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Jacquot Ohnohr

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Ich ging, den Pope zu holen, und brachte ihn mit mir.

»Hier ist der Pope,« sagte ich zu dem Fürsten; »Sie können ganz ruhig sein, es ist ein armer Teufel, mit dem Sie für zehn Kopeken. Alles anfangen können, was Sie wollen.«

Der Priester trat ein.

Es war ein junger Mann von achtundzwanzig bis dreißig Jahren, mit bleicher Stirn und strengem Auge; er übte erst seit einem Jahre sein Amt in einem armen Dorfe in der Nachbarschaft aus.

Ich ließ sie mit einander allein.

Zehn Minuten lang ging. Alles gut; aber nach Verlauf von zehn Minuten hörte ich die Stimme des Fürsten, welche sich in drohendem Tone erhob.

»Ah! Du willst mir wegen einer solchen Bagatelle die Absolution nicht geben, Priester,« sagte er zu ihm; »wenn ich Dir hundert Rubel, wenn ich Dir fünfhundert Rubel, wenn ich Dir tausend Rubel anbiete?«

»Mein Fürst,« antwortete der Priester mit ruhiger Stimme, »wenn Sie mir alle Reichthümer unseres Vaters, des Kaisers Nicolaus, anböten, könnte ich Ihnen doch die Absolution nicht geben. Es ist ein Mord, ein vorsätzlicher, lange vorbereiteter Mord und mit kaltem Blute ausgeführt. Gehen Sie zu dem Archimandriten oder zu dem Metropolitan; sie haben größere Macht, als ein armer Pope. Aber mir ist es unmöglich.«

»Ich werde Dich mit Ruthen peitschen lassen, elender Heuchler, bis kein Stück von Deiner Haut mehr mit dem anderen zusammenhält,« sagte der Fürst.

»Mein Leben ist in Ihren Händen, gnädigster Herr, aber meine Seele ist in Gottes Macht. Wenn es ihm gefällt, daß ich als Märtyrer sterbe, so wird meine Seele nur um so schneller zu ihm kommen.«

Da hörte ich die Stimme des Fürsten, welcher sanfter wurde und sich bis zur Bitte herabließ.

Aber ohne milder zu werden, blieb die Stimme des Anderen fest und verneinend.

»So geh' fort, Elender!« rief der Fürst, »und zeige Dich nie wieder vor mir!«

Der Priester ging mit demselben Schritte, womit er eingetreten war, hinaus, ohne einen Augenblick von den Drohungen des Fürsten bewegt zu werden. Er segnete mich im Vorübergehen und ging durch die Thüre des Pavillons hinaus.

Bleich und mit gesträubtem Haar kam der Fürst hinter ihm her. Er hielt eine Peitsche in der Hand. Er öffnete die Thüre des Pavillons, die der Pope eben hinter sich zugemacht hatte, als wollte er ihn verfolgen. Als er ihn aber so ruhig sich entfernen sah, fiel ihm die Peitsche aus den Händen und er rief ihm zu:

»Um Gotteswillen, beten Sie für mich, mein Vater!«

Dann, als ich sah, daß meinem armen Herrn die Kräfte fehlten, lief ich zu ihm, fing ihn in meinen Armen auf und setzte ihn auf den Lehnsessel nieder.

Er war schwach geworden, wie ein Kind.

»Und Du auch, nicht wahr, Jacquot Petrowitsch, Du wirst für mich beten?« fuhr der Fürst fort. »Heute wollen wir aufs Schloß zurückkehren; wenn wir dort angekommen sind, gehst Du zu dem Archimandriten von Kasan und bestellt mehrere Gebete für mich; er muß beten, das ist eine Sache; ich gebe ihm mehr als tausend Rubel jährlich; wenn er sich gut benimmt, soll er für seine Kirche eine Glocke haben, deren Ton man auf der einen Seite bis Saratow und auf der anderen bis Nichney hören so Mein Testament ist gemacht; es ist gerade Muransky, uns Wirth, den ich zum Vollstrecker meines Willens ernannt habe; ihm allein kann ich diese ernste Sache anvertrauen. Mein Sohn Boris ist todt; ich kenne meinen Enkel Danilo nicht, der immer in St. Petersburg gewohnt hat. All meine Nachbarn sind Trunkenbolde ohne Treue und Glauben. Muransky vertraue ich meine weltlichen Angelegenheiten an; aber Dir, Jacquot, und dem Archimandriten vertrau ich meine Seele an. Du und der Pater Trifon, bedenken das wohl, werden vor Gott für dieselbe verantwortlich sein.

