Buch lesen: «Die drei Musketiere»
Erstes bis drittes Bändchen
Vorwort,
in welchem nachgewiesen ist, daß die Helden der Geschichte, die wir unsern Lesern zu erzählen die Ehre haben, obgleich ihre Namen sich in Os und Is endigen, nichts Mythologisches haben
Als ich vor etwa einem Jahre in der königlichen Bibliothek Nachforschungen für meine Geschichte Ludwig XIV. anstellte, fielen mir zufällig die Memoiren von Herrn d'Artagnan in die Hände – gedruckt, wie die Mehrzahl der Werke dieser Zeit, wo die Schriftsteller darauf hielten, die Wahrheit zu sagen, ohne einen mehr oder minder langen Gang nach der Bastille zu machen – in Amsterdam bei Pierre Rouge. Der Titel verführte mich. Ich trug das Buch nach Hause, wohlverstanden mit Erlaubniß des Herrn Konservators, und verschlang es.
Es liegt nicht in meiner Absicht, hier eine Analyse des interessanten Werkes zu geben und ich begnüge mich, diejenige von meinen Lesern, welche Zeitgemälde hochachten, darauf zu verweisen. Sie finden darin mit Meisterhand gezeichnete Porträte, und obgleich die Skizzen meistentheils an Casernenthüren und Wirthshauswände gemalt sind, so werden sie darum die Bilder von Ludwig XIII., von Anna von Oesterreich, von Richelieu, von Mazarin und den meisten Hofleuten der Zeit nicht minder ähnlich finden, als in der Geschichte von Herrn Anguetil.
Aber was den launenhaften, seltsamen Geist des Dichters berührt, bringt bekanntlich nicht immer einen lebhaften Eindruck auf die Masse des Volks hervor. Während wir die bezeichneten Einzelheiten bewundern, wie sie die Andern ohne Zweifel bewundern werden, ist die Sache, welche uns am meisten in Anspruch nimmt, eine Sache, der vor uns sicherlich Niemand die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hat.
D'Artagnan erzählt, bei seinem ersten Besuche bei Herrn von Treville, dem Kapitän der Musketiere des Königs, habe er im Vorzimmer drei junge Leute getroffen, welche in dem berühmten Corps dienten, in das er aufgenommen zu werden wünschte, und Athos, Porthos und Aramis hießen. Wir gestehen, diese drei seltsamen Namen fielen uns sehr auf, und es entstand sogleich in uns der Gedanke, es wären Pseudonymen, mit deren Hilfe d'Artagnan vielleicht berühmtere, erhabenere Namen verkleidet hätte, wenn nicht diese entlehnten Namen von ihnen selbst an dem Tage gewählt worden wären, wo sie aus Laune, aus Unzufriedenheit oder aus Mangel an Vermögen die einfache Kasake der Musketiere anzogen.
Von dieser Stunde an fanden wir keine Ruhe mehr, bis wir in den gleichzeitigen Werken irgend eine Spur von diesen außerordentlichen Namen entdeckten, die unsere Neugierde so sehr rege gemacht hatten.
Der Catalog der Bücher, welche wir lasen, um zu diesem Ziele zu gelangen, würde allein einen ganzen Band füllen, was vielleicht sehr lehrreich, aber sicherlich sehr wenig unterhaltend für unsere Leser wäre. Wir begnügen uns, ihnen mitzutheilen, daß wir in dem Augenblick, wo wir, entmuthigt durch so viele fruchtlose Nachforschungen, das Suchen aufzugeben im Begriffe waren, endlich geführt durch die Nachschlage unseres gelehrten und berühmten Freundes Paulin Paris ein Manuscript in Folio fanden, das unter der Nummer 4772 oder 4773, wir erinnern uns nicht mehr genau, im Register eingetragen war, und den Titel hatte:
»Mémoire de M. 1e Comte de la Fère, concérnant quelques – uns des événements qui se passèret en France vers la fiu du règne du roi Louis XIII et le commencement du règne de Louis XIV.
Man kann sich leicht denken, wie groß unsere Freude war, als wir dieses Manuscript, unsere letzte Hoffnung, durchblätterten und auf der 20. Seite den Namen Athos, auf der 27. den Namen Porthos und auf der 31. den Namen Aramis fanden.
