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Buch lesen: «Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4», Seite 102

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Die Revolution, das heißt Frankreich; nicht allein Frankreich, – denn das wäre nichts: die Völker sind gemacht, um als Brandopfer für die Ideen zu dienen; – nicht allein Frankreich, sondern auch der Gedanke Frankreichs!

Warum hat Frankreich auch zuerst das Wort Freiheit ausgesprochen? Es hat eine heilige Sache, das Licht der Augen, das Leben der Seelen zu proclamieren geglaubt; es hat gesagt: »Freiheit für Frankreich! Freiheit für Europa! Freiheit für die Welt!« es hat die Erde emancipirend etwas Großes zu thun geglaubt, und siehe, es hat sich getäuscht, wie es scheint! siehe, Gott hat ihm Unrecht gegeben! siehe, die Vorsehung ist gegen Frankreich! siehe, während es unschuldig und erhaben zu sein meinte, war es strafbar und schändlich! siehe, während es eine große Handlung zu vollbringen glaubte, hat es ein Verbrechen begangen! siehe, man richtet, man verurtheilt, man enthauptet es, man schleppt es zum Hochgerichte des Weltalls, und das Weltall, für dessen Heil es stirbt, klatscht bei deinem Tode Beifall.

So war Jesus Christus, der für das Heil der Welt gekreuzigt wurde, unter dem Gespötte und den Schmähungen der Welt gestorben.

Doch, um dem Auslande die Stirne zu bieten, um ihm Widerstand zu leisten, hat dieses arme Volk vielleicht eine Stütze in sich selbst? Diejenigen, welche es angebetet, diejenigen, welche es bereichert, diejenigen, welche es bezahlt hat, werden es vielleicht vertheidigen?

Nein.

Sein König conspiriert mit dem Feinde und correspondirt vom Tempel aus, wo er eingeschlossen ist, fortwährend mit den Oesterreichern und den Preußen; ein Adel marschiert, unter seinen Prinzen organisiert, gegen dasselbe; seine Priester stacheln die Bauern zur Empörung auf.

Aus der Tiefe ihrer Kerker klatschten die königlichen Gefangenen in die Hände bei den Niederlagen Frankreichs; die Preußen bei Longwy haben im Tempel und in der Abtei einen Freudenschrei ausstoßen gemacht.

Danton, der Mann der äußersten Entschlüsse, ist brüllend in die Nationalversammlung ein getreten.

Der Minister der Justiz hält die Justiz für machtlos und verlangt, daß man ihm die bewaffnete Macht geht, und die Justiz wird dann, unterstützt durch die bewaffnet Macht, marschieren.

Er besteigt die Tribune, schüttelt eine Löwenmähne und streckt seine gewaltige Hand aus, welche am 10. August die Thore der Tuilerien gesprengt hat.

»Es braucht eine nationale Zuckung, um die Despoten zurückgehen zu machen,« sagte er. »Bis jetzt haben wir nur einen Scheinkrieg gehabt; von diesem elenden Spiele darf nun nicht mehr die Rede sein.« Das Volk muß sich auf die Feinde stürzen, um sie mit einem Schlage zu vertilgen; man muß zu gleicher Zeit alle Verschwörer in Fesseln schlagen, man muß sie unschädlich machen.«

Und Danton fordert das Aufgebot in Masse, die Haussuchungen, die nächtlichen Nachforschungen, mit Todesstrafe gegen Jeden, der die Operationen der provisorische Regierung hemme.

Danton erhielt Alles, was er forderte.

Hätte er mehr verlangt, er würde mehr erhalten haben.

»Nie,« sagt Michelet, »nie war ein Volk so weit in den Tod eingetreten. Als Holland, da es Ludwig V. vor seinen Thoren sah, kein anderes Hilfsmittel mehr hatte, als sich unter Wasser zu setzen, sich selbst ertränken, war es in geringerer Gefahr: es hatte Europa für sich. Als Athen den Thron von Xerzes auf dem Felsen von Salamis sah, als es das Land verlor, ins Meer warf und nur noch das Wasser zur Heimath hatte, war es in geringerer Gefahr: es war ganz auf seiner Flotte, mächtig, organisirt, in der Hand des großen Themistokles, und glücklicher als Frankreich hatte keinen Verräther in seinem Schooße.

Frankreich war desorganisirt, aufgelöst, verrathen, verkauft und preisgegeben! Frankreich war wie Iphigenie unter dem Messer von Kalchas. Die Könige im Kreise warteten nur auf seinen Tod, daß der Wind des Despotismus in ihre Segel blase; es streckte die Arme gegen die Götter aus, und die Götter waren taub!

Als es aber fühlte, wie es die kalte Hand des Todes berührte, da ging es, durch eine heftige, erschreckende Zusammenziehung, in sich selbst zurück, und, ein Lebensvulcan, machte es dann aus seinen eigenen Eingeweiden die Flamme hervorspringen, welche ein halbes Jahrhundert hindurch die Welt erleuchtete.

Um diese Sonne zu trüben, ist allerdings ein Blutflecken da.

Der Blutflecken vom 2. September! wir werden bald hierzu kommen, wir werden sehen, wer dieses Blut vergossen hat, und ob es Frankreich zugerechnet werden muß; vorher wollen wir aber noch, um dieses Kapitel schließen, ein paar Seiten von Michelet entlehnen.

Wir fühlen uns unmächtig neben diesem Riesen und, wie Danton, rufen wir die bewaffnete Macht zu Hilfe.

»Paris hatte das Ansehen einer Festung; man hätte sich in Lille oder in Straßburg geglaubt. Ueberall Befehle, Schildwachen, militärische Maßregeln, freilich verfrüht, denn der Feind war noch fünfzig bis sechzig Meilen entfernt. Was sich Ernsteres, wirklich Rührendes hierbei fand, das war das Gefühl tiefer bewunderungswürdiger Solidarität, das sich überall offenbarte; Jeder wandte, sich an Alle, sprach, bat für das Vaterland. Jeder machte sich zum Werber, ging von Haus zu Haus bot dem welcher abgehen konnte, seine Uniform, Waffen, was er hatte, an; alle Welt war Redner, predigte peroirte, sang patriotische Lieder. Wer war nicht Schriftsteller in diesem seltsamen Augenblicke? wer druckte nicht? wer schlug nicht an? wer war nicht Acteur bei diesem großen Schauspiele? Die naivsten Scenen, wobei Alle signierten, spielten sich überall, auf den Plätzen, auf den Anwerbungstheatern, auf den Tribünen, wo man sich einschrieb; rings umher waren es Gesänge, Ausrufungen, Thränen der Begeisterung oder des Abschieds; und über allen diesen Stimmen ertönte eine große Stimme in den Herzen, eine stumme, aber um so tiefere Stimme, die Stimme von Frankreich selbst, beredt in allen ihren Symbolen, pathetisch im tragischsten von allen: der heiligen und erschrecklichen Fahne der Gefahr des Vaterlands, vor den Fenstern des Stadthauses aufgehängt, einer ungeheuren Fahne, die in den Winden flatterte und den Volkslegionen zu winken schien, daß sie in Eile von den Pyrenäen nach der Schelde, von der Saone nach dem Rheine marschieren!

»Um zu wissen, was dieser Augenblick des Opfers war, müßte man in jeder Hütte, in jeder Wohnung den einschneidenden Schmerz der Frauen, die Herzzerreißung der Mütter bei dieser zweiten Geburt sehen, welche noch hundertmal grausamer als die, wo das Kind zum ersten Male aus ihrem blutenden Schooße abging: man müßte die alte Frau sehen, wie sie mit trockenen Augen, mit gebrochenem Herzen, in Eile die paar Kleidungsstücke zusammenrafft, die das Kind mitnehmen wird, dann die armseligen Ersparnisse, die sie sich selbst durch das Fasten ihrem Sohne zu Liebe für diesen letzten Tag der Schmerzen gestohlen hat.

»Ihre Kinder diesem Kriege geben, der sich mit so wenig günstigen Aussichten eröffnete, sie dieser äußersten, verzweifelten Lage opfern, das war mehr, als die Meisten von ihnen thun konnten: sie unterlagen diesen Qualen, oder wurden durch eine natürliche Reaction von Wuthanfällen ergriffen; sie schonten nichts, fürchteten nichts; kein Schrecken hat Gewalt über einen solchen Zustand des Geistes. Welchen Schrecken gibt es für den, der den Tod will!

»Man hat uns erzählt, eines Tags, – ohne Zweifel im August oder im September, – habe eine Bande von diesen Weibern Danton auf der Straße getroffen, ihn geschmäht, wie sie den Krieg selbst geschmäht hätte, ihm die ganze Revolution, alles Blut, was vergossen worden, und den Tod ihrer Kinder vorgeworfen, ihn verflucht und Gott gebeten, es möge Alles auf sein Haupt zurückfallen. Er war nicht befremdet, und obgleich er ringsum sich die Nägel fühlte, wandte er sich ungestüm um, schaute diese Weiber an, und bekam Mitleid mit ihnen, Danton hatte viel Herz; er stieg auf einen Weichstein und fing, um sie zu trösten, an sie in ihrer Sprache zu schmähen: die ersten Worte waren heftig, burlesk, obscön. Sie sind ganz verblüfft: seine wahre oder fingirte Wuth bringt sie in ihrer Wuth aus der Fassung. Dieser wunderbare, instinctartige und berechnete Redner hatte zur volksthümlichen Basis ein sinnliches und starkes Temperament; ganz gemacht für die physische Liebe, wo das Fleisch und das Blut herrschten, war Danton vor Allem ein Mann: es war in ihm von Löwen und vom Doggen, auch viel vom Stiere. Seine Maske erschreckt die erhabene Häßlichkeit eines zerrissenen Gesichtes verlieh seiner ungestümen, gleichsam in Anfällen hingeschleuderten Rede eine Art von wildem Stachel. Die Massen, welche die Stärke lieben, fühlten vor ihm, was die Furcht und Sympathie jedes mächtig erzeugende Herz empfinden macht; und unter dieser deftigen, wüthenden Maske fühlte man dann auch ein Herz, man vermuthete Eines: daß dieser erschreckliche Mann, der nur in Drohungen sprach, im Grunde einen braven Menschen verbarg. Die aufrührerischen Weiber um ihn fühlten dunkel Alles dies und ließen sich haranguiren, beherrschen, bändigen; er führte sie, wohin und wie er wollte; er erklärte ihnen barsch, wozu die Frau diene, wozu die Liebe diene, wozu die Erzeugung diene, das man nicht für sich selbst gebäre, sondern für das Land, und hierbei erhob er sich plötzlich, sprach für Niemand mehr, sondern (wie es schien) für sich selbst. Sein ganzes Herz trat ihm, wie man sagt, aus der Brust, mit einer gewaltigen Zärtlichkeit für Frankreich, dieses seltsame, von Blattern zerrissene Gesicht, das den Schlacken des Vesuvs und des Aetnas glich, kamen allmälig große Tropfen, und das waren Thränen. Die Weiber konnten sich nicht mehr halten; sie beweinten Frankreich, statt über ihre Kinder zu weinen, verbargen das Gesicht in ihrer Schürze und entflohen schluchzend.

O großer Geschichtschreiber, den man Michelet nennt wo bist Du?

In Nervi!

O großer Dichter, den man Hugo nennt! Wo bist Du?

In Jersey!

CLXV
Der Vorabend des zweiten Septembers

»Ist das Vaterland in Gefahr,« hatte Danton am 28. August in der Nationalversammlung gesagt, »so gehört Alles dem Vaterlande«

Am 29., um vier Uhr Abends, wurde der Generalmarsch geschlagen.

Man wußte, um was es sich handelte.

Wie von einem Zauberstabe berührt, wechselte Paris im ersten Rasseln der Trommeln seinen Anblick; von volkreich, wie es war, wurde es öde.

Die offenen Läden schloßen sich; jede Straße wurde sperrt und von kleinen, etwa fünfzig Mann starken Pelotons besetzt.

Die Barrièren wurden bewacht; der Fluß wurde bewacht.

Um ein Uhr Morgens begannen die Durchsuchungen in allen Häusern.

Die Commissäre der Sectionen klopften an die Hausthüre im Namen des Gesetzes, und man öffnete ihnen die Hausthüre.

Sie klopften an jede Wohnung, immer im Namen des Gesetzes, und man öffnete ihnen jede Wohnung. Sie erbrachen mit Gewalt die Thüren der Logis, welche nicht bewohnt waren.

Man nahm zweitausend Schießgewehre in Beschlag; an verhaftete dreitausend Personen.

Man brauchte den Schrecken: man erlangte ihn.

Sodann entsprang aus dieser Maßregel Etwas, woran man nicht gedacht hatte, oder woran vielleicht zu viel gedacht hatte.

Diese Haussuchungen hatten den Armen den Wohnort der Reichen geöffnet; die bewaffneten Sectionen welche den Behörden folgten, hatten einen erstaunlichen Blick in die seidenen und goldenen Tiefen der herrlichen Hotels, die ihre Eigenthümer noch bewohnten, oder zu denen, die Abwesend waren, werfen können.

Hiervon, nicht die Begierde des Plünderns, sondern die Verdopplung des Hasses.

Man plünderte so wenig, das Beaumarchais, der damals im Gefängnis war, erzählt, in seinem herrlichen Gärten am Boulevard Saint-Antoine habe eine Frau eine Rose gepflückt, und man habe diese Frau ins Wasser werfen wollen.

Und man bemerke wohl, dies geschah in einem Augenblicke, wo die Commune decretirt hatte, die Leiherverkäufer sollen mit dem Tode bestraft werden.

So substituirte sich also die Commune der Nationalversammlung; sie decretirte die Todesstrafe. Sie hatte Chaumette das Recht gegeben, die Gefänginsse zu öffnen und die Gefangenen in Freiheit zu setzen; Sie maßte sich das Begnadigungsrecht an. Sie hatte endlich befohlen, es soll an der Thüre jedes Gefängnisses die Liste der Verhafteten, die es enthielt, angeschlagen werden! das war ein Aufruf zum Hasse und zur Rache. Jeder bewachte die Thüre des Kerkers, wo sein Feind eingeschlossen war. Die Nationalversammlung sah, an welchen Abgrund man sie führte. Man war im Begriffe ihr, wider ihren Willen, die Hände ins Blut zu tauchen.

Und wer dies? die Commune, ihre Feindin?

Es brauchte nur eine Gelegenheit, daß der Streit furchbar zwischen den zwei Gewalten losbrach.

Ein neuer Eingriff der Commune rief die Gelegenheit hervor.

Am 29. August, am Tage der Haussuchungen, forderte die Commune wegen eines Zeitungsartikels vor ihre Schranke Girey-Dupré, einen der kühnsten Girondisten, weil er einer der Jüngsten war.

Girey-Dupré flüchtete sich ins Kriegsministerium, da er nicht Zeit hatte, sich in die Nationalversammlung zu flüchten.

Huguénin, Präsident der Commune, ließ das Kriegsministerium einschließen, um den girondistischen Journalisten mit Gemalt herauszureißen.

Die Gironde war aber immer in der Majorität bei der Nationalversammlung; in einem ihrer Mitglieder beleidigt, erhob sich die Gironde: sie forderte ihrerseits den Präsidenten Huguénin vor ihre Schranke.

Der Präsident Huguénin antwortete nicht auf die Vorladung der Nationalversammlung.

Am 30. erließ diese ein Decret, das die Municipalität von Paris cassirte.

Ein Factum, das beweist, welchen Abscheu man zu jener Zeit noch gegen den Diebstahl hegte, hatte viel zu dem Decrete beigetragen, das die Nationalversammlung erlassen.

Ein Mitglied der Commune, oder ein Individuum, das sich Mitglied der Commune nannte, hatte sich das Garde-Meuble öffnen lassen und eine kleine silberne Kanone, ein Geschenk, das einst die Stadt Paris Ludwig XIV. als Kind gemacht, genommen.

Cambon, den man zum Wächter des öffentlichen Vermögens ernannt, hatte Kenntniß von diesem Diebstahle erhalten und den Angeklagten vor die Schranke kommen lassen; der Mann leugnete nicht, entschuldigte ich nicht, und beschränkte sich nur darauf, daß er sagte, da dieser kostbare Gegenstand der Gefahr, gestohlen zu werden, ausgesetzt gewesen sei, so habe er gedacht, er sei besser bei ihm, als irgend anderswo.

Diese Tyrannei der Commune drückte sehr und schien vielen Leuten ungemein beschwerlich. Louvet, der Mann der muthigen Initiativen, war Präsident der Section der Rue des Lombards; er ließ durch eine Sektion erklären, der Generalrath der Commune sei der Usurpation schuldig.

Da sie sich unterstützt fühlte, so beschloß die Nationalversammlung, diesen Huguénin, der nicht freiwillig vor ihre Schranke komme, sollte mit Gewalt vorgeführt, und innerhalb vierundzwanzig Stunden werde eine neue Commune durch die Sectionen ernannt werden.

Das Dekret wurde am 30. August Abends um fünf Uhr erlassen.

Zählen wir die Stunden, denn von diesem Augenblicke an gehen wir der Metzelei des 2. September zu, und jede Minute wird einen Schritt zu der blutige Gottheit mit den verkrümmten Armen, mit den fliegenden, zerzausten Haaren, mit den verstörten Augen, die mal den Schrecken nennt, machen sehen.

Uebrigens erklärte die Nationalversammlung, in einem Reste von Angst vor ihrer furchtbaren Feindin während sie die Commune cassirte, diese habe sich um das Vaterland wohl verdient gemacht; was nicht gerade logisch war.

Ornandum, tollendum! sagte Cicero in Beziehung auf Octavius.

Die Commune handelte wie Octavius: sie ließ sich bekränzen, aber nicht fortjagen.

Zwei Stunden nachdem das Decret erlassen war, machte Tallien, ein kleiner Schreiber, der sich laut rühmt, er sei der Mann von Danton, Tallien, Secretär der Commune, machte der Section des Thermes den Vorschlag, gegen die Section des Lombards zu marschieren.

Ah! diesmal war es wohl der Bürgerkrieg, nicht mehr Volk gegen König, Bürger gegen Aristokraten, Hütten gegen Schlösser, Häuser gegen Paläste, sondern Section gegen Sectionen, Pieken gegen Pieken, Bürger gegen Bürger.

Zu gleicher Zeit erhoben Marat und Robespierre, dieser als Mitglied der Commune, jener als Liebhaber, die Stimme.

Marat verlangte das Niedermetzeln der Nationalversammlung; das war nichts; man war gewöhnt, ihn solche Motionen machen zu sehen.

Aber Robespierre, der kluge, der verschmitzte Robespierre, Robespierre, der vage, umschweifige Denunciant, orderte, daß man die Waffen nehme und sich nicht nur vertheidige, sondern sogar angreife.

Robespierre mußte die Commune sehr stark fühlen, daß er so sich auszusprechen wagte.

Sie war in der That sehr stark, denn in derselben Nacht begibt sich Tallien, ihr Secretär, mit dreitausend mit Pieken bewaffneten Leuten in die Nationalversammlung.

»Die Commune,« sagte er, »und die Commune allein hat die Mitglieder der Nationalversammlung zum Range von Repräsentanten eines freien Volkes emporsteigen gemacht; die Commune hat gemacht, daß das Decret gegen die die Ruhe störenden Priester erlassen worden ist, und sie hat diese Menschen verhaftet, an welche Niemand die Hand zu legen wagte; die Commune,« schloß er, »wird binnen Kurzem den Boden der Freiheit von Ihrer Gegenwart gereinigt haben.«

So spricht also in der Nacht vom 30, auf den 31. August die Commune vor der Nationalversammlung, die sie cassirt hat, das erste Wort von der Metzelei.

Wer spricht dieses erste Wort? wer schleudert das rothe Programm rückhaltlos hin?

Man hat es gesehen, es ist Tallien, der Mann, der den 9. Thermidor machen wird.

Die Nationalversammlung, man muß ihr diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, erhob sich hiergegen.

Manuel, der Procurator der Commune, sah ein, daß man zu weit ging; er ließ Tallien verhaften und fordert, daß Huguénin der Nationalversammlung Genugtuung gebe.

Und Manuel, der Tallien verhaftete, der von Huguénin öffentliche Abbitte verlangte, Manuel wußte doch wohl, was vorging, er ein armer Pedant, ein kleiner Geist, aber ein redliches Herz.

Er hatte in der Abtei einen persönlichen Feind: Beaumarchais.

Beaumarchais, ein großer Spötter, hatte viel über Manuel gespottet; es ging nun Manuel durch den Kopf wenn Beaumarchais mit den andern ermordet würde, so könnte man diesen Mord einer niedrigen Rache seiner Eitelkeit zuschreiben. Er lief in die Abtei und ließ Beaumarchais rufen. Dieser, als er ihn sah, wollte sich entschuldigen, seinem literarischen Opfer Erklärungen geben.

»Es handelt sich nicht um Literatur, Journalismus, Kritik. Hier ist die Thüre offen, fliehen Sie heute, wenn Sie nicht morgen ermordet sein wollen.«

Der Verfasser von Figaro ließ sich das nicht zweimal sagen, entschlüpfte durch die nur angelehnte Thür und verschwand.

Nehmen Sie an, er hätte Collot-d’Herbois den Schauspieler ausgepfiffen, statt Manuel den Schriftsteller kritisiert zu haben, – dann war Beaumarchais todt!

Es kam der 31. August, dieser große Tag, der zwischen der Nationalversammlung und der Commune, das heißt zwischen dem Moderantismus und dem Schrecken entscheiden sollte.

Die Commune war entschlossen, um jeden Preis zu bleiben.

Die Nationalversammlung hatte ihre Entlassung zu Gunsten einer neuen Versammlung genommen.

Die Commune mußte natürlich die Oberhand gewinnen, um so mehr, als die Bewegung sie begünstigte

Das Volk, ohne zu wissen, wohin es gehen wollte, wollte irgend wohin gehen. Vorwärts getrieben am 20, Juni, noch weiter getrieben am 10. August, fühlte es ein unbestimmtes Bedürfniß nach Blut und Zerstörung.

Es ist nicht zu leugnen, daß ihm Marat einerseits und Hébert andererseits den Kopf entsetzlich heiß machten. Jeder, bis ans Robespierre, der seine sehr erschütterte Popularität wiederzuerlangen suchte, – ganz Frankreich hatte den Krieg gewollt: Robespierre hatte den Frieden gerathen, – Jeder bis ans Robespierre, sagen wir, wurde Neuigkeitskrämer und übertraf durch die Albernheit seiner Neuigkeiten die allerabsurdesten.

Eine mächtige Partei, hatte er gesagt, biete den Thron dem Herzog von Braunschweig an.

Wer waren in diesem Augenblicke die im Kampfe begriffenen drei mächtigen Parteien?

Die Nationalversammlung, die Commune, die Jacobiner; und streng genommen konnten die Jacobiner und die Commune nur eine bilden.

Es waren weder die Jacobiner, noch die Commune; Robespierre war Mitglied vom Clubbe und von der Municipialität; er würde sich nicht selbst angeschuldigt haben.

Diese mächtige Partei war also die Gironde.

Wir sagten so eben, Robespierre habe an Absurdität die absurdesten Neuigkeitskrämer übertroffen; was konnte in der That absurder sein, als die Gironde, welche Preußen und Oesterreich den Krieg erklärt hatte, bezichtigen, sie biete dem feindlichen General den Thron an!

Und wer waren die Männer, die man dessen bezichtigte? Die Vergniaud, die Roland, die Clavières, die Servais, die Gensonné, die Gnadet, die Barbaroux, das heißt die wärmsten Patrioten und zugleich die redlichsten Leute Frankreichs.

Doch es gibt Augenblicke, wo ein Mensch wie Robespierre Alles sagt, und das Schlimmste ist, daß es Augenblicke gibt, wo das Volk Alles glaubt!

Man war also am 30. August.

Am 30., um fünf Uhr Abends, hatte, wie gesagt, die Nationalversammlung die Commune cassirt; das Decret bestimmte, innerhalb vierundzwanzig Stunden sollten die Sektionen einen neuen Generalrath ernennen.

Am 31., um fünf Uhr Abends, sollte also das Decret vollzogen sein.

Doch das Geschrei von Marat, die Drohungen von Hébert, die Verleumdungen von Robespierre machten die Commune mit einem solchen Gewichte auf Paris drücken, daß die Sectionen nicht zu votieren wagten, Sie nahmen zum Vorwande ihres Unterlassens, das Decret sei ihnen nicht offiziell eröffnet worden.

Am 31. August, gegen Mittag, bekam die Nationalversammlung Nachricht, man vollziehe ihr Dekret vom vorhergehenden Tage nicht, und es werde nicht voll zogen werden. Man müßte an die bewaffnete Macht appellieren, und wer weiß, ob die bewaffnete Macht für die Nationalversammlung wäre.

Die Commune hatte Santerre durch einen Schwager Panis. Panis war, wie man sich erinnert, der Fanatiker für Robespierre, der Rebecqui und Barbaroux die Ernennung eines Diktators vorgeschlagen und ihnen zu verstehen gegeben hatte, dieser Diktator müßte der unbestechliche sein; Santerre, das waren die Vorstädte; die Vorstädte, das war die unwiderstehliche Macht des Oceans.

Die Vorstädte hatten die Thüren der Tuilerien gesprengt: sie würden auch die der Nationalversammlung sprengen.

Sodann befürchtete die Nationalversammlung, wenn sie sich gegen die Commune bewaffnete, nicht nur von den extremen Patrioten, von denjenigen, welche die Revolution um jeden Preis wollten, verlassen zu werden, sondern auch – was noch viel schlimmer – gegen ihren Willen von den gemäßigten Royalisten unterstützt zu werden.

Dann war sie ganz und gar verloren.

Gegen sechs Uhr verbreitete sich auf ihren Bänken das Gerücht, es finde ein großer Tumult um die Abtei statt.

Man hatte einen Herrn von Montmorin freigesprochen: das Volk glaubte, es handle sich um den Minister, der die Pässe, mit denen Ludwig XVI. zu fliehen versucht, unterzeichnet hatte; es zog in Masse nach dem Gefängniß und verlangte mit gewaltigem Geschrei den Tod des Verräthers. Man hatte alle erdenkliche Mühe, um ihm seinen Irrthum begreiflich zu machen: die ganze Nacht hindurch herrschte in den Straßen von Paris eine furchtbare Gährung.

Man fühlte, am andern Tage würde das geringste Ereigniß, das dieser Gährung zu Hilfe käme, colossale Verhältnisse annehmen.

Dieses Ereigniß, – das wir mit einigen Details zu erzählen versuchen wollen, weil es auf einen der Helden unserer Geschichte, den wir seit langer Zeit aus dem Gesichte verloren, Bezug hat, – dieses Ereigniß brütete in den Gefängnissen des Chatelet.