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Buch lesen: «Isaak Laquedem»

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1-stes bis 5-tes Bändchen

Prolog
Die Via Appia

Der Leser begebe sich mit uns aus drei Meilen von Rom an das Ende der Via Appia, unter den Abhang von Albano, an die Stelle, wo die antike, zweitausend Jahre alte Straße sich mit einer modernen, nur zwei Jahrhunderte alten verbindet, welche um die Gräber läuft, diese zu ihrer Linken läßt und an dem Thore vom heiligen Johannes vom Lateran1 ausmündet.

Er wolle annehmen, wir seien am Morgen des grünen Donnerstags im Jahre 1469, Ludwig XI. regiere in Frankreich, Johann II. in Spanien, Ferdinand I. in Neapel, Friedrich III, sei Kaiser von Deutschland, Iwan, der Sohn von Wasilijewitsch, Großfürst von Rußland, Christoph Moro Doge von Venedig und Paul II. Papst.

Er erinnere sich, daß es der feierliche Tag ist, an welchem, bekleidet mit dem goldenen Chorrocke, die Tiara auf dem Haupte, getragen unter einem von acht Cardinälen unterstützten Prachthimmel, der Priesterkönig von der alten Basilica Constantins herab, welche schon verurtheilt und bereit ist, der von Bramante und Michel Angelo Platz zu machen, im Namen der heiligen Apostel Peter und Paul seinen Segen Rom und der Welt, der Stadt und dem Weltall, Urbi et Orbi geben soll.

Dann wird er begreifen, daß sich wegen dieser erhabenen Feierlichkeit die Einwohner der benachbarten Dörfer und Städte auf den Straßen von Bracciano, von Tivoli, von Palestrina und von Frascati drängen. Alle gegen die heilige Stadt hinstrebend, wohin sie die Glocken, die entfliehen sollen und deren Abwesenheit von der Trauer der Christenheit zeugen wird, durch einen letzten Ruf ziehen.

Mitten unter allen diesen Straßen, welche nach Rom führen und von fern mit einem beweglichen Teppiche bedeckt zu sein scheinen, so entrollen sich in langen Reihen die Bauernfrauen mit den purpurrothen Röcken und den goldenen Schnürleibern, ein Kind an der Hand fortziehend oder eines auf ihren Schultern tragend; die Führer der Herden, welche, mit Spießen bewaffnet, unter ihren braunen Mänteln ihre blauen Sammeljacken mit silbernen Knöpfen verbergen und auf ihren kleinen Gebirgspferden mit scharlachrothen Schabracken, woran eine Menge kupferner Nägel sichtbar, vorüber galoppiren; die ernsten Matronen mit den ruhigen Gesichtern, welche auf schwerfälligen Karren, bespannt mit zwei großen weißen Ochsen mit langen schwarzen Hörnern, fahren und lebenden Statuen der thebanischen Isis oder der eleusinischen Ceres gleichen; mitten unter allen diesen Straßen, sagen wir, die, ungeheuern Pulsadern ähnlich, durch die gelbe Einöde der römischen Campagna das Blut und das Leben nach dem alten Rom tragen, ist eine einzige Straße verlassen.

Es ist diejenige, aus welche wir den Leser geführt haben.

Und nicht, als käme von Albano kein großer Zustrom von Volk herab, nicht als fehlten bei der Zusammenkunft die schönen Bäuerinnen von Genzano und von Vellettri, die Hirten der Pontinischen Sümpfe mit ihren Pferden mit den langen Mähnen und dem flatternden Schweife, die Matronen von Nettuno und von Montragone aus ihren von Büffeln mit dem geräuschvollen Athem und den flammenden Augen gezogenen Karren; nein, am Fuße des Gebirges, bei der von uns genannten Verbindung der Wege angelangt, scheidet der fromme Pilgerzug von der alten Straße, läßt zu seiner Linken die doppelte Reihe von Gräbern, deren Geschichte wir mit ein paar Zeilen berühren werden, und folgt, quer durch die Ebene mit dem hohen Grase, der neuen Straße,, welche sich später durch einen Umweg wieder der alten tusculanischen Straße anschließt und bei der alten Basilica des heiligen Johannes vom Lateran ausmündet.