Die Entdeckung eines völlig unbekannten Manuscriptes in einer Zeit, wo man die Wissenschaft der Geschichte auf einen so hohen Grad gebracht hat, erschien uns als ein beinahe wunderbarer Fund. Wir beeilten uns auch, um die Erlaubniß nachzusuchen, dasselbe drucken zu lassen, in der Absicht eines Tages vor der Académie des inscription et belles – lettres mit dem Gepäcke von Andern zu erscheinen, wenn es uns, was sehr wahrscheinlich ist, nicht gelingen würde zu der Académie francaise mit unserm eigenen Gepäcke zu kommen. Diese Erlaubniß – wir müssen es sagen – wurde uns äußerst huldvoll ertheilt, was wir hier anführen, um die Böswilligen, welche behaupten, wir leben unter einer in Beziehung auf Schriftsteller wenig bereitwilligen Regierung, öffentlich Lügen zu strafen.
Wir übergeben nun heute unsern Lesern den ersten Band dieses kostbaren Manuscriptes unter dem ihm gebührenden Titel und machen uns anheischig, wenn dieser Band, wie wir nicht zweifeln, von dem verdienten Erfolge gekrönt wird, ungesäumt den zweiten erscheinen zu lassen.
Da der Pathe ein zweiter Vater ist, so laden wir unsere Leser einstweilen ein, sich an uns und nicht an den Grafen de La Fère in Beziehung auf Vergnügen oder Unlust zu halten.
Hiernach gehen wir zu unserer Geschichte über.
I.
Die drei Geschenke von Herrn d'Artagnan, dem Vater
Am ersten Montag des Monats April 1625 schien der Marktflecken Meung, wo der Verfasser des Romans der Rose geboren wurde, in einem so vollständigen Aufruhr begriffen zu sein, als ob die Hugenotten gekommen wären, um ein zweites Rochelle daraus zu machen. Mehrere Bürger beeilten sich, als sie die Frauen die Straßen entlang fliehen sahen und die Kinder auf den Thürschwellen schreien hörten, den Küraß umzuschnallen und, ihre etwas unsichere Haltung durch eine Muskete oder eine Partisane unterstützend, sich nach der Herberge zum Freimüller zu wenden, vor der sich von Minute zu Minute anwachsend eine lärmende, neugierige, dichte Gruppe drängte.
Zu dieser Zeit waren die panischen Schrecken gar häufig, und wenige Tage vergingen, ohne daß eine oder andere Stadt irgend ein Ereigniß dieser Art in ihre Archive einzutragen hatte. Da gab es adelige Herren, welche unter sich Krieg führten; da war der König, der den Cardinal bekriegte; da war der Spanier, der den König bekriegte. Außer diesen stillen oder öffentlichen, geheimen oder geräuschvollen Kriegen, gab es Diebe, Bettler, Hugenotten, Wölfe und Lakaien, welche mit aller Welt Krieg führten. Die Bürger bewaffneten sich immer gegen die Diebe, gegen die Wölfe, gegen die Lakaien; – häufig gegen die adeligen Herren und die Hugenotten; – zuweilen gegen den König; – aber nie gegen den Cardinal und den Spanier. Infolge dieser Gewohnheit geschah es, daß die Bürger an genanntem erstem Montag des Monats April 1625, als sie das Geräusche hörten und weder die gelb und rothen Standarten, noch die Livree des Herzogs von Richelieu sahen, nach der Herberge zum Freimüller liefen.
Hier angelangt, vermochte jeder die Ursache dieses Lärms zu erschauen und zu erkennen.
Ein junger Mensch . . . entwerfen wir sein Porträt mit einem Federzuge: man denke sich Don Quixote im achtzehnten Jahre; Don Quixote ohne Bruststück, ohne Panzerhemd und ohne Beinschienen; Don Quixote in einem Wamms, dessen blaue Farbe sich in eine unbestimmbare Nuance von Weinhefe und Himmelblau verwandelt hatte. Langes, braunes Gesicht, hervorspringende Backenknochen, Zeichen der Schlauheit, außerordentlich stark entwickelte Kiefermuskeln, ein untrügliches Zeichen, an dem der Gascogner selbst ohne Baret zu erkennen ist, und unser junger Mann trug ein mit einer Art von Feder verziertes Baret; das Auge offen und gescheit; die Nase gebogen, aber fein gezeichnet; zu groß für einen Jüngling, zu klein für einen gemachten Mann, und ein ungeübtes Äuge würde ihn für einen reisenden Pächterssohn gehalten haben, hätte er nicht den langen Degen getragen, der an einem ledernen Wehrgehänge befestigt an die Waden seines Eigentümers schlug, wenn er zu Fuß war, und an das rauhe Fell seines Pferdes, wenn er ritt.
