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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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II.
Althotas

Der Reisende stand nun einem Greise mit grauen Augen, gebogener Nase, zitternden, aber thätigen Händen gegenüber, der, in einen großen Lehnstuhl vertieft mit der rechten Hand in einem dicken, pergamentenen Manuscripte, betitelt la Chiave del Gabinetto, blätterte und in der linken Hand einen Schaumlöffel hielt.

Diese Haltung, diese Beschäftigung, dieses Gesicht mit den unbeweglichen Runzeln, worin nur die Augen und der Mund zu leben schienen, kurz dieses Ganze, das dem Leser ohne Zweifel seltsam vorkommt, war dem Fremden sicherlich sehr bekannt, denn er warf nicht einmal einen Blick umher, obgleich es sich wohl der Mühe lohnte, diesen Theil der Kutsche zu betrachten.

Drei Mauern, – der Greis nannte so, wie man sich erinnern wird, die Wände des Wagens, – umschlossen, mit Fächern beladen, welche selbst wieder voll von Büchern waren, den Lehnstuhl, den alleinigen Sitz dieser bizarren Person, für die man über den Büchern Brettchen angebracht hatte, auf welche man eine gute Anzahl von Phiolen, Pokalen und Schachteln stellen konnte, die in hölzerne Etuis eingehäuft waren, wie man dies bei dem Tafelgeschirr und dem Glaswerk auf einem Schiffe thut; jeden von diesen Behältern und jedes von diesen Etuis konnte der Greis, der, wie es schien, sich selbst zu bedienen pflegte, dadurch erreichen, daß er seinen Lehnstuhl fortrollte, den er, an dem Orte seiner Bestimmung angelangt, mit Hülfe einer an den Seiten des Sitzes angebrachten Winde, die er selbst spielen ließ, erniedrigte, oder erhöhte.

Das Zimmer, nennen wir so diesen Raum, war acht Fuß lang, sechs breit und sechs hoch; vor dem Kutschenschlage erhob sich, außer den Phiolen und Destillirkolben, näher bei der vierten Füllung, welche für den Aus- und Eingang frei geblieben war, erhob sich, sagen wir, ein kleiner Ofen mit seinem Schirmdache, seinem Blasebalg und seinen Rösten; dieser Ofen wurde gerade dazu verwendet, einen Schmelztigel glühend zu machen und eine Mixtur kochen zu lassen, welche durch die Röhre, die wir an der Imperiale gesehen, den geheimnißvollen Rauch, den beständigen Gegenstand des Erstaunens und der Neugierde für die Vorübergehenden jedes Landes, jedes Alters und jedes Geschlechtes, ausströmte.

Außer den Phiolen, den Büchsen, den Büchern und den Schachteln, welche in pittoresker Unordnung auf dem Boden zerstreut waren, sah man kupferne Feuerzangen, in verschiedenen Präparaten eingeweichte Kohlen, ein großes Gefäß, halb mit Wasser gefüllt, und an der Decke an Fäden hängend Päckchen mit Kräutern, von denen die einen am Tage vorher, die andern vor hundert Jahren gesammelt zu sein schienen.

Dieses Innere duftete einen durchdringenden Geruch aus, den man in einem minder grotesken Laboratorium einen Wohlgeruch genannt hätte.

In dem Augenblick, wo der Reisende eintrat, rollte der Greis seinen Lehnstuhl mit einer wunderbaren Gewandtheit und Behendigkeit fort, näherte sich dem Ofen und fing an seine Mixtur mit einer Aufmerksamkeit, welche an Ehrfurcht grenzte, abzuschäumen; zerstreut durch die Erscheinung, die sich ihm bot, drückte er sodann mit der rechten Hand die einst schwarze Sammetmütze, die seinen Kopf bis unter die Ohren umhüllte, und aus der einige spärliche Haarbüschel, glänzend wie Silberfäden, hervorsahen, tiefer ein und zog unter dem Röllchen seines Lehnstuhles mit einer merkwürdigen Geschicklichkeit den Flügel seines langen Rockes von wattirter Seide zurück, den zehn Jahre des Gebrauchs in einen farblosen, formlosen und besonders unzusammenhängenden Lumpen verwandelt hatten.

