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II

Als ich mit Zoe allein war, sah ich sie zürnend an.

Sie lachte und drehte den Ring zwischen den Fingern.

»Du bist unausstehlich!« sagte ich.

»Warum denn? Denke ich denn über Herrn von Montigny nicht gerade so wie Du? Halte ich ihn denn nicht für einen Dämon, für den Satan, den Antichrist? Ich bin nur ein Landmädchen, aber wenn Du diesen Mann nicht liebst, so gehst Du an deinem Glücke vorbei, wie ein Blinder an einem kostbaren Schatze.«

»Wie kann ich denn einen Ketzer lieben?«

»Ich weiß nicht,« erwiederte Zoe, »was ein Ketzer-ist; aber wie unwissend ich auch bin, so weiß ich doch, was ein ehrlicher Mann ist, und ein solcher ist Herr von Montigny gewiß; dazu ein sehr schöner Mann, und das ist bei einem Eheherrn gewiß nicht zu verachten.«

»Ein Eheherr!« rief ich erschrocken; »er ist also mein Eheherr«

»Ja, es ist nicht mehr zu ändern.«

Ich seufzte.

»Jetzt sage, fuhr Zoe fort, »was soll ich mit diesem Ringe machen? Soll ich thun, wie Herr von Montigny gesagt hat? Oder soll ich ihn in den Brunnen werfen? Mich dünkt, sein wahrer Platz sei an deinem Finger.«

Zoe steckte den Ring an ihren Finger und hielt ihn mir vor die Augen.

»Sieh nur,« sagte sie, »wir schön er sich schon an meiner sonnenverbrannten Hand ausnimmt; wie prächtig wird er erst zu deiner weißen Hand stehen! Hast Du wohl gesehen, daß Herr von Montigny eine sehr schöne Hand hat?«

Ich antwortete nicht, denn Alles was Zoe mir sagte war unläugbare Wahrheit.

Sie faßte meine linke Hand, an welcher ich schon den Trauring trug, und steckte mir den Türkiß an den Finger.

»Nun,« fragte sie, »thut er Dir weh, brennt er,der furchtbare Ring.«

Ich fühlte nicht den mindesten Schmerz; der Ring paßte ans meinen Zeigefinger, als ob er für mich gemacht wäre.

In diesem Augenblicke hörte und erkannte ich die Fußtritte meiner Stiefmutter. Zoe hatte den Zettel,den ich unter dem Sockel des Madonnenbildes gefunden, auf einen Tisch gelegt; ich nahm den Zettel, zerriß ihn schnell und warf die Stücke in den Camin.

Sie kam um mich zu holen. Sie sagte, es sei lächerlich, am Hochzeitstage mit einem Bauernmädchen in einem Zimmer zu sitzen.

Ich sah Zoe an. Sie schien, obschon das Compliment nicht sehr schmeichelhaft sie sie war, meiner Stiefmutter Recht zu geben.

Es war nicht mehr zu bezweifeln, Alle waren gegen mich verschworen.

Ich ging hinunter. Montigny war mit einigen zu Tisch geladenen Bekannten im Solon.

Sein Blick fiel sogleich ans meine Hand; ein Blitz, der Freude leuchtete ans seinen Augen, als er den Ring an meinem Finger sah. Er stand auf, kam auf mich zu und flüsterte mir einige Worte des Dankes zu.

Ich schauderte. Hatte ich durch die Annahme des Ringes dem bösen Geiste ein Pfand gegeben?

Ich nahm schweigend und zitternd Platz. Ein Fremder hätte mich für ein einfältiges Gänschen halten müssen.

Bei Tische erhielt ich Montigny gegenüber meinen Platz. Ich sprach nicht und mochte nicht essen. Er betrachtete mich mit großer Bekümmerniß.

Nach Tische hatte er eine ziemlich lange Unterredung mit Frau von Juvigny. Er schien unschlüssig meine Stiefmutter ließ nicht nach.

Ich sollte bald erfahren, wovon die Rede war.

Montigny kam zu mir.