Denn unser junger Mann hatte ein Pferd, und dieses Roß war eben so merkwürdig, als es auch wirklich in die Augen fiel. Es war ein Klepper aus dem Bearn, zwölf bis vierzehn Jahre alt, von gelber Farbe, ohne Haare am Schweif, aber nicht ohne Fesselgeschwüre an den Beinen, ein Thier, das, während es den Kopf im Gehen tiefer hielt, als die Kniee, was die Anwendung des Sprungriemens überflüssig machte, muthig noch seine acht Meilen im Tage zurücklegte. Unglücklicherweise waren die geheimen Vorzüge dieses Pferdes so gut unter seiner seltsamen Haut und unter seinem fehlerhaften Gange versteckt, daß in einer Zeit, wo sich Jedermann auf Pferde verstand, die Erscheinung der genannten Mähre in Meung, wo selbst sie vor ungefähr einer Viertelstunde durch das Beaugencythor eingetroffen war, eine allgemeine Sensation hervorbrachte, deren Ungunst bis auf den Reiter zurücksprang.
Und diese Sensation war für den jungen d'Artagnan (so hieß der Don Quixote dieser zweiten Rozinante), um so peinlicher, als er sich die lächerliche Seite nicht verbergen konnte, die ihm, ein so guter Reiter er auch war, ein solches Pferd gab. Es war ihm nicht unbekannt, daß dieses Thier einen Werth von höchstens zwanzig Livres hatte; die Worte, von denen das Geschenk begleitet wurde, waren allerdings unschätzbar.
»Mein Sohn,« sagte der gascognische Edelmann in dem reinen Patois des Bearn, von dem sich Heinrich IV. nie hatte losmachen können, »mein Sohn, dieses Pferd ist in dem Hause Deines Vaters vor bald dreizehn Jahren geboren, und seit dieser Zeit hier geblieben, was Dich bewegen muß, dasselbe zu lieben. Verkaufe es nie, laß es ruhig und ehrenvoll an Altersschwäche sterben, und wenn Du einen Feldzug mit ihm machst, so schone es, wie Du einen alten Diener schonen würdest. Am Hofe,« fuhr d'Artagnan Vater fort, »wenn Du die Ehre hast dahin zu kommen, eine Ehre, auf die wir übrigens vermöge unseres alten Adels Anspruch machen dürfen, halte würdig Deinen Namen als Edelmann aufrecht, der von unsern Ahnen seit fünfhundert Jahren auf eine ruhmvolle Weise geführt worden ist, halte ihn aufrecht für Dich und für die Deinigen. Unter den Deinigen verstehe ich Deine Verwandten und Deine Freunde; dulde nie etwas, außer von dem Herrn Cardinal und von dem König. Durch seinen Muth, höre wohl, nur durch seinen Muth, macht ein Edelmann heut zu Tage sein Glück. Wer eine Sekunde zittert, läßt sich vielleicht den Köder entgehen, welchen ihm das Glück gerade während dieser Sekunde darreichte. Du bist jung. Du mußt aus zwei Gründen tapfer werden; einmal weil Du ein Gascogner und dann weil Du mein Sohn bist. Fürchte die Gelegenheit nicht und suche die Abenteuer; ich habe Dich den Degen handhaben gelehrt. Du besitzest einen eisernen Kniebug, eine stählerne Handwurzel; schlage Dich bei jeder Veranlassung; schlage Dich um so mehr, als Zweikämpfe verboten sind, und weil es deshalb eines doppelten Muthes bedarf, sich zu schlagen. Mein Sohn, ich habe Dir nur fünfzehn Thaler, mein Pferd und die Rathschläge zu geben, die Du so eben vernommen hast. Deine Mutter wird das Recept zu einem gewissen Balsam beifügen, das sie von einer Zigeunerin erhalten hat, und das die wunderbare Kraft besitzt, jede Wunde zu heilen, die nicht gerade das Herz berührt. Ziehe aus Allem Nutzen, lebe glücklich und lange.