Der Greis schien sehr übler Laune zu sein und brummelte, während er seine Mixtur abschäumte und seinen Rock aufhob:

»Es hat Furcht, das verfluchte Thier, und vor was, frage ich Euch? Es hat an meiner Thüre gerüttelt, meinen Ofen erschüttert und ein Viertel von meinem Elixir in das Feuer gegossen. Acharat! im Namen Gottes, überlaßt mir dieses Thier in der ersten Wüste, die wir durchziehen.«

Der Reisende lächelte und erwiederte:

»Einmal durchziehen wir keine Wüste mehr, da wir in Frankreich sind, und dann kann ich mich nicht entschließen, ein Pferd von tausend Louisd’or hinzugeben, oder vielmehr ein Pferd, das gar keinen Preis hat, das von der Race von Al Borah ist.«

»Tausend Louisd’or! tausend Louisd’or! ich werde Euch die tausend Louisd’or, oder ihr Aequivalent geben, wann Ihr wollt. Euer Pferd kostet mich nun mehr als eine Million, abgesehen von den Lebenstagen, die es mir raubt.«

»Sprecht, was hat denn der arme Dscherid wieder gethan?«

»Was er gethan hat? Noch einige Minuten, und das Elixir hätte gekocht, ohne daß ein einziger Tropfen entwichen wäre, was Zoroaster und Paracelsus allerdings nicht angeben, von Borri aber positiv empfohlen wird.«

»Nun, lieber Meister, noch ein paar Secunden und das Elixir wird kochen.«

»Ah! ja, kochen, seht doch, Acharat, es ist wie ein Fluch, mein Feuer erlischt, ich weiß nicht, was durch meinen Kamin herabfällt.«

»Ich weiß wohl, was durch den Kamin fällt: Wasser,« versetzte der Schüler lachend.

»Wie, Wasser! Wasser! dann ist mein Elixir verloren! ich muß meine Operation abermals beginnen  . . . als ob ich Zeit zu verlieren hätte! mein Gott, mein Gott!« rief der alte Gelehrte, die Hände voll Verzweiflung zum Himmel erhebend, »Wasser! und was für Wasser, frage ich Euch, Acharat?«

»Reines Wasser vom Himmel, Meister; es regnet in Strömen, habt Ihr es nicht bemerkt?«

»Bemerke ich etwas, wenn ich bei der Arbeit bin? Wasser!  . . . das ist es also!  . . . Seht Acharat, es ist bei meiner armen Seele, um ungeduldig zu werden! Seit sechs Monaten verlange ich von Euch eine Haube für meinen Kamin  . . . seit sechs Monaten!  . . . was sage ich? seit einem Jahr. Ihr denkt nie daran  . . . Ihr, der Ihr doch nichts Anderes zu thun habt, da Ihr noch jung seid. Was geschieht in Folge Eurer Nachlässigkeit? der Regen von heute, der Wind morgen verwirren alle meine Berechnungen und richten alle meine Operationen zu Grunde; und ich muß mich doch, beim Jupiter! beeilen; Ihr wißt wohl, mein Tag kommt, und wenn ich an diesem Tage nicht im Reinen bin, wenn ich nicht das Lebenselixir wiedergefunden habe, dann gute Nacht Weiser, gute Nacht gelehrter Althotas! Mein hundertstes Jahr beginnt am 15. Juli auf den Punkt 11 Uhr Abends, und bis dahin muß mein Elixir die Vollkommenheit erreicht haben.«

»Aber das bereitet sich vortrefflich, wie mir scheint, lieber Meister,« sagte Acharat.

»Ganz gewiß. Ich habe schon Versuche durch Verschlucken gemacht; mein beinahe gelähmter linker Arm hat wieder seine ganze Elasticität erhalten; dann gewinne ich die Zeit, die ich zu meinen Mahlen verwendete, weil ich nur alle zwei bis drei Tage zu essen brauche und im Zwischenraume ein Löffel voll von meinem Elixir, so unvollkommen es ist, mich ernährt. O! wenn ich bedenke, daß ich wahrscheinlich nur einer Pflanze, nur eines Blattes von dieser Pflanze bedarf, damit mein Elixir vollständig ist! daß wir vielleicht schon hundertmal, fünfhundertmal, tausendmal an dieser Pflanze vorübergekommen sind, daß sie von den Füßen unserer Pferde zertreten, von den Rädern unseres Wagens zermalmt worden ist, diese Pflanze, von der Plinius spricht, Acharat, und welche die Gelehrten nicht gefunden, oder nicht wiedererkannt haben, denn nichts verliert sich! Hört, Ihr müßt Lorenza während einer ihrer Extasen nach ihrem Namen fragen  . . . nicht wahr?«