»Ich erinnere mich,« sagte er, unserer Spaziergänge im Parke; ich erinnere mich, daß Sie die Verse unserer großen Dichter mit Vergnügen anhörten. Das Wetter ist herrlich, der Abend wunderschön: wollen Sie einen Shawl umhängen und einen Spaziergang an den Bach machen? In dem silbernen Schein der freundlichen Luna, wie Virgil sagt, in dem von den Sternen fallenden Helldunkel, wie Corneille sagt, wollen wir ein Weilchen von einem größern Dichter sprechen, als alle die sind, deren Verse ich Ihnen gesagt habe.«

Ich stand auf, ohne recht zu wissen was ich that.

Montigny warf mir einen Shawl über, ich nahm seinen Arm und wir gingen fort.

Im Vorzimmer traf ich Zoe und ich gab ihr durch einen Wink zu verstehen, sie möge mich in meiner kleinen Zelle erwarten; sie schien mich zu verstehen und antwortete mir durch ein Zeichen des Einverständnisses.

Ich werde mich jenes Abendes immer als eines entscheidenden Wendepunktes im Leben erinnern. Denken Sie sich einen Verurtheilten, der die Vollstreckung des Todesspruches in einer Stunde zu erwarten hat und dem man erlaubt, in einer lieblichen Sommernacht in einem schönen Park beim Plätschern der Quellen und beim Gesange der Nachtigallen, unter einem azurblauen, mit Goldblumenbesäeten Himmel herumzuirren, und Sie werden einen Begriff von meinen Gefühlen haben.

Montigny mußte das Zittern meines Arms unter dem seinigen fühlen, denn da er merkte, daß ich jeden Augenblick im Begriffe war meinen Arm zurückzuziehen, so legte er die linke Hand darauf, um ihn festzuhalten.

Er hatte auch schon bemerkt, wie viel seine Stimme über mich vermochte, denn er fing an von Gott zu sprechen, von dem Dichter, der größer ist, als alle jene, deren Poesien er mir vorgelesen hatte.

Es wäre mir unmöglich, Alles zu wiederholen, was er mit unwiderstehlicher Beredsamkeit von dem allmächtigen Lenker aller Geschicke, von der Seele des Weltalls, von dem Schöpfer aller Wesen sagte. Hundertmal habe ich mich seiner schönen, geistvollen Worte erinnert. Obgleich ich mit meinem schwachen Verstande Vieles nicht zufassen vermochte, so fühlte ich doch, daß Alles Wahrheit war, was er sprach; es war mir. als ob ein neues Lichtmeinen Geist erhellte und mein Herz erwärmte. Ich fragte mich, wer der wahre König des Himmels und der Erde sei, ob dieser allgütige, barmherzige Gott, der die Welt mit unendlicher Weisheit regiert, oder jener zürnende, drohende Gott, von welchem mir der Abbé Morin eine so abschreckende Schilderung gemacht hatte. Trotz meiner Jugend hatte ich schon ein ziemlich richtiges Urtheil, und es schien mir, daß Montigny’s Worte nicht nur beredbar waren, sondern auch mehr mit der Vernunft und den Gefühlen des Herzens übereinstimmten.

Ich gab mich nach und nach dem Zauber dieser Poesie hin, und er hatte nicht mehr nöthig, meinen Arm festzuhalten.

Ob er nur die Absicht hatte, mein Vertrauen zu gewinnen, und ob er sich überzeugte, daß dieser Zweck erreicht war? Es ist wahrscheinlich, denn ohne eine einzige Liebkosung zu wagen, führte er mich ins Schloß zurück.

Ich unterbrach Frau von Chambray:

»Herr von Montigny war ja ein ganz ausgezeichneter Mann.«

Sie lächelte wehmüthig wie bei einer theuern Erinnerung.

»Und, sonderbarer Weise,« fügte ich hinzu, »bin ich eifersüchtiger auf den Todten als auf den Lebenden.«

»Sie haben Recht,« sagte sie.

»Sie erlauben mir also eifersüchtig zu sein?« fragte ich vielleicht etwas zu kühn.

