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Buch lesen: «Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4», Seite 74

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CXVI
Nach der Metzelei

Kehren wir nach Paris zurück und sehen wir ein wenig, was hier vorging.

Paris hatte den Lärmen des Gewehrfeuers gehört, es hatte gebebt. Paris wußte noch nicht vollkommen, wer Recht oder wer Unrecht hatte; doch es fühlte, daß es eine Wunde erhalten, und daß durch diese Wunde das Blut floß.

Robespierre hielt sich in Permaneuz bei den Jacobinern, wie ein Gouverneur in seiner Festung; hier war er wahrhaft mächtig. Doch für den Augenblick war die Volkscitadelle aufgebrochen, und Jedermann konnte durch die Bresche eingehen, welche sich zurückziehend Barnave, Duport und Lameth gemacht hatten.

Die Jacobiner schickten Einen der Ihrigen auf Erkundigung aus.

Was ihre Nachbarn die Feuillants betrifft, so hatten sie nicht nöthig, zu schicken: sie waren Stunde für Stunde, Minute für Minute unterrichtet. Es wurde ihre Partie gespielt, und sie hatten sie gewonnen.

Der Abgesandte der Jacobiner kam nach Verlauf von zehn Minuten zurück. Er war den Flüchtlingen begegnet, und sie hatten ihm die furchtbare Nachricht zugeschleudert:

»Lafayette und Bailly erwürgen das Volk.«

Nicht Jedermann hatte die verzweifelten Schreie von Bailly hören können; nicht Jedermann hatte können Lafayette sich vor die Mündung der Kanonen werfen sehen.

Der Abgeordnete kam also selbst einen Schreckensschrei ausstoßend in die Versammlung zurück, welche übrigens nicht zahlreich war; kaum dreißig bis vierzig Jacobiner waren in dem alten Kloster anwesend.

Sie begriffen, auf sie werden die Feuillants die Verantwortlichkeit der Herausforderung zurückfallen lassen. War die erste Petition nicht von ihrem Clubb ausgegangen? Sie hatten sie allerdings zurückgezogen, doch die zweite war offenbar die Tochter der ersten.

Sie hatten bange.

Dieses bleiche Gesicht, dieses Gespenst der Tugend, dieser Schatten der Philosophie von Rousseau, Robespierre genannt, wurde von blaß leichenfarbig. Der kluge Abgeordnete von Arras versuchte es, sich aus dem Staube zu machen, und konnte dies nicht: er war genöthigt, zu bleiben und einen Entschluß zu fassen. Dieser Entschluß wurde ihm von der Angst eingegeben.

Die Gesellschaft erklärte, sie bekenne sich nicht zu den falschen oder verfälschten Druckschriften, die man ihr zugeschrieben, und sie schwöre aufs Neue Treue der Constitution, Gehorsam den Decreten der Nationalversammlung.

Kaum hatte sie diese Erklärung gemacht, als man durch die alten Corridors der Jacobiner einen von der Straße herkommenden gewaltigen Lärmen vernahm.

Dieser Lärm bestand aus Gelächter, Gezische, Geschrei, Drohungen und Gesängen. Das Ohr gespannt, hofften die Jacobiner, er werde vorbeiziehen und seinen Weg nach dem Palais Royal nehmen.

Durchaus nicht! Der Lärm machte Halt, stellte sich vor der niedrigen, finsteren Thüre, welche nach der Rue Saint-Honoré ging, fest, und um den Schrecken, der schon herrschte, zu vermehren, riefen Einige von den Anwesenden:

»Es sind die besoldeten Garden, welche vom Marsfelde zurückkommen . . . Sie stürmen den Saal! . . . Sie begehren, ihn mit Kanonenschüssen zu zerstören.

Zum Glücke waren, aus Vorsicht, Soldaten als Schildwachen vor den Thüren aufgestellt worden. Man schloß alle Ausgänge, um diesen wüthenden und von dem Blute, das er vergossen, trunkenen Trupp zu verhindern, aufs Neue zu vergießen; dann gingen Jacobiner und Zuschauer nach und nach hinaus; die Räumung dauerte nicht lange, denn wie der Saal nur dreißig bis vierzig Mitglieder enthielt, so waren auf den Tribunen kaum hundert Zuhörer anwesend.

Madame Roland, welche an diesem Tage überall war, gehörte zu den Letzteren. Sie erzählt, bei der Nachricht, die besoldeten Truppen seien im Begriffe, sich des Saales zu bemächtigen, habe ein Jakobiner dergestalt den Kopf verloren, daß er auf die Tribune der Frauen gesprungen.