»Wenn ich todt bin, Jacquot, soll man mich in Gewölbe unserer Familie zu den Füßen meines Vater beisetzen, und Du wirst vierzig Messen in der Kirche für mich lesen lassen; überdies wirst Du mich in das Register der Synode eintragen lassen, damit man auf immer für mich bete. Du wirst selber bei dem Einschreiben zugegen sein, denn diese Popen sind sehr listige Kerle!

»Da fällt mir ein, die heilige Jungfrau in unseren Kirche bedarf sehr eines Perlenhalsbandes und einer Decke von Silberstoff für ihren Altar; ich klage mich an, mich gestellt zu haben, als sehe ich nicht, daß ihr diese beiden Dinge fehlten. Der Intendant, an den ich Dir eine Anweisung geben werde, wird Dir die Perlen und die Silberbarren, deren Du bei dieser Gelegenheit bedarf, zustellen. Du wirst die Bestellung in Moskau machen, aber nicht bei dem Schuft Zubriloff: er behauptet, daß ich ihm noch zweitausend Rubel schuldig bin; und da er weiß, daß ich sie ihm nie bezahlen werde, so würde er das Perlenhalsband und die Silberbarren dafür behalten. Ah! der verwünschte Kerl!« sagte der Fürst, die Fäuste ballend, aufstehend und seine Peitsche aufhebend und mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgehend, »wenn mir dieser je in die Hände fällt, soll er nur durch meine Knute umkommen!«

Aber in diesem Augenblick schlug ein schlecht befestigter Fensterladen, vom Winde getrieben, gegen die Mauer.

Der Fürst erblaßte und wurde wieder ganz zitternd.

»Gott habe Mitleid mit meiner Seele!«

»Aber sehen Sie nicht, mein Fürst, daß es Nichts ist! Nur ein Fensterladen, welcher umschlägt, das ist Alles.«

»Du findest immer, daß es Nichts ist, Du. – Wovon sprachen wir doch zuletzt? Ah! ich erinnere mich. Du kaufst keine seidenen Stoffe, um meinen Sarg damit zu bedecken, denn als mein Vetter, der Fürst Wladimir, im letzten Jahre nach Paris abreiste, gab ich ihm das nöthige Geld mit, um mir ein Stück lyoneser Seidenzeug zu kaufen. Du wendet es an, um meinen Sarg damit zu bedecken. Indessen hege ich in dieser Hinsicht eine Furcht.«

»Welche, mein kleiner Vater?« fragte ich ihn.

»Es scheint, als wenn mein Vetter Wladimir in Paris ein unordentliches Leben führt und daß er beträchtliche Summen im Spiel verliert. Nun weiß ich, was ein Spieler ist. Er kann ebenso gut, wie das eine, das Geld verlieren, welches ich ihm mitgegeben, ohne sich darum zu kümmern, daß ich durch seine Schuld in Gefahr komme, auf unpassende Weise in die andere Welt zu gehen und mich als ein Barfüßer vor dem ewigen Vater darzustellen.

»Du ladet den sämmtlichen Adel aus der Umgegend zu meinem Begräbniß ein, so wie auch alle die kleinen Adeligen, denn ich halte darauf, daß mein Begräbniß glänzend sei und daß viele Leute dazu kommen. Nur lade Kartschaguine nicht ein; ich verabscheue ihn von ganzem Herzen. Er nimmt, unter dem Vorwande, daß er von Rurik abstammt, eine Miene der Wichtigkeit und Ueberlegenheit gegen mich an, die mir entsetzlich die Nerven aufregt, denn ich glaube in jeder Hinsicht höher zu stehen, als er. Vor allen Dingen vergiß nicht, mir eine reiche Mütze von Goldbrocat, mit Perlen eingefaßt, aufzusetzen. Du sorgt selber dafür, daß sie gut gemacht werde; man verfertigt sie gegenwärtig auf klägliche Weise, so daß sie weder Form noch Facon haben.«