»Ja, Meister, seid unbesorgt, ich werde sie fragen.«

»Mittlerweile,« sprach der Gelehrte mit einem tiefen Seufzer, »mittlerweile ist mein Elixir auch diesmal verfehlt, und ich brauche, wie Ihr wohl wißt, dreimal fünfzehn Tage, um dahin zu gelangen, wo ich heute war. Aber was für ein Geräusch ist das? rollt der Wagen?«

»Nein, Meister, es ist der Donner.«

»Der Donner?«

»Ja, der uns so eben Alle wie wir sind und mich besonders beinahe getödtet hätte; ich war allerdings in Seide gekleidet, was mich schützte.«

»Seht,« sagte der Greis, auf sein Knie klopfend, das wie ein leerer Knochen klang, »seht, welchem Unheil mich Eure Kindereien aussetzen, Acharat, durch den Donner zu sterben, alberner Weise durch eine electrische Flamme getödtet zu werden, die ich, wenn ich Zeit hätte, zwingen würde, in meinen Ofen herabzusteigen, um meinen Topf kochen zu machen; es ist also nicht genug, daß ich allen Unfällen ausgesetzt bin, welche von der Bosheit oder der Ungeschicklichkeit der Menschen herrühren, Ihr müßt mich auch noch denjenigen aussetzen, welche vom Himmel kommen, denjenigen, welchen am leichtesten zu begegnen ist?«

»Verzeiht, Meister, Ihr habt mir noch nicht erklärt  . . .«

»Wie, ich habe Euch mein System der Metallspitzen, meinen Electricitätsleiter noch nicht entwickelt! Wenn ich mein Elixir gefunden habe, werde ich es Euch wiederholen, doch in diesem Augenblick habe ich, wie Ihr wohl begreift, keine Zeit.«

»Ihr glaubt also, daß man den Blitz bezwingen kann?«

»Man kann ihn nicht nur bezwingen, sondern leiten, wohin man will. Einst, wenn ich mein zweites Fünfzigstes zurückgelegt habe, wenn ich nur noch ruhig mein drittes erwarten darf, werde ich dem Blitze ein stählernes Gebiß anlegen und ihn so leicht führen, als Ihr Dscherid führt  . . . Mittlerweile laßt eine Haube auf meinen Kamin machen, Acharat, ich bitte Euch darum.«

»Seid ruhig, ich werde es thun.«

»Ich werde es thun! ich werde es thun! immer die Zukunft, als ob die Zukunft uns Beiden gehörte. O! man wird mich nie begreifen,« rief der Gelehrte, während er sich unruhig auf seinem Stuhle hin und her bewegte und vor Verzweiflung die Hände rang. »Seid ruhig!  . . . Er sagt mir, ich soll ruhig sein, und wenn ich in drei Monaten mein Elixir nicht vollendet habe, ist Alles für mich vorbei. Ueberschreite ich aber mein zweites Fünfzigstes, finde ich meine Jugend, die Elasticität meiner Glieder, die Fähigkeit mich zu bewegen wieder, so bedarf ich keines Menschen mehr, man wird nicht mehr sagen: ,Ich werde es thun,’ sondern ich sage dann: ,Ich habe gethan!’«

 

»Könnt Ihr das nun in Beziehung auf unser großes Werk sagen? habt Ihr daran gedacht?«

»O! mein Gott, ja, und wenn ich so sicher wäre, mein Elixir zu finden, als ich sicher bin, den Diamant zu machen . . .«

»Ihr seid also fest davon überzeugt, Meister?«

»Ganz gewiß, da ich bereits gemacht habe.«

»Ihr habt gemacht?«

»Seht nur selbst.«

»Wo?«

»Dort in dem kleinen gläsernen Gefässe, Ihr seid gerade daran.«

Der Reisende ergriff gierig das bezeichnete Gefäß; es war eine kleine Schale von außerordentlich reinem Kristall, deren ganzer Boden mit einem beinahe unfühlbaren, und an den Wänden des Glases hängenden Staub bedeckt war.

»Diamantstaub!« rief der junge Mann.

