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La San Felice

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Vor der Mauer fand derselbe Auftritt statt wie vor der Thür des Hauses. Luisa kniete nieder oder fiel vielmehr auf ihre Knie und stammelte mit beinahe erloschener Stimme dasselbe Gebet.

Es war augenscheinlich, daß sie, erschöpft durch ihre kaum überstandene Niederkunft, durch die Reise über ein stürmisches, wild aufgeregtes Meer und durch ihre letzten Anstrengungen, kaum noch im Stande war, sich weiterzuschleppen. Hätte sie noch die Hälfte des Weges, den sie schon gemacht, zurückzulegen gehabt, so wäre sie gestorben, ehe sie am Schaffot angelangt wäre.

Sie war aber angelangt. Vom Fuße jener Mauer ihrer letzten Station her hörte sie gleich dem Brausen eines Orkans die zwanzig- oder dreißigtausend Lazzaroni, Männer und Frauen, welche schon den Marktplatz bedeckten, ohne die zu zählen, welche gleich in einen See fließenden Strömen sich durch jene tausend Gäßchen ergossen, welche auf diesen Platz, das Forum des gemeinen Volkes von Neapel, ausmünden.

Wie wäre es Luisa möglich gewesen, in die Mitte dieser dichtgedrängten Menge zu gelangen, wenn nicht die Neugier ein Wunder gewirkt und ihr die Reihen geöffnet hätte.

Sie ging mit geschlossenen Augen, auf ihren Tröster gestützt von ihm gehalten, bis sie plötzlich den Arm, der sie umschlungen hielt, erbeben fühlte.

Unwillkürlich schlug sie die Augen auf. Sie erblickte das Schaffot!

Es war der kleinen Kirche vom heiligen Kreuz gegenüber aufgeschlagen, genau an der Stelle, wo Conradin von Schwaben enthauptet worden.

Es bestand einfach aus einer etwa acht Fuß hohen Plattform mit einem daraufstehenden Block.

Diese Plattform war unbedeckt und ohne Geländer, damit den Zuschauern kein einzelner Umstand des hier aufzuführenden Dramas entgehen möchte.

Eine Treppe führte auf die Plattform hinauf. Diese Treppe, ein Luxusgegenstand, war nicht um der Bequemlichkeit der Verurtheilten willen da, sondern um der des Beccajo willen, weil dieser mit einem hölzernen Bein nicht im Stande gewesen wäre, eine bloße Leiter hinaufzusteigen.

Auf der Kirche zum heiligen Kreuze schlug die zehnte Stunde, als, nachdem die Priester, die Büßer und die Mönche sich um das Schaffot herum aufgestellt hatten, die Verurtheilte den Fuß der Treppe erreichte.

»Muth!« sagte der Büßer zu ihr. »Binnen zehn Minuten wird anstatt meines schwachen Armes die gewaltige Hand Gottes Dich stützen. Es ist von diesem Blutgerüst bis zum Himmel weniger weit als von dem Pflaster dieses Platzes bis auf dieses Blutgerüst.«

Luisa raffte alle ihre Kräfte zusammen und stieg die Treppe hinauf. Der Beccajo war ihr voran auf die Plattform gestiegen, wo seine gleichzeitig scheußliche und groteske Erscheinung mit allgemeinem Geschrei begrüßt worden war. So weit als das Auge reichte, sah man weiter nichts als sich bewegende Köpfe, offene Lippen, begierige und flammende Augen.

Durch eine einzige Oeffnung hindurch sah man den ebenfalls mit Menschen angefüllten Quai und jenseits des Quai das Meer.

»Nun, rief der Beccajo auf einem hölzernen Beine schwankend und sein Beil schwingend, »sind wir endlich bereit?«

»Wenn der Augenblick da sein wird, so werde ich es Dir sagen,« antwortete der Büßer.

Dann setzte er mit unendlicher Sanftmuth zu der Verurtheilten hinzu: »Wünschest Du nichts mehr?«

»Deine Verzeihung! Deine Verzeihung!« rief Luisa, indem sie vor ihm auf die Knie niedersank.