»Ich werde das Alles thun, mein Fürst; aber jetzt, da der Sturm sich gelegt hat, jetzt, da der Tag angebrochen ist, würden Sie nicht wohl thun, ein wenig zu schlafen?«

Der Fürst Alexis folgte meinem Rathe und legte sich wieder nieder. Ich setzte mich in dem Nebenzimmer nieder, bereit, auf den ersten Ruf zu ihm zu kommen. Ich hörte, wie er sich in seinem Bette umwendete, gleich einem Menschen, der nicht schlafen kann. Endlich nannte er mit klagender Stimme meinen Namen, und als ich in sein Zimmer trat, sagte er: »Komm' und setze Dich dort nieder.«

Und er deutete auf einen Stuhl am Kopfende seines Bettes.

Ich gehorchte.

»Höre,« sagte er zu mir, »nur zu Dir habe ich volles Vertrauen, mein armer Jacquot Ohnohr, und ich will Dir Alles gestehen. Nach den Andeutungen, die ich erhalten habe, ist meine Furcht, daß ich an einem der Unfälle sterben werde, die dem Menschen unterwegs begegnen, wenn er am wenigsten daran denkt. Auf diese Weise würde ich ohne Beichte und Absolution sterben. Nun höre, was ich von Dir erwarte: wenn ich plötzlich sterben sollte und ehe ich Zeit gehabt, Absolution zu erhalten, gehst Du zu Fuß – verstehst Du wohl? – den Pilgerstab in der Hand, nach Moskau, verlangt den Metropolitan zu sprechen, beichtet anstatt meiner und verrichtet für mich die Buße, die er Dir auferlegen wird. Auf diese Weise hoffe ich, wird meine arme Seele einige Erleichterung erhalten. Wirst Du das thun, Jacquot?«

»Ebenso gewiß, wie ich mein Leben für Sie hingeben würde, mein kleiner Vater,« antwortete ich ihm, »werde ich es thun.«

»Nun, so höre,« sagte der Fürst zu mir.

Und er erzählte mir eine entsetzliche Geschichte.

VI.
Die Fürstin Marfa Petrowna

»Endlich werde ich die Geschichte der Prinzessin Varvara erfahren!« sagte ich.

»Noch nicht, Iwan Andreowitsch, noch nicht,« antwortete mir Jacquot Ohnohr; »jede Sache muß nach der Reihe kommen und wir müssen mit der Geschichte der Fürstin Marfa Petrowna beginnen.

Die Fürstin Marfa Petrowna hat in ihrem Leben viel Kummer erfahren; sie hat wenig glückliche Tage erlebt; sie war eine wahrhafte Märtyrin, und Gott schenke ihr sein ewiges Reich!

Ihr Vater, der Fürst Peter Iwanowitsch hatte sie Anfangs dem Fürsten Alexis verweigert, dessen früheres Leben ihm kein großes Vertrauen einflößte; aber der Fürst Alexis, der dem Grafen Orloff auf einer Expedition gegen die Türken gefolgt war, wurde von diesem abgeschickt, um der Kaiserin Katharina den Sieg bei Tschesme mitzutheilen. Die Kaiserin fragte den Fürsten Alexis, was sie für ihn thun könne, und dieser, der sehr in die schöne Marfa Petrowna verliebt war, sagte, er wünsche. Nichts so sehr, als der Gemahl der Tochter ihres Günstlings, Peter Iwanowitsch Trotinski zu werden. Ohne eine Bemerkung zu machen, setzte sich die Kaiserin an ihr Bureau und schrieb folgenden Brief:

»In Betracht der Dienste, die uns der Fürst Alexis Petrowitsch Grubenski geleistet und da wir ihn für die gute Nachricht belohnen möchten, deren Ueberbringer er gewesen, wünschen wir, daß es Dir gefallen möchte, ihm Deine Tochter Marfa Petrowna zur Ehe zu geben, und wir bitten Dich, diese Angelegenheit ohne den geringsten Verzug in Ausführung zu bringen. »Möge der Allerhöchste Dich in feinen heiligen Schutz nehmen.«

 
»Deine
wohlaffectionierte
»K a t h a r i n a.«

Als der Fürst Trotinski diesen Brief erhielt oder vielmehr ihn las, erbebte er Anfangs heftig; dann machte er drei Kniebeugungen vor dem Krucifix und sagte:

»Der Wille der Kaiserin geschehe; wir gehören alle Gott und ihr.«

Vierzehn Tage später wurde die Hochzeit vollzogen.