»Allerdings, Diamantstaub; sucht wohl in der Mitte.«

»Ja, ja, ein Brillant von der Größe eines Hirsekorns.«

»Die Größe ist nicht bedeutend; es wird uns gelingen, allen diesen Staub zu vereinigen, aus dem Hirsekorn ein Hanfsamenkorn, aus dem Hanfsamenkorn eine Erbse zu machen; aber um Gotteswillen, Acharat, für diese Verbindlichkeit, die ich gegen Euch übernehme, laßt eine Haube auf meinen Kamin und einen Ableiter auf Euren Wagen setzen, damit das Wasser nicht in meinen Kamin fällt und der Blitz anderswohin spaziert.«

»Ja, ja, seid ruhig.«

»Abermals! mit seinem ewigen seid ruhig bringt er mich in Verzweiflung. Jugend! tolle Jugend! anmaßende Jugend!« rief er mit einem finsteren Gelächter, das die Zahnlosigkeit seines Mundes sehen ließ und seine tiefen Augenhöhlen noch tiefer zu graben schien.

»Meister,« sprach Acharat, »Euer Feuer erlischt, Euer Schmelztigel erkaltet; was war in Eurem Schmelztigel?«

»Seht selbst.«

Der junge Mann gehorchte, öffnete den Tigel und fand darin ein Stückchen verglaste Kohle von der Größe einer kleinen Haselnuß.

»Ein Diamant!« rief er, doch sogleich fügte er bei:

»Ja, aber fleckig, unvollständig, werthlos.«

»Weil das Feuer erloschen ist, Acharat, weil keine Haube auf meinem Kamin war, versteht Ihr?«

»Vergebt, Meister,« sagte der junge Mann, während er seinen Diamant, der bald lebhafte Lichtreflexe von sich gab, bald dunkel blieb, hin und her drehte; »verzeiht mir und nehmt etwas Speise zu Euch, um Euch zu stärken.«

»Es ist unnöthig, ich habe vor zwei Stunden einen Löffel voll von meinem Elixir getrunken.«

»Ihr täuscht Euch, Meister, Ihr habt diesen Morgen um sechs Uhr getrunken.«

»Nun! wie viel Uhr ist es denn?«

»Bald halb neun Uhr Abends.«

»Jesus!« rief der alte Gelehrte, die Hände faltend, »abermals ein Tag vorüber, entflohen, verloren! die Tage nehmen also ab? sie haben nicht mehr vier und zwanzig Stunden?«

»Wenn Ihr nicht essen wollt, so schlaft wenigstens ein paar Augenblicke.«

»Ja, ich werde zwei Stunden schlafen; doch in zwei Stunden, seht auf Eure Uhr, in zwei Stunden weckt Ihr mich.«

»Ich verspreche es Euch.«

»Seht, wenn ich einschlafe, Acharat, habe ich immer bange, es geschehe in die Ewigkeit,« sprach der Greis mit einschmeichelndem Tone. »Nicht wahr, Ihr kommt und weckt mich? Versprecht es mir nicht, schwört es mir.«

»Ich schwöre es Euch, Meister.«

»In zwei Stunden?«

»In zwei Stunden.«

In diesem Augenblick hörte man auf der Straße etwas wie den Galopp eines Pferdes. Auf dieses Geräusch folgte ein Schrei, der zugleich Erstaunen und Unruhe ausdrückte.

»Was soll das bedeuten?« rief der Reisende, öffnete rasch die Thüre und sprang auf die Straße, ohne sich des Fußtritts zu bedienen.

III.
Lorenza Feliciani

Man höre, was außerhalb des Wagens vorgefallen war, während der Reisende und der Gelehrte im Inneren plauderten.

Bei dem Blitzstreiche, der die Vorderpferde niedergeschlagen und die hinteren Bäumen gemacht hatte, war die Frau im Cabriolet ohnmächtig geworden.

Sie blieb einige Augenblicke ihrer Sinne beraubt; dann kam sie allmälig wieder zu sich, da nur die Angst allein ihre Ohnmacht herbeigeführt hatte.

»O! mein Gott,« sagte sie, »bin ich verlassen, hülflos, ist kein menschliches Geschöpf hier, das Mitleid mit mir hat?«

»Madame,« sprach eine schüchterne Stimme, »ich bin da, wenn ich Ihnen zu irgend etwas nütze sein kann.«

Bei dieser Stimme, welche ganz nahe an ihrem Ohr klang, erhob sich die junge Frau, streckte ihren Kopf und ihre beiden Arme durch die ledernen Vorhänge ihres Cabriolets und befand sich einem jungen Mann gegenüber, der auf dem Fußtritte stand.