»Ich habe nur ein Wort beizufügen. Ich will Dir ein Beispiel nennen, nicht das meinige, denn ich bin nie bei Hof erschienen und habe nur die Religionskriege als Freiwilliger mitgemacht: ich spreche von Herrn von Treville, der einst mein Nachbar war und die Ehre hatte, als Kind mit unserem König Ludwig XIII., den Gott erhalten möge, zu spielen. Zuweilen arteten ihre Spiele in Schlachten aus, und bei diesen Schlachten war der König nicht immer der Stärkere. Die Schläge, welche er erhielt, flößten ihm große Achtung und Freundschaft für Herrn von Treville ein. Später schlug sich Herr von Treville fünfmal während seiner ersten Reise nach Paris mit Andern; vom Tode des seligen Königs an bis zur Volljährigkeit des jungen, ohne die Kriege und Belagerungen zu rechnen, siebenmal, und von dieser Volljährigkeit an bis auf den heutigen Tag hundertmal! – Nun ist er, allen Edicten, Ordonnanzen und Urteilssprüchen zum Trotz, Kapitän der Musketiere, d. h. Anführer einer Legion von Cäsaren, welche der König sehr hoch achtet und der Cardinal fürchtet, der sich sonst bekanntlich vor nichts zu fürchten pflegt. Noch mehr, Herr von Treville nimmt jährlich 10,000 Thaler ein; er ist also ein sehr vornehmer Herr. – Er hat angefangen wie Du, besuche ihn mit diesem Briefe und richte Dein Benehmen nach seinen Vorschriften ein, damit es Dir ergehe, wie ihm.«
Wonach Herr d'Artagnan der Vater dem Jüngling seinen eigenen Degen umgürtete, ihn zärtlich auf beide Wangen Küßte und ihm seinen Segen gab.
Das väterliche Zimmer verlassend, fand der junge Mann seine Mutter, welche ihn mit dem berühmten Recepte erwartete, zu dessen häufiger Anwendung die so eben erhaltenen Rathschläge ihn nöthigen sollten. Der Abschied war von dieser Seite länger und zärtlicher als von der andern. Nicht als ob Herr d'Artagnan seinen Sohn, der sein einziger Sprößling war, nicht geliebt hätte, aber Herr d'Artagnan war ein Mann, und er hätte es als eines Mannes unwürdig erachtet, sich seiner Rührung hinzugeben, während Frau d'Artagnan Weib und überdieß Mutter war. Sie weinte schrecklich, und wir müssen es Herrn d'Artagnan zum Lob nachsagen, daß er sich trotz seiner Anstrengungen, ruhig zu bleiben, wie es die Pflicht eines zukünftigen Musketiers sein sollte, von der Natur hinreißen ließ und eine Menge Thränen vergoß, von denen er nur mit großer Mühe die Hälfte verbergen konnte.
Am selben Tage begab sich der junge Mann auf den Weg, ausgerüstet mit den drei väterlichen Geschenken, welche, wie gesagt, aus fünfzehn Thalern, dem Pferde und dem Briefe an Herrn von Treville bestanden; die Rathschläge waren, wie man sich wohl denken kann, in den Kauf gegeben worden. Mit einem solchen Vademecum erschien d'Artagnan in moralischer, wie in physischer Beziehung als eine getreue Copie des Helden von Cervantes, mit dem wir ihn so glücklich verglichen, als wir uns durch unsere Geschichtschreiberpflichten veranlaßt sahen, sein Bild zu entwerfen. Don Quixote hielt die Windmühlen für Riesen und die Schafe für Armeen, d'Artagnan nahm jedes Lächeln für eine Beleidigung und jeden Blick für eine Herausforderung. Demzufolge hielt er seine Faust von Tarbes bis Meung geschlossen und fuhr wenigstens zehnmal des Tags an seinen Degenknopf; die Faust traf indessen keinen Kinnbacken und der Degen kam nicht aus der Scheide. Nicht als ob der Anblick der unglückseligen gelben Mähre nicht oftmals ein Lächeln auf den Gesichtern der Vorübergehenden hervorgerufen hätte, aber da über dem Klepper ein Degen von achtungswerther Größe klirrte und über diesem Degen ein mehr wildes als stolzes Auge glänzte, so unterdrückten die Vorübergehenden ihre Heiterkeit, oder wenn diese Heiterkeit mächtiger wurde, als die Klugheit, so suchten sie wenigstens, wie die antiken Masken, nur auf einer Seite zu lachen; d'Artagnan blieb also majestätisch und unverletzt in seiner Empfindlichkeit bis zu dem unseligen Städtchen Meung.