Der Büßer streckte die Hand über ihr gesenktes Haupt.

»Ihr Alle seid Zeugen,« sagte er mit lauter Stimme, »daß ich in meinem Namen, im Namen der Menschen und im Namen Gottes dieser Frau verzeihe.«

Dieselbe rauhe Stimme, welche Luisa vor dem Hause der Backers befohlen hatte zu beten, rief jetzt vom Fuße des Schaffots herauf:

»Seid Ihr ein Priester, der Ihr Absolution ertheilt?«

»Nein,« antwortete der Büßer, »wenn ich aber auch nicht Priester bin, so ist mein Recht doch darum ein nicht weniger heiliges. Ich bin der Gatte der Verurtheilten!«

Und Luisa aufrichtend und seine Capuze zurückwerfend, breitete er ihr beide Arme entgegen und Jeder konnte, trotz des auf seinem Antlitz ruhenden Ausdruckes von Schmerz, die sanften Züge des Chevalier San Felice erkennen.

Luisa sank schluchzend an die Brust ihres Gatten.

Wie verstockt und verhärtet die Herzen der Mehrzahl der Zuschauer auch waren, so blieben doch bei diesem Anblick nur wenig Augen trocken.

Einige, freilich nur wenige Stimmen riefen:

»Gnade!«

Es war der Protest der Menschlichkeit.

Luisa begriff selbst, daß der Augenblick gekommen sei. Sie entriß sich den Armen ihres Gatten, that taumelnd einen Schritt in der Richtung, wo der Henker stand, indem sie sagte:

»Mein Gott! In deine Hände befehl’ ich mich.«

Dann sank sie auf die Knie nieder, legte selbst den Kopf auf den Block und fragte:

»Liege ich so recht?«

»Ja,« antwortete der Beccajo in rauhem Tone.

»Ich bitte Euch, laßt mich nicht lange leiden.«

Es trat Todtenstille ein und der Beccajo hob sein Beil.

Nun aber folgte ein entsetzlicher Auftritt.

Sei es, daß die Hand des Henkers nicht sicher genug war, sei es, daß sie nicht das nöthige Gewicht hatte, kurz der erste Hieb bewirkte blos einen tiefen Einschnitt in den Nacken der Verurtheilten, trennte aber nicht die Wirbel.

Luisa stieß einen lauten Schrei aus, sprang von Blut überströmt in die Höhe und bewegte die Arme wild in der Luft.

Der Henker packte sie bei ihrem kurz abgeschnittenen Haar, drückte sie wieder auf den Block nieder und führte unter dem lauten Geheul und den Verwünschungen der gaffenden Menge einen zweiten und einen dritten Streich, ohne daß es ihm gelang den Kopf vom Rumpfe zu trennen.

Nach dem dritten Streiche entrang Luisa, vor Schmerz wahnsinnig, Gott und die Menschen um Hilfe anrufend und in Blut gebadet, sich seinen Händen und wollte sich mitten unter die Menge hinabstürzen; der Beccajo aber ließ sein Beil fallen, griff zu seinem Schlachtmesser, der Waffe, womit er besser umzugehen wußte, hielt die arme Märtyrerin fest, umschlang sie mit dem einen Arm und stieß ihr sein Messer unter dem Schlüsselbein in die Brust.

Das Blut spritzte in einem funkelnden Strahl heraus, die Arterie war durchschnitten. Diesmal war die Wunde tödtlich.

Luisa ächzte, hob Augen und Hände gegen Himmel und brach dann zusammen.

Sie war todt.

Gleich bei dem ersten Streiche mit dem Beil war der Chevalier San Felice ohnmächtig geworden.

Dies war mehr, als der Pöbel des Altmarktes, so gewöhnt er auch an dergleichen Schauspiele war, ertragen konnte, ohne sich einzumischen. Er stürzte sich auf das Schaffot, welches er binnen wenigen Secunden demolierte, und auf den Beccajo, den er in einem Augenblick in Stücke riß.