»Ich erlaube Ihnen mein Herzensfreund zu sein,« antwortete sie. Ich bin Ihnen sehr dankbar, weil ich Ihnen allein die wenigen gemüthlichen, glücklichen Stunden verdanke, die ich in meinem Leben gehabt habe. Dieses Gefühl ist noch nicht klar in meiner Seele; zwingen Sie mich nicht zu genauerer Untersuchung desselben, lassen Sie es unklar und nebelhaft wie ein Traum, und verlangen Sie nicht, daß es eine Gestalt annehme, daß der Traum zur Wirklichkeit werde.

Ich schwieg und suchte ihre Hand, die sie mir überließ.

»Fahren Sie forte,« sagte ich endlich.

»Finden Sie denn diese vertraulichen Mittheilungen eines albernen Mädchens nicht langweilig?«

»Diese Mittheilungen sind mir höchst anziehend; sie sind das Buch Ihres Lebens, das ich nicht allein, sondern mit Ihnen lese, wir wollen umblättern, wir sind unten auf einer Seite.«

Frau von Chambray fuhr fort:

* * *

Zwei Stunden nachher war ich in dem grünen Zimmer und hörte die Ermahnungen meiner Stiefmutter an. Nachdem sie mir die Pflichten einer Frau gegen ihren Mann der Reihe nach aufgezählt hatte, verließ sie mich mit der Erklärung, daß Montigny mich besuchen werde.

Aber sie mochte wohl glauben, ihren stiefmütterlichen Pflichten durch ihre Ermahnungen noch nicht genügt zuhaben; denn sie kam wieder und ging erst fort, als ich in demselben Bette lag, in welchem meine arme Mutter mich geboren hatte und gestorben war.

Diese Erinnerung war mir höchst peinlich; es schien mir ein Frevel, mir dieses Sterbezimmer zum Brautgemach aufzudrängen; aber ich hatte es mir mit einem gewissen Trotze zum Grundsatze gemacht, meiner Stiefmutter unbedingt zu gehorchen. Ich ging also sehne Widerrede zu Bette und verbarg meine unaufhaltsam fließenden Thränen.

Ich hörte, daß Frau von Juvigny die Thüre sorgfältig verschloß und den Schlüssel abzog.

Sie sperrte mich ein. – Ohne über den wahrscheinlichen Zweck dieser Maßregel nachzusinnen, eilte ich in mein Zimmer, in der Erwartung, Zoe zu finden. Zoe war wirklich hinter einem großen Ofenschirm versteckt; sie hatte vermuthet, daß Frau von Juvigny in mein Zimmer kommen werde, und hatte ihre Vorsichtsmaßregeln genommen, um nicht gesehen zu werden.

Mein erster Gedanke war, mich in meinem Zimmer einzuschließen und Herrn von Montigny nicht zu antworten; aber ich konnte den Schlüssel nicht finden, sogar der Riegel war abgenommen worden. Alle diese Vorkehrungen hatte man gegen meine sogenannte Albernheit getroffen.

Ich kniete vor meinem lieben Madonnenbilde nieder,um meine gewohnte Abendandacht zu verrichten. Als ich den Blick senkte , fand ich unter dem Sockel wieder einen Zettel wie am Morgen.

Ich sah mich schnell nach dem Camin um; die zerrissenen Papierstückchen lagen noch da; es war also nicht derselbe Zettel und mein Gedächtniß täuschte mich nicht, ich hatte den ersten Zettel wirklich zerrissen.

Ich deutete zitternd auf den zweiten, ich mochte ihn nicht berühren Zoe nahm ihn und wollte ihn ungelesen verbrennen;aber ich riß ihr das Papier schnell aus der Hand. Mein böser Genius trieb mich; ich las:

»In dem Augenblicke, wo Sie noch von sich selbst abhängen, in dem Augenblicke, wo Sie Ihre Seele vererben oder retten können, gedenken Sie Ihres feierlichen Versprechens nie einem Ketzer anzugehören!«

 

Das war mehr als meine erregte Phantasie ertragen konnte. Ich rang die Hände und sagte:

»Nein , nein! ich verspreche Dir, heilige Jungfrau, diesem Manne nie anzugehören.«

»Hören Sie, lieber Freund,« sagte Frau von Chambray, indem sie mir mit mehr Schrecken als Zärtlichkeit die Hand drückte. »Seit ich es für eine Wirkung meiner überreizten Phantasie und meines übersinnlichen Anschauungsvermögens halten? Genug, eben so wie ich Sie durch die Vorhänge meines Fensters hinter den Vorhängen des Gasthauses erkannte , sah ich den Abbé in dem Zimmer meiner alten Amme. Er stand mit verschränkten Armen und finster drohenden Blicken am Fenster.