Die Ceremonie war nicht heiter; es hatte mehr das Ansehen, als ob die Braut zum Tode, als zur Trauung geführt werde; die Folge war, damit diese Traurigkeit nicht unrichtig erklärt werde, daß fast gar kein Hochzeitsfest stattfand und daß alle sich entfernten, nachdem man an dem Balle die Polonaise getanzt hatte.

Die Trauung fand in St. Petersburg statt; aber fast sogleich nach derselben reiste der Fürst zu seinen Besitzungen ab und nahm seine junge Gemahlin auf da Schloß Grubenski mit.

Sechs Monate vergingen, ohne daß man sagen konnte wie die jungen Ehegatten mit einander lebten. Niemand wurde ins Schloß eingelassen, und nur, wenn man zufällig die Fürstin Marfa sah, bemerkte man in ihre Zügen die Zeichen einer unaussprechlichen Traurigkeit.

Nach und nach setzte der Fürst Alexis seine frühen Lebensweise wieder fort, indem er die Fürstin Marfa ganz allein ließ, und entschädigte sich dafür, daß er keine Gäste bei sich empfing, indem er die Feste, Jagden und Vergnügungen aller Art benutzte, welche ihm die benachbarte großen Herren anboten.

Daraus erfolgte, daß die Fürstin wenig Unterhaltung im Inneren des Hauses hatte und daß die Heirath ihr bald als unerträglich erschien. Der Fürst seinerseits, ohne Zweifel dieser Melancholie überdrüssig, behandelte seine Gemahlin auf die härteste Weise und oft hörte man ein solches Gepolter, besonders in dem Schlafzimmer der Fürstin, daß es war, als ob Alles drunter und drüber gehe; man behauptete sogar, daß der Fürst an den Tagen wenn er betrunken zurückkehre oder sich zu Hause berausche sich nicht auf Vorwürfe beschränke, sondern sich gegen die Fürstin Thätlichkeiten erlaube, die für den nächsten und die folgenden Tage Spuren auf dem Gesichte und den Händen der armen Frau zurückließen.

Die Fürstin war von sanftem und geduldigem Charakter; sie fand nur Thränen, um sie den leidenschaftlichen Ausbrüchen ihres Gemahls entgegen zu stellen; aber diese Sanftmuth und diese Geduld, anstatt den Fürsten zu beruhigen, erbitterten ihn. Er begann damit, auf seinen Reisen nach St. Petersburg und Moskau seine Ausschweifungen fortzusetzen; dann hielt er sich außerhalb seines Hauses einige livländische Mädchen; endlich kam er dahin, in seinem eigenen Schlosse Gesellschafterinnen zu haben, wie wir es erzählt haben, und zwar ohne daß die Fürstin sich jemals bei irgend Jemand darüber beklagte, gewöhnt, wie sie war, ihren Schmerz in sich selbst zu verschließen.

Nach und nach wurde diese Gleichgültigkeit des Fürsten Alexis für seine Gemahlin zum Haß; er stellte allen Umgang mit ihr ein, und wahrscheinlich wäre ein Geschlecht mit ihm zu Ende gewesen, wenn die Fürstin ihm nicht im ersten Jahre ihrer Ehe den Prinzen Boris Alexiowitsch geboren hätte. So lange der junge Prinz im Schlosse verweilte, war er ein großer Trost für die arme Mutter. Sie beschäftigte sich mit seiner Erziehung, für die sie sehr eifrig sorgte; sie gab ihm deutsche und französische Lehrer, überwachte selber die Fortschritte, die er in diesen beiden Sprachen machte, die er wie seine Muttersprache redet so daß der junge Prinz Boris im Alter von zwölf Jahre so viel davon verstand, wie die Söhne in den russische Familien im Alter von zwanzig Jahren verstehen.