Dann baute man aus den Trümmern des Schaffots einen Scheiterhaufen, auf welchem man den Henker verbrannte, während einige fromme Seelen an der Leiche der Hingerichteten beteten, welche man am Fuße des großen Altars in der Kirche del Carmine niedergesetzt.

Den immer noch ohnmächtigen Chevalier hatte man in das Officium der Bianchi gebracht.

* * *

Die Hinrichtung der unglücklichen San Felice war die letzte, welche in Neapel stattfand. Bonaparte, welchen der Capitän Skinner am Bord des »Muiron« gesehen, täuschte, wie König Ferdinand sehr richtig vorausgesehen, die Wachsamkeit des Admiral Keith, landete am 8. October in Fréjus, vollführte am nächstfolgenden 9. November den unter dem Namen des 18. Brumaire bekannten Staatsstreich, gewann am 14. Juni des nächsten Jahres die Schlacht bei Marengo und forderte, indem er mit Oesterreich und dem Königreich beider Sicilien den Frieden unterzeichnete, von König Ferdinand Einstellung der Hinrichtungen, Oeffnung der Gefängnisse und Rückkehr der Verbannten.

Beinahe ein Jahr lang war auf allen öffentlichen Plätzen des Königreiches das Blut der Verurtheilten geflossen und man schätzt die Schlachtopfer der bourbonischen Reaction auf mehr als viertausend.

Die Staatsjunta, welche glaubte,« daß gegen ihre Aussprüche keine Berufung zulässig sei, täuschte sich aber.

In Ermanglung der menschlichen Gerechtigkeit appellierten die Schlachtopfer an die göttliche und Gott hat die gefällten Urtheile cassiert. Das Haus der Bourbonen von Neapel hat aufgehört zu regieren, und dem Worte des Herrn gemäß sind die Sünden der Väter heimgesucht worden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.

Nur Gott allein ist groß.

Der Capitän Skinner oder vielmehr Bruder Giuseppe kehrte, nachdem er Salvato die letzten Pflichten erwiesen, in das Kloster auf dem Berge Monte Cassino zurück und die armen Kranken der Umgegend, welche drei oder vier Monate lang vergebens nach ihm sahen von Neuem von der Abenddämmerung bis Tagesanbruch am höchsten Fenster des Klosters einen Lichtschimmer leuchten.

Es war die Lampe des Skeptikers oder vielmehr des verzweifelten Vaters, welcher fortfuhr Gott zu suchen, ihn aber nicht fand.

* * *

Heute, am 25. Februar 1865, um 10 Uhr Abends, habe ich diese Erzählung beendet, die ich am 24. Juli 1863, meinem Geburtstage, begonnen.

Achtzehn Monate habe ich fleißig und gewissenhaft zum Ruhme des neapolitanischen Patriotismus und zur Schmach der bourbonischen Tyrannei dieses Monument aufgebaut. Unparteiisch wie die Gerechtigkeit, möge es unvergänglich sein wie das Erz.

Nachtrag

Im Laufe der Veröffentlichung des historischen Romans, welchen man soeben gelesen, ward von der Tochter der unglücklichen Luisa San Felice der nachstehende Brief an den Redacteur des Journals »l’Indipendente« gerichtet, welches Herr Alexander Dumas in Neapel herausgibt, und in welchem eine italienische Uebersetzung des vorliegenden Romans erschienen ist. Wir theilen diesen Brief hier eben so mit wie die von Herrn Dumas darauf gegebene Antwort, und sind überzeugt, daß diese beiden Documente mit großem Interesse gelesen werden.

 
Die Verleger.

»An den Herrn Redacteur des »Indipendente« im Neapel.

»Herr Redacteur!