Hier aber, als er an der Thüre des Freimüllers vom Pferd stieg, ohne daß irgend Jemand, Wirth, Kellner oder Hausknecht erschien, um ihm den Steigbügel am Auftritt zu halten, erblickte d'Artagnan an einem halbgeöffneten Fenster des Erdgeschosses einen Edelmann von schöner Gestalt und vornehmem Aussehen mit leicht gerunzeltem Gesicht, der mit zwei Personen sprach, welche ihm mit großer Untertänigkeit zuzuhören schienen. D'Artagnan glaubte ganz natürlich, seiner Gewohnheit gemäß, der Gegenstand des Gespräches zu sein, und horchte. Diesmal hatte sich d'Artagnan nur zur Hälfte getäuscht; es war zwar nicht von ihm die Rede, aber von seinem Pferde, dessen Eigenschaften der Edelmann seinen Zuhörern aufzählte, und da diese Zuhörer, wie gesagt, große Ehrfurcht vor dem Erzähler zu hegen schienen, so brachen sie jeden Augenblick in ein neues schallendes Gelächter aus. Da nun ein halbes Lächeln hinreichte, um den jungen Mann zum Zorne zu reizen, so begreift man leicht, welchen Eindruck eine so geräuschvolle Heiterkeit auf ihn hervorbringen mußte.
D'Artagnan wollte sich jedoch vorerst über die Physiognomie des Frechen belehren, der es wagte, sich über ihn lustig zu machen. Er heftete seinen Blick voll Stolz auf den Fremden und erkannte in ihm einen Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen, durchdringenden Augen, bleicher Gesichtsfarbe, stark hervortretender Nase und schwarzem, vollkommen zugestutztem Schnurrbart; derselbe trug ein Wamms und veilchenblaue Beinkleider mit Schnürnesteln von ähnlicher Farbe. Dieses Wamms und diese Beinkleider schienen, obwohl neu, doch zerknittert, wie lange in einem Mantelsack eingeschlossene Reisekleider. D'Artagnan machte alle seine Bemerkungen mit der Geschwindigkeit des schärfsten Beobachters und ohne Zweifel von einem instinktartigen Gefühl angetrieben, das ihm sagte, dieser Fremde müsse einen großen Einfluß auf sein zukünftiges Leben ausüben.
Da nun in dem Moment, wo d'Artagnan sein Auge auf den Edelmann mit der veilchenblauen Hose heftete, dieser Herr eine seiner gelehrtesten und gründlichsten Erläuterungen in Bezug der bearnischen Mähre zum Besten gab, so brachen seine Zuhörer in ein schallendes Gelächter aus, und er selbst ließ augenscheinlich gegen seine Gewohnheit ein bleiches Lächeln, wenn man so sagen darf, über sein Antlitz schweben. Diesmal konnte kein Zweifel entstehen, d'Artagnan war wirklich beleidigt. Erfüllt von dieser Überzeugung, drückte er sein Baret tief in die Augen und rückte, indem er sich Mühe gab, einige von den Hofmienen nachzuahmen, die er in der Gascogne bei reisenden vornehmen Herren aufgefangen hatte, eine Hand auf das Stichblatt seines Degens, die andere auf die Hüfte gestützt, vor. Leider verblendete ihn der Zorn immer mehr, je weiter er vorschritt, und statt einer würdigen stolzen Rede, die er im Stillen zu einer Herausforderung vorbereitet hatte, fand er auf seiner Zungenspitze nichts mehr, als eine plumpe Grobheit, die er mit einer wüthenden Geberde begleitete.
»He, mein Herr,« rief er, »mein Herr, der Ihr Euch hinter jenem Laden verbergt, ja Ihr, sagt mir doch ein wenig, über wen Ihr lacht, und wir lachen dann gemeinschaftlich.«
Der Edelmann richtete langsam die Augen von dem Pferde auf den Reiter, als ob er einiger Zeit bedürfte, um zu begreifen, daß so seltsame Worte an ihn gesprochen wurden; da ihm sodann kein Zweifel mehr übrig blieb, so runzelte er leicht die Stirne, und antwortete nach einer ziemlich langen Pause mit einem nicht zu beschreibenden Ausdrucke von Ironie und Keckheit Herrn d'Artagnan:
»Ich spreche nicht mit Euch.«
»Aber ich spreche mit Euch, mein Herr,« rief der junge Mann, ganz außer sich über diese Mischung von Frechheit und guten Manieren, von Anstand und Verachtung.
Der Unbekannte betrachtete ihn noch einen Augenblick mit seinem leichten Lächeln und zog sich langsam vom Fenster zurück, ging dann aus dem Wirthshause, näherte sich d'Artagnan bis auf zwei Schritte und blieb vor dem Pferde stehen. Seine ruhige Haltung und seine spöttische Miene hatten die Heiterkeit derjenigen vermehrt, mit denen er plauderte, und die am Fenster geblieben waren. Als d'Artagnan ihn auf sich zukommen sah, zog er seinen Degen einen Fuß lang aus der Scheide.