Aber sobald der junge Prinz Boris fünfzehn Jahr alt war, führte der Fürst Alexis, welcher fürchtete, da diese Erziehung, von einer Frau überwacht, einen zu weiblichen Charakter annehmen möchte, seinen Sohn selber zu dem jungen Czar Paul dem Ersten, welcher den Thron bestiegen hatte, und da der Zufall wollte, daß der Prinz Boris eine aufgeworfene Nase hatte was eine von der Bedingungen der Gunst bei dem Kaiser Paul dem Erster war – so ernannte ihn dieser augenblicklich zum Fähnrich im Regimente Paulowsky, welches er eben gegründet hatte,

Von dem Augenblicke an, als ihr Sohn die arme Fürstin verlassen hatte, führte sie, deren letzte Freude er gewesen war, das Leben einer Nonne und begann wie ein Licht zu erlöschen. Sie erschien nur noch bei feierlichen Gelegenheiten, wie an dem Tage der Eröffnung der Messe oder beim Geburtstagsfeste des Fürsten, und dann geschah es auf ausdrücklichen Befehl ihres Gemahls, daß sie ihre Galakleidung anlegte und bei allen den großen Ceremonien zugegen war, immer stumm und schweigend und nur mit einem Kopfnicken oder mit einem Zeichen der Hand antwortend.

Während der ganzen übrigen Zeit blieb sie in ihr Zimmer eingeschlossen, suchte ihre einzige Zerstreuung im Gebet und in der Verfertigung von Schmuck für die Kirchen.

Der Fürst empfing seine Gäste, ohne sich darum zu kümmern, was seine Gemahlin that, welche, wie wir gejagt haben, beständig einsam blieb, so daß auf der einen Seite Bacchanalien, Ausschweifung und glänzende Heiterkeit, auf der anderen Gebet und andächtige Betrachtung herrschten; oft war die Einsamkeit der Fürstin von der Art, daß es ihr begegnete, sich zu Bette zu begeben, ohne zu Abend gespeist zu haben, denn sie hatte keine Dienerin, welcher sie einen Befehl ertheilen konnte, da die ganze Dienerschaft beschäftigt war, dem Fürsten und seinen Gästen zu gehorchen.

Es kam sogar ein Augenblick, wo die Fürstin Marfa Petrowna ihrer größten Zerstreuung, der Lektüre, beraubt wurde. Sie weinte so sehr, daß ihr Gesicht sich trübte und sie fast blind wurde.

Zum Glück befand sich unter den Bekannten, die sich im Schlosse aufhielten, ein kleiner Edelmann, Namens Bielussoff; er hatte ein bescheidenes Erbtheil durch eine böse Chicane verloren, die ihm einer von seinen mächtigen Nachbarn gespielt hatte; als er sich ohne Subsistenzmittel fand, kam er, sich dem Fürsten Alexis anzuschließen, und er lebte, wie viele Andere, von seiner Freigebigkeit. Es war ein Mann mehr alt als jung, voll guter Eigenschaften, sanft und ruhig und freundlich gegen Jedermann; er hatte nur einen einzigen Fehler, der ihn von seines Gleichen unterschied: nämlich, daß man ihn nicht bewegen konnte, Wein oder Branntwein zu trinken. Dagegen war er in der heiligen Schrift und in religiöse Dingen sehr erfahren, und er brachte den größten Theil seiner Zeit über dicke alte Bücher geneigt zu, die all möglichen heiligen und profanen Gegenstände enthielten übrigens war er sehr pünktlich in allen Pflichten, welch die Religion auferlegt, indem er immer noch vor den Pope in die Kirche kam und erst zuletzt hinausging.

Da die Fürstin sich wegen ihres schwachen Gesicht nicht mehr mit der Lektüre beschäftigen konnte, so ließ sie Bielussoff zu sich kommen und bat ihn, ihr Vorleser zu werden.

So vergingen noch fünf oder sechs Jahre, während die Fürstin immer mehr abnahm.