Es war übrigens nicht immer so mit dieser Via Appia, welche heute so verödet ist, daß das Gras in den Zwischenräumen ihrer breiten grauen Platten wachsen würde, stießen diese, ungleich aus der Lava der erloschenen Vulkane ausgehauenen, Platten nicht jede Vegetation zurück. In den schönen Tagen des Rom der Cäsaren nannte man sie die große Appia, die Königin der Straßen, den Weg zum Elysium; es war damals der Sammelplatz im Leben und im Tode von Allem, was es Reiches, Edles und Zierliches in der vorzugsweisen Stadt gab; noch andere Straßen, die Via Latina, die Via Flaminia hatten ihre Gräber; glücklich aber der, welcher sein Grab bei der Via Appia besaß!

Bei den Römern, – einer Nation, in der der Geschmack für den Tod beinahe so verbreitet war, als er es in England ist, und wo die Wuth des Selbstmords, unter der Regierung von Tiber, Calicula und Nero besonders, zu einer wahren Epidemie wurde, war die Besorgniß um den Ort, wo der Körper seine Ewigkeit schlafen würde, groß. Anfangs hatte man in der Stadt und sogar im Innern der Häuser begraben, doch diese Art der Bestattung widersprach der öffentlichen Gesundheit; überdies konnten die Leichenbegängnisse jeden Augenblick die Opfer der Stadt beflecken. Demzufolge erschien ein Gesetz, welches im Innern von Rom zu begraben verbot. Nur ein paar privilegirte Familien behielten dieses Recht unter dem Titel einer öffentlichen Ehrenauszeichnung. Das waren die Familien von Publicula, von Tubertus und von Fabricius; man beneidete sie um dieses Recht.

Ein Triumphator, welcher während des Triumphes starb, war auch berechtigt, in Rom beerdigt zu werden.

Der Lebende überließ nur sehr selten seinen Erben die Sorge für sein Grab; es war eine Zerstreunng, die er sich gewährte, daß er sein Grab unter seinen Augen ausarbeiten ließ. Die meisten Monumente dieser Art, die man noch heute findet, tragen an sich die zwei Buchstaben: V. F., was bedeutet: Vivus fecit; oder die drei Buchstaben: V. S, P.., was bedeutet: Vivus sibi posuit; oder endlich die drei Buchstaben: V. F. C., was bedeutet: Vivus faciendum curavit.

Für einen Römer war es in der That, wie man sehen wird, etwas Wichtiges, beerdigt zu werden: nach einer religiösen Ueberlieferung, welche in großem Ansehen zur Zeit von Cicero stand, wo diese Art von Glauben doch zu verschwinden anfing, sollte die Seele jeder des Begräbnisses beraubten Person hundert Jahre an den Ufern des Styx umherirren. Wer einen Leichnam aus seinem Wege traf und es versäumte, ihm ein Begräbnis, zu geben, beging eine Ruchlosigkeit, die er nur dadurch sühnen konnte, daß er der Ceres ein Mutterschwein opferte; warf man zu drei verschiedenen Malen ein wenig Erde auf den Leichnam, so befreite dies allerdings von der Beerdigung und dem Opfer.

Doch begraben zu sein, war noch nicht Alles, man mußte angenehm begraben sein. Der heidnische Tod, der gefallsüchtiger als der unsere, erschien den Sterbenden des Jahrhunderts von Augustus nicht wie ein entfleischtes Gerippe mit kahlem Schädel, mit leeren Augenhöhlen, mit düsterem, unheimlichem Grinsen und in der Hand eine Sense mit gekrümmtem Eisen haltend; nein, es war ganz einfach eine schöne bleiche Frau, die Tochter des Schlafes und der Nacht, mit weißen kalten Händen und eisige Umarmung; – etwas wie eine unbekannte Freundin, welche, wenn man sie rief, aus der Finsterniß hervortrat, ernst langsam und stillschweigend aus das Lager des Sterbenden zuschritt und mit demselben Todeskusse zugleich seine Lippen und seine Augen schloß. Dann blieb der Leichnam taub, stumm, unempfindlich, bis zu dem Augenblicke, wo die Flamme des Scheiterhaufens sich für ihn entzündet, und, den Leib verzehrend, den Geist von der Materie trennte, von der Materie, welche sich in Asche verwandelte, während der Geist Gott wurde. Dieser neue Gott aber, – ein Mane, der den Lebendigen unsichtbar blieb, nahm seine Gewohnheiten, seine Neigungen, seine Leidenschaften wieder an, kehrte, so zu sagen, in den Besitz seiner Sinne zurück, liebte das, was er geliebt hatte, haßte das, was er gehaßt hatte.