»Dieses Pferd ist offenbar oder war vielmehr in seiner Jugend ein Goldfuchs,« sprach der Unbekannte, während er in den begonnenen Untersuchungen fortfuhr, und wandte sich dabei an seine Zuhörer am Fenster, ohne daß er die Erbitterung d'Artagnan's im Geringsten zu beachten schien. »Es ist eine in der Botanik sehr bekannte, aber bis jetzt bei den Pferden sehr seltene Farbe.«
»Wer über das Pferd lacht,« rief der Nebenbuhler Treville's wüthend, »würde es nicht wagen, über den Herrn zu lachen.«
»Ich lache nicht oft, mein Herr,« erwiederte der Unbekannte, »wie Ihr selbst an meinen Gesichtszügen wahrnehmen könnt, aber ich halte etwas darauf, mir das Vorrecht zu lachen, so oft es mir beliebt, zu wahren.«
»Und ich,« rief d'Artagnan, »ich will nicht, daß irgend Jemand über mich lache, wenn es mir mißfällt.«
»In der That, mein Herr?« erwiederte der Unbekannte, ruhiger als je, »nun denn, das ist nicht mehr als billig.«
Und auf seinen Fersen sich drehend, schickte er sich an, durch das große Thor in das Gasthaus zurückzukehren, wo d'Artagnan ein völlig gesatteltes Pferd wahrgenommen hatte.
Aber d'Artagnan besaß nicht den Character, mit dem es ihm möglich gewesen wäre, einen Menschen, der die Frechheit gehabt hatte, über ihn zu spotten, los zu gehen. Er zog seinen Degen vollends aus der Scheide und fuhr fort, seinen Streit zu verfolgen.
»Umgedreht, mein Herr Spötter, damit ich Euch nicht auf den Rücken schlage.«
»Mich schlagen, mich?« sagte der Andere, sich auf den Fersen umdrehend, und schaute den jungen Mann mit eben so großer Verwunderung als Verachtung an. »Auf, mein Lieber, Ihr seid ein Narr!« Dann fuhr er mit leiser Stimme und als ob er mit sich selbst spräche, fort: »Das ist ärgerlich; welch ein Fund für Seine Majestät, welche überall nach Leuten sucht, um die Musketiere zu rekrutiren.«
Er hatte kaum vollendet, als d'Artagnan einen so wüthenden Schlag mit der Spitze seines Degens nach ihm führte, daß er ohne Zweifel, wenn er nicht einen sehr raschen Sprung rückwärts gemacht, zum letzten Mal gescherzt hätte. Der Unbekannte sah jetzt, daß die Sache über den Spaß hinausging; er zog seinen Degen, begrüßte seinen Gegner und nahm eine Fechterstellung ein. Aber in demselben Augenblick fielen seine zwei Zuhörer in Begleitung des Wirthes mit Stöcken, Schaufeln und Feuerzangen über d'Artagnan her. Dies gab dem Angriff eine so rasche und vollständige Diversion, daß der Gegner von d'Artagnan's, während sich dieser umwandte, um einen Hagel von Schlägen Wiederstand zu leisten, seinen Degen mit der größten Gelassenheit einsteckte und aus einem darstellenden Mitglied, das er beinahe geworden wäre, wieder Zuschauer des Kampfes wurde, – eine Rolle, der er sich mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit entledigte. Nichtsdestoweniger murmelte er durch die Zähne:
»Die Pest über alle Gascogner! Setzt ihn wieder auf sein orangefarbiges Pferd, er mag zum Teufel gehen.«
»Nicht ohne Dich getödtet zu haben, Feigling!« rief d'Artagnan, während er sich so gut als möglich und ohne einen Schritt zurückzuweichen gegen seine drei Feinde, die ihn mit Schlägen überfluteten, zur Wehr setzte.
»Abermals eine Gasconnade«, murmelte der Edelmann. »Bei meiner Ehre, diese Gascogner sind unverbesserlich! Setzt also den Tanz fort, da er es durchaus haben will. Wenn er einmal müde ist, wird er schon sagen, es sei genug.«
Aber der Unbekannte wußte noch nicht, mit was für einem hartnäckigen Menschen er es zu thun hatte; d'Artagnan war nicht der Mann, der Gnade gefordert hätte. Der Kampf dauerte also noch einige Sekunden fort, doch endlich ließ d'Artagnan erschöpft seinen Degen fahren, den ein Schlag mit einer Heugabel entzwei brach. Ein anderer Schlag, welcher seine Stirne traf, schmetterte ihn beinahe zu derselben Zeit blutend und fast ohnmächtig nieder. In diesem Augenblick kamen von allen Seiten Leute auf den Schauplatz gelaufen, der Wirth fürchtete ein ärgerliches Aufsehen und trug den Verwundeten mit Hilfe einiger Kellner in die Küche, wo man ihm Pflege angedeihen ließ.
