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Jacquot Ohnohr

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IX.
Schluß

Acht Tage später kehrte man ins Schloß zurück.

In dem großen Salon bezeugten einige hundert Flaschen Wein, wovon die meisten ganz einige halb leer und zwölf oder fünfzehn noch nicht geöffnet waren, und fünf oder sechs angestochene Fässer Branntwein wenn nicht den guten Geschmack, doch wenigstens die Belustigung der Gäste, die sich dort vereinigt fanden, und rechtfertigte vollkommen die lärmende Heiterkeit, die man dort hörte und die in vollen Fluthen durch die Thüren und Fenster scholl.

Es waren einige dreißig Gäste dort vereinigt; jeder trank nach Gefallen, und wenn Ermüdung und Trunkenheit endlich einen von ihnen zwang, auf einige Augenblicke Ruhe zu suchen so schlief er ein, wo er sich befand, sei es nun auf dem Fußboden, sei es auf einem reichen Kanapee; unter den daliegenden Körpern, die Beine ausgestreckt, die Hände krampfhaft die Flaschenhälse umfassend.

Die Gesellschafterinnen in mythologischem Kostüm sangen leichtfertige Lieder und tanzten entsprechende Tänze.

Der Fürst, seit mehreren Tagen nicht gekämmt, nicht rasiert oder gepudert, ohne Rock und nur ein Beinkleid und seine Weste tragend, saß auf einem großen Lehnsessel, von wo er dem Gelage zu präsidieren schien.

»Nun, Ihr Teufel und Teufelinnen!« sagte er, »wollen wir versuchen ein wenig heiterer zu sein; denn auf mein Wort, Ihr langweilt mich zum Sterben.«

Ich kann Dir nicht sagen, Iwan Andreowitsch, wie viel Geld der Fürst zu jener Zeit ausgab; er vertheilte Hände voll Perlen und Edelsteine an die Gesellschafterinnen, ohne die Ohrringe, die Nadeln, die Broschen, die Ringe, die Schlösser, endlich die goldenen mit Diamanten verzierten Schmucksachen, ohne die kostbaren Stoffe von Atlas, Seide und Sammet zu rechnen. Es war ein wahrhaftes goldenes Zeitalter für alle diejenigen, welche ihn umgaben, und es giebt mehr als einen Muschik, der sich den Bart abgeschnitten hat und dessen Reichthum sich aus jener Zeit herschreibt.

Ich glaube übrigens, daß der Fürst zu jener Zeit nicht recht bei Sinnen war.

Eines Morgens meldete man ihm, daß Magistratspersonen gekommen wären, und daß es sich um nichts Geringeres handle, als um eine Haussuchung in dem Schlosse Grubenski.

Bei dieser Nachricht ließen alle die Arme sinken; der Lärm des Gelages verstummte, als wäre es durch einen Donnerstreich unterbrochen worden; der Fürst allein brach in ein lautes Lachen aus.

»Jeder begebe sich an seinen Posten und halte die Knuten bereit! Sie sollen eine hübsche Haussuchung halten, diese Herren Beamten.«

Alle zerstreuten sich im Augenblick und brachten alles im ganzen Hause in Ordnung.

Eine Viertelstunde später kam in der That ein Dragonermajor im Schlosse an, der von zwei Beamten begleitet war, welche beauftragt waren, dort eine Haussuchung anzustellen.

Der Fürst Alexis befand sich in Galakleidung und mit gepuderten Haaren in einem schönsten Salon.

Als die Beamten und der Major dorthin kamen, stand der Fürst Alexis kaum von seinem Lehnsessel auf, und ohne ihnen Sitze anzubieten, fragte er in kurzem und kaltem Tone, was zu ihren Diensten stehe.

»Wir haben den Befehl erhalten, mein Fürst,« antwortete einer von den Beamten, »zu einer sehr strengen Untersuchung hinsichtlich gewisser Verbrechen zu schreiten, deren Sie beschuldigt werden und deren Sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach gegen die Person der verstorbenen Prinzessin Varvara schuldig gemacht haben.«

»Ah! ah! ah! Du hast diesen Befehl erhalten,« rief der Fürst, »und Du kommst hierher, um ihn auszuführen? Du wagt, im Schlosse Grubenski Deine Muschiknase zu zeigen? – Weißt Du, wer ich bin? – Wer hat Dich hierher geschickt? Diese Canaille von Woiwode oder dieser Schurke von Gouverneur? Sie mögen sich in Acht nehmen, wenn Ihr von ihnen kommt, denn ich werde nach meiner Weise mit ihnen verfahren; Sie können ebenso gut auch einen Besuch in meinem Marstalle machen; und was Dich betrifft, Dich —«