Und darum legte man in das Grab eines Kriegers seinen Schild, seine Wurfspieße und sein Schwert; in das Grab einer Frau ihre Diamantnadeln, ihre goldenen Ketten und ihre Perlenhalsbänder; in das Grab eines Kindes sein liebstes Spielzeug, Brod, Früchte, und in die Tiefe einer alabasternen Vase ein paar Tropfen Milch aus dem mütterlichen Busen, welchen versiegen zu machen es nicht die Zeit gehabt hatte.

Wenn die Baustelle des Hauses, das er während seines kurzen Daseins bewohnen sollte, dem Römer einer ernsten Aufmerksamkeit würdig zu sein schien, so kann man sich denken, welche noch viel größere Aufmerksamkeit er dem Plane, der Lage, der mehr oder minder angenehmen, mehr oder minder seinem Geschmacke, seinen Neigungen, seinen Gewohnheiten, seinen Wünschen entsprechenden Baustelle des Hauses schenken mußte, das er, Gott geworden, die Ewigkeit hindurch bewohnen sollte; denn die Manen, beständig am Orte verweilende Götter, waren an ihre Gräber gefesselt und hatten höchstens die Erlaubniß, um dieselben herumzugehen. Einige, – dies waren die Liebhaber der ländlichen Freuden, die Menschen von einfachem Geschmack, die bukolischen Geister, – befahlen, daß man ihnen ihre Gräber in ihren Villas, in ihren Gärten, in ihren Wäldern baue, um ihre Ewigkeit in Gesellschaft der Nymphen, der Faune und der Dryaden, gewiegt vom sanften Geräusche der durch den Wind bewegten Blätter, zerstreut durch das Gemurmel über Kieselsteine hinrollender Bäche, ergötzt durch den Gesang der in den Zweigen verborgenen Vögel, hinzubringen; diese waren, wie gesagt, die Philosophen und die Weisen.

Doch Andere, – und das war die große Zahl, die Menge, die ungeheure Majorität, – welche ebenso sehr der Bewegung, der Aufregung, des Getümmels bedurften, als die Ersten der Einsamkeit, der Stille und der Sammlung, Andere, sagen wir, erkauften um schweres Gold Boden am Rande der Straßen, da, wo die aus allen Ländern kommenden und Europa die Neuigkeiten von Asien und von Afrika mitbringenden Wanderer vorüberzogen, an der Via Latina, an der Via Flaminia und besonders an der Via Appia.

Angelegt von Appius Claudius, dem furchtbaren Decemvir, der den Sicinius Dentatus ermorden ließ und die schöne Virginia zu entführen versuchte, hatte die Via Appia allmälig eine Straße des Reiches zu sein aufgehört, um eine Vorstadt Roms zu werden; sie führte immer noch nach Neapel und von Neapel nach Brindisi, jedoch durch eine doppelte Reihe von Häusern, welche Paläste, und von Gräbern, welche Monumente waren. Hieraus ging hervor, daß auf der Via Appia die vom Glücke begünstigten Manen nicht nur die bekannten und unbekannten Vorüberwandeln»den sahen, nicht nur hörten, was die Reisenden Neues über Asien und Afrika sagten, sondern auch mit diesen Reisenden und diesen Vorüberwandelnden durch den Mund ihrer Gräber, mit den Buchstaben ihrer Epitaphe sprachen.

Und da der Charakter der Individuen, wie wir nachgewiesen haben, den Tod überlebte, so sagte der bescheidene Mensch:

Ich bin gewesen, ich bin nicht mehr;
Das ist mein ganzes Leben und mein ganzer Tod

Der reiche Mann sagte:

Hier ruht
Stabirtus;
Er wurde zum Sevir ernannt, ohne darum
nachgesucht zu haben;
Er hätte einen Rang in allen Decurien Roms
einnehmen können
Er wollte es nicht
Fromm, muthig, treu,
Ist er von nichts hergekommen: er hat dreißig
Millionen Sestertien hinterlassen,
Und hat nie die Philosophen hören wollen
Verhalte Dich gut und ahme ihm nach
Sodann, um noch sicherer die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden zu erregen, ließ Stabirtus, – der reiche Mann, – eine Sonne über seine Grabschrift setzen

Der Schriftsteller sagte:

Reisender!
So sehr du auch Eile haben magst, an das Ziel
deiner Reise zu kommen,
Dieser Stein bittet dich, auf seine Seite zu
schauen und zu lesen, was hier geschrieben steht
Hier ruhen die Gebeine des Dichters
Marcus Pacunius
Davon wollte ich dich unterrichten
Lebe wohl!