Der Edelmann aber hatte seinen früheren Platz am Fenster wieder eingenommen und betrachtete mit einer gewissen Ungeduld die umherstehende Menge, deren Verweilen ihm sehr ärgerlich zu sein schien.
»Nun! wie geht es dem Wüthenden?« sagte er, indem er sich bei dem durch das Oeffnen der Thüre verursachten Geräusch umkehrte und an den Wirth wandte, der sich nach dessen Befinden erkundigt hatte.
»Ew. Excellenz ist gesund und wohlbehalten?« fragte der Wirth.
»Ja, vollkommen wohl und gesund, mein lieber Wirth, und ich frage Euch, was aus unserem jungen Menschen geworden ist?«
»Es geht besser mit ihm,« erwiederte der Wirth: »er ist in Ohnmacht gefallen.«
»In der That?« sprach der Edelmann.
»Doch ehe er in Ohnmacht fiel, raffte er alle seine Kräfte zusammen, rief nach Euch und forderte Euch heraus.«
»Aber dieser Bursche ist also der Teufel in Person!« rief der Unbekannte.
»O nein, Ew. Excellenz, es ist nicht der Teufel,« entgegnete der Wirth mit einer verächtlichen Grimasse, »denn während seiner Ohnmacht haben wir ihn durchsucht und in seinem Päckchen nicht mehr als ein Hemd, in seiner Börse nicht mehr als zwölf Thaler gefunden, was ihn jedoch nicht abhielt, kurz bevor er in Ohnmacht fiel, zu bemerken, wenn dergleichen in Paris geschehen wäre, so müßtet Ihr dies sogleich bereuen, während Ihr es hier erst später bereuen würdet.«
»Dann ist er irgend ein verkleideter Prinz von Geblüt,« sagte kalt der Unbekannte.
»Ich theile Euch dies mit, gnädiger Herr,« versetzte der Wirth, »damit Ihr auf Eurer Hut sein möget.«
»Und er hat Niemand in seinem Zorn genannt?«
›Allerdings, er schlug an seine Tasche und sagte: ›Wir wollen sehen, was Herr von Treville zu der Beleidigung sagen wird, die seinem Schützling widerfahren ist.‹
»Herr von Treville?« sprach der Unbekannte mit steigender Aufmerksamkeit; »er schlug an seine Tasche, während er den Namen des Herrn von Treville aussprach? . . . Seht, mein lieber Wirth, indeß Euer junger Mann in Ohnmacht lag, habt Ihr sicherlich nicht versäumt, ein wenig in diese Tasche zu schauen. Was fand sich darin?«
»Ein Brief, mit der Adresse des Herrn von Treville, Kapitän der Musketiere.«
»In der That?«
»Es ist, wie ich Ew. Excellenz zu sagen die Ehre habe.«
Der Wirth, welcher eben nicht mit übergroßem Scharfsinn begabt war, gewahrte den Ausdruck nicht, den seine Worte auf dem Gesichte des Unbekannten hervorriefen. Dieser entfernte sich von dem Gesimse des Kreuzstocks, auf das er sich bis jetzt mit dem Ellbogen gestützt hatte, und faltete die Stirne, wie ein Mensch, den etwas beunruhigt.
»Teufel!« murmelte er zwischen den Zähnen, »sollte mir Treville diesen Gascogner geschickt haben? Er ist noch sehr jung! Aber ein Degenstich bleibt ein Degenstich, welches Alter auch derjenige haben mag, der ihn versetzt, und man mißtraut weniger einem Kinde als jedem Anderen; zuweilen genügt ein schwaches Hinderniß, um einem großen Plan in den Weg zu treten.«
Und der Unbekannte versank in ein Nachdenken, das einige Minuten währte.