»Mäßigen Sie sich, mein Fürst!« fiel der Major ein; »ich habe fünfzig Dragoner bei mir und ich bin weder von dem Woiwoden noch von dem Gouverneur zu Ihnen geschickt.«

»Von wem sind Sie denn geschickt?«

»Von unserem Vater, den Kaiser Nicolaus, der soeben ruhmvoll den Thron bestiegen hat.«

Sobald der Fürst Alexis diese letzten Worte gehört hatte, erbebte er am ganzen Körper, nahm einen Kopf zwischen seine Hände und murmelte mit dumpfer Stimme :

»Ich bin verloren! ich bin verloren!«

Er hatte nicht im Geringsten erwartet, daß diese Sache bis zu dem Kaiser gelangen würde.

Hierauf näherte er sich dem Major mit ruhiger und demüthiger Miene und schwur ihm bei allen Heiligen zu, daß er durchaus nicht wisse, welches Verbrechens er angeklagt werden könne, und wenn die Prinzessin Varvara noch am Leben wäre, würde sie die Erste sein, seine Unschuld zu betheuern.

»Die Prinzessin Varvara selber ist es, die Sie anklagt,« sagte der Major, »und hier ist ihre Klage.«

Der Fürst fuhr erschrocken zurück. Hatte Chatune ihn verrathen? War die Prinzessin nicht gut eingemauert gewesen?

Er nahm die Anklage mit zitternder Hand und richtete eine Blicke darauf: sie trug die Jahreszahl 1807 und es waren neunzehn Jahre her; aber der Kaiser Nicolaus hatte bei seiner Thronbesteigung gesagt, er wolle, daß alle Klagen, die seit zwanzig Jahren gegen die Großen seines Reiches erhoben worden, an ihn geschickt werden sollten, damit er darüber verfüge.

Als der Fürst sah, daß die Anklage von der Handschrift seiner Schwiegertochter sei, ließ er mit der Miene der tiefsten Entmuthigung seine Arme sinken; darauf nahmen der Major und die beiden Richter um einen Tisch Platz, worauf sie ihre Papiere ausbreiteten. Der Fürst Alexis sah dies Alles, aber mit so niedergeschlagener Miene, daß er nicht zu sehen schien; er blieb stehen, warf verwirrte Blicke um sich und wiederholte die Worte:

»Ich bin verloren! ich bin verloren!«

Der Major, der bei der Untersuchung den Vorsitz führte, richtete hierauf das Wort an den Fürsten.

»Fürst Alexis, in Uebereinstimmung mit einem förmlichen Befehl. Seiner kaiserlichen Majestät, in seinem Cabinet der geheimen Angelegenheiten gegeben, möge es Dir gefallen, mit der gewissenhaftesten Wahrheit auf alle Fragen zu antworten, die Dir vorgelegt werden sollen in Betreff des entsetzlichen Verbrechens, welches Du —«

»O! haben Sie Mitleid mit mir, und richten Sie mich nicht zu Grunde!« fiel der Fürst ein; »sein Sie mein Vater und Wohlthäter. Vielleicht habe ich in meiner Jugend und selbst in meinem reifen Alter Verbrechen begangen; aber heute, sehen Sie, bin ich ein armer Greis mit grauem Haar; ich bin mehr als siebzig Jahre alt —«

Und der Fürst Alexis warf sich dem Major zu Füßen.

Da siehst Du, mein lieber Andreowitsch, was die Furcht vor dem Czar thut! Der Fürst Alexis war ein großer Herr – ein so großer Herr, daß er sich nicht gescheut hätte, einen Gouverneur oder selbst einen Minister mit seiner Peitsche zu schlagen, wenn der Eine oder der Andere seinen Zorn erregt hätte; aber dem majestätischen und schrecklichen Zorne des Czar gegenüber erkannte er sich so demüthig und klein, daß er dem Major zu Füßen fiel.