»Sie haben mit mir gesprochen, mein Herr?« sagte sie.

»Ja, Madame,« antwortete der junge Mann.

»Und Sie haben mir Ihre Hülfe angeboten?«

»Ja.«

»Was ist denn geschehen?«

»Madame, der Blitz ist beinahe auf Sie herabgefallen und hat bei seinem Fallen die Stränge der Vorderpferde zerrissen, welche mit dem Postillon durchgegangen sind.«

Die Frau schaute mit einem Ausdruck lebhafter Unruhe umher.

»Und derjenige, welcher die Hinterpferde führte, wo ist er?« fragte sie.

»Er ist so eben in den Wagen gestiegen, Madame.«

»Es ist ihm nichts begegnet?«

»Nichts.«

»Sind Sie dessen sicher?«

»Er sprang wenigstens wie ein unversehrter Mensch von seinem Pferde herab.«

»Ah! Gott sei gelobt.«

Und die junge Frau athmete freier.

»Doch wo waren Sie, mein Herr, daß Sie gerade hier sind, um mir Ihre Hülfe anzubieten.«

»Madame, vom Sturme überfallen, war ich dort in jener düsteren Vertiefung, welche nichts Anderes ist, als der Eingang eines Steinbruchs, als ich plötzlich an der Biegung der Straße einen Wagen, im stärksten Galopp fortgerissen, erscheinen sah. Ich glaubte Anfangs, die Pferde gingen durch, bald aber gewahrte ich, daß sie im Gegentheil von einer mächtigen Hand geführt wurden; da schlug der Donner mit so furchtbarem Lärmen, daß ich wähnte, ich wäre vom Blitze getroffen, und einen Augenblick wie vernichtet blieb. Alles, was ich Ihnen erzähle, sah ich wie in einem Traume.«

»Somit können Sie nicht mit Sicherheit behaupten, daß derjenige, welcher die Hinterpferde führte, im Wagen ist.«

»O! doch, Madame, ich kam wieder zu mir und sah ganz genau, wie er einstieg.«

»Ich bitte Sie, versichern Sie sich, daß er noch da ist.«

»Wie kann ich dies?«

»Horchen Sie; ist er im Innern des Wagens, so werden Sie zwei Stimmen hören.«

Der junge Mann sprang vom Fußtritte herab, näherte sich der äußern Wand des Kastens und horchte.

»Ja, Madame, er ist da,« sprach er zurückkehrend.

Die junge Frau machte ein Zeichen mit dem Kopfe, welches sagen wollte: »Es ist gut«; doch sie verharrte den Kopf auf ihre Hand gestützt und wie in tiefe Träumerei versunken. Mittlerweile hatte der junge Mann Zeit, sie prüfend anzuschauen.

Es war eine junge Frau von drei und zwanzig bis vier und zwanzig Jahren, von brauner Gesichtsfarbe, aber von jenem matten Braun, das reicher und schöner ist, als der rosigste und frischrothste Ton. Zum Himmel aufgeschlagen, den sie zu befragen schien, glänzten ihre Augen wie zwei Sterne, und ihre schwarzen Haare, die sie, trotz der Mode der Zeit, ohne Puder trug, fielen in pechschwarzen Locken auf ihren opalartig nuancirten Hals herab.

Plötzlich schien sie ihren Entschluß gefaßt zu haben und sprach:

»Mein Herr, wo sind wir?«

»Auf dem Wege von Straßburg nach Paris, Madame.«

»Auf welchem Punkte der Straße?«

»Zwei Lieues von Pierresitte.«

»Was ist das, Pierresitte?«

»Ein Marktflecken.«

»Und wohin kommt man nach Pierresitte?«

»Nach Bar-le-Duc.«

»Das ist eine Stadt?«

»Ja, Madame.«

»Volkreich?«

»Ich glaube, vier bis fünftausend Seelen.«

»Gibt es einen Seitenweg, der mehr unmittelbar nach Bar-le-Duc führt, als die Landstraße?«

»Nein, Madame, wenigstens kenne ich keinen.«

»Peccato!« murmelte sie leise, während sie sich im Cabriolet zurückwarf.

