Kostenlos

Otto der Schütz

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

V

Eine Ebene, welche sich von dem Schlosse von Cleve bis an das Ufer des Rheines erstreckte, bildete den zu dem Bogenschießen eingerichteten Kampfplatz. Auf der Seite des Schlosses war ein erhöhter Platz errichtet, und erwartete den Fürsten und sein Gefolge; auf der andern Seite und an dem Ufer hatte sich das Volk aller umliegenden Dörfer bereits in Erwartung des Schauspieles, das seiner harrete, aufgestellt, auf das es um so stolzer war, als der Sieger des Tages aus seinen Reihen hervorgehen sollte. Eine Gruppe aus andern Theilen Deutschlands angekommener Bogenschützen wartete bereits an einem der Enden der Wiese, während an dem andern das Ziel, welches die Pfeile erreichen sollten, auf Hundert und fünfzig Schritte Entfernung in Mitte einer weißen Scheibe einen schwarzen Punkt bot, der mit zwei Kreisen, der eine roth und der andere blau, umgeben war.

Um zehn Uhr hörte man die Trompeten schmettern; die Thore des Schlosses öffneten sich, und ein glänzender Reiterzug zog aus ihnen heraus; er bestand aus dem Fürsten Adolph von Cleve, der Prinzessin Helene und dem gefürchteten Grafen von Ravenstein. Ein zahlreiches Gefolge von Pagen und Dienern, die wie ihre Herren zu Pferde waren, obgleich die Entfernung, welche das Schloß von der Wiese trennte, kaum eine halbe Stunde betrug, folgte den Herren, und glich, indem es sich auf dem schmalen Fußpfade entfaltete, einer langen buntscheckigen Schlange, welche in dem Flusse ihren Durst löschen wollte.

Langes Jauchzen empfing den König und die Königin des Festes in dem Augenblicke, wo sie sich auf der Tribüne zeigten, welche für sie bereitet war. Was Otto anbelangt, so hatten sie bereits Platz genommen, ohne daß noch ein Ausruf aus seinem Munde gedrungen war, so sehr war er in eine stumme und tiefe Beschallung bei dem Anblicke der jungen Prinzessin versunken.

Sie war in der That eines der anmuthigsten Geschöpfe, welche dieses nördliche Deutschland hervorzubringen vermogte, das so fruchtbar an bleichen und lieblichen Bildern ist. Gleich den Pflanzen, welche im Schatten wachsen, indem ihre Wurzeln in einem feuchten Boden ruhen, fehlte es Helenen vielleicht an jenen lebhaften Farben der Jugend, welche unter einer glühenderen Sonne aufblühen; aber dagegen hatte sie alle die Geschmeidigkeit und alle die Anmuth jener hübschen Seeblumen, welche man am Tage aus dem Wasser hervortauchen sieht, um sich einen Augenblick lang umzusehen und ihren Antheil an dem Feste des Lebens zu nehmen, die sich aber mit der Dämmerung wieder schließen, und sich Nachts auf jene breiten runden Blätter mit unsichtbaren Stengeln legen, welche ihnen die Natur zur Wiege gegeben hat. Sie folgte ihrem Vater und ihr folgte wieder der Graf von Ravenstein, der, wie man sagte, bald den Titel als Verlobter erhalten sollte; hinter ihnen ritten Pagen, die auf einem Kissen von rothem Sammet das Barett trugen, welches dazu bestimmt war, dem Sieger als Preis zu dienen. Endlich füllten die Beamten des Fürsten Adolph vollends die auf der Tribüne vorbehaltenen Ehrenplätze aus, und nachdem die Prinzessin Helene mit einem huldreichen Verneigen des Kopfes auf das Gemurmel der Bwunderung geantwortet hatte, das sie empfangen, gab ihr Vater das Zeichen, daß man anfangen könnte.

Es waren ungefähr Hundert und zwanzig Bogenschützen anwesend, und die Bedingungen waren folgender Maßen gestellt:

»Die, welche bei dem ersten Rennen die weiße Scheibe gänzlich gefehlt hätten, sollten sich auf der Stelle zurückziehen, und auf die Mitbewerbung verzichten.

Die, deren Pfeile bei dem zweiten Rennen nicht innerhalb des rothen Kreises getroffen hätten, sollten sich gleichfalls zurückziehen.