Meine Augen thaten sich weit auf, mein Arm streckte sich nach der entsetzlichen Vision aus, meine Lippen bebten.

»Was fehlt Dir denn?«– fragte mich Zoe.

»Dort – dort!« sagte ich. »Siehst Du?«

»Was denn? Was soll ich sehen?«

»Den Abbé Morin!? – Du bist von Sinnen: er ist ja diesen Morgen wieder nach Bernay abgereist.«

»Nein, nein! Eine Viertelmeile von Juvigny ist er ausgestiegen, er hat die Nacht abgewartet und ist bei deiner Mutter. Seine Blicke sind auf das Fenster meines Zimmers gerichtet – er droht mit der Hölle, wenn ich . . .«

»Herr von Montigny!« unterbrach Zoe.

Die schreckliche Vision hatte meine Aufmerksamkeit dergestalt in Anspruch genommen, daß ich nicht gehört hatte, wie der Schlüssel zu dem großen Zimmer im Thürschloß gedreht worden war. – Montigny hatte sich unbemerkt der Thüre genähert.

Ich sah mich um. Er stand auf der Schwelle.

Dieser Anblick raubte mir alle Besonnenheit Ich dachte nur an Flucht. Ich stürzte mit solcher Heftigkeit davon , daß ich Montigny auf die Seite schob. Ich eilte in den Hausgang, auf die in den Garten, an den Fluß führende Seitentreppe zu.

Ich würde das härteste Geschick, selbst den Tod erduldet haben, um der mir angedrohten Verdammniß zu entgehen.

Ich hörte, wie Zoe mir nachrief:

»Um des Himmels willen, haltet sie auf! Sie ist von Sinnen.«

Dann hörte ich, daß mir Fußtritte in der Dunkelheit folgten. Ich lief in meiner Angst, ohne zu wissen wohin. Plötzlich schien der Boden unter meinen Füßen einzusinken – ich schrie laut auf – ein vielleicht noch furchtbarerer Schrei antwortete. Dann sah und fühlte ich nichts mehr: mein Kopf war auf den Rand der Treppe gefallen; ich blieb ohnmächtig liegen.

* * *

»Arme Freundin!« sagte ich, und zog Edmée an ;meine Brust, um mit meinen Lippen die Spuren der Wunde in ihrem Haare zu suchen.

Sie machte sich sanft aus meinen Armen los.

»Nicht wahr, ich war recht unsinnig?« sagte sie.

»Der Abbé hat es zu verantworten,« erwiederte ich.

»O, der Nichtswürdige! Und Gott hat ihn nicht gestraft?«

»Nein,« antwortete Edmée. »Der Schuldlose, der Gute mußte statt seiner büßen – wenn anders der Verlust eines albernen Kindes, wie ich war, eine Strafe zu nennen ist.«

»Erzählen Sie weiter, Edmée sagte ich. »Sehen Sie nicht, daß meine Seele an Ihren Lippen hängt?«

Sie fuhr fort:

* * *

Infolge dieses Vorfalles, dessen Ursache für Jedermann ein Geheimniß blieb, kam der Abbé Morin wieder triumphirend in’s Haus. Es ging das Gerücht, Montigny habe mich in einer Anwandlung von Zorn gegen die Wand geworfen, und dadurch meine Kopfwunde verursacht.

Die Wunde war gefährlich. Ich blieb, wie man mir später sagte, mehr als zwölf Stunden bewußtlos. Als ich die Augen aufschlug, stand der Abbé Morin vor meinem Bette, seinen langen, dünnen Zeigefinger auf die bleichen Lippen haltend, wie eine Statue des Schweigens.

Er war der Erste, den ich sah. – Dann fiel mein Blick auf die übrigen Anwesenden: auf den Arzt, meine Schwiegermutter und Zoe.