Der junge Mann wartete einen Augenblick, um zu sehen, ob die junge Frau noch mehr fragen würde, als er aber bemerkte, daß sie schwieg, machte er einige Schritte, um sich zu entfernen.

Diese Bewegung entzog sie, wie es schien, ihrer Träumerei, denn sie warf sich rasch wieder im Cabriolet vor.

»Mein Herr,« sprach sie.

Der junge Mann wandte sich um.

»Hier bin ich, Madame,« sagte er, indem er sich ihr abermals näherte.

»Noch eine Frage, wenn Sie erlauben.«

»Immerhin.«

»Es war ein Pferd hinten am Wagen angebunden?«

»Ja, Madame.«

»Ist es noch dort?«

»Nein, Madame: die Person, welche in das Innere des Kastens gestiegen ist, hat es losgebunden und dann wieder an das Wagenrad angebunden.«

»Dem Pferde ist auch nichts geschehen?«

»Ich glaube nicht.«

»Es ist ein werthvolles Thier, das ich ungemein liebe; ich möchte mich gern selbst überzeugen, daß es unversehrt ist; aber wie soll ich bei diesem Kothe zu ihm gelangen?«

»Ich kann das Pferd hierher führen,« sprach der junge Mann.

»Oh ja!« rief die Frau, »thun Sie das, ich bitte Sie und werde Ihnen sehr dankbar dafür sein.«

Der junge Mann näherte sich dem Pferde, das den Kopf erhob und wieherte.

»Fürchten Sie sich nicht,« sagte die Frau im Cabriolet, »es ist sanft wie ein Lamm.«

Dann die Stimme dämpfend, flüsterte sie:

»Dscherid! Dscherid!«

Das Thier erkannte ohne Zweifel diese Stimme als die seiner Gebieterin, denn es streckte seinen gescheiten Kopf und seine rauchenden Nüstern gegen das Cabriolet aus.

Während dieser Zeit band der junge Mann das Pferd los.

Doch kaum fühlte es seine Leine in den ungeschickten Händen, welche dieselbe hielten, als es sich mit einem heftigen Riffe frei machte und mit einem einzigen Sprunge zwanzig Schritte von dem Wagen entfernte.

»Dscherid!« wiederholte die Frau mit ihrem einschmeichelnden Tone, »hier, Dscherid, hier!«

Der Araber schüttelte seinen schönen Kopf, athmete geräuschvoll die Luft ein und näherte sich, beständig tänzelnd, als ob er einem musikalischen Takte folgte, dem Cabriolet.

Die Frau kam mit dem halben Leibe aus den ledernen Vorhängen hervor und flüsterte: »Komm hierher, Dscherid, komm!«

Und gehorsam bot das Thier seinen Kopf der Hand, die sich ausstreckte, um es zu liebkosen.

Da ergriff die junge Frau mit dieser zarten Hand die Mähne des Pferdes, stützte sich mit der andern auf das Spritzleder des Cabriolets und sprang in den Sattel, mit der Leichtigkeit der Gespenster in den deutschen Balladen, die sich auf das Kreuz der Pferde schwingen und an den Gürteln der Reisenden anklammern.

Der junge Mann eilte auf sie zu; doch mit einer gebieterischen Geberde der Hand hielt sie ihn zurück und sprach:

»Hören Sie, obgleich jung, oder vielmehr, weil Sie jung sind, müssen Sie menschenfreundliche Gefühle haben. Widersetzen Sie sich meinem Abgang nicht. Ich fliehe einen Mann, den ich liebe, doch ich bin vor Allem Römerin und gute Katholikin. Dieser Mann aber würde meine Seele zu Grunde richten, wenn ich länger bei ihm bliebe, denn er ist ein Atheist und ein Nekromant, den Gott so eben durch die Stimme seines Donners gewarnt hat. Möchte er auf diese Warnung hören! Sagen Sie ihm, was ich Ihnen hier gesagt habe, und seien Sie gesegnet für die Hülfe, die Sie mir geleistet. Gott befohlen!«

Und leicht wie jene Dünste, die über den Sümpfen schweben, entfernte sie sich und verschwand von dem luftigen Galopp von Dscherid fortgetragen.

Als der junge Mann sie fliehen sah, konnte er sich eines Schrei’s der Ueberraschung und des Erstaunens nicht erwehren.

Es war dies der Schrei, der bis in das Innere des Wagens drang und die Aufmerksamkeit des Reisenden erregte. —