Endlich sollten für den entscheidenden Kampf nur diejenigen bleiben, welche nach dem dritten Rennen in dem blauen Kreis getroffen hätten.«

Auf diese Weise vermied man Verwirrung unter den Mitbewerbern; und, was auch noch möglich war, daß statt der Geschicklichkeit der Zufall aus einem mittelmäßigen Schützen einen Sieger machte.

Sobald das Signal gegeben, spannten alle Schützen ihre Bogen und bereiteten ihre Pfeile vor. Jeder ließ sich einschreiben, und die Reihe war nach dem Alphabet geordnet. Ein Herold rief die Namen, und je nachdem sie gerufen waren, traten die Schützen vor und schossen ihre Pfeile ab.

Einundzwanzig Bogenschützen unterlagen bei dieser ersten Probe, und zogen sich beschämt und von dem Gelächter der Zuschauer begleitet in einen vorbehaltenen Raum zurück, in welchem bald neue Unglücksgefährten zu ihnen stoßen sollten.

Bei der zweiten Probe war die Anzahl noch weit beträchtlicher, denn je schwieriger die Aufgabe wurde, desto mehr Ausgeschlossene mußte es dabei geben. Endlich blieben bei der dritten nur noch elf Schützen übrig, um sich den Preis streitig zu machen, unter denen sich Nobert, Hermann und Otto befanden. Das war der Kern der Bogenschützen von Straßburg bis nach Niemwegen. Die Aufmerksamkeit steigerte sich dabei auch, und selbst die Schützen. welche kein Recht mehr zu dem Kampfe hatten, theilten, indem sie ihre Niederlage vergaßen, diese allgemeine Spannung, wobei jeder Gelübde that, damit das Schicksal, das sie verlassen hatte, einen Freund, einen Landsmann oder einen Bruder begünstige.

Eine neue Ubereinkunft wurde nun unter den Bogenschützen selbst getroffen, nämlich daß ein viertes Rennen angestellt werden sollte; alle Pfeile, welche dieses mal das Schwarze selbst nicht berührten, sollten seinen Schützen ausschließen, und die Zahl der Mitbewerber nochmals Verringern. Sieben Schützen unterlagen. Robert und Hermann hatten halb schwarz getroffen. Mildar und Otto hatten gerade in das Schwarze getroffen.

Dieser Mildar, den wir zum ersten Male nennen, war ein Bogenschütz des Grafen von Ravenstein, dessen Ruf an dem Rheine von dem Orte an, wo sich derselbe in dem Sande bei Ortrecht verliert, bis dahin, wo er als kleiner Bach aus der Gebirgskette des Sanct Gotthardt entspringt, verbreitet war; seit langer Zeit wünschten Robert und Hermann, die ihren Ruf zu behaupten hatten, mit diesem schrecklichen Gegner zusammenzutreffen, den man ihnen beständig entgegenstellte. Der Streit war entschieden worden, ohne daß sie abgewiesen waren; der Vorrang war Mildar geblieben, dem Otto allein beständig das Gleichgewicht gehalten hatte. Je mehr die Anzahl der Schützen sich verringerte, desto mehr hatte sich das Interesse der Zuschauer gesteigert. Die vier Bogenschützen, welche auf dem Kampfplatze blieben, waren daher auch das Ziel aller Blicke. Drei waren bereits berühmt, weil sie gar viele Preise streitig gemacht und davon getragen hatten, aber der vierte und der jüngste war Jedermann gänzlich unbekannt; jeder frug nach seinen Namen, und Niemand konnte einen andern erfahren als den, den er selbst gewählt hatte: . . . Otto der Schütz.

Robert sollte zuerst schießen. Er schritt bis zu der von einem Rasenhaufen bezeichneten Gränze vor, wählte seinen besten Pfeil, legte langsam an, indem er seinen Bogen von unten nach oben erhob, zielte einige Secunden lang mit all der Aufmerksamkeit, deren er fähig war, dann ließ er die Sehne los, und der Pfeil drang ins volle Schwarz. Beifallsbezeugungen erschallten von allen Seiten; Robert zog sich zurück, um seinen Gefährten Platz zu machen.

Hermann trat als der zweite vor, traf dieselben Vorsichtsmaßregeln, wie sein Vorgänger und erlangte dasselbe Resultat.

Jetzt war die Reihe an Mildar. Er nahm seinen Platz in Mitte des tiefsten Schweigen ein, wählte mit außerordentlicher Sorgfalt einen Pfeil aus seinem Köcher, legte ihn auf seinem Finger ins Gleichgewicht, um zu seien, ob die eiserne Spitze nicht mehr wiege, als das Elfenbein der Kerbe; dann, mit der Prüfung zufrieden, legte er ihn auf der Sehne zurecht; in diesem Augenblicke stand der Graf von Ravenstein, sein Gönner, auf, und indem er, eine Börse aus seiner Tasche zog, sagte er zu ihm:

–– Mildar, wenn Du näher an den Nagel triffst, als Deine beiden Gegner, so ist diese Börse Dein.