Der discrete Mann sagte:

Mein Name, meine Geburt, meine Abstammung,
Was ich war, was ich bin,
Ich werde es dir nicht offenbaren
Stumm für die Ewigkeit, bin ich ein wenig Asche,
Knochen, Nichts
Von Nichts hergekommen, bin ich dahin zurückgekehrt,
woher ich gekommen war
Mein Loos erwartet dich, Gott befohlen!

Der mit Allem zufriedene Mensch sagte:

So lange ich aus der Welt war, habe ich gut
gelebt
Mein Stück ist schon beendigt: das eurige
wird bald endigen
Gott befohlen! Klatscht Beifall!

Eine unbekannte Hand endlich, die eines Vaters ohne Zweifel, ließ das Grab einer Tochter, eines armen, der Welt im Alter von sieben Jahren entführten Kindes, sagen:

Erde, laste nicht auf ihr,
Sie hat nicht auf dir gelastet!

Mit wem sprachen nun alle diese Todten, die sich an das Leben anklammerten, die Sprache des Grabes? Wer waren diejenigen, welchen sie aus ihren Grabstätten riefen, wie es die Courtisanen thun, wenn sie an ihre Fensterscheiben klopfen, um die Vorübergehenden zu zwingen, den Kopf umzuwenden? Was für eine Welt war es, mit der sie sich beständig im Geiste vermengten, und die munter, freudig, sorglos, rasch vorbeizog, ohne sie zu hören, ohne sie zu sehen!

Es war Alles, was es an Jugend, an Schönheit, an Eleganz, an Reichthum, an Aristokratie in Rom gab. Die Via Appia war das Longchamp des Alterthums, nur dauerte dieses Longchamp, statt drei Tage wie das von Paris, das ganze Jahr hindurch.

Gegen vier Uhr Nachmittags, wenn die große Hitze des Tages vorüber war, wenn die Sonne minder glühend und minder leuchtend gegen das tyrrhnische Meer niedersank, wenn der Schatten der Pinien, der Steineichen und der Palmbäume sich vom Westen nach dem Osten verlängerte, wenn der Oleander Siciliens den Staub des Tages bei den ersten Abendlüften abschüttelte, die von der blauen, den Tempel des Jupiter Latialis beherrschenden, Gebirgskette herabkamen, wenn die Magniola Indiens ihre elfenbeinerne Blüthe, gerundet in einem Hörnchen wie ein duftender Becher, der sich anschickt, den Abendthau zu empfangen, erhob; wenn der Nelumbo des caspischen Meeres, der vor der Flamme des Zeniths in den feuchten Schooß des Sees geflohen war, wieder zur Oberfläche des Wassers emporstieg, um mit der ganzen Größe seines erschlossenen Kelches die Kühle der Nachtstunden einzuathmen, dann erschien allmälig aus der Porta Appia hervorkommend das, was man die Vorhut der Schönen, der Trossuli, der kleinen Trojaner Roms nennen konnte, welche die Bewohner der Vorstadt Appia, die nun auch aus ihren Häusern traten, – welche sich ebenfalls öffneten, um Athem zu schöpfen, – zu mustern sich anschickten, und zwar in Lehnstühlen sitzend, die man aus dem Innern des Atrium herbeibrachte, auf die Weichsteine gestützt, die als Fußtritt für die Reiter zum Besteigen ihrer Pferde dienten, oder halb liegend aus jenen kreisförmigen Bänken, die man an die Wohnung der Todten zur größeren Bequemlichkeit der Lebenden anlehnte.

Nie hat Paris zwei Spaliere in den Champs-Elysees bildend, nie hat Florenz nach den Cascine laufend, nie hat Wien sich nach dem Prater drängend, nie hat Neapel in der Toledostraße und auf der Chiaja zusammengeschaart, eine solche Abwechselung von Schauspielen, einen solchen Zusammenstrom von Zuschauern gesehen.