Sie, Madame Roland, beschämte ihn wegen dieses Schreckens und ging da hinaus, wo sie hereingekommen war.

Es schlüpften indessen, wie gesagt, Schauspieler und Zuschauer nach einander durch die halb geöffnete Thüre hinaus.

Robespierre ging auch ab.

Einen Augenblick zögerte er. Sollte er sich nach rechts oder nach links wenden? Er mußte sich nach links wenden, um nach Hause zurückzukehren; – Robespierre wohnte bekanntlich im Fond des Marais, – doch dann mußte er die Reihen dieser besoldeten Garde durchschreiten.

Er zog es vor, sich nach dem Faubourg Saint-Honoré zu begeben, um ein Asyl von Pétion zu verlangen, der dort wohnte.

Er wandte sich rechts.

Robespierre wünschte sehr, unbekannt zu bleiben; doch wie war das möglich, mit diesem olivenfarbigen, jeder bürgerlichen Reinheit entbehrenden Rocke, – der gestreifte Rock kam erst später, – mit dieser Brille, welche davon zeugte, daß vor dem Alter die Augen des tugendhaften Patrioten durch Nachtwachen abgenutzt waren; mit diesem schiefen Gange des Wiesels und des Fuchses.

Robespierre hatte auch keine zwanzig Schritte auf der Straße gemacht, als schon ein paar Personen zu einander sagten:

»Robespierre! . . . Siehst Du Robespierre? . . . Das ist Robespierre!«

Die Frauen bleiben stehen und falten die Hände: die Frauen liebten ungemein Robespierre, der in allen seinen Reden ängstlich besorgt war, die Empfindsamkeit seines Herzens voranzustellen.

»Wie, der liebe Robespierre, er ist es?«

»Ja.«

»Wo denn?«

»Dort, dort! . . . Siehst Du den kleinen, mageren, nicht gepuderten Mann, der an der Mauer hinschleicht und aus Bescheidenheit ausweicht?«

Robespierre wich nicht ans Bescheidenheit aus, er wich aus Angst aus; doch wer hätte es gewagt, zu sagen, der tugendhafte, der unbestechliche Robespierre, der Tribun des Volkes weiche ans Angst aus?

Ein Mann schaute ihm unter die Nase, um sich zu versichern, daß er es sei.

Robespierre drückte seinen Hut ins Gesicht, da er nicht wußte, in welcher Absicht man ihn anschaute.

Der Mann erkannte ihn und rief:

»Es lebe Robespierre!«

Robespierre hätte es lieber mit einem Feinde zu thun gehabt, als mit einem solchen Freunde.

»Robespierre!« rief ein Anderer, der noch viel fanatischer: »es lebe Robespierre! Wenn man durchaus einen König braucht, warum sollte er es nicht sein?«

O großer Shakespeare! »Cäsar ist todt: sein Mörder werde zum Cäsar gemacht!«

Wenn je ein Mensch eine Volksbeliebtheit verfluchte, so war es sicherlich Robespierre in diesem Augenblicke.

Ein ungeheurer Kreis bildete sich um ihn: es handelte sich darum, ihn im Triumphe zu tragen!

Er warf über eine Brille einen erschrockenen Blick nach rechts und nach links, um eine offene Thüre, einen dunklen Gang zu suchen, wohin er fliehen, wo er sich verbergen könnte.

Gerade in diesem Momente fühlte er, daß man ihn beim Arme faßte und rasch auf die Seite zog, während mit freundschaftlichem Ausdrucke eine Stimme leise zu ihm sagte:

»Kommen Sie!«

Robespierre gab dem Impulse nach, ließ sich gehen, sah eine Thüre hinter sich schließen und befand sich in der Bude eines Schreiners.

Dieser Schreiner war ein Mann von ungefähr zweiundvierzig bis fünfundvierzig Jahren; seine Frau war bei ihm; in einem Zimmer im Hintergrunde richteten zwei schöne Mädchen, das eine von fünfzehn, das andere von achtzehn Jahren, das Abendbrod der Familie zu.

Robespierre war sehr bleich und schien nahe daran, in Ohnmacht zu fallen.

»Leonore,« sagte der Schreiner, »ein Glas Wasser!«

Leonore, die älteste Tochter des Schreiners, näherte sich ganz zitternd mit einem Glase Wasser in der Hand.

Vielleicht berührten die Lippen des strengen Tribuns die Finger von Mademoiselle Duplay.

Denn Robespierre befand sich beim Schreiner Duplay.