Eines Tages reiste der Fürst Alexis ab, um auf die Jagd zu gehen; aber von seiner Abreise an begegneten ihm nichts als Widerwärtigkeiten; kaum hatte er die erster Hecken des Schlosses hinter sich gelassen, als ihm auf seinem Wege ein Pope begegnete. Nun weißt Du, mein lieber kleiner Vater, wenn man auf die Jagd geht und einem Pope begegnet, so kann man gewiß sein, am ganzen Tage kein anderes Wild zu treffen. Du kannst Dir wohl denken, daß der Fürst Alexis den unglücklichen Pop nicht vorüberließ, der ihm die Jagd verdarb, ohne ihr ein wenig zu schütteln; aber kaum hatte er dem armer Manne einige zwanzig Peitschenhiebe zugetheilt, als sein Pferd plötzlich stürzte und ihn beinahe getödtet hätte indem es ihn über seinen Kopf weg in einen Morast warf. Der Fürst kam wohlbehalten wieder heraus; aber er war genöthigt, sich ganz umzukleiden, da er vom Kopf bis zu den Füßen mit Schlamm bedeckt war.

Man jagte an diesem Tage elf Füchse und drei wilde Schweine auf; die Füchse zeigten sich so listig, daß man keinen einzigen erlegen konnte; die wilden Schweine boten den Hunden Trotz, schlitzten einigen zwanzig von den besten den Leib auf und zogen davon, ohne daß man einen einzigen tödten konnte. Der Fürst theilte uns allen sammt und sonders einige Peitschenhiebe zu; aber dies beruhigte seinen Zorn nicht, und am Abend kehrte er düster und drohend wie eine Gewitternacht in das Schloß zurück.

Im Augenblicke seiner Ankunft stellte man ihm einen Brief von dem Prinzen Boris zu. Sobald er seine Blicke darauf warf, begann er ein Gebrüll wie ein wüthender Löwe auszustoßen; dann hörten wir ein heftiges Geräusch von Spiegeln, Möbeln, Fensterscheiben, die zertrümmert wurden. Niemand konnte errathen, woher dieser heftige Zorn kam, noch auf wen er fallen würde. Wir drängten uns in die Ecken und jeder richtete in seinem Innern das Gebet zum Himmel:

»O Herr, wende das Unglück, wovon wir bedroht werden, von uns ab.«

Endlich hörte man die Worte aus dem Zimmer kommen:

»Man lasse diesen Augenblick die Fürstin Marfa Petrowna hierher kommen.«

Ein Heiduck eilte sogleich hinaus, um den Befehl zu erfüllen, kehrte aber nach einigen Augenblicken zurück und sagte dem Fürsten, bei dem Krankheitszustande der Fürstin wäre es ihr unmöglich, herunterzukommen.

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ihn ein Faustschlag zu Boden streckte, und seitdem fehlten ihm fünf oder sechs Zähne.

Der Fürst sprang über den armen Teufel weg und stieg wie ein Orkan zu der Fürstin hinauf. Diese lag sehr traurig und krank auf einem Sopha ausgestreckt; neben ihr an einem Tische faß Bielussoff und las ihr laut das Martyrthum der heiligen Varvara vor.

»Ei, Madame,« rief der Fürst; »Sie haben Ihrem Sohne so gute Grundsätze eingeflößt, daß er sich eben mit einer Thörin vermählt hat; dies mußte übrigens einem Sohne begegnen, der von einer Mutter erzogen worden, die, wie Sie, ihre Nächte wie ihre Tage mit ihren Liebhabern zubringt.«

Die Fürstin stieß nur einen Schrei aus; sie versuchte sich aufzurichten, doch hatte sie nicht die Kraft dazu und fiel ohne Bewußtsein wieder auf ihr Kanapee zurück.

Am Abend verbreitete sich die Nachricht, daß die Fürstin todt sei; am folgenden Tage verschwand Bielussoff, ohne daß man je erfuhr, was aus ihm geworden.

Am Tage dieses Verschwindens lag die Fürstin Marfa Petrowna auf ihrem Paradebette ausgestreckt. Gott gebe ihrer Seele den Frieden des Himmels!

Das Begräbniß der Fürstin war prächtig; es waren drei Archimandriten und hundert Popen zugegen. Obgleich sie sehr wenig bekannt war, gab sie doch von ihrer Einsamkeit aus so viel Almosen, daß jeder sie beweinte, und besonders die Armen. Der Fürst Alexis vergoß keine Thräne; indessen hatte er ein sehr niedergeschlagenes Aussehen, und von Zeit zu Zeit zeigte er eine krampfhafte Bewegung.

Während der sechs Wochen, die auf dieses traurige Ereigniß folgten, ernährte man im Schlosse eine Menge Bettler; jeden Sonnabend gab man jedem von ihnen ein Stück Geld; das Begräbniß allein kostete fünftausend Rubel.

Während der Mittagstafel, welche in Folge der Beerdigung gegeben wurde, unterhielt sich der Fürst Alexis nur auf andächtige Weise mit den Archimandriten über die beste Art, als ein guter Christ zu leben, und über die wirksamsten Mittel, seine Seele zu retten; er sprach rührende Lobprüche über die engelgleichen Tugenden der Verstorbenen aus und gab in sehr lebhaften Ausdrücken das tiefe Bedauern und die unermeßliche Verzweiflung zu erkennen, die er wegen ihres Verlustes empfand.

Die Archimandriten versuchten Worte des Trostes auszusprechen; aber der Fürst antwortete dem, der ihn tröstete, mit noch mehr Beredtsamkeit:

»Offenbar kann ich nicht ohne sie auf dieser Welt hienieden bleiben, und ich bitte Sie, mein Vater, mich unter die Zahl Ihrer Mönche aufzunehmen.«

»Es ist ein sehr heilsames Vorhaben, mein lieber Fürst,« antwortete ihm der Archimandrit; »aber um gut zu sein, muß jedes Vorhaben nach reiflicher Ueberlegung ausgeführt werden.«

»Wozu nützt es zu überlegen,« rief der Fürst »fürchten Sie, daß ich nicht hinlänglich für meinen Eintritt zahlen werde? Fürchten Sie Nichts! Ich werde Ihnen 40.000 Rubel mitbringen; es ist nicht mehr nöthig, Ersparnisse zu machen.«

»Indessen haben Sie einen Sohn,« sagte der Archimandrit.

»Wen denn?« rief der Fürst; »Boris? das ist ein Strauchdieb, dem ich rathe, wenn ihm seine Haut lieb ist, sich nicht vor mir zu zeigen; er ist die wahre Ursache meines Schmerzes, der Bösewicht! Er ist der wahre Mörder seiner Mutter! Er hat sich eben ohne unsere Segen und ohne uns vorher von diesem schönen Vorhaben in Kenntniß gesetzt zu haben, mit einer Landstreicherin verheirathet; er hat seine Mutter getödtet, sage ich Ihnen mein Vater; denn als die Fürstin Marfa hörte, welch Schande er über unser Haus gebracht, fiel sie ohne Bewußtsein zurück, dann kam ein Schlaganfall, und es war zu Ende mit meiner lieben Frau! Aber er soll mir dafür zahlen! der Schurke! ich will ihn und seine Närrin auf dem Stroh lassen, und wenn Sie mich nicht in Ihr Kloster aufnehmen wollen, verheirathe ich mich wieder, um bald andere Kinder zu haben.«

 

Am folgenden Tage geneigte der Fürst, um seine Schmerz zu zeigen, mit eigener Hand zahlreiche Streiche auszutheilen; Alle, welchen er begegnete, waren mehr oder weniger strafbar; die kleinen Edelleute und seine Bekannten wurden eben so wenig verschont, wie die Muschiks, um sie fanden ihre Stellung bei dem Fürsten so wenig haltbar, daß sie nach und nach verschwanden.

Aber dem Himmel sei Dank! der Fürst blieb nur einige Wochen in dieser üblen Stimmung; nach Verlauf einiger Zeit zog er eines Morgens auf die Bärenjagd, und da diese Jagd ihm vortrefflich glückte, so verschwand sein Schmerz, wie durch einen Zauber, und von diesem Tage nahm sein Leben wieder eine gewohnte Art und Weise an, nur daß er bei den Bällen, Festen und Unterhaltungen zusehens alterte, und oft geschah es, wenn er sich auf der Jagd, wie es seine Gewohnheit war, auf ein Faß Branntwein setzte, daß ihm das Glas aus der Hand fiel und er ganz düster und nachdenkend wurde. Dann verstummte das Lachen und das Freudengeschrei derjenigen, die ihn begleiteten, plötzlich; aber nach einigen Augenblicken dieses düsteren Schweigens war er der Erste, der den Kopf erhob und plötzlich ein altes Trinklied anstimmte, wovon alle im Chor den Schlußvers wiederholten. «