»Hört einmal, Wirth,« sagte er, »werdet Ihr mich nicht von diesem Wüthenden befreien? Ich kann ihn mit gutem Gewissen nicht töten, und dennoch,« fügte er mit einem kalt drohenden Ausdrucke bei, »ist er mir unbequem. Wo verweilt er?«
»Im ersten Stock in der Stube meiner Frau, wo man ihn verbindet.«
»Hat er Kleidungsstücke und seine Tasche bei sich? Er hat sein Wamms nicht ausgezogen?«
»Alles dies blieb im Gegentheil unten in der Küche. Aber wenn Euch dieser junge Laffe unbequem ist . . .?«
»Gewiß. Er veranlaßt in Eurem Gasthaus ein Ärgernis, das ehrliche Leute nicht aushalten können. Geht hinauf, macht meine Rechnung und benachrichtigt meinen Lakei.«
»Wie! gnädiger Herr, Ihr verlasset uns schon?«
»Ihr wißt es wohl, da ich Euch Befehl gegeben habe, mein Pferd zu satteln. Hat man mir nicht Folge geleistet?«
»Allerdings, und das Pferd steht völlig aufgezäumt unter dem großen Thor, wie Ew. Excellenz selbst hat sehen können.«
»Das ist gut. Thut, was ich Euch gesagt habe.«
»Oh weh!« sprach der Wirth zu sich selbst; »sollte er vor dem kleinen Jungen bange haben?«
Aber ein gebieterischer Blick des Unbekannten machte seinen Gedanken rasch ein Ende. Er verbeugte sich demüthig und ging ab.
»Mylady1 soll diesen Burschen nicht gewahr werden,« fuhr der Fremde fort; »sie muß bald vorüber kommen; bereits zögert sie etwas. Entschieden ist es besser, wenn ich zu Pferde steige und ihr entgegen reite . . . Könnte ich nur erfahren, was dieser Brief an Treville enthält!« Und unter fortwährendem Murmeln wandte sich der Fremde nach der Küche.
Während dieser Zeit war der Wirth, der nicht daran zweifelte, daß die Gegenwart des jungen Menschen den Unbekannten aus seiner Herberge treibe, zu seiner Frau hinaufgegangen und hatte d'Artagnan hier wieder seiner Sinne Meister gefunden. Er machte ihm begreiflich, die Polizei könnte ihm einen schlimmen Streich spielen, da er mit einem vornehmen Herrn Streit angefangen habe, denn nach der Meinung des Wirthes konnte der Unbekannte nur ein vornehmer Herr sein, und er bestimmte ihn, trotz seiner Schwäche aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen. Halb betäubt, ohne Wamms und den Kopf mit Leinwand umwickelt, stand d'Artagnan auf und fing an, vom Wirthe getrieben, die Treppe hinabzusteigen; aber als er in die Küche kam, war das erste, was er bemerkte, sein Gegner, der am Fußtritt einer schweren, mit zwei plumpen normannischen Pferden bespannten Karosse ruhig plauderte.
Die Frau, mit der er sprach, war eine Frau von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, deren Kopf in den Kutschenschlag eingerahmt schien. Wir haben bereits erwähnt, mit welcher Raschheit d'Artagnan eine Physiognomie aufzufassen wußte; er sah also auf den ersten Blick, daß die Frau jung und hübsch war. Diese Schönheit fiel ihm um so mehr auf, als sie eine in den südlichen Gegenden, welche d'Artagnan bis jetzt bewohnt hatte, ganz fremde Erscheinung war. Es war eine Blondine mit langen, auf die Schultern herabfallenden Locken, großen, schmachtenden, blauen Augen, rosigen Lippen und Alabasterhänden; sie sprach sehr lebhaft mit dem Unbekannten.
»Also befiehlt mir Seine Eminenz . . . « sagte die Dame.
»Sogleich nach England zurückzukehren und sie zu benachrichtigen, ob der Herzog London verlassen hat.«
»Und was meine übrigen Instruktionen betrifft? . . . « fragte die schöne Reisende.
»Sie sind in dieser Kapsel enthalten, welche Ihr erst jenseits des Kanals öffnen werdet.«
»Sehr wohl; und Ihr, was macht Ihr?«
»Ich kehre nach Paris zurück.«
»Ohne das freche Bürschchen zu züchtigen?« fragte die Dame.
Der Unbekannte war im Begriff zu antworten, aber in dem Augenblick, wo er den Mund öffnete, sprang d'Artagnan, der alles gehört hatte, auf die Thürschwelle.
»Das freche Bürschchen züchtigt andere,« rief er, »und ich hoffe, daß derjenige, welchen er zu züchtigen hat, ihm diesmal nicht entkommen wird, wie das erste Mal.«
»Nicht entkommen wird?« entgegnete der Unbekannte, die Stirne faltend.
»Nein, vor einer Dame, denke ich, werdet Ihr es nicht wagen, zu entfliehen.«