Zuerst, an der Spitze, erscheinen Reiter auf numidischen Rossen mit Schabracken von Goldstoff oder Tigerhäuten. Einige werden den Spazierritt im Schritt fortsetzen; diese haben vor sich Läufer in kurzen Tuniken mit leichter Fußbekleidung, mit einem um die linke Schulter gerollten Mantel, die Seiten umschlossen von einem ledernen Gürtel, den sie nach Belieben zusammenziehen oder auseinander lassen, je nachdem der Gang, welchen sie zu nehmen gezwungen sind, mehr oder minder rasch ist. Andere, als machten sie sich den Preis des Rennens streitig, werden in ein paar Minuten die ganze Länge der Via Appia zurücklegen; sie lassen am Kopfe ihrer Pferde herrliche Molosse mit silbernen Halsbändern laufen, und wehe dem, der sich aus dem Wege dieses Wetterwirbels findet! wehe dem, der sich von diesem erschrecklichen Gemenge von Gewieher, Gebelle und Staub umhüllen läßt! Man wird ihn von den Hunden gebissen, von den Pferden mit den Füßen getreten ausheben, man wird ihn blutig, gebrochen, gequetscht wegtragen, während der junge Patrizier, der den Streich vollführt hat, sich, ohne den Lauf seines Rosses zu hemmen, umwenden, in ein Gelächter ausbrechen und seine Geschicklichkeit in Verfolgung seines Weges aus die dem Ziele, nach welchem sich sein Pferd wendet, entgegengesetzte Seite schauend, zeigen wird.

Hinter den numidischen Rossen kommen die leichten Wagen, welche beinahe an Schnelligkeit mit den Kindern der Wüste streiten würden, deren Race nach Rom zugleich mit Iugurtha gebracht worden ist; das sind Cisii, lustige Equipagen, eine Art von Tilburys, gezogen von drei fächerartig eingespannten Maulthieren, von denen das rechts und das links, ihre silbernen Schellen schüttelnd, galoppiren, während das mittlere, der geraden Linie mit der Unbeugsamkeit und, wir möchten beinahe sagen, mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles folgend, trabt; dann erscheinen die Caruccä, hohe Wagen, von denen das Corricolo unserer Zeit nur eine Varietät oder vielmehr eine Nachkommenschaft ist; selten führen diese die Elegants selbst, sondern sie lassen sie von einem numidischen Sklaven führen, welcher das malerische Costüme seines Landes trägt.

Hinter den Cisii und den Caruccä rücken die vierräderigen Wagen heran: die Rhedä mit purpurnen Polstern und reichen Teppichen, welche nach außen niederfallen, die Covini, bedeckte und so hermetisch verschlossene Wagen, daß sie zuweilen die Mysterien des Alcoven auf die Straßen und auf die öffentlichen Spaziergänge Roms versetzen; – endlich, einen Contrast mit einander bilden, – die Matrone mit ihrer langen Stola bekleidet, in ihre dichte Palla gehüllt, mit der Steifheit einer Bildsäule in dem Carpentum, einer Art von Wagen von besonderer Form, sitzend, dessen sich zu bedienen nur die Patrizierfrauen das Recht haben, – und die Conrtisane bekleidet mit Gaze von Kos, d.h. mit Luft gewoben aus gesponnenem Nebel, nachlässig in ihrer Sänfte liegend, welche acht Träger mit herrlichen Penulä bedeckt schleppen, begleitet rechts von ihrer griechischen Freigelassenen, einer Liebesbotin, einer nächtlichen Iris, welche einen Augenblick ihr süßes Gewerbe ruhen läßt, um mit einem Fächer von Pfauenfedern die Luft, die ihre Gebieterin einathmet, in Bewegung zu setzen, links von einem liburnischen Sklaven, dem Träger eines mit Pelzwerk überzogenen Fußtrittes, an dem ein langer, schmaler Teppich ebenfalls von Pelz befestigt ist, damit die weichliche Priesterin des Vergnügens aus ihrer Sänfte aussteigen und den Ort, an welchen sie sich zu setzen entschlossen ist, erreichen kann, ohne daß ihr nackter, mit Edelsteinen beladener Fuß den Boden zu berühren braucht.