Ich sah, wie Zoe mit unendlicher Freude die Arme nach mir ausstreckte; aber ich hatte so viel Blut verloren, daß ich nicht sprechen konnte und mit Zagen dachte, man werde mich vielleicht anreden. Ich schloß die Augen wieder, die einzige Erinnerung die ich in meinem Halbschlummer entnahm, war das Bild des Abbé, dessen befehlende Geberde mir Schweigen gebot.

Ich hatte bemerkt, daß Montigny nicht da war, und sonderbarerweise machte ich ihm seine Abwesenheit fast zum Vorwurfe.

Der Arzt ersuchte die Anderen, mich allein zu lassen, da ich vor Allem der Ruhe bedürfe. Ich hörte, daß Zoe bei mir zu bleiben wünschte und sich ganz ruhig zu verhalten versprach. Sie wollte mir nicht einmal antworten, wenn ich erwachen und sie anreden würde.

Sie hielt Wort, und erst vier oder fünf Tage später erfuhr ich von ihr, was vorgefallen war.

Auf meinen Schrei, den Montigny mit einem nicht minder angstvollen Schrei beantwortet hatte, war Zoe mit einem Lichte herbeigeeilt; sie hatte gesehen, wie mich Montigny unten an der Treppe aufhob. Beide hielten mich für todt. Zoe versicherte, Montigny sei außer sich gewesen.

Inzwischen war Frau von Juvigny herbeigeeilt. Sie fragte, was geschehen sei; aber Montigny schüttelte den Kopf und antwortete ihr:

»Wenn Sie mir gesagt hätten, daß die arme Edmée eine so große Abneigung gegen mich habe, so wäre ich gewiß nicht ihr Gatte geworden. Ich werde jetzt zu Pferdesteigen und einen Arzt holen. – Was mich betrifft, so ist mir meine Pflicht durch den Schrecken geboten, den ich verursachte. Ich werde erst wieder erscheinen, wenn Edmée selbst mich ruft.«

Er drückte einen Kuß auf meine mit Blut bedeckte Stirne, empfahl sich meiner Stiefmutter und entfernte sich.

– Fünf Minuten nachher hörte man den Galopp eines davon sprengenden Pferdes.

Eine Stunde nachher kam der Arzt. Montigny hatte ihm das Versprechen abgenommen, ihm täglich Bericht über mein Befinden abzustatten; dann hatte er sich in sein zwei Meilen entferntes Schloß begeben. —Ich fasse mich kurz.

Der Abbé Morin bekam wieder eine so große Gewalt über Frau von Juvigny, daß sie nach Paris reiste, und ihn so zum unbeschränkten Beherrscher der Situation machte. Josephine und Zoe blieben zu meiner Pflege.

Der Abbé benützte diese seinen Absichten so günstige Wendung der Dinge, um »wegen Mißhandlung« eine Trennung von Tisch und Bett zu erwirken.

Uebrigens war zehn Meilen im Umkreise nur eine Stimme gegen Montigny; eine Schaar von Betschwestern,von dem Abbé Morin aufgehetzt, verleumdete ihn um die Wette.

Der Schein war in der That gegen ihn; ein Mann,der, durch leichtes Sträuben gereizt, seine junge Frau in der Brautnacht gegen die Wand wirft und schwer verwundet, ist sicherlich ein verabscheuenswerther Unhold – zumal wenn er ein Ketzer ist und das Sträuben der Braut eine Folge religiöser Gefühle war.

Ich war in den Augen des Volks ein beklagenswerthes Opfer, Montigny ein Unmensch.

Dieser Unmensch war bewundernswerth bis ans Ende. Als er sah, daß ich ihn nicht rief, kam er nicht wieder ins Schloß. Und als er sah, daß mein Anwalt meine Trennung von ihm gewissermaßen im Namen der verletzten Moral betrieb, vertheidigte er sich nicht, gab die Entscheidung dem Gericht anheim und nahm willig das gegen ihn gefällte Urtheil hin.

Sobald das Urtheil gefüllt war, reiste er ab, ohne zu sagen, in welchen Welttheil er sich begebe; aber er hinterließ mir folgende Zeilen:

»Theuerste Edmée ich habe nicht das Recht, Sie unglücklich zu machen, da es mir nicht vergönnt war, Sie glücklich zu machen. Ich werde mir das Leben nicht nehmen, wie unglücklich ich auch bin, weil der Selbstmord ein Verbrechen ist; aber Eines kann ich Ihnen versprechen: bevor Sie das zwanzigste Jahr erreichen, kann der Mann den Sie lieben, Ihr Gatte werden.