Dann warf er die Börse hin, welche dem Schützen zu Füßen rollte. Aber dieser war so sehr beschäftigt, daß er kaum auf das zu achten schien, was sein Herr zu ihm sagte. Die Börse fiel klingend neben ihm nieder, ohne daß er den Kopf weg wandte; einige Blicke suchten einen Augenblick lang dieses durch die seidenen Maschen, welche es enthielten, glänzende Gold, dann richteten sie sich sogleich wieder auf Mildar.

Die Erwartung des Grafen von Ravenstein wurde nicht getäuscht; Mildars Pfeil zerbrach den Nagel selbst, und drang in den Mittelpunkt des Zieles; ein Schrei erschallte von allen Seiten, der Graf von Ravenstein klatschte in die Hände. Helene erbleichte dagegen so sichtlich, daß ihr besorgter Vater sich zu ihr neigte und sie frug, ob sie unwohl wäre; aber statt aller Antwort schüttelte sie lächelnd ihr blondes Haupt und der beruhigte Fürst Adolph richtete seine Augen wieder nach den Schützen. Mildar raffte die Börse auf.

Es war noch Otto übrig, welcher der letzte war, und dem die Geschicklichkeit Mildars keine Aussicht übrig zu lassen schien. Indessen hatte auch er, wie die Prinzessin gelächelt, und an diesem Lächeln hatte man sehen können, daß er sich noch nicht für geschlagen hielt.

Aber die, welche den lebhaftesten Antheil an diesem Kampfe der Geschicklichkeit zu nehmen schienen, waren Robert und Hermann. Besiegt, hatten Robert und Hermann alle ihre Hoffnung auf ihren jungen Gefährten übertragen. Sie hatten ihm keine Goldbörsen zu Füßen zu werfen, wie es der Graf von Ravenstein gethan hatte, aber sie näherten sich Otto, und drückten ihm die Hand.

–– Denke an die Ehre der Bogenschützen von Köln, sagten sie zu ihm, obgleich wir, aufrichtig gesprochen, nicht wissen, wie Du sie wirst vertheidigen können.

–– Ich kann, antwortete, Otto, wenn man den Pfeil Mildars wegnehmen will, den meinigen in das Loch schießen, das der seinige gemacht hat.

Robert und Hermann blickten einander mit einem Erstaunen an, das an Bestürzung gränzte. Otto hatte diesen Vorschlag in einem so ruhigen Tone und mit einer solchen Kaltblütigkeit gemacht, daß sie nach den Beweisen von Geschicklichkeit, welche er ihnen gegeben hatte, nicht zweifelten, daß er im Stande wäre, das zu thun, was er vorschlug. Da nun aber ein großes Getöse in der ganzen Versammlung entstand, so machten sie ein Zeichen, daß sie sprechen wollten, und die Ruhe stellte sich wieder her. Nun erhob Hermann, indem er sich nach der Tribüne wandte, auf welcher sich der Fürst von Cleve befand, die Stimme und theilte ihm die Forderung Ottos mit. Sie war so gerecht und so außerordentlich, daß sie ihm auf der Stelle bewilligt wurde, und dieses Mal war es Mildar, welcher lächelte, aber mit einer Miene des Zweifels, die bewies, daß er die Sache für unmöglich hielt.

 

Nun legte Otto seinen Hut, seinen Bogen und seine Pfeile auf den Boden, und ging selbst langsamen und gemessenen Schrittes, um den Schuß zu untersuchen; es war wirklich so, wie es der Zieler gesagt hatte; an der Scheibe angelangt, riß Mildar, der ihm gefolgt war, selbst seinen Pfeil aus. Robert und Hermann wollten es eben so machen, aber Otto hielt sie mit einem Blicke zurück; sie verstanden, daß ihr junger Gefährte sich ihrer Pfeile wie zweier Führer bedienen wollte, und antworteten durch ein Zeichen des Einverständnisses. Otto pflückte nun ein kleines Gänseblümchen, steckte es in die von dem Pfeile Mildens gebildete Höhlung, um in Mitte des schwarzen Kreises durch einen weißen Punkt geleitet zu sein; nachdem er diese Vorsichtsmaßregel getroffen, kehrte er ohne Demuth und ohne Stolz auf seinen Platz zurück, indem er überzeugt war, daß er, wenn er den Preis verlöre, ihn lang genug streitig gemacht hätte, um ihn ohne Schande in die Hände eines Andern übergehen zu sehen.

