe ein Herz. Als ich in Zoe verliebt war – Sie müssen mich nicht mißverstehen, ich habe Zoe noch eben so herzlich lieb als sonst – ich meinte, als ich noch nicht ihr Mann war, hätte ich mich mit Freuden in den Fluß gestürzt, um ihr herüberzuholen, was sie wünschte.«

 

»Ein die Charentonne?«

O nein, über die Charentonne wäre ich nöthigenfalls gesprungen; aber die Seine – die Seine bei Rouen, Villequier oder Honfleur; – ich wäre im Stande gewesen, über die Meerenge von Calais nach Dover zu schwimmen.«

Gratian, der eben sein zweites Glas Champagner geleert hatte, hielt nichts mehr für unmöglich. Er würde auf dem Ocean von Havre nach New-York eine Schwimmübung gemacht haben, wenn es Zoe verlangt hätte; auf dringendes Zureden würde er das Wagstück auch für die Gräfin und für mich unternommen haben.

Zehn Minuten nachher wurde gemeldet, daß das Pferd eingespannt sei.

Wir gingen hinaus. Georges hielt das feurige Vollblutpferd am Zügel.

Gratian betrachtete die leider ziemlich schmalen Plätze, die uns der Tilbury bot, mit einiger Unruhe. Er ging, den Kopf schüttelnd und mit sich selbst redend, um das Fuhrwerk.

»Nun, Gratian, hast Du etwas an unserm Gespann auszusetzen?«

»Ich habe, mit Respect zu sagen, ein Bedenken, Herr von Villiers. Es sind nur zwei Plätze im Wagen, kein Bock und kein rückwärtiger Sitz – und wir sind Drei —«

»Nein, lieber Gratian, wir sind nur Zwei. Georges wird mich in Bernay erwarten. – Hören Sie, Georges! Sie fahren im Postwagen ohne Livrée nach Bernay und erwarten mich dort im Gasthofe »zum goldenen Löwen«-Wir werden morgen dort eintreffen.«

»Das ist recht schön; aber wo soll ich denn sitzen?«

»Natürlich an meiner Seite.«

»An Ihrer Seite? Mit Jacke und Strohhut? Das geht doch nicht an!«

»Du möchtest wohl eine gestickte Präfecten uniform anziehen und einen Federhut aufsetzen?«

»Ja, das würde mir schön stehen. Wie würde Zoe lachen, wenn sie mich in Präfectenuniform mit Federhut sähe! Und die Gräfin auch, obschon sie nicht oft lacht. Aber seit ihrer Reise nach Juvigny ist sie doch heiterer.

»Steig nur auf,« sagte ich.

»Aber, Herr von Villiers, was werden die Leute sagen, wenn Sie mich neben Ihnen sitzen sehen?«

»Die Leute werden sagen, Du seiest mein Freund,« erwiederte ich, ihm die Hand reichend. »Und man wird sich nicht irren.«

»Ach! wie gütig sind Sie, Herr von Villiers! Ich war auf die Ehre nicht gefaßt, sonst hätte ich meine Hochzeitshandschuhe angezogen. Die armen Handschuhe haben freilich Risse bekommen; aber Sie wissen ja,« setzte Gratian selbstgefällig lachend hinzu, »am Hochzeitstage platzen Handschuhe und —«

»Geschwinde, steige auf, Du Schwätzer!«

»Aber ich bin im Fahren nicht sehr geübt,« entgegnete er, »und Ihr – oder vielmehr des Herrn Präfecten Pferd scheint mir den Teufel im Leibe zu haben —«

»Darum hast Du Dich nicht zu kümmern, Gratian; ich nehme die Zügel.«

»Was! Sie wollen mich auch noch kutschiren und ich habe nichts zu thun, als die Hände in den Schooß legen? Nun, ich lasse mir’s gefallen.«

»Sitzest Du?«

»Ja, Herr von Villiers.«

»Nun, fort!«

Ich ließ dem Pferde die Zügel, und fort ging’s in scharfem Trabe.