De Montigny.«
* * *

»Und Sie hatten den Muth, ihn abreisen zu lassen!« rief ich voll Bewunderung, die mir dieser Mann abnöthigte.«

»Ich war nicht mehr zu Juvigny; ich hing nicht mehr von mir selbst ab; ich war in dein Kloster der Ursulinerinnen zu Bernay.«

»Und mit Gottes Beistande,« sagte ich, »sind Sie aus der Gewalt des Abbé befreit worden.«

»Gott hat mich beschützt,« antwortete Frau von Chambray.

»Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbrochen habe,« sagte ich. »Fahren Sie fort.«

III

Zwei Tage nach der Ankunft meiner Stiefmutter in Paris erhielt ich von ihr einen Brief, in welchem sie mir erklärte, nach dem durch meine Albernheit verursachten Scandal könne ich nichts Besseres thun, als mich einstweilen in das Kloster der Ursulinerinnen zu begeben. Sie sei im Begriffe, mit ihrer Schwester und ihrem Schwager eine Reise nach Italien zu machen; diese Reise werde wohl zwei Jahre, vielleicht noch länger dauern: im Fall des nicht wahrscheinlichen Todes Montigny’s würde es mir freistehen, den Schleier zu nehmen, mich wieder zu vermälen oder meine Volljährigkeit abzuwarten.

Eine von ihr zurückgelassene Vollmacht ermächtigte den Abbé Morin, ihre Stelle unter allen Umständen bei mir zu vertreten.

Diesen Brief zeigte ich meiner lieben Zoe, die meine einzige Vertraute war; die willenlose alte Josephine war ganz in der Gewalt des Abbé Morin, und ich wußte wohl, daß ich auf sie nicht zählen könnte, wenn ich mich seiner zu erwehren hatte.

Zoe las den Brief. Unter dem Schein der Frivolität hat sie ein sehr richtiges Urtheil und insbesondere einen hohen Grad von Entschlossenheit; ich verdanke ihr manchen guten Rath, manchen kräftigen Beistand.

Sie sann eine kleine Weile nach.

»Du hast nur zwischen zwei Dingen zu wählen, arme Edmée,« sagte sie. »Du mußt entweder den Rath deiner Stiefmutter befolgen, oder mich ermächtigen, sofort Herrn von Montigny zu holen.«

»Was füllt Dir ein« Zoe! rief ich.

»Ich mache Dir einen Vorschlag, der dein Glück ist.«

»Ich würde es nie wagen, wieder vor ihm zu erscheinen; er würde sich weigern, mich zu sehen.«

»Nein, er würde wieder in dein Zimmer kommen und Dir zu Füßen fallen.«

»Nein,« nie!« stammelte ich. »Es ist unmöglich. Der Abbé Morin sagt, ich würde der ewigen Verdammniß verfallen.

»Gott verzeihe dem Abbé Morin die Missethaten, die er begangen. Gott ist barmherzig, aber ich glaube nicht , daß er sie ihm verzeihen wird, denn es wäre nicht mehr Barmherzigkeit, sondern Ungerechtigkeit. – Ich frage Dich noch einmal: soll ich Herrn von Montigny holen?«

»Nein, nein, sage ich Dir!«

»Wirst Du mir verzeihen, wenn ich ihn hole, ohne Dir etwas davon zu sagen?«

»Nein, das könnte ich Dir nie verzeihen. Thue es nicht, Zoe; wenn er vor mir erschiene, würde ich nicht bis zur Treppe geben, ich würde mich aus dem Fenster, stürzen.«

»Dann wollen wir den Rath deiner Stiefmutter befolgen und ins Kloster gehen.«

»Wir wollen ins Kloster gehen, sagst Du?«

»Allerdings. Wenn Du gehst, so gehe ich mit.«

»O, mit Dir, Zoe, würde ich mich keinen Augenblick besinnen; aber . . .«

»Was denn?«

»Er wird nicht erlauben, daß Da mich begleitest.«

»Wer?«

»Der Abbé Morin.«

»Das ist meine Sorge, gib Dich nur zufrieden.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Sieh mich an,« fuhr Zoe fort; Warum glaubst Du, daß der Abbé Morin nicht zugeben werde, daß ich mit Dir ins Kloster gehe?«

»Ich weiß nicht,« antwortete ich; »aber Du kennst mein Ahnungsvermögen. Ich bin fest überzeugt, daß er Dir verbieten wird, mich zu begleiten . . .«

»Das wird er gewiß thun.« sagte Zoe.