An der Gränze angelangt, wartete er einen Augenblick lang, bis daß jeder seinen Platz wieder eingenommen hätte. Als hierauf die Ordnung wieder hergestellt, raffte er seinen Bogen auf, schien auf den Zufall hin einen der Pfeile zu nehmen, obgleich ein geübtes Auge bemerkt hätte, daß er unter den andern den gewählt, den er genommen, schüttelte den Kopf, um seine langen blonden Haare zu beseitigen, welche die von ihm gemachte Bewegung vor seine Augen gelegt hatte; dann ruhig und lächelnd, wie der pythische Apollo, legte er seinen Pfeil auf seinen Bogen, erhob ihn langsam bis zu der Höhe des Zieles und seines Auges, zog seine rechte Hand zurück, bis daß die Sehne des Bogens fast seine Schulter berührte, blieb einen Augenblick lang regungslos wie ein Schütz von Stein, und dann sah man plötzlich den Pfeil wie einen Blitz davon fliegen und zu gleicher Zeit das Gänseblümchen verschwinden. Otto hatte gehalten, was er versprochen, und sein Pfeil hatte im Centrum das Ziel von Mildars Pfeile ersetzt. Ein Ausruf des Erstaunens erschallte von allen Seiten, die Sache gränzte an das Wunderbare. Otto wandte sich nach dem Fürsten um, und verneigte sich. Helene erröthete vor Vergnügen, und Ravenstein vor Aerger.

Nun stand der Fürst Adolph von Cleve auf und erklärte, daß er von diesem Augenblicke an zwei Sieger zähle, und daß es dem zu Folge zwei Preise gäbe, der eine wäre das von seiner Tochter gestickte Barett, der andere die goldene Kette, welche er selbst am Halse trüge. Da indessen dieser Kampf der Geschicklichkeit ihn, wie die ganze Versammlung interessiere, so wünschte er, daß jeder der Gegner eine letzte Probe nach seiner Wahl vorschlüge, welche der andere anzunehmen genöthigt sei. Otto und Mildar nahmen sie wie Männer an, die sie verlangt haben würden, wenn man sie ihnen nicht angeboten hätte, und die Menge, vergnügt ein für sie so interessantes Schauspiel sich verlängern zu sehen, klatschte mit einer einstimmigen Regung in die Hände, indem sie dem Fürsten für seine Großmuth dankte.

Die alphabetische Ordnung gab Mildar die Wahl der ersten Probe. Er ging an das Ufer des Flusses, schnitt zwei Weidenzweige ab, kehrte zurück, um einen davon in halber Entfernung von dem ursprünglichen Ziele in den Boden zu pflanzen; als er sich hierauf bis an die Schranke begeben, spaltete er ihn mit seinem Pfeile.

Otto steckte den andern auf, und machte es eben so.

Jetzt war an ihm die Reihe; er nahm zwei Pfeile, steckte den einen davon in seinen Gürtel, legte den andern auf seinen Bogen, schoß ihn so ob, daß er einen Bogen beschrieb, und während dieser erste fast senkrecht herabfiel, durchschoß er ihn mit dem zweiten.

Die Sache schien Mildar so wunderbar, daß er erklärte, er hielt, da er sich einer solchen Uebung niemals gewidmet, das Gelingen für unmöglich. Er erklärte sich dem zu Folge für besiegt und ließ seinem Gegner die Wahl zwischen dem von der Prinzessin Helene gestickten Barett und der goldenen Kette des Fürsten Adolph von Cleve.

Otto wählte das Barett, und knieete unter einem dreifachen Jauchzen des Volkes vor der Prinzessin nieder.

VI

Als Otto, die Stirn mit dem Barett geschmückt, das er gewonnen hatte, wieder aufstand, strahlte sein Gesicht vor Wonne und Glück. Die Haare Helenens hatten die seinigen fast berührt, ihr Athem hatte sich vermischt, das war das erste Mal, daß er den Hauch einer Frau einathmete.