Während Madame Roland, welche die Gefahr kennt, die er läuft, und sich dieselbe übertreibt, vergebens sich nach dem Marais begibt, um ihm ein Asyl bei ihr anzubieten, verlassen wir Robespierre, der in Sicherheit ist, in der Mitte der trefflichen Familie Duplay, aus welcher er die seinige machen wird, um im Gefolge des Doctor Gilbert in die Tuilerien einzutreten.

Auch diesmal wartet die Königin; da es aber nicht Barnave ist, den sie erwartet, so ist sie nicht im Entresol von Madame Campan, sondern bei sich, nicht stehend, die Hand an einer Thürklinke, sondern sitzend in einem Fauteuil, den Kopf in ihrer Hand.

Sie erwartet Weber, den sie nach dem Marsfelde geschickt, und der von den Anhöhen von Chaillot herab Alles gesehen hat.

Um gegen die Königin gerecht zu sein, und damit man den Haß wohl begreife, welchen sie, wie man behauptete, gegen die Franzosen hegte, und den man, ihr so sehr vorgeworfen, wollen wir, nachdem wir erzählt, haben was sie auf ihrer Reise von Varennes gelitten, sagen, was sie seit ihrer Rückkehr, gelitten hat.

Ein Geschichtschreiber könnte parteiisch sein; wir sind nur Romanendichter: die Parteilichkeit ist uns nicht erlaubt.

Nachdem der König und die Königin in Verhaft genommen worden sind, hat das Volk nur eine Idee: da sie ein erstes Mal geflohen, so könnten sie auch ein zweites Mal fliehen, und dieses zweite Mal die Grenze erreichen.

Die Königin besonders wurde für eine Zauberin gehalten, welche, wie Medea, im Stande, durch ein Fenster auf einem von zwei Drachen gezogenen Wagen zu entfliegen.

Diese Ideen hatten nicht nur Curs unter dem Volke: sie fanden selbst bei den mir der Bewachung von Marie Antoinette beauftragten Officieren Glauben.

Herr von Gouvion, der sie bei der Flucht nach Varennes zwischen, seinen Händen hatte durchschlüpfen lassen, und durch dessen Geliebte, eine Garderobe-Dame, die Abreise Bailly angezeigt worden war, Herr von Gouvion hatte erklärt, er verweigere jede Verantwortlichkeit, wenn eine andere Frau, als Frau von Rochereul, – dies war, wie man sich erinnert, der Name der Garderobe-Dame, – das Recht, bei der Königin einzutreten, habe.

Dem zu Folge hatte er unten an der zu den königlichen Gemächern führenden Treppe das Portrait von Frau von Rochereul aufstellen lassen, damit die Schildwache, die Identität jeder Person, welche erscheinen sollte, bestätigend keiner andern Frau den Eintritt erlaubte.

Die Königin wurde von diesem Befehle unterrichtet; sie ging sogleich zum König und beklagte sich bei ihm. Der König konnte nicht daran glauben: er schickte unten an die Treppe, um sich der Thatsache zu versichern; es verhielt sich wirklich so.

Der König ließ Herrn von Lafayette rufen und forderte von ihm die Entfernung dieses Portraits.

Das Portrait wurde entfernt, und die gewöhnlichen Frauen der Königin nahmen ihren Dienst bei ihr wieder auf.

Doch an der Stelle dieser demüthigenden Anordnung, war eine nicht minder verletzende Vorsichtsmaßregel beschlossen worden: die Bataillon-Chefs, welche gewöhnlich in dem dem Schlafzimmer der Königin vorhergehenden Salon, genannt das große Cabinet, stationierten, hatten den Befehl, die Thüre beständig offen zu lassen, um die Augen immer auf der königlichen Familie zu haben.

Eines Tages wagte es der König, diese Thüre zuzumachen.

Sogleich öffnete sie der Officier wieder.

Einen Augenblick nachher machte sie der König wieder zu.

Doch der Officier öffnete sie aufs Neue und sagte:

»Sire, vergebens machen Sie diese Thüre zu: so oft Sie sie zumachen, ebenso oft werde ich sie wieder öffnen; das ist der Befehl.«

Die Thüre blieb offen.

Alles, was man von den Officieren erlangen konnte, war, daß diese Thüre, ohne völlig geschlossen zu sein, an das Gesims angelehnt werden sollte, wenn sich die Königin auskleiden oder ankleiden würde.

Sobald die Königin angekleidet war oder im Bette lag, öffnete sich die Thüre wieder.

Das war eine unerträgliche Tyrannei. Die Königin hatte den Gedanken, an ihr Bett das Bett ihrer Kammerfrau zu ziehen, so daß dieses zwischen sie und die Thüre gestellt wäre.

Mit Vorhängen versehen, bildete dieses Bett für sie einen Windschirm, hinter welchem sie sich an- und auskleiden konnte.

In einer Nacht, als er sah, daß die Kammerfrau schlief und die Königin wachte, benützte der Officier diesen Schlaf der Kammerfrau, um bei der Königin einzutreten und sich ihrem Bette zu nähern.

Die Königin, als er herbeikam, betrachtete ihn mit jener Miene, welche die Tochter von Maria Theresia anzunehmen wußte, wenn man die Achtung gegen sie verletzte; doch der wackere Mann, der durchaus nicht die Achtung gegen sie zu verletzen glaubte, bekümmerte sich nichts um ihre Miene und schaute sie seinerseits mit einem Ausdrucke des Mitleids an, in dem man sich nicht täuschen konnte.

»Ah! bei meiner Treue!« sagte er, »da ich Sie allein finde, Madame, so muß ich Ihnen einige Rathschläge geben.«

Und sogleich, ohne danach zu fragen, ob ihn die Königin hören oder nicht hören wollte, erklärte er ihr, was er thun würde wenn er an ihrer Stelle wäre.

Die Königin, welche, als sie ihn sich hatte nähern sehen, in Zorn gerathen war, ließ ihn beruhigt durch seinen gutmüthigen Ton sprechen, und hörte ihn am Ende mit einer tiefen Schwermuth an.

Mittlerweile erwachte die Kammerfrau, und als sie einen Mann beim Bette der Königin sah, stieß sie einen Schrei aus und wollte um Hilfe rufen.

Doch die Königin hielt sie zurück und sagte:

»Nein, Campan, lassen Sie mich hören, was dieser Herr spricht . . . Der Herr ist ein guter, wie so viele Andere, über unsere Absichten getäuschter Franzose, und seine Reden bezeichnen eine wahre Anhänglichkeit an das Königthum.«

Und der Officier sagte bis zum Ende der Königin, was er ihr zu sagen hatte.

Vor ihrer Abreise nach Varennes hatte Marie Antoinette nicht ein graues Haar.

In der Nacht, welche auf die von uns erzählte Scene zwischen Charny und ihr folgte, wurden ihre Haare fast völlig weiß.

Als sie diese traurige Metamorphose wahrnahm, lächelte sie mit Bitterkeit, schnitt eine Locke ab und schickte sie an Frau von Lamballe in London mit den Worten:

»Weiß geworden durch das Unglück!«

Wir haben sie Barnave erwartend gesehen, wir haben den Hoffnungen von diesem gleichsam beigewohnt; doch er hatte große Schwierigkeiten gehabt, die Königin diese Hoffnungen theilen zu machen.

Marie Antoinette fürchtete die gewaltsamen Scenen; bis dahin hatten sich diese Scenen beständig gegen sie gewendet; hiervon zeugen der 14. Juli, der 5. und der 6. October, die Verhaftung in Varennes.

Sie hatte von den Tuilerien aus den Lärmen des unseligen Musketenfeuers auf dem Marsfelde gehört; ihr Herz war dadurch tief beunruhigt worden. Im Ganzen war die Reise von Varennes eine große Lehre für sie gewesen. Bis zu diesem Moment hatte die Revolution in ihren Augen die Höhe eines Systems von Herrn Pitt, einer Intrigue des Herzogs von Orleans nicht überschritten; sie glaubte, Paris werde durch einige Rädelsführer geleitet; sie sagte mit dem König: »Unsere gute Provinz!«

Sie hatte die Provinz gesehen: die Provinz war mehr revolutionär gewesen, als Paris!

Die Nationalversammlung war sehr altersschwach, sehr geistesarm, sehr hinfällig, um muthig die Verbindlichkeiten zu halten, welche Barnave in ihrem Namen übernommen hatte; war sie nicht überdies dem Sterben nahe? Die Umarmung einer Sterbenden war nicht sehr gesund!

Die Königin erwartete also, wie gesagt, Weber mit großer Bangigkeit.

Die Thüre öffnete sich: sie wandte rasch die Augen nach dieser Seite. Doch statt des guten, dicken österreichischen Gesichtes ihres Milchbruders sah sie das strenge, kalte Gesicht des Doctor Gilbert erscheinen.

Die Königin liebte ihn nicht, diesen Royalisten mit den constitutionellen Theorien, welche sich bei ihm so sehr festgestellt, daß sie ihn als einen Republicaner betrachtete; und dennoch hatte sie eine gewisse Achtung vor ihm; sie hätte ihn weder bei einer körperlichen, noch bei einer moralischen Krise holen lassen; war er aber einmal da, so unterwarf sie sich seinem Einflusse.

Als sie ihn erblickte, bebte sie.

Sie hatte ihn seit dem Abend der Rückkehr von Varennes nicht gesehen.

»Sie sind es, Doctor?« murmelte sie.

Gilbert verbeugte sich und erwiederte:

»Ja, Madame, ich bin es . . . Ich weiß, das, Sie Weber erwarteten; doch die Neuigkeiten, die er Ihnen bringt, bringe ich noch genauer als er. Er war auf einer Seite der Seine, wo man nicht mordete, während ich im Gegentheil auf der Seite der Seine war, wo man mordete . . . «

»Wo man mordete! Was ist geschehen, mein Herr?« fragte die Königin.

»Ein großes Unglück, Madame: die Partei des Hofes hat gesiegt!«

»Die Partei des Hofes hat gesiegt! Und Sie nennen das ein Unglück, Herr Gilbert?«

»Ja, weil sie durch eines der entsetzlichen Mittel gesiegt hat, welche den Sieger entnerven und ihn zuweilen neben dem Besiegten hinstrecken!«

»Was ist denn vorgefallen?«

»Lafayette und Bailly haben auf das Volk geschossen, so daß nun Lafayette und Bailly außer Stande sind, Ihnen zu dienen.«

»Warum dies?«

»Weil sie ihre Popularität verloren haben.«

»Und was that das Volk, auf das man geschossen hat?«

»Es unterzeichnete eine Petition, welche die Entsetzung verlangt.«

»Die Entsetzung wessen?«

»Des Königs.«

»Und Sie finden, man habe Unrecht gehabt, auf das Volk zu schießen?« fragte die Königin, deren Auge funkelte.

»Ich glaube, man hätte besser daran gethan, es zu überzeugen, als es zu erschießen.«

»Von was überzeugen?«

»Von der Aufrichtigkeit des Königs.«

»Der König ist ja aufrichtig!«

»Verzeihen Sie, Madame . . . Vor drei Tagen habe ich den König verlassen; mein ganzer Abend verging damit, daß ich es versuchte, ihm begreiflich zu machen, seine wahren Feinde seien seine Brüder, Herr von Condé, die Emigrirten. Auf den Knieen flehte ich den König an, seine Verbindung mit ihnen abzubrechen und offen die Constitution anzunehmen, mit dem Vorbehalte, die Artikel zu revidiren, deren Ausübung zur Erkenntnis, der Unmöglichkeit ihrer Anwendung führen würde. Ueberzeugt, – ich glaubte es wenigstens, – hatte der König die Güte, mir zu versprechen, es sei vorbei zwischen ihm und der Emigration, und hinter mir, Madame, hat der König unterzeichnet und Sie unterzeichnen lassen einen Brief für seinen Bruder, für Monsieur, in welchem er ihn beim Kaiser von Oesterreich und beim König von Preußen bevollmächtigt . . . «

Die Königin erröthete wie ein Kind, das auf einem Fehler ertappt worden ist; doch ein auf einem Fehler ertapptes Kind beugt sich: sie empörte sich im Gegentheil.

»Unsere Feinde haben also Spione bis im Cabinet des Königs?«

»Ja, Madame,« erwiederte Gilbert ruhig, »und das ist es, was jeden falschen Schritt ans Seiten des Königs so gefährlich macht.«

»Aber, mein Herr, der Brief war ganz von der Hand des Königs geschrieben; er ist, sobald ich ihn unterzeichnet hatte, vom König zusammengelegt, gesiegelt und dem Courier, der ihn überbringen sollte, eingehändigt worden.«

»Das ist wahr, Madame.«

»Man hat also den Courier angehalten?«

»Der Brief ist gelesen worden.«

»Wir sind also nur von Verräthern umgeben?«

»Es sind nicht alle Menschen ein Graf von Charny.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ach! Madame, damit will ich sagen: eines der unseligen Vorzeichen, welche den Untergang der Könige prophezeien, ist, wenn sie von sich Menschen entfernen, die sie mit eisernen Banden an ihr Glück fesseln müßten.«

»Ich habe Herrn von Charny nie entfernt,« erwiederte bitter die Königin; »Herr von Charny ist es, der sich entfernt hat. Werden die Könige unglücklich, so gibt es keine Bande mehr, welche stark genug, um ihre Freunde bei ihnen zurückzuhalten!«

Gilbert schaute die Königin an und schüttelte sanft den Kopf.

»Verleumden Sie Herrn von Charny nicht, Madame, oder das Blut seiner Brüder wird aus der Tiefe des Grabes schreien, Marie Antoinette sei eine Undankbare.«

»Mein Herr!« rief Marie Antoinette.

»Oh! Sie wissen wohl, daß ich die Wahrheit spreche, Madame,« versetzte Gilbert; »Sie wissen wohl, daß eines Tags, wenn Sie eine wirkliche Gefahr bedroht, Herr von Charny an seinem Posten sein, und daß dieser Posten der der Gefahr sein wird.«

Die Königin neigte das Haupt.

»Gleichviel,« sagte sie ungeduldig, »ich denke, Sie sind nicht gekommen, um von Herrn von Charny mit mir zu reden?«

»Nein, Madame, aber die Ideen sind zuweilen wie die Ereignisse, sie verketten sich durch unsichtbare Fäden, und es werden oft plötzlich solche an den Tag gezogen, welche in der Dunkelheit des Herzens verborgen bleiben müßten . . . Nein, ich kam, um zur Königin zu sprechen; verzeihen Sie, wenn ich, ohne es zu wollen, zur Frau gesprochen habe, doch ich bin nun bereit, meinen Fehler wieder gut zu machen.«

»Und was wollten Sie der Königin sagen, mein Herr?«

»Ich wollte ihr ihre Lage, die von Frankreich, die von Europa vor die Augen stellen, ich wollte ihr sagen: »»Sie spielen um das Glück oder das Unglück der Welt in gebundener Partie; Sie haben die erste Partie am 6. October verloren; Sie haben so eben, wenigstens in den Augen Ihrer Höflinge, die zweite gewonnen. Morgen werden Sie die entscheidende Partie eingehen; verlieren Sie, so geht es um den Thron, um die Freiheit, vielleicht um das Leben!««

»Mein Herr,« sagte die Königin, indem sie sich lebhaft hoch aufrichtete, »glauben Sie, wir werden vor einer solchen Furcht zurückweichen?«

»Ich weiß, daß der König muthig ist: er ist der Enkelsohn von Heinrich IV.; ich weiß, daß die Königin heldenmüthig ist: sie ist die Tochter von Maria Theresia; ich werde es also ihnen gegenüber nie mit etwas Anderem, als der Ueberzeugung versuchen; leider bezweifle ich, daß es mir je gelingt, in das Herz des Königs und der Königin die Ueberzeugung, die in dem meinen ist, übergehen zu machen.«

»Warum nehmen Sie sich dann eine solche Mühe mein Herr, wenn Sie dieselbe für unnütz halten?«

»Um eine Pflicht zu erfüllen, Madame. Glauben Sie mir, es ist, wenn man in stürmischen Zeiten, wie in den unseren, lebt, süß, sich bei jeder Anstrengung, die man macht, und sollte diese Anstrengung auch fruchtlos sein, zu sagen: »»Es ist eine Pflicht, die ich erfülle!««

Die Königin schaute Gilbert ins Gesicht.

»Vor Allem, mein Herr,« sprach sie, »denken Sie, es sei noch möglich, den König zu retten?«

»Ich glaube es.«

»Und das Königthum?«

»Ich hoffe es.«

»Nun wohl! mein Herr,« sagte die Königin mit einem tief traurigen Seufzer, »Sie sind glücklicher als ich; ich glaube, daß der Eine und das Andere verloren sind, und ich, meines Theils, sträube mich nur zur Befreiung meines Gewissens.«

»Ja, Madame, ich begreife das, weil Sie das despotische Königthum und den absoluten König wollen; wie ein Geiziger, der selbst im Angesichte einer Küste, welche bereit ist, ihm mehr wiederzugeben, als er beim Schiffbruche verliert, nicht einen Theil von seinem Vermögen zu opfern weiß und alle seine Schätze behalten will, werden Sie mit den Ihrigen, durch ihr Gewicht fortgerissen, untergehen . . . Machen Sie den Theil des Sturmes, werfen Sie in den Abgrund die ganze Vergangenheit, wenn es sein muß, und schwimmen Sie gegen die Zukunft!«

»Die Vergangenheit in den Abgrund werfen heißt mit allen Königen Europas brechen.«

»Ja, doch es heißt einen Bund mit dem französischen Volke schließen.«

»Das französische Volk ist unser Feind!«

»Weil Sie dasselbe an Ihnen zweifeln gelehrt haben.«

»Das französische Volk kann nicht gegen ein europäisches Bündniß kämpfen.«

»Nehmen Sie an einer Spitze einen König an, der aufrichtig die Constitution will, und das französische Volk wird die Eroberung der Welt machen.«

»Hierzu braucht man eine Armee von einer Million Menschen.«

»Man macht die Eroberung Europas nicht mit einer Million Menschen, Madame: man macht die Eroberung Europas mit einer Idee. Pflanzen Sie am Rhein und auf den Alpen zwei dreifarbige Fahnen mit den Worten auf: »Krieg den Tyrannen, Freiheit den Völkern!« und Europa wird erobert sein.«

»Wahrhaftig, mein Herr, es gibt Augenblicke, wo ich versucht bin, zu glauben, die Weitesten werden Narren!«

»Ach! Madame, Madame, Sie wissen also nicht, was in diesem Moment Frankreich in den Augen der Nationen ist? Frankreich, mit einigen individuellen Verbrechen, mit einigen örtlichen Excessen, welche jedoch sein weißes Kleid nicht beflecken, seine reinen Hände nicht beschmutzen, dieses Frankreich ist die Jungfrau der Freiheit, die ganze Welt ist in es verliebt; von den Niederlanden, vom Rhein, von Italien rufen es Millionen von Stimmen an! Es braucht nur einen Fuß über die Grenze zu setzen, und die Völker werden es auf den Knieen erwarten . . . Die Hände voll von Freiheit ankommend, ist Frankreich nicht mehr eine Nation; es ist die unwandelbare Gerechtigkeit! es ist die ewige Vernunft, Oh! Madame, benutzen Sie es, daß Frankreich noch nicht den Weg der Gewaltthat betreten hat, denn wenn Sie zu lange warten, wird es diese Hände, die es über die Welt ausstreckt, gegen sich selbst umdrehen . . . Aber Belgien, aber Deutschland, aber Italien folgen jeder seiner Bewegungen mit Blicken der Freude und der Liebe. Belgien sagt zu ihm: »»Komm!«« Deutschland sagt zu ihm: »»Ich erwarte dich!«« Italien sagt zu ihm: »»Rette mich!«« Hat nicht im tiefen Norden eine unbekannte Hand auf den Tisch von Gustav geschrieben: »»Keinen Krieg mit Frankreich!«« Ueberdies ist keiner von den Königen, die Sie zu Hilfe rufen, bereit, Krieg mit uns anzufangen, Madame. Zwei Reiche hassen uns tief; wenn ich sage, zwei Reiche, so meine ich damit eine Kaiserin und einen Minister: Katharina II, und Herrn Pitt; doch sie sind machtlos gegen uns, wenigstens zu dieser Stunde. Katharina hält die Türkei unter einer ihrer Klauen und Polen unter der andern; sie wird wohl ein paar Jahre zu thun haben, um die Eine zu unterwerfen und das Andere zu verschlingen; sie treibt die Deutschen gegen uns; sie bietet ihnen Frankreich an; sie beschämt Ihren Bruder Leopold wegen seiner Unthätigkeit; sie zeigt ihm den König von Preußen, der sich Hollands bemächtigt wegen eines einfachen, seiner Schwester bereiteten Mißvergnügens; sie sagt zu ihm: »»Marschiren Sie doch!«« sie marschirt aber nicht . . . Herr, Pitt verschlingt Indien in diesem Augenblick; er ist wie die Schlange Boa: diese mühsame Verdauung macht ihn fühllos: warten wir, bis sie vollendet ist, so wird er uns ebenfalls angreifen, nicht sowohl durch den Krieg mit dem Auslande, als durch den Bürgerkrieg . . . Ich weiß, daß Sie eine tödtliche Angst vor diesem Pitt haben: ich weiß, Sie gestehen, daß Sie nicht von ihm reden, ohne den kleinen Tod zu erleiden. Wollen Sie ein Mittel, ihn im Herzen zu treffen? machen Sie aus Frankreich eine Republik mit einem König! . . . Was thun Sie statt dessen, Madame? was thut statt dessen Ihre Freundin, die Prinzessin von Lamballe? Sie sagt zu England, wo Sie sie vertritt, das ganze Trachten Frankreichs sei, zur großen Charte zu gelangen; vom König gezügelt, sei die französische Revolution im Begriffe, rückwärts zu gehen! Und was antwortet Pitt auf diese Behauptungen? er werde nicht dulden, daß Frankreich Republik werde; er werde die Monarchie retten; doch alle Schmeicheleien, alle dringende Bitten von Frau von Lamballe konnten ihn nicht zu dem Versprechen bewegen, er werde den Monarchen retten; denn den Monarchen haßt er! Hat ihm nicht Ludwig XVI., der constitutionelle König, der philosophische König, Indien streitig gemacht und America entrissen? Ludwig XVI.! Pitt wünscht nur Eines: daß die Geschichte ein Seitenstück zu Karl I. aus ihm mache!«

»Mein Herr!« rief die Königin erschrocken, »wer entschleiert Ihnen denn alle diese Dinge?«

»Dieselben Menschen, die mir sagen, was in den Briefen steht, die Eure Majestät schreibt.«

»Wir haben also keinen Gedanken mehr, der uns gehört?«

»Ich habe Ihnen gesagt, Madame, die Könige seien von einem unsichtbaren Netze umhüllt, in dem sich diejenigen, welche widerstehen wollten, vergebens zerarbeiten werden. Widerstehen Sie nicht, Madame: stellen Sie sich an die Spitze der Ideen, die Sie rückwärts zu ziehen versuchen, und das Netz wird für Sie eine Rüstung werden, und diejenigen, welche Sie hassen, werden Ihre Vertheidiger werden, und die unsichtbaren Dolche, die Sie bedrohen, werden zu Schwertern werden, bereit, Ihre Feinde zu schlagen.«

»Aber, mein Herr, Sie vergessen immer, daß diejenigen, welche Sie unsere Feinde nennen, die Könige unsere Brüder sind.«

»Ei! Madame, nennen Sie einmal die Franzosen Ihre Kinder, und Sie werden sehen, wie wenig Ihnen dann diese Brüder der Politik und der Diplomatie noch sind! Scheinen Ihnen nicht überdies alle diese Könige, alle diese Fürsten mit dem unseligen Siegel des Wahnsinns gezeichnet? Fangen wir mit Ihrem Bruder Leopold an, der, hinfällig in seinem vierzigsten Jahre, mit seinem von Toscana nach Wien transportirten Harem, seine verscheidenden Fähigkeiten durch mörderische Reizmittel, die er selbst fabricirt, wiederzubeleben sucht.42 Sehen Sie Friedrich; sehen Sie Gustav; der Eine ist todt, der Andere wird ohne Nachkommenschaft sterben, denn in den Augen Aller ist es bekannt, daß der königliche Erbe Schwedens der Sohn von Monk und nicht von Gustav . . . Sehen Sie den König von Portugal mit seinen dreihundert Nonnen . . . Sehe Sie den König von Sachsen43 mit seinen dreihundert und vierundfünfzig Bastarden . . . Sehen Sie Katharina, diese Pasiphaë des Norden, welche drei Heere zu Liebhabern hat! . . . Oh! Madame, bemerken Sie nicht, daß alle diese Könige und alle diese Königinnen dem Abgrunde, dem Selbstmorde zugehen? und daß, wenn Sie wollten, . . . Sie! statt dem Abgrunde, dem Selbstmorde zuzuschreiten, zur Herrschaft der Welt, zur Universalmonarchie schreiten würden?«

»Warum sagen Sie das nicht dem König, Herr Gilbert?« fragte die Königin erschüttert.

»Ei! mein Gott! ich sage es ihm, doch wie Sie die Ihren haben, so hat er seine bösen Geister, welche wieder zerstören, was ich gemacht habe.«

Dann mit tiefer Schwermuth: »Sie haben Mirabeau gebraucht, Sie gebrauchen Barnave; Sie werden nach ihnen und wie sie mich gebrauchen, und Alles wird abgemacht sein!«

»Herr Gilbert,« sprach die Königin, »erwarten Sie mich hier . . . ich gehe einen Augenblick zum König und komme wieder.«

Gilbert verbeugte sich; die Königin ging an ihm vorüber und entfernte sich durch die Thüre, welche zum König führte.

Der Doctor wartete zehn Minuten, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde; endlich öffnete sich eine Thüre, jedoch der gegenüber, durch welche die Königin weggegangen war.

Es war ein Huissier, der, nachdem er ängstlich nach allen Seiten geschaut hatte, auf Gilbert zuging, ein Freimaurerzeichen machte, ihm einen Brief übergab und sich wieder entfernte.

Gilbert öffnete den Brief und las:

»Du verlierst Deine Zeit, Gilbert; in diesem Augenblick hören der König und die Königin Herrn von Breteuil, der von Wien kommt und ihnen folgenden politischen Plan bringt.

42.Ein deutscher Historiker dürfte schwerlich diese Passage unterzeichnen. D. Uebers.
43.Einen König von Sachsen zählte Deutschland zu jener Zeit nicht unter seinen Fürsten. D. Ubers.