»Aber was gedenkst Du zu thun?«

»Ich begleite Dich gegen seinen Willen.«

»Gegen seinen Willen?«

»Ja wohl; er wird freilich in Zorn gerathen, aber ich kümmere mich nicht darum, ich gehe doch mit Dir.«

»Dann wollen wir uns nicht länger besinnen, liebe Zoe. Wir gehen nach Bernay.«

»O, es hat gar keine Eile; das Leben im Kloster ist nicht so angenehm.«

»Kann ich denn hier heiter und zufrieden sein?«

»Nein; aber man muß sich doch nicht kopfüber in einen Abgrund stürzen, ohne zu sehen, wie tief er ist.«

In diesem Augenblicke wurde an die Thüre geklopft.

Meine Genesung machte zwar gute Fortschritte und ich fing schon an im Parke spazieren zu gehen; aber der Arzt hatte allen meinen Umgebungen die schonendste Behandlung zur Pflicht gemacht und es durfte Niemand ohne anzuklopfen in mein Zimmer kommen.

Zoe ging an die Thüre.

Es war einer der zurückgebliebenen Diener, der Zoe aufforderte, in einer wichtigen Angelegenheit zu ihrer Mutter zu kommen.

Zoe ließ sich den Auftrag zweimal wiederholen.

»Ich!« sagte sie lachend; »ich – in einer wichtigen Angelegenheit! – Hörst Du wohl, Edmée? Das gnädige Fräulein Zoe soll in einer wichtigen Angelegenheit zu ihrer Frau Mutter kommen.«

 

Dann rief sie dem Bedienten zu: »Ich werde sogleich kommen.«

Zoe machte die Thüre wieder zu und kam zu mir zurück.

»Vermuthest Du, was es sein mag?« fragte ich.

»Nein.«

»Vermuthlich ein Kniff des Abbé Morin. Auf jeden Fall wirst Du es in einer Viertelstunde so gut wissen wie ich. Ich werde bald wieder da sein.«

Ich blieb allein in der Ueberzeugung, Montigny sei da, und vielleicht war es mein sehnlicher Wunsch.

Ich habe oft über sein Verhältniß zu mir nachgedacht, und ich konnte mir nicht verhehlen, daß er mich glücklich gemacht haben würde, wenn mich der unheilvolle Einfluß des Abbé Morin – wie mir Zoe in ihrer naiven Ausdrucksweise gesagt hatte – nicht von ihm entfernt hätte.

Zoe kam zurück.

»Nun,« fragte ich hastig, »was wollte man von Dir?«

»O, so gut wie nichts; man wollte mich unter die Haube bringen.«

»Dich?«

»Warum denn nicht? Du hast ja geheiratet und ich bin acht Monate älter als Du – folglich bin ich ein großes Mädchen.«

»Wer wollte Dir denn einen Mann zubringen?«

»Der Herr Vicar in selbsteigener Person.«

»Der Vicar?«

»Ja wohl, er erwartete mich.«

» Und wen hat er Dir angetragen?«

»Jean Louis, den Meßner.«

»Aber Jean Louis ist arm und Du bist nicht reich: wie würdet Ihr euern Hausstand gründen können?«

»Darin irrst Du Dich. Jean Louis hat einen unbekannten Gönner, der ihm dreitausend Franks zur Ausstattung gibt. Findest Du seine meßnerischen Augen so schön, daß man ihn mit tausend Thalern nehmen könnte?«

»Nein, wahrhaftig nicht, er schielt.«

»Das habe ich geantwortet; aber der Herr Vicar meinte, ich hätte Unrecht, Jan Louis sei ein recht hübscher Mensch, er habe mir eine eigenthümliche Grille im Auge; überdies werde man außer dem Hochzeitsgeschenk seine Besoldung als Pedell auf sechshundert Franks erhöhen; seine Verrichtungen in der Kirche kosteten ihm an jedem Wochentage nur eine Viertelstunde. Sonntags zwei bis drei Stunden Zeit, und er könne dabei immer sein Holzschuhmachergewerbe betreiben. Kurz, ich würde nie eine so gute Partie finden, wie Jean Louis.