»Als Tochter von Luisa Molina San Felice, welche zur Heldin eines Romanes gewählt worden, den Herr Dumas in dem »Indipendente« veröffentlicht, fühle ich die doppelte Pflicht, die eigentliche Herkunft meiner Mutter zu constatieren, und noch einige andere Ungenauigkeiten zu berichtigen, die in einem Romane vorkommen, welcher historisch sein will, während doch die Geschichte niemals das Alter oder die wesentlichen Umstände der Personen fälscht, welche sie zu schildern unternimmt. Wenn ich dieser Pflicht ein wenig spät genüge, so liegt der Grund darin, daß ich ein zurückgezogenes Leben führe und mich mit der Lektüre von Journalen fast gar nicht befasse.

»Wissen Sie daher, und ich kann es Ihnen durch Documente beweisen, daß meine Mutter Luisa die Tochter von Signor Pietro Molina und seiner Ehegattin Camillo Salinero war. Sie ward geboren am 28. Februar 1764 in einem zu dem Kirchspiel Santa Anna di Palazzo gehörigen Hause, wo sie auch getauft ward. Signor Andrea delli Monti San Felice, der Gatte meiner Mutter, war am 31. März 1763 im Kirchspiel San Liborio geboren und hier auch getauft. Es bestand daher zwischen ihm und seiner Gattin nicht jene große Ungleichheit des Alters, welche der historische Romandichter erwähnt, und die Vermählung ward am 29. September in der Kirche San Marco di Palazzo vollzogen.

»Luisa Molinas Aussteuer betrug übrigens nicht fünfzigtausend Ducati, wohl aber gaben ihre Aeltern ihr eine von sechstausend Ducati, wie aus dem von dem Notar Donato Cervelli aufgesetzten Ehecontract hervorgeht.

»Diese Aufschlüsse würden Herrn Dumas zum Zweck, dem Andenken meiner Mutter eine Verleumdung zu ersparen – denn die Veröffentlichung des Romanes kann ich in Folge der Preßfreiheit nicht verhindern – ertheilt worden sein, wenn er sie verlangt hätte, wogegen er sich, ganz im Widerspruch mit der Wahrheit, in der Geschichte der Bourbons von Neapel Seite 120 und 121 begnügt zu versichern, er sei bei mir gewesen, aber ich hätte meine Mutter verläugnet und ihm jeden Aufschluß verweigert.

»Haben Sie daher die Güte, diesen Brief zu veröffentlichen und in der Ausgabe, welche Sie von dem Roman veranstalten, eine für meine Familie durchaus nicht ehrenwerthe Herkunft, ein durch die Geburtsurkunden widerlegtes Alter und eine geradezu erdichtete Aussteuer zu berichtigen. Die Loyalität, mit welcher Sie zu Werke gehen, gibt mir die Ueberzeugung, daß Sie alle diese Berichtigungen bewirken werden, und ich sage Ihnen im Voraus dafür meinen Dank.

»Ihre ganz ergebene

»Maria Emmanuela delli Monte San Felice.
»Neapel, am 25. August 1864.«

Die Antwort des Herrn Alexander Dumas auf diesen Brief lautet folgendermaßen:

»Signora!

»Wenn ich mich in dem Roman: »Die San Felice« kraft der Vorrechte des Romandichters von der materiellen Wahrheit entfernt habe, um in das Gebiet des Idealen hinüberzustreifen, so bin ich dagegen in meiner Geschichte der Bourbons von Neapel, so viel es mir möglich gewesen, jenem geheiligten Pfad des Wahren gefolgt, von welchem der Geschichtsschreiber unter keinem Vorwand abweichen darf.