Dann, hat man einmal das Marsfeld hinter sich, ist man außerhalb der Porte Capena und auf der Via Appia, so verfolgen Viele ihren Weg zu Pferde oder im Wagen, Viele steigen aber auch aus, übergeben ihre Equipage der Obhut ihrer Sklaven, gehen in dem zwischen den Gräbern und den Häusern vorbehaltenen Zwischenraume spazieren oder setzen sich auf Stühle und Tabonrets, welche Speculanten in freier Luft gegen ein halbes Sestertium für die Stunde an sie vermiethen. Ah! hier sieht man die ächten Eleganzen! Hier herrscht die Mode mit Willkühr! Hier studirt man an den wahren Mustern des guten Geschmacks den Schnitt des Bartes, der Haare, die Form der Tuniken und jenes große von Cäsar gelöste, aber von der neuen Generation in Zweifel gesetzte Problem, ob man sie lang oder kurz, weit oder eng tragen soll! Cäsar trug sie schleppend und weit; doch seit Cäsar hat man große Fortschritte gemacht! – Hier streitet man mit allem Ernste über das Gewicht der Sommerringe und der Winterringe, über die Composition der besten Schminke; über die beste Bohnenpommade, um die Haut geschmeidig zu erhalten; über die delicatesten Pastillen von Myrrhe und Mastix mit altem Weine geknetet, um den Athem rein zu erhalten! Die Frauen hören zu, während sie nach Art der Gaukler von ihrer rechten Hand in ihre linke Ambrakugeln werfen, welche zugleich erfrischen und Wohlgeruch verbreiten; sie spenden Beifall mit dem Kopfe, mit den Augen und von Zeit zu Zeit sogar mit den Händen den gelehrtesten und gewagtesten Theorien; ihre durch das Lächeln geöffneten Lippen zeigen ihre perlartig weißen Zähne; ihre zurückgeworfenen Schleier lassen, einen reichen Contrast mit ihren pechschwarzen Augen und ihren ebenholznen Brauen bildend, herrliche Haare von einem Gluthblond, von einem Goldblond oder von einem Aschblond sehen, je nachdem sie die ursprüngliche Farbe mit einer Seife bestehend aus Buchenasche und Ziegentalg, welche sie aus Gallien kommen lassen, oder eine Mischung von Essighefe und Mastixöl benützend, oder endlich, – was noch einfacher ist, dadurch verändert haben, daß sie in den Tavernen des Porticus Minucius, dem Herculestempel gegenüber, glänzende Haare kauften, welche arme Mädchen Germaniens an den Scheerer um fünfzig Sestertien veräußerten, während dieser sie um ein halbes Talent wieder verkauft.

Und dieses Schauspiel wird mit Neid betrachtet von dem halb nackten Manne aus dem Volk, von dem kleinen ausgehungerten Griechen, der für ein Mittagsmahl zum Himmel aufsteigen würde, und von dem Philosophen mit dem abgetragenen Mantel und der leeren Börse, welcher sich hier einen Redetexte gegen den Luxus und den Reichthum nimmt.

Und Alle, mögen sie sitzen, liegen, stehen, gehen, kommen, sich bald auf dem einen Beine, bald auf dem andern schaukeln, ihre Hände aufheben, um ihre Aermel zurückfallen zu machen und ihre Arme zu zeigen, von denen die Haare sorgfältig entfernt worden sind, lachen, lieben, scherzen, schnarren, während sie sprechen, Lieder von Cadix, oder Alexandrien trällern, vergessen diese Todten, welche sie hören, ihnen rufen, werfen mit Albernheiten in der Sprache von Virgil um sich, wechseln Calambours im Idiom von Demosthenes, sprechen besonders Griechisch, denn das Griechische ist die wahre Sprache der Liebe, und eine Courtisane, welche nicht zu ihren Liebhabern in der Sprache von Lais und Aspasia zu sagen wüßte: Ζ∞η ϰαι ψυχη (mein Leben und meine Seele) diese Courtisane wäre nur ein Mädchen, gut für gemeine Soldaten mit Sandalen und ledernen Schilden.

Hundertfünfzig Jahre später wird der falsche Quintilius erfahren, was es kostet, nicht Griechisch zu sprechen.