Sein grünes Wams stand seinem geschmeidigen und schlanken Wüchse so gut, seine Augen waren so glänzend von diesem ersten Stolze, den ein Mann über seinen ersten Triumph empfindet, kurz er war so schön und so stolz in seinem Glücke, daß der Fürst Adolph von Cleve augenblicklich daran dachte, wie vortheilhaft es für ihn wäre, einen solchen Diener an sich zu fesseln. Indem er sich dem zu Folge an den jungen Mann wandte, der im Begriffe stand, die Stufen der Tribune wieder hinab zugehen, sagte er zu ihm:

–– Einen Augenblick, mein junger Meister, ich hoffe, daß wir nicht so von einander scheiden.

–– Ich stehe zu den Befehlen Eurer Gnaden, antwortete der junge Mann.

–– Wie heißt Ihr?

–– Ich nenne mich Otto, gnädiger Herr.

–– Wohlan! Otto, fuhr der Fürst fort, Ihr kennt mich, da Ihr zu dem Feste gekommen seid, das ich gebe. Ihr wißt, daß meine Diener und meine Leute mich für einen guten Herrn halten. Seid Ihr ohne Stelle?

–– Ich bin frei, gnädiger Herr, Antwortete Otto.

–– Wohlan! Wollt Ihr dann in meine Dienste treten?

–—In welcher Eigenschaft? antwortete der junge Mann.

–– Ei in der, welche mir für Eure Stellung und für Eure Geschicklichkeit passend scheint. Als Schütz.

Otto lächelte mit einem für diejenigen unerklärlichen Ausdrucke, welche in ihm nur einen gewandten Bogenschützen sehen konnten, und stand ohne Zweifel im Begriffe seinem Range, und nicht seinem Aussehen gemäß zu antworten, als er die Augen Helenens sich mit einem solchen Ausdrucke von Bangigkeit auf ihn heften sah, daß die Worte auf seinen Lippen stockten. Zu gleicher Zeit faltete das junge Mädchen wie bittend die Hände; Otto fühlte bei diesem ersten Strahle von Liebe seinen Stolz schmelzen, und indem er sich an den Fürsten wandte, sagte er zu ihm:

–—Ich nehme es an.

Ein Strahl von Freude verbreitete sich über das Gesicht Helenens.

–– Wohlan! Das ist abgemacht, fuhr der Fürst fort; von heute an steht Ihr in meinem Dienste. Nehmt diese Börse, es ist das Handgeld.

–– Ich danke, gnädiger Herr, antwortete Otto lächelnd, ich habe noch etwas Geld von meiner Mutter. Wenn ich keines mehr habe, werte ich von Eurer Gnaden den Sold verlangen, der mir für meinen Dienst gebührt. Nur, da Eure Gnaden so gut für mich gestimmt ist, so mögte ich von ihr eine andere Gunst in Anspruch nehmen.

–– Welche? sagte der Fürst.

–– Die, erwiderte Otto, zu gleicher Zeit mit mir diesen wackern Menschen anzunehmen, den Eure Gnaden dort auf seinen Bogen gestützt sieht, und der sich Hermann nennt; er ist ein guter Kamerad, den ich nicht verlassen mogte.

–– Wohlan! sagte der Fürst, mach ihm in meinen Namen dasselbe Anerbieten, das ich Dir gemacht habe, und wenn er es annimmt, so gib ihm diese Börse, die Du nicht gewollt hast, er wird vielleicht nicht so stolz sein, als Du.

Otto verneigte sich vor dem Fürsten, ging die Tribüne hinab, und bot Hermann den Antrag und die Börse an; er empfing den einen voll Freude, und die andere voll Dankbarkeit; hierauf kehrten die beiden jungen Leute auf der Stelle zurück, um ihren Platz in dem Gefolge des Fürsten einzunehmen.

Dieses Mal gab er seiner Tochter nicht mehr die Hand; der Graf von Ravenstein hatte um diese Ehre nachgesucht und sie erlangt. Der edle Zug that einige Schritte zu Fuß, um den Platz zu erreichen, wo sich die Pferde befanden; das der Prinzessin Helene war unter der Obhut eines einfachen Dieners, da der Page, welcher der Prinzessin den Steigbügel halten sollte, länger, als er es hätte thun dürfen, unter der Menge der Zuschauer geblieben war, wohin ihn die Neugierde gelockt.

Otto sah seine Abwesenheit, und indem er vergaß, daß ihn das verrieth, da ein junger Mann von Adel allein das Amt eines Pagen oder Knappen verrichten durfte, so eilte er herbei, um ihn zu ersetzen.