»Ich sage, so viel es mir möglich gewesen, denn Neapel ist die Stadt, wo es am leichtesten ist, sich zu verirren, wenn man die Wahrheit zu ermitteln bestrebt ist und ihren Spuren zu folgen versucht. Deshalb hatte ich mir auch vorgenommen, mich direct an Sie zu wenden, weil Sie als Tochter des unglücklichen Schlachtopfers des Königs Ferdinand mir das meiste Interesse daran zu haben schienen, daß zum ersten Male Licht in diese finstere, blutige Angelegenheit gebracht werde. Ich versuchte damals zu Ihnen zu gelangen, Signora, aber es war mir unmöglich. Ich beauftragte einen Freund, Ihren Landsmann M. F., meine Stelle zu vertreten. Er hatte die Ehre Ihnen zu sagen, zu welchem Zwecke er Sie zu sprechen wünschte und was der Aufschluß beträfe, den er von Ihnen zu erlangen suchte. Er erhielt jedoch, wie er mir versichert, von Ihnen eine Antwort, die in Bezug auf das Andenken Ihrer Frau Mutter einen solchen Mangel an Ehrerbietung verrieth, daß ich trotz seiner Versicherung nicht glauben kann, diese Antwort sei wirklich von Ihnen gegeben worden. Ich beschloß daher mit einigen Zeitgenossen der Märtyrerin zu sprechen und zu den in den Werken von Coletta, von Cuoco und einigen anderen Historikern enthaltenen Aufschlüssen die hinzuzufügen, welche mir vielleicht auf mündlichem Wege gegeben wurden.

»Ich sprach bei dieser Gelegenheit einen alten zweiundachtzigjährigen Arzt, dessen Namen ich vergessen und welcher den später verheirateten jungen Prinzen della Grazie, eine Tante der Prinzessin Maria und den Herzog von Rocca Romano, Nicolino Caracciolo, welcher auf dem Pausilippo wohnte, zu behandeln gehabt hatte.

»Auf diesem Wege gelang es mir, da Sie, Signora, sich geweigert, für meine Geschichte der Bourbons von Neapel einige Aufschlüsse zu erlangen, welche ich für richtig halte, und gegen diese wenigstens Sie auch nicht protestiert. Ich sage Ihnen aber nochmals, Signora, das dem Romandichter offenstehende Feld ist größer, als der dem Historiker vorgezeichnete Weg. In einem Werke, worin die Einbildungskraft nothwendig eine große Rolle spielt, wollte ich bei Schilderung der beklagenswerthen Periode, in welche das Leben Ihrer Frau Mutter fiel, gewissermaßen aus reinem Zartgefühle, die beiden Hauptpersonen meines Buches, die Helden meiner Erzählung, idealisieren. Ich wollte, daß man Luisa Molina wiedererkenne, aber so wie man im Alterthum die Göttinnen sah, welche den Sterblichen erschienen, das heißt durch eine Wolke hindurch. Diese Wolke sollte dieser Erscheinung Alles benehmen, was sie vielleicht Materielles hätte. Sie sollte die Person von ihren Familienbanden isolieren, damit ihre nächsten Verwandten sie wiedererkennen möchten, aber so wie man einen Schatten wiedererkennt, der aus dem Grabe aufsteigt und der, obschon er wieder sichtbar geworden, doch wenigstens ungreifbar bleibt.

»Deshalb ersann ich für meine Heldin die völlig erdichtete Abstammung von dem Fürsten Caramanico und zwar weil ich aus Luisa Molina ein ganz besonderes Wesen, welches der Inbegriff aller Vollkommenheiten wäre, machen, und auf sie einen jener poetischen Strahlen lenken wollte, welche das Andenken eines Menschen umgeben, der seltener Weise, während er mit der Geschichte des Königs Ferdinand und den Liebesabenteuern der Königin Carolina verwebt ist, die duftige Glorie der Leidenschaft, der Redlichkeit und des Unglücks bewahrt hat.

»Wenn dies, Signora, ein Fehler ist, so gestehe ich, daß ich denselben wissentlich begangen habe, und in meinem Irrthume beharrend, füge ich hinzu, daß, wenn mein Roman, anstatt geschrieben zu sein, erst noch geschrieben werden sollte, Ihre Reclamation, wie richtig sie auch ist, mich nicht bewegen würde, an diesem Theile meiner Erzählung etwas zu ändern.

»Was die zweite Person betrifft, die ich in Scene gesetzt und der ich den Namen Salvato Palmieri gegeben, so brauche ich wohl kaum erst zu sagen, daß dieselbe niemals existierte, oder wenn sie existiert hat, dies doch nicht unter den Verhältnissen geschehen ist, in welche meine Feder diese Persönlichkeit versetzt hat.

»Werden Sie aber den Muth haben, Signora, mir Vorwürfe darüber zu machen, daß ich die so wenig ansprechende Persönlichkeit Ferdinand Ferrys nicht wieder habe aufleben lassen, dieses freiwilligen Kämpfers im Dienste des Todes und Minister des Königs Ferdinand im Jahre 1848? Ferdinand Ferry war unglücklicherweise kein Romanheld, und wäre wohl jene übertriebene Liebe, welche die Chevaliere San Felice für ihn hegte und wodurch sie sich bewegen ließ, das ihr von dem unglücklichen Backer anvertraute Geheimniß zu verrathen, wahrscheinlich genug gewesen, um das beinahe ursprüngliche Interesse zu erwecken, welches ich dieser Liebe bewahren wollte? Mir schien es nämlich, als ob ich, indem ich diese schmerzliche, die Theilnahme in so hohem Grade erregende Geschichte schriebe, aus der Heldin nicht blos eine Märtyrerin, sondern auch eine Heilige machen müßte. Die Liebe ist, von einem gewissen Gesichtspunkte aus betrachtet, eine Religion. Sie hat auch ihre Heiligen und von diesen Heiligen will ich Ihnen nur zwei nennen, welche die nicht am wenigsten beredten und am wenigsten angebeteten des Kalenders sind. Diese beiden sind die heilige Theresia und der heilige Augustin, und Sie sehen, daß ich dabei noch die populärste aller Heiligen vergesse, die, welche zur Vergeltung für die Liebe, welche sie bewogen, so Vieles zu verzeihen, der wiederauferstandene Jesus seiner Erscheinung würdigt – kurz, Sie sehen, daß ich die heilige Magdalena vergesse.

»Kommen wir nun auf den Chevalier San Felice. Mitten unter allen den blutigen Hinrichtungen von neunundneunzig bleibt er eben so vollständig unbemerkt als jener bekannte Vatia, dessen Thurm sich am Fuße des Fusarosees erhebt und von welchem Seneca sagte: »0 Vatia, solus scis vivere!« Sein bleiches Gespenst wird weder von dem Haß noch von der Rache belebt. Der einzige Wiederschein, den er durch die ehebrecherische Liebe seiner Gattin und Ferrys erhält, ist nicht einmal ein blutiger Wiederschein, und diesem Falle, wissen Sie, ist man, wenn man nicht der Don Guttiere Calderons ist, der George Dandin Molières. Ich habe, glaube ich, mit dem erdichteten Helden, den ich geschaffen, etwas Besseres gethan. Ich habe aus ihm nicht einen grausamen oder lächerlichen Ehemann, sondern einen selbstverläugnungsvollen Vater gemacht. Wenn er in meinem Buche an Jahren älter ist, als er in Wirklichkeit war, so ist er gleichzeitig reicher an Tugenden, und wird sich ebenso wie Ihre Mutter, Signora, bei der Nachwelt nicht darüber zu beklagen haben, daß er von der Feder der Geschichte unter die des Poeten und Romanschreibers gerathen ist.

»Und wenn in der Zukunft, Signora, in jener Zukunft, welche das wirkliche und wahrscheinlich einzige Elysium ist, in welchem die Dido und die Virgil, die Francesca und die Dante, die Herminia und die Tasso wieder aufleben, ein Wanderer fragen sollte: »Was ist die San Felice?« so wird er, anstatt sich wie ich an eine Person Ihrer Familie zu wenden, die ihm ebenso wie mir geantwortet ward, entgegnen würde: »Sprechen Sie mir nicht von dieser Frau; ich schäme mich derselben!« lieber mein Buch aufschlagen und zum Glück für den Ruf der Familie wird die Geschichte vergessen werden und der Roman sich in Geschichte verwandeln.

»Genehmigen Sie, Signora, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.

»Saint-Gratien am 15. September 1864.
»Alexander Dumas.«
– Ende -