»Was hast Du geantwortet?«

»Ich habe natürlich einen Korb gegeben.«

»Unter welchem Vorwande?«

»Unter dem Vorwande, daß ich mit Dir nach Bernay in das Kloster der Ursulinerinnen gehe, und daß ich einem Manne, der mir befehlen könnte, in Juvigny zubleiben, eben jetzt keinen Gehorsam geloben kann. Ich habe übrigens die schönen physischen und moralischen Eigenschaften des jungen Meßners erkannt und ihm eine Lebensgefährtin gewünscht, welche seine persönlichen Vorzüge und seine gewinnreiche Stellung besser zu würdigen weiß, als ich.«

»Und was hat deine Mutter dazu gesagt?«

»Sobald sie erfuhr, daß ich Jean Louis ausschlug, um Dich nach Bernay zu begleiten, stimmte sie mir bei. Der Abbé Morin wird sie aber umstimmen.«

»Wie, der Abbé Morin?«

»Ja wohl; merkst Du denn nicht , daß er der Anstifter dieser Werbung ist?«

»Nein.«

»Du bist auch gar zu arglos!« sagte Zoe fast unwillig.

Während ich mir den Kopf zerbrach, was für ein Interesse der Abbé Morin an der Verheiratung meiner Herzensfreundin mit Jean Louis haben könne, erschien der Diener wieder und beschied Zoe noch einmal zu ihrer Mutter.

»Jetzt ist er da,« sagte sie.

»Wer?«

»Mache doch von deinem übersinnlichen Gesichtsvermögen Gebrauch und sieh.

Ich sammelte meine Gedanken und schloß die Augen. Plötzlich erschrak ich.

»Der Abbé Morin!« rief ich erblassend.

»Ich habe es ohne deine wundersame Gabe errathen.«

Dann küßte sie meine Hände, kniete vor mir nieder und fügte hinzu:

»Jetzt sage: Bist Du fest entschlossen« Herrn von Montigny nicht zu sprechen?«

»Ja; so lange als der Abbé lebt, würde er mich wahnsinnig machen.«

»Und es ist doch besser, bei den Ursulinerinnen zu Bernay, als im Irrenhause zu Caen zu sitzen. Du hast Recht, morgen gehen wir mich Bernay.

»Und Du gehst mit mir, nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Aber wenn er nicht will, daß Du mich begleitest?«

»Er wird schon einwilligen.«

»Wie willst Du ihn dazu bewegen?«

»Das ist meine Sache.«

Das liebe Mädchen stand auf, küßte mich auf beide Wangen und ging fort.

Um meine schon sehr lange Erzählung nicht zu unterbrechen , will ich Ihnen jetzt sagen, was ich erst später im Kloster der Ursulinerinnen erfuhr.

»Liebe Edmée,« sagte ich zu ihr, »ich weiß nicht, ob Ihre Erzählung einem Fremden schon lang scheinen würde; aber ich weiß, daß jedes Wort, das Sie sprechen, eine Saite meines Gefühls zu berühren scheint. Sie sehen, mit welcher Aufmerksamkeit ich Ihnen zuhöre; Sie müssen fühlen, mit welcher Spannung ich Ihren Worten lausche. Vergessen Sie daher kein Ereigniß dieses mir so theuern Lebens. Ueberdies haben Sie mir ja gesagt, Sie hätten eine Ahnung, daß ich bestimmt sei, Sie aus einer großen, Gefahr zu retten. Um diese Gefahr vorauszusehen, um «rechtzeitig einzuschreiten, muß ich Ihr ganzes Leben kennen. – Also erzählen Sie, ich bin ganz Ohr.«

Frau von Chambray fuhr fort: