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Buch lesen: «Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4», Seite 116

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Ein Beschluß der Commune verbot jedem Bürger, der nicht zur bewaffneten Miliz gehörte, auf den Straßen zu gehen, welche gegen das Boulevard mündeten, oder sich an den Fenstern beim Vorüberkommen des Zuges zu zeigen.

Der schwer bewölkte, trübe Himmel ließ übrigens nur einen Wald von Pieken sehen, unter denen kaum ein paar Bajonnete glänzten; vor dem Wagen marschirten die Reiter, und vor den Reitern kam eine Menge von Trommlern.

Der König hätte gern mit seinem Beichtiger sprechen mögen, doch er konnte nicht wegen des Lärmens. Der Abbé von Firmont lieh ihm sein Brevier: er las.

Bei der Porte Saint-Denis richtete er den Kopf auf, da er ein besonderes Geschrei zu hören glaubte.

Es stürzten in der That etwa zehn junge Leute durch die Rue Beanregard, durchschnitten, mit dem Säbel in der Faust, die Menge und schrieen:

»Herbei Alle, die den König retten wollen!«

Dreitausend Verschworene sollten auf diesen Ruf, den der Baron von Batz, ein Abenteurer, that, antworten; er gab muthig das Signal, doch von dreitausend Verschworenen antworteten kaum Einige. Der Baron von Batz und diese acht bis zehn verlorenen Söhne des Königthums, als sie sahen, daß nichts zu machen war, benützten die durch ihren Versuch hervorgebrachte Verwirrung und verschwanden in dem der Porte Saint-Denis benachbarten Straßennetze.

Dieser Umstand hatte den König seinen Gebeten entzogen, doch er war von so geringer Bedeutung, daß der Wagen nicht einmal anhielt. – Als er endlich, nach Verlauf von zwei Stunden und zehn Minuten, hielt, war er am Ziele seiner Fahrt angelangt.

Sobald der König fühlte, die Bewegung habe aufgehört, neigte er sich zum Ohre des Priesters und sagte:

»Wir sind an Ort und Stelle, mein Herr, wenn ich mich nicht täusche.«

Herr von Firmont schwieg.

In demselben Momente öffnete einer von den drei Brüdern Samson, den Henkern von Paris, den Kutschenschlag.

Da legte der König die Hand auf das Knie des Abbé Firmont und sprach mit gebietendem Tone:

»Meine Herren, ich empfehle Ihnen diesen würdigen Mann hier. Tragen Sie Sorge, daß ihm nach meinem Tode kein Leid geschehe; ich beauftragt Sie, darüber zu wachen.«

Unterdessen waren die beiden andern Nachrichter an den Wagen gekommen.

»Ja, ja,« antwortete einer von ihnen, »wir werden schon dafür sorgen, lassen Sie uns nur machen.«

Ludwig stieg aus.

Die Henkersknechte kamen auf ihn zu und wollten ihm seinen Frack ausziehen: aber er wies sie mit stolzer Geberde zurück und begann sich allein zu entkleiden.

Einige Augenblicke blieb der König allein in dem Kreise, der sich um ihn gebildet hatte; er warf den Hut auf die Erde, zog den Rock aus und knüpfte das Halstuch auf.

Nun aber traten die Nachrichter auf ihn zu. Einer von ihnen hatte einen Strick in der Hand.

»Was wollen Sie?« fragte der König.

»Ihnen die Hände binden,« antwortete der Mann, der den Strick trug.

»Das leide ich nicht,« sagte der König dessen Gefühl sich empörte; »lassen Sie das; thun Sie, was Ihnen befohlen ist, aber binden lasse ich mich nicht.«

Die Nachrichter begannen laut zu sprechen, es fehlte nicht viel, so hätten sie Gewalt gebraucht, und der Märtyrer hätte die Achtung und Theilnahme. die er sich durch sechs Monate der Ruhe und Ergebung erworben, wieder verscherzt; da näherte sich einer der drei Brüder Samson, der von Mitleid gerührt war und dennoch die traurige Pflicht hatte, den schrecklichen Befehl zu vollziehen.

»Sire,« sagte er ehrerbietig, »mit diesem Schnupftuch.«

Der König sah seinen Beichtvater an. Dieser nahm seine Fassung zusammen, um zu sprechen.

»Sire,« sagte er, »Ew. Majestät werden dadurch dem Heiland, der Sie nun bald belohnen wird, um so ähnlicher werden.«

Der König blickte mit unendlichem Schmerz zum Himmel auf.

»Sie haben Recht,« sagte er, »nur sein Beispiel kann mich bewegen, in eine solche Beschimpfung zu willigen . . . Thut, was Ihr wollt,« sagte er zu den Henkern, indem er die Hände ausstreckte, »ich will den Leidenskelch bis auf den Grund leeren.«

Die Stufen den Blutgerüstes waren hoch und glatt; er stieg sie am Arme des Priesters hinan. Edgeworth fürchtete eine Schwäche in diesem letzten Augenblicke, denn er fühlte den Arm den Königs schwer auf dem seinigen. Aber auf der obersten Stufe entschlüpfte Ludwig XIV. So zu sagen den Händen seines Beichtvaters, wie die Seele aus seinem Körper entweichen sollte, und ging rasch auf die andere Seite der Plattform.

Er war sehr roth und hatte nie so lebhaft und feurig ausgesehen.

Die Trommeln wurden gerührt, er brachte sie durch einen gebieterischen Blick zum Schweigen und sprach mit starker Stimme folgende Worte:

»Ich sterbe unschuldig aller Verbrechen, die man mir zur Last legt: ich verzeihe den Urhebern meines Todes und bitte Gott, daß das Blut, das Ihr jetzt vergießen werdet, nie über Frankreich komme.«

»Schlagt, Trommler!« rief eine Stimme, von der man lange geglaubt hat, es sei die von Santerre gewesen, während es die von Herrn von Beaufranchet, Grafen d’Oyat, Bastardsohn von Ludwig XV. und der Courtisane Morphise war. – Es war also der natürliche Oheim des Verurtheilten.

Die Trommler schlugen.

Der König stampfte mit dem Fuße.

»Schweigt!« rief er mit einem entsetzlichen Ausdrucke; »ich habe noch zu sprechen!«

Doch die Trommler setzten ihr Rasseln fort.

»Thut Eure Pflicht,« brüllten die Piekenmänner, die das Schaffot umgaben, den Henkern zu.

Diese fielen über den König her, als er langsam, einen Blick auf das schief geschnittene Eisen werfend, von dem er selbst ein Jahr vorher die Zeichnung gegeben, zum Fallbeile zurückkehrte.

Dann richtete sich sein Blick wieder auf den Priester, welcher knieend am Rande des Schafotts betete.

Es entstand eine verworrene Bewegung hinter den zwei Pfosten der Guillotine: das Brett schlug um, der Kopf des Verurtheilten erschien an der Oeffnung, ein Blitz glänzte, ein matter Schlag erscholl, und man sah nur noch einen breiten Blutstrahl.

Da hob einer von den Henkern den Kopf auf und zeigte ihn dem Volke, die Ränder des Schafotts mit dem königlichen Blute besprengend.

Bei diesem Anblicke brüllten die Piekenmänner vor Freude; sie stürzten hinzu und tauchten in das Blut die Einen ihre Pieken, die Andern ihre Säbel, – ihre Taschentücher, diejenigen, welche hatten; dann schrieen sie: »Es lebe die Republik!«

Doch zum ersten Male erlosch dieser große Schrei, der die Völker vor Freude schauern gemacht hatte, ohne Echo. Die Republik hatte an der Stirne einen von den unseligen Flecken, die sich nie verwischen! sie hatte wie später ein großer Diplomat sagte, weit mehr als ein Verbrechen begangen: sie hatte einen Fehler begangen.

Es herrschte in Paris ein ungeheures Gefühl de Bestürzung; bei Einigen ging diese Bestürzung bis zur Verzweiflung: eine Frau warf sich in die Seine; ein Perrückenmacher schnitt sich den Hals ab; ein Buchhändler wurde wahnsinnig; ein ehemaliger Officier starb vor Schrecken.

Am Anfange der Sitzung des Convents wurde ein Brief vom Präsidenten geöffnet; er war von einem Manne, welcher verlangte, daß der Körper von Ludwig XVI. ihm übergeben werde, damit er ihn bei seinem Vater beerdige.

Es blieben also dieser Kopf und dieser Leib, welche von einander getrennt waren; sehen wir, was daraus wurde.

Wir kennen keine so erschreckliche Erzählung, als gerade den Text des Beerdigungsprotocolls; dieses folgt hier, so wie es am Tage selbst abgefaßt wurde.

Protocoll der Beerdigung von Ludwig
Capet

»Am 21. Januar 1793, im Jahre II, der französischen Republik, haben wir unterzeichnete Administratoren des Departement Paris, bevollmächtigt vom Generalrathe des Departement kraft der Beschlüsse des provisorischen Vollziehungsraths, uns in die Wohnung des Bürgers Ricave, Pfarrers von Sainte-Madeleine, verfügt; wir fanden ihn zu Hanse und fragten ihn, ob er für die Ausführung der Maßregeln, mit denen ihn am Tage vorher der Vollziehungsrath und das Departement beauftragt, Sorge getragen habe. Er antwortete uns, er habe von Punkt zu Punkt vollführt, was ihm der Vollziehungsrath und das Departement befohlen, und Alles werde im Augenblicke bereit sein.

»Von da begaben wir uns, in Begleitung der Bürger Renard und Damoreau, welche, Beide Vicare der Sainte-Madeleine-Pfarrei, vom Bürger Pfarrer beauftragt waren, die Beerdigung von Ludwig Capet vorzunehmen, nach einem Orte des Friedhofes der genannten Pfarrei, der in der Rue d’Anjou Saint-Honoré liegt, wo wir bei unserer Ankunft die Ausführung der von uns dem Bürger Pfarrer, kraft des Auftrags, welchen wir vom Generalrathe des Departements erhalten, ertheilten Befehle wahrnahmen.

»Bald nachher wurde in dem Friedhofe durch eine Abtheilung Gendarmerie zu Fuße der Leichnam von Ludwig Capet niedergelegt, den wir in seinen Gliedern ganz erkannten, während der Kopf vom Rumpfe getrennt war; wir bemerkten, daß die Haare am Hinterhaupte abgeschnitten waren, und daß der Leichnam keine Halsbinde, keinen Rock und keine Schuhe hatte; er war übrigens mit einem Hemde, mit einer gesteppten Weste, mit grauen Tuchhosen und grauen seidenen Strümpfen bekleidet.

»So gekleidet, wurde er in einen Sarg gelegt; diesen Sarg versenkte man in das Grab, das man auf der Stelle wieder bedeckte. Und das Ganze wurde angeordnet und ausgeführt auf eine den vom provisorischen Vollziehungsrathe der französischen Republik gegebenen Befehlen entsprechende Weise; und wir haben mit den Bürgern Ricave, Renard und Damoreau, Pfarrer und Vicaren von Sainte-Madeleine unterzeichnet.

Leblane, Administrator des Departement;
Dubois, Administrator des
Departement; Damoreau, Ricave, Renard.«

So starb am 21. Januar 1793 und wurde beerdigt der König Ludwig XVI.

Er war nenn und dreißig Jahre, fünf Monate und drei Tage alt: er hatte achtzehn Jahre regiert und war fünf Monate und acht Tage Gefangener geblieben.

Sein letzter Wunsch ging nicht in Erfüllung, und sein Blut ist nicht nur auf Frankreich, sondern auf ganz Europa zurückgefallen.

CLXXXII
Ein Rath von Cagliostro

Am Abend dieses entsetzlichen Tages, während die Piekenmänner durch die verödeten und erleuchteten Straßen von Paris, welche durch ihre Illumination noch trauriger geworden, am Ende ihrer Gewehre mit Blut befleckte Fetzen von Sacktüchern und Hemden tragend, umherliefen Und: »Der Franzose ist todt! Seht hier ist das Blut des Tyrannen!« schrieen, – befanden sich im ersten Stocke eines Hauses der Rue Saint-Honoré zwei Männer in gleicher Stille, doch in sehr verschiedener Haltung.

Der Eine saß, schwarz gekleidet, an einem Tische, den Kopf auf seine Hände gestützt und entweder in tiefe Träumerei oder in einen tiefen Schmerz versunken; der Andere, der Tracht eines Landsmannes hatte, ging mit großen Schritten, das Auge düster und die Stirne gefaltet, die Arme auf der Brust gekreuzt, auf und ab; nur, so oft dieser bei seinem Gang, der schräg das Zimmer entzwei schnitt, am Tische vorbeikam, warf er verstohlen auf den Anderen einen fragenden Blick.

Seit wie lange waren sie Beide so? Wir vermöchten es nicht zu sagen. Endlich aber schien der Mann in der Tracht des Landmannes, mit den gekreuzten Armen, mit der gefalteten Stirne, mit dem düsteren Auge, dieses Stillschweigens müde zu werden, und dem Manne im schwarz Rocke und mit der auf seine Hände gestützten Stirne gegenüber anhaltend, sagte er, indem seinen Blick auf denjenigen Heftete, an welchen er sich wandte:

»Ah! Bürger Gilbert, Sie denken also, ich sei ein Schurke, weil ich für den Tod des Königs gestimmt habe?«

Der Mann im schwarzen Rocke richtete den Kopf auf, schüttelte seine melancholische Stirne, reichte seinem Gefährten die Hand und sprach:

»Nein, Billot, Sie sind eben so wenig ein Schurke, als ich ein Aristokrat bin; Sie haben nach Ihrem Gewissen gestimmt, und ich, ich habe nach dem meinigen gestimmt, nur habe ich für das Leben gestimmt, und Sie für den Tod. Es ist aber etwas Ungesetzliches, einem Menschen das zu nehmen, was ihm keine menschliche Macht wiedergeben kann!«

»Ihrer Ansicht nach ist also der Despotismns unverletzlich?« rief Billot; »die Freiheit ist eine Empörung, und es gibt nur Gerechtigkeit hienieden für die Könige, das heißt für die Tyrannen? Was wird dann den Völkern noch bleiben? Das Recht, zu dienen und zu gehorchen! Und Sie, Herr Gilbert, der Schüler von Jean-Jacques, der Bürger der Vereinigten Staaten, Sie sagen dies?«

»Ich sage dies nicht, Billot, denn das hieße eine Gottlosigkeit gegen die Völker ausprechen.«

»Hören Sie, ich will zu Ihnen, Herr Gilbert, mit der Brutalität meines plumpen Verstandes reden, und ich erlaube Ihnen, mir mit allen Freiheiten Ihres Geistes zu antworten. Geben Sie zu, daß eine Nation, die sich unterdrückt glaubt, das Recht hat, ihre Kirche aus dem Besitze zu treiben, ihren Thron zu erniedrigen oder abzuschaffen, zu kämpfen und sich zu befreien?«

»Allerdings.«

»Dann hat sie das Recht, die Resultate ihres Sieges zu befestigen?«

»Ja, Billot, sie hat unstreitig dieses Recht; doch man befestigt nichts mit der Gewaltthat, mit dem Morde. Erinnern Sie sich, daß geschrieben steht: »»Mensch, Du hast nicht das recht, Deines Gleichen zu tödten!.««

»Der König ist aber nicht meines Gleichen!« rief Billot: »Der König ist mein Feind! Ich erinnere mich, als meine Mutter mir die Bibel vorlas, ich erinnere mich dessen, was Samuel zu Israeliten sagte, als sie einen König von ihm verlangten.«

»Ich erinnere mich dessen auch, Billot, und dennoch salbte er Saul, und tödtete ihn nicht.«

»Oh! ich weiß, daß ich, »wenn ich mich mit Ihnen in die Wissenschaft werfe, verloren bin. Ich sage Ihnen auch ganz einfach: Hatten wir das recht, die Bastille zu nehmen?«

»Ja.«

»Hatten wir das recht, als der König die constituirende Versammlung durch das fest der Gardes du corps und durch das Zusammenziehen von Truppen in Versailles einschüchtern wollte, – hatten wir das Recht, den König in Versailles zu holen und nach Paris zurückzuführen?«

»Ja.«

»Hatten wir das Recht, den König in Varennes anzuhalten, als er fliehen und zum Feinde übergehen wollte?«

»Ja.«

»Hatten wir das Recht, als wir, nachdem er die Constitution von 1791 beschworen, den König mit der Emigration parlamentiren und mit dem Auslande conspiriren sahen, hatten wir das Recht, den 20. Juni zu machen?«

»Ja.«

»Als er die Sanction Gesetzen verweigerte, die dem Willen des Volkes entflossen waren, hatten wir das Recht, den 10. August zu machen, das heißt die Tuilerien zu nehmen und die Absetzung zu proclamiren?«

»Ja.«

»Hatten wir das Recht, als, in den Tempel eingeschlossen, der König eine lebendige Verschwörung gegen die Freiheit zu sein fortfuhr, hatten wir da das Recht, ihn vor den Nationalconvent zu stellen, der ihn zu richten ernannt worden war?«

»Ihr hattet es.«

»Hatten wir das Recht, ihn zu richten, so hatten wir auch das Recht, ihn zu verurtheilen.«

»Ja, zum Exile, zur Verbannung, zum Gefängniß, zu Allem, nur nicht zum Tode.«

»Und warum nicht zum Tode?«

»Weil er, schuldig im Resultate, es nicht in der Absicht war. Sie richteten ihn aus dem Gesichtspunkte des Volkes, Sie, mein lieber Billot; er hatte aus dem Gesichtspunkte des Königthums gehandelt. War es ein Tyrann, wie Sie ihn nennen? Nein. Ein Schuldgenoß der Aristokratie? Nein. Ein Feind der Freiheit? Nein.«

»Somit haben Sie ihn aus dem Gesichtspunkte des Königthum gerichtet?«

»Nein, denn aus dem Gesichtspunkte des Königthums hätte ich ihn freigesprochen.«

»Haben Sie ihn nicht für das Leben stimmend freigesprochen?«

»Ja, doch mit dem lebenslänglichen Gefängniß. Billot, glauben Sie mir, ich habe ihn noch parteiischer gerichtet, als ich gern hätte mögen. Ich bin ein Mann aus dem Volke, oder vielmehr ein Sohn des Volkes, und so neigte sich die Waage, die ich in der Hand hielt, auf die Seite des Volkes. Sie haben ihn von fern angeschaut, Billot, und Sie haben ihn nicht gesehen, wie ich: schlecht befriedigt von Seiten des Königthums das man ihm gemacht hatte, nach einer Seite gezerrt durch die Nationalversammlung, die ihn zu mächtig fand; nach der andern durch eine ehrgeizige Königin; wieder nach einer andern durch einen unruhigen und gedemüthigten Adel; nach einer andern durch eine unversöhnliche Geistlichkeit; nach einer andern durch eine selbstsüchtige Emigration; nach einer andern endlich durch seine Brüder welche durch die Welt gingen, um in seinem Names Feinde gegen die Revolution zu finden. Sie haben es gesagt, Billot, der König war nicht Ihres Gleichen: er war Ihr Feind. Ihr Feind ist aber besiegt, und man tödtet nicht einen besiegten Feind. Ein Mord mit kaltem Blute ist kein Unheil; das ist eine Opferung, eine Schlachtung. Ihr habt dem Königthum etwas vom Märtyrthum, der Gerechtigkeit etwas von der Rache gegeben. Nehmt Euch in Acht! nehmt Euch in Acht! indem Ihr zu viel thatet, habt Ihr nicht genug gethan. Karl I. ist hingerichtet worden, und Karl II. ist König gewesen. Jacob II, in verbannt worden, und seine Söhne sind in der Verbannung gestorben. Die menschliche Natur ist pathetisch, Billot, und wir haben auf fünfzig Jahre, auf hundert vielleicht, die ungeheure Partei der Bevölkerung, welche die Revolutionen mit dem Herzen beurtheilt, von uns abwendig gemacht. Oh! glauben Sie mir, mein Freund, es sind die Republikaner, die am meisten das Blut von Ludwig XVI. beklagen müssen; denn dieses Blut wird auf sie zurückfallen und ihnen die Republik kosten.«

»Es ist Wahres an dem, was Du da sagst, Gilbert.« erwiederte eine Stimme, weiche von der Eingangsthüre herkam.

Die zwei Männer schauerten und wandten sich mit einer gleichzeitigen Bewegung um; dann riefen sie mit derselben Stimme:

»Cagliostro!«

»Ei? mein Gott, ja,« antwortete dieser. »Doch es ist auch Wahres an dem, was Billot sagt.«

»Ach!« sprach Gilbert, »das ist gerade das Unglück, daß die Sache, die wir plaidiren, ein doppeltes Gesicht hat, und daß Jeder, indem er sie von seiner Seile betrachtet, sagen kann: Ich habe Recht!«

»Ja, doch er muß sich auch sagen lassen, er habe Unrecht.«

»Ihre Ansicht, Meister?« fragte Gilbert.

»Ja, Ihre Ansicht?« sagte Billot.

»Ihr habt jüngst den Angeklagten gerichtet,« erwiederte Cagliostro; »ich, ich will das Urtheil richten. Hättet Ihr den König verurtheilt, so hättet Ihr Recht gehabt. Ihr habt den Menschen verurtheilt, und Ihr habt Unrecht gehabt!«

»Ich begreife nicht,« sagte Billot.

»Hören Sie, denn ich errathe,« sagte Gilbert.

Cagliostro fuhr fort:

»Man mußte den König tödten, als er in Versailles oder in den Tuilerien war, dem Volke unbekannt, hinter seinem Netze von Höflingen und seiner Mauer von Schweizern; man mußte ihn am 5. October oder am 10. August tödten: am 5. October, am 10. August war er ein Tyrann! Nachdem man ihn aber fünf Monate im Tempel gelassen, – in Verbindung mit Allen, essend vor Allen, schlafend unter den Augen Aller, Kamerad des Proletariers, des Arbeiters, des Handelsmanns, durch diese falsche Erniedrigung zur Menschenwürde erhoben, – mußte man ihn als Menschen behandeln, das heißt verbannen oder einsperren!«

»Ich verstand Sie nicht,« sagte Billot zu Gilbert, »und nun verstehe ich den Bürger Cagliostro.«

»Ei! allerdings, in diesen fünf Monaten der Gefangenschaft zeigt man ihn Euch in dem, was er Rührendes, Unschuldiges, Ehrwürdiges hat; man zeigt ihn Euch als guten Gatten, als guten Vater, als guten Menschen. Die Dummköpfe! Ich hätte ihnen mehr Einsicht und Klugheit zugetraut . . . Wie der Bildhauer aus einem grob behauenen Marmorblock eine wundervolle Statue macht, so wird dieser prosaische, nur für seine sinnlichen Bedürfnisse lebende, weder gute noch böse, schwachköpfige, frömmelnde Mann zu einem Urbild des Muthes, der Geduld und Ergebung. So weit geht die Unklugheit der jetzigen Machthaber! Ist es doch so weit gekommen, daß ihn seine Gemahlin liebt! . . . Lieber Gilbert,« setzte Cagliostro lachend hinzu, »wer hätte am 14. Juli, am 5. und am 6. October, am 10. August gedacht, daß die Königin jemals lieben werde?«

»O! wenn ich das hätte ahnen können . . .« sagte Billot mit tiefem Schmerz.

»Was hätten Sie gethan, Billot?« Fragte Gilbert.

»Was ich gethan hätte? Ich hätte ihn getödtet, entweder am 10. Juli, oder am 5. und 6. Oktober, oder am 10. August; das wäre mir leicht gewesen.«

Diese Worte wurden mit einem so düsteren Ausdrucke von Patriotismus gesprochen, daß Gilbert sie verzieh, daß Cagliostro sie Bewunderte.

»Ja,« sagte dieser, nachdem er einen Augenblick geschwiegen, »doch Sie haben es nicht gethan. Sie Billot, haben für den Tod gestimmt; Sie Gilbert, haben für das Leben gestimmt . . . Wollen Sie nun einen letzten Rath hören? Sie, Gilbert, haben sich nun zum Mitgliede des Convents ernennen lassen, um eine Pflicht zu üben; Sie, Billot, um eine Rache zu vollführen: Pflicht und Rache, Alles ist erfüllt; Ihr habt nichts mehr hier zu thun, geht!«

Die zwei Männer schauten Cagliostro an.

»Ja,« sprach dieser, »Ihr seid, weder der Eine, noch der Andere, Parteimänner: Ihr seid Menschen des Instincts. Nun, da der König todt ist, werden sich die Parteien einander gegenüberstellen, und stehen sie einmal einander gegenüber, so werden sie sich vernichten. Welche Partei wird zuerst unterliegen? ich weiß es nicht; doch ich weiß, daß sie nach einander unterliegen werden: morgen, Gilbert, wird man also Ihnen ein Verbrechen aus Ihrer Nachsicht machen, und übermorgen, vielleicht früher, Ihnen, Billot, aus Ihrer Strenge. Glaubet mir, bei dem Kampfe auf Leben und Tod, der sich zwischen dem Hasse, der Furcht, der Rache, dem Fanatismus vorbereitet, werden sehr Wenige rein bleiben; die Einen werden sich mit Koth, die Andern mit Blut beflecken. Gebt, meine Freunde! geht!«

»Aber Frankreich?« sagte Gilbert.

»Ja, Frankreich?« wiederholte Billot.

»Frankreich ist materiell gerettet,« erwiederte Cagliostro; »der äußere Feind ist geschlagen, der innere Feind ist todt. So gefährlich für die Zukunft das Schaffot vom 21. Januar ist, es ist unstreitig eine große Macht in der Gegenwart: die Macht der Entschließungen ohne Rückkehr. Die Hinrichtung von Ludwig XVI. Bietet Frankreich der Rache der Throne dar, und gibt der Republik die krampfhafte, verzweifelte Stärke der zum Tode verurtheilten Nationen. Seht Athen in den alten Zeiten, seht Holland in den neueren Zeiten. Die Transactionen, die Negociationen, die Unschlüssigkeiten, haben von diesem Morgen an aufgehört; die Revolution hält das Beil in einer, Hand, die dreifarbige Fahne, in der andern. Geht ruhig: ehe sie das Beil niederlegt wird die Aristokratie enthauptet sein; ehe sie die dreifarbige Fahne niederlegt, wird Europa besiegt sein . . . säumet nicht Freunde, und gehet.

»Gott ist mein Zeuge,« sagte Gilbert, »daß ich Frankreich gern verlassen werde, wenn uns die von Ihnen prophezeithe Zukunft bevorsteht . . . Aber wohin sollen wir uns wenden?«

»Undankbarer!« eiferte Cagliostro, »denkst Du denn nicht an Amerika, Dein zweites Vaterland? Hast Du sie vergessen die herrlichen Landseen, die Urwälder, die unermeßlichen Prairien? Fühlst Du nach den furchtbaren Stürmen und Ungewittern, die jetzt die Gesellschaft erschüttern, nicht das Bedürfniß der Ruhe in der Natur?«

»Werden Sie mir folgen, Billot?« fragte Gilbert aufstehend.

»Werden Sie mir verzeihen?« fragte Billot, auf den Doktor zutretend.

Die zwei Freunde warfen sich einander in die Arme.

»Es ist gut,« sagte Gilbert, »wir werden reisen.«

»Wann?« fragte Cagliostro.

»In . . . acht Tagen.«

Cagliostro schüttelte den Kopf.

»Sie werden heute Abend reisen,« sagte er.

»Warum heute Abend?«

»Weil ich morgen reise.«

»Und wohin gehen Sie?«

»Freunde, Ihr werdet es eines Tags erfahren!«

»Aber wie sollen wir abreisen?«

»Der Franklin gebt in sechsunddreißig Stunden nach Amerika unter Segel.«

»Doch die Pässe?«

»Hier, sind sie.«

»Mein Sohn?«

Cagliostro öffnete die Türe.

»Treten Sie ein Sebastian,« sprach er; »Ihr Vater ruft Sie.«

Der junge Mann trat ein und warf sich seinem Vater in die Arme.

Billot seufzte tief.

»Es fehlt uns nur noch eine Postchaise,« sagte Gilbert.

»Die meinige steht angespannt vor der Thüre,« antwortete Cagliostro.

Gilbert ging an einen Secretär, wo die gemeinschaftliche Börse war, – ungefähr tausend Louis d’or, – und bedeutete Billot durch einen Wink, er möge seinen Theil nehmen.

»Haben wir genug?« fragte Billot.

»Wir haben mehr, als wir brauchen, um eine Provinz zu kaufen.«

Billot schaute mit einer gewissen Verlegenheit umher.

»Was suchen Sie, mein Freund?« fragte Gilbert.

»Ich suche etwas, was mir unnütz wäre, wenn ich es fände, da ich nicht schreiben kann.«

Gilbert lächelte, nahm eine Feder, Tinte und Papier.

»Dictiren Sie,« sprach er.

»Ich möchte gern Pitou ein Wort des Abschieds schicken.«

»Ich übernehme das für Sie,« erwiederte Gilbert.

Und er schrieb.

Als er zu Ende war, fragte ihn Billot:

»Was haben Sie geschrieben?«

Gilbert las:

»Mein lieber Pitou,

»Wir verlassen Frankreich, Billot, Sebastian und ich, und wir umarmen Sie alle Drei zärtlich.

»Wir denken, da Sie an der Spitze des Pachthose stehen, so brauchen Sie nichts.

»Eines Tages werden wir Ihnen wahrscheinlich, schreiben, Sie mögen uns nachfolgen.

»Ihr Freund Gilbert.«

»Ist das Alles?« fragte Billot.

»Es ist eine Nachschrift dabei,« erwiederte Gilbert.

»Welche?«

Gilbert schaute dem Pächter ins Gesicht und sprach:

»Billot empfiehlt Ihnen Catherine.«

Billot gab einen Ausruf der Dankbarkeit von sich und warf sich Gilbert in die Arme.

Zehn Minuten nachher rollte die Postchaise, welche Gilbert, Sebastian und Billot weit von Paris wegführte, auf der Straße nach dem Havre.