»Richten Sie nicht einen armen Greis zu Grunde,« fuhr er mit flehender Stimme fort; »ich habe gewiß nicht mehr lange zu leben, denn die, welche mir in die andere Welt vorausgegangen sind, haben mich benachrichtigt, daß ich dort erwartet werde. – Richten Sie mich nicht zu Grunde, ich werde in ein Kloster gehen und dort das Mönchsgewand anlegen; haben Sie Barmherzigkeit mit mir, und ich werde Sie mit Gold bedecken; Alles, was hier ist, gehört Ihnen, nur richten Sie mich nicht zu Grunde!«

»Es ist genug,« sagte der Major. »Nun, stehe auf! Wie, schämst Du Dich nicht, Dich so zu meinen Füßen hinzuschleppen? Du bist doch ein Edelmann, Du bist ein Fürst! stehe also auf und beantworte die Fragen, die ich vermöge des Befehls. Seiner "Majestät an Dich richten werde.«

Der Fürst erhob sich und versuchte eine zuversichtliche Miene anzunehmen.

»Da Sie wollen, daß ich Ihnen antworte,« sagte er, »so antworte ich Ihnen: ich weiß nicht, was Sie jagen wollen.«

»Achte auf Deine Worte, Fürst, und hüte Dich, daß dieser Saal nicht ein Gerichtssaal für Dich werde! Wenn Du nicht freiwillig die Wahrheit sagen willst, so haben wir wirksame Mittel, um Dich mit Gewalt zum Reden zu bringen.«

Bei dieser Drohung sank der Fürst Alexis auf einen Lehnsessel nieder und wurde todtenblaß; seine Augen waren verstört und er begann schwer und mit Anstrengung zu athmen.

»Ich bin verloren, ohne Rettung verloren,« murmelte der Unglückliche. »Ich bin jetzt zu schwach, um die Tortur auszuhalten; ich werde wahnsinnig werden, wenn ich es nicht schon bin.«

Der Major sah ihn an und bemerkte, daß er in der That nicht einen vollen Verstand hatte.

Er verschob also die weitere Untersuchung auf den folgenden Tag, nachdem er die Anordnung getroffen, daß Niemand mit dem Fürsten verkehren solle.

Der tiefsten Verzweiflung hingegeben, wanderte dieser wie eine verdammte Seele in den großen und zahlreichen Gemächern seines Schlosses umher, die plötzlich einsam geworden, dabei riß er sich seine weißen Haare aus und ließ ein klägliches Gestöhn hören.

So aufs Gerathewohl weitergehend, kommt er in die Galerie der Portraits und wirft einen unwillkürlichen Blick auf das Portrait der Prinzessin Varvara.

Plötzlich bleibt er unbeweglich stehen, sein Haar richtet sich auf seinem Kopfe empor, sein Auge wird starr.

Es scheint ihm, als wenn sich das Gesicht der Prinzessin auf der Leinwand belebt, als wenn dieser Kopf, eben noch unbeweglich, sich leicht auf und nieder bewegt und ihm ein Zeichen giebt, und dann glaubt er die sanfte und engelgleiche Stimme der Prinzessin dreimal murmeln zu hören:

»Mörder! Mörder! Mörder!«

Der Fürst Alexis fiel wie eine leblose Masse auf den Fußboden nieder; die gelähmte Zunge konnte kein Wort hervorbringen und die widerstrebenden Glieder keine Bewegung machen.

 

Man fand ihn am Boden, man trug ihn fort, man legte ihn auf sein Bett; darauf wurde er von einem unbeschreiblichen Delirium ergriffen, während dessen er Worte ohne Zusammenhang aussprach, die Niemand verstehen konnte. Seine Augen hatten einen schrecklichen Glanz.

Der Major hatte Mitleid mit ihm und ließ einen Arzt holen; auch gestattete er, daß seine Leute ihn bedienten.

Der Arzt öffnete dem Kranken eine Ader, worauf er eine große Erleichterung empfand. Von diesem Augenblick an begann der Fürst zu reden, obgleich eine Zunge ihm nur mit Schwierigkeit gehorchte.

Darauf rief er seinen Intendanten, gab ihm das – Zeichen, ihm ganz nahe zu kommen und sagte:

»Du lässest das Gesicht des Portrait der Prinzessin Varvara mit einer starken Lage von schwarzer Farbe überstreichen!«

Der Intendant ließ diesen Befehl vollziehen und kam, ihm zu melden, daß er gethan, wie er geboten.

»Es ist gut,« sagte er; »da wird sie nicht zu dem Major sprechen, wie sie zu mir gesprochen.«

Man glaubte, er verfalle wieder in sein Delirium.

Man irrte sich: er war todt.

Als der Fürst gestorben war, wurde jede Untersuchung unnöthig, und die Haussuchung fand nicht statt.

*                                     *
*

Dies war der Grund, daß der Major und die beiden Richter die Ueberreste der Prinzessin nicht fanden, welche erst von dem Fürsten Danilo nach der ihm von mir gemachten Mittheilung entdeckt wurden.

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