Und dennoch, um Unterhaltung, Monumente, Schauspiele, Brod dieser eitlen, wahnsinnigen Menge zu geben, diesen jungen Leuten mit leichten Köpfen, diesen Weibern mit verfälschten Herzen, diesen Familiensöhnen, die ihre Gesundheit in den Häusern der Unzucht und ihre Börsen in den Tavernen lassen, diesem müßigen, trägen Volke, weil es vor Allem italienisch ist, – aber mürrisch, als wäre es englisch, stolz, als wäre es spanisch, streitsüchtig, als wäre es gallisch, diesem Volke, welches sein Leben damit zubringt, daß es unter den Säulenhallen spazieren geht, in den Bädern schwatzt, im Circus in die Hände klatscht, für diese jungen Leute, für diese Weiber, für diese Familiensöhne, für dieses Volk besingt Virgil, der süße Schwan von Mantua, der christliche Dichter dem Herzen, wenn nicht der Erziehung nach, das ländliche Glück, verflucht er den republikanischen Ehrgeiz, brandmarkt er die Ruchlosigkeit der Bürgerkriege und bereitet er das schönste und größte Gedicht vor, das seit Homer gemacht worden wäre, und das er verbrennen wird, weil er es unwürdig nicht nur der Nachwelt, sondern auch seiner Zeitgenossen findet. Für sie, um zu ihnen zurückzukommen, flieht Horaz bei Philippi und wirft, damit er leichter laufen kann, seinen Schild weit hinter sich; um von ihnen angeschaut und genannt zu werden, geht er zerstreut aus dem Forum, aus dem Marsfelde, am Ufer der Tiber spazieren, ganz beschäftigt mit dem, was er Bagatellen nennt: seine Oden, seine Satyren und seine Ars poëtica! An sie und in seinem tiefen Bedauern, von ihnen getrennt zu sein, richtet der lockere Ovid, – schon seit fünf Jahren zu den Thraciern verbannt, wo er das, doch so leichte, Vergnügen, einen Augenblick der Liebhaber der Tochter des Kaisers gewesen zu sein, oder den gefährlichen Zufall, das Geheimniß der Geburt des jungen Agrippa erlauert zu haben, büßt, – an sie richtet Ovid seine Tristia, seine Pontica und seine Metamorphosen; um sich wieder in ihrer Mitte zu befinden, fleht er Augustus an, wird er Tiberius anflehen, ihn wieder nach Rom zurückkehren zu lassen; nach ihnen wird er sich sehnen, schließt er fern vom Vaterlande die Augen, mit einem und demselben Blicke, mit jenem letzten Blicke, der Alles sieht, die herrlichen Gärten von Sallust und das arme Quartier von Suburrus und die Tiber mit dem majestätischen Gewässer, wo Cäsar im Kampfe mit Cassius beinahe ertrunken wäre, und das Wasser des Velabrum umfassend, an welchem sich der heilige Wald, der Zufluchtsort der latinischen Wölfin und die Wiege von Romulus und Remus, ausdehnte! Für sie, um ihre Liebe, veränderlich wie ein Apriltag, zu erhalten, bezahlt Mäcenas, der Abkömmling der Könige Eturiens, der Freund von Augustus, der wollüstige Mäcenas, der nur gestützt aus die Schultern von zwei Eunuchen zu Fuß geht, die Gesänge seiner Dichter, die Fresken seiner Maler, den Prunk seiner Schauspieler, die Grimassen des Mimen Pyladus, die Luftsprünge des Tänzers Battyllus! Für sie eröffnet Bulbus ein Theater, errichtet Philippus ein Museum, baut Pollio Tempel! An sie theilt Agrippa unentgeldlich Lotteriebillets aus, welche Loose von zwanzigtausend Sestertien, gold- und silbergestickte Stoffe vom Pontus, mit Perlmutter und Elfenbein eingelegte Meubles gewinnen; für sie richtet er Bäder ein, in denen man vom Augenblick, wo die Sonne aufgeht, bis zur Stunde des Sonnenuntergangs bleiben kann, wo man aus Kosten des Herrn rasirt, parfümirt, eingerieben, getränkt und gespeist wird; für sie gräbt er Kanäle in einer Länge von dreißig Meilen, für sie baut er siebenundsechszig Meilen Wasserleitungen, führt er täglich nach Rom eine Wassermasse von zwei Millionen Kubikmetern und vertheilt sie in zweihundert Brunnen, in hundertunddreißig Wasserthürme und hundertsiebzig Bassins! Für sie endlich, um ihnen in Marmor das backsteinerne Rom zu verwandeln, um ihnen Obeliske aus Aegypten kommen zu lassen, um ihnen Forums, Basiliken, Theater zu bauen, läßt Augustus, der weise Kaiser, sein Goldgeschirr einschmelzen, behält er von der ganzen Verlassenschaft der Ptolemäer nur eine murrhinische Vase, von dem Vermögen seines Vaters Octavius, von dem Erbe seines Oheims Cäsar, von der Niederlage des Antonius, von der Eroberung der Welt nur hundertundfünfzig Millionen Sestertien, – dreißig Millionen Franken; für sie stellt er die Via Flaminia bis Rimini wieder her, für sie beruft er aus Griechenland Possenreißer und Philosophen, aus Cadix Tänzer und Tänzerinnen, aus Gallien und Germanien Gladiatoren, aus Afrika Boas, Flußpferde, Giraffen, Tiger, Elephanten und Löwen. Zu ihnen endlich sagt er sterbend: »Seid Ihr zufrieden mit mir, Römer? Habe ich meine Kaiserrolle gut gespielt? . . . Ja. . . . So klatscht Beifall!«