–– Es scheint, mein junger Meister, sagte der Graf von Ravenstein zu ihm, indem er ihm mit dem Arme zurückschob, daß der Sieg Dich Deinen Stand vergessen läßt. Zu Gunsten Deines guten Willens verzeihen wir Dir für dieses Mal Deinen Hochmuth.

Das Blut stieg Otto so rasch zu Kopfe, daß es ihm wie eine Flamme vor die Augen trat; aber er sah ein, daß ein Wort zu sagen oder eine Gebärde zu machen, ihn in das Verderben stürzen würde. Helene dankte ihm mit einem Blicke. Es fand bereits zwischen diesen beiden jungen Herzen, die sich kaum begegnet waren, ein eben so inniges und eben so sympathetisches Einverständniß statt, als ob sie immer Geschwister gewesen wären.

Das Pferd des Pagen war frei geblieben, und der Diener führte es am Zügel. Der Fürst erblickte es und hinter ihm Otto, der mit Hermann kam.

–– Otto, sagte der Fürst, kannst Du reiten?

–—Ja. gnädiger Herr, antwortete dieser lächelnd.

–– Nun denn! Nimm das Pferd des Pagen, es ist nicht gerecht, daß ein Triumphator zu Fuß geht.

Otto verneigte den Kopf zum Zeichen des Gehorsams und des Dankes. Indem er sich hierauf dem Renner näherte, setzte er sich ohne Hilfe des Steigbügels mit so vieler Sicherheit und Anstand in den Sattel, daß es augenscheinlich war, daß diese neue Uebung ihm eben so vertraut wäre als die, von welcher er vor einem Augenblicke einen so großen Beweis der Geschicklichkeit abgelegt hatte.

Der Reiterzug setzte seinen Weg nach dem Schlosse fort; an dem Eingangsthore angelangt, bemerkte Otto das über ihm befindliche Wappenschild, auf welchem die Wappen des Hauses Cleve ausgebauen und gemalt waren, und das aus einem silbernen Schwan im himmelblauen Felde auf einem grünen Meere bestand; er erinnerte sich nun, daß dieser Schwan sich an eine alte Sage des Hauses Cleve knüpfte, die er in seiner Kindheit oft hatte erzählen hören; über diesem Thore befand sich ein schwerfälliger und massiver Balcon, den man den Balcon der Fürstin Beatrix nannte, und zwischen dem Thore und dem Balcon eine Bildhauerarbeit aus dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, welche einen, in einem Nachen entschlafenen Ritter vorstellte, den ein Schwan fortzog; endlich befand sich dieses heraldische Bild auf allen Seiten wieder vorgestellt, indem es sich anmuthig mit der weit moderneren Verzierung gewisser neuerdings erbauten Theile des Schlosses vereinigte.

Der übrige Theil des Tages verging in Festen. In seiner Eigenschaft als Sieger war Otto während dieses ganzen Tages der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit, und während der Fürst seinerseits ein reiches Bankett gegeben, boten die Gefährten Ottos ihm ein Mittagsessen, von welchem Otto der König war. Mildar allein weigerte sich, daran Theil zu nehmen.

Am folgenden Morgen überbrachte man Otto einen vollständigen Anzug als Schütz mit den Wappen des Fürsten. Otto betrachtete diese Livre einige Zeit lang, welche, so militärisch sie auch sein mogte, nichts desto weniger eine Livre war; aber bei dem Gedanken an Helene faßte er Muth, legte die Kleider ab, die er in Köln hatte machen lassen, und zog die an, welche ihm für die Zukunft bestimmt waren.

Am selben Tage begann der Dienst; er bestand in der Wache auf den Thürmen und den Galerien. Die Reihe kam an Otto, und der junge Schütz wurde als Schildwache auf eine, den Fenstern des Schlosses gegenüber gelegene Terrasse gestellt. Er dankte dem Himmel für diesen Zufall, er hoffte durch die Fenster, die geöffnet waren, um einen Strahl der Sonne einzuathmen, welche durch die Wolken gedrungen war, Helene zu erblicken. Seine Erwartung wurde nicht getäuscht; Helene erschien bald darauf mit ihrem Vater und dem Grafen von Ravenstein; sie blieben stehen, um den jungen Schützen zu betrachten; es schien Otto sogar, daß die edlen Herren sich mit ihm zu beschäftigen geruhten. Er war in der That der Gegenstand ihrer Unterhaltung, der Fürst Adolph von Cleve machte den Grafen von Ravenstein auf das ante Aussehen seines neuen Dieners aufmerksam, und der Graf von Ravenstein ließ den Fürsten Adolph von Cleve bemerken, daß sein neuer Diener gegen alle göttlichen und menschlichen Gesetze lange Haare wie ein Adliger trüge, während er kurze Haare haben müßte, wie es sich für einen Mann von niedriger Stellung gezieme. Helene wagte ein Wort, um das blonde und gelockte Haar ihres Schützlings vor der Scheere zu retten; aber von der Richtigkeit der Bemerkung seines zukünftigen Schwiegersohnes überrascht, und eifersüchtig auf die dem Adel vorbehaltenen Vorrechte, antwortete der Fürst Adolph von Cleve, daß die andern Schützen ein Recht hätten, sich zu beschweren, wenn man zu Gunsten Ottos von einer Regel abwiche, der sie unterworfen wären.

 

Otto war weit davon entfernt, das zu ahnen, was in diesem Augenblicke gegen diesen aristokratischen Putz angezettelt wurde, den seine Mutter so sehr liebte; er ging vor den Fenstern auf und ab, indem er einen begierigen Blick in das Innere der Gemächer warf, welche die bewohnte, die er bereits von ganzer Seele liebte; nun waren es Träume von Glück und Rachepläne, welche mit einander in seinem Geiste aufstiegen, und die wie eine tödtliche Schlange mit einem mit köstlichen Früchten beladenen Baume verschlungen waren. Dann verdunkelte endlich von Zeit zu Zeit eine Erinnerung an den väterlichen Zorn seine Stirn, und zog gleich einer Wolke zwischen der Zukunft und der aufgehenden Sonne seiner Liebe vorüber.

Als er von der Wache kam, fand Otto den Barbier des Schlosses, welcher ihn erwartete; er war von dem Grafen geschickt und kam, um ihm die Haare abzuschneiden.

Otto ließ sich diesen Befehl zwei Male wiederholen, denn da er die so lebhaften Erinnerungen seines kürzlichen Glanzes nicht zu verscheuchen vermogte, so wollte er nicht glauben, daß dieser Befehl an ihn gerichtet wäre. Indem er aber darüber nachdachte, sah er ein, daß das, was der Fürst verlangte, ganz natürlich wäre; für den Fürsten war Otto nur ein Schütz, freilich weit geschickter, als die Andern, aber die Geschicklichkeit verleihet den Adel nicht, und die Adligen hatten allein das Recht, lange Haare zu tragen. Otto mußte daher das Schloß verlassen, oder gehorchen.

Die Wichtigkeit, welche die jungen Adeligen damals auf diesen Theil ihres Schmuckes legten, war so groß, daß Otto unschlüssig blieb; es schien ihm, als ob er für seine Ehre und für die seiner Familie eine solche Herabwürdigung nicht dulden dürfte. Außerdem wurde er von dem Augenblicke an, wo er sie erduldet hätte, in den Augen Helenes wahrhaft ein einfacher Schütz, und es war besser, daran zu denken, sich von ihr zu entfernen, als so vor ihr erniedrigt zu werden. Er war mit diesen Betrachtungen beschäftigt, als der Fürst mit seiner Tochter am Arme vorüber kam.

Otto machte eine Bewegung auf den Fürsten zu, und der Fürst, welcher sah, daß der junge Mann ihn spreche n wollte, blieb stehen.

–– Gnädiger Herr, sagte der junge Schütz, verzeiht mir, wenn ich eine solche Frage an Euch zu richten wage; aber ist es wirklich auf Euren Befehl, daß dieser Mann gekommen ist, um mir die Haare abzuschneiden?

–– Ohne Zweifel, antwortete der Fürst erstaunt. Warum das?

–– Weil Eure Gnaden mir Nichts von dieser Bedingung gesagt hat, als sie mir angeboten, Dienste unter ihren Schützen zu nehmen.

–– Ich habe Dir nicht von dieser Bedingung gesprochen, sagte der Fürst, weil ich nicht gedacht habe, daß Du die Hoffnung hättest, einen Schmuck zu behalten, der Deinem Stande nicht zukommt. Bist Du von adliger Abkunft, um wie ein Baron oder wie ein Ritter lange Haare zu tragen?

–– Indessen, sagte der junge Mann, indem er der Frage auswich, wenn ich gewußt hatte, daß Eure Gnaden ein solches Opfer von mir verlangte, so hätte ich vielleicht ihre Anerbietungen ausgeschlagen, wie sehr ich auch gewünscht hätte, sie anzunehmen.

–– Es ist noch Zeit, wieder umzukehren, mein junger Meister, antwortete der Fürst, welcher eine solche Beharrlichkeit von einem Manne aus dem Volke sonderbar zu finden begann. Aber bedenke, daß Dir das nicht zu Vielem dient, und nimm Dich in Acht, daß der erste Lehnsherr, über dessen Gebiet Du kommst, nicht dasselbe von Dir verlangt, ohne Dir dieselbe Entschädigung zu bieten.

–– Für jeden Andern, als Euch, gnädiger Herr, antwortete Otto, indem er mit einem Ausdrucke von Geringschätzung lächelte, der den Fürsten erstaunte und Helene zittern ließ, wäre das ein leichtes, aber schwierig auszuführendes Unternehmen. Ich bin Schütz, und, fuhr er fort, indem er die Hände auf seine Pfeile legte, wie Eure Gnaden sehen kann, trage ich das Leben von zwölf Menschen an meinem Gürtel.

– Die Thore des Schlosses stehen offen, antwortete der Fürst, bleibe oder gehe nach Deinem Willen. Ich habe Nichts an dem Befehle zu ändern, den ich gegeben, entschließe Dich freiwillig. Du kennst jetzt die Bedingungen, und Du wirst nicht sagen können, daß ich Deine Zusage durch List erhalten habe.

–– Ich bin entschlossen, gnädiger Herr, antwortete Otto, indem er sich mit einer mit Würde gemischten Achtung verneigte und diese Worte mit einem Ausdrucke aussprach, welcher bewies, daß sein Entschluß in der That gefaßt wäre.

–– Du gehst? sagte der Fürst.

Otto öffnete den Mund, um zu antworten, bevor aber die Worte aussprach, die ihn für immer von Helenen trennen sollten, wollte er einen letzten Blick auf sie werfen; eine Thräne zitterte in den Augen des jungen Mädchens.

Otto sah diese Thräne.

–– Du gehst? – begann der Fürst ein zweites Mal, erstaunt, so lange auf die Antwort eines seiner Diener zu warten.

–– Nein, gnädiger Herr, ich bleibe, sagte Otto.

–– Es ist gut, sagte der Fürst, ich freue mich, Dich vernünftiger zu sehen.

Und er setzte seinen Weg fort.

Helene antwortete Nichts, aber sie blickte Otto mit einem solchen Ausdrucke von Dankbarkeit an, daß, als der Vater und die Tochter außer seinem Gesichte waren, der junge Mann sich vergnügt nach dem Barbier umwandte, der seine Antwort erwartete.

–– Nun denn, mein Meister, sagte er zu ihm, an's Werk, und indem er ihn in das erste Zimmer schob, das er auf der Gallerie offen fand, setzte er sich und überlieferte seinen Kopf dem armen Barbier, welcher das Werk begann, wegen dessen er beschieden worden war, ohne Etwas von Alle dem zu begreifen, was sich so eben in seiner Gegenwart zugetragen hatte. Er verrichtete es nichts destoweniger mit einer solchen Thätigkeit, daß nach Verlauf eines Augenblickes der Fußboden mit den schönen Haaren bedeckt war, deren blonde und lockige Wellen fünf Minuten zuvor das Gesicht des jungen Mannes mit so vieler Anmuth umgaben.

Otto war allein geblieben, und so groß seine Ergebenheit in die geringsten Befehle Helenens auch war, so vermogte er doch nicht ohne Bedauern die seidigen Locken zu betrachten, mit denen seine Mutter so gern gespielt hatte, als er an dem Ende des Corridors ein leises Geräusch zu hören glaubte; er horchte und erkannte den Schritt des jungen Mädchens. Obgleich das Opfer für sie gebracht worden war, so schämte er sich nun doch, ihr diese seiner Haare beraubte Stirn zu zeigen, und er verbarg sich eiligst in eine Vertiefung, vor welcher ein Vorhang hing. Kaum befand er sich dort, als er Helenen erscheinen sah; sie ging langsam, und wie, als ob sie irgend Etwas gesucht hätte. Als sie vor der Thüre vorüber kam, richteten sich ihre Augen auf den Fußboden. Indem sie nun um sich blickte und sah, daß sie allein wäre, blieb sie einen Augenblick lang stehen, horchte, und durch das Schweigen beruhigt, trat sie dann leise ein, bückte sich immer horchend und um sich blickend, und als sie hierauf eine Locke der Haare des jungen Schützen aufgerafft, verbarg sie dieselbe in ihrem Busen und entfloh.