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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Rußland und Schweden schickten uneröffnet Ludwig XVI. die Depechen zurück, worin er ihnen mittheilte daß er der Constitution beigetreten.

Spanien weigerte sich, sie zu empfangen, und überlieferte der Inquisition einen Franzosen, der dem San Benito nur dadurch entging, daß er sich selbst tödtete.

Venedig warf auf den St. Marcus-Platz den Leichnam eines in der Nacht auf Befehl des Rathes der Zehn erwürgten Mannes mit dem einfachen Anhängezettel:

»Erdrosselt als Freimaurer!«

Der Kaiser und der König von Preußen antworten endlich, doch sie antworteten mit einer Drohung.

»Wir wünschen,« sagten sie, »daß man der Notwendigkeit zuvorkomme, ernste Maßregeln gegen die Rückkehr der Dinge zu ergreifen, welche zu so traurigen Vorzeichen Anlaß geben!«

Also Bürgerkrieg in der Vendée, Bürgerkrieg im Süden, Kriegsdrohung des Auslandes überall.

Sodann, jenseits des Atlantischen Meeres, das Geschrei der ganzen Bevölkerung einer Insel, die man ermordet.

Was ist denn dort im Westen geschehen? wer sind, die schwarzen Sklaven, welche, müde, geschlagen zu werden, nun tödten?

Es sind die Neger von St. Domingo, die sich eine blutige Genugthuung nehmen!

Wie haben sich die Dinge ereignet?

Mit zwei Worten, – das heißt, auf eine weniger weitschweifige Art als bei Avignon: bei Avignon haben wir uns fortreißen lassen; mit zwei Worten werden wir es Ihnen erklären.

Die constituirende Versammlung hatte den Negern die Freiheit versprochen.

Ogé, ein junger Mulatte, eines von den wackeren glühenden, hingebenden Herzen, wie ich viele habe kennen lernen, war über die Meere zurückgekehrt und hatte die befreienden Decrete in dem Augenblick, wo sie erlassen worden, mitgenommen.

Obschon noch nichts Officielles über diese Decrete angelangt war, forderte er doch den Gouverneur, in seinem Drange nach Freiheit, auf, sie zu verkündigen.

Der Gouverneur gab Befehl, ihn zu verhaften; Ogé flüchtete sich nach den, spanischen Theile der Insel.

Die spanischen Behörden, – man weiß, wie Spanien für die Revolution gesinnt war, – die spanischen Behörden lieferten ihn ans.

Ogé wurde bei lebendigem Leibe gerädert!

Ein panischer Schrecken folgte auf diese Hinrichtung; man vermuthete, er habe eine große Anzahl Mitschuldige auf der Insel; die Pflanzer machten sich selbst zu Richtern und vervielfältigten die Executionen.

In einer Nacht empörten sich sechzigtausend Neger; die Weißen wurden durch den ungeheuren Brand, der ihre Pflanzungen verzehrte, aufgeweckt.

Acht Tage nachher war der Brand im Blute gelöscht.

Was wird Frankreich, ein in einen Feuerkreis eingeschlossener, armer Salamander machen?

Wir werden es sogleich sehen!

CXXIX
Der Krieg

In seiner schönen, energischen Rede über die Emigrirten hatte Brissot klar die Absichten der Könige und die Todesart, die sie der Revolution vorbehielten, nachgewiesen.

Würde man sie schlachten? Nein, man würde sie ersticken! Nachdem er sodann das Gemälde des europäischen Bundes gemacht, nachdem er diesen Kreis von Fürsten gezeigt, die Einen mit dem Schwerte in der Hand offen die Fahne des Hasses aufpflanzend, die Andern noch ihr Gesicht mit der Larve der Heuchelei bedeckend bis sie dieselbe abwerfen könnten, rief er:

»Nun, es sei! nehmen wir nicht nur die Herausforderung vom aristokratischen Europa an, sondern kommen wir ihm sogar zuvor; warten wir nicht, bis um uns angreift: greisen wir selbst an!«

Und bei diesem Rufe begrüßte ein ungeheurer Beifallssturm den Redner.

Brissot, mehr ein Mann des Instinctes, als des Genies, hatte geantwortet auf den heiligen Gedanken auf den Gedanken der Hingebung, der bei den Wahlen von 1791 den Vorsitz geführt: Krieg!

Nicht jener egoistische Krieg, den ein Despot erklärt um eine seinem Throne, seinem Namen, dem Namen von einem seiner Verbündeten angethane Beleidigung zu rächen, oder eine unterworfene Provinz seinem Königreiche oder seinem Kaiserthum beizufügen, sondern der Krieg, der den Lebenshauch mit sich führt; der Krieg dessen schmetternde Fanfaren überall, wo sie gehört werden, sagen: Erhebet Euch, Ihr, die Ihr frei sein wollt! wir bringen Euch die Freiheit!«

Und, in der That, die Welt fing an ein großes Gemurre zu hören, das, ähnlich dem Tosen einer Fluth, immer mehr stieg und zunahm.

Dieses Gemurre war das von dreißig Millionen Stimmen, welche noch nicht sprachen, aber schon brüllten, und dieses Gebrülle hatte Brissot durch die Worte übersetzt: »Warten wir nicht, bis man uns angreift: greifen wir selbst an!«

Von dem Augenblicke, wo auf seine drohende Rede ein allgemeines Beifallklatschen geantwortet hatte, war Frankreich stark; es konnte nicht nur angreifen, sondern es sollte sogar siegen.

Es blieben die Detailfragen. Unsere Leser mußten bemerken, daß es ein geschichtliches Buch ist, und nicht ein Roman, was wir machen; wir werden wahrscheinlich nie auf diese große Epoche zurückkommen, der wir schon Blanche von Beaulieu und den Chevalier von Maison-Rouge, so wie ein seit drei Jahren geschriebenes Buch, das noch nicht erschienen ist, aber erscheinen wird, entlehnt haben: wir müssen also Alles das, was sie enthält, ausdrücken.

Nichtsdestoweniger werden wir rasch über diese Detailfragen hingehen, um so schnell als möglich zu den Ereignissen zu kommen, die wir noch zu erzählen haben, und mit denen mehr insbesondere die Personen unseres Buches vermengt sind.

Die Erzählung der Ereignisse in der Vendée, der Metzeleien in Avignon, der Insulten Europas erscholl wie ein Donnerschlag in der gesetzgebenden Versammlung. Am 20. October begnügte sich Brissot, wie wir gesehen, mit einer Auflage auf die Güter der Emigrirten, am 25. verutheilte Condorcet ihre Güter zum Sequester und forderte von ihnen den Bürgereid.

Den Bürgereid von Personen, die sich im Auslande befanden und die Waffen gegen Frankreich trugen!

Es traten nun zwei Männer auf, deren einer der Barnave, der andere der Mirabeau der neuen Versammlung wurde: Vergniaud und Isnard.

Vergniaud, der sanfte, poetische, gefühlvolle Mensch, der Schützling Turgot’s, der die Stelle einen Intendanten der fruchtbaren Provinz Limoges bekleidet und den Jüngling auf die hohe Schule nach Bordeaux geschickt hatte, kam nun als Mitglied der Nationalversammlung rasch zu hohem Ansehen und großen Einfluß. Er besaß weniger Energie und glänzende Beredtsamkeit als Mirabeau, aber er war auch, trotz seiner tiefen Gelehrsamkeit, minder weitschweifig und rabulistisch als Barnave; seine tiefsinnigen, aus dem Herzen kommenden Worte verfehlten selbst unter dem wilden Toben der Leidenschaft nie ihren Eindruck auf die Zuhörer. Er war das Haupt einer erbitterten, streitsüchtigen Partei, aber er schwebte stets ruhig und würdevoll über den drohendsten, gefährlichsten Verhältnissen. Seine Feinde nannten ihn unschlüssig, träg, zerstreut; manchmal fragten sie, wo sein Geist sei, sie hatten nicht ganz Unrecht, sein Geist wohnte nur dann in ihm, wenn er sich Zwang anthat, seine Gedanken waren bei der reizenden, liebenswürdigen Candrilla, deren schöne Augen er beständig zu sehen glaubte, deren Harfe in seinen Ohren klang.

Isnard, der Südländer war das Gegentheil von Vergniaud: heftig, jähzornig gewaltig in Rede und That. Er glich jenem riesigen Luftgeiste, der mit demselben Hauch die Felsen umstürzt und die Roten entblättert. Seine noch unbekannte Stimme wurde plötzlich in der Nationalversammlung laut wie ein unerwarteter Donner in den ersten schwülen Sommertagen. Die ersten Worte seiner Rede wirkten wie ein elektrischer Schlag auf die Zuhörer, die Zerstreutesten wurden aufmerksam, und während sie ihm zuhörten, wurde ihnen bange, wie dem Kain, als er die Stimme des Herrn vernahm.

Man unterbrach ihn.

»Ich frage,« rief er, »ich frage die Versammlung, Frankreich, die Welt, – Sie, mein Herr! . . . «

Und er bezeichnete den Unterbrecher.

»Ich frage, ob Einer da ist, der, in gutem Glauben und in der geheimen Zustimmung seines Gewissens behaupten will, die emigrirten Prinzen conspiriren nicht gegen das Vaterland . . . Ich frage zweitens, ob Einer n dieser Versammlung ist, der zu behaupten wagt, jeder Mensch, der conspirire, müsse nicht schleunigst angeklagt, verfolgt und bestraft werden.

»Ist Einer da, so stehe er auf.«

*                   *
*

»Man hat Ihnen gesagt, die Milde sei die Pflicht der Stärke, gewisse Mächte setzen ihre Truppen auf den Friedensfuß; und ich, ich sage Ihnen, daß wir wachen müssen, daß der Despotismus und die Aristokratie weder Ruhe noch Rast haben, und daß die Nationen, wenn sie einen Augenblick einschlafen, gefesselt wiedererwachen. Das am Wenigsten verzeihliche Verbrechen ist das, welches zum Zwecke hat, den Menschen zur Sklaverei zurückzuführen. Wäre das Feuer des Himmels in der Gewalt der Menschen, so müßte man diejenigen damit schlagen, welche sich an der Freiheit der Völker vergreifen.«

Es war das erste Mal, daß man solche Worte hörte, diese derbe, ungestüme Beredtsamkeit riß Alles mit sich fort, wie die Lawine, die von den Alpen herabkommt, Bäume, Herden, Hirten, Häuser fortreißt.

Noch während der Sitzung wurde beschlossen:

»Wenn Ludwig Stanislaus Xaver, französischer Prinz, nicht in zwei Monaten zurückkehrt, so entsagt er seinen Rechten auf die Regentschaft.«

Ferner am 8. November:

»Wenn die Emigrirten nicht bis zum 1. Januar zurückkehren, so werden sie der Conspiration schuldig erklärt, gerichtlich verfolgt und mit dem Tode bestraft werden.«

Am 29. November ist sodann die Reihe an den Priestern.

»Der Bürgereid wird in der Frist von acht Tagen gefordert werden.

»Diejenigen, welche ihn verweigern, werden der Empörung verdächtig gehalten und zur Ueberwachung der Behörden empfohlen.

 

»Befinden sie sich in einer Gemeinde, wo religiöse Unruhen entstehen, so kann sie das Directorium des Departements von ihrem gewöhnlichen Wohnorte entfernen.

»Sind sie ungehorsam, so werden sie auf ein Jahr eingesperrt; reizen sie zum Ungehorsam auf, auf zwei Jahre.

»Die Gemeinde, wo die bewaffnete Macht einzuschreiten genöthigt ist, hat die Kosten davon zu tragen.

»Die Kirchen sollen nur für den besoldeten Cultus des Staates dienen; diejenigen, welche nicht hierfür nöthig sind, können für einen andern Cultus gekauft werden, aber nicht für die, welche den Eid verweigern.

»Die Municipalitäten werden an die Departemente und diese an die gesetzgebende Versammlung die Liste der Priester, welche geschworen, und derjenigen, welche den Eid verweigert haben, mit Bemerkungen über ihre Verbindung unter sich und mit den Emigrirten schicken, damit die legislative Versammlung auf Mittel, die Rebellion zu vertilgen, bedacht sei.

»Die legislative Versammlung betrachtet als eine Wohlthat die guten Werke, welche die Landleute über die angeblichen religiösen Fragen aufklären können: sie wird sie drucken lassen und die Verfasser belohnen.«

Wir haben gesagt, was aus den Constituirenden, sonst genannt die Constitutionellen, geworden, wir haben gezeigt, in welcher Absicht sie die Feuillants gegründet.

Ihr Geist war vollkommen im Einklange mit dem Departement Paris.

Es war der Geist von Barnave, von Lafayette, von Lameth, von Duport, von Bailly, der noch Maire war, aber es zu sein aufhören sollte.

Sie sahen in dem Decret über die Priester »ein Decret,« wie sie sagten, »gegen das öffentliche Gewissen erlassen,« sie sahen in dem Decret über die Emigrirten, »ein Decret gegen die Familienbande erlassen,« ein Mittel, es mit der Macht des Königs zu versuchen.

Der Clubb der Feuillants entwarf und das Directorium von Paris unterzeichnete gegen diese zwei Decrete eine Protestation, in welcher man Ludwig XVI. bat, dem die Priester betreffenden Decret sein Veto entgegenzusetzen.

Man erinnert sich, daß die Constitution Ludwig XVI. das Recht des Veto vorbehielt.

Wer unterzeichnete diese Protestation? Der Mann, der zuerst die Geistlichkeit angegriffen, der Mephistopheles, der mit seinem Pferdefuß den Spiegel zerbrochen: Talleyrand! Der Mann, der seitdem gemacht hat, daß die Diplomatie mit der Loupe nicht mehr sehr klar in der Revolution sah.

Das Gerücht vom Veto verbreitete sich zum Voraus.

Die Cordeliers stellten Camille Desmoulins voran, – diesen Lanzenträger, den man immer bereit findet, seine Pieke mitten ins Ziel zu stoßen.

Er machte auch seine Petition.

Doch ein unmöglicher Stammler, wenn er das Wort zu nehmen versuchte, beauftragte er Fauchet, sie zu lesen.

Fauchet las sie.

Sie wurde vom Anfang bis zum Ende beklatscht.

Es war schwierig, die Frage mit mehr Ironie zu handhaben, und zugleich der Sache mehr auf den Grund zu gehen.

»Wir beklagen uns,« sagte der Schulkamerad von Robespierre und der Freund von Danton, »wir beklagen uns weder über die Constitution, die das Veto zugestanden hat, noch über den König, der davon Gebrauch macht, indem wir uns der Maxime eines großen Politikers, des Macchiavelli, erinnern: »»Soll der Fürst auf die Souverainetät verzichten, so wäre die Nation zu ungerecht, zu grausam, fände sie es schlimm, daß er sich beständig dem allgemeinen Willen widersetzt, weil es schwer und gegen die Natur ist, freiwillig von so hoch herabzufallen.««

»Durchdrungen von dieser Wahrheit, ein Beispiel an Gott selbst nehmend, dessen Gebote durchaus nicht unmöglich sind, werden wir nie vom vormaligen Souverain eine unmögliche Liebe für die nationale Souverainetät fordern, und wir finden es nicht schlimm, das er sein Veto gerade den besten Decreten entgegensetzt.«

Die Versammlung klatschte, wie gesagt, Beifall nahm die Petition an, beschloß die Einschreibung in das Protocoll und die Uebersendung des Protocolls an die Departements.

Am andern Tage geriethen die Feuillant in Aufruhr.

Viele Mitglieder des Clubbs, Abgeordnete bei den Legislativen, hatten der Sitzung nicht beigewohnt.

Die am Tage vorher Abwesenden drangen am andern Tage stürmisch in die Versammlung ein.

Sie waren ihrer zweihundert und sechzig.

Man erklärte den Beschluß vom vorhergehenden Tage unter dem Zischen und Pfeifen der Tribunen für ungültig.

Das war der Krieg zwischen der gesetzgebenden Versammlung und dem Clubb, der sich von da an nur um so mehr auf die durch Robespierre vertretenen Jacobiner und auf die durch Danton repräsentirten Cordeliers stützte.

Danton gewann in der That an Popularität, sein ungeheurer Kopf fing an sich über die Menge zu erheben; ein Riese Adamastor wuchs er vor dem Königthum, und er sagte zu ihm: »Nimm dich in Acht! das Meer, auf dem du schiffst, heißt das Meer der Stürme!«

Dann kommt plötzlich die Königin den Jacobinern gegen die Feuillants zu Hilfe.

Der Haß von Marie Antoinette ist bei der Revolution das gewesen, was auf dem Atlantischen Meere die Windstöße sind.

Marie Antoinette haßte Lafayette, der sie am 6. October gerettet, der seine Popularität um des Hofes willen am 17. Juli verloren hatte.

Lafayette trachtete darnach, Bailly als Maire von Paris zu ersetzen.

Die Königin, statt Lafayette zu unterstützen, ließ die Royalisten zu Gunsten von Pétion stimmen. Seltsame Verblendung! zu Gunsten von Pétion, ihrem brutalen Reisegefährten bei der Rückkehr von Varennes.

Am 19. December erscheint der König in der legislativen Versammlung; er bringt sein Veto gegen das über die Priester erlassene Decret.

Am Tage vorher hatte bei den Jacobinern eine ernste Demonstration stattgefunden.

Ein Schweizer von Neuchatel, Virchaux, derselbe, der auf dem Marsfelde die Petition für die Republik schrieb, hatte der Gesellschaft einen Damascener-Säbel, bestimmt für den ersten General, der die Feinde der Freiheit besiegen würde, angeboten.

Isnard war da; er nahm den Säbel des jungen Republicaners, zog ihn aus der Scheide, stürzte auf die Tribüne und rief:

»Hier ist das Schwert des Würgengels! Es wird siegreich sein! Frankreich wird einen gewaltigen Schrei ausstoßen, und die Völker werden antworten; die Erde wird sich dann mit Streitern bedecken, und die Feinde der Freiheit werden von der Liste der Menschheit gelöscht sein!«

Ezechiel hätte nicht besser gesprochen!

Das gezogene Schwert sollte nicht wieder in die Scheide gesteckt werden: ein doppelter Krieg war dem Innern und dem Auslande erklärt.

Das Schwert des Republicaners von Neuchatel sollt zuerst den König von Frankreich treffen; dann, nach den König von Frankreich, die auswärtigen Könige.

CXXX
Ein Minister von der Façon von Frau von Staël

Gilbert hatte die Königin nicht wiedergesehen seit dem Tage, wo ihn diese, nachdem sie ihn gebeten, einen Augenblick in ihrem Cabinet auf sie zu warten, hier gelassen, um den politischen Plan zu hören, den Herr von Breteuil von Wien zurückbrachte, und der in folgenden Worten abgefaßt war:

»Es mit Barnave machen wie mit Mirabeau, Zeit gewinnen, die Constitution beschwören, sie buchstäblich vollziehen, um zu zeigen, daß sie unausführbar ist. Frankreich wird erkalten, sich langweilen: die Franzosen haben einen leichten Sinn: es wird eine neue Mode entstehen, und die Freiheit wird vorübergehen.

»Geht die Freiheit nicht vorüber, so wird man ein Jahr gewonnen haben, und in einem Jahre werden wir zum Kriege bereit sein.«

Seit dieser Zeit waren sechs Monate verlaufen, die Freiheit war nicht vorübergegangen, und die fremden Fürsten waren offenbar im Zuge, ihr Versprechen zu erfüllen, und trafen Anstalten zum Kriege.

Gilbert war ganz erstaunt, als er eines Morgens den Kammerdiener der Königin bei sich eintreten sah.

Er dachte Anfangs, der König sei krank und lasse ihn holen.

Doch der Kammerdiener beruhigte ihn.

Man verlangte nach ihm im Schlosse.

»Gilbert wollte durchaus wissen, wer nach ihm verlange, doch der Kammerdiener, der ohne Zweifel Befehle hatte, ging nicht ab von der Formel:

Man verlangt nach Ihnen im Schlosse.«

Gilbert hegte eine tiefe Anhänglichkeit für den König; er beklagte Marie Antoinette noch mehr als Frau, denn als Königin: sie flößte ihm weder Liebe, noch Ergebenheit ein, er fühlte nur ein inniges Mitleid für sie.

Er gehorchte schleunigst.

Man führte ihn in das Entresol ein, wo man Barnave empfing.

Eine Frau erwartete ihn in einem Fauteuil; sie stand auf, als sie Gilbert erscheinen sah.

Gilbert erkannte Madame Elisabeth.

Für diese hatte er eine tiefe Ehrfurcht, denn er wußte, was Alles von engelischer Güte in ihrem Herzen war.

Er verbeugte sich vor ihr und begriff auf der Stelle die Lage.

Weder der König, noch die Königin hatten es gewagt, ihn in ihrem Namen holen zu lassen: man stellt! Madame Elisabeth voran.

Die ersten Worte von Madame Elisabeth bewiesen dem Doctor, daß er sich in seinen Vermuthungen nicht täuschte.

»Herr Gilbert.« sprach sie, »ich weiß nicht, ob Andere die Zeichen von Theilnahme, die Sie meinem Bruder bei unserer Rückkehr von Versailles gegeben, die, welche Sie meiner Schwägerin bei unserer Ankunft von Varennes gegeben, vergessen haben: ich erinnere mich derselben.«

Gilbert verbeugte sich.

»Madame,« sagte er, »Gott hat in seiner Weisheit beschlossen, Sie sollen alle Tugenden haben, selbst die des Gedächtnisses, eine seltene Tugend in unseren Tagen, besonders bei den königlichen Personen.«

»Sie sagen das nicht hinsichtlich meines Bruders, nicht wahr, Herr Gilbert? Mein Bruder spricht oft mit mir von Ihnen, und er hält sehr viel auf Ihre Erfahrung.«

»Als Arzt?« fragte lächelnd Gilbert.

»Als Arzt, ja, mein Herr; nur glaubt er, Ihre Erfahrung lasse sich zugleich auf die Gesundheit des Königs und auf die des Königreiches anwenden.«

»Der König ist sehr gut, Madame! Für welche von beiden Gesundheiten läßt er mich in diesem Augenblicke rufen?«

»Es ist nicht der König, der Sie rufen läßt, mein Herr,« erwiederte Madame Elisabeth leicht erröthend, denn dieses keusche Herz konnte nicht lügen, »ich bin es.«

»Sie, Madame?« fragte Gilbert. »Oh! es ist wenigstens nicht Ihre Gesundheit, was Sie quält. Ihre Blässe ist die der Ermattung und der Unruhe, nicht die der Krankheit.«

»Sie haben Recht, mein Herr, nicht für mich zittere ich, für meinen Bruder: er beunruhigt mich.«

»Mich auch, Madame,« sprach Gilbert.

»Ah! unsere Besorgniß kommt wahrscheinlich nicht aus derselben Quelle; ich will sagen, er beunruhige mich wegen seiner Gesundheit.«

»Sollte der König krank sein?«

»Nicht gerade,« versetzte Madame Elisabeth, »doch der König ist niedergeschlagen, entmuthigt . . . So hat er heute vor zehn Tagen, – Sie begreifen, ich zähle die Tage, – heute vor zehn Tagen hat er nicht ein einziges Wort gesprochen, außer mit mir und bei seiner gewöhnlichen Partie TrikTrak, wo er genöthigt ist, die bei diesem Spiele unerläßlichen Worte zu sagen.«

»Es sind heute elf Tage, daß er in der Assemblée erschienen ist, um ihr sein Veto zu bedeuten . . . Warum ist er nicht stumm am Morgen dieses Tages geworden, statt die Sprache am andern Tage zu verlieren!«

»Mein Herr,« rief lebhaft Madame Elisabeth, »es war also Ihre Ansicht, mein Bruder hätte diesen gottlosen Beschluß sanctioniren sollen?«

»Madame, den König den Priestern gegen den Strom, der kommt, gegen die Fluth, welche steigt, gegen den Sturm, der tost, voranstellen heißt meiner Ansicht nach wollen, daß König und Priester mit einem Schlage zerschmettert werden.«

»Was würden Sie aber an der Stelle meines Bruders thun?«

»Madame, es gibt in diesem Augenblicke eine Partei, welche wächst, wie jene Riesen von Tausend und eine Nacht, die, in ein Gefäß eingeschlossen, eine Stunde, nachdem das Gesäß zerbrochen ist, hundert Ellen hoch sind.«

»Sie meinen die Jacobiner, mein Herr?«

Gilbert schüttelte den Kopf.

»Nein, ich meine die Gironde. Die Jacobiner wollen nicht den Krieg; die Gironde will ihn: der Kriez ist national!«

»Aber den Krieg . . . den Krieg mit wem, mein Gott? Mit dem Kaiser, unserem Bruder? mit dem König von Spanien, unserem Neffen? Unsere Feinde, Herr Gilbert, sind in Frankreich, und nicht außer Frankreich, und zum Beweise . . . «

Madame Elisabeth zögerte.

»Sprechen Sie, Madame,« sagte Gilbert.

»Ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich Ihnen das sagen kann, Doctor, obschon ich Sie deshalb habe kommen lassen.«

»Sie können mir, einem ergebenen Manne, der bereit ist, sein Leben dem König zu opfern, Alles sagen.«

 

»Mein Herr,« fragte Madame Elisabeth, »glauben Sie, daß es ein Gegengift gibt?«

»Ein allgemeines? Nein, Madame; nur hat jede giftige Substanz ihr Gegengift, obgleich in der Regel ich muß es sagen, diese Gegengifte fast immer unmächtig sind.«

»Oh! mein Gott!«

»Man müßte vor Allem wissen, ob das Gift ein mineralisches oder vegetabilisches ist. Gewöhnlich wirken die mineralischen Gifte auf den Magen und die Eingeweide, die vegetabilischen auf das Nervensystem. Welche Art von Gift meinen Sie, Madame?«

»Hören Sie, ich will Ihnen ein Geheimniß sagen.«

»Ich höre, Madame.«

»Nun, ich befürchte, man vergiftet den König.«

»Wer soll sich eines solchen Verbrechens schuldig machen?«

»Vernehmen Sie, was geschehen ist: Herr Laporte . . . der Intendant der Civilliste, Sie wissen?«

»Ja, Madame . . . «

»Nun wohl, Herr Laporte hat uns mittheilen lassen, ein Mensch von der Officin des Königs, der sich als Pastetenbäcker im Palais-Royal etablirt hatte, werde zu den Functionen seiner früheren Stelle zurückkehren, die ihm der Tod seines Anwärters wiedergebe . . . Dieser Mensch, der ein unbändiger Jacobiner ist, hat ganz laut gesagt, man würde Frankreich durch die Vergiftung des Königs eine große Wohlthat erweisen.«

»Im Allgemeinen, Madame, rühmen sich die Leute, die ein solches Verbrechen begehen wollen, nicht zum Voraus damit.«

»Oh! mein Herr, es wäre so leicht, den König zu vergiften. Zum Glück hat derjenige, welchem wir mißtrauen, im Palaste nichts Anderes als Backwerk zu besorgen.«

»Sie haben also Vorsichtsmaßregeln getroffen, Madame?«

»Ja, es ist beschlossen worden, der König soll nur noch Braten essen; das Brod soll durch Herrn Thierry, den Intendanten der kleinen Gemächer, gebracht werden, der es zugleich übernimmt, den Wein zu liefern. Was das Backwerk betrifft, das der König sehr liebt, so hat Madame Campan Befehl erhalten, solches, wie für sich, bald bei dem einen, bald bei dem andern Pastetenbäcker zu kaufen. Man hat uns besonders empfohlen, dem gestoßenen Zucker zu mißtrauen.«

»Weil man Arsenik darunter mischen kann, ohne daß man es bemerkt.«

»Ganz richtig, . . Die Königin pflegte ihr Wasser mit solchem Zucker zu vermischen: wir haben das völlig aufgegeben. Der König, die Königin und ich, wir essen mit einander; wir behelfen uns ohne irgend eine Dienstperson: hat Eines von uns etwas zu verlangen, so klingelt es. Madame Campan bringt, sobald der König bei Tische sitzt, durch einen besonderen Eingang das Backwerk, das Brod und den Wein; man verbirgt Alles dies unter der Tafel, und man gibt sich den Anschein, als tränke man Wein vom königlichen Keller, als äße man das Brod und das Backwerk aus den Bäckereien des Hofes. So leben wir, mein Herr! Und dennoch zittern wir, die Königin und ich, jeden Augenblick, den König plötzlich erbleichen und die zwei furchtbaren Worte: »»Ich leide!«« aussprechen zu hören!«

»Lassen Sie mich Ihnen vor Allem versichern, Madame, daß ich an diese Vergiftungsdrohungen nicht glaube. Sodann aber stelle ich mich nichtsdestoweniger ganz und gar zu den Diensten Ihrer Majestäten. Was wünscht der König? Will der König mir ein Zimmer im Schloß geben? Ich werde hier bleiben, daß man mich jeden Augenblick findet, bis zu dem Momente, wo seine Befürchtungen . . . «

»Oh! mein Bruder befürchtet nichts,« versetzte lebhaft Madame Elisabeth.

»Ich irre mich, Madame . . . Bis zu dem Momente, wo Ihre Befürchtungen vorüber sein werden. Ich habe einige Praxis in den Giften und Gegengiften, und ich werde mich bereit hatten, sie zu bekämpfen, von welcher Art sie auch sein mögen; doch erlauben Sie mir, beizufügen, Madame, daß man, wenn der König wollte, bald nichts mehr für ihn zu befürchten hätte.«

»Oh! was muß man zu diesem Ende thun?« fragte eine Stimme, welche nicht die von Madame Elisabeth war, und die durch ihren vibrirenden Klang Gilbert sich umzudrehen veranlaßte.

Der Doctor täuschte sich nicht, diese Stimme war die der Königin.

Gilbert verbeugte sich und sprach:

»Madame, brauche ich der Königin die Betheuerungen der Ergebenheit, die ich so eben Madame Elisabeth machte, zu wiederholen?«

»Nein, mein Herr, nein; ich habe Alles gehört . . . Ich wollte nur wissen, was Ihre Gesinnung in Beziehung auf uns ist?«

»Die Königin hat an der Festigkeit meiner Gefühle gezweifelt?«

»Oh! mein Herr, so viele Kopfe und so viele Herzen drehen sich bei diesem Sturmwinde, daß man wahrhaftig nicht mehr weiß, wem man trauen soll.«

»Und darum wird die Königin von der Hand der Feuillants einen von Frau von Staël façonnirten Minister empfangen?«

Die Königin schauerte.

»Sie wissen das?« sagte sie.

»Ich weiß, daß Eure Majestät mit Herrn von Narbonne in Verbindung steht.«

»Und Sie tadeln mich ohne Zweifel?«

»Nein, Madame, das ist ein Versuch wie ein anderer.«

»Sie haben Frau von Staël kennen lernen, mein Herr?« fragte die Königin.

»Ich habe diese Ehre gehabt, Madame. Als ich die Bastille verließ, begab ich mich zu ihr, und von Herrn von Necker habe ich erfahren, daß ich auf Empfehlung der Königin verhaftet worden war.«

Die Königin erröthete sichtbar; dann sagte sie mit einem Lächeln:

»Wir haben versprochen, nicht auf diesen Irrthum zurückzukommen.«

»Ich komme nicht auf diesen Irrthum zurück, Madame; ich antworte auf eine Frage, die Euere Majestät an mich zu richten die Gnade hatte.«

»Was denken Sie von Herrn Necker?«

»Das ist ein aus heterogenen Elementen zusammengesetzter Deutscher, der sich, durch das Barocke gehend, bis zur Emphase erhebt.«

»Gehörten Sie aber nicht zu denjenigen, welche den König antrieben, ihn wiederzunehmen?«

»Herr Necker war, mit Recht oder mit Unrecht, der populärste Mann des Königreichs. Ich habe dem Koch gesagt: »»Sire, stützen Sie sich auf seine Popularität.««

»Und Frau von Staël?«

»Ihre Majestät erweist mir, glaube ich, die Ehre, mich zu fragen, was ich von Frau von Staël denke?«

»Ja.«

»Ei! was das Körperliche betrifft: sie hat ein, große Nase, grobe Züge, eine dicke Figur . . . «

Die Königin lächelte: der Frau war es nicht unangenehm, von einer andern Frau, mit der man sich viel beschäftigte, sagen zu hören, sie sei nicht schön.

»Fahren Sie fort,« sagte sie.

»Ihre Haut ist von mittelmäßig anziehender Qualität; ihre Geberden sind eher energisch, als anmuthig, ihre Stimme ist rauh, zuweilen, um Zweifel zu erregen, ob es die einer Frau ist. Bei Allem dem zählt sie einundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahre, hat den Hals einer Göttin, wundervolle schwarze Haare, herrliche Zähne, ein Auge voll Feuer: ihr Blick ist eine Welt!«

»Doch in moralischer Hinsicht? als Talent? als Verdienst?« fragte hastig die Königin.

»Sie ist gut und edelmüthig, Madame; nicht Einer ihrer Feinde wird ihr Feind bleiben, nachdem er sie eine Viertelstunde hat reden hören.«

»Ich spreche von ihrem Genie, mein Herr; man macht nicht mit dem Herzen allein Politik.«

»Madame, das Herz verdirbt nichts, selbst in der Politik; was das Wort Genie betrifft, das Eure Majestät ausgesprochen, seien wir geizig mit diesem Worte, Madame. Frau von Staël ist ein großes, ungeheures Talent, das sich aber nicht bis zum Genie erhebt; etwas Schwerfälliges, aber nicht Starkes, Dickes, aber nicht Mächtiges lastet an ihren Füßen, wenn sie die Erde verlassen will; von ihr zu Jean-Jacques, ihrem Meister, derselbe Abstand wie vom Eisen zum Stahl.«

»Sie sprechen von ihrem Talente als Schriftstellerin; sprechen Sie ein wenig von der politischen Frau.«

»Madame,« erwiederte Gilbert, »in dieser Hinsicht gibt man nach meiner Meinung Frau von Staël viel mehr Bedeutung, als sie verdient. Seit der Emigration von Monnier und von Lally ist ihr Salon die Tribüne der englischen Partei, halbaristokratisch mit den zwei Kammern. Da sie bürgerlich und zwar sehr bürgerlich, so hat sie die Schwäche, die vornehmen Herren anzubeten; sie bewundert die Engländer, weil sie das englische Volk für ein ausnehmend aristokratisches Volk hält; Sie kennt die Geschichte von England nicht; sie kennt den Mechanismus seiner Regierung nicht; so daß sie für Cavaliere aus der Zeit der Kreuzzüge unablässig unten geköpfte Adelige von gestern hält. Die anderen Völker machen zuweilen mit dem Alten Neues; England macht mit dem Neuen beständig Altes.«

»Sie glauben, vermöge dieses Gefühles schlage uns von Staël Herrn von Narbonne vor?«

»Nicht wegen seines Verdienstes, denke ich.«

»Niemand ist aber weniger aristokratisch, als Herr von Narbonne: man kennt nicht einmal seinen Vater.«