So waren die Via Appia, Rom und die Römer zur Zeit von Augustus beschaffen. – Doch in der Epoche, zu der wir gelangt sind, nämlich am grünen Donnerstage des Jahres 1469, hatten sich die Dinge und die Menschen sehr verändert! Die Kaiser waren verschwunden gerade durch den Schwindel des Kaiserreichs: der römische Coloß, der mit seiner riesigen Basis ein Drittel der bekannten Welt bedeckte, war eingestürzt, trotz seiner Ringmauer von Aurelian war Rom von Jedem eingenommen worden, der es hatte einnehmen wollen, von Alarich, von Genserich, von Odoacer, und es hatte die Barbaren, beständig Trümmer auf Trümmer häufend, um zwanzig Fuß die Oberfläche seines Bodens erhöhen sehen. Verwüstet, ausgeplündert, ausgeleert, war es endlich mit seinem Herzogthum, dem Papst Stephan II, von Pipin dem Kleinen geschenkt worden, welche Schenkung Karl der Große später bestätigte. So lange demüthig und flüchtig hatte das Kreuz, nun ebenfalls stolz und erobernd, nach und nach das Pantheon von Agrippa, die Antoniussäule und die Firste des Capitols gekrönt. Vom Giebel der Basilica des heiligen Peter hatte die geistliche Macht der Kirchenfürsten ihren Flug über das Weltall genommen; sie breitete sich im Norden bis nach Island, im Süden bis zur Meerenge von Gibraltar, im Osten bis zum Sinai, im Westen bis zum äußersten Vorgebirge Britanniens, dieses Hintertheils des europäischen Schiffes aus, an welchem sich die Wellen des atlantischen Meeres, fortgetrieben durch die Wellen Oceaniens, welche wiederum die Wellen des indischen Meeres antreiben, beständig brechen; doch die weltliche Gewalt der Päpste bricht sich in Rom eingeschlossen, das ihm Fuß für Fuß die furchtbaren Condottieri des Mittelalters streitig machen, an dem Theater des Marcellus und weicht vor dem Triumphbogen von Trajan zurück.

Gerade aber an diesem Triumphbogen des Trajan fängt die Via Appia an.

Was ist indessen unter allen diesen Revolutionen des Kaiserreichs, unter allen diesen Einfällen der Barbaren, unter dieser Verwandlung des Menschengeschlechts aus der großen Appia, der Königin der Straßen, dem Zugange zu den elysäischen Feldern geworden? Und warum stößt sie besonders eine so große Angst ein, daß die erschrockenen Bevölkerungen sich von ihr abwenden und einen Weg durch die Ebene schaffen, um nicht ihrem Lavapflaster zu folgen und die doppelte Linie ihrer einsinkenden Gräber zu vermeiden?

Wie die Raubvögel, Adler, Geier, Falken, Weihen, Habichte haben sich Raubmenschen, – die Frangipani, die Gaëtani, die Orsini, die Colonna und die Savelli, – der verfallenen Gräber bemächtigt, Festungen daraus gemacht und auf der Spitze ihre Banner, nicht Ritterbanner, sondern Räuber- und Banditenbanner aufgepflanzt.

Und dennoch, – eine seltsame Erscheinung, welche selbst die Soldaten, die auf der Torre Fiscale wachen und denen es in Betracht der Feierlichkeit des Tages verboten ist, einen Ausfall in die Ebene zu machen, nicht begreifen können, – indeß die anderen Pilger sich fortwährend mit derselben Sorgfalt von der antiken Straße entfernt halten, schreitet ein Mann allein, zu Fuß, ohne Waffen, auf diese Torre Fiscale, den Vorposten der langen Reihe von Festungen, zu, ohne sich von seinem Wege abbringen zu lassen.

Die Soldaten schauen sich erstaunt an und fragen einander:

»Woher kommt dieser Mann? . . . Wohin geht er? . . . Was will er?«

Dann fügen sie lachend und mit einer drohenden Miene den Kopf schüttelnd bei:

»Er ist sicherlich ein Narr!« . . .

Woher dieser Mann kommt, werden wir sogleich sagen; wohin er geht, werden wir bald sehen; was er will, werden wir später erfahren.

1.Gewöhnlich Porta die S. Giovanni genannt. Der Uebersetzer.
Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
06 Dezember 2019
Umfang:
340 